17

PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

  • Upload
    phamque

  • View
    220

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

www.freiheit.org

Page 2: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

Freiheit und Fortschritt als Tradition150 Jahre Dreikönigstreffen

Page 3: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

Seit dem 6. Januar 1866 versammeln sich Liberale am Dreikönigstag in Stuttgart. Aus dem zunächst regionalen Treffen demokratischer Volksvereine zur ersten Landesver-tretertagung ist heute eine bundesweit beachtete politische Großveranstaltung geworden, eine Kundgebung, die unter den Parteien in Deutschland ihresgleichen sucht.

Freiheit und Fortschritt als Tradition – so könnte das Motto seit diesen 150 Jahren lauten. Gekommen aus den Frei-heitsbestrebungen Anfang des 19. Jahrhunderts, nachdem die Aufklärung auch die Politik erreicht hatte, dann nach dem Scheitern der 1848er Revolution zurückgeworfen, aber wiedererstarkt, und Mitte des 19. Jahrhunderts sogar als bestimmende Kraft, nutzten die Liberalen das Treffen zur Verbreitung ihrer politischen Botschaften. Nach mehrjähriger Unterbrechung unter dem Nazi-Regime wurde die Tradition 1946 wieder aufgenommen und weiterentwickelt. Noch heute bestimmt das Dreikönigstreffen traditionell den politischen Jahresauftakt in Deutschland.

Welche Themen bewegten die Liberalen in dieser Zeit? Was waren ihre Forderungen? Was haben sie erreicht? Und: Ist sich der Politische Liberalismus treu geblieben in diesen 150 Jahren? Diese und andere Fragen möchten wir mit dieser Publikation klären und gleichzeitig zeigen, wie wichtig es war und immer noch ist, für die Freiheit die Stimme zu erheben.

Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

2 | 3150 Jahre DreikönigstreffenEi

nfüh

rung

Freiheit und Fortschritt als Tradition

Page 4: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

Seit dem frühen 19. Jahrhundert haben sich Liberale in Deutschland und Europa für einen auf Freiheit gegrün-deten Verfassungsstaat eingesetzt. Bereits der Histori-

ker und Politiker Friedrich Christoph Dahlmann, einer der be-rühmten „Göttinger Sieben“, hatte 1815 in einem Beitrag mit dem schlichten Titel „Ein Wort über Verfassung“ proklamiert: „Was dem Staate seinen Wert und seine Eigentümlichkeit gibt, soll in der Verfassung vollständig zu Worte kommen.“

Kernforderungen waren für die Anhänger des deutschen Frühliberalismus Freiheitsrechte für die „Untertanen“ zum Schutz gegen staatliche, vor allem fürstliche Willkür.

Verfassungen waren im Vormärz das Ziel, Parlamente das Forum der Liberalen. Hier kämpften sie für Bürgerrech-te, gegen politische Unterdrückung und Pressezensur. Karl von Rotteck, Carl Theodor Welcker, Ludolf Camphausen und David Hansemann sind nur vier der Persönlichkeiten, die im vormärzlichen Liberalismus ihre Grundüberzeugungen über einen liberalen Verfassungsstaat darlegten und für eine Ver-fassung stritten, die es in Preußen bis 1848 nicht gab.

150 Jahre Dreikönigstreffen

Friedrich Christoph Dahlmann

4 | 5Ka

pite

l 1

„Für einen auf Freiheit gegründeten Bundesstaat“. – der liberale Verfassungsstaat

Freiheit und Fortschritt als Tradition

Page 5: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

schen Kurs der nächsten Jahre.“ (Dieter Lange-wiesche)

Gestärkt durch den Zusammenhalt im Dreikönigstreffen, leisteten die Liberalen nach 1867/71 im Reichstag einen maßgeblichen An-teil zur inneren Reichsgründung. Die Vereinheitli-chung der einzelstaatlichen Rechtssysteme, der Ausbau des Verfassungsstaates und die Finanz-politik trugen eine liberale Handschrift, so dass für die 1870er Jahre sogar von einer „liberalen Ära“ gesprochen werden kann. Auf der liberalen Agenda im deutschen Kaiserreich standen aber auch unverändert die in der Reichsverfassung von 1871 nicht einmal erwähnten Grundrechte.

WeimarDer bedeutendste Befürworter von grundle-genden politischen Reformen war der Berliner Staatsrechtler Hugo Preuß (1860 – 1925), der sich bereits vor 1914 für kommunale Selbstver-waltung und parlamentarische Mitbestimmung ausgesprochen hatte. Dem im Juli 1917 gegrün-deten Interfraktionellen Ausschuss, der die all-mähliche Parlamentarisierung des Reiches einleitete, gehör-ten neben Preuß die württembergischen Liberalen Friedrich von Payer und Conrad Haußmann an. Im November 1918 wurde Preuß zum Staatssekretär berufen, amtierte kurzzei-tig sogar als Reichsinnenminister und entwarf als Reichs-kommissar die Grundlinien der Weimarer Reichsverfassung. Im Dezember 1918 war er, neben dem liberalen Parteiführer Friedrich Naumann und dem Heidelberger Soziologiepro-fessor und Nationalökonomen Max Weber, Mitgründer der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Preuß, Naumann und Weber stellten zu Beginn der Weimarer Republik die Füh-rungsfiguren des Linksliberalismus dar, die nachdrücklich für eine demokratisch-republikanische Verfassung warben. Um-so tragischer für die junge Republik war es, dass alle drei viel zu früh verstarben: Naumann 1919, Weber 1920 und Preuß 1925. Ihre Nachfolge traten einige entschlossene Verteidi-ger der liberalen Demokratie an wie der Hochschuldozent Theodor Heuss und der an das Vorbild westlicher Demo-kratien appellierende Nationalökonom Moritz Julius Bonn.

150 Jahre Dreikönigstreffen

Ein liberales Standardwerk

von Hugo Preuß

Friedrich von Payer

6 | 7

PaulskircheErst durch die politische, publizistische und parlamentari-sche „Schule“ des Vormärz wird klar, wie hartnäckig die Deut-sche Nationalversammlung 1848/49 in der Frankfurter Pau-lskirche ihre Ziele verfolgte. Mit ihrem liberalen Präsidenten, dem darmstädtischen Abgeordneten Heinrich von Gagern an der Spitze, verabschiedeten auch zahlreiche Delegierte aus Württemberg und Baden einen ersten Grundrechtskatalog und traten für eine deutliche Ausweitung des Wahlrechts auf alle männlichen Staatsbürger ein. Selbst wenn das Werk von 1848/49 schließlich am Widerstand des preußischen Königs scheiterte, so wirkten die liberalen Errungenschaften in der Gesellschaft fort und setzten Maßstäbe bis in die Diskussion der Verfassungen von 1919 und 1949.

ReichsgründungParallel zu den preußischen Liberalen, die 1861 in Berlin die Deutsche Fortschrittspar-tei gründeten und im Verfassungskonflikt den Ministerpräsidenten Otto von Bismarck attackierten, gründeten die liberalen Publizis-ten Karl Mayer, Julius Haußmann und Ludwig

Pfau 1864 in Stuttgart die Württembergische Volkspartei.In dieser Folge fand nur zwei Jahre später, 1866, das ers-

te Dreikönigstreffen in Stuttgart statt. Hier wurde verkündet, was dann im ersten Programm der Süddeutschen Volkspar-tei im Jahr 1868 unmissverständlich niedergelegt wurde: „Die Deutsche Volkspartei bekennt sich zu den demokrati-schen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit und verlangt die gleichartige Mitwirkung aller Staatsbürger bei Verfassung und Verwaltung“. Die dort aufgestellten Forderungen, „ver-antwortliche Ministerien und parlamentarische Regierung“, allgemeines direktes Wahlrecht, Vereins- sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit stellten die Grundüberzeugungen der Liberalen schon damals dar. Der Dreikönigstag „wurde zu ei-nem Ort, an dem sich Demokraten aus allen Regionen Würt-tembergs trafen und persönlich kennenlernten, sich über die politische Lage in ihren Gemeinden austauschten, die Aktivi-täten ihrer Parteigruppen erörterten und über das Geschehen in den Parlamenten Württembergs und des Reichs von ihren Abgeordneten informiert wurde. Sie diskutierten über Erfol-ge und Misserfolge, besprachen und beschlossen den politi-

Kapi

tel 1

Freiheit und Fortschritt als Tradition

„Die Deutsche Volks-partei bekennt sich zu den demokratischen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit und verlangt die gleichar-tige Mitwirkung aller Staatsbürger bei Ver-fassung und Verwal-tung“.

Karl Mayer, Julius Haußmann

und Ludwig Pfau

Karl von Rotteck

Page 6: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

die Verfassung nicht nur zu beachten, sondern sie mit Leben zu füllen, zu den stets wiederholten Wendungen in den Stutt-garter Dreikönigsreden.

Der Tübinger Rechtsprofessor Walter Erbe, wenig spä-ter einer der Mitgründer und erster Vorsitzender der Fried-rich-Naumann-Stiftung, mahnte am Dreikönigstag 1956: „De-mokratie ist eben nicht schon von Natur freiheitsfreundlich; Freiheit ist vielmehr in keiner Demokratie selbstverständlich und deshalb niemals ungefährdet. Der Liberalismus hat des-halb eine unvergängliche Sendung.“ Folgerichtig bezogen sich auch die Freiburger Thesen von 1971 auf die angloame-rikanische und deutsche Verfassungstradition seit dem spä-ten 18. Jahrhundert, die Freiheits- und Menschenrechte ver-heißen habe. Und Karl-Hermann Flach verkündete am Drei-königstag 1972 unbeirrbar die liberale Botschaft: „Wir stehen für die Freiheit in diesem Land. Die Zukunft der Freiheit ruht aber auf der Reformkraft des Systems.“

Die Liberalen verstehen sich bis heute als Verfassungs- und Rechtsstaatspartei schlechthin. Die Verfassung zu si-chern, erwies sich in der Bundesrepublik als Daueraufgabe. Angriffe auf die Verfassung gab es aus beiden großen Par-teien, vor allem aber von Verfassungsgegnern bei den politi-schen Extremisten. Als Schützer der Verfassung traten stets die liberalen Innen- und Justizminister von Hans-Dietrich Genscher bis Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf – sei es gegen Sicherheitsfanatiker, sei es gegen Terroristen. In den 1970er Jahren stellte Werner Maihofer völlig zu Recht die Freiheit über die Sicherheit. Gerhart Rudolf Baum bewahrte in der politischen Verarbeitung des „deutschen Herbstes“ nach 1977 die Grundrechte vor zu umfangreichen Einschrän-kungen. In den 1990er Jahren strengten er und Burkhard Hirsch Verfassungsklagen gegen den Aus-bau der staatlichen Überwachung an.

Für Freiheit und freiheitlich-liberale Po-litik – selbst „in schlechten Zeiten für Libe-rale“ – warb der FDP-Vordenker und lang-jährige Vorstandsvorsitzende der Fried-rich-Naumann-Stiftung, Ralf Dahrendorf (1929 – 2009), auf dem Dreikönigstreffen 1983. Nur wenige Wochen, nachdem die FDP die Koalition im Bund gewechselt hatte, forderte er: „Der Libe-ralismus ist die Politik der Selbstbewussten, derer, die eine

150 Jahre Dreikönigstreffen

„Wir stehen für die Freiheit in diesem Land. Die Zukunft der Freiheit ruht aber auf der Reformkraft des Systems.“

Werner Maihofer, Gerhart Baum

und Burkhard Hirsch

Walter Erbe

8 | 9

Die Ära des GrundgesetzesPolitische Praktiker wie Theodor Heuss (1884 – 1963) und Ideengeber à la Bonn sorgten nach dem Ende der national-sozialistischen Diktatur 1945 für eine Renaissance des poli-tischen Liberalismus. Dabei war sich Heuss auf dem ersten Dreikönigstreffen nach dem Krieg 1946 gar nicht sicher, ob man, angesichts der ruhmvollen Geschichte des Liberalis-mus im 19. Jahrhundert und dessen mutloser Niederlage 1933, das Wort „liberal“ überhaupt noch verwenden solle. Die liberalen Prinzipien und Werte hat der erste FDP-Bundesvor-sitzende als Mitglied des Parlamentarischen Rates bei den Beratungen des Grundgesetzes engagiert eingebracht und vehement durchgesetzt. Heuss stellte sich als einer der Ver-fassungsväter damit in die liberale Tradition von Dahlmann und Preuß.

Auch nach 1945 blieb es trotz der Umsetzung liberaler Positionen im Grundgesetz der Bundesrepublik ein wichtiger Auftrag der Freien Demokraten, die Beibehaltung der Bür-gerrechte sicherzustellen, auf ihre Einhaltung zu achten und für ihren Ausbau zu sorgen. Deshalb finden sich in den Re-den zum Dreikönigstreffen immer wieder Bemerkungen zum Thema „Verfassungsstaat“. Denn eine Verfassung – das war und ist liberale Überzeugung – muss von Demokraten mit Le-ben erfüllt und verteidigt werden. Deshalb gehören Appelle,

Kapi

tel 1

Freiheit und Fortschritt als Tradition

Max Weber, Soziologe und

Mitbegründer der DDP

Aufruf der DVP

zu Dreikönig 1946

Theodor Heuss

Page 7: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

150 Jahre Dreikönigstreffen

Damals wie heute:

Ein festlicher Rahmen

für Dreikönig

10 | 11

bessere Zukunft für sich und für andere wollen und die Kraft in sich spüren, diese auch zu schaffen. Jedenfalls gilt das für den aktiven, fortschrittlichen Liberalismus, dem ich hier das Wort rede. […].“

In der Tradition von Dahrendorf, Baum, Hirsch und Maiho-fer steht heute die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Bei den Debatten über den „Großen Lauschangriff“ trat sie in den 1990er Jahren mit dem Ziel an, den „massiven Abbau konstitutiver freiheit-lich-rechtsstaatlicher Garantien“ zu verhindern und damit einen Kernbestand der Verfassung zu schützen. Ganz ähn-lich argumentiert sie heute als Vorstandsmitglied der Fried-rich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in der aktuellen Dis-kussion um die Vorratsdatenspeicherung: „Vermeintliche Bedrohungen der inneren Sicherheit dürfen nicht zur Aus-höhlung von Grundrechten führen.“

Diese Aussagen führen eine liberale Tradition fort und setzen zugleich ein Zeichen: Seit mehr als 150 Jahren treten Liberale für den Erhalt des freiheitlich-demokratischen Ver-fassungsstaates ein – ohne Wenn und Aber, heute und in der Zukunft und immer für alle sichtbar an Dreikönig.

Kapi

tel 1

Freiheit und Fortschritt als Tradition

Ralf Dahrendorf

Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger

Page 8: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

Diese Aussage war insofern bemerkenswert, als damit ein zentrales Ziel der Partei, nämlich der „auf Freiheit gegründete Bundesstaat sämtlicher deutschen Stäm-

me“ nur im Einklang mit den Nachbarnationen, nicht aber ge-gen sie realisiert werden sollte.

Diese Auffassung teilten längst nicht alle Liberalen, als um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Gründung eines deutschen Nationalstaats anstand. Der Weg zur Einigung der Nati-on unter der Führung Bis- marcks war alles andere als friedlich. Es waren vor al-lem zwei württembergische Parlamentarier, die noch vor dem großen Weltbrand 1914 die Initiative zu Verständi-gung mit Frankreich ergrif-fen. Conrad Haußmann und Friedrich Naumann waren die prominentesten Mitglie-der einer Reichstagsdelega-tion, die Pfingsten 1914 in Basel mit französischen Kol-legen die Möglichkeiten einer Entspannung zwischen den „Erbfeinden“ ausloteten – leider vergeblich. Wenige Wochen später brach der bis dahin blutigste Krieg in der

150 Jahre Dreikönigstreffen

„Die Volkspartei ist eine Partei des Friedens (…) und wird daher alle Bestrebungen unterstützen, welche auf friedliche Ausgleichung der zwischen den einzelnen Völkern entstehenden Streitigkeiten abzielen.“

Friedrich Naumann

Conrad Haußmann

12 | 13Ka

pite

l 2

Für einen Friedens- und Freiheitsbund der Völker – liberale Außenpolitik seit dem 19. Jahrhundert

Freiheit und Fortschritt als Tradition

Page 9: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

nung mit den Nachbarn. Bereits auf dem Dreikönigstreffen 1946 sprach Theodor Heuss nicht nur von „Schwaben“ als dem „Modell deutscher Möglichkeiten“, sondern auch davon, „dass das deutsche Vaterland in uns und durch uns lebendig bleibt“.

WiederaufbauZwei Jahre später erntete Reinhold Maier an gleicher Stelle stürmischen Applaus für seinen Aufruf an die Parteifreunde: „Erneut ziehen wir hinaus, um Deutschland zu suchen und in ihm Einigkeit und Recht und Freiheit. Möge ein guter Gott uns helfen, dass wir unser Vaterland wiederfinden!“ Maier förder-te als Ministerpräsident trotz heftiger Widerstände von kon-servativer Seite auch seinen Landsmann Karl-Georg Pfleide-rer, der als liberaler Bundestagsabgeordneter bereits Anfang der 1950er Jahre ein System kollektiver Sicherheit unter Ein-schluss der Sowjetunion konzipiert hatte.

Noch allerdings hatte auch für die Freien Demokraten die Aussöhnung mit dem Westen Vorrang. Ihr Hauptaugenmerk galt dabei, Westintegration und Wiedervereinigung in Ein-klang zu bringen. Die Zukunft des Saarlandes führte schließ-lich sogar zum Bruch mit dem Bonner Koalitionspartner CDU / CSU, der aus Rücksicht auf Frankreich eine Europäisie-rung dieser Region anstrebte. Den Widerstand dagegen hatte der FDP-Vorsitzende Thomas Dehler beim Dreikönigstreffen 1955 verkündet, indem er beschwor, nicht nur die Deutschen,

150 Jahre Dreikönigstreffen

„Erneut ziehen wir hinaus, um Deutsch-land zu suchen und in ihm Einigkeit und Recht und Freiheit. Möge ein guter Gott uns helfen, dass wir unser Vaterland wie-derfinden!“

Karl-Georg Pfleiderer

Reinhold Maier

14 | 15

Menschheitsgeschichte aus. Doch mit der Initiative war eine Saat ausgelegt, die langfristige Folgen hatte. Haußmann und Naumann gehörten bald darauf zu den eifrigsten Verfechtern eines Verständigungsfriedens, für den im Juli 1917 auch der Reichstag mehrheitlich votierte, allerdings ohne damit durch-zudringen.

Rapallo und LocarnoNach dem Kriegsende und vor allem nach dem Friedens-schluss von Versailles schienen zunächst alle Ansätze einer Verständigungspolitik versandet. Wiederum war es ein Libe-raler, der die Idee – unter schwierigen Bedingungen – erneut aufgriff: Walther Rathenau begann eine kluge wie mutige Ver-ständigungspolitik, mit der er Deutschland wieder einen Platz in der internationalen Gemeinschaft verschaffen wollte. Für seine mutige Politik musste der Außenminister Rathenau mit seinem Leben bezahlen. Im Juni 1922 wurde er von Rechts-extremisten ermordet. Kurz zuvor hatte er noch in anderer Hinsicht neue Perspektiven aufgezeigt: Sein Name stand un-ter dem deutsch-russischen Vertrag von Rapallo, mit dem Russland die Rückkehr in die Welt der internationalen diplo-matischen Beziehungen eröffnet wurde.

Rathenaus Ansätze wurden bald danach von einem Mann fortgeführt, der anders als dieser, als Haußmann und Naumann, gerade nicht in einer linksliberalen, volksparteili-chen Tradition stand, sondern zunächst den Nationallibe-ralen angehörte. Gustav Stresemann machte ab 1923 die deutsch-französische Verständigung zu seinem Marken-zeichen. Mit dem Vertrag von Locarno gelang ihm 1925 ein erster Schritt zu einem gemeinsamen Wiederaufbau des kriegsgeschundenen Europa. Zusammen mit seinem fran-zösischen Amtskollegen Aristide Briand wurde er dafür 1926 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Doch auch diese vielversprechenden Ansätze einer liberalen Verständigungs-politik waren vergebens, die ideologische Verblendung vie-ler Deutscher stürzte die Welt in einen noch blutigeren Welt-krieg und in die Schrecken von NS-Terror und Holocaust. An dessen Ende schien sogar der große liberale Traum des 19. Jahrhunderts, die geeinte Nation, verspielt. Seit 1945 beweg-te sich die außenpolitische Konzeption der Liberalen gewis-sermaßen wieder auf den 1868 von der Volkspartei vorgege-benen Bahnen: Wiedergewinnung der Einheit und Aussöh-

Freiheit und Fortschritt als TraditionKa

pite

l 2

Walther Rathenau

Gustav Stresemann

Page 10: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

diese öffneten „das Tor für grundlegende Veränderungen in Europa, auch für ein neues Verhältnis zwischen West und Ost“, wie sich Genscher später erinnerte. Vor allem erhofften er und die Liberalen sich davon „nicht zuletzt eine Verbesse-rung der Lage der Menschen im geteilten Deutschland“, wie Genscher auf dem Dreikönigstreffen 1977 erklärte.

Unter seiner Führung haben die Liberalen an den zentra-len Ideen der KSZE festgehalten, auch wenn der Nato-Dop-pelbeschluss von 1979 hierzu umgesetzt werden musste. Beständigkeit und Berechenbarkeit wurden unter Hans-Die-trich Genscher zum dauerhaften Markenzeichen deutscher Außenpolitik, ungeachtet des Koalitions- und Kanzlerwech-sels von 1982 und von Krisen im West-Ost-Verhältnis wie der Afghanistan- oder der Stationierung von Mittelstreckenwaf-fen im Rahmen des Nato-Doppelbeschlusses.

Diese Ausdauer zahlte sich in einer für viele überraschen-den Weise aus, auch weil Hans-Dietrich Genscher ein gro-ßes Gespür für die sich bietenden Chancen hatte. Eine sol-che stellte für ihn von Anfang an Michael Gorbatschow dar, dessen Reformpolitik in der Sowjetunion er seit Anfang 1987 „ernst zu nehmen“ nachdrücklich forderte. 1989 warnte Gen-scher beim Dreikönigstreffen in Anlehnung an den berühmten russischen Dissidenten Andrej Sacharow: „Der Westen muss ein Scheitern Gorbatschows mehr fürchten als seinen Erfolg.“

Freiheit und Einheit im europäischen KontextWas folgte, gilt als große „Sternstunde der Diplomatie“ und Zeitenwende in Europa. Innerhalb von zwei Jahren gewan-nen auch die Menschen in Ost-Europa ihre Freiheit. Der libe-rale Außenminister war maßgeblich daran beteiligt, dass die deutsche Nation wiedervereinigt werden konnte, ohne ihre

„Der Westen muss ein Scheitern Gorbatschows mehr fürchten als seinen Erfolg.“

Hans-Dietrich Genscher auf

dem Dreikönigstreffen

16 | 17

sondern auch die westlichen Nachbarn hätten „die deutsche Wiedervereinigung als Verpflichtung“ anerkannt.

Mit dem überraschenden Ausgang der Volksabstimmung an der Saar setzten sich die Liberalen durch und waren mit der Umwandlung des Saarlandes zum zehnten Bundesland ihrer „Pflicht … aus dem deutschen Volk wieder eine Nation zu machen“ – wie Reinhold Maier bei seiner Wahl zum FDP-Vor-sitzenden erklärte – ein gutes Stück nachgekommen. Zu-gleich lieferten sie mit der „kleinen Wiedervereinigung“ von 1957 einen wichtigen Beweis dafür, dass die liberale Utopie eines in Freiheit geeinten Deutschlands mit der europäischen Stabilität vereinbar war, denn unmittelbar danach begann der von den Freien Demokraten unterstützte erfolgreiche Pro-zess zur institutionellen Integration (West-)Europas.

EntspannungDoch die Liberalen verloren darüber nicht den Osten aus dem Blick. So setzten sie, als sie ab 1961 wieder mitregierten, dem Berliner Mauerbau mit den Passierscheinregelungen neue Wege bei der Wiederannäherung der Deutschen in Ost und West entgegen. Wirklicher Schwung zu einer neuen Deutsch-land- und Ostpolitik kam aber erst auf, als die Freien Demo-kraten ab 1969 mit Walter Scheel den Außenminister stellten. Jetzt konnten wirkliche Fortschritte im Sinne der alten Kon-zeption von Pfleiderer entwickelt werden. Schon im ersten Jahr der neuen sozialliberalen Regierung wurden die wegwei-senden Verträge zwischen der Bundesrepublik und der So-wjetunion, respektive Polen, abgeschlossen. Auf dem Drei-königstreffen 1971 verteidigte sie Walter Scheel gegen har-sche Kritik von rechts als gesamteuropäischen Fortschritt: „So sehr unsere Ostpolitik auf der politischen Integration und engen freundschaftlichen Beziehung zu unseren west-lichen Nachbarn beruht, so sehr hängt eben jene politische Vereinigung Westeuropas von der Beseitigung unserer Span-nungsquellen mit Osteuropa ab.“ Die ganze Dimension dieser Veränderung wurde aber erst allmählich sichtbar. Ein wichti-ger Schritt war 1975 der Abschluss der KSZE-Akte. Als trei-bende Kraft bei Zustandekommen und Durchführung der „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ galt Scheels Nachfolger als FDP-Vorsitzender und Außenmi-nister, Hans-Dietrich Genscher. Er war einer der wenigen, die die Dynamik in den KSZE-Vereinbarungen erkannten. Denn

Freiheit und Fortschritt als Tradition

„So sehr unsere Ost-politik auf der politi-schen Integration und engen freundschaft-lichen Beziehung zu unseren westlichen Nachbarn beruht, so sehr hängt eben jene politische Vereinigung Westeuropas von der Beseitigung unserer Spannungsquellen mit Osteuropa ab.“

Kapi

tel 2

Page 11: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

150 Jahre Dreikönigstreffen

Ein großer Moment liberaler Politik:

Die Unterzeichnung des

Zwei-plus-Vier-Vertrages am

12. September 1990 in Moskau

18 | 19Freiheit und Fortschritt als TraditionKa

pite

l 2

Page 12: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

welle gegenüber militärischen Interventionen, etwa in Libyen. Die spätere Entwicklung dort sollte seine Zurückhaltung trotz zunächst heftiger Kritik bestätigen. Dagegen unterstützte der liberale Außenminister überall Ansätze zu mehr Demo-kratie und Freiheit, sei es im Zuge der „Arabellion“, die viele Staaten südlich und östlich von Europa erfasste, sei es in der Ukraine. Er ließ es sich nicht nehmen, vor Ort seine Sympa-thie mit den demokratischen Bewegungen in diesen Ländern demonstrativ zu bekunden. Und er setzte der um sich grei-fenden Europa-Skepsis in der Tradition seiner liberalen Amts-vorgänger eine betont „pro-europäische“ Position entgegen.

Am Ende von Westerwelles Amtszeit 2013 schien der von der Volkspartei 1868 beschworene „Friedens- und Freiheits-bund der Völker“ kein nur auf Europa und Nordamerika be-schränktes Phänomen mehr zu sein. An dieser Entwicklung hatten die liberalen Außenpolitiker seit der Kaiserzeit, vor al-lem durch das Werk der freidemokratischen Außenminister seit 1969 einen maßgeblichen Anteil.

150 Jahre Dreikönigstreffen 20 | 21

Bindungen an den Westen aufgeben zu müssen. Im Gegen-teil, diese intensivierten sich danach erheblich, indem fast gleichzeitig ein Fahrplan für eine „Europäische Wirtschafts- und Währungsunion“ verabschiedet wurde. Mit dem 3. Ok-tober 1990 war der alte liberale Traum von einer in Freiheit geeinten und im Einklang mit Europa stehenden deutschen Nation endlich wahr geworden. Die Richtigkeit der liberalen Verständigungspolitik hatte sich glänzend bestätigt.

Die Zeitenwende der Jahre 1989/90 schuf neue Heraus-forderungen an eine liberale Außenpolitik. Auch hier waren Freiheit und Verständigung die Leitlinien der Hans-Dietrich Genscher im Außenministerium nachfolgenden Liberalen Klaus Kinkel und Guido Westerwelle. Allerdings war die Welt seit dem Ende des Kalten Krieges mit innereuropäischen Konflikten wie den Folgen des Verfalls Jugoslawiens sowie immer stärkeren Unruhen in den vom Islam geprägten Re-gionen sehr viel „unübersichtlicher“ geworden. Klaus Kinkel setzte vor diesem Hintergrund als Außenminister auf „eine präventive Politik“, wie er beim Dreikönigstreffen 1995 erklär-te. Damit verband sich für ihn einerseits der Dialog mit wichti-gen Ländern wie dem Iran und der Volksrepublik China, auch wenn sie in Sachen Demokratie und Menschenrechte große Defizite aufwiesen. An gleicher Stelle verteidigte Kinkel die-sen Kurs, weil nur so eine Welt entstehe, „die sich öffnet und nicht verschließt“. Gleichzeitig unterstützte er „friedenserhal-tende und friedensschaffende UN-Missionen“ etwa auf dem Balkan mit deutschen Kräften. Zu Kinkels Zeit im Auswärti-gen Amt wurden für Europa wichtige Fortschritte durch eine doppelte Weichenstellung erzielt: Die Osterweiterung der Eu-ropäischen Gemeinschaft wurde vorbereitet, die dann 2004 in Kraft trat. Erst seitdem kann man von einer wirklich euro-päischen Gemeinschaft sprechen. Parallel dazu wurden die Beziehungen vor allem zwischen den klassischen Mitglieds-staaten in West- und Mitteleuropa vertieft, was seinen Aus-druck in der Einführung einer gemeinsamen Währung fand.

Als neuer Außenminister stellte sich Guido Westerwelle beim Dreikönigstreffen 2010 ganz und gar in die Kontinuität seiner drei freidemokratischen Vorgänger und gab die Maxi-me aus, in der das Gründungsprogramm der Süddeutschen Volkspartei anklang: „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspo-litik, sie ist interessengeleitet, aber sie ist ausdrücklich auch wertorientiert.“ Entsprechend umsichtig verhielt sich Wester-

Freiheit und Fortschritt als TraditionKa

pite

l 2

„Deutsche Außenpoli-tik ist Friedenspolitik, sie ist interessenge-leitet, aber sie ist aus-drücklich auch werto-rientiert.“

Klaus Kinkel

Guido Westerwelle

Page 13: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

Als sich vor 150 Jahren die Liberalen in Württemberg zum ersten Mal am Dreikönigstag trafen, strebte die Krise zwischen den Großmächten Preußen und Öster-

reich gerade dem Höhepunkt entgegen; im Sommer kam es zum deutsch-deutschen Bruderkrieg. Bekanntlich kurbeln be-vorstehende Kriege die Rüstungsproduktion an. Aber weit über die Rüstung hinaus befand sich das in den folgenden Jahren entstehende Deutsche Reich zu großen Teilen ein noch zusammenwachsender Wirtschaftsraum bis 1873 in einer Phase der Hochkonjunktur. Das Wirtschaftsprogramm der Liberalen lautete: Wachstum durch Freihandel, Gewerbe-freiheit und Industrialisierung. Deutschland wandelte sich in den Jahrzehnten nach 1870 von einem Agrar- zu einem In-dustriestaat.

Die Liberalen im Reichstag und in den Landtagen ha-ben während des gesamten 19. und beginnenden 20. Jahr-hunderts den Fortschritt ermöglicht. Die erste Partei in Deutschland war eine liberale und hieß nicht zufällig „Deut-sche Fortschrittspartei“. Und im Programm der Süddeut-schen Volkspartei hieß es 1895 im allerersten Satz wörtlich: „Die Deutsche Volkspartei ist eine Partei des politischen Fort-schritts.“ Liberale haben das Wachstum in der Wirtschaft und die Weiterentwicklung in Forschung und Technik stets einhellig erkannt und gutgeheißen. In vieler Hinsicht betätig-ten sich Liberale auch selbst als Motoren der beginnenden Moderne: als Unternehmer, als Bankiers oder als selbststän-dige Handwerker. Sie plädierten vehement für den Freihandel und die Abschaffung von Zöllen. Der Aufbau und Ausbau des Deutschen Zollvereins nach dessen Gründung 1834 wurde insbesondere von den Liberalen gefordert und gefördert.

Das änderte sich erst unter Bismarcks Kanzlerschaft und angesichts der abflauenden Konjunktur. Nun spalteten sich die Nationalliberalen, die sich in dieser Frage uneins waren, in einen schutzzöllnerischen und einen freihändlerischen Flü-gel, der mit der Fortschrittspartei zum Freisinn verschmolz. Dieser führte die liberale Tradition des Freihändlertums fort. So lautete eine Kernpassagen im Wahlaufruf der Freisinnigen

150 Jahre Dreikönigstreffen 22 | 23Ka

pite

l 3

„Für das Wagnis des Wandels“ – Das liberale Fortschrittsversprechen

Freiheit und Fortschritt als Tradition

Page 14: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

schen Volkspartei: „Die Wirtschafts-, Handels- und Zollpo-litik muss auf die Lebensnotwendigkeiten und die gesunde Entwicklung der Industrie sorgfältige Rücksicht nehmen.“ Dass zu einer friedlichen Koexistenz der internationale Wirt-schafts- und Handelsraum gehörte, war indes für Liberale je-der Couleur in der Weimarer Zeit unstrittig. So sah es auch der liberale Nationalökonom Moritz Julius Bonn. Von Frieden, Freihandel und internationaler Koexistenz war unter der Herr-schaft des NS-Unrechtregimes keine Rede mehr. Für 13 Jahre wurde die Tradition des liberalen Dreikönigstreffens nach dem 6. Januar 1933 unterbrochen, bevor man sich 1946 erstmals wieder versammeln konnte.

Die liberalen Parteien schlossen sich 1948 in Heppenheim zur FDP zusammen. Unter ihrem ersten Vorsitzenden Theodor Heuss entstand 1948 mit der Heppenheimer Proklamation eine erste Programmatik der FDP: „Selbstverantwor-tung und Achtung vor der Menschenwürde aller sollen die Lebensordnung für Volk und Welt be-stimmen. Dies ist der Weg zu Freiheit, Frieden und Sicherheit für Deutschland in einem geein-ten Europa“, heißt es darin. Und: „Der Außen-handel [muss] von allen bürokratischen Fesseln befreit“ werden. Ein Jahr später wurde Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten der Bun-desrepublik Deutschland gewählt. Er verkör-perte die freiheitlich-demokratischen Traditio-nen Deutschlands und prägte damit das höchs-te Amt der noch jungen Republik – mit großem Erfolg auf internationaler Ebene, in einer Zeit, in der Deutschland um Vertrauen warb und seinen Platz in der Staatengemeinschaft suchte. Der Weg zurück in die freie Welt war eine wesentliche Vorausset-zung dafür, dass die Soziale Marktwirtschaft beginnen und gelingen konnte.

Fortschritt durch Vernunft 1971 haben die Freiburger Thesen die liberale Politik insge-samt, aber auch das liberale Fortschrittsversprechen um eine qualitative Dimension ergänzt. Die „These 2: Liberalis-mus nimmt Partei für Fortschritt durch Vernunft“ beschreibt, dass ein voraussetzungsloser Fortschritt nicht denkbar ist.

150 Jahre Dreikönigstreffen

Plakat zum

Zusammenschluss zur FDP

24 | 25

Vereinigung von 1893: „Wir wollen durch eine Fortführung der Politik der Handelsverträge unsere friedlichen Beziehungen zum Auslande befestigen und dem gesamten wirtschaftli-chen Leben durch Erschließung neuer Märkte einen neuen Aufschwung geben. Wir wollen dem neidischen und kleinli-chen Geist polizeilicher Bevormundung entgegentreten, der mit unberechtigtem Misstrauen dem Handel und Wandel en-ge Fesseln anzulegen sucht.“

Wachsende Städte Auch der Liberalismus in den Städten und Gemeinden, der sogenannte Kommunalliberalismus, zeigte eine überaus po-sitive Haltung zum städtischen Wachstum und zur Bewäl-tigung der damit einhergehenden Probleme zur Sicherung des Gemeinwohls. Wohlstand nach innen bedeutete für viele im Kommunaldienst aktive Liberale, in den Städten und Ge-meinden für die sogenannten Daseinsvorsorge einzutreten. Die in vielen Kommunalvertretungen deutscher Groß- und Mittelstädte dominierenden liberalen Parteien und Bürokra-tien bewältigten das Städtewachstum durch Infrastruktur-maßnahmen vielfältigster Art: Ausbau des Bildungswesens, Aufbau eines Verkehrsnetzes, Elektrifizierung, Kanalisierung, Gesundheits- und Sozialfürsorge. Hier vor Ort bewährte sich nunmehr die von den Liberalen stets geforderte kommunale Selbstverwaltung, welche die subsidiär vom Staat abgetrete-nen Arbeitsgebiete übernahm und praktikable Lösungen ent-wickelte. Das Programm der Süddeutschen Volkspartei von 1868 setzte mit der Förderung von Genossenschaften und Handwerkervereinigungen zudem auf bürgerschaftliches En-gagement, statt nach staatlichen Lösungen zu rufen.

Internationale KoexistenzIn der Tradition von Freihandelspolitik sowie kommunalem und gesellschaftlichem Krisenmanagement standen auch viele liberale Forderungen und Maßnahmen in der Zeit der Weimarer Republik. Fortschritt im Sinne allgemeiner „Volks-wohlfahrt“ – so lautete die allgemeine Formel bei beiden li-beralen Parteien – bedeute einen gerechten Interessenaus-gleich. Freie Selbstverantwortlichkeit, so war im Programm der Deutschen Demokratischen Partei zu lesen, müsse ge-fördert, aber auch da begrenzt werden, wo sie zu Missbrauch führe. Deutlich weniger eingeschränkt klang es bei der Deut-

Freiheit und Fortschritt als TraditionKa

pite

l 3

„Wir wollen durch eine Fortführung der Politik der Handelsverträge unsere friedlichen Beziehungen zum Auslande befestigen und dem gesamten wirtschaftlichen Leben durch Erschließung neuer Märkte einen neuen Aufschwung geben. Wir wollen dem neidischen und kleinli-chen Geist polizeilicher Bevormundung ent-gegentreten, der mit unberechtigtem Miss-trauen dem Handel und Wandel enge Fesseln anzulegen sucht.“

DDP Wahlplakat

Page 15: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

schluss der Transatlantischen Handels- und Investitionspart-nerschaft (TTIP) zu werben: Mit konstruktiven Vorschlägen, auf der Höhe der Zeit und mit Blick in die Zukunft. Auf dem Dreikönigstreffen 2015 formulierte Christian Lindner: „Viele Debatten offenbaren für mich eine Art Sinnkrise des Westens. Auch die Diskussion über den transatlantischen Freihandel. AfD und Linke sagen ‚Nein‘, die Regierung ringt sich zu einem ‚Ja, aber‘ durch. Was für eine Kurzsichtigkeit angesichts der Verschiebung der Gewichte der Weltwirtschaft in den asiati-schen Raum. Wie kurzsichtig, da wir Europäer heute bald nur noch fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Deshalb ein klares ‚Ja‘ zum Freihandel mit Nordamerika, weil er neue Wachstumschancen eröffnet, weil er die Möglichkeit bietet, weltweit beachtete Sozial- und Umweltstandards zu definie-ren – es macht sonst China.“

Die „Welt 4.0“, die digitale Zukunft von Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeit bietet das perfekte Spielfeld für eine Neuinterpretation des liberalen Fortschrittsversprechens: ei-ne Gesellschaft, die sich ganz selbstverständlich zur Com-munity vernetzt; Arbeit, die für viele unabhängig von Ort und Zeit erbracht werden kann.

150 Jahre Dreikönigstreffen

Christian Lindner

26 | 27

Bildquellen:Seite 4: Brüder Grimm-Gesellschaft, Kassel, Seite 5: ADL, Seite 6: ADL (Rotteck, Mayer), Stadtarchiv Stuttgart (Haußmann, Pfau), Seite 7: ADL (Buchtitel), Stadtarchiv Stuttgart (Payer), Seite 8: ADL (Weber), Seite 9: ADL, S.10: J. H. Darchinger, Nutzungsrecht FNF (Dahrendorf), FNF (Leutheusser-Schnarrenberger), Seite 11: HStA Stuttgart, Seite 12: J.H. Darchinger, Nutzungsrecht FNS, Seite 13: ADL  (Naumann), HStA Stuttgart (Haußmann), Seite 14: ADL, Seite 15: ADL, Seite 17: ADL, Seite 18: J.H. Darchinger, Nutzungsrecht FNF, Seite 20: ADL (Kinkel), FDP (Westerwelle), Seite 22: ADL, Seite 24: ADL, Seite 25: ADL, Seite 26: J.H. Darchinger, Nutzungsrecht FNF, Seite 27: FDP (Lindner), Seite 28: HStA Stuttgart

150 Jahre Dreikönigstreffen zeigen eine klare pro-grammatische Linie liberaler Politik: Mit Offenheit und Optimismus die technologischen Chancen und den Fortschritt nutzten und dem Menschen in seiner Verantwortung stärken und vertrauen.

Denn Fortschritt, das ist nicht nur etwas Abstrakt-Technolo-gisches. Es ist auch etwas sehr Persönliches, etwas Individu-elles: Das liberale Fortschrittsversprechen. Für den Einzelnen liegt hier das Potential für die Verwirklichung von Chancen. Ohne Befähigung aber bleibt das Fortschrittsversprechen ei-ne bloße Möglichkeit.

Offenheit, Fortschritt, das Wagnis des Wandels wagen – dazu bekennt sich der Politische Liberalismus seit den An-fängen und bis heute. Die Freidemokraten wollen bewegen: Ideen, Menschen, Waren, Dienstleistungen – in Deutschland, in Europa und weltweit – auf Straßen, in Datenleitungen oder Wireless – in fairen und funktionierenden Ordnungssyste-men.

Besonders der liberale Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff setzte sich für den Freihandel ein und betonte dessen moralische Dimension. In seiner Rede auf dem Ber-lin-Meeting der Friedrich-Naumann-Stiftung wies er 1995 auf den Zusammenhang von Imperialismus und Protektio-nismus hin: „In der Tat verdanken wir der Freihandelsbewe-gung des 19. Jahrhunderts wohl überhaupt die ersten mora-lischen Zweifel am Imperialismus.“ Zur moralischen Verurtei-lung des Imperialismus gehört die Vernichtung seiner Basis durch Freihandel.

Freihandel aus ÜberzeugungWenn heute der Abschluss moderner Freihandelsabkommen in Rede steht, können sich die Freidemokraten auf ihre lange Tradition besinnen. Freidemokraten fällt es leicht, für den Ab-

Freiheit und Fortschritt als TraditionKa

pite

l 3

„In der Tat verdanken wir der Freihandels-bewegung des 19. Jahrhunderts wohl überhaupt die ersten moralischen Zweifel am Imperialismus.“

Otto Graf Lambsdorff

Page 16: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

Dreikönigstreffen 1928

Freiheit und Fortschritt als TraditionKa

pite

l 3

Page 17: PDF-Download bei der Friedrich-Naumann-Stiftung · Dr. Wolfgang Gerhardt Vorsitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ... den Ministerpräsidenten

www.freiheit.org