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Perforationsdeckung und Wurzelkanalbehandlung eines Unterkiefermolaren Allgemeinmedizinische Anamnese Allergien: Penicillin Medikamente: z.Zt. Clindamycin seit 5 Tagen Spezielle Anamnese Der Patient wurde von seinem Hauszahnarzt mit der Bitte um Weiterbehandlung des Zah- nes 36 überwiesen. Es bestanden persistierende Beschwerden nach Trepanation und medikamentöser Wurzelkanaleinlage. Klinischer Befund Klinisch zeigte sich suffiziente Kronenversorgung der Zähnen 35, 36 und 37. Die Son- dierungstiefen waren vestibulär des Zahnes 36 erhöht (5 mm) und der BOP war positiv. Die Furkation war von vestibulär sondierbar (Grad I). Es zeigte sich eine Stilmann-Spal- te im Bereich der leicht geschwollenen vestibulären Gingiva (Abb.3). Die Perkussions- probe war positiv. Zahn 37 reagierte sensibel auf Kältereize, die Zähne 35 und 36 rea- gierten nicht. Abb.1: OPG

Perforationsdeckung und Wurzelkanalbehandlung eines ... · Diagnose Parodontitis apicalis Zahn 36. Zustand nach begonnener Wurzelkanalbehandlung alio loco mit Verdacht auf Perforation

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Perforationsdeckung und Wurzelkanalbehandlung eines Unterkiefermolaren

Allgemeinmedizinische Anamnese

Allergien: Penicillin

Medikamente: z.Zt. Clindamycin seit 5 Tagen

Spezielle Anamnese

Der Patient wurde von seinem Hauszahnarzt mit der Bitte um Weiterbehandlung des Zah-

nes 36 überwiesen. Es bestanden persistierende Beschwerden nach Trepanation und

medikamentöser Wurzelkanaleinlage.

Klinischer Befund

Klinisch zeigte sich suffiziente Kronenversorgung der Zähnen 35, 36 und 37. Die Son-

dierungstiefen waren vestibulär des Zahnes 36 erhöht (5 mm) und der BOP war positiv.

Die Furkation war von vestibulär sondierbar (Grad I). Es zeigte sich eine Stilmann-Spal-

te im Bereich der leicht geschwollenen vestibulären Gingiva (Abb.3). Die Perkussions-

probe war positiv. Zahn 37 reagierte sensibel auf Kältereize, die Zähne 35 und 36 rea-

gierten nicht.

Abb.1: OPG

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Abb.2: Ausgangsröntgenbild

Abb.3: Klinische Ausgangssituation

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Röntgenologischer Befund

Röntgenologisch zeigt sich ein generalisierter horizontaler Knochenverlust. Zahn 36 weist

eine interradikuläre sowie eine apikale Osteolyse der mesialen Wurzel auf (Abb.1 und 2).

Der Pulpakammerboden ist im Bereich der Furkation nicht durchgängig darstellbar

(Abb.2). Zahn 35 ist mit einer suffizienten Wurzelkanalfüllung und einem Stiftaufbau ver-

sorgt. Der Periapikale Bereich des Zahnes 35 stellt sich unauffällig dar.

Diagnose

Parodontitis apicalis Zahn 36. Zustand nach begonnener Wurzelkanalbehandlung alio

loco mit Verdacht auf Perforation im Bereich des Pulpakammerbodens. Differentialdiag-

nose: Fraktur

Therapieplan

Aufklärung über das Vorgehen und die Risiken einer Wurzelkanalbehandlung, sowie

den Verdacht der Perforation.

Therapie

1. Sitzung:

- Anlegen von Kofferdam

- Entfernung der provisorischen Füllung

- Desinfektion der Pulpakammer mit Natriumhypochlorit (3%)

- Darstellung der Perforation (Abb.4)

- Perforationsdeckung mit MTA (Abb.5)

- Provisorische bakteriendichter Verschluss mit Coltosol und Komposit

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Abb.4: Klinische Situation. Dastellung der vestibulär gelegenen Perforation des Pulpa-

kammerbodens

Abb.5: Perforationsdeckung mit MTA

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2.Sitzung (20 Tage später):

Besserung der Schmerzsymptomatik. Guter Heilungsverlauf der vestibulären Gingiva

- Anlegen von Kofferdam

- Elektrometrische Arbeitslängenbestimmung

- Maschinelle Aufbereitung der Wurzelkanäle

- Masterpointaufnahme (Abb.6)

- Spülung der Wurzelkanäle mit EDTA (17%), Natriumhypochlorit (3%) und CHX

(2%)

- Trocknung der Wurzelkanäle mit Papierspitzen

- Wurzelfüllung mittels vertikaler Kompaktion von Guttapercha und AHPlus

- Abschlussröntgenbild (Abb.7)

- Vorbehandlung der Krone mit Cojet und Silan

- Kompositfüllung

Abb.6: Masterpointaufnahme

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Abb.7: Röntgenologische Kontrolle der Wurzelfüllung

Technische Daten der Wurzelkanalbehandlung

Kanal Länge MAF

mb 19 mm .06/30

ml 19 mm .06/30

d 18 mm .06/35

3.Sitzung (15 Monate später):

- Klinische und Röntgenologische Nachkontrolle (Abb.8+9)

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Abb.8: Röntgenologische Nachkontrolle (nach 15 Monaten)

Abb.9: Klinische Situation bei der Nachkontrolle (nach 15 Monaten)

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Epikrise

Bei persistierenden Beschwerden nach begonnener Wurzelkanalbehandlung und mehr-

fachen Medikamentenwechseln stellt die Fokussuche eine besondere Herausforderung

dar. In diesem Fall war klinisch eine Stillmann-Spalte vestibulär des betroffenen Zahnes

sichtbar. Diese Veränderung, die bedingt durch eine Irritation der Gingiva entstehen

kann, wird häufig als Vorstufe einer Rezession beschrieben (Baker & Seymour 1976).

Die Gingiva war gerötet und die Sondierungstiefe war erhöht. Vestibulär lag ein Furkati-

onsgrad I vor. Rezessionen an benachbarten Zähnen bestanden nicht. Aufgrund der

klinischen Befunde wurde als Differntialdiagnose eine Fraktur des Zahnes in Betracht

gezogen (Tamse et al. 1999). Die Veränderung trat jedoch nach Aussage des Patienten

zeitlich korreliert mit der begonnen Wurzelkanalbehadlung auf. Erstmalig beobachtetet

er die Veränderung am Zahnfleisch einige Tage nach der ersten Behandlungssitzung.

Im Ausgangsröntgenbild zeigte sich jedoch eine zentral im Pulpakammerboden gelege-

ne Aufhellung, die distal der mesialen Wurzelkanaleingänge lag. Als Folge von Perfora-

tionen kann es zu einer Entzündung des umliegenden Parodonts und dadurch, wie in

diesem Fall, zu hohen Sondierungstiefen kommen (Lantz & Persson 1967). Nach Ent-

fernung des provisorischen Verschlusses konnte der Verdacht einer Perforation bestä-

tigt werden. Perforationen im Bereich der Furkation treten zumeist beim Anlegen der

endodontischen Zugangskavität oder bei der Suche nach verlegten Wurzelkanalein-

gängen auf. Insbesondere bei starken Kalzifizierungen der Pulpakammer, wie sie bei-

spielsweise nach einem Trauma oder nach Dentikelbildung zu beobachten sind, gestal-

tet sich die Darstellung des gesamten Pulpakavums oft schwierig (Krasner & Rankow

2004). Die Prognose von perforierten Zähnen ist unter anderem abhängig von der Grö-

ße der Perforation und dem Zeitraum bis zur Versorgung (Bogaerts 1997). Generell

lässt sich sagen, dass die Prognose von endodontischen Primärbehandlungen bei Vor-

liegen einer Perforation um ca. 15% reduziert ist (de Chevigny et al. 2008). Bei nicht

zeitnaher und adequater Behandlung kann es jedoch auch zum Verlutst des jeweiligen

Zahnes kommen (Meister et al. 1979). Die Verwendung von MTA zur Deckung von Per-

forationen zeigt klinisch im Allgemeinen gute Ergebnisse (Main et al. 2004, Pace et al.

2008). Die Behandlung von Perforationen im Furkationsbereich stellt jedoch eine be-

sondere Herausforderungen dar. Noetzel et al. (2006) haben zum Beispiel in einer his-

tologischen Studie nach 12 Wochen in der Mehrzahl der Fälle Entzündungen im Be-

reich des applizierten MTA nachgewiesen. Die Versorgung von weiter apikal gelegenen

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Perforation, wie sie zum Beispiel bei Stiftpräparation entstehen, scheint in dieser Hin-

sicht eine bessere Prognose zu haben (Holland et al. 2001).

Bei großen knöchernen Defekten im Bereich der Perforation, kann zur Vermeidung ei-

ner akzidentiellen Überpressung von MTA ein resorbierbares Kollagen als Matrix ver-

wendet werden (Bargholz 2005). In diesem Fall war der knöcherne Defekt im Bereich

der Perforation jedoch gering, so dass das MTA direkt appliziert wurde. Pace et al.

(2008) haben 10 Fälle nachuntersucht, bei denen eine Perforation im Bereich der Fur-

kation ohne Matrix mit MTA gedeckt wurde, und beobachteten in allen Fällen eine klini-

sche Heilung des umliegenden Parodonts. In der darauffolgenden Behandlungssitzung

berichtete der Patient bereits von einer Besserung der Symptomatik. Die vestibuläre

Gingiva verheilte komplikationslos. Die Sondierungstiefen waren zum Zeitpunkt der

Nachkontrolle nicht erhöht. Ein ähnlicher Fall wurde von Arens & Torabinejad (1996)

behandelt. Auch hier kam es als Folge einer Perforation zu der Bildung einer parodonta-

len Tasche. Die Defektdeckung erfolgte wie hier beschrieben mit MTA. Auch sie be-

obachteten eine rasche Regenration des Parodonts und eine Reduktion der Taschentie-

fen.

Die röntgenologische Kontrolle zeigt die Ausheilungstendenz der Läsion, jedoch ist der

Parodontalspalt der mesialen Wurzel apikal noch erweitert. Der klinische Beobach-

tungszeitraum beträgt derzeit 2 Jahre. Die Ursache einer persisitierenden Radioluzenz

lässt sich klinisch und röntgenologisch nur schwer diagnostizieren. Ørstavik (1996) hat

festgestellt, dass nach einem Beobachtungszeitraum von einem Jahr 89% der endo-

dontisch behandelten Zähne mit apikaler Parodontitis röntgenologische Zeichen einer

knöchernen Regeneration aufweisen. In den meisten Fällen war dieser Prozess zu die-

sem Zeitpunkt jedoch noch nicht abgeschlossen und eine komplette Heilung trat erst

nach vier Jahren auf. Nair et al. (1999) resizierten die Wurzelspitzen von wurzelkanal-

behandelten Zähnen deren periapikale Läsion röntgenologisch nicht komplett zurück-

ging. Bei der histologischen Untersuchung stellten sie neben persistierenden Entzün-

dungen und Zysten auch Narbengewebe fest. Röntgeneologisch lässt sich dies nicht

differenzieren, weswegen alle primär als Mißerfolg bewertet wurden. Auch wenn die

Anzahl der Zähne, in denen periapikal Narbengewebe festgestellt wurde gering ist, so

verdeutlicht es doch die Schwierigkeit röntgenologischen Beurteilung des Behand-

lungserfolges (Bhaskar 1966). Die geplanten weiteren Verlaufskontrollen werden zei-

gen, ob sich der Defekt in diesem Fall komplett knöchern regeneriert.

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