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Thematischer Leitfaden durch die Musik PARSIFAL nebst einem Vorworte über den Sagenstoff des Wagner'schen Dramas von . Hans von Wolzogen. Zweite Auflage. Leipzig, Verlag von Gebrüder Senf. 1882. des

Parsifal - Thematischer Leitfaden durch die Musik des Parsifal

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Wolzogen, Hans ¬von¬: Thematischer Leitfaden durch die Musik des Parsifal, nebst einem Vorworte über den Sagenstoff des Wagner'schen Dramas. - 2. Aufl. - Leipzig : Senf, 1882. - 92 S. : mit Notenbeispielen

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  • Thematischer Leitfadendurch die Musik

    P A R S I F A Lnebst einem Vorworte ber den Sagenstoff

    des Wagner'schen Dramas

    von.

    Hans von Wolzogen.

    Zweite Auflage.

    Leipzig,Ver lag von G e b r d e r Senf.

    1882.

    des

  • Das Recht der bersetzung fr alle Sprachen ist vorbehalten.

    Ein Vorwort ber den Stoff des musikalischen DramasParsifal.

    Die Beurtheiler der Dramen Richard Wagner's habenmeistens den Irrthum begangen, dieselben, weil sie alt-germanische oder mittelalterliche Sagenstoffe behandelten,nach dem Massstabe bereits vorhandener altdeutscher Dich-tungen aus jenen Stoffkreisen zu messen. Fr den Tristanlag das Epos Gottfried's von Strassburg vor; fr den Ringdes Nibelungen das Nibelungenlied. Solche, die einge-sehen hatten, dass die Nibelungendichtung Wagner's mitdem Nibelungenliede nur wenig gemein hat, zogen stattdessen die Edda-Lieder hervor und behandelten das neueDrama wie eine Dramatisirung jener alten Skaldenpoesien;was unserem Dichter den Vorwurf eintrug, er habe dendeutschen Boden verlassen, um seine Stoffe sich aus demfremden Island herzuholen.

    Alles dies ist unrichtig und sehr thricht. Die StoffeWagner's, um sie einmal in Krze so zu bezeichnen, sindweit lter als die nur verworren und zerstckt auf unsgekommenen skaldischen Fassungen alter Glaubens- undSagen-Erinnerung im Nordlande; gar nicht zu reden vonden epischen Bearbeitungen durch die ritterlichen undbrgerlichen Singer des 13. Jahrhunderts in Deutschland.Ihre Grundzge sind schon mit den arischen Wandervl-kern aus Asien herbergekommen und seitdem in immerneuen Wandelungen und Zusammenfassungen der rechteigentlich erworbene Besitz des germanischen, insbesonderedes deutschen Volkes geworden. Denn whrend die Edda-lieder , soweit sie die Siegfriedsage behandeln, nachweis-lich auf Einfhrungen aus Deutschland selbst beruhen, sosind andererseits keltisch-franzsische Sagenbildungen, wie

    v. W o l z o g e n , Themat. Leitfaden zu Parsifal. l

  • die des Tristan und des Parsifal, erst in deutscher Dich-tung zur vollendeten, ethischen Verwerthung des in ihnengeborgenen allgemein-menschlichen Stoffes, und so zu un-serem Nationalgute geworden. U r s p r n g l i c h aber warder ganze an die Vlker des westlichen Europas ver-theilte Sagenstoff bereits wesentlich arisch-germanisches Gut;und jeder deutsche Dichter, der wieder danach, als nacheinem unserem Volksgeiste eigenthmlichen Grundgebildepoetischer Phantasie griff, suchte dieses Gut nur von Neuemund um so inniger uns zu eigen zu geben. Was er da-mit, wenn es ihm wirklich bedeutend gelang, uns geschaffenhat, war dann nicht nur eine neue in sich abgeschlosseneForm des alten Stoffes, sondern zugleich eine neue Er-weiterung und Ausdeutung des geistigen und sittlichenGehaltes. Beides hing aber ab von den speciellen Ten-denzen des Neudichters, von der Eigenart seiner Kunst-richtung und Kunstform, und diese wiederum ward be-stimmt von der Zeit, in welcher er dichtete. Der mittel-alterliche Singer schuf auch nur mittelalterliche Epen ; undkeine andere Zeit htte sich einfallen lassen drfen, andiesen fertigen Kunstwerken, als dem Ausdrucke eineranderen Epoche, modificirend zu rhren. Daher war esThorheit zu whnen: wenn man den in jenen Epen eigen-artig gestalteten Stoff nun schlichtweg in eine dramatischeForm umgiesse, dann habe man dem modernen Sinne genuggethan und ein wirkliches Tristan- oder Nibelungen-Dramafr das heutige Publikum geschaffen. Mit Recht durftedieses Publikum sich solchen litterarischen Kunststckengegenber theilnahmlos verhalten.

    Nicht in der usseren Vernderung der Form, noch inder einfachen Aufnahme des in bester dichterischer Fas-sung gestalteten Gehaltes, hat eine Neuverwerthung desalten Stoffes zu bestehen. In der That will er tglichneu erobert sein; und eine solche Eroberung ist es, wel-che Wagner vollzogen hat, als er die Stoffe fr die Formdes neuen musikalischen Dramas und fr die Theilnahmeeiner durch diese Kunstart begeisterten Zeit neudichtete.Der allgemein-menschliche Grundinhalt dieser vielfach um-gestalteten Sagenwelt war, wie von jedem wahren Dichter,zunchst wieder rein herauszuheben. Danach aber war er

    in derjenigen Weise zu formen und auszubilden, wie eserstens dem inzwischen eigenartig fortentwickelten natio-nalen Geiste, seinem Wissen und seiner Weltanschauunggemss war, und wie es zweitens gerade dieser Kunst-form entsprach, welche, aus demselben Geiste erzeugt, ihmeinen wahrhaftigen und stylvollen Ausdruck zu verschaffenbestimmt war.

    In diesem Sinne dichtete einst der Snger des Nibelun-genliedes jenen alten Sagenstoff, soviel damaliges Snger-wissen ihm davon zugefhrt hatte, nach den Bedrfnissen desdamaligen Epos, und mit der Kraft und Eigenart des da-maligen christlich-deutschen Geistes, in eine ganz bestimmteneue Form. Je weiter der nationale Geist sich aber ausseinen frheren historischen Umschalungen entwickelt, umso nher vermag er wieder dem allgemein - menschlichenKerne des Stoffes und damit der Mglichkeit einer wahr-haft stylvollen Kunst zu kommen. Was in diesem Geisteheutzutage zuvrderst als wirklich deutsches Wesen, dannals dem Allgemein-menschlichen sympathisch zugewandte Da-seinsempfindung, endlich als knstlerisch-idealistische Anlagelebt, das koncentrirte sich in der einzelnen knstlerischenPersnlichkeit eines tragischen Dichters, dessen Schaffens-athem die Musik war; und diese Persnlichkeit legtenun wieder den derart fortgebildeten Gehalt des nationalenGeistes in die dementsprechend neugestaltete Form der al-ten nationalen Stoffe.

    Eben dadurch, dass die Musik, als die neue und hchst-entwickelte knstlerische Ausdrucksweise des echtdeutschenGemthes, ihm zur eigentlichen Muttersprache mitgegebenward, vermochte es Wagner, diese Stoffe auch unserer mo-dernsten Zeit noch in jener ergreifenden Weise wieder le-bendig werden zu lassen, welche wir bei jeder guten Auf-fhrung seiner Werke an dem Publikum derselben erleben.Die hohe Idealitt dieser Stoffe erlaubte ihnen nicht nurjene heidnische Gtterwelt, der sie ursprnglich angehr-ten, nmlich die heroischen Abbilder des dichtenden Volks-geistes der alten Germanen selbst, sondern auch das Reichdes hchsten christlich-religisen Ideales, wie es im Gralsymbolisirt erscheint, zur Basis ihrer Phantasiebildungen zunehmen. Die Realisirbarkeit dieser Idealitt aber msste

    l*

  • uns versagt bleiben, wie sie zum Theil schon dem nur mitdem Worte dichtenden Nibelungensinger der Hohenstaufen-zeit versagt blieb, wenn wir die Musik nicht htten, dieMusik von Bach bis Beethoven. Diese deutsche Musik ver-wirklicht in ihrer Sphre auch das uns entfremdetste Idealezu neuer vertraulich-erhabener Wahrhaftigkeit. Im musi-kalischen Drama werden die Gtter der Vorzeit lebendig,als grossartige Typen derjenigen Leidenschaften und Ge-danken, welche die Grundtrger des ganzen poetischenStoffes selber sind; und lebendig wird in ihm auch diehimmlisch entrckte Erhabenheit der christlichen Gottes-idee, wie sie in der Gral-Sage niedergelegt, seit Wolf-ram von Eschenbach von dem Stoffe des Parsifalunzertrennlich ist.

    Nicht als ob erst Wolfram den religisen Geist in dieSage hineingedichtet htte die Verbindung der heroischenParsifal- mit der religisen Gral-Sage bestand schon vorihm und war in dem Gedichte des Franzosen Chre t i ensvon Troyes bereits ausfhrlich verwerthet worden ;aber bei Wolfram hat der Geist der Gralsage das ganzeGedicht mit einer Weihe und einer Tiefsinnigkeit durch-drungen, dass man allerdings erst hieran die ganze Bedeu-tung der Verbindung beider Sagen erkennen konnte. Mit-nichten aber ist nun wieder gerade die Fassung Wolfram'smassgebend fr alle Zeit, sondern auch sie trgt durchausden Stempel seiner eigenen Epoche: sein Gralritterthum isteine ecclesia militans im vollen Glnze des mittelalterlichenRitterthums, sein christlicher Geist ist der Geist der Kircheseiner Zeit, wenn auch im Gemthe eines genialen Dich-ters zu individuell - poetischer Kraft gelangt. Ein nachWolfram's Zeit dichtender Neubildner des alten Stoffes durfteParsifal und den Gral nicht mehr trennen; auch er musstein dem Gral den Inbegriff tiefster Religiositt darstellen, aber nunmehr derjenigen tiefsten Religiositt, wie sie ineinem wahrhaftigen Christengemthe unserer Zeit bei er-leuchteter Geisteskraft zur vollen Entwickelung zu kommenvermag. Was im Sinne des damit bezeichneten religisenIdeals aus Wolfram's Dichtung oder aus irgend anderenSpuren und Fassungen des alten Stoffes fr das neue mu-sikalische Drama zu verwerthen war, das fgte sich dem

    Dichter Wagner zu dem Baue seiner nun vllig frei ausder Idee herausgeschaffenen religisen Tragdie, Bhnen-weihfestspiel genannt, zusammen.

    Diese Einzelstcke der Sage wollen wir hier noch kurzbetrachten, zumal sie auch die Grundzge der musikalischenAusfhrung des Gedichtes bilden mussten, welche dieseSchrift zu behandeln hat.

    Der Gralweist zurck auf jene heiligen Gefsse in den ltesten Sagender arischen Vlker, worin diese das gttliche Getrnk bar-gen, das berauschende Resultat alter Kulturarbeit, das ver-geistigte Produkt der Natur. Im Soma, Haoma, Wein,Meth glaubten sie das Gtterwesen selbst zu geniessen, imGenusse den Gott in sich aufzunehmen. Innere Erhebung,Luterung, Krftigung zum Dienste des Gttlichen verbanddie Theilnehmenden zu einem mysteris geweihten Bruder-bunde: so vornehmlich in Eleusis, wo Demeter und Dio-nysos im Brot (Sesam) und im Wein (Kykeon) genossenwurden. Es ist das Vorbild des christlichen Sakramentes.Auch die Galen der britischen Insel kannten den heiligenKessel der Ceridwen, ihrer Ceres = Demeter; in einer weitjngeren, nachchristlichen Sage kehrt er dort als eineSchssel wieder, in welcher ein blutiges Haupt liegt. DasBlut des Gottes (wie des zerrissenen Dionysos Zagreus derHellenen) nahm hier im Norden jenes materialisirte Bildan, dem die Legende des Johannes Baptista zum Mustergedient haben mochte. Diese Sage, mitgetheilt im sog.M a b i n o g i (Handschrift aus dem 14. Jahrh.), ist aber dievon Peredur, welche der Geschichte vom franzsischen Per-ceval genau entspricht. Gleichviel, ob sie glischen oderfranzsischen Ursprungs ist: jedenfalls kommt erst in Frank-reich die Bezeichnung Gral und die Geschichte dieses hei-ligen Gefsses als der A b e n d m a h l s s c h s s e l Christizum Vorschein. Davon erzhlt nach lteren Quellen Ro-b e r t de Boron im Petit St. Graal (12. Jahrh.). DieserAbendmahlskelch mit der Patena ward vom Heilande demJoseph von Arimathia, der auch das Blut des Gekreuzigten

  • darin aufgefangen hatte, als heiliges Erbtheil bergeben,dass es ihm im Kerker das Leben friste, bis Titus ihn be-freite und die Taufe von ihm empfing. (Hier meldet sichim Titus die erste Spur des spter auftretenden Grals-hters Titurel.) Dieses heilige Gralsgefss hat dann auchChre t i ens von Troyes ( + 1190) in seinem Perceval leGalois. oder Contes de Graal, und zwar als ein heilendes,speisendes, reinigendes Wunder aus der Erbschaft Joseph'san die Verwandtschaft Percevals. Bei W o l f r a m , der um1210 nach Chretiens' Vorbild dichtete, erscheint pltzlichan Stelle des Gefsses ein Stein, von himmlischer Schaarauf die Erde gebracht in die Hut der Templeisen, derfrommen Ritterschaft des Titurel auf dem fr Snder unzu-gnglichen Berge des Heiles Monsalvtsch. Jeden Char-freitag in seiner Wunderkraft gestrkt durch die Oblate derHimmelstaube, steht dieser Gral Wolfram's, eine Offenbarungdes gttlichen Wesens selbst, gleichfalls in ausdrcklicherBeziehung zum Abendmahle und zum Tode Christi. DieKunde von diesem Steine, der auf orientaliswien Stern-dienst deutet, will Wolfram von einem Dichter Kiot nachAngabe eines spanisch-arabischen Halbjuden Flegetanis(d. h. arab.: Astronom) erhalten haben. In Spanien, woeinst die gotischen Christen unter Pelayo sich vor denheidnischen Mauren mit dem Heiligthume ihres reinen Glau-bens in die Berge des Nordens zurckgezogen hatten, dortbot allerdings die Geschichte ein vorzglich bedeutendesVorbild dar fr

    die Gralsritterschaft.Diese stellt die antike Mysteriengemeinde, den geweih-

    ten Bruderbund, in der idealen Form eines mittelalterlichengeistlichen Ritterordens vor. Die Ritter heissen bei Wolf-ram Templeisen und zeigen verwandte Zge mit den Tem-pelherren , bei welchen brigens auch das Haupt auf derSchssel, wie in der glischen Sage, als Kultusobjekt zufinden war. Auch waren sie gerade in Nordspanien alsNachfolger der gotischen Heidenbekmpfer besonders starkvertreten. Die Templeisen Wolfram's werden durch denGral gespeist und gestrkt; sie vernehmen die Hilferufedes Leidens aus der Ferne und ziehen in die Welt zur

    Verteidigung der Unschuld und zur Bestrafung des Un-rechtes. Die Namen der Berufenen erscheinen am Gral.Sie sind die ritterliche Verkrperung der gttlichen Liebein irdischer Heldenschaft. Wie ein tragisch bedeutsamesSymbol ihrer Ritterlichkeit erscheint bei ihnen, neben demgttlichen Grale, in allen bez. Sagen

    die blutige Lanze.Das Mabinogi kennt sie nicht als christliche Reliquie,

    dagegen bezeichnet sie Chretiens von Troyes geradezu alsden Speer des Longinus, welcher die Seite des gekreuzigtenHeilandes durchstach. Bei Wolfram ist diese Bedeutungwieder verschwunden: der blutende Speer, den die Grals-genossenschaft mit lauten Klagen begrsst, als er im Saaleherumgetragen wird, ist da eine vergiftete Waffe, welchein der Hand irgend eines H e i d e n , der um des GralesGewinn mit den Rittern stritt, dem Gralknige Amfortas,Titurel's Nachkommen, bei einem Minneabenteuer eineunheilbare Wunde schlug. Dieser Amfortas ist

    der sieche Knig.dessen Gestalt ebenfalls allen bez. Sagen gemeinsam ist.Im Mabinogi erscheint er als ein lahmer Greis, Peredur'sOheim; aber seine Krankheit steht nur in loser Beziehungzur Handlung: die Lanze und das blutige Haupt werdendort auf den gemordeten Vater Peredur's bezogen, unddie Aufgabe des Helden ist die Rache fr des Vaters Tod.Bei Chretiens ist der sieche Knig (le roi pecheur, Fischer und Snder) der Kn ig des Gra les , und beiWolfram kommt der Name, Amfortas, d. h. der Kraftlose,Leidende, hinzu, neben ihm wird aber auch der Greis,sein Ahn Titurel, in der Gralsburg auf einem Ruhebetteerblickt. Die Gestalt des Amfortas reprsentirt ein in dieGralsgenossenschaft selber eingedrungenes, und zwar aufSchuld beruhendes Leiden . Die Schuld ist Sinnlich-keit, Vergehen gegen ein Grundgesetz des heiligen Or-dens; die Strafe geht von dem Geiste des H e i d e n t h u m saus, welches selbst die sndige Sinnlichkeit verkrpert.Die H e i l u n g soll, in beiden Fassungen, durch einen ver-heissenen Ritter geschehen, der da kommen wird und

  • fragen. Dieser Ritter ist der Held der mit der Gralsageverbundenen Parsifal-Sage:

    Peredur Perceval Parzival Parsifal.Er ist insofern ein Gegenbild zum Lohengrin, als wir

    in diesem den zur Rettungsthat ausziehenden, g e w e i h t e nGra l s r i t t e r erkennen, whrend Parsifal der nach demGrale erst Suchende u n d F r a g e n d e oder Nicht-fragende und Irrende ist. Der jedem Snder und Heidenverborgene Gral ist das hchste Ziel der idealen Sehnsuchtdes frommen Rittersinnes; er ist selbst das im Lebens-kampfe gesuchte, in Christi Tode geoffenbarte, in seinemSakramente fr den Glauben dargestellte und mitgetheilte(religise) Ideal. Der glische Name Peredur wird ausPer-gedur erklrt, was den Sucher des Beckens bedeutensoll. Zum Gralssucher konnte der Held jedoch erst auffranzsischem Boden werden. Auch Parzival's Namen ausglischem Per-kyfaill ebenso zu deuten war daher gewag-ter als G r r e s ' Erklrung aus dem arabischen Parseh-Fal,d. h. der re ine Thor. Als ein solcher tritt der suchendeHeld in allen Sagen zunchst auf. Die Unschuld und Ein-falt ist es, welche zur hchsten Heilsthat berufen ward.Die Kindheitsgeschichte des Helden stimmt im Mabinogimit der spteren Darstellung bei Chretiens und Wolframgnzlich berein. Vaterlos, von der Mutter ferne der Weltaufgezogen, wird der unkunde Waldknabe durch eine gln-zende Rittererscheinung in die Welt gelockt; bei Chretienszieht er in Bauerntracht, bei Wolfram in Narrenkleidunghinaus: letzterer nennt ihn der tumbe klare, also gleich-falls reiner Thor, und er ist ihm aus dem Geschlechtevon Anjou, als Sohn des Gamuret und der Herzeloyde,entsprossen. Im Mabinogi kommt er, nach allerhand th-richten Abenteuern, zu jenem Schlosse des lahmen Oheims,wo er aber nach der Bedeutung der Lanze und des blu-tigen Hauptes nicht fragt . Bei Chretiens und Wolframist es die Gralsburg, wo er schon vorher am Grale ange-kndigt ist als derjenige, welcher mit seiner Frage densiechen Knig heilen werde. Doch der Thor fragt nicht.Er zieht von Neuem in die Welt auf ritterliche Abenteuer.Da trifft ihn der Fluch wegen seiner Unterlassung: im

    Mabinogi durch ein wildes schwarzhaariges Mdchen, beiChretiens la demoiselle, bei Wolfram Kondrie la sorciere, dieHexe, und doch auch Botin des Grales, genannt. Er mussnun irren und suchen, bis er das Wunderschloss wieder-findet. berall begegnet er dem Geistlichen oder bssendenRitter, der ihn wegen des W a f f e n t r a g e n s am Char-f r e i t a g e schilt. Daran schliesst sich die Belehrung berden Gral durch den ritterlichen Einsiedler bei Chretiensund Wolfram. Ein Eremit ist auch im Mabinogi der Wirthdes Peredur; seine Gestalt theilt sich bei Chretiens undWolfram in einen frheren Lehrer ritterlicher Tugenden(Gurnemans) und jenen spteren Unterweiser in Betreff desGrales (Wolfram's Trevrezent). Endlich findet der Suchendedas Schloss; er rcht im Mabinogi den Vater, er macht beiChretiens ein zerbrochenes Schwert wieder ganz und heiltden Knig durch die F r a g e nach Lanze und Gral, u n dbei Wol f ram durch die F r a g e : was fehlt euch,Ohm? Er wird Knig an seiner Statt.

    Parsifal bei Wagnervereinigt in seiner einfachen Geschichte alle diese Haupt-zge des Sagenstoffes. Auch er ist der reine Thor, Ga-muret's und Herzeleiden's Sohn, vaterlos geboren, durchdie Rittererscheinung aus dem Walde in die Welt verlockt.Unkund und mit der Thorenthat eines Thiermordes betritter das Reich des Grales. Dort ist das Leiden des KnigsAmfortas herbeigefhrt durch einen Kampf desselben mitdem Reprsentanten des Heidenthumes, K l i n g s o r (demberhmten Zauberer deutscher Sage); und zwar hat es ihnebenfalls bei einem Minneabenteuer betroffen. Die Lanzeist der heilige Speer des Longinus; der Knig ist mit die-sem Heiligthume in den Kampf gezogen; die in Klingsor'sBanne stehende Kundry hat ihn in ihre Arme gelockt;der Speer ist ihm von Klingsor geraubt und er selbst damitverwundet worden: nur die Berhrung durch den Speer(die auch bei Wolfram die Wunde khlt) kann den Knigheilen. Aber den Speer kann nur der durch Schrift amGrale verheissene reine Thor aus Klingsor's Hand wieder-gewinnen, indem er seine Re inhe i t in der Gefahr dersinnlichen Verfhrung bewahrt: dies kann nur geschehen

  • kraft des Bewuss t se ins von der Schuld des Amfortas;und dieses Bewusstsein wird nur durch tiefstes Mit le idenmit dem Leidenden gewonnen. Darum lautet der Sprucham Grale:

    Durch Mitleid wissend,der reine Thor:harre sein,den ich erkor!

    So wird das ep i s che Moment des Fragens zum dra-matischen Motive. Die Frage an sich ist bei Wolframeigentlich berflssig, weil Parzival, als er fragt, das schonerfahren hat, wonach er fragt; sie bedeutet aber in epischvergegenwrtigender Weise das Gefhl des Mitleidens mitdem Knige und symbolisirt so eine nothwendige Mitleids-that des Helden. Diese Mitleidsthat ist nun bei Wag-ner, ganz dramatisch, die G e w i n n u n g des S p e e r e s ;anstatt der nur symbolisch-epischen und scenisch wirkungs-losen Formel der Frage gilt es bei ihm also die that-schliche Berhrung der Wunde mit dem wiedererrungenenSpeere als Heilsthat des wissend gewordenen Mitleidens.Gurnemanz, der Waffenmeister der heiligen Ritterschaft, indessen Gestalt sich die episch getrennten Personen desEremiten und des Ritters wieder dramatisch vereinigt ha-ben, glaubt in dem Thoren, der wunderbar in das Grals-gebiet gekommen ist, den Verheissenen zu finden und fhrtihn zum Liebesmahle in die Burg; aber wenn auch vonunbewusstem Schmerze tief ergriffen, noch verstehtParsifal das Leiden des Amfortas nicht. Er wird wiederhinausgewiesen in die Welt der Thoren und Argen undgerth nun in das Gebiet der Verfhrung, in den Zauber-garten des Klingsor. Aber in den Armen der Kundryselbst widersteht er der Verfhrung, da ihm die Erinne-rung an die Schmerzen des Amfortas jetzt, in dem glei-chen Erlebniss, zum vollen Bewusstsein ihrer schuldvollenBedeutung erwacht. W i s s e n d geworden im wirklichenM i t l e i d e n , gewinnt er den Speer aus der vernichtetenMacht des heidnischen Sinnenzaubers zurck. Doch de rFluch der K u n d r y schickt ihn auf lange Irrfahrt: derReine muss das gewonnene Heiligthum, die Erkenntniss derSchuld und des Leidens, in den Gefahren und Feindselig-

    keiten der Welt unter schweren Kmpfen aus eigener Kraftwahren und durch Thaten bewhren; dann erst findet erdie Heimkehr zum Grale. Am Char f re i t ag betritt er dasheilige Gebiet, die weltliche Ritterwehr muss er abthun amTage der Erlsung, und mit der gttlich geweihten undentshnten Waffe schliesst er die Wunde der Snde imleidbefreiten Hause des Heiles. Er wird Knig an Am-fortas' Statt.

    Der Gral bei Wagnererscheint, ebenso wie der Speer, in seiner vollen christ-lich-religisen Bedeutung. Beide Symbole sind, wie derStein bei Wolfram, vom Himmel her durch eine Engel-schaar dem Titurel berbracht worden, der ihnen das Hei-ligthum, das kein Snder findet, in den nordspanischenBergen, dem alten Asyl des reinen Glaubens, erbaut hat.Hiermit stimmt auch berein die Darstellung des Nachfol-gers Wolfram's, Albrecht von S c h a r f f e n b e r g , desDichters des sog. jngeren Titurel (1270); aber wenn beiihm alles episch verusserlicht erscheint zu ritterlicherPrachtschilderung, so ist bei Wagner alles verinnerlicht,religis vertieft, ganz durchathmet gleichsam von dem Geistedes allerchristlichsten Sakramentes, des Abendmahles, desGottesopfers. Dies wird bezeichnet durch die sichtbarlicheTheilnahme der Gemeinschaft der Heiligen und Reinen amfeierlichen Genusse des Gottes, d. i. an der Durchdringungdes eigenen Blutes und Leibes mit dem Gttlichen, zurAusbung des himmlischen Liebesgeistes in irdischen Mit-leidsthaten fr Unschuld und Recht. In des AmfortasSndenwunde aber leidet der Heiland selbst, der in dieWelt der Snde, in Menschenpflege hingegebene Geist dergttlichen Liebe. Doch die gleiche gttliche Kraft des wis-senden Mitleidens befreit ihn aus dem Leiden der Menschen-schuld und bringt Erlsung dem Erlser. Bei solcherVertiefung der Sage, welche einerseits auf die lteste Be-deutung des Mysteriums von dem heiligen Gefsse zurck-fhrte und andererseits eine ideale Fassung des reinenchristlichen Gedankens der Erlsung ermglichte, konnteals dramatischer Gegensatz zu dem im Gralsthume verkr-pertem Christenthume nur das H e i d e n t h u m selbst auf-

  • treten, wie es schon in den frheren Sagenformationen wohlangedeutet, gerade in den grossen epischen Ritterdichtun-gen aber nicht durchgefhrt ward. Vielmehr hat das Rit-terepos gegenber dem Gral, als dem Leben ge is t l icherRitterschaft, das Leben wel t l i cher Kitterschaft in derberhmten T a f e l r u n d e des Knigs Artus dargestellt.In allen bez. Sagendichtungen, vom Mabinogi an, tritt Par-sifal am Hofe des Artus auf. Wolfram hat den Gegensatzbereits tiefer gefasst; denn am Hofe des Artus, im hch-sten ritterlichen Weltglanze, trifft den Helden der Fluchder Gralsbotin; am Hofe des Artus, als er bssend zurck-kehrt, verkndet sie ihm aber auch die Befreiung vomFluche. Dieser Hof des Artus, ein specifisch mittelalter-liches Phantasiebild, war fr das religise Drama unsererZeit in keiner Weise mehr zu gebrauchen; sein ganzer Cha-rakter ist der des Ritterepos, das von der reichen Aben-teuerlust der Artusritter auch noch bei Wolfram zehrt,obwohl doch seine Einfgung in den innigen Bund derGral- und Parsifal-Sage von vornherein nur ein fremdartigusserlicher Nothbehelf der stoffgierigen Epik war. Derrechte Gegensatz zur Gralsburg befindet sich in dem chatelmerveil, dem Zauberschlosse des Heiden K l i n g s o r , wel-ches bei Wolfram nur episodisch auftaucht.

    Bei Wolfram der Herr des Zauberspiegels, des Zauber-waldes und der 400 gefangenen Jungfrauen, wird

    Klingsor bei Wagnermit jenem Heiden identificirt, mit welchem das Heiden-thum wirklich in die Handlung der Sage eingreift, nm-lich mit dem ungenannten Gralbekmpfer Wolfram's, dessenSpeer dem Amfortas die Wunde schlug. Wenn nebenParzival bei Wolfram als Reprsentant des weltlichen Rit-terthumes Gawan eine grosse Rolle spielt, und dieser ge-rade mit Klingsor und mit dessen verfhrerischer Verbn-deten Orgeluse in Verbindung tritt, und wenn dorthineinauch allerlei Andeutungen von Zauberblumen, Krnzen undBlumennamen spielen, welche sonst auch beim Minne-Abenteuer des Gralknigs selber nicht fehlen: so hat Wag-ner dies alles zusammengefasst und durchgefhrt in Bezugauf seinen eigenen Helden Parsifal, der ja auch bei Wolfram

    als ein die Liebe Orgeluse's abweisender Vorgnger Ga-wan's erwhnt wird, und hat dergestalt der Versuchung desin die Welt hinausgewiesenen Thoren durch die heidnischeSinnlichkeit eine einfache dramatische Form verliehen, wel-che berdies in allen Einzelzgen mit verwandten Sagen-spuren zusammentrifft. Orgeluse, die Verfhrerin, wird zu-dem von ihm identificirt mit Kundry, der fluchenden Botindes Grales, als Herrin der Blumengeister des Klingsor.

    Kundry bei Wagnerist die interessanteste Charakterschpfung, welche der Dich-ter fr sein Drama vorzunehmen fand. In dieser Gestaltvereinigen sich fast smmtliche, in den epischen Fassungendes Sagenstoffes, nach deren innerem Gesetze, vielfltig ge-theilt auftretende Personificirungen des weibl ichen Ele-mentes. Alle diese Frauen der bez. Dichtungen lassen sichauf eine ursprnglich einheitliche Mythenbildung, nmlichauf die Gestalt der germanischen Walkre , und weiterhinauf die in den Walkren sich nur wiederum vervielflti-gende G t t e r m u t t e r , G t t e r f r a u , zurckbeziehen.Kundry erscheint in allen bez. Sagen walkrenartig, unddarum auch bald als feindselig, bald als helfend, heilend.So reprsentirt sie die zwei Seiten des weiblichen Wesens,welche der Germane in seinen kmpfenden und tdtenden,schtzenden und pflegenden Walkren mythisch dargestellthatte. In allen Sagen flucht sie dem Helden und nimmtihm dann wieder den Fluch oder erklrt ihm hilfreich seineSchuld, wobei sie sich z. B. im Mabinogi zum schnenJngling umgewandelt zeigt. Diese mythisch begrndeteZweiseitigkeit hat Wagner zum dramatischen Motive ver-dichtet, indem er Kundry ferner identificirt hat mit derHerodias der deutschen Sage. Auch Herodias ist eine Wal-krengestalt, eine Frau Hera oder Herke, ein ewig unruhe-voll durch die Welt schweifender Sturmgeist; und hierinliegt ihre Verwandtschaft mit Kundry, der wilden Reiterindes Grales, begrndet, deren Namen (nordisch Gundryggja)man brigens in der Edda als Bezeichnung des Walkren-amtes Kampf rsten wiederfinden kann. Herodias solltegelacht haben, als sie den Kopf des Johannes in derSchssel trug; da blies das blutige Haupt sie an, dass sie

  • seitdem zu ewigem irren Fluge verdammt blieb: so wardsie zum weiblichen Ahasverus, eine Genossin des wildenJgers, des Hackelberg, d. h. Manteltrger, Wodan alsSturm- und Todtengott. Diese dmonische Bundesgenos-senschaft hat bei Wagner zwischen Kundry und dem Zau-berer Klingsor statt, dessen g l i sches Pendant den NamenGwyddao, d. i. Gwodan, Wodan, fhrt. Wie das blutigeHaupt der glischen Sagenform in der Gralsage zum Sym-bol des l e i d e n d e n He i l andes selber, d. h. zum Gralewird, so hat nach Wagner's Deutung auch Kundry nichtdas Haupt des Johannes, sondern den k r e u z t r a g e n d e nChristus selbst verlacht: da traf sie sein Blick, und nun,zum verfluchten Lachen verdammt, irrt sie verzweifeltdurch die Welt, den Heiland wiederzufinden, der sie durchLiebe von dem Fluche erlsen knne. So will sie bssenin Gutthaten, wie im Dienste des Grales; aber der Fluchihrer Snde treibt sie stts von Neuem zum Bsen. DerReprsentant des Heidenthums, der geschworene FeindChristi und seiner Heiligen, Klingsor, durch eigene Schand-that allein vor ihrer Verfhrung gesichert, hat im Zauber-schlummer ihrer Ermattung ber sie Macht und zwingt siein seinem Dienste, zur wundervollen Schne verwandelt,die schdliche und verfhrerische Seite der Weiblichkeit,die Gewalt der heidnischen Sinnlichkeit, auf die Gralsritterverderblich wirken zu lassen. So hat sie Amfortas ver-fhrt; aber Parsifal, der Reine, widersteht ihr. Aus ihrerverzweifelten Sehnsucht nach der Erlsung durch Liebesucht die Unselige in der Verfhrung selbst, die ihre Schn-heit dmonisch ausben muss, den Genuss der gttlich be-freienden Liebe, danach ihr fluchverfallenes Wesen ringt.Der Einzige, Parsifal, der wissend geworden in der wahrenLiebe des Mitleidens, erkennt die wahnwitzige Irrung diesesSehnens und entreisst sich ihrer Umarmung. Die Zurckge-stossene verwnscht dafr ihn zur I r r e ; aber auch Klings-or's Macht ist durch den Sieg der Reinheit gebrochen,und der Speer in Parsifal's Hand. Demthig bssend suchtKundry, des dmonischen Meisters ledig, den Dienst desGrales; und als auch Parsifal auf sein heiliges Gebiet zu-rckkehrt, da w e i n t die ewig Lachende unter dem Segender Taufe aus der liebevollen Hand seines neuen Knigs.

    So ist die christliche Erlsungsmacht auch dem unseligenWeibe zu Theil geworden. Das erlste Weib stirbt imStrahle der Gottesgnade; aber die erlste Ritterschaft, neugestrkt durch das Licht des wieder enthllten Grales, btweiter die Heils- und Mitleidsthaten der reinen Christlich-keit im Dienste des aus dem Leiden der Schuld befreitenHeiligthums der gttlichen Liebe.

    ber die Aufgabe meiner Leitfdenund ber das Wesen ihres Objektes: der Motive, habe ich michsowohl in einer lngeren Einleitung zu meinen Besprechungender Motive der Gtterdmmerung [Mus. Wochenbl. I877. Nr.8 u. 9), als auch in der Vorrede zu der vierten, verbessertenAuflage meines Nibelungen - Leitfadens, und mit mglichsterKrze endlich in meinem Leitfaden zum Tristan (Leipzig,Senf) in dem Kapitel ber die Musik ausgesprochen. Ichmchte das Oftgesagte hier nicht abermals wiederholen, sondernnur bemerken, dass es sich bei dem, was man Motive zu nen-nen pflegt, um gewisse mtisikalische Themen handelt, welchesowohl der symphonische wie der dramatische Satz als seineGrundformen nthig hat. Dor t werden sie nach den mehr us-seren, doch im Style wohlbegrndeten Gesetzen der Symmetrie,des Gegensatzes, des Wechsels und der Wiederholung, hiernach den inneren Gesetzen des Dramas verwerthet, durchgefhrt,mitsammen verwoben, einander angeglichen und vielfach ver-wandelt. Ist ihre Erfindung das wunderbare Werk des Genies,so tritt der eigentliche Knstler bei dieser ihrer weiteren mu-sikalischen Verwerthung hervor. Doch gerade bei der Kompo-sition im musikalisch-dramatischen Style muss auch in dieserKnstlerarbeit eine ununterbrochen fortwirkende geniale Sch-pferkraft mit Notwendigkeit lebendig bleiben; denn es gilt danicht nur ein tonales Bauwerk von kunstvoller Schnheit zuerrichten, sondern das ganze Drama, der Dichtung entsprechend,in allen seinen feinsten Bewegungen und Schattirungen, Stim-mungen, Empfindungen und Handlungsmomenten musikalischnachzuleben. Im dramatischen Satze ist also die Durchfhrungder Themata selbst das stte lebendige Bild des Dramas, vonseiner musikalischen Seite betrachtet: d. h. nach den inneren,seelischen Potenzen seiner dichterischen Momente und Motive.

    Zu erfahren, wie der Knstler seine Themata melodisch,harmonisch und rhythmisch verwendet und verwandelt, wie ersie in einer neuen Stylweise zu lngeren Tonstcken oder kr-zeren Figurationen ausbildet und durchfhrt, dies ist frden Musiker, auch ohne besondere Rcksicht auf das Drama als

  • v. W o l z o g e n , Themat. Leitfaden zu Parsifal. 2

    solches, hchst interessant. Ich aber habe meine Arbeiten nichtfr die Musiker geschrieben, denen es allein berlassen bleibenmuss, auch einmal von ihrem speciellen Standpunkte aus undfr Ihresgleichen den dramatischen Satz Wagner's fachwissen-schaftlich zu behandeln. Ich kann ihnen darber nichts sagen,was sie nicht besser wssten, den Laien aber hlfe es nicht,wenn ich ihnen davon redete: sie befinden sich in meiner Lage,sie sind eben nicht Musiker. Ihnen aber gerade schreibe ichdiese Leitfden, um ihnen andeutungsweise einen Begriff zu ver-schaffen von der stylistischen Organisation des WagnerischenKunstwerkes im Grossen, nmlich von der bereinstimmung desmusikalischen und poetischen Wesens seiner Werke in ihrenbeiderseitigen Grundformen, eben jenen poetischen und musika-lischen Motiven. Ich habe gehrt, dass einer vorherigen Be-kanntschaft mit meinen Arbeiten Manche wirklich einen klarerenGenuss der aufgefhrten Kunstwerke zu verdanken gehabt habenwollen; doch masse ich es mir nicht im entferntesten an, diesenGenuss etwa selbst bestimmen oder ermglichen zu wollen. DieMusik wirkt unmittelbar auf die Empfindung; keinerlei Reflexionkann dieses receptive Element jemals ersetzen. Aber der Wegzur Empfindung liegt seltener frei, als man wohl meint. So mages wohl geschehen, dass eine allzu grosse Unbekanntschaft mitder Dichtung, welcher die Musik Ausdruck giebt, oder eine Vor-eingenommenheit durch fremde Meinung, sowie Beschrnktheitdes musikalischen Sinnes auf ganz bestimmte, altgewohnte For-men die unmittelbare Wirkung der Musik verhindern und beein-trchtigen. Gegen solche Voreingenommenheiten drfte aller-dings meine Darstellung bei ernstlichen Lesern mitunter etwashelfen; andererseits aber glaube ich, dass sie zur nachtrglichenKlrung des Bewusstseins in Betreff der unmittelbaren Einzel-wirkungen des knstlerischen Objektes immerhin dienlich seinknnten: und auch dies hat sein Gutes.

    Nun noch Eines! Ich muss dabei bleiben, den Thematen,welche ich besonders hervorheben und der Erinnerting einprgenwill, bezeichnende Namen zu geben. Das ist oft schwer undwird niemals vollkommen glcken; denn die musikalische Seeleder Motive lsst sich eben nicht in Begriffe fassen. Also sollenmeine Namen auch nur als Erkennungsmarken gelten; Andereknnten dafr andere Namen whlen, und oft htten sie viel-leicht bessere gefunden. Ganz ohne solche Taufhandlungen aberkommt man nicht aus, wenn man denn einmal von Motiven redenwill, und diese Motive sich nicht auf das schlichte Paar einessymphonischen Satzes beschrnken, sodass man sie nur mitZahlen bezeichnen knnte. Dies besttigte mir recht deutlicheine heitere Erfahrung von neuerem Datum : die Berliner Musik-Welt hatte sich noch vor dem Stiche des Klavier-Auszugesbereits ziemlich flchtige Besprechungen desselben zu verschaf-fen gewusst, deren Verfasser nun, um nicht etwa damit in denVerdacht der Leitfadenscheinigkeit zu gerathen, von vornhereingegen Arbeiten meiner Art ein energisches Wort der Abwehr

    richtete, und zwar mit der folgenden bemerkenswerthen Schluss-phrase :Wenn ich hier dennoch Motive benenne, so geschieht esnicht, um jene Unsitte mitzumachen, s o n d e r n weil ichdamit Stellen von hervorragender, in die Augen fallenderBedeutung fasslich kennzeichnen will.

    In der Folge finden sich denn auch richtig bei ihm: das Glocken-motiv, das Schwanenmotiv, das Klingsormotiv, das Zaubermotiv,das Gralmotiv, das geistliche Motiv, das Motiv der Abendmahl-feier, das Erlsungsmotiv, das Triolenmotiv der Blumenmd-chen, Parsifal's Heldenmotiv, das Schmerzensmotiv des Amfor-tas, das Kundrymotiv oder das Motiv der ewigen Jdin.

    Sonach halte ich selbst auf die Gefahr hin, eines Plagiatesan etwelchen jener Bezeichnungen beschuldigt zu werden, ge-trost an meiner Unsitte fest und schreibe in demselben un-sittlichen Style auch diesen meinen wohl letzten thema-tischen Leitfaden: durch

    die Musik des Parsifal.

    Das Vorspielfhrt uns in das Heiligthum des Grales. Wir hren diefeierlich ernsten Weisen, welche am Schlsse des erstenAktes das Liebesrnahl der Gralsritter in Tnen darstellen.Das ist nicht jene Macht des Grales, wie sie im Lohen-grin mit ritterlichem Glanze aus geheimnissvoll ferner Hei-ligkeit her sich hilfespendend der Welt offenbart. Es ist diegttliche Macht der L iebe und des Glaubens selbst,welche sich dem Menschenherzen in himmlischer Verkn-dung mittheilt und aus glubigen Seelen sich eine frommeGemeinde inbrnstiger Gottesdiener schafft. Die Botschaftder ewigen Liebe, die sich des Menschen erbarmt und ihreigen Blut seinem Heile zum Opfer gebracht hat, ertnt ineinsamer Stille zart und innig mit der intonirenden Melodiejenes Liebesmahlspruches (I. 1.):

  • und mit sanft-schauernden Tremolandoharmonien der Saiten-instrumente zieht dieser gttliche Geist der Liebe alsbaldin die ergriffen lauschenden Herzen ein, die wie empor-gezogen zum himmlischen Quell der Verkndung unter sol-chem Erschauern der innersten Seele den heiligen Spruchin leisem Gebete sich wiederholen. Gleicherweise folgtder zweite Theil des Spruches (I. 2.):

    Nun schliesst sich die Gemeinde der Glubigen fest zu-sammen, und wie erwachsen aus dem tnenden Wesenjenes Spruches erhebt sich mit feierlichem Glanze die hehreGestalt des Heiligthumes in der aufsteigenden Figur deseigentlichen Gralmotives (II.):

    Hierin wird zum ersten Male in dem bisher wie auf leisenEngelsfittigen daherschwebenden Tonstcke ein forte er-reicht, mit welchem dann auch alsbald triumphirend kraft-voll und gross das dritte zum Grle gehrige Hauptmotiv,das Glaubensthema (III.), einsetzt: jene schwungvolle Me-lodie des Knabengesanges bei der Feier: Der Glaube lebt!Die Taube schwebt, des Heilands holder Bote.

    Hier von den Blsern gebracht, erschallt sie wie der Glau-bensruf der gesammten Ritterschaft im Dienste der heiligenLiebe; und als auf ihr erstes im dim. ausgehendes Auf-treten nochmals das Gralmotiv zart erwidert hat, dabeginnt sie von Neuem im p. einsetzend und dann all-mhlich anwachsend zum ff. ein erhabenes Spiel ihres mitden verschiedenen Stimmen von der Hhe zur Tiefe nie-dersteigenden Themas: ein Bild der Verbrderung einerganzen Menschheit, das bei der Feier am Aktschlusse sichwiederholt zu den feierlichen Umarmungen der Ritter nachdem Liebesmahle, Im pp. verhallend tnt diesem herr-lichen Allgesange dasselbe Thema noch ein Mal in derHhe wie der Segen des Himmels ber dem irdischen Got-tesbunde nach, und verschwindet zuletzt in einem tiefenPaukenwirbel, als rollte ein dunkeler Wolkenvorhang berdiesem hehren Bilde religiser Seligkeit zusammen. Damitschliesst der erste Theil des Vorspieles.

    2*

  • Mit leisem Grausen wandelt sich, der dunkele Wirbelfast unvermerkt aus dem Grundtone des Vorspieles (as) inein schauriges Tremolo auf Sext und Tonica (f-as), womitgleichsam die andere Seite vom Weltbilde des Gralthumes,das Bild des Leidens der heiligen Liebe in der Welt, immenschlichen Herzen, sich entschleiert. Mit des AmfortasFall ist auch in das Heiligthum des Grales die Schuld unddie Noth eingezogen. Aber hier im Vorspiele drfen wirdie Tne des Leidens und der Klage, die wir nun ver-nehmen , wohl allgemeiner fassen. Der Heiland, der seinLeben am Kreuz dahingegeben fr die Entshnung der anihrer Schuld tdtlich leidenden Menschheit, er wird all-tglich von Neuem gekreuzigt in jedem sndigen Menschen-herzen, und auch die geweihtesten Seelen der Glaubens-gemeinde sind nicht frei von dem Fluche erneuter Snd-haftigkeit. So hren wir denn jetzt aus der Tiefe destremolirenden Basses die Melodie des Liebesmahlsprucheswieder auftauchen, aber sogleich abbrechen mit ihrem soschmerzlich bewegten Mitteltheile (I. 1. a.) unter einem kla-gend emporsteigenden Tremolo in der Hhe, dessen pltz-licher Eintritt diese tnende Welt wie zerrissen erscheinenlsst durch den Todesschmerz des Gekreuzigten. Der Mit-teltheil wird vereinzelt aufseufzend dazu wiederholt. ZweiMal zieht der Liebesmahlspruch in dieser drngenden Ge-stalt wie zu stts erneutem Leidenswege in verndertenTonarten an uns vorber, und zum dritten Male, indem erimmer um eine kleine Terz hher, nun im trauernden d-molleinsetzt, drngt sich der Mitteltheil, wie Schmerz an Schmerz,im Wechselspiele der Instrumente gleich dreimalig eng an-einander. Da sehen wir gleichsam den von den Speer-stichen der Weltlichkeit zerfleischten Heiland, eine aller-schmerzlichste Passion, die Gotteswunde im Snderherzen,blutend, klagend, aber in der Klage noch wortlos, bisauch, der Schlusstheil (I. 1. b.) sich anfgt und nun mitwiederum dreimaliger ineinander greifender Wiederholung ineine elegische Figur von einfachster, aber tief ergreifenderWendung bergeht (I. 1. c.). Hier liegt in der dringendenKlage bereits die Ahnung einer ergebungsvollen Trstung;und so ergiesst sie sich denn zum letzten Male in einen weiterausgesponnenen, wie heilig beruhigenden Gesang, es ist

    ein Theil des Gesanges der Jnglinge vor der Feier: Densndigen Welten mit tausend Schmerzen u. s. f. (XIV.) Da schweigt das Weh, nur noch einzelne leise Seufzer, der Schlusstheil des Liebesmahlspruches, dieser kurzeAufstieg, verhallt nach der Tiefe zu: und als ein Bild derseligen H o ff n u n g der Glubigen auf die unendliche, berWeh und Tod dennoch fortdauernde gttliche Liebe, schwebtmit dem sich klrenden Tongespinnste der tremolirendenBegleitung der erste Theil des Liebesmahlspruches, wie erdas Vorspiel begonnen, einer erlsten Seele gleich in himm-lische Hhen empor.

    Der erste Aufzug.Die erste Scene des ersten Anfanges theilt sich in zwei

    grssere Abschnitte: Bewegung und Ruhe Vorgnge und Be-richte unterscheiden sie im Allgemeinen charakteristisch voneinander.

    I.

    Der erste Abschnitt zeigt uns zuvrderst Gurnemanzund die Knappen im stummen Morgengebete zu den Po-saunentnen des Weckrufes, welche die Gralmotive des Vor-spieles wiederholen. Als darauf Gurnemanz die Knabensich erheben heisst, begleitet die rasche Gebrde des Auf-springenden eine drastische Variation des Glaubensthemas(III. 1), welches gleichsam alle Handlungen dieser Glau-bensritterschaft als tnende Seele durchdringt: eine Verkr-zung der Hauptfigur mit einer ritterlich heftigen Fortspin-nung, die sich spter noch zur Darstellung des Ungestmsin den kriegerischen Gelsten des Amfortas wiederholenwird. Hier aber legt sich alsbald eine schwere Hand aufden strmischen Aufschwung: Zeit ist's, des Knigs dortzu harren, das erklingt in den schleppenden Tnenjener Figur, welche hernach als ein rechtes Leidensmotiv(IV.) den Zug des Amfortas begleitet.

  • Da haben wir in engem Rahmen beisammen: Glanz undWeh. der Gralsritterschaft; aber es gesellt sich auch gleichdas dritte hinzu: die Hoffnung, in den Harmonien jenesVerheissungsspruches vom reinen Thoren (V.), welchersich meldet zu den Worten des Gurnemanz gegen die her-beigekommenen Ritter: Thoren wir, auf Lindrung da zuhoffen und ihm hilft nur Eines nur der Eine.

    Jetzt bricht jh ein Motiv des zweiten Theiles, der Er-scheinung K u n d r y ' s , herein: unter einem jagenden Uni-sono schwirrender Octaven zieht das Wunder heran; einestrmische Figur (VI.) man knnte sie geradezu ein Ritt-motiv nennen sprengt daraus hervor, chromatisch vonunten aufdrngend und in kurzen heftigen Sprngen zurHhe jagend, von wo sich dann ff. das wirkliche, per-snliche Kundrymotiv (VII.) durch vier Octaven hinunter-strzt: Da schwang sich die Wilde herab! Was hiernur ein Herabschwingen zu bezeichnen scheint, ist dastnende Symbol des F luches der Kundry, der sich ihrdurch das ganze Drama nie rastend anheftet; es ist eineGebrde leidenschaftlichsten Fortschleuderns: so jagt derDmon ihrer Schuld die Unselige von Welt zu Welt. Undwiederum ist es auch der Ausdruck ihres unstillbaren d-monischen Lachens, dieses Echos ihres Fluches aus ihrereigenen Brust solch eine rechte musikalische Universal-gebrde fr das Verwnschende und Verwnschte, das unsnun in dieser wunderbaren Sagengestalt neu gegenber-tritt.

  • Zwei kurze Accordschritte dann milde abgeklrt zudem Worte Balsam und auf Gurnemanz' Frage: Wo-her brachtest Du dies ? einige gleichmssig herabsteigendereine Terzenklnge: das ist die hilfreiche Kundry, wiewir sie noch ein Mal im dritten Akte wiederfinden sollen.Aber gleich darauf bei Erwhnung Arabias, der Heimathihrer Zaubermittel, drohen leise in drei gedehnten Tnendie chromatischen Harmonien des Zaubermotives (s. IX.),

    das spterhin der Kundry in Klingsor's Diensten sichfesselnd gesellen wird. So weht die Erscheinung des selt-samen Weibes flchtig aber charakteristisch bestimmt anuns vorber.

    Wieder setzt nun das Leidensmotiv des Amfortas mitden bezeichnenden synkopischen Begleitungsaccorden ein:der traurige Zug mit dem Knige in seiner Snfte naht, vonGurnemanz mit ergreifendem Klagerufe begrsst. Bei denWorten des siegreichsten Geschlechtes Herrn erscheinteine zweite Variation des Glaubensthemas (III. 2).

    Diese wahrhaft selig-stolze Weise, es ist ein Klang ausder unvergesslichen Zeit des Titurel, da noch keine Schulddas reine Heiligthum befleckte. Aber gleich mit dem Fol-genden als seines Siechthums Knecht zu sehn gemahntes uns wie ein leiser Anklang aus dem Liebesmahlspruchean das Leiden des Heilands und die Wunde des Knigs. Dann tritt eine Pause der Ruhe ein; die Snfte wirdniedergesetzt: zu Amfortas' getragenem Gesnge entwickeltsich aus dem Leidensmotive nach langer Schmerzensnachtein reizvoll wiegendes Spiel ineinandergreifender schlichterMelodik: nun Waldes Morgenpracht, der wir noch fterin dieses Waldes Rauschen (VIII.) zu begegnen haben.

  • Wir knnen hier nicht bei allen Einzelheiten des folgendenGesprches stehen bleiben (z. B. Gralmotiv und Klingsor-harmonie bei der Erwhnung des Auszuges Gawan's); aberzu bemerken ist, dass jetzt zum ersten Male der Verheis-sungsspruch (V.): Durch Mitleid wissend, der reine Thor,in seiner vollen Melodie citirt wird. Er erscheint in die-ser ganzen Scene, ja im ganzen Akte, wie ein Refrain zumSchlsse der Einzeltheile. Es folgt nun, ganz wie obenbei Kundry's erster Wechselrede mit Gurnemanz, die Her-einziehung der Botin und ihres Balsams in das Gesprch;aber mit ihrem heftigen Motive weist sie jeden Verkehr ab,und der Zug des Knigs setzt sich wieder in Bewegungnach dem See zu, indem das Leidensmotiv abermals in diezur Tiefe sich verlierende Waldesmelodie bergeht. Ein-sam und schweigend bleiben Gurnemanz und Kundry aufder stillen Waldblsse zurck.

    II.Der zweite Theil der Scene mag als episch gelten; es ist

    jedoch zu beachten, dass wir es darin nicht etwa nur mit Er-zhlungen zu thun haben. Die ersten drei Stze des Gurnemanzenthalten vielmehr kurze Antworten auf heftige knabenhafteBemerkungen der herzutretenden Knappen ber Kundry, undfhren, ohne in den eigentlichen Erzhlungston zu verfallen, de-ren wunderbare und dabei vor unseren Augen gegenwrtig blei-bende Persnlichkeit in ihrer dreifachen Beziehung, als Botinfr die Gralsritter als V e r w n s c h t e und als Kling s-or 's Z a u b e r s k l a v i n , unserem Verstndnisse nher.

    Der erste, lebhaft bewegte Satz des Gurnemanz (demdas Gralmotiv eigenthmlich zauberhaft harmonisirt beiKundry's Frage: Sind die Tiere hier nicht heilig? vor-aufgeht) enthlt zur Erwhnung der strmisch hin und herfliegenden B o t s c h a f t e r i n hastige, dem Charakter ihresRittmotives verwandte, chromatisch aufstrmende Figuren.

    Der zweite Satz, eine ernst nachdenkliche Erwgungdes fremdartigen Wunderwesens der Kundry, deutet auf

    den Ursprung ihres Fluches , den Blick des verlachtenHeilands, mit dem Liebesmahlspruche (zu bssen Schuld ausfrherem Leben), der zuerst in das lachende Kundrymotivbergeht, dann bei der Wiederholung (bt sie nun Buss'durch solche Thaten) von den Verheissungsharmonien desThoren gefolgt wird. Nach dieses Thoren erlsenderLiebesbegegnung verlangt ja sehnschtig die Verwnschte,selbst in Thorenthaten dienender Treue. Beide Stzeschliessen mit gewissen populr gehaltenen Reimsprchen,wodurch Gurnemanz seine Reden der Sphre der Knabenmit vterlich freundlichem Ernste anpasst; und zwar er-tnt dieser Spruch beim zweiten Satze (gut thut sie dannetc.) in einer kurzen Variante des Glaubensthemas.

    Der dritte Satz (Ja wenn sie oft uns lange ferneblieb) spinnt das Bild der Kundry in Klingsor 's Dien-sten ganz in die dmonischen Fden des chromatisch auf-und niedersteigenden Zaubermotives (IX.) ein, wodurch einunheimliches Zwielicht dster sich ber die ganze Stelleverbreitet. Der Erzhlungston wird hier zwar gestreift,aber um sogleich in die persnlichste Erregtheit des Gurne-manz berzugehen, als dieser des Unheiles gedenkt, welchesKlingsor ber die Ritterschaft gebracht hat. So geht auchdas Zaubermotiv mit drngendem cresc. ber in ein str-misch erreichtes f., woraus sich das Kundrymotiv nieder-strzt: Du da! wo schweiftest damals du umher? und, zu einer seltsam accordlichen Gestaltung des Zauber-motives: Warum halfst du uns damals nicht?

  • Was nun folgt, ist, wenn es auch eine Thatsache be-richtet, doch vielmehr ein wehevolles Selbstgesprch desGurnemanz, der sich mit tiefer Ergriffenheit in die Erin-nerung an den schrecklichen Vorgang der Verwundungseines Knigs versenkt: O wunden - wundervoller heiligerSpeer! Der Mittel- und Schlusstheil des Liebesmahlspruchesleitet diesen leidenschaftlichen Ausruf ein, aus einem heftiganschwellenden Tremolo mit schmerzlicher Zuckung sichlosringend. (Bemerken wir hier gleich, dass in der Folgebesonders der Mittteltheil des Spruches, diese so schmerzhaftklagende Bewegung auf der kleinen Secunde (I. 1. a), dieWunde des Heilands und bertragen auch die Snden-wunde des Menschen, der aufsteigende Schlusstheil (I. 1. b)aber den heiligen Speer, der die Wunde schlug, charakte-ristisch anzudeuten pflegt.) Den Auszug des Knigs be-gleitet gleich darauf wieder eine ritterliche Variation desGlaubensthemas (III. 2 + 1), welche sich aber rit. unddim. irrend verliert in die Harmonien des Zaubermotives:Ein furchtbar schnes Weib hat ihn entzckt. Diesesdmonisch zarte Gespinnst zerreisst ff. das Lachen desKundrymotives der Speer ist ihm entsunken, und wiederumfolgt, nun abschliessend, der schmerzliche Theil des Lie-besmahlspruches, welcher mit jener elegischen Figur desSchlusses (I. 1. c) alsdann auch den abgebrochen wehkla-genden Endspruch dieses dramatisch mchtigen Satzes be-gleitet: Die Wunde ist's, die nie sich schliessen will. Nach kurzer Zwischenrede des Gurnemanz mit den hinzu-kommenden anderen Knappen, ber des Knigs Ergehen,wozu das Waldesrauschen wieder sich hren lsst, wieder-holt er diesen Spruch refrainartig in stiller Verzweiflung.

    Nun erst auf die Fragen der Knappen nach Klingsorfolgt die eigentliche grosse E r z h l u n g (Titurel derfromme Held: Var. l des Glaubensthemas), ein eben sokunst- wie wirkungsvolles abgeschlossenes Musikstck, dasuns zunchst die Herabkunft des Grales in den feierlichmysterisen Weisen einer neuen, engelhaft schwebendenVariation des Glaubensthemas (III. 3 : Ihm neigten sich inheilig ernster Nacht), und die heiligen Zeugengter Gralund Speer schildert; wozu dann noch der Liebesmahlspruch,vom Gralmotive durchklungen und mit einer rhythmischen

    Dann hren wir von der Erbauung des Heiligthumes frdie Heilthmer, welches im Gralmotive sich glnzend er-hebt. Die ganze Weihe der Gralsherrlichkeit breitet sichaus; und eine gewaltige innerliche Steigerung ringt sichdurch die dem Hauptmotive angeschlossenen auf- undniedersteigenden engen Gnge das Suchen der Berufenennach dem Grale auf Wegen, die kein Snder findet hinauf zu den stolzen Schlussworten: des Grales Wunder-krfte strken, wonach das Motiv noch ein Mal dim. auf-leuchtet. Im Gegensatze dazu meldet sich mit dumpfemTremolo im Basse dann des heidnischen Zauberers dunklesElement. Ein gewisses lauerndes Behagen in ungestrterPflege des Argen und Verderblichen drckt sich in dennahverwandten Motiven Klingsor's (X.) und seines Zaubers(IX.) aus, worein sich bereits zartverlockende Klnge ausder Scene der Blumenmdchen im zweiten Akte mischen.

    Verschiebung des Mitteltheiles zu dem spteren dsterenCharfreitagsmotive (darein am Kreuz etc.) sich gesellt.

  • Auch. Kundry's lachendes Motiv (zu bsem Zauber Rath zu bser Lust etc.) fehlt nicht in diesem dmonischenBunde des Hasses, der Verfhrung und des Verderbens. DasKlingsormotiv verhallt pp., und von Neuem steigt der Gralauf: Als Titurel dem Sohne nun die Herrschaft hier ver-liehen; aber eine heftig aufstrmende Figur des ritterlicherweiterten Glaubensthemas fhrt wiederum Amfortas indas Elend und verbindet so wieder den Schluss der Er-zhlung mit der voraufgegangenen Erinnerung des Gurne-manz, eine Umstellung der Thatsachenfolge, welche eben-falls dramatisch belebend auf den epischen Charakter die-ser Stellen einwirkt. Das Speermotiv denn so mssenwir hier den Schlusstheil des Liebesmahlspruches nennen fllt in die Gewalt des Kundrymotives, und das Klingsor-motiv trgt seine Wiederholung fort. Der Zauber hat ge-siegt, der Speer ist in seiner Gewalt; seine Motive schlies-sen den ganzen Absatz in ihren Bann ein.

    Aber auch wieder als ein Schlusswort zu dieser grossenErzhlung fgt sich nun noch der kurze trostvoll feier-liche Satz von dem Gebete des Amfortas an: die Schmer-zensfigur des Liebesmahlspruchs drckt die Inbrunst des-selben klagend bewegt aus, mystisch schwirrende undschwebende Gralsharmonien lassen das heilige Traum-gesicht aufsteigen das deutlich zu ihm spricht, in-dem auch die Melodie des Liebesmahlspruches ihre volleDeutlichkeit erlangt, um alsbald pp. niedersteigend denvollstndig citirten Verheissungsspruch vom reinen Thoren(s. V.) herbeizufhren. So beschliesst dieser abermals denganzen Scenentheil und damit die erste Scene.

    Aber dieser jauchzende Ausbruch jugendlichen bermutheswird sofort zum Schweigen gebracht durch die grosse er-greifend schne Strafrede des Gurnemanz.

    Die zweite Scene des ersten Aufznges zeigt uns Parsifalauf dem Gralsgebiete, dann die Verwandlung und die Liebes-mahlfeier.

    I.

    Die Knaben wollen in leisestem Viergesange die wun-derbaren Worte des Verheissungsspruches wiederholen, abersie kommen nicht zum Ende damit: ein zuckender Pfeil-schuss durchfhrt die Musik es ist der Ansatz desParsifalmotives (XI.) furchtbar wogt wilde Aufregungauf: das Schwanmotiv aus Lohengrin, wie fluthtriefend,todeswild zitternd und flgelschlagend, jagt verworreneSchreckensrufe von fern und nah vor sich her. Auf demGipfel dieser gewaltigen Erregtheit erscheint dann Parsi-fal's neue Gestalt mit dem prgnanten jugendlich kraft-frohen : Gewiss, im Fluge treff' ich, was fliegt! wozusein urwchsiges Motiv frischer Heldenlust zuerst voll-stndig dahersprengt.

  • Die Friedensstille des Waldes, von Vogelgesang durch-zwitschert (Waldesmelodie), die helle wohlige Lust am Flugeber die Wogen des heiligen Sees (Schwanenharmonien),und dann die abgebrochen eindringlichen Vorstellungender traurigen Einzelheiten beim sterbenden Schwane, ein-geleitet durch den aus dem Parsifalmotive (wild kindi-sches Bogengeschoss) hervorquellenden elegischen Schlussdes Liebesmahlspruches : eine solche Sprache der Musikvermag es, die gewaltige Verwandlung in der Seele desharmlosen Knaben hervorzurufen, wonach er in tiefsterErschtterung, wiederum mit seinem heftigen Motive, dasin der Klage jenes heiligen Mitleidens endet, Bogen undPfeile zerbricht und von sich wirft. Das Mitleid ist in dasHerz des Unkunden eingezogen, nun regt sich nur nochzaghaft leise, wie fragend, der Ansatz seines vorher sokhn aufspringenden Motives, um die Fragen und stets Ichweiss es nicht lautenden Antworten des folgenden Zwie-gesprches mit zarter Scheu zu begleiten. Hier taucht auchdas Motiv der Herzeleide, der Mutter (XII.), zuerst weh-mthig innig auf, wie er der vielen Namen, die sie ihmgab, nicht mehr sich entsinnt.

    Diesen ersten Theil des Gesprches schliesst ein kleinerOrchestersatz ab; die Knaben wenden sich wieder demBade des Knigs zu, und einige tragen ehrerbietig dentodten Schwan hinweg: dazu bildet das Schwanmotiv einzart klagendes Echo auf die verhallende Leidensmelodiedes kniglichen Zuges.

    Der zweite Theil des Gesprches wird lebhaft durchge-fhrt. Gleich nach der trumerischen melodischen Andeu-tung der erwachenden Erinnerung an seine Mutter, womitdas Gesprch auch motivisch an das letzte Wort von vor-hin anknpft, bricht Parsifal mit kindlicher Lust in seinemfrheren Motive los: Im Wald und auf wilder Aue waren

    wir heim. Dieser Charakter des jugendlich wilden Aben-teuerlebens, verstrkt durch heftig empordringende str-mische Figuren, wie bei Kundry's Ritte, und doch auch mitdem Parsifalmotive verwandt (Und einst am Waldessaumevorbei kamen glnzende Mnner), bleibt dem ganzen fol-genden Zwiegesprche, an dem auch Kundry theilnimmt,getreu. Einer nimmt dem Anderen in wachsender Erin-nerungslust das Wort aus dem Munde, wozu Parsifal-motiv und Rittmotiv sich wechselweise jagen. An derKunde von dem Tode der Mutter (Herzeleide-Motiv)bricht sich die Lust; die Lebhaftigkeit des Ganzen abergipfelt in dem wthenden Eindringen Parsifal's auf Kundry.Die Wildheit des mit einem Schmerzensschrei ff. aufzucken-den Parsifalmotives wird schnell niedergezwungen in die ge-dehnten tiefen Tne des Herzeleide-Motives im Basse. Demermattet umsinkenden Knaben eilt Kundry mit Wasser zuHilfe; und hier ist es merkwrdig, wie auch die Gutthat desunseligen Weibes das aus den hastigen Sprngen des Ritt-motives sich ff. ergiessende Kundrymotiv begleitet. ber alle diese leidenschaftlichen Regungen legt sich dannwie ein beruhigender Segen das fromme Wort des Gurne-manz : Das Bse bannt, wer's mit Gutem vergilt. Ausden reinen Terzenklngen der hilfreichen Kundry wchsteine Melodie hervor, welche im letzten Akte wiederkehrt;hier aber versinkt sie bald im Dster des Zaubermo-tives: Kundry schwankt ihrem Zauberschlummer zu, dersie, die in abgebrochenen tiefschmerzlichen Seufzern nachRuhe Verstummende, mit immer tiefer niederziehendenKlingsor- und Zaubergespinnsten mehr und mehr unheim-lich wehevoll umwebt, bis sie selbst den Blicken ent-schwunden ist.

    Jetzt beginnt zum ersten Male leise, wie mahnend, dasMotiv der Glocken, welches den Akt bis zum Schlussein sttem Wechsel durchklingen soll; durch den bergangin den Aufstieg des Gralmotives wird es hier zur thema-tischen Figur (XIII. 1), welche mit der charakteristischensynkopischen Begleitung und in fortwhrend sich aufwrtsschiebender Harmonie (a, c, es; dann e, g, b) schwebenden

    v. W o l z o g e n , Themat. Leitfaden zu Parsifal.

  • Schrittes den wunderbaren Wandel von Zeit in Raum aufeinfachste Weise einleitet.

    Daraus entwickelt sich dann, nach dem weihevollen Er-klingen des Gralmotives (Wer ist der Gral? u. s. f.), dieganze die Verwandlung begleitende marschartige Musik.Wir hren zunchst mchtig sich steigernde, schmerzlichdissonirende Auf- und Niedergnge, wie Wanderstiege durchschroffe Felsenklfte, und dann die unter chromatisch ab-steigenden Terzen, ihren herzzerreissenden Wehelauten,sich ausspinnende Heilandsklage des spteren Jng-lingsgesanges: Den sndigen Welten mit tausend Schmer-zen etc. (XIV.)

    Die grosse Scene der Liebesmahlfeier, welche hiermit be-ginnt, lsst sich inhaltlich in fnf Theile zerlegen, deren ersteraus den drei Einzugschren besteht, whrend der zweite leiden-schaftlich ausgedehnte die Vorbereitungen zur Enthllung desGrales (Titurel's Aufruf und Amfortas' Weigerung), der drittesodann die Enthllung des Heilthumes mit Gebet und Segen,und daran gleich angeschlossen der vierte das unter solcherWeihe eingenommene Mahl, wieder von dreifachem Chor beglei-tet, der fnfte und letzte endlich den Abzug der Ritter undParsifal's Verstossung umfasst.

    Die beiden ersten Einzugschre sind noch ganz durch-zogen vom Glockenmotive (XIII. 1.): Whrend die Rittermit mannhaft kraftvollen Unisono-Basstnen zum letzten

    3*

    So ist es, als ob wir uns in den Tnen der Musik mitAllen durch das Gebiet des leidenden Knigs hindurch demGralssaale wirklich nherten. Ein zweimaliger Posaunen-ruf des Liebesmahlspruchs von der Bhne her und einanhaltendes Glockenluten auf den reinen Motivtnen (XIII.)verknden die Ankunft in dem Heiligthume, das sich nunmit einem prachtvoll erglnzenden ff. des Gralmotives voruns aufthut.

  • Liebesmahle heranschreiten, bezeichnet ein an das Be-gleitungsmotiv sich anfgendes Zwischenspiel bereits dasschnellere Hereinziehen der Jnglinge nach der mittlerenGallerie. Nachdem das auf der Hhe der Schlusswortedes Mnnerchores ff. allein mchtig emporsteigende Gral-motiv , das alle Ritter im Saale versammelt findet, unterGlockengelute verklungen ist, beginnen auch jene Jnge-ren dort oben ihren wunderbaren Alt- und Tenorgesang,ein in religisem Style kunstvoll verwobenes Drei- undVierstimmenwerk von langhingezogenen Klageseufzern, dieaus den Wehelauten des Amfortas, diesen Urschmerzaccor-den der menschlichen Seele, wie zu einer Klage des Erl-sungshelden in den sndigen Welten selbst gesteigert,hervorquellen (XIV.). Das Zwischenspiel dieser Heilands-klage, welche noch hufig thematisch verwandt werdensoll, das in synkopischen Accorden aufsteigende Glok-kenmotiv bezeichnet wiederum das Emporsteigen nunder Knaben zur hchsten, unsichtbaren Kuppelgallerie, vonwo herab, mit der Beendigung des Jnglingsgesanges, als-bald wie aus Engelsmunde und ganz ohne Begleitung daszartschwebende Glaubensthema (III.) sein seliges Him-melslied: Der Glaube lebt, die Taube schwebt, vierstim-mig beginnt und durchfhrt. Der sanfte Fittigschlag desheiligen Geistes weht durch den geweihten Raum; einkurzes pp.-Nachspiel von vier Takten des Glaubensthemasund Gralmotives mit leisen Glockenklngen und dannist tiefe Stille eingetreten: man erwartet in feierlicher Span-nung den Beginn des Gotteswunders.

    Aus der Tiefe des Hintergrundes, wie aus einem Grabe,erschallt ganz einsam der Ruf des alten Titurel , gleichder Stimme des unsterblichen Gewissens der Menschheit:Mein Sohn Amfortas, bist du am Amt? Die Melodie derWorte: Muss ich sterben, vom Retter ungeleitet? kehrtthematisch verwendet mit heftiger Synkopirung wieder zuAmfortas' Antwort: Mein Vater, verrichte du das Amt!,sowie in seinem darauf folgenden (mit dem Kundrymotivwild einsetzenden) grossen Verzweiflungsausbruch: Nein lasst ihn unenthllt!

    Dieser Verzweiflungsausbruch fhrt uns das ganze Leidendes unseligen Gralshters in einem grandiosen Tonbildevor die Seele, in welchem die Gralsmelodien von der wil-desten Leidenschaft des Schmerzes fortgerissen werden. O Strafe Strafe ohne Gleichen! diese herzzer-reissenden Klagerufe ertnen mit den wehevollen Klngender Heilandsklage. Danach tritt zunchst unter wunder-haft sich aufklrenden Gralsharmonien eine sanft inbrn-stige Ermssigung der ersten aufbrausenden Erregtheit ein:Nach ihm, nach seinem Weihegrusse muss sehnlich mich'sverlangen! So dringt in seelenvoll getragenen Tnen dersehnschtige Gesang in das Gralmotiv hinauf; und diepp. verhallende Heilandsklage (Aus tiefster Seele Heiles-busse) findet denselben Gebetspfad zur Hhe (zu ihmmuss ich gelangen), wo nun die Vision des enthlltenund erglhenden Heilthumes die aus innig bewegter Ent-rcktheit geflsterten Worte des kniglichen Bssers mitden geheimnissvoll empordringenden Weisen des Liebes-mahlspruchs leise umwebt. Aber das schwere Lei-densmotiv des Knigs (IV.) bricht in die weihevolle Stilleein und entfesselt cresc. auf- und niederwogende Gngedes Zaubermotives (Des eigenen sndigen Blutes Gewell),die sich im Kundrymotive (in die Welt der Sndensuchtmit wilder Scheu) hinabstrzen. Aus der Wunde desLustbezauberten, Schuldverfallenen, geschlagen von des-selben Speeres Streich, der dort dem Erlser die Wundestach, quillt das heisse Sndenblut, wie aus des Hei-landes durchbohrter Seite die Blutthrne des Mitleidensmit der sndigen Menschheit. Es ist die wehklagend wie-derholte Schmerzensfigur (I. 1. a.), aus welcher sich hier

  • die Heilandsklage ergiesst. Das wie ringend aufsteigendeGralmotiv aber muss dem Klingsormotive weichen, wel-ches nun mit dmonischem Stolze sich geltend macht, umdas heisse Sndenblut in wildeste Wallung zu bringen;und auch das Kundrymotiv ist wieder entfesselt, um dieaufs Hchste gesteigerte Verzweiflung des erlsungssch-tigen Snders hohnlachend zu begleiten. Wie zum Schlussedes Vorspiels ertnt dann zu seinem letzten inbrnstigenFlehen: Erbarmen, Allerbarmer, ach, Erbarmen! diedrngende, klagende und elegisch austnende Themenver-bindung aus dem Liebesmahlspruche, die dann selbstin dem einzelnen Nachhall des Seufzers seiner ohnmchtigverhallenden Klageworte: Nimm mir mein Erbe, schliessedie Wunde, sanft erstirbt. Da ist zum anderen Male derhohe Wogenschlag der Leidenschaft niedergeebbt; und berdem verstummend gebeugten Haupte des besinnungslos Zu-sammengesunkenen streicht unbegleitet sphrenhaft von derHhe her der verheissungsvolle Friedensgruss der zartenKnabenstimmen, wie milde heilende Engelshand: DurchMitleid wissend, der reine Thor: harre sein, den ich er-kor ! Im leisen Flstersange fallen die tiefen Stimmen derRitter mit ihrer drngenden Mahnung ein; und es schliesstden Theil, wie er ihn begann, der Ruf des Titurel, nunentschieden auf dem Grundton: Enthllet den Gral!

    Das Mysterium aber wird immer grsser: mhsam rich-tet Amfortas sich auf, unter seufzenden Klngen aus demLiebesmahlmotive, welches dann, whrend die Schaleenthllt wird, aus einem tiefer sinkenden Tremolo in ein-zelnen inbrnstigen Abstzen mehr und mehr sich losringt.Wie aber nun vllige Dmmerung eingetreten ist, erklingtes Nehmet hin meinen Leib, nehmet hin mein Blut aus der hchsten Hhe der Kuppel zu der unten leisenachbebenden rhythmuslosen Bewegung der Instrumental-klnge von den Knabenstimmen in zwei Abstzen gesun-gen, deren jedem wie im Vorspiele das sanft wogende Spieldes Orchesters nachfolgt, mit welchem die fromme Melodiegleichsam in die Seele des betenden Knigs und durchdie Herzen der glubigen Gemeinde getragen wird. Soverbreitet das Heilige seinen ewigen Schein auf Erden,ber die geweihtesten Stellen und Tiefen des menschlichen

    Daseins; aber es liegt wie eine geheime Wehmuth auf die-sem erhabenen Gotteswunder, und das leise Nachspiel derheiligen Melodie nimmt auch, wie zum Schlusse des Vor-spieles, die Wehelaute des Amfortas auf. Doch wie sichdiese in dem sanften Heilselemente zu einer augenblick-lichen seligen Trstung auflsen, in dem Momente, als derSohn versunken in den Anblick des Grales, der die vlligeNacht wunderbar einzig durchleuchtet, seine Schmerzenvergisst: da erhebt der Vater im Grabe aus erhabenerEntzckung die Stimme: O heilige Wonne, wie hell grsstuns heute der Herr!

    Bald darauf geht das sich sanft lichtende Nachspieldes Glockenmotives ber in die legendarisch erzhlende,ruhig bewegte Melodie des Knabenchores Wein und Brotdes letzten Mahles, zu welchem die Ritter das Mahl ge-niessen. Dieselbe Melodie f h r t dann auch in der tie-feren Lage die Jnglingsstimmen aus. Diese Chre schlies-sen sich unmittelbar aneinander an, und so auch flltsofort der Doppelchor der Ritter mit schwungvollen he-roischen Tnen ein: Nehmet vom Brot nehmet vomWein, wozu beim ersten Verse das Glockenmotiv, beimzweiten machtvolle Gnge, wie Kriegsrufe zu heiligen Km-pfen, durchgefhrt werden. Die Seligpreisungen der Ritter,Jnglinge und Knaben am Schlusse gehen innig ineinanderber, sodass es ein einziger himmelan aufwrts schwebenderZug von Klngen aus dem Gralmotive ist, mit denen dieso mchtig zur Erde niedergestiegene Musik der Chrewieder emporgezogen wird in die ideale Hhe des gtt-lichen Liebesreiches. Aber mit dem abschliessend durch-gefhrten Glaubensthema, wie im Vorspiele, steigt dergepriesene und gerufene Geist dieser Liebe dann unter denallgemeinen Umarmungen der glubigen Brderschaft zurheiligen Weihung in ihre Mitte herab.

    Da klagen die Wehelaute des Amfortas in die Seligkeitder Gemeinde; die Wunde blutet von Neuem; der Knigwird auf die Snfte geleitet. hnlich wie zu Anfang ge-staltet sich der Abzug der Ritter mit den Glockentnenund den wiederholten Klngen der Heilandsklage. Auchdas Thema des reinen Thoren klingt hinein: aber Par-sifal bleibt unberhrt von diesem Rufe. Als die Glocken

  • endlich ganz verhallt sind, wendet Gurnemanz sich an ihnmit den kurz abgestossenen, rgerlichen Tnen der Tho-renverheissung: Weisst du, was du sahst? Nur jenekleine Figur des innigsten Schmerzes und Sehnens aus demLiebesmahlspruche (I. 1. c.), die ihn noch unverstanden indes Knigs Klagen ergriffen, antwortet anstatt des schwei-genden Knaben. Da stsst ihn Gurnemanz; mit einer heftigaufzuckenden Figuration des Parsifalmotives zum Tem-pel hinaus, und in den kurzen Reimspruch des Altenmischt sich auch die Melodie des Schwanes; nachdem be-gleitet den Abgang des Kopfschttelnden, Achselzuckenden,Schwerenttuschten wieder jene kurzabgestossene Form derVerheissung. Aber wie eine himmlisch trostvolle Deu-tung ihres unerfllten Rthselwortes ertnt noch einmalaus hchster Hhe verhallend, von einer einzigen Alt-stimme gesungen, der ganze Spruch: Durch Mitleid wis-send, der reine Thor!, aufgenommen von der gnzlichverschwebenden Chormelodie: Selig im Glauben! Dann nur noch einige Glockentne in der Tiefe, und derVorhang schliesst sich.

    Der zweite Aufzug.Das Vorspiel.

    Nachdem wir am Schlusse des ersten Aufzuges zuhimmlischen Hhen entrckt worden sind, wirft uns derBeginn des zweiten wie in die Tiefen der Hlle hinab,aus welcher mit dem wild daherbrausenden Vorspiele alledmonische Wuth und Leidenschaft des Bsen, Verderb-lichen unaufhaltsam losbricht. Es ist das Klingsormotiv(XI.), welches hier in seiner vollen teuflischen Gestalt undmit einer auf- und niederstrmenden Fortsetzung durchchromatische Zaubergnge, erst aus der Tiefe des Bassesherauf, zuletzt in schneidendem ff. auch in der Hhe mit-einsetzend, die ganze erste Hlfte dieses unbeschreiblich fort-reissenden Tonstckes beherrscht. Eben jener hhere, schr-fer treibende Einsatz aber fhrt zu den laut aufjammernden,

    getragenen Wehelauten des Amfortas (XIV.), hier wie Angst-schreie der vom Bsen geknechteten Menschenseele. Zwei-mal steigen sie ff. hher empor, um so in die Weite hin-auszuklagen; und ebenfalls hher und greller auflachendstrzt sich das Kundrymotiv mit verzweifeltem Hllenjubelje sieben Mal hintereinander aus der Hhe herab. Auchwhrend dieser zweiten Hlfte bleibt drunten das Klingsor-motiv mindestens in seinen herrischen Schlusstnen lebendig,die sich hier, wie eine beschwrende Zaubergebrde auf-zuckend, den motivisch durchgefhrten Zaubergngen unmit-telbar anschliessen. Nach dem letzten, dritten Einschlageder Wehaccorde, mitten in die Kundrymotive hinein, jagtdieses noch zum fnfzehnten Male nun allein durch dreiOctaven zur Tiefe: der Vorhang geht auf; wir sehen unsin des Zauberers Thurme, ihn selber bereit, die Beschw-rung des unseligen Weibes zu seinem verderblichen Amteder Sinnesberckung des Heiligen und der Unschuld zubeginnen.

    I.In die kurze Scene zwischen Klingsor und Kundry

    scheint wie krampfhaft die grauenhafteste Dmonik des Bsenzusammengefasst und in die Teufelsmacht des Zaubers konzen-trirt. Das Motiv, welches gleich zu Anfang lauernd, kriechend,einer Schlange des Abgrundes gleich, um die einsame Gestaltdes Meisters des Argen sich heraufwindet, das Zaubermotiv,und sein finsterer Verwandter, das Klingsormotiv, sie sind es,welche die ganze folgende Scene in ihrer Gewalt behalten undberdies diejenige Macht, welche sie in dieser Scene insbesondereausgebt zeigen, die zwingende Macht des Bsen ber das Weib,durch ihre Verbindung mit dem selten schweigenden Kundry-motive bezeugen. Zwischen diesen drei motivischen Herrschernklingt aber auch der Spruch von dem thrigen Knaben, dernaht, mitunter bedeutsam an, sogar mit einem leisen Anstzedes Parsifalmotives gleich anfangs bei den Worten: Schonharrt mein Zauberschloss des Thoren, hernach: Den Gefhr-lichsten gilt's nun heut zu bestehn, sodann in kurzen trotzigenSchlgen: Ha, wer dir trotzte, lste dich frei, und am Schlusseder Scene: Du da, kindischer Spross etc. Die Wehelauteaber, diese schneidenden Terzen der Klage, die wir bisher beiAmfortas vernahmen, hrt man wie die Schmerzens-Seufzer desDmonenopfers mehrfach durch den Hllendampf der Zauber-harmonien, und an ihnen kann man die Hauptpunkte dieser indie allgemeine Dmonik der Situation ganz eingehllten Scenevielleicht am besten erkennen.

  • Auf die heftig hhnenden Anrufe ihres Meisters ringt sienoch vergeblich, sthnend, chzend, nach Worten, Lautender Erwiderung: da, als ihr Zaubermotiv nur in kurzenSeufzern sich hren lassen konnte, entquillt zu den in-brnstigen Worten: Sehnen, Sehnen! der Gesang derHeilandsklage selbst jenen Wehelauten, um alsbald in eineFigur berzugehen, welche schon vorher zu Klingsor'sVerhhnung der Gralsritterschaft leicht verfhrerisch miteinem Triller aufschwebte, hier aber aus einer jhenKundrymotivform sich zu einem halb sehnschtigen, halbtrotzigen Aufsprunge emporschwingt: Da dient' ich!

    Dieser Aufsprung, im engen Anschlsse an das Kundry-motiv und mit einem auflachenden Nachhall, begleitet dieganze so ungemein drastisch sich ausprgende, kurze,heftig ringende Wechselrede: Ich will nicht (einschmerzvolles Mahnen der elegischen Figur I. 1. c) Dumusst Du kannst mich nicht halten Aber dichfassen Du? Dein Meister Durch welcheMacht? , auf deren furchtbarem Hhepunkte: Haha!bist du keusch? der eigentliche Halt in dieser rastloswthenden Scene dmonischer Gewaltsamkeit eintritt:

    ein Halt, aber keine Ruhe, weil hier alle Wuth und Lei-denschaft in die eigene Brust des Klingsor zurckschumt,wo sie nun, in der entsetzlichen Einsamkeit des Snder-herzens, sich selbst wie zerfleischend in frchterlich er-niedrigender Erinnerung forttobt. Das Klingsormotivist es denn auch selbst, welches den Worten des Zaube-rers seine Tne leiht: Furchtbarer Triebe Hllendrangetc. Aber auch hier taucht das Bild des leidenden Am-fortas, wie ein Gegenbild des leidenden Klingsor, zu des-sen bsartiger Trstung auf: die Wehelaute sowohl wie dasLeidensmotiv (IV.), und schliesslich beides zusammen nacheinem dissonirend grell abbrechenden Aufsteigen des Gral-motives: Bald, so whn' ich, ht' ich mir selbst denGral!

    Von dem kurzen Kampfspiele der Wechselreden an,durch diese in wthendem Trotze endende Nothklage desKlingsor hindurch, schallten bereits dmonisch harmoni-sirte schrille Accordtriolen, wie die jammernde und la-chende Stimme der innersten Zerrissenheit einer durch dieZauberkraft des Bsen vergewaltigten Seele; noch einMal lst sich ihr Krampf in die abgebrochen und syn-kopisch aneinandergereihten Wehelaute des Amfortas, alsKundry klagend auch seiner Schwche, der Schwchealler ihr Verfallenen gedenkt, die ihr nun wiederum einneues Opfer in die Arme fhren soll : vergebens ihrschmerzlichstes Trotzen wider die zwingende Macht! ihrWeg zur Erlsung durch die Liebe fhrt sie im Bannedes Fluches ihrer Schuld durch diese giftigen Gefilde derSinnenbezauberung: nur wer ihr trotzte, lste sie frei! Da ertnt p. das Parsifalmotiv. Auf die Zinnedes Thurmes steigt Klingsor, das Andringen des tollkhnenKnaben gegen die Burg, seinen Kampf, seine Bewltigungder Ritter, seine Ankunft im Zaubergarten sphend zu ver-folgen und mit satanischem Hohne, des nahen Sieges ge-wiss, der wehklagenden Kundry zu schildern, whrenddiese allmhlich aus dem Wehklagen in ein unheimlichesLachen verfallend den Blicken entschwindet.

    Der Sturm auf die Burg whrend Klingsor's Beobachtungist ein Musikstck voll feurig pulsirenden Lebens: wie Frh-lingswind fhrt es frisch und brausend in die Sphre der Zauber

    Klingsor hat Kundry mit seinem eigenen Motive (Ur-teufelin, Hllenrose!) sich herangezwungen; da dringen ausjenen langsam niederschauernden Harmonien die klagendenWehelaute zuerst hervor. Mit einem grsslichen Schrei, wieeiner aus tiefstem Schlafe aufgeschreckten Halbwachen,dem das Kundrymotiv mit einer wild aufbumenden Schluss-figur sich entreisst, ist die Gestalt der Beschworenen nunerschienen.

  • und schlgt um sich mit den unwiderstehlichen Thorenstreichendes frohen Jugendmuthes.

    Eine Variante jener strmischen Figuren des Rittmo-tives (a.), unter eintnigem Octavengeschwirr immer neu vonunten andringend, fhrt endlich, wie von den Trillern desKundrylachens in die Hhe gejagt, mit den Worten: Sieweichen, sie fliehen, einen glnzenden Siegesgesang desvollen Parsifalmotives heran. An diesen aber schliesstsich noch ein kurzer Zwischensatz (Seine Wunde trgtJeder nach heim), worin wieder das Thorenmotiv seineraschen Schlge austheilt, bis abermals das Parsifal-motiv triumphirend dahersprengt, nun aber auf seinemjugendfrohen Aufstiege in ruhendem Tremolo verstummt,dann wieder damit ansetzt, in zarter Dehnung wie erstauntum sich blickend, sich nochmals verwundert lauschendhervorwagt, und dann mit einer anmuthigen Figur vonvorahnender Blumenstimmung niedersinkt in die unheim-lich schwirrenden Harmonien des Kundrylachens zurck.Dies ist die Begleitung zu Klingsor's verfhrerisch holdmalender Gesangesmelodik: Ha, wie stolz er nun stehtauf der Zinne, wie lachen ihm die Rosen der Wangen,da kindisch erstaunt in den einsamen Garten er blickt. Aber Kundry ist schon am Werk, und der Zauber ist wohlund recht gewhlt, wodurch auch dieser Thor zu bannensei: es ist das Motiv seiner Mutter (XII.), welches sichhier leise meldet; mit ihrem Sterbegrusse wird dem Knabendie Verfhrung das Hllensiegel ihres Kusses in die Seeleprgen. Und mit einer aus krachendem ff. zur Tiefedim. niederrauschenden Durchfhrung des Klingsor-motives, wie zum Beginne des Vorspieles, versinkt der

    Thurm mit dem Zauberer, um den Zaubergarten in seinerganzen orientalisch bernatrlichen Wunderblumenprachtgleich der ppigsten Schnheitsausgeburt der Hllengluthenvor unseren Blicken aufsteigen zu lassen.

    II

    Fr die nun folgende Scene zwi schen P a r s i f a l undden Zaubermdchen , in welcher die blhendste Melodikwie aus unerschpflicher Flle quellend sich entfaltet, bildetuns das mehrfach wiederholte Motiv Parsifal's die Markeder einzelnen grsseren Abschnitte.

    Das Parsifalmotiv beginnt sogleich den ersten Satz,welcher mit einer neuen leichten Umformung der strmi-schen Figur im Charakter des vorhergehenden Sturmmotives(s. oben b.) das wirre Zusammenlaufen der erschrecktenMdchen in lebhaftester Durchfhrung darstellt. Es sindzwei Terzette von Solistinnen und zwei dreistimmige Chre,welche hier mit erregten kurzen Rufen durcheinandersin-gend nach und nach in heftiger Bewegung auf der Sceneerscheinen. Aus der mit drngender Steigerung wieder-holten ausdrucksvollen Halbtonfolge am Schlusse jenerFigur reisst sich alsdann im f. ein erstes Thema derMdchen selber los (XV. l.): es schwirrt in der Beglei-tung hpfend und flatternd mit durchweg triolischer Er-regtheit, immer hher hinaufdringend, wie ein zunehmendesDurcheinandergelaufe ngstlich Suchender dahin, whrenddazu abwechselnd der Gesang der Solistinnen die Grund-form des Ganzen als eine bnglich wehklagende chroma-tische Tonfolge bringt: Mein Geliebter verwundet! Wo find' ich den Meinen? u. s. f.

  • Das ist die Mdchenklage, welche spterhin als Aus-druck des Erlsungssehnens dieser ganzen verzauberten Weltzu noch intensiverer Bedeutung und Wirkung gelangen wird.Auf dem Hhepunkte der allgemeinen Erregtheit, wo auchder ganze Chor wieder in die Rufe und Fragen einstimmt:Wo ist der Feind? und das Thema im Gesange derersten Solistinnen inzwischen vom Es mit dem letztenWehe bis zum B hinaufgestiegen ist: da tritt ein zweitesThema auf (XV. 2). Die Mdchen haben Parsifal erblickt:Da steht er! rufen erschrocken die Solistinnen mit Hef-tigkeit , und der Chor wiederholt es und nimmt zugleicheine lebhaft in Terzen aufsteigende Begleitungsfigur auf:Seht ihn dort! seht ihn dort! Diese Figur verwebt sichebenso in der Instrumentalbegleitung dem neuen Thema,welches seinerseits als ein reizvoll neckischer, hier aberin der allgemeinen Erregtheit selbst noch mehr schreck-haft erzitternder Ausdruck naiver Verwunderung sich dar-bietet.

    Auch dieses Thema wird nun in stter und schnellerSteigerung zur Hhe hinauf durchgefhrt, bis das ersteThema es wieder ablst: Weh! weh! er schlug uns'reLiebsten u. s. f. Dies gelangt zu einem neuen ent-scheidenden Hhepunkte, wieder auf dem laut austobendwiederholten kleinen triolischen Halbtonschlusse, mit demkrftigen, pltzlich in Es endenden Gesammtrufe: Ver-wnscht sollst du sein! womit das Parsifalmotiv inder neuen Tonart stark einsetzt.

    Das Parsifalmotiv in seiner vollen Durchfhrung be-zeichnet den Sprung des Jnglings von der Hhe herab;seine ersten unbefangen lchelnden Worte: Ihr schnenKinder, musst' ich sie nicht schlagen? begleitet die weiteresanft gedehnte Fortspinnung des Motives, wie zuvor beiKlingsor's Beobachtung. Auf solche ruhige freundlicheAnrede antworten die Mdchen nun, nach ihrer wild auf-gescheuchten haltlosen Erregung von vorhin, im vern-derten Tone p. mit bereits wiedergewonnener Neigung zurHeiterkeit, und demgemss mit dem in seinem ganzenneckisch verwunderten Wesen sich liebenswrdig darstel-lenden zweiten Thema, das in ausserordentlich zart singenderWeiterfhrung die ersten Solofragen und Parsifal's Ant-wort begleitet. Fr den zweiten Theil des kleinen Satzes(So willst du uns wohl nicht schlagen?) kommt auch daserste Thema wieder hervor. Der ganze Chor fllt ein zuder wiederum abschliessenden Wiederholung der Schluss-figur: Wer spielt nun mit uns? , worauf nach Parsifal'sheiter erbtiger Entgegnung sogleich ein allgemeines Lau-fen und Lachen entsteht, und dann abermals

    das Parsifalmotiv unter lockenden Trillern zu einemlngeren Zwischenspiele sich auslsst. Dasselbe erscheintwie aus einer sich lieblich spielend ermssigenden Ver-webung des Motivansatzes mit einer zart verknpfendenmelodischen Blumenschlinge gebildet. Hierzu umscherztdie zurckgebliebene Hlfte der Mdchen den ihnen nunvertraut gewordenen Fremdling, indessen die Anderen sichentfernt haben, um sich heimlich mit Blumen selbst wiezu lebenden Blumen aufzuschmcken. Dies Alles geschiehtwie ein leichter lchelnder Kinderscherz und ganz ohneden Charakter beabsichtigt verfhrerischer Sinnlichkeit. Esist die Anmuth der Natur in ihrer vollen, wie spielendberauschenden Macht, die den Zauber eines innig wohl-thuenden Staunens auf den unkundigen Gefangenen ihrerWunder ausbt. Mit den Worten: Wir spielen nicht umGold, nehmen die Mdchen selbst wieder das neckischezweite Thema auf, das aber mit einer aufsteigenden Triller-kette eilig zur Hhe fliegt, als nun die Geschmcktenzurckkehren und ein kurzer Wettstreit beginnt, begleitetvon den nach und nach sich abwrts senkenden und

  • darber sich sanft ermssigenden, in's Ruhigwiegende ber-gehenden Figurationen der bisherigen triolischen Themen.Auf diesem Wege schweben dieselben hinber in die im3/4-Takte leichtbewegte Melodik des weitausgesponnenenKosegesanges (XV. 3.): Komm komm, holder Knabe!

    v. W o l z o g e n , Themat. Leitfaden zu Parsifal. 4

  • Whrend der Chor die Melodie durchfhrt, ziehen dieSolostimmen darber hin, erst in einem sehnschtigen Auf-stiege, hernach mit einer wieder durch kleine 16tel-Triolencharakteristisch verzierten, ungemein schmeichlerischen Figur:Komm, komm, o holder Knabe u. s. f. Darein stimmendann auch die nun ebenfalls geschmckt zurckkehrendenSolistinnen der zweiten Hlfte, und beide Chre vereinigensich zur Weiterfhrung der Grundmelodie, womit zuletztalle Stimmen zusammen innig drngend emporsteigen:Dir zur wonnigen Labe gilt unser minniges Mh'n! Die Schmeichelfigur (XV. 4.) umspinnt in engem, duftigemGewebe Parsifal's harmlos staunendes Gemth ganz undgar: Wie duftet ihr sss! seid ihr denn Blumen? undsie ist es dann auch, welche in dem folgenden allerreiz-vollsten Wechselgesange der Solistinnen: Des GartensZier und duftende Geister das entzckend variirte unddurchgefhrte Grundthema bildet, whrend auch hier dieKosemelodie sich in die Begleitung verwebt. Endlich stimmtder Chor auch leise mit ein: Nicht karge den Blumenden Sold, und gesellt sich so den wunderbar ausdrucks-voll ersterbenden Schlussworten smmtlicher Solistinnen:Wir welken und sterben dahinnen. Hiermit geht dieSchmeichelfigur, die so leicht und lieblich wie sonnigeBlumenblttchen im leisen lauen Sommerathem sich be-wegte, nach wenigen wehmthigen Klagelauten cresc. inein zart lockendes Trillern aus, ber die wiederkehrendeGrundmelodie des Kosegesanges hin. So schliessen sichan diesen zweiten grossen Gesang der Mdchen, welchereigenthmlich herzbewegend das Erlsungssehnen der Blu-men leise andeutet, alsbald ihre einzelnen schmeichelndenBitten um das Liebesspiel mit dem holden Genossen, wo-mit sie ihn in den Weisen ihres ersten Gesanges (Andeinen Busen nimm mich! u. s. f.) kindlich kosend gleich-sam umranken.

    Hier lsst sich mit Parsifal's Dazwischenrufe auch dasParsifalmotiv wieder hren, doch nur in zartem p. undin Moll, wie eine noch scheue Abwehr: Soll ich mit euchspielen, entlasst mich der Enge; und der ungeduldigeSpielgenoss singt diese Worte in den sehr bezeichnendrhythmisirten Tnen der Mdchenklage. Damit ist ein

    drittes, oder mit den beiden Gesngen fnftes, und letztesThema der Mdchen eingefhrt (XV. 5.), als wre es her-vorgesprungen aus der Wiederholung des Parsifalmotives:ein accordlich hpfendes Auf- und Niedersteigen wiescherzend hin und her sich wendender und schlpfenderleichtfssiger Geister, immer kurz unterbrochen von kleinenabwehrenden Gebrden im Basse, zu den dicht aneinandergereihten eiligen Wechselrufen: Was zankest du? Weilihr streitet Wir streiten nur um dich Das meidet u. s. f.

    Als auch der Chor dazukommt, mischt sich noch etwasvon der Erregung des ersten Themas dazwischen, und auchdas zweite lsst sich in leichter, reizvoll kolorirter Scherz-wendung des Gesanges hren: Die Blumen lsst du um-buhlen den Falter! Dann bringt beim lebhaften Durch-einander-Gesnge smmtlicher Mdchen (Nein mir gehrter Nein uns Ja mir) das letzte Thema das ganzeduft- und tonquellende Spiel zu einem heftig ausbrechen-den Abschlsse im Parsifalmotive (wie zu Anfang inAs): Lasst ab! ihr fangt mich nicht! welches aberseinerseits sogleich in die wundersam bannenden Fesselnder Thorenharmonien sinkt: Parsifal! weile! Kun-dry ' s erster Ruf!

    Noch eine Zeit lang bleiben die Thorenharmonien berdem Staunenden schwebend; dann fgt das Motiv Herze-leide's (XII.) sich innig an: Hier weile, Parsifal! Dichgrsset Wonne und Heil zumal! Das Wunder wird Zau-ber. In reiner, ruhig wiegender Weise wendet die ssse,aus dem Unsichtbaren her tnende Stimme sich nun andie Mdchen; und es ist ihre elegische Klagemelodik(XV. 1.), mit welcher sie fortgeschickt werden zu ihrenwunden Helden, mit welcher sie dann auch leise klagend,schmollend (Dich zu lassen, dich zu meiden) einzeln

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  • Abschied nehmen von dem holden Gespielen, wonach derganze Chor mit dem letzten Thema im cresc. (Leb' wohl,du Holder, du Stolzer) und dem neckischen f-Sprungeber die Fermate herab (Du Thor) leise lachend nachdem Schlosse zu verschwindet.

    III.Die grosse H a u p t s c e n e des A u f z u g e s zwi schen

    Pa r s i f a l und K u n d r y zertheilt sich inhaltlich in zwei Ab-schnitte. Der erste, bedeutend kleinere, gilt der verfhrerischenUmwebung des ganz in Wundern befangenen Jnglingsgemthesmit den sssen und schmerzlichen Erinnerungen an die verges-sene Liebe der Mutter durch Kundry's ergreifende und lieblicheGesnge. Der zweite dagegen zeigt uns in einer mchtigendramatischen Steigerung und bei grsserer Ausdehnung dochungemein konzentrirten Fassung der gewaltigen Entwickelungs-momente: das Erwachen Parsifal's zum moralischen Bewusst-sein seines menschlichen Heilsamtes, das Ringen der Kundrynach Liebeserlsung, und den Sieg der wissenden Reinheit berdie verblendete Sehnsucht der Snderin.

    Wie am Ende der vorigen Scene sind es die Thoren-harmonien, unter welchen die erste Wechselrede desNamenlosen und der Namenknderin stattfindet; undabermals fgt sich daran, nach Kundry's kurzem Berichtevom Tode des Vaters, das Motiv Herzeleide's in zartgedehntem Sologesange, dem aber sogleich eine zweiteleise, innige kleine Figur, eine Mahnung an die sptereMelodie der Hingebung Kundry's (s. XIX.) sich einschmiegt:Ihn dir zu knden, harrt' ich deiner hier! So sind wiemit leichter Geisterhand die ersten Zge des ergreifendenBildes der Liebe in die Seele des Lauschenden gemalt,dem es nun in seinem geheimnissvollen Doppelwesen baldvllig sich entfalten soll.

    Die Beherrscherin dieses ganzen ersten Abschnittes istdie lngere Erzhlung Kundry ' s von der Mut t e r .Zauberklnge, aus der fernen, fernen Heimath der Er-zhlerin leiten hinber in die reine zarte Liebessphre desWiegengesanges: Ich sah das Kind an seiner MutterBrust. Diese hold wiegende Melodie, schon vordem an-

    gedeutet, athmet durchaus die Stimmung des Herzeleide-Motives, in das Kindliche bertragen, sodass darin gleich-sam Idylle und Elegie sich wunderbar vereinen. Auchtritt das Motiv selbst daraus hervor bei der Namendeu-tung : Das Leid im Herzen, und es entussert sich seineselegischen Charakters zu einer erregten 9/8 - Figuration (vgl.XII. 1.) mit den Worten: als ihren Schmerzen zujauchzteihrer Augen Weide, womit der erste Vers des Gesangesseinen melodischen Abschluss findet. In demselben Styleund aus denselben Motiven ist der zweite gebildet: Ge-bettet sanft auf weichen Moosen bis: der heisse Thauder Mutterthrnen.

    Darauf folgt ein Zwischentheil (Den Waffen fern), wel-cher charakterisirt ist durch ein leise wie fernes Waffen-tnen erschallendes Motiv punktirter Dreiviertel im Basseunter gleichmssig fortschwirrendem 9/8 - Tremolando, woheraus sich dann (Nur Sorgen war sie) die Durchfhrungjener vorigen leidenschaftlichen Figuration (XII. 1.) lst,um in immer heftigerer Steigerung (Hrst du nicht nochihrer Klage Ruf) mit heftigem Anstrme (wann sie suchenddann dich ereilt) bis zum aufjauchzenden Schlusse: wanndann ihr Arm dich wthend umschlang, hinzudrngen undin pltzlichem dim. (3/4): ward dir es wohl gar beimKssen bang? zu verstummen. Damit tritt fr denletzten Theil des Gesanges ein tief-wehmthiges, wie ausschmerzlicher Erinnerung melancholisch aufseufzendes,zweites Herzeleide-Motiv ein (XVI.):

  • Schmerz, Weh und Trauer d