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Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik Heft 57 | Juni 2013 | www.perspektive21.de WACHSAM BLEIBEN Wie der Kampf gegen Rechtsextremismus gelingen kann MAGAZIN A. Thorsten Jobs Eigenständige Persönlichkeiten DAS STRASSENSCHILD Robert Dambon über Robert Havemann Ein deutsches Leben Klaus Ness Wegschauen war gestern! Dietmar Woidke Das volle Programm Winfriede Schreiber Und sie nutzen jede Gelegenheit Eva Högl Wir müssen wachsam bleiben Gordian Meyer-Plath Rechtsextremismus als Berufung Ronny Blaschke Angriff von Rechtaussen Dirk Wilking Lebenswert und widerstandsfähig Lars Krumrey Totgeglaubte leben länger? SCHWERPUNKT

Perspektive 21: Wachsam Bleiben

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Waren Polizei, Verfassungsschutz und Politik in Deutschland lange Zeit auf dem rechten Auge blind? Diese Frage wird seit dem Bekanntwerden der terroristischen NSU-Morde berechtigterweise diskutiert. Auch in Brandenburg hat es in den neunziger Jahren eine Banalisierung und Bagatellisierung von rechtsextremistischen Bestrebungen gegeben. Seitdem hat sich hier jedoch einiges getan. Das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ der Landesregierung hat dazu erheblich beigetragen. Wir wollen mit dieser Ausgabe der Perspektive 21 einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass diese positive Entwicklung weitergeht. Insbesondere freuen wir uns, dass Winfriede Schreiber, die scheidende Chefin des Brandenburger Verfassungsschutzes, in diesem Heft mit einem sehr informativen Beitrag vertreten ist. Frau Schreiber hat dem Brandenburger Verfassungsschutz in den letzten Jahren eine klare Orientierung im Kampf gegen den Rechtsextremismus gegeben. Der Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Ausländerfein

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Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik

Heft 57 | Juni 2013 | www.perspektive21.de

WACHSAMBLEIBENWie der Kampf gegen Rechtsextremismus gelingen kann

MAGAZIN

A. Thorsten JobsEigenständige Persönlichkeiten

DAS STRASSENSCHILD

Robert Dambon über Robert HavemannEin deutsches Leben

Klaus NessWegschauen war gestern!

Dietmar WoidkeDas volle Programm

Winfriede SchreiberUnd sie nutzen jede Gelegenheit

Eva HöglWir müssen wachsam bleiben

Gordian Meyer-PlathRechtsextremismus als Berufung

Ronny BlaschkeAngriff von Rechtaussen

Dirk WilkingLebenswert und widerstandsfähig

Lars KrumreyTotgeglaubte leben länger?

SCHWERPUNKT

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| Hoffmann und Campe | Das will ich lesen

20 Jahre nach der friedlichen Revolution von 1989:

Wie viel Einheit haben wir erreicht? Welchen Aufbruch braucht Deutsch-land jetzt?

224 Seiten,gebunden

Eine persönliche Bestandsaufnahme

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VORWORT

W aren Polizei, Verfassungsschutz und Politik in Deutschland lange Zeitauf dem rechten Auge blind? Diese Frage wird seit dem Bekanntwerdender terroristischen NSU-Morde berechtigterweise diskutiert. Deutsch -

land ist 1945 durch die Alliierten vom Nationalsozialismus befreit worden. Rechts -extremistische Bestrebungen im danach lange Jahre geteilten Deutschland wurdenvon der Politik und auch den Medien oftmals bagatellisiert oder auch schlicht igno-riert. Das erklärt sich in der westdeutschen Gesellschaft zum einen durch die Situa -tion des Kalten Krieges und den Terrorismus der RAF, in der die Sicherheitsbehör -den darauf gepolt waren, den Feind vor allem links zu verorten. Es erklärt sich aberauch dadurch, dass von der Politik ein außenpolitischer Imageschaden befürchtetwurde, wenn in Deutschland erneut starke rechtsextremistische Tendenzen regis-triert und öffentlich thematisiert werden müssen.

Nach der deutschen Vereinigung hat der Rechtsextremismus allerdings eine neueQualität gewonnen, die sich in weit mehr als 100 politischen Morden durch Rechts -ex tremisten seit 1990 dokumentiert. Die NSU-Morde sind dabei nur die Spitze einesEisbergs, dessen Existenz lange Zeit verdrängt oder als ein „vorübergehendes Phä -nomen“ der Transformation der ostdeutschen Gesellschaft banalisiert wurde. Auchin Brandenburg hat es in den neunziger Jahren diese Banalisierung und Bagatelli - sierung gegeben. Seitdem hat sich hier jedoch einiges getan. Das Handlungskonzept„Tolerantes Brandenburg“ der Landesregierung hat dazu erheblich beigetragen. Wirwollen mit dieser Ausgabe der Perspektive 21 einen kleinen Beitrag dazu leisten,dass diese positive Entwicklung weitergeht. Insbesondere freuen wir uns, dassWinfriede Schreiber, die scheidende Chefin des Brandenburger Verfassungsschutzes,in diesem Heft mit einem sehr informativen Beitrag vertreten ist. Frau Schrei ber hatdem Brandenburger Verfassungsschutz in den letzten Jahren eine klare Orientie -rung im Kampf gegen den Rechtsextremismus gegeben. Der Kampf gegen Rechts ex -tremismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit wird auch in Branden burg nocheinen sehr langen Atem brauchen. Und er wird noch mehr Menschen brauchen wieFrau Schreiber.

Klaus Ness

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INHALT

SCHWERPUNKTWACHSAM BLEIBEN | WIE DER KAMPF GEGEN RECHTSEXTREMISMUS GELINGEN KANN

15 Wegschauen war gestern!Fünf Thesen zum Umgang mit dem Rechtsextremismus in Brandenburgvon Klaus Ness

21 Das volle ProgrammStaatliches Handeln gegenRechtsextremismus zwischenPrävention und Repressionvon Dietmar Woidke

29 Und sie nutzen jede GelegenheitWie sich die Neonationalsozialisten organisatorisch und strategisch modernisierenvon Winfriede Schreiber

39 Wir müssen wachsam bleibenÜber die Erkenntnisse des NSU-Unter -suchungsausschusses, Staatsversagenund die Unterschiede zwischenWolfgang Schäuble und Otto Schilysprach Thomas Kralinskimit Eva Högl

47 Rechtsextremismus als BerufungSozio-ökonomische Profile branden -burgischer Rechtsextremistenvon Gordian Meyer-Plath

57 Angriff von RechtaussenWie rechtsextreme Fans das Stadion als Präsentationsfläche nutzenvon Ronny Blaschke

65 Lebenswert und widerstandsfähigWie kommunale Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus erfolgreich sein könnenvon Dirk Wilking

73 Totgeglaubte leben länger?Die „Reichsbürger“ werden auch inBrandenburg zunehmend aktivvon Lars Krumrey

MAGAZIN

7 Eigenständige PersönlichkeitenSollen Kinderrechte ins Grundgesetz?von A. Thorsten Jobs

DAS STRASSENSCHILD

13 Ein deutsches LebenRobert Dambon überRobert Havemann

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EigenständigePersönlichkeitenSollen Kinderrechte ins Grundgesetz? Von A. Thorsten Jobs

Das Grundgesetz hat keine Kinder“, formulierte der Journalist HeribertPrantl kürzlich in der Süddeutschen Zeitung. Er spricht damit die Tatsachean, dass Kinder im Text des Grundgesetzes nicht ausdrücklich als Rechts -

subjekte mit eigenen Rechten genannt sind. Auch fehlt eine ausdrückliche Regelungeiner staatlichen Schutz- und Förderpflicht gegenüber Kindern. Allein im Zusam -menhang mit Elternrechten werden Kinder genannt.

Dies hat im Kern einen historischen Grund. Der Verfassungsgeber des Grund -gesetzes formulierte 1949 die Eltern-Kind-Beziehung aus den Erfahrungen der nationalsozialistischen Herrschaft. Er stärkte damals zu Recht die Eltern. Erwandte sich gegen die „Wegnahme“ der Kinder von ihren Eltern zum Zwecke einerstaat lichen Zwangserziehung, wie sie im totalitären Staat üblich war (Staats ju -gend, Zwangs internate) und bei der an die Stelle des erzieherischen Ein flusses der Eltern die staatliche Gemeinschaftserziehung getreten war. Art. 6 Abs. 2 desGrund gesetzes (GG) hebt daher den Vorrang der Eltern hervor. Pflege und Erzie -hung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind andere

Dabei können die Eltern grundsätzlich frei von staatlichem Einfluss nach eigenenVorstellungen darüber entscheiden, wie sie ihrer Elternverantwortung zum Wohldes Kindes gerecht werden wollen. Dem Staat wird nur das Amt auferlegt, über diePflege und Erziehung der Kinder durch die Eltern zu wachen. Diese Freiheit derErziehung vor staatlichem Einfluss macht es aber heute nötig zu diskutieren, ob esan der Zeit ist, in der Verfassung zum Ausdruck zu bringen, dass Kinder Rechts per -sönlichkeiten mit eigenen vom Grundgesetz geschützten Rechten sind.

A. THORSTEN JOBS | EIGENSTÄNDIGE PERSÖNLICHKEITEN

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Die gesellschaftlichen Verhältnisse und Vorstellungen haben sich verändert. Kin -der selbst werden innerhalb und außerhalb der Familie stärker als eigenständige Per -so nen mit Bedürfnissen, individuellen Interessen und Rechten angesehen. Kin dersind nicht mehr nur Objekt der elterlichen Rechtsausübung und Erziehung. Sie ha benals eigenständige Personen das Recht auf Achtung ihrer Würde, wie es zum BeispielArt. 27 der Verfassung des Landes Brandenburg formuliert. Vor diesem Hin ter grundwird aktuell die rechts- und gesellschaftspolitische Debatte geführt, ob Kinder rech teex plizit ins Grundgesetz aufgenommen werden sollen.

Der Bundesrat hat in einer Entschließung vom 25. November 2011 die Bundes - regierung aufgefordert, einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Grundgesetzesvorzulegen, in dem Grundrechte der Kinder, insbesondere deren besonderer Schutzdurch Staat und Gesellschaft vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung sowiedas Recht der Kinder auf altersgemäße Anhörung in allen sie betreffenden Gerichts-und Verwaltungsverfahren ausdrücklich normiert werden. Auch die derzeitigenOppositionsfraktionen im Bundestag haben Vorstöße unternommen, die Kinder -rechte zu stärken. Im Jahr 2012 haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke Ge -setzes entwürfe zur ausdrücklichen Verankerung von Kinderrechten im Grund ge -setz eingebracht. Auch in ihrem Bundestagswahlprogramm 2013 haben die Grünenerklärt, Rechte von Kindern und Jugendlichen ausdrücklich ins Grundgesetz auf-nehmen zu wollen. Die SPD hat sich in ihrem Regierungsprogramm 2013-2017 eben-falls dafür ausgesprochen, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern und dieSPD-Bundestagsfraktion hat dazu am 23. April 2013 einen entsprechenden Gesetzes -entwurf ins Parlament eingebracht.

Sollen die Gerichte mehr Einfluss nehmen?

Angesichts dieser politischen Initiativen stellt sich die Frage, ob es rechtspolitischrichtig ist, unsere Verfassung als rechtliche Grundordnung unseres Gemeinwesenszu ändern und Kinderrechte explizit in sie aufzunehmen. Selbstverständlich ist diesnicht. Es ist zu bedenken, dass im Allgemeinen eine vermehrte verfassungsrecht licheFestschreibung von subjektiven Rechten und politischen Zielsetzungen den Gestal -tungsspielraum des Gesetzgebers beschränkt. Die Bewältigung anstehender Proble -me und Gesetzesvorhaben ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers. Diesem ordnetdie Verfassung vornehmlich die Aufgabe zu, gegebenenfalls erforderliche Inno va tio -nen mit politischer Gestaltungskraft innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmenszu entwickeln und durchzusetzen. Neue verfassungsrechtliche Festschreibungen

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8 Juni 2013 | Heft 57

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von Rechten und Zielsetzungen haben in der Regel auch zur Folge, dass letztlich we-niger der Gesetzgeber den politischen Kurs bestimmt, sondern die Gerichte mehrEinfluss auf die Politik nehmen können, weil sie zu prüfen haben, ob der Gesetzgeberdie verfassungsrechtlichen Vorgaben einhält.

Bevor man die Änderung des Grundgesetzes erwägt, tut man gut daran, sich derbestehenden verfassungsrechtlichen Rechtslage zu vergewissern. Die Grundrechtedes Grundgesetzes stehen grundsätzlich auch den Kindern, das heißt Personen dienoch nicht 18 Jahre alt sind, zu. Grundrechtsberechtigt sind insbesondere alle na-türlichen Personen unabhängig von ihrem Alter. So schützt die Verfassung zumBei spiel die Würde aller Menschen, nicht nur der Erwachsenen. Sie schützt diekörperliche Unversehrtheit sowie die freie Entfaltung der Persönlichkeit von Kin -dern. Sie schützt die Meinungs- und Pressefreiheit, weshalb Schüler auch eine un-zensierte Schülerzeitung herausgeben dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hatin einer Ent scheidung aus dem Jahr 1968 im Wege der Auslegung des Grund ge set -zes geklärt, dass das Kind als Grundrechtsträger selbst Anspruch auf den Schutzdes Staates hat.

Im Mittelpunkt steht das Wohl des Kindes

Das Kind ist ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht aufEntfaltung seiner Persönlichkeit. In einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr2008 hat das Verfassungsgericht hergeleitet, dass ein Recht des Kindes auf Pflegeund Erziehung durch seine Eltern aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt. Dabei hat es ausgeführt,dass das Kind nicht Gegenstand elterlicher Rechtsausübung ist. Es ist Rechts sub -jekt und Grundrechtsträger, dem die Eltern schulden, ihr Handeln an seinem Wohlauszurichten. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass im Wegeder richterlichen Interpretation gewisse Rechte des Kindes aus der Verfassung ab-geleitet werden, der Text des Grundgesetzes jedoch Kinder nicht als Rechtssubjektenennt und Rechte der Kinder nicht ausdrücklich normiert.

Trotz dieser von der Rechtsprechung entwickelten Rechte empfiehlt es sich, un-sere Verfassung mit Rechten für Kinder auszustatten und so ihre Rechtsstellung imGrundgesetz ausdrücklich zu verankern. Wichtig ist dies deshalb, wie die ehemaligeVerfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt kürzlich in einem Fachjournal(FPR 2012,185) betonte, weil es an der Zeit ist, durch Aufnahme solcher Kinderrechteins Grundgesetz klarzustellen, dass Kinder Rechtspersönlichkeiten mit eigenen vonder Verfassung geschützten Rechten sind. Das insbesondere vom Bundestags abge -

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ord neten Norbert Geis (CSU) vorgebrachte Argument, Kinderrechte seien bereits inder Verfassung enthalten, berücksichtigt zum einen nicht, dass eine ausdrücklicheVerankerung von Kinderrechten im Grundgesetz den Kindern als Rechtsinhaberund den Rechtsanwendern die Durchsetzung solcher subjektiver Rechte erleichternwürde. Man muss nicht die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts kennen, um zuwissen, dass Kinder Rechte haben, die ihnen die Verfassung garantiert und schützt.

Hinzu kommt, dass auch die vorgeschlagenen staatlichen Schutz- und Förder -pflichten, wonach die staatliche Gemeinschaft die Rechte des Kindes achtet, schütztund fördert sowie der Auftrag, für kindgerechte Lebensbedingungen Sor ge zu tragen,bislang nicht im Grundgesetz enthalten sind. Die Rechtslage würde also verändert.

Keine kleinen Erwachsenen

Zu beachten ist auch, dass Kinder Menschen in einer besonderen Lebensphase sind,die besondere Rechte brauchen. Kinder sind keine „kleinen Erwachsenen“. Sie sindeinerseits zu respektierende Menschen wie alle anderen, andererseits aber währendihres Heranwachsens auf Hilfe und Unterstützung durch andere angewiesen, vondenen es entscheidend abhängt, wie sie sich entwickeln und sich in ihren Fähig kei -ten und Begabungen entfalten können. Gerade deshalb sind sie darauf angewiesen,durch Eltern und Staat Schutz und Förderung zur Entfaltung der Persönlichkeit zuerhalten. Diese Besonderheit sollte das Grundgesetz ausdrücklich mit eigenen vonder Verfassung geschützten Kinderrechten Rechnung tragen.

Gegen die Verankerung von Kinderrechten in das Grundgesetz wird teilweise ein-gewandt, dass damit lediglich Symbolpolitik betrieben werde. Es reicht natürlichnicht aus, Rechte nur zu formulieren; sie müssen auch eingelöst werden. Allein dieVerankerung von Kinderrechten im Grundgesetz würde in Staat und Gesellschaftnicht auf „einen Schlag“ für kindgerechte Lebensbedingungen sorgen und Rechteder Kinder gewährleisten.

Wenn man aber die subjektiven Rechte der Kinder mit einem objektiven Schutz-und Förderungsauftrag im Sinne einer Staatszielbestimmung verbindet, wonach diestaatliche Gemeinschaft die Rechte des Kindes schützt und für kindgerechte Le bens -bedingungen Sorge trägt, hat die Verfassung die Kraft, staatliches Handeln im Inte -resse der Kinder zu verbessern. Gesetzgebung und – nach Maßgabe von Gesetz undRecht – auch die Verwaltung und Rechtsprechung wären verpflichtet, den in derStaatszielbestimmung enthaltenen Auftrag umzusetzen und bei Kinder betreffen-den oder sich auf sie auswirkenden Entscheidungen die Rechte der Kinder zu schüt-

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zen und zu fördern. Sie müssten Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen tragen.So würden sich nach Maßgabe des Gesetzes beispielsweise die Rechtsstellung vonKitas in bestimmten Baugebieten planungsrechtlich verbessern und ihre Zulassungdurch eine Baugenehmigung erleichtert werden.

Befürwortet man ganz generell, Kinderrechte und eine Kinder betreffendeStaats ziel bestim mung ins Grundgesetz aufzunehmen, stellt sich die Frage nachdem „Wie“. Eine Analyse der genannten Gesetzesentwürfe der Bundestags frak ti o -nen zeigt, dass diese abgesehen von Formulierungsdetails inhaltlich relativ nahebeieinander liegen. Sie regeln im Wesentlichen Rechte der Kinder auf Förderung derEntwick lung, Entfaltung der Persönlichkeit, gewaltfreie Erziehung und enthaltenStaatsziel be stimmungen bzw. Schutzaufträge zu Gunsten der Lebensbedingungender Kinder. Exemplarisch sei hier die Formulierung der SPD-Bundestagsfraktionwiedergegeben, die vorschlägt, Art. 6 GG um folgenden Absatz zu ergänzen: „JedesKind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf ge -waltfreie Erzie hung und den besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung undAusbeu tung. Jedes Kind hat das Recht auf Beteiligung in allen Angelegen hei ten, diees betreffen. Seine Meinung ist entsprechend seinem Alter und seiner Ent wick lungin angemessener Weise zu berücksichtigen. Die staatliche Gemein schaft achtet,schützt und fördert die Rechte des Kindes und trägt Sorge für kind gerechte Le bens -bedingungen.“

Eine Verpflichtung für die Eltern und den Staat

Dieser Textentwurf greift in Satz 1 und 4 einen Vorschlag der ehemaligen Bundes -justizministerin Brigitte Zypries auf und hat Artikel 25 der Bremer Landesver fas -sung zum Vorbild. Satz 2 und 3 des Entwurfs regeln die Berücksichtigung des Kindes -willens in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten. Sie greifen die Vorgabe desArtikels 12 der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen auf und sollen sicherstellen, dass das Kind in allen Angelegenheiten, die es betreffen, zu beteiligenund die Meinung des Kindes in einer seinem Alter und seiner Entwicklung entspre-chenden Weise zu beachten ist. Die Beteiligung der Kinder ist ein Mittel zur Identi -fizierung der Kinderinteressen und eine Verpflichtung der Eltern und des Staates.Sie wird zur Folge haben, dass dem Kind Gelegenheit gegeben werden muss, in allendas Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbaroder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle (zum Beispiel Verfahrens bei -stand in Kindschaftssachen) gehört zu werden.

A. THORSTEN JOBS | EIGENSTÄNDIGE PERSÖNLICHKEITEN

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Die Unterstützung des Anliegens, die Rechte der Kinder zu stärken, und diesesauch in der Verfassung zum Ausdruck zu bringen, ist in den vergangenen Jahrenparteiübergreifend gewachsen. Eine solche Änderung des Grundgesetzes bedarf derZustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Drittelnder Stimmen des Bundesrates. Diese Hürde kann nur genommen werden, wenn eskünftig gelingt, hierzu zwischen den wesentlichen politischen Akteuren einenKonsens herbeizuführen. Es ist an der Zeit, Kinderrechte im Grundgesetz aufzuneh-men, auch um zu verdeutlichen, dass Kinder Rechtspersönlichkeiten mit eigenenvon der Verfassung geschützten Rechten sind.|

DR. A. THORSTEN JOBSist Richter am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg.

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Ein deutsches Leben Von Robert Dambon

W as macht ein demokratisches Vorbild aus? Sicherlich ist es der persönlicheEin satz für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Wer also unter

Ein satz seines Lebens Widerstand gegen den menschenverachtenden Nationa lis -mus leistete, verdient ehr fürch tigen Respekt und Hochachtung. Vielleicht ist esaber genauso beeindruckend, wenn Menschen bereit sind, in Anbetracht fatalerEntwicklungen ihre eigenen Über zeu gungen zu überdenken, Irrtümer einzusehenund auch gegen Wider stände für Ver änderungen einzutreten.

Der 1910 in München geborene Robert Havemann ist in beiden Sichtweisen ein demokratisches Vorbild. Schon 1932 tritt der begabte Naturwissenschaftler der Wider -standsgruppe „Neu-Beginnen“ aus oppositionellen KPD- und SPD-Mitgliedern bei.Diese wird allerdings 1935 entdeckt und Robert Havemann entgeht nur knapp der Ver -haftung durch die Gestapo. Er bleibt ein überzeugter Gegner des Nationalso zia lismusund wird 1943 Mitbegründer der Widerstandsgruppe „Europäische Union“. Schon derName der Gruppe kündigt von Havemanns Idealen, der in einem geeinten, sozialisti-schen aber auch freiheitlichen Europa die Grundlage für dauerhaften Frieden sieht. Esgelingt den Nazigegnern, Juden vor der Deportation zu retten und subversive Verbin -dungen aufzubauen. Nach kurzer Zeit fliegt die Arbeit der „Europäischen Union“ aufund die Gestapo verhaftet die meisten Mitglieder. Robert Havemann wird vom Volks -gerichtshof zum Tode verurteilt. Nur dank seiner „kriegswichtigen“ For schungs arbei -ten bleibt er am Leben. Bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 27. April 1945 sitzter in einer Todeszelle des Zuchthauses Brandenburg.

Trotz seiner Nähe zur KPD bzw. SED bezieht Havemann zunächst keine eindeutigeStellung, kritisiert sogar die sowjetische Planwirtschaft. Dennoch stimmt er einer Zu sammenarbeit mit dem sowjetischen Geheimdienst zu. Die von ihm geliefertenunbrauch baren Informationen führen zur Einstellung des Kontaktes. 1950 übtHavemann Kritik an der Entwicklung der amerikanischen Wasserstoffbombe, wasihm die Leitung der Kaiser-Wilhelm-Institute kostete. Er zieht in die DDR um, wirdDirektor des Physikalisch-Chemischen Instituts der Humboldt-Universität Berlinund tritt der SED bei. Neben zahlreichen politischen Funktionen beteiligt er sich aktiv an einer Kampagnen gegen christliche Studenten, setzt sie unter Druck und

DAS STRASSENSCHILD Robert Havemann 1910-1982

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exmatrikuliert sie. 1953 lässt er sich von der Stasi anwerben und denunziert „poli-tisch unzuverlässige“ Kollegen.

Die Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 und dasBekanntwerden stalinistischen Verbrechen erschüttert ihn. Er beginnt sich mit seinereigenen Verantwortung im DDR-System auseinanderzusetzen. Er entwickelt sich fort-an zu einem der größten und gefährlichsten Kritiker des SED-Regimes. Er befürwortetden Aufstand in Ungarn und kritisiert in zahlreichen Veröffentlichungen und Vor trä -gen den ideologischen Dogmatismus und die politische Erstarrung.

Bis zu seinem Tod untersteht er ab 1964 permanent der Überwachung durch dieStaatssicherheit. Er wird aus der Partei ausgeschlossen, verliert seine An stel lun g ander Humboldt-Universität und wird aus der Deutschen Akademie der Wissen schaf tenausgeschlossen. Trotz Veröffentlichungs- und Berufsverbots meldet sich RobertHavemann über westdeutsche Medien zu Wort. Um Havemann bildet sich ein Kreisvon DDR-Kritikern, darunter Wolf Biermann. Als Havemann gegen dessen Ausbür ge -rung protestiert, wird er und seine Familie bis 1979 unter Hausarrest im märkischenGrünheide gestellt. Nach seinem Arrest engagiert er sich für die polnische Solidarnośćund unterzeichnet den „Berliner Appell“ „Frieden schaffen ohne Waffen“ von RainerEppelmann mit. Er stirbt am 9. April 1982 in seinem Grünheider Haus.

Damit endet das Wirken Robert Havemanns jedoch nicht. Sein Begräbnis wirdzur politischen Demonstration. Sein Haus wird 1989 zum Gründungsort des „NeuenFo rums“. Gerade einmal 60 Kilometer entfernt im brandenburgischen Schwantegründet sich einige Tage später die SDP. Das SED-Regime überlebt Havemann nurwenige Jahre.

Robert Havemann hat die Schrecken des Nationalsozialismus erlebt und mit aller Kraft bekämpft. Dafür zeichnete die israelische Gedenkstätte Yad VashemRobert Have mann und andere Mitglieder der Gruppe „Europäische Union“ mit demEhren titel „Gerechte unter den Völkern“ aus. In der Hoffnung auf ein antifaschis -tisches und einiges Europa unterstützte er zunächst die Politik der SED. Er erkanntejedoch, dass es „ohne Demokratie kein Sozialismus, ohne Sozialismus keine Demo -kratie“ geben kann. |

ROBERT DAMBONist Historiker und Referent der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg.

Mit dieser Rubrik stellen wir eine Person vor, deren Lebensleistung größereBeachtung verdient. Zum Beispiel in Gestalt von Straßen- oder Schulnamen.

DAS STRASSENSCHILD Robert Havemann 1910-1982

14 Juni 2013 | Heft 57

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Der Potsdamer Politikwissen schaft -ler Heinz Kleger nannte Branden -

burg in den neunziger Jahren ein „kom-promittiertes Land“. Eine etwas feinereUmschreibung dafür, dass Brandenburg– wie die anderen ostdeutschen Bundes -länder – den Ruf hatte, eine Hochburgdes Rechtsextremismus zu sein. Das hatsich mittlerweile deutlich geändert. Infünf Thesen will ich erläutern, wie Bran -denburg zu diesem Ruf gekommen istund was notwendig war, damit Bran -denburg heute kein „kompromittiertesLand“ mehr ist, sondern mittlerweile fürandere Bundesländer ein Vorbild bei derBekämpfung des Rechtsextremismusgeworden ist.

I.Das Brandenburg der neunzigerJahre war – wie alle anderen neuen

Bundesländer – eine Transformations -ge sellschaft. Der Weg von einer staats-sozialistischen Gesellschaft in eineMarktwirtschaft und Demokratie be -deutete radikale Veränderungen in denStrukturen der Gesellschaft und der

Ökonomie, die das Leben der Menschenin Ostdeutschland durcheinanderwir-belte. Das führte zu Verunsicherungenund massiven Ängsten. Von diesen Ver -unsicherungen waren nicht nur jedereinzelne Bürger, sondern auch die staat-lichen Institutionen und die in ihnenagierenden Personen, wie etwa die Poli -zei und das Schulsystem, erfasst.

Keine Einzelfälle

Das massive Aufbrechen rechtsextremerGewalt wurde durch die negativen Be -gleit erscheinungen der Transformationverstärkt und begünstigt. Gesellschaftund Politik waren davon überrascht undsuchten nach Erklärungen, die zwar keineLösung des Problems, aber eine kurzfris-tige „Entlastung“ im Umgang mit demProblem versprachen. Dazu einige Bei -spiele für klassische Erklärungs musteraus den frühen neunziger Jahren. DieVerbrechen und Morde durch Rechtsex -tremisten wurden als „Einzelfälle und vo-rübergehendes Phänomen“ verharmlost.

SCHWERPUNKT | WACHSAM BLEIBEN

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WEGSCHAUEN WAR GESTERN!Fünf Thesen zum Umgang mit dem Rechtsextremismus in Brandenburg — Von Klaus Ness

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Rechtsextremen Gewalttätern wurden – oftmals unbewusst – unter Verweis aufdie hohe Arbeitslosigkeit und vermeint-liche „Perspektivlosigkeit“ eine Recht -fertigung und Entschuldigung für ihr un-entschuldbares Verhalten angeboten.Das Auftreten des organisierten Rechts -extremismus in Ostdeutschland wurdeals durch „West-Kader“ gesteuert er-klärt. Menschen, die in ihren Heimat -orten ein aktives Engagement von Po li -tik und Zivilgesellschaft einforderten,wurden nicht selten als „Nestbe schmut -zer“ empfunden, die den Ruf ihrer Hei -mat als Tourismusregion oder Wirt -schafts standort gefährdeten.

II.Nachdem sich in der zweiten Hälf -te der neunziger Jahre die staat -

lichen Institutionen stabilisiert hatten,wurde die Bekämpfung des Rechts ex -tremismus von Staat und Gesellschaftimmer noch vorrangig als eine Aufgabeder Repressionsinstanzen (Polizei, Jus -tiz, Verfassungsschutz) und bestenfallsnoch der Schule und Jugendarbeit ver-standen. Das brachte zwar Fort schrit te,basierte aber immer noch auf der fal -schen Annahme, dass Rechts ex tremis -mus, Rassismus und Fremden feindlich -keit vorübergehende Phäno mene seien,die am Rand der Gesellschaft stattfinden.

Erst zum Ende des Jahrzehnts be-gann eine in Brandenburg bis etwa 2005anhaltende politische Auseinander set -zung darüber, ob die ostdeutsche – und

speziell die brandenburgische Gesell -schaft – nicht doch ein tiefergehendesProblem hat. Und dass zur Lösung desProblems neue Ansätze – insbesondereauch durch die Mobilisierung der Zivil -gesellschaft – gebraucht werden, um die Demokratie und ihre Werte zu ver -teidigen und zu stärken. Auslöser derDebat te war ein Interview des damali-gen Bran denburger MinisterpräsidentenManfred Stolpe in der WochenzeitungDie Zeit, in dem er – als erster ostdeut-scher Politiker – bekannte, das Problemdes Rechtsextremismus unterschätzt zuhaben und einen offensiveren Umgangmit diesem Problem ankündigte. Diesesmutige, weil sehr selbstkritische Inter -view, blieb nicht ohne Folgen: In Bran den - burg wurde 1998 das integrierte Hand -lungskonzept „Tolerantes Bran den burg“der Landesregierung entwickelt und einzivilgesellschaftliches „Aktions bündnisgegen Gewalt, Rechtsextremismus undFrem den feindlichkeit“ initiiert.

Ein neuer Ansatz

Dieser neue Ansatz ging davon aus, dassRechtsextremismus nicht alleine nur mit staatlicher Repression bekämpftwerden kann, sondern es einer starken und selbstbewussten Zivilgesellschaftbedarf, die die Demokratie und ihreWerte aktiv vertritt und verteidigt. DasNeue war also: Widerspruch und Wider -stand gegen Rechts extremismus und

SCHWERPUNKT | WACHSAM BLEIBEN

16 Juni 2013 | Heft 57

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Rassismus wurde also durch die Politiknicht mehr nur geduldet, sondern aktivbefördert und sogar von der Bevöl ke -rung eingefordert.

III.Die politische Auseinander set -zung um diesen neuen Ansatz

entzweite über lange Zeit auch die Re -gierungspartner SPD und CDU, die ab1999 eine Koalition in Brandenburg bilde-ten. Die SPD in der Regierung hielt an die-sem Ansatz fest, insbesondere aber CDU-Innenminister Jörg Schönbohm hatte inseinen ersten Brandenburger Regie rungs -jahren damit größere Pro bleme und setzezunächst alleine auf staatliche Repres -sion. Als im Jahre 2000 BundeskanzlerGerhard Schröder nach mehreren mörde-rischen rechtsextremistischen Anschlä -gen auch in West deutsch land zum „Auf -stand der An stän digen“ aufrief und invielen Städten Hunderttausende Men -schen Lichter ketten gegen Rechts ex tre -mismus ver anstalteten, machte Schön -bohm sich sogar öffentlich darüber lustig,dass Rechts extremismus mit Kerzennicht bekämpft werden könne.

Die Zivilgesellschaft steht auf

Hinter dieser Haltung offenbarte sichaber nicht nur eine einseitig staatsfi -xierte Sicht auf die Problematik Rechts -ex tre mismus, sondern auch eine zutiefstvon den westdeutschen Problemen dersiebziger und achtziger Jahre geprägte

Haltung. Jörg Schönbohm war politischim Kalten Krieg und in der Auseinan der -setzung mit dem RAF-Terrorismus großgeworden. Die Gefahr kam für ihn, dieCDU, aber auch für viele Menschen inden Sicherheitsapparaten immer aus-schließlich von links. Durch die Aufar -bei tung der NSU-Morde ist ins öffent -liche Bewusstsein gedrungen, dass dieseam Beispiel Schönbohms geschildertePrägung auch bei den Sicherheits be - hörden, insbesondere bei den Verfas -sungs schutzämtern, eine entscheidendeUr sache für die Unterschätzung der Ge -fähr lich keit rechtsextremer Gewalt war.

IV.Ein entscheidender Katalysatorfür die Änderung der Haltung

auch von Jörg Schönbohm und einDurchbruch für die Mobilisierung derBrandenburger Zivilgesellschaft war inBrandenburg in den Jahren 2005 und2006 die Auseinandersetzung um dieNazi-Demonstrationen in Halbe. In undum Halbe, einem kleinen Ort südlichvon Berlin im Landkreis Dahme-Spree -wald, fand im April 1945 eine der letztengroßen Schlachten statt. Dabei verloren30.000 deutsche und 20.000 russischeSoldaten sowie etwa 10.000 Zivilistensinnlos ihr Leben, weil die im BerlinerFührerbunker sitzenden Nazigrößen ineinem längst verloren Krieg immer nochvom Endsieg phantasierten und mög-lichst viele Menschen in ihren eigenenUntergang mitziehen wollten.

KLAUS NESS | WEGSCHAUEN WAR GESTERN!

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Page 18: Perspektive 21: Wachsam Bleiben

Seit Mitte der neunziger Jahre hattenNazis aus ganz Deutschland und Europaversucht, den dortigen Waldfriedhof zuihrem Wallfahrtsort aufzubauen. Ge -stört wurden sie dabei nur durch kleinerelokale Gegenaktionen, die wenig Wider -hall in der Bevölkerung fanden. Der be-deutendere Wallfahrtsort für die Naziswar aber das bayrische Wunsiedel, derGeburtsort von Rudolf Hess. Als inWunsiedel Nazi-Demonstrationen recht-lich und durch stärker werdenden zivil-gesellschaftlichen Widerstand unmög-lich wurden, fand jedoch eine stärkereOrientierung der Nazis auf Halbe statt.Als dies in Brandenburg immer bewuss-ter wurde, konzentrierte sich das mitt-lerweile gut arbeitende „Aktionsbündnisgegen Gewalt, Rechtsextremismus undFremdenfeindlichkeit“ darauf, diesenOrt wieder zu einem Ort der Demokratenzu machen.

Ein neues Staatsziel

Das führte dazu, dass 2005 die nachHalbe auf den Bahnhofsvorplatz ange-reisten 1.500 Nazis von 2.000 Demo kra -ten an ihrem Heldengedenkmarschdurch eine Blockade gehindert wurden.Die Polizei musste die Blockierer gewäh-ren lassen und die Nazis am Abmarschhindern. Die Erfahrung, dass eine ange-meldete Demonstration von Nazis in einem solchen Ort verhindert werdenkann, wenn Tausende von Demonstran -

ten diesen Ort für die Demokratie in Be -sitz nehmen, wurde zu einem Durch -bruch für das Konzept der Mobilisierungder Zivilgesellschaft gegen Rechtsex tre -mismus. Als im Folgejahr 2006 mehr als7.000 Demonstranten in Halbe einen„Tag der Demokratie“ begangen und soeinen angekündigten Großaufmarschder Nazis verhinderten, war selbst JörgSchönbohm unter den Demonstranten.Und die Nazis gaben ihren Versuch auf,Halbe zu ihrem Wallfahrtsort zu ma-chen.

V. Seitdem gibt es in Brandenburg an jedem Ort breit getragene Wi -

der standsaktionen unterschiedlichsterArt, wenn Nazis versuchen, den öffent -lichen Raum für sich zu gewinnen. Ausdem jahrelangen und anhaltenden Wi -der stand, der gemeinsam von Zivilge -sell schaft und Politik getragen wurde,entstand im Jahr 2012 die Idee, dem Ein -tre ten gegen Fremdenfeindlichkeit undRassismus mit einer Staatszielbestim -mung Verfassungsrang zu geben. Mit t -lerweile ist im Brandenburger Landtagin erster Lesung ein von vier der fünfBrandenburger Landtagsfraktionengetragener Gesetzesentwurf behandeltworden, um in die Verfassung folgendenSatz aufzunehmen: „Das Land schütztdas friedliche Zusammenleben der Men -schen und tritt der Verbreitung rassis -tischen und fremdenfeindlichen Gedan -kenguts entgegen.“ Ein bedeutender

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18 Juni 2013 | Heft 57

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Schritt zur Unterstützung des gewach-senen bürgerschaftlichen Engagementsund eine sehr gute Voraussetzung, dassdie Zeit des Ignorierens und Wegsehensin Brandenburg wirklich dauerhaft derVergangenheit angehört.|

KLAUS NESSist Generalsekretär der Brandenburger SPD und Abgeordneter des BrandenburgerLandtags.

KLAUS NESS | WEGSCHAUEN WAR GESTERN!

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20 Juni 2013 | Heft 57

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In den letzten 20 Jahren hat sich dieForm der Auseinandersetzung mit

dem Rechtsextremismus in Bran den -burg grundlegend gewandelt (vgl. dazuden Beitrag von Klaus Ness in diesemHeft). In der Landespolitik hat nachanfänglichen Unsicherheiten vor gerau-mer Zeit ein Umdenken stattgefunden.Polizei, Justiz und Ver fassungs schutzhaben sich auf die He rausfor derung vonrechts eingestellt und gehen professio-nell und mit großer Entschlossenheit ge gen rechtsextreme Bestrebungen,Akti vitäten und Orga nisationen vor.

Der entscheidende Unterschied zuden neunziger Jahren scheint mir aller-dings im Beitrag der Zivilgesellschaft zuliegen. Als die Landesregierung 1998richtigerweise auf vorherige Defizite mit der Entwicklung des Handlungs kon -zepts „Tolerantes Brandenburg“ reagier-te, galt dies manchen Beobachtern sei-nerzeit noch als eine Art „Kopfgeburt“aus Potsdamer Amtsstuben, als typischexekutive Politik „von oben“.

Diese Kritik war auch nicht ganzfalsch. Sie verfehlte aber trotzdem denentscheidenden Punkt: Denn es gab

damals die zahlreichen Initiativen,Bünd nisse und Vereinigungen an der„Basis“, die sich gegen Neonazis, Aus -länder feind lichkeit und rechte Gewaltengagierten, noch gar nicht, sie warenerst dabei, sich zu finden. Und gleich -wohl war es damals für die Lan des po -litik höchste Zeit zu handeln.

15 Jahre Tolerantes Brandenburg

Vor kurzem hat das „Tolerante Branden -burg“ nun seinen 15. Geburtstag gefeiert.Und man kann mit Händen greifen, wieviel sich in diesen Jahren getan hat. Eswar in den neunziger Jahren keineswegsselbstverständlich, dass rechtsextremenAktivitäten vor Ort durch engagierteBürger oder Kommunalpolitiker mit ent-sprechenden Protestaktionen entgegen-getreten wurde. Es gab teilweise eineHaltung des Wegsehens, des Abwartens,des Ignorierens. Und es gab auch bei jenen, die sich engagieren wollten, vielUnsicherheit, wie und mit welchen Mit -teln dem rechten Spuk vor Ort am bestenentgegenzutreten sei. Es gab sehr wenige,die diesen Anfängen des gesellschaftli-

DIETMAR WOIDKE | DAS VOLLE PROGRAMM

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DAS VOLLE PROGRAMMStaatliches Handeln gegen Rechtsextremismus zwischen Prävention und Repression — Von Dietmar Woidke

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chen Engagements mit Informationenund Beratung zur Seite standen.

Es war auch eine Zeit, in der Kommu -nalpolitiker fürchteten, dass ihr Ort als„Neonazi-Hochburg“ dastehen könnte,wenn man durch Gegenproteste auf dielokale rechte Szene aufmerksam macht.So tat man vielfach lieber nichts. DieEinsicht, dass es sich tatsächlich ge nauumgekehrt verhält, dass der Ruf einerGemeinde durch Wegsehen und Nichts -tun ruiniert wird, hat sich in Bran den -burg erst allmählich durchgesetzt.Mutige Kommunalpolitiker wie etwa der langjährige Rheinsberger Bürger -meister Manfred Richter haben hierPio nierar beit geleistet und anderen den Weg freigemacht.

Bürger gehen auf die Straße

Heute ist die Situation in Brandenburgeine völlig andere: Fast überall, wo sichrechtsextreme Aktivitäten zeigen, gibtes Bürger, Initiativen und Vereine, diediesen entgegentreten. Dazu bedarf es nicht mehr des Appells „von oben“ –sondern es passiert von ganz allein.Auch heute noch gibt es einzelne Ge -meinden, in denen dieses klare Bekennt -nis gegen rechts nicht so deutlich aus-fällt, wie es erforderlich wäre. Aberwährend dies in den neunziger Jahrenein verbreitetes Problem war, handelt es sich heute um Ausnahmen, die unterdem sehr kritischen Blick der Politik

und Öffentlichkeit auch als solche gese-hen werden. Steter Tropfen wird auch in diesen Fällen den Stein höhlen.

Für Rechtsextremisten ist Branden -burg in den letzten Jahren ein schwieri-ges Pflaster geworden. Den entscheiden-den Beitrag dazu hat das Engagementder Zivilgesellschaft geleistet. Der Um -gang mit dem Problem hat sich geändert.Und Brandenburg ist dadurch ein besse-res Land geworden. Dies lässt sich anvielen Beispielen zeigen: Zwei Wahlpe -rio den lang war die rechtsextreme DVUim Landtag vertreten. 2009 verfehlte sieden Wiedereinzug deutlich. Seit der„Fusion“ mit der NPD hat sie sich prak-tisch rückstandsfrei aufgelöst. Sie hatdie NPD nicht stärken können. Das se-hen die Nationaldemokraten mittlerwei-le genauso: Auf ihrem letzten Parteitagbeschloss die NPD die Streichung desAnhängsels „Die Volksunion“ in ihremParteinamen. Die DVU ist damit auchsymbolisch Geschichte.

NPD verliert Mitglieder

Auch die NPD selbst kriegt zwischen Elbeund Oder kaum ein Bein auf den Boden.Sie ist in Brandenburg ver gleichs weiseschwach aufgestellt. Seit 2010 verliertdie Rechtspartei in Brandenburg Mit glie -der und verfügt derzeit noch über etwa320 Aktive. Viele ihrer angeblichen Orts -verbände sind in Wahrheit virtuelle Inter - net-Konstrukte. Ihre relative Schwäche

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22 Juni 2013 | Heft 57

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zwischen ihren langjährigen Hoch bur -gen in Mecklenburg-Vorpommern undSachsen ist der Partei mittlerweile selbstetwas peinlich. Dieser Umstand anhal-tender Schwäche ist umso bemerkens-werter, als die NPD die alten Bundes -länder als Aktionsfeld fast vollständiggeräumt hat und alle Kapazitäten aufOstdeutschland konzentriert.

Zu einer groß aufgezogenen Kundge -bung am 15. September 2012 in Potsdamkonnte die NPD Brandenburg keine 100 Teil nehmer mobilisieren – und dieHälfte davon kam auch noch aus Berlin.Das be ab sichtigte Signal der Stärke inder alten Preußenmetropole fiel entspre-chend kläglich aus. Gegendemons tra -tionen verhinderten den geplantenMarsch durch die Stadt; am Ende zogendie Rechtsextremen unverrichteterDinge wieder ab.

Auf wirksamen Widerstand trifft inBrandenburg auch die Szene der so ge-nannten „Freien Kräfte“. Ich habe 2011die „Freien Kräfte Teltow-Fläming“ und2012 den „Widerstand Südbrandenburg“(„Spreelichter“) verboten. Derzeit sindnoch sieben neo-nationalsozialistischeGruppierungen in Brandenburg aktiv.Auf erhebliche Probleme stößt in Bran -denburg auch die rechtsextreme Musik -szene. Zwar gibt es hier vergleichsweiseviele Bands (2012: 24), sie finden aller-dings bislang kaum Auftrittsmöglich kei -ten, so dass sie häufig in benachbarteBundesländer ausweichen. Von neun

Konzerten der rechten Szene im Jahr2012 wurden drei von der Polizei aufge-löst; vier weitere konnten im Vorfeldverhindert werden.

Beispiele wie diese zeigen, dass denAktions- und Entfaltungsmöglichkeitender rechtsextremen Szene in Branden burgmittlerweile durch politische Rah men be -dingungen, staatliches Handeln und zivil-gesellschaftliches Engagement sehr engeGrenzen gesetzt werden. Bran denburg istfür Neonazis aller Schattie rungen einschwieriges Pflaster geworden.

Die Szene bleibt stabil

Alle diese Entwicklungen stehen ein-deutig auf der Habenseite der gesell -schaft lichen Auseinandersetzung mitdem Rechts extremismus in Branden -burg. Aber dies ist nur die eine Seite der Me daille. Andere Entwicklungen innerhalb der rechten Szene geben kei-nerlei Anlass zur Entwarnung. Es sindvor allem zwei Gründe, die diese Ein -schät zung aktuell rechtfertigen.

Zum einen ist das rechtsextremePersonenpotenzial in Brandenburg ins-gesamt relativ stabil. NennenswerteRückgänge sind seit einigen Jahren imGrunde nicht festzustellen. Innerhalbdieses Potenzials gibt es zwar bemer-kenswerte Verschiebungen: Währenddie NPD verliert, steigt die Zahl der har-ten Neonazis seit 2007 kontinuierlich an.Nach einem langjährigen Rückgang seit

DIETMAR WOIDKE | DAS VOLLE PROGRAMM

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der Jahrtausendwende sinkt auch dieZahl der unorganisierten gewaltbereitenRechten aktuell nur noch ganz leicht.

Das gesamte rechtsextremistischePer sonalpotenzial betrug im Jahr 2012rund 1.140. Im Vorjahr waren es 1.150 Akti - vis ten, 2010 rund 1.170. Zwar lässt sich die Einschätzung vertreten, dass dierechte Szene in Brandenburg seit etwadem Jahr 2000 langjährig an Aktivenund Mitglie dern verloren hat. Derzeitaber ist festzustellen, dass dieser Rück -gang fast zum Stillstand gekommen ist.Bei allen Ver schie bungen innerhalb desPo tenzials: Die rechtsextreme Szene in Brandenburg ist derzeit insgesamtstabil. Ob dies so bleibt, werden erst dienächsten Jahre zeigen.

Zahl der Straftaten steigt

Es handelt sich dabei auch keinesfallsum den in einer Demokratie vielleichthinzunehmenden Rest von notorischUnbe lehr baren und ideologisch Verirr -ten. Das wäre eine unverantwortlicheBaga telli sie rung der Szene. Man darfnämlich dabei nicht vergessen, dass dasentsprechende Personenpotenzial auchin den neunziger Jahren lange Zeit zwaretwas, aber nicht wirklich wesentlichüber den heutigen Zahlen gelegen hat.Dies ist der erste Grund, warum dieHerausforderung von Rechts auf derAgenda von Politik und Gesellschaft inBrandenburg bleiben muss.

Der zweite Grund dafür ist, dass dievon Rechtsextremen begangenen Straf -taten in Brandenburg zuletzt deutlichgestiegen sind. Politisch rechts motivier-te Straftaten haben 2012 um fast 19 Pro -zent zugenommen. Auch wenn es sichdabei in der Mehrzahl um Propaganda -delikte handelt, kann dieser Umstandkeinesfalls beruhigen. Denn auch dierechten Gewaltstraftaten in Branden -burg sind 2012 deutlich gestiegen von 36 auf 58. Zuvor waren die rechten Ge -waltstraftaten seit 2007 stets zurückge-gangen. Der Anstieg der Übergriffe istnicht unerheblich. Ob es sich dabei umeinen Trend handelt, lässt sich nochnicht sagen. Man muss auch sicherlichberücksichtigen, dass die Zahl der rech-ten Gewaltstraftaten sich unter demWert der Jahre 2001 bis 2010 bewegt.Dennoch: Ein deutliches Ansteigen ent-sprechender Straftaten nach zuletztmehrjährigen Rückgängen ist ein beun-ruhigendes Signal.

Was an einem Tag passiert

Dafür sprechen nicht allein die nüchter-nen Zahlen der Statistik. Wie äußernsich rechtsextreme Aktivitäten in Bran -denburg ganz konkret im Jahr 2013? Ichwill dies anhand von polizeilichen Mel -dungen vom 8. und 9. Mai dieses Jahresillustrieren.

Am 8. Mai marschieren in KlosterLehnin etwa 30 Personen mit Fackeln

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24 Juni 2013 | Heft 57

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und Bannern durch den Ort und skandie-ren „Nationaler Sozialismus jetzt!“ und„8. Mai – Lüge der Befreiung“. Am glei-chen Tag forderte ein „Reichsbürger“ ineinem an den Bürgermeister der Stadtadressierten Brief die „Übernahme derStadt Eberswalde in Volkes Hand“. InOranienburg zeigten anlässlich einesFußballspiels Heimfans ein Plakat mitder Aufschrift „Gas geben Sachsen -hausen“. Auf dem Weg der PotsdamerGästefans zum Bahnhof skandiert ein39-Jähriger aus einem Wohnhaus denHitlergruß. An einer Kundgebung der„Freien Kräfte Königs Wusterhausen“nehmen etwa 60 Personen teil. Motto:„Kein Grund zum feiern: Massenmordist keine Befreiung“.

Am 9. Mai kommt es in Panketal zu einem Vorfall, bei dem eine Gruppe von etwa 10 Jugendlichen mehrfach „SiegHeil“ skandiert. In Potsdam fährt eineGruppe männlicher Personen mit Fahr -rädern über die Brandenburger Strasseund ruft abwechselnd „Sieg“ und „Heil“.Am Luisenplatz stimmen sie beim Er -ken nen von Ausländern volksverhet -zende Lieder wie „Setzt die Affen in einBoot, zünd es an und lass es los“. Zudemriefen sie sich zu: „Wie hoch wächst dasGras?“, woraufhin der Hitlergruss ge-zeigt und geantwortet wurde: „So hochwächst das Gras!“. In Groß Lindow bau-ten mehrere Personen fünf Zelte untereiner Brücke auf und hissten die Reichs -kriegsflagge. Acht Personen hatten sich

Hakenkreuze auf den Oberkörper gemalt.Im Potsdamer Neuen Garten wurde vonrund 25 Personen „Sieg Heil“ und „Ka na -ken raus“ skandiert. Ebenfalls in der Lan -deshauptstadt wurde in einem Wohn ge -biet „Holocaust – alles Lüge“ und „Heildem Vaterland“ gerufen. Das alles sindStreiflichter aus nur zwei Tagen.

Wir brauchen den Verfassungsschutz

Gegen die andauernde Herausfor de rungder Demokratie durch den Rechts ex tre -mismus können wir nur mit ab ge stim m -ten Konzepten vorgehen. Mit Prä ven tionund Repression gleichermaßen.

Wir brauchen selbstverständlichauch in Zukunft dafür eine leistungsfä -hige Po li zei. Wir brauchen einen star-ken polizeilichen Staatsschutz. DieGrund lage für das Handeln der Polizeizur Be kämp fung der politisch rechtsmoti vier ten Kriminalität ist das „Hand -lungs konzept Politisch motivierte Kri -mina lität“, mit dem seit Jahren eineeinheit liche Strategie festgeschriebenwird. Sie setzt auf einen hohen Verfol -gungsdruck, eine nachhaltige Straf ver -folgung, die Unterbindung extremisti-scher Aktionen und die Nutzung desInstruments des Verbots von Vereini -gun gen. Das Ergebnis ist ein anhaltendhoher und erfolgreicher Druck der Si -cher heitsbehörden.

Nach meiner Auffassung benötigenwir auch weiterhin den Verfassungs -

DIETMAR WOIDKE | DAS VOLLE PROGRAMM

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schutz. Dies gilt trotz der Fehler, die derVerfas sungsschutzverbund – aber nichter allein! - im Zusammenhang mit derrechten Terrorzelle NSU begangen hat.Die von manchen geforderte Abschaf -fung des Verfassungsschutzes würde dieWehrhaftigkeit der Demokratie gegenden rechten Extremismus schwächen.Das sollte die letzte Konsequenz sein,die wir aus dem NSU-Debakel ziehen.

Repression wirkt

Die repressive Komponente der Be kämp -fung des Rechtsextremismus zeigt inBrandenburg Wirkung. Aber sie hat natürlich ihre Grenzen. Mit adminis -trativen Maßnahmen allein lassen sich gesellschaftliche Herausforderungenselbstverständlich nicht „lösen“. Dasspricht nicht gegen Maßnahmen derRepression – wie etwa Vereinsverbote –wohl aber dagegen, ihre Wirksamkeit anunrealistischen Maßstäben zu messen.Umgekehrt kann das Problem auch nichtallein der Zivilgesellschaft und ihremEngagement überlassen werden. Wo esum gefährliche Straftaten und ihre Auf -klärung geht, da findet dieses Enga ge -ment ebenfalls seine Grenzen. Da helfennur Polizei und Justiz.

Insofern bleibt die enge Abstimmungund Verzahnung aller repressiven undpräventiven Maßnahmen auch in Zu -kunft erforderlich. Die Wirksamkeit aller Bausteine dieser Gesamtstrategie

muss dabei aber immer wieder neu über-prüft werden angesichts einer rechtenSzene, die in Bewegung geraten ist undsich gegenwärtig auch in Brandenburgneu sortiert.

Folgende Tendenzen gehören dazu:Die NPD verliert an Bindekraft. DieSzene differenziert sich aus. Unkon ven -tionelle Aktionsformen nehmen zu.Großdemonstrationen dagegen scheinenwegen des erfolgreichen Widerstandesder Zivilgesellschaft an Attraktivität zuverlieren. Die rechte Szene geht dahervermehrt zu Kleinaktionen („Wander -mahnwachen“) und Aktionsformen ähn-lich den „Unsterblichen“ über. Es entste-hen neue, web-basierte Gruppierungenwie etwa die sogenannten „Identitären“.

Keine Abstriche

Besonders aufmerksam beobachtet wer-den müssen Mischszenen, in denen sichetwa Rocker, Kampfsportler, Rechte undsonstige Aktive überlappen. Hierfür be-stehen insbesondere in SüdbrandenburgAnhaltspunkte. Auch die zunehmendenReichsbürger-Aktivitäten, die die Legi -timität der demokratischen Ord nung untergraben sollen, erfordern eine an -gemessene Reaktion. Es bleibt auch abzuwarten, wie die rechte Szene aufden hohen Druck durch staatliche Re -pres sivmaßnahmen reagiert. Es ist nichtauszuschließen, dass es zu einer nochkonspirativeren Vorgehensweise bei der

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szeneinternen Kommunikation und in Teilen auch zu weiteren Radika lisie -rungs prozessen kommen kann.

Ich gehe deshalb davon aus, dass wirauch weiterhin in Brandenburg alle er-folgversprechenden Maßnahmen undKonzepte zur Bekämpfung des Rechts ex -tremismus zum Einsatz bringen müssen.Sowohl repressiv als auch präventiv –eben: das volle Programm. Es wäre einFehler, daran Abstriche zuzulassen. Daskönnte sich später bitter rächen.|

DR. DIETMAR WOIDKEist Innenminister des Landes Brandenburg.

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WINFRIEDE SCHREIBER | UND SIE NUTZEN JEDE GELEGENHEIT

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Ohne zu dramatisieren lässt sichkonstatieren, dass der Rechts ex -

tremismus in vielen ländlichen Regio -nen Deutschlands eine politisch undsozial nicht zu ignorierende Rolle spielt.Das trifft in Brandenburg besonders aufdie südlichen Teile des Landes zu. Voneiner „hegemonialen Dominanz“ imSinne einer „kulturellen Hegemonie“sind Rechtsextremisten in Brandenburgjedoch weit entfernt. Die Arbeit vonPolizei und Verfassungsschutz sowie dieim Handlungskonzept „Tolerantes Bran -denburg“ festgelegte institutionalisierteBeratung durch die regionalen MobilenBeratungsteams bieten Landkreisen,Kommunen und Verbänden eine ver-lässliche Basis für kommunale Strate -gien und Maßnahmen gegen den Rechts -extremismus vor Ort.

Allerdings bereitet die Strömung derNeonationalsozialisten seit einigenJahren Sorge – nicht nur in Branden -

burg. Nach Einschätzung des Verfas -sungs schutzes befindet sich diese Strö -mung des Rechtsextremismus in Bran -denburg und vielen anderen RegionenDeutschlands im Aufwind. In Branden -burg stieg die Gesamtzahl der Neonatio -nalsozialisten im Zeitraum 2007 bis 2012um 190 Personen auf 430 Personen an.Seit Beginn der entsprechenden Statis -tik für das Land Brandenburg im Jahr1993 war die Zahl der Neonational sozia -listen noch nie so hoch.

Beunruhigende Entwicklung

Wissenschaft, Verfassungsschutz undPolizei sehen viele Hinweise, dass sichder Rechtsextremismus organisatorisch-strategisch „modernisiert“ hat. Daranhat die neonationalsozialistische Strö -mung einen großen Anteil. Dieser Bei tragwill zunächst die tiefer gehenden Gründefür diese beunruhigende Ent wicklung he-rausarbeiten. Danach soll die organisato-risch-strategische Mo derni sierung des

UND SIE NUTZEN JEDE GELEGENHEITWie sich die Neonationalsozialisten organisatorisch und strategisch modernisieren — Von Winfriede Schreiber1

1 Die Autorin dankt Michael Hüllen und Heiko Homburg fürwertvolle Anregungen zu diesem Beitrag

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Rechtsextremismus exemplarisch amBeispiel der „Wider standsbewegung inSüdbrandenburg“ nachvollzogen wer-den. Die im Jahr 2012 vom Innenministerdes Landes Branden burg verboteneGruppierung hat in den letzten Jahrenden Rechtsextremismus im südlichenBrandenburg entscheidend mitgeprägt.

Ein entscheidender Schub

Drei Entwicklungen haben dazu geführt,das von einer Modernisierung des Rechts - extremismus in einem organi satorisch-strategischen Sinne gesprochen werdenkann: die Entfaltung eines Zusam men -gehörigkeitsgefühls im Rechts extre mis -

mus, die Herausbildung einer kollek ti -ven Identität und die Infor mations -technik, die dem Rechtsextre mismus einen weiteren entscheidenden Schubgegeben hat.

Der zeitgenössische deutsche Rechts -extremismus richtet sich gegen sozialeund ökonomische Wandlungsprozesse,die in den letzten zwei Jahrzehntenweltweit in Erscheinung getreten sind.Rechtsextremisten in Brandenburg bil-den dabei keine Ausnahme; wie alledeutschen Rechtsextremisten lehnen siediese Entwicklung ab. Der Kampf gegendie Verursacher (aus der Sicht vonRechts extremisten: Kapitalismus unddie parlamentarische Demokratie) und

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30 Juni 2013 | Heft 57

Organisierte und unorganisierte Neonationalsozialisten in Brandenburg

Quelle: Verfassungsschutz des Landes Brandenburg

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um vermeintliche Lösungen (Immi gran -ten nach Hause schicken) bildet – trotzaller vorhandenen Differenzen zwischenden einzelnen Strömungen – das eini-gende Thema im Rechtsextremismus.Da durch ist, anders als die Jahrzehntezuvor, ein Zusammengehörigkeitsgefühlin der rechtsextremistischen Szene ent-standen. Im Gegensatz zu anderen Strö -mungen im Rechtsextremismus ist derNeonationalsozialismus allerdings imVorteil: Diese Strömung verkörpert denKampf gegen Ausländer und die parla-mentarische Demokratie am kompro-misslosesten. Neonationalsozialistenverzeichnen daher seit einigen Jahrenkontinuierlichen Zulauf. In Brandenburgkommt noch ein weiterer Faktor hinzu:Die schon seit einigen Jahren anhalten-de Schwäche der NPD. Sie bekommt imLand Brandenburg seit vielen Jahrenkaum einen Fuß auf den Boden.

Erfolgreiche Vernetzung

Gleichzeitig hat sich in den letzten zweiJahrzehnten im Rechtsextremismus eine kollektive Identität herausgebildet.Die neonationalsozialistische Strömungsteht an der Spitze dieser Entwicklung.Bestandteile dieser rechtsextremisti-schen Identität sind eine eigene Bewe -gungs geschichte, eigene Sprachcodes,netzwerkartige Organisationsformenund die Orientierung an jugendkulturel-len Praktiken und Stilen:

> Die Szene lebt von der Vorstellungeiner vermeintlich einheitlich verlau-fenden geschichtlichen und kulturel-len Entwicklung der Deutschen bis1945. Neonationalsozialisten habendiese Fiktion in ihre Bewegungs ge -schichte integriert und vermitteln sie auf politischen Schulungen. Sie se hen sich als Nachfolger der in dengermanischen und keltischen Mythenbeschriebenen Helden und interpre-tieren die Heldenerzählungen des Na -tionalsozialismus (wie zum Bei spielden „Marsch der NSDAP auf die Feld -herrenhalle“ im Jahr 1923) und desZweiten Weltkriegs (wie etwa den ver-meintlich heldenhaften Soldatentodfür das Vaterland) als Bestandteil derdeutschen Kultur. Zudem orientiertsich diese Strö mung zunehmend auchan den „Hel den“ der eigenen Bewe -gung, wie etwa dem 1991 verstorbe-nen westdeutschen Neonational so -zia lis ten Michael Kühnen.

> Ein wichtiger Teil dieser kollektivenrechtsextremistischen Identität sindeigene Sprachcodes, mit denen manan die Öffentlichkeit tritt. Die rechts-extremistische Vision eines „sterben-den deutschen Volkes“ (Volkstod)gehört ebenso dazu wie der Begriffder „Volksgemeinschaft“, der die als„undeutsch“ empfundene Gesell -schaft ersetzen soll.

> Rechtsextremisten integrieren ver-stärkt jugendkulturelle Praktiken

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und Stile in ihre Bewegung, um Ju -gendliche besser beeinflussen zukönnen. Rechtsextremisten setzenunmittelbar am Alltag, an der Le -benswelt von Jugendlichen an. Rock-und neuerdings sogar Pop-Musik sindzu wichtigen Trägern ideologischerBotschaften geworden. Die Verfas -sungsschutzbehörden gehen davonaus, dass die Kombination von Frei -zeit- und Unterhaltungswert mit po litischen Inhalten, die um einenfremdenfeindlichen Kern oder dieVer herr lichung, zumindest die Ver -harmlosung des Nationalsozialismuskreisen, zu einem Kennzeichen deszeitgenössischen Rechtsextremismus

geworden ist. Diese Verbindung wirdheute von Verfassungsschützern als„Erlebniswelt Rechtsextremismus“bezeichnet.

> Außerdem vernetzt sich die Szeneseit einigen Jahren erfolgreich. Alldiese Aspekte führen in verstärktemMaße dazu, dass diese Strömung desRechtsextremismus verstärkt alsGegenkultur mit einer eigenen Iden -tität wahrgenommen wird. Auf denSüden Brandenburgs trifft die Cha -rakterisierung der Szene als Gegen -kultur besonders zu. Nach denVerboten mehrerer neonationalso -zialistischer Gruppierungen Mitteder neunziger Jahre des vorigen

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32 Juni 2013 | Heft 57

Aspekte der organisatorisch-strategischen Modernisierung des Rechts extre mismus

> Bewegungsgeschichte> Vernetzung> Sprachcodes> Jugendkulturelle Praktiken

und Stile

Zusammen -gehörigkeits -gefühl

Kollektive Identität

Intensive Nutzung der

Informations -technik

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Jahrhunderts und den Verboten undSelbstauflösungen Mitte des letztenJahrzehnts bilden neonationalsozia-listische Netzwerke mittlerweile diestrukturelle Basis des Rechtsextre -mismus in dieser Region.

Das enorme Potenzial der Informa - tionstechnik sowie die Vielfalt der Mög -lich keiten im Internet hat diese Ent -wick lung in den letzen Jahren nochbe schleunigt. Insbesondere die neo -nationalsozialistische Strömung imRechtsextremismus nutzt heutzutagealle vorhandenen IT-technischen Mög -lich keiten sowohl zur eigenen Ver -netzung als auch zur bewussten Ein -flussnahme. Neonationalsozialistenhaben die Informationstechnik und dasInternet entdeckt, weil sie damit ihregruppen- oder netzwerkinterne Kommu -nikation festigen können. Zugleich kön-nen sie im Netz ihre menschenverach-tenden Botschaften besser tarnen undleichter nach außen vermitteln. Hiertreffen sie auf Jugendliche, für die dasInternet in erster Linie Unterhaltungbietet. Aber Jugendliche suchen imInter net auch nach Vorbildern, ver-schaffen sich Informationen, bilden ihreMeinung heraus und nutzen sozialeNetz werke als Ersatz für die zwischen-menschliche Kommunikation. An dieserStelle setzen Neonationalsozialisten anund betreiben Agenda-Setting. Als soge-nannte „Social Publisher“ im Netz plat-

zieren sie ihre Agitationsschwerpunkteüber ihre eigenen Kommunikations ka -näle in der Öffentlichkeit.

Was passiert in Südbrandenburg?

Die organisatorisch-strategische „Mo -derni sierung“ des Rechtsextre mismusließ sich in den vergangenen Jahren besonders im Süden Brandenburgs be-obachten. Am Beispiel der Gruppierung„Widerstandsbewegung in Südbran den -burg“ und ihres Umfeldes lassen sich die einzelnen Aspekte dieser „Moderni -sie rung“ sogar konkret nachvollziehen.Diese Gruppierung hat in den letztenJahren die rechtsextremistische Pro -paganda ihrer Gesinnungsgenossen inganz Deutschland entscheidend mit -geprägt. Mit permanenten, gefühlsbe-tonten und unverkennbar völkischenInsze nierungen versuchte sie die inter -net affinen Jugendlichen besonders inihren Bann zu ziehen und entsprechen-den politischen Einfluss auszuüben. Die„Wider standsbewegung in Südbran den -burg“ existiert allerdings nicht mehr. Sie wurde am 19. Juni 2012 vom Innen -minister samt ihres Internet-Portals„spree lichter.info“ verboten.

Entstanden ist die „Widerstands be -wegung“ nach den öffentlich proklamier-ten Selbstauflösungen der Kamerad -schaften „GesinnungsgemeinschaftSüd-Ost Brandenburg“, „Sturm Cottbus“und „Lausitzer Front Guben“ im Jahr

WINFRIEDE SCHREIBER | UND SIE NUTZEN JEDE GELEGENHEIT

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2006 und firmierte zunächst unter denNamen „Netzwerk Freie Kräfte“ und„Nationale Sozialisten in Südbran den -burg“. Es handelte sich um ein Netzwerklokaler Kleingruppen (Zellen) aus Lüb -ben, Lübbenau, Senftenberg, Sprem -berg, Vetschau und Cottbus sowie Ein -zelpersonen, beispielsweise aus Gubenund Lauchhammer. Verbindun gen be-standen auch nach Potsdam. Kern desNetzwerks waren die Zellen in Lübbenauund Lübben. Einige Personen dieserFührungsclique waren durch ihre frü -heren Mitgliedschaften in der NPD gutvernetzt mit ehemaligen neonational -sozialistischen Kadern, die in den neun-ziger Jahren des vorigen Jahrhun dertsihren Weg in die rechtsextremistischePartei fanden.

Gegensatz zur NPD

Allerdings stand die Führungsclique des Netzwerkes der NPD in den letztenJahren distanziert gegenüber. Man ver-stand sich eher als Ideen- und Taktgebersowie Elite der neonationalsozialisti-schen Bewegung. Trotz dieser elitärenAnwandlungen war die Führungscliquedes Netzwerks im örtlichen Umfeld derKernzellen in Lübben und Lübbenau gutvernetzt. Es entstanden stabile sozialeBeziehungen – Geburtstage und andereEreignisse wurden gemeinsam began-gen. Gleichzeitig wurde die Vernetzungmit den Heranwachsenden, die der

rechtsextremistischen Szene in der Re -gion aufgeschlossen gegenüberstanden,betrieben. Dazu dienten beispielsweiseHallenfußball- und Pokerturniere. Da -rüber hinaus unterhielt die Führungs -clique des Netzwerks enge Kontakte zuGesinnungsgenossen im BundeslandSachsen.

Neben den sozialen Beziehungen hiel-ten gemeinsame politische Ideen (spe-zielle Kampagnen wie „Volkstod“ und„Die Unsterblichen“), Aktionen (Kult umRudolf Heß und Horst Wessel, Helden -gedenkfeiern, Sonnenwendfeiern, De -monstrationen, Flashmobs) Hass musik-Konzerte, Lesezirkel zur Ver mittlungnationalsozialistischer Ideologie sowietaktische Schulungen (Informations -technik, Umgang mit der Polizei) dasNetzwerk zusammen. Ideo logisch war esorientiert an der völkischen Bewegungdes 19. Jahrhunderts und dem National -sozialismus. Die Protagonisten desNetzwerks sahen sich in einem funda-mentalen Gegensatz zur Demokratie.

Vernetzung im Internet

Die „Widerstandsbewegung in Süd bran -denburg“ hat vor allem von der rasantenEntwicklung der Informations techno -logie profitiert und eine Infra strukturaufgebaut, auf die standortunabhängigzugegriffen werden konnte. Diese Kern -infrastruktur war das technische Rück -grat des Netzwerks. Zusätzlich waren

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34 Juni 2013 | Heft 57

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entsprechende Internetdienste (Free -Mail-Dienste) eingebunden. In einerCloud-Storage-Umgebung lagerten dasArchiv und die aktuellen Dokumente des Netzwerks. Die zugangsberechtigtenEliten des Netzwerks konnten sich in abgeschirmten Räumen austauschenund ihre Vorhaben planen.

Die Kommunikationsplattformen unddie Cloud-Storage-Umgebung dienten zugleich als Unterstützung für die Pro -duk tion der Websites „spreelichter.info“,„sfb-infos.nw.am“, weiterer Web-Seitensowie neuer Web-Projekte, wie beispiels-weise der Internetseite „cb-infos.net“ derZelle Cottbus. Über im osteuropä ischenAusland ansässige Freemail-Ser verkonnten die Führungsclique und weitereberechtigte Aktivisten ebenfalls unbeob-achtet über die Websites eingehendeNachrichten kontrollieren und bequemim „Back-Office“ beantworten. Zugleichhatte man zwölf Internet-Do mains ange-meldet, die zum Teil auch für andereZellen interessant waren (zum Beispieldie Domain „wirwollen leben.info“ für die Kampagne „Wir wol len leben“ der„Nationalen So zi a listen Senften berg“).Damit hatte man ein wirkungsvollesSteuerungs instru ment für die Organi -sation der Außen kom mu nikation desNetzwerks in der Hand.

Entscheidend wahrgenommen wurdedie „Widerstandsbewegung“ durch ihrHauptprojekt, das Internetportal „spree-lichter.info“. Hier präsentierte sie sich

als virtuelle Gemeinschaft mit dem Ziel,ihr Geflecht und ihren Einfluss bestän-dig zu vergrößern. Schon früh hatten die Führungsfiguren des Netzwerks Er fah rungen mit Web-Projekten gesam-melt (Internetseiten des KreisverbandesSpreewald, Bewegung Neue Ordnung,Gesinnungsgemeinschaft Süd-Ost Bran -denburg, lausitz-infos.net, demo-lau-sitz.info).

Information als Einstieg

Eindeutiger Schwerpunkt der Web sitewar die Information. Um möglichst vielePersonen zu erreichen, wurde – einge-bettet in eine ansprechende Optik – einebeträchtliche Bandbreite an Themenpräsentiert. Berichtet wurde zum demo-grafischen Wandel, zur Landflucht, zurArbeitslosigkeit, zur Zuwanderungs po -litik, zur Kriminalität, zur Informations -zugangspolitik sowie zu internationalenKriegs- und Konflikteinsätzen und zurarabischen Rebellion. Die Berichterstat -tung war tendenziös. Für jedes gesell-schaftliche Problem wurden Demokra -tie und Pluralismus verantwortlichgemacht. Die „Widerstandsbewegung“versuchte so, sich als Sprachrohr derBürger (vor allem der Jugendlichen) inder Lausitz zu inszenieren. Es solltenGe fühle der Verbundenheit und Zusam -mengehörigkeit produziert werden („Wirgemeinsam gegen das Establishment daoben“). In den persönlichen Kontakten

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und Gesprächen mit sympathisierendenJugendlichen vor Ort konnten die einzel-nen Zellen des Netzwerks sich immerwieder auf die Internetseite beziehenoder auf sie verweisen.

Keine Demokraten – na und?

Die Widerstandsbewegung in Süd -brandenburg nutzte jede Gelegenheit,ihre Sprachcodes in der Öffentlichkeitzu vermitteln. Parolen wie „Volkstod“,„Die Demokraten bringen uns denVolkstod“ oder „Wir wollen leben“ und„Werde unsterblich“ sollten der Visionder „Widerstandsbewegung“ vom „ster-benden deutschen Volk“ nachhaltigAusdruck verleihen – vor allem beiJugendlichen und Heranwachsenden.Die Parole „Wir sind keine Demokraten.Na und?“ war gegen die pluralistischeDemokratie gerichtet. Nicht nur dieInternetseite „spreelichter.info“ wurdezur Verbreitung solcher Sprachcodes ge-nutzt; die Gruppierung produzierte auchunzählige Aufkleber mit den entspre-chenden Parolen.

Auch andere Möglichkeiten, Sprach -codes zu verbreiten, wurden gesucht: Inder rbb-Sendung „Vor Ort“ ergriff einerder Protagonisten des Netzwerks dieGelegenheit und kritisierte, die Politiktue nichts gegen das angebliche „Ster bendes Volkes“. Auch „Spiegel-TV“ gab mannach dem Verbot der Gruppierung bereit-willig Auskunft über eigenen An sichten.

Ergänzend bot die „Widerstands be -wegung“ auf der Website „spreelich -ter.info“ Beiträge an, die völkisch-natio-nalistische Inhalte hatten, germanischeMythologie vermittelten oder „heldi-sche“ Menschen der deutschen Ge -schichte portraitierten. Dazu gehörteauch der vor 20 Jahren verstorbenewestdeutsche NeonationalsozialistMichael Kühnen. Den Konsumenten derWebsite sollten die Beiträge zum „Ger -ma nentum“ oder Kurz-Portraits vonGoethe, Gutenberg oder Dürer vermit-teln, dass es einen „heroisch“ geprägtendeutschen „Volks-Charakter“ gäbe. Soversuchte man die jugendliche Klientelan völkisch-nationalistische Ideologieheranzuführen. Die „Widerstands be we -gung“ ließ keinen Zweifel daran, dass sie sich in der Tradition der „guten“Deutschen sah. Auch Kühnen wurdezum Held und damit Bestandteil der ei-genen Bewegungsgeschichte stilisiert.

Einheit von Bewußtsein und Tat

Mit multimedialen Internetkampagnenwollte die „Widerstandsbewegung“ dieAttraktivität ihres Internetangebotesfür Jugendliche und Heranwachsendeerhöhen. Dazu wurden Video-Clips undAudio-Files mit rechtsextremistischenBotschaften für die Internetseite „spree-lichter.info“ produziert. Über eigens eigerichtete Kanäle wurden die Kampag -nen-Clips auch auf den beliebten Vi deo -

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plattformen YouTube, Vimeo und blib.tvveröffentlicht. Zugleich wurden sie überdie Foto-Plattform Flickr sowie denKurznachrichtendienst Twitter verbrei-tet. Sie erreichten damit in kürzesterZeit eine maximale Streuung. Die vonden Internetkampagnen ausgehendenImagebotschaften sollten die „Wider -standsbewegung“ in einem jugendkul -turellen Sinne modern, dynamisch undunangepasst darstellen. Teilweise sti li - sierte man sich als Stadtguerilla. DieKampagnen zielten klar auf das Aktions -potenzial von Jugendlichen und spra-chen ein speziell jugendliches politi-sches Gefühl an: die strikte Einheit vonpolitischem Bewusstsein und der Tat (imSinne einer anti-bürgerlichen Haltung).Hinter dem aktionistischen Charakterder Videos und ihrem geschickten Bild -schnitt blitzte die eigentliche Bot schaftoft nur subtil auf: In einer der erstenKampagnen ging es um Geschichts -revisionismus, um das Verharmlosender Ursachen, des Ausmaßes und derBesonderheiten der NS-Verbrechen.

Mit den völkischen Kampagnen„Volkstod“ und „Werde unsterblich“ sowie der Kampfsportkampagne „Kommzu den Anderen und stell’ dich demKampf!“ versuchte die „Widerstands -bewegung in Südbrandenburg“, eine län-gerfristige Werbung für eine völkischeOrdnung und rassische Prinzipien ein -zuleiten. Der Slogan der Volkstod-Kam -pagne „Die Demokraten bringen uns den

Volkstod“ spiegelte dabei die identitäreGesellschaftsauffassung der Gruppie -rung wider. Der demokratische Plu ra -lismus sollte als Herrschafts prinzip einer Minderheit über den „Volkswillen“diffamiert werden. Die völkischen Kam -pagnen der „Widerstands bewe gung“überraschten zudem durch ihre auf dasInternet abgestimmte Symbolik undDramaturgie: Inszenierungen mittelsFackeln, weißen Masken und „Sensen -mann-Symbolik“ sowie Grenz über schrei -tungen (gezieltes Stören von Ver anstal -tungen, unangemeldete nächtlicheDe monstrationen) wurden von der Füh -rungsclique der „Widerstands be we gung“in bis dato im deutschen Rechts extre -mismus noch nicht gesehene Vi deoclipsumgesetzt.

Brücke zur Alltagswelt

Zugleich schlug die „Widerstandsbewe -gung“ im Rahmen dieser Kampagnen ei-ne Brücke zwischen Rechtsextremismusund der popkulturellen Alltagswelt vonJugendlichen und Heranwachsenden,denn die Videos waren zum Teil mitMusik bekannter Hollywood-Filme oderSongs deutscher Popbands unterlegt. Inder rechtsextremistischen Szene sinddiese außergewöhnlichen Angebotedankbar aufgegriffen und weiterver -breitet worden. Auf diese Weise erzieltedie “Widerstandsbewegung“ über ihreeigenen Kommunikationskanäle so viel

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Aufmerksamkeit für ihre völkischen undantidemokratischen Anliegen, dass siemit ihren Kampagnen für einige Wochenselbst zum Thema in regionalen undüberregionalen Medien wurden. DasVerbot der Gruppierung hat diese Dy -namik wirkungsvoll unterbrochen.

Hoher Aufwand, mäßiger Erfolg

In der neonationalsozialistischen Strö -mung hat sich – wie im gesamten Rechts -extremismus – in den letzten eineinhalbJahrzehnten ein Zusammen gehörig -keits gefühl und eine gemeinsame Iden -tität entwickelt, die in die Öffentlichkeitdrängt. Das Internet in Verbindung mitmultimedialen Ange boten ist eine derwenigen Möglich keiten für sendungs -bewusste Neo na tio nalsozialisten, ihrerPropaganda Auf merksamkeit zu ver-schaffen und damit – wie im Fall der„Widerstands be wegung in Südbran -denburg“ – Teil der Medienagenda zuwerden. Deshalb kämpfen Neonational -sozialisten zum Teil mit hohem techni-schen Aufwand um die Aufmerksamkeitund Gunst von Jugendlichen und Heran -wachsenden. Nach wie vor gelingt ihnendas nur mit mäßigem Erfolg. Dennochmüssen mit Blick auf die Wirkung solcherKampag nen Zivilgesellschaft, Wis sen -schaft, Jugendschützer, Verfas sungs -schutz und Polizei weiterhin besonderswachsam sein. Das Land Bran denburgtut gut daran, auch in Zukunft Rechts -

extremisten offensiv zu begegnen. Dazugehört, die erfolgreiche Verbotspraxisder letzten 20 Jahre gegen neonatio -nalsozialistische Zusam menschlüssekonsequent fortzusetzen und über dieStra tegien des Rechtsex tremismus auf klären. Mit unserer starken Zivil ge -sellschaft und den scharfen Instru men -ten der freiheitlichen demokratischenGrundordnung verfügen wir über be-währte Mittel, um die Auseinan der set -zung mit dem Rechtsextremismus er-folgreich zu führen.|

WINFRIEDE SCHREIBERwar von 2005 bis 2013 Leiterin desBrandenburger Verfassungsschutzes.

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PERSPEKTIVE21:Zwischen 2000 und2006 hat das Trio des Nationalso zialis -tischen Unter grunds zehn Menschenermor det. Haben Sie diese Morde da-mals registriert? EVA HÖGL: Nein, nicht wirklich. Ich habe von dieser Mordserie damals gehört, aber nur schwa che Erinne run -gen daran. Im Grunde habe ich mich erst im No vem ber 2011 wirklich damitaus ein an der gesetzt als das NSU-Trio in Eisenach aufflog.

Wie schnell war Ihnen klar, dass wir es hier auch mit massivem Staats ver -sagen zu tun haben und man das Ganzegenauer unter die Lupe nehmen muss?Das war sofort klar. Wenn es eine Seriemit zehn ermordeten Personen gab, 15 Banküberfälle und zwei Sprengstoff -anschläge, dann ist klar, dass da wasschiefgelaufen sein muss, sonst passiertso etwas ja nicht.

Der daraufhin eingesetzte Unter su -chungs ausschuss wurde von allen Frak -tionen gemeinsam getragen. Ist es imLaufe der Zeit bei der Zusammenarbeitüber die Fraktionen hinweg geblieben?Ja, die ganzen anderthalb Jahre lang. Wir haben alle Beschlüsse einstimmig getroffen – und zwar nicht auf dem Ni -veau des kleinsten gemeinsamen Nen -ners. Wir schreiben jetzt gemeinsam denAb schluss bericht und gehen dabei sehrrespektvoll mit den unterschiedlichenMei nungen der Fraktionen um. Von An -fang an sollte die Sachaufklärung im Vor -der grund stehen. Das ist uns gelungen,auch wenn es natürlich in den Frak tionenunterschiedliche Bewer tungen gibt.

Welche Erkenntnisse werden denn gemeinsam getragen?Zwei Dinge haben wir in den vergange-nen anderthalb Jahren herausarbeitenkönnen. Zum einen: Über einen Zeit -

EVA HÖGL | WIR MÜSSEN WACHSAM BLEIBEN

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WIR MÜSSEN WACHSAM BLEIBENÜber die Erkenntnisse des NSU-Untersuchungsausschusses,Staatsversagen und die Unterschiede zwischen WolfgangSchäuble und Otto Schily sprach Thomas Kralinski mit Eva Högl

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raum von 15 Jahren – wenn man dieEntstehung der Zwickauer Terrorzellehinzuzählt, sind es fast 20 Jahre – ist derRechtsextremismus flächendeckend ver-harmlost worden, und zwar sowohl beider Suche nach dem Terrortrio, bei denMordermittlungen und bei den Ermitt -lungen zu den Sprengstoffanschlägen.Er wurde nicht als Gefahr für unsere De mokratie gesehen. Die zweite ist einesehr bittere Erkenntnis: Die Tatsache,dass neun der zehn Mordopfer als auchdie Opfer der Sprengstoffanschläge einen Migrationshintergrund hatten,hat die Untersuchungen von Polizei,Verfas sungsschutz, Justiz und politischVer ant wortlichen in die falsche Rich -tung gelenkt. Die Opfer sind in ein kri -minelles Milieu gesteckt worden.

Was heißt das?Es zeigt, dass unsere Vorurteile sehrausgeprägt sind. Da sind die Sicherheits -behörden sicher nur ein Spiegelbild un-serer Gesellschaft. Ein ermordeter Mannmit türkischem Migrationshintergrund,der einen Imbiss betreibt, wird von unsautomatisch in ein kriminelles Umfeldgesteckt und hat etwas mit PKK, Drogen,Rotlicht oder sonst was zu tun. Das zusehen, war erschreckend, denn es warvon Hamburg bis München, von Rostockbis Köln überall das Gleiche.

Wie konnte es zu einer solchen kollek -tiven Verharmlosung kommen?

Das hat mich am meisten fassungslos gemacht. Ursprünglich hatte ich ge-dacht, es gäbe wahrscheinlich einenFehler herd, bei dem am Anfang der Mord -kette etwas schiefgelaufen ist. Aber daswar nicht so. Wir haben diese kollektiveVerharmlosung überall gefunden.

Den Föderalismus ausgenutzt

Woran liegt das? Zum einen wurde der Rechtsextre mis -mus einfach nicht als Gefahr gesehen. In manchen Behörden wurde stärker inRichtung Linksextremismus geschaut.Nach dem 11. September 2001 kam einFokus auf islamistischen Terror hinzu.Sicherlich gab es auch Erkenntnisse,dass sich die rechtsextreme Szene zu-nehmend radikalisiert und zu Gewalt bereit ist. Aber dieses Wissen hatte keine Konsequenzen, die Erkenntnissewurden nicht als bedrohlich angesehen.

Angesichts der kollektiven Verharm - losung, auch angesichts der vielen ge -schred derten Akten, sprechen manchevon einem „tiefen Staat“, einem Staat im Staate. Ist da was dran?Das haben wir sehr sorgfältig unter-sucht, dazu aber keinen einzigen Beleggefunden. Entscheidend ist die Frage,wer hat was gewusst. Über die Zeit waren die unterschiedlichsten Stellenbeteiligt: die Polizei in Hamburg, derVer fassungsschutz in Brandenburg oder

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Nordrhein-Westfalen, das Bundeskri -minalamt, die Behörden in Bayern usw.Man kann sich gar nicht vorstellen, wie man das hätte organisieren sollen,dass eine solche Mordserie gedecktwird. Ganz ehrlich: Es wäre ja viel ein -facher, wenn wir sagen könnten, da waren zehn oder 20 Rechtsextreme anfolgenden Stellen und die haben dieMordserie gedeckt. Das, was wir raus -gefunden haben, ist viel schwieriger zu bewältigen, weil es tief in unsereGesellschaft dringt.

Welche Konsequenzen müssen gezogenwerden?Zunächst brauchen wir eine Reform derSicherheitsbehörden. Ihre Kompetenzenund ihre Zusammenarbeit muss auf neueFüße gestellt werden, die Zusam men ar -beit der Bundesländer muss besser wer-den. Im Grunde hat das Terror trio denFöderalismus ausgenutzt. Wich tiger aberist mir, dass nicht nur die Struk turen ver-ändert werden, sondern die Haltung derLeute, die darin arbeiten.

Also ein Mentalitätswandel?Ja, und zwar auch der Zivilgesellschaft.So etwas kann nur passieren, wenn Le u -te bestimmte Bilder im Kopf haben unddas ist in den Sicherheitsbehörden nichtanders als in unserer Gesellschaft. Inden Behörden herrschen keine anderenVorurteile als bei jedem von uns. Ich willVerbände, Vereine und Organisa tionen,

die sich gegen Rechtse xtremis mus enga-gieren, besser finanzieren und nicht kri-minalisieren. Die „Extremis mus klausel“als Förder voraussetzung, die das Bun -des jugend ministerium eingeführt hat,gehört abgeschafft.

Muss nicht auch die Ausbildung in denSicherheitsbehörden verändert werden? Auf jeden Fall. Wir müssen mehr schulenbeim Umgang mit Menschen mit Migra -tionshintergrund, dies gilt insbesonderefür die Kommunikation mit Opfern vonStraftaten und ihren Angehörigen. Au -ßerdem müssen unsere Behörden bunterund vielfältiger werden – wie unsereGesellschaft es auch ist. Was wir brau-chen ist eine Stärkung der interkulturel-len Kompetenz in unseren Sicherheits -behörden.

Jeden Tag Zeitung lesen

Helmut Schmidt soll mal gesagt haben,er brauche keinen Verfassungsschutz,er lese jeden Tag Zeitung. Hat er Recht? Leider ja, in vielen Fällen. Es ist leiderso, dass viele, die sich in unserer Gesell -schaft gegen Rechtsextremismus enga-gieren und zum Beispiel auch Straftatendokumentieren, die rechtsextreme Sze -ne viel besser kennen als die Behör den.Ich will den Verfassungsschutz erhalten,aber er muss besser werden. Und zumBeispiel umfassende Kenntnis davonhaben, was in der Szene los ist.

EVA HÖGL | WIR MÜSSEN WACHSAM BLEIBEN

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Aber brauchen wir dazu 16 Verfas sungs -schutzämter oder wäre nicht vielleichtein Verfassungsschutz besser?Nein, Zentralismus wäre nicht besser. Ichbin Bundespolitikerin und könnte gut sa-gen: alles nach Berlin, dann wird alles gut.So ist es aber nicht. Ich finde, dass es inBrandenburg einen Verfas sungsschutz ge-ben sollte, der die Bran denburger Ver hält -nisse gut kennt. Der vor Ort ist, ansprech-bar für Initiativen oder Kommu nen. Ichwill die parlamentarische Kon trolle inten-sivieren und das allein macht die Zusam -menlegung von Ämtern schwierig.

Wieso? Ich will eine klare Zuordnung. DietmarWoidke soll als Brandenburger Innen mi -nister dafür verantwortlich sein, was imBrandenburger Verfassungsschutz pas-siert und dafür auch vor dem Land tag inPotsdam geradestehen. Und genau somuss das auch in Berlin sein. Dort mussder Innensenator verantwortlich dafürsein, was in Berlin passiert. Wenn mandie beiden Ämter zusammenlegen wür-de, gäbe es keine klare Verantwortungmehr, jeder würde auf den anderen zei-gen. Das lehne ich ab. Die Bundesländerund mit ihnen die Landtage müssen imBoot bleiben.

Ist nicht ein Teil des Problems, dass die Verfassungsschutzämter meist imVerborgenen arbeiten? Ja, sie müssen besser kommunizieren.

Ich finde sehr vorbildlich, wie das inBran denburg mit der bisherigen Ver fas -sungsschutzchefin Winfriede Schrei bergemacht wurde. Der Verfas sungs schutzmuss sichtbar sein. Im Berliner Abgeord -netenhaus gibt es einen öffentlich tagen-den Ausschuss, der sich mit Verfassungs -schutzfragen befasst. Dort wird diepo litische Agenda besprochen, was denVerfassungsschutz beschäftigt, wo ersich stärker engagieren sollte, wo erhöhteAufmerksamkeit oder Ent span nung an -gesagt ist. So etwas kann man natürlichim Parlament diskutieren – der Verfas -sungs schutz muss raus aus der dunklen,leicht anrüchigen Ecke. Er ist eine Insti tu -tion unserer Demokratie und die soll auchoffensiv für unsere De mo kratie werben.

V-Männer besser überwachen

Diskutiert wurde im Zuge der Auf klä -rung auch die Rolle von V-Männern.Brauchen wir die noch? Ja, wir brauchen sie. Vollkommen klar:das sind keine netten Menschen. Wenn es gute Quellen sind, sind das fest in derrechtsextremen Szene verankerte Leute.Ich habe viel darüber nachgedacht, ob esdazu Alter na tiven gibt. Weil rund um dieV-Männer viel zu klären und zu verän-dern ist. Aber verdeckte Ermittler…

also Beamte, die in die Szene gehen… wären keine Alternative. Das dauertJahre, bis man die legendiert hat, bis

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man denen ein zweites oder drittesLeben verschafft. Das ist unglaublichschwierig für die betroffenen Perso nen,im großen Stil ist das nicht zu machen.Wir brauchen weiterhin V-Personen, aberwir müssen die Regeln rund um Auswahl,Führung, Bezahlung und Kontrolle än-dern. Ich finde, die G 10-Kommissionen in den Land tagen und im Bund, also quasi-richterliche Gre mien, sollten in die Entscheidung, welche Person V-Mannwird, angeworben und geführt wird, ein-bezogen werden.

Wird es bei den Fragen zum Verfas sungs -schutz und den V-Männern in Zukunftein einheitliches Vorgehen geben? Es sieht leider nicht so aus. Die jüngsteInnenministerkonferenz hat gezeigt, wie schwierig das ist. Da ging es um einegemeinsame Datei, wo alle Informa tio neneingespeist werden sollen. Da bekommenwir nun immerhin gemeinsame Stan -dards. Das ist sinnvoll und hilfreich, aberansonsten zeichnet sich ab, dass es großeEitelkeiten zwischen den Behör den gibt,die nicht allzu viel preisgeben wollen.Eigentlich müsste die Lehre aus dieserschrecklichen NSU-Mordserie sein, dasswir eine bessere und stärkere Zusam men -arbeit brauchen und Eitel kei ten sowohlvon Bundes- als auch von Landesbe hör -den hintangestellt gehören.

Es ist also nicht so sehr ein Streitpunktzwischen Rot und Schwarz als zwischen

verschiedenen Behörden und Ländern? Im Prinzip ja. Die Innenminister sindsehr darauf aus, Regeln und Standardsselbst zu treffen. Hinzu kommen nochUnterschiede im Detail zwischen Rot undSchwarz. Die SPD setzt mehr auf parla-mentarische Kontrolle, auf Offen heit undAktivierung der Zivilge sell schaft.

Mehr als nur drei Leute

Im Untersuchungsausschuss gibt eseine Liste mit 129 Unterstützern desNSU. Bisher war immer nur von achtoder neun Leuten die Rede. War dasNetzwerk des NSU vielleicht doch grö-ßer als wir dachten? Man darf diese Liste nicht überbewerten.Da stehen alle Personen drauf, die auchnur theoretisch eventuell mit dem TrioKontakt gehabt haben könnten. Und wirhaben im Ausschuss natürlich auch nachVerbindungen gesucht, um uns ein mög-lichst breites Gesamtbild zu verschaffen.Ich gehe auch felsenfest davon aus, dasswir es mit einem Netzwerk zu tun haben,das aus mehr als drei Leuten bestand.Aber die Frage, ob hier tatsächlich Unter -stützungshandlungen nachgewiesenwerden können, ist eine, die der General -bundesanwalt und in der Folge die Ge -rich te zu entscheiden haben.

Sind denn Verbindungen zwischen der NPD und dem NSU offensichtlichgeworden?

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Nicht in dem Sinne, dass man sagenkönnte, der NSU war der bewaffneteArm der NPD. Aber im Umfeld des NSUgab es zum Beispiel Personen, wie RalfWohlleben, der ein hoher NPD-Funktio -när war. Wir haben es mit ein und der -selben Szene zu tun. Aber es gibt ebenauch Rechtsextremisten, denen die NPDzu „lasch“ ist, die in gewaltbereite Ka -meradschaften gehen.

Können die Erkenntnisse des Unter -suchungsausschusses dazu beitragen,dass das NPD-Verbotsverfahren aus-sichtsreicher wird?Nein. Die drei NSU-Terroristen warennicht in der NPD. Wir trennen im Aus -schuss die Themen NPD und NSU strikt.Das NPD-Verbot muss unabhängig vomNSU vorangebracht werden. Die dazunötige Stoffsammlung ist vorhanden.

Das Warum bleibt offen

In München findet derzeit unter großermedialer Beobachtung der NSU-Pro -zess statt. Kann ein solches Gerichts -verfahren die Hintergründe der Tatenüberhaupt wirklich aufklären? Nein, der Prozess wird überfrachtet. Ich warne davor, zu viele Erwartungen,Wünsche und Hoffnungen in diesen Pro -zess zu packen. Es geht um die Straf bar -keit, es geht darum, individuelle Schuldnachzuweisen. Das Gericht hat nicht dieAufgabe, alle Zusammenhänge, insbe-

sondere die Einzelheiten des Behörden -versagens bei der Suche nach dem Triooder bei den Ermittlungen zur Mord -serie, zu klären und alle offenen Fragenzu beantworten.

Welche sind das? Für die Angehörigen der Opfer wie EnverSimsek, der im September 2000 in Nürn -berg ermordet wurde, wäre es gut zu erfahren, warum er ermordet wurde.Das weiß ich auch von den Angehörigenund Kollegen der ermordeten PolizistinMichelle Kiesewetter. Solange nicht klarist, warum die einzelnen Personen zuOpfern wurden, wird ein Mordfall immeroffen bleiben – selbst wenn man die Täterkennt und sie verurteilt sind.

Gab es im Laufe der Vernehmungen desNSU-Untersuchungsausschusses einenSchlüsselmoment? In fast jeder Sitzung haben wir Szenenerlebt, die uns sprach- oder fassungslosgemacht haben. Am wütendsten war ich,als der Innen-Staatssekretär Fritsche imAusschuss war. Er hat zuerst in einemquälend langen Vortrag versucht zu er-klären, welches Risiko der Ausschuss fürdie öffentliche Sicherheit der Bundes -republik darstellt. Das hat uns über alleFraktionen hinweg empört. Unmöglichfand ich auch den Auftritt von WolfgangSchäuble, der dem Thema gegenübervollkommen ignorant und arrogant war.Er hatte weder die Mord opfer noch die

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Zeitpunkte der Morde präsent und unssignalisiert, dass er jeden Tag Europarettet und es eine Un ver schämtheit sei,ihn als ehemaligen Innen minister zu befragen.

Uneinsichtig und bockig

Wer war der beeindruckendste Zeuge? Für mich war das Otto Schily. Als Sozial -demokratin war das natürlich einer der„schwersten“ Zeugen für mich. Er hatteschon lange vor seiner Befragung eineumfassende Mitverantwortung einge-räumt. Man merkte ihm an, wie weh es ihm tat, dass in seiner Amtszeit alsInnenminister sieben Menschen auf diese Weise ermordet wurden und zweiSprengstoffanschläge stattfanden. Aberauch ihm konnten wir den Vorwurf nichtersparen, dass er sich für die Mordserienicht ausreichend interessiert hat. Da -neben gab es aber auch eine ganze Reihevon Zeugen wie ganz normale Polizei be -amte, Staatsanwälte oder Ver fas sungs - schützer, die immer wieder für eineÜber raschung sorgten.

Welche?Fast alle haben ihr Handeln verteidigt.Es gab nur wenige Zeugen, die deutlichgemacht haben, dass ihr Handeln imNachhinein nicht optimal war. Die meis-ten waren der Auffassung, dass nie Feh -ler passiert seien und wenn ja, dann wo-anders. Ich habe in meiner Befragung

immer versucht, dass die Zeugen mitdem Blick von heute auf ihre Arbeit vongestern schauen und nach Verbesse -rungsmöglichkeiten suchen. Das ist leider nur in wenigen Fällen gelungen.Die Zeugen waren überwiegend rechtuneinsichtig, manche gar bockig.

Hat sich dennoch in den Behörden etwas verändert? Ehrlich gesagt, viel zu wenig. Die Polizeiarbeitet an der Verbesserung der Aus -bildung, es gibt jetzt eine Debatte um dieReform des Verfassungsschutzes. Aberganz generell hat die Bekämpfung desRechtsextremismus zu wenig Aufmerk -samkeit. Es gibt zu wenig flächende-ckenden Widerstand gegen rechtsextre-me Aktionen. Unsere Gesellschaft mussaufmerksamer werden. Der größte Tri -umph des Terrortrios und die größte Nie -derlage für uns wäre, wenn sich nichtsändert und wir zur Tagesordnung über-gehen würden.

Angela Merkel hatte den Opfern ver-sprochen, dass alles aufgeklärt wird –unabhängig vom Ansehen der Personenoder des Amtes. Ist das gelungen? Nein, die Bundeskanzlerin hat über-haupt nichts getan, dieses Versprecheneinzulösen. Die Justizministerin hatnichts auf den Weg gebracht zur Be -kämpfung des Rechtsextremismus. DerVerteidigungsminister hat sich gewei-gert, die Bundeswehrakten von Uwe

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Mundlos dem Untersuchungsausschusszu übergeben, erst nachdem wir richtigSpektakel gemacht haben, sind einigeUnterlagen gekommen. Und der Innen -minister hat einen Aktenvernich tungs -stopp erst angeordnet, als es zu spätwar. Die Bundeskanzlerin hatte zwar etwas versprochen, das Kabinett hat esaber nicht sonderlich ernst genommen.

Ist der NSU jetzt ein abgeschlossenesKapitel oder müssen wir damit rech-nen, dass Personen in ähnlichen Struk -turen noch einmal ihr Unwesen treibenkönnen? Von den 266 untergetauchten Rechts -extremisten sind nicht alle Taten po -litisch motiviert, gleichwohl gab esschon Fälle von Körperverletzung oderSpreng stoffdelikte. Deswegen bin ichbeunruhigt. Ob so etwas wie die NSU-Mordserie wieder passieren kann? Ich hoffe es nicht. Aber wer kann dasausschließen? Niemand. Beunruhigt hatmich, dass es in den Haftanstalten einNetzwerk rechtsextremer Inhaf tiertergibt. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardtwaren ja auch dabei, mit inhaftiertenRechtsex tremisten Kon takt zu halten.Ich frage mich: Warum wird das nichtbesser beobachtet, warum wird nichtstrenger kontrolliert, warum wird nichtin Rich tung Aus stei gerpro gramme mitdenen gearbeitet? Es gibt noch viele offe-ne Fragen, die uns beunruhigen sollten.Wir müssen alle wachsam bleiben.|

EVA HÖGList Obfrau der SPD im NSU-Untersuchungs -ausschuss des Bundestages.

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K ann man vom Rechtsextremismusleben? Das ist die Kernfrage dieses

Beitrages. In Brandenburg können dasnur sehr wenige Rechtsextremisten.Dann stellt sich jedoch die Frage: Wo -von leben diese Rechtsextremisten undwoher kommt das Geld für Aktivitäten?Und wenn wir diese Möglichkeiten ken-nen, welche Ansätze zur Bekämpfungdes Rechtsextremismus ergeben sichdaraus?

Rechtsextremisten sind mitten unteruns – gerade im Erwerbsleben. Aber esist wichtig zu betonen: Sie sind nur so-ziologisch in der Mitte der Gesellschaft,nicht politisch. Politisch stehen sie weitaußerhalb, sie sind nicht Teil unsererfreien Gesellschaft. Nur ganz selten gibtes Fälle, wo Rechtsextremisten auch so-ziologisch außerhalb der Gesellschaftstehen. Ein Beispiel dafür ist das Ab -tauchen in die Illegalität. Bis zur Auf -deckung des „NationalsozialistischenUntergrunds“ hätten wir das kaum fürmöglich gehalten.

Aber dennoch: Die Mehrheit derRechts extremisten lebt offen unter unsund verdient irgendwie im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot – wenn siedenn arbeiten. Da gibt es die verschie-densten Berufe, manche sind auch So -zialleis tungs empfänger. Zwar verfügenwir über kein Zahlenmaterial, das alleRechts extremisten nach Berufen klassi-fizieren könnte, die Angaben in diesemText basieren aber auf hinreichend be-legten Einzelbeispielen, die es wert sind,erwähnt zu werden.

Kaum noch NS-Erbschaften

Noch in den neunziger Jahren spieltenGeldspritzen aus NS-Nachlässen in Bran -denburg eine wichtige Rolle. So verstarbein Schwesternpaar in Süd deutsch land,das bis zum Tod ein ungebrochenesVer hältnis zum National so zialismus hatte. Das Paar vermachte der Szene einen nicht unerheblichen Immo bilien-und Bargeldbesitz. Doch das ist Vergan -

GORDIAN MEYER-PLATH | RECHTSEXTREMISMUS ALS BERUFUNG

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RECHTSEXTREMISMUS ALS BERUFUNGSozio-ökonomische Profile brandenburgischerRechtsextremisten — Von Gordian Meyer-Plath

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gen heit. Darauf kann sich die Szene heute nicht mehr verlassen. Also mussman arbeiten oder sonst wie zu Geldkommen.

An dieser Stelle bietet sich ein zwei-ter Blick zurück an. Früher wolltenRechts extremisten gerne zur Bundes -wehr oder zur Polizei. Sie suchten so einen Kompromiss mit dem eigentlichverhassten Staat und hofften, auf dieseWeise beispielsweise den Kom mu nis -mus bekämpfen zu können. Außerdem bedienten waffentragende staatlicheEinrichtungen rechtsextremistischeGrundbedürfnisse. Auch das hat sich geändert. Rechtsextremisten lehnen dieBundeswehr heutzutage aus verschiede-nen Gründen ab. Ihnen fehlt das Ele -ment des Führens von Eroberungs -kriegen. Und mit friedenssicherndensowie humanitären Einsätzen könnenRechtsextremisten schon gar nichts an-fangen. Mit der Polizei verhält es sichähnlich. Sie ist einer der wichtigstenFaktoren in der Bekämpfung des Rechts -extremismus. Und wenn sich doch malein Rechtsextremist zur Polizei oderBun deswehr verirrt, wird er recht zügigidentifiziert.

Blutspenden zum Gelderwerb

Heute sind die meisten Rechtsextre -misten, die in Lohn und Brot stehen, inHandwerksbetrieben, in der Gastro -nomie, in Dienstleistungsunternehmen

oder in Pflegeberufen tätig. Für Bran -denburg ist das nicht überraschend,schließlich ist das Land von kleinen undmittelständischen Unternehmen ge-prägt. In solchen Unternehmen kennt jeder jeden. Darin liegt zugleich ein Vor -teil. Dieser ist – provokant formuliert –der böse Chef: Er ist ein natürlicher Ver -bündeter der Zivilgesellschaft. Ex tre -mis ten in der Belegschaft können ihmdas Geschäft verderben. Also kann er sagen: „Du bist mein bester Dreher, dubist mein bester Koch und ich möchteungern auf dich verzichten. Aber was ich hier mitbekomme, kann ich mit Blickauf meine Kunden und auf meine Beleg -schaft nicht tolerieren. Entscheidedich.“ Vor diese Entscheidung gestellt,denken viele Rechtsextremisten schondarüber nach, wie es weitergehen soll.An seinem Broterwerb hängt schließlichnicht selten eine kleine Familie. DiesesPrinzip funktioniert in der Regel und istein wichtiger Faktor, den sich Sicher -heits behörden und Zivilgesellschaft zueigen machen können. Natürlich gibt esauch Rechtsextremisten, die standhaftbleiben und versuchen, einen neuen Jobzu finden. So weit geht bei einigen in derTat der Fanatismus.

Wir kennen Fälle, wo Extremisten inden Kalender gucken und sagen: „OhSamstag ist Demo in Dessau, Dortmundoder Dresden. Das ist ein weiter Wegund kostet Geld. Ich habe keines. Alsomuss ich Blut spenden.“ Damit einher

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geht oftmals die Überhöhung des eige-nen Tuns. Rechtsextremisten, geradeNeonazis, bemühen in ihrer Ideologiegerne Blut bezüge und reden von „Blutund Boden“ oder „Blut und Ehre“. Imvorliegenden Fall spenden sie selbstauf-opfernd ihr Blut für ihre Bewegung.

Ein Leben für die Szene

Damit wären wir beim ersten Zwi schen -fazit: Brandenburgische Rechtsextre mis -ten sind in der Regel „arme Schlucker“,die mehr oder weniger gute Jobs habenund von diesen Jobs eben das Geld inForm von Mitglieds beiträ gen, Spenden,Soli-Obolussen und ähn lichem für dieSzene abzweigen müssen. Während inSachsen einige von der Szene (Versand -häuser, NPD, etc.) direkt leben können,sind ihre Kameraden in Brandenburg gezwungen, eher für die Szene zu leben.

Manch einer ist selbständig, bei-spielsweise als Tätowierer. Selbst ver -ständlich soll das Tätowiergewerbenicht unter Generalverdacht gestelltwerden, aber es gibt genügend Fälle, indenen sich Rechtsextremisten so zumin-dest ein Zubrot verdienen. Oft sind Sze -neangehörige die Kunden. Nun könnteman vermuten, der rechtsextremistischeGeldkreislauf bleibt in sich geschlossenund der eine verpasst dem anderen ge-schmacklose und zum Teil strafbareTätowierungen. Dabei bleibt es abernicht immer. Schließlich tätowieren

Rechtsextremisten auch über ihr Milieuhinaus. Was da für eine Verbindung ent-stehen kann, sehen wir insbesondere anden Bezügen ins Rockermilieu. Rockersind zahlungskräftig. Und aus solchenGeschäftsbeziehungen entstehen Netz -werke. Ein Tätowierer aus dem rechts -extremistischen Milieu kommt weitrum, lernt viele andere Rechtsextre mis -ten aber eben auch andere subkulturelle Mi lieus wie Rocker kennen.

Wenn der Bock zum Gärtner wird

Wenn Rechtsextremisten nicht Polizistoder Soldat werden können, aber trotz-dem eine Tätigkeit anstreben, die mitUniform und autoritären Exekutiv fan -tasien verbunden ist, dann bietet sichnatürlich das Bewachungsgewerbe an.Da gibt es ein größer werdendes Dun kel -feld, auch wenn dieses Thema gerade ineinem anderen Extremismus zusammen -hang Schlagzeilen produziert hat. So hatein islamistischer Gefährder kürzlich eine nicht unwichtige Liegenschaft inBran denburg mit bewacht.

Davon losgelöst beobachten wir Sze -narien mit Ordnern in Fußball sta dien.Dort sollen sie eigentlich die teilweiserechtsextremistisch motivierten Hooli -gans im Auge haben. Stattdessen brüllensie selber die schlimmsten Paro len undpöbeln Gäste sowie Fans an, besonderssolche mit Migrations hinter grund. Auchbei Volksfesten laufen Ordner auf, die

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selbst der rechtsextremistischen Szeneentstammen und noch immer mit ihr ver-bunden sind. Wenn dann die Ge meinde Xein Volksfest veranstaltet, kann ein Ord -ner auch ein neonationalsozialistischer„Unsterblicher“ sein. Der nutzt dann dieGelegenheit, schleust die „Unsterblichen“mit ihren Utensilien rein und gibt ihnenZeit, ihren Auftritt samt Video-Dreh ab -zuziehen. So wird der Bock zum Gärtner.Schlaflos kann einen der Gedanke ma-chen, wenn solche Ordner sogar als Be -wacher von Asylbewerber hei men einge-setzt werden könnten.

Beim Umgang mit jungen Leuten

Gerade in Brandenburg ist ein durchaushöheres Bildungsniveau bei Rechtse x -tremisten festzustellen. An diesemPunkt rückt insbesondere die IT-Bran cheins Bild. Wir haben Rechtsextre mis tenmit guten IT-Kenntnissen. Solche Ex -perten sind auf dem Arbeitsmarkt der-zeit sehr gefragt. In solchen Jobs lernensie nicht nur weiter hinzu, sondern nut-zen möglicherweise auch die IT-Infra -struktur ihres Arbeitgebers für ihre Akti -vitäten. Das ist ein Bereich, wo Fir mensehr aufpassen müssen.

Ein weiteres Beispiel wird vielen jun-gen Eltern erst einmal warm ums Herzwerden lassen: der männliche Erzieher.Der ist Gold wert und in Deutschland –leider – noch zu selten anzutreffen.Ebenso gibt es Rechtsextremisten, die

die Ausbildung zum Lehrer nicht schaf-fen, aber die zum Erzieher schon. Dortkönnen sie ziemlich unterschwellig ihrWeltbild an die fast Wehrlosen weiterge-ben. Dass sich solche Berufe in der Szeneetablieren können, stellt eine ernsthafteGefahr dar, zumal sich Rechtsextre mis -ten durchaus Gedanken darüber ma-chen, wie sie in der Gesellschaft wirkenund gleichzeitig ihren Lebensunterhaltbestreiten können.Ein anderes Beispielist ein von Rechtsextremisten betriebe-ner Reiterhof. Solch ein Reiterhof kannFerien für die Szene anbieten und derKreislauf innerhalb der Szene wäre wie-der geschlossen. Er kann aber ebensounverfängliche Ferienangebote für jun-ge Menschen im Angebot haben und –das wissen wir in einem konkreten Fall –den Spaß mit den Pferden dazu nutzen,gleich Rassezucht und Eugenik mit zuthematisieren.

Sehnsucht nach eigener Scholle

All diese Beispiele sind Einzelfälle.Brandenburg ist nicht voller braunerReiterhöfe, kaum ein Tätowierer istRechtsextremist und unsere männlichenErzieher sind keine Neonational sozia -listen. Ich will lediglich andeuten, dassRechtsextremisten bestimmte berufli-che Präferenzen haben, dabei kreativsein können und wie alle anderen zuse-hen müssen, wie sie ihren Lebens unter -halt bestreiten.

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Damit wären wir an einem Punkt, dervielen Rechtsextremisten förmlich imBlut steckt und an dem Brandenburg viel„zu bieten“ hat: Die Sehnsucht nach dereigenen Scholle, nach dem Bewirt schaf -ten des eigenen Bodens, um mit derKraft des eigenen Blutes der Erde dieRohstoffe abzuringen. Wie mancherLinksextremist träumt auch ein Rechts -extremist vom autarken Leben jenseitsder globalisierten Umwelt mit ihrenKiwis aus Neuseeland. Manch einerkann ihn verwirklichen. Ein ehemaligerNPD-Vorsitzender hier im Land ist Bio-Bauer. Damit stellt sich das nächsteProblem: Wenn so ein Bauer erfolgreichist, gewinnt er Einfluss im Dorf und dieDorfgemeinschaft wird sich fragen, wiemit ihm umzugehen ist. Erst recht dann,wenn er seine Mitarbeiter aus der Szenerekrutiert. Das ist in Brandenburg zwarnoch kein Problem, woanders aberschon, weil der Drang, in diesem Bereichzu arbeiten, bei Rechtsextremisten im-manent ist.

Eine weitere, wenn auch nicht so gro-ße Verdienstmöglichkeit findet sich fürAnbieter heidnischer Hochzeiten, das sogenannte „Eheleiten“. Die Anbieter sol-len hier nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Jeder soll seine Eheschließen, wie er das für richtig hält. Wirwissen aber, dass bei vielen Neo-Natio -nal sozialisten, gerade bei der verbote-nen „Heimattreuen Deutschen Jugend“,so etwas gang und gäbe ist beziehungs-

weise war. Wir kennen Rechtsextre mis -ten, die genau diese Nische suchen undihr Angebot nicht unbedingt nur anRechtsextremisten richten. Öffnen sieihren Kundenkreis, gewinnen sie Ein -flussmöglichkeiten außerhalb der Szeneund können für die Szene selbst werben.

Das Geld ist knapp

Aus all diesen Beispielen lässt sich zei-gen, dass sich Rechtsextremisten oft ge-nau überlegen, womit sie ihren Lebens -unterhalt hauptsächlich bestreiten undgleichzeitig nach Möglichkeiten suchen,ihre extremistische Botschaft an denMann, die Frau und vielleicht sogar andie Kinder zu bringen.

Gleichwohl ist in der rechtsextremis -tischen Szene in Brandenburg das Geldknapp. Im Unterschied zu Sachsen reichtes nicht, um politische Arbeit zu organi-sieren, so dass Mittel selber generiertwerden müssen. Dafür gibt es die ver-schiedensten Möglichkeiten. Eine ist dasKonzert- oder Party we sen, wobei diesesauf deutlich niedrigerem Niveau als inSachsen angesiedelt ist.

Solche Veranstaltungen ereignen sichoft auch im Zusammenhang mit Vereins -verboten von neonationalsozialistischenPersonenzusammenschlüssen. Die Sze -ne benötigt dann Geld für Anwälte. Demdienen solche Partys und Konzerte. Alldies geschieht auf relativ geringem Ni -veau, doch „Kleinvieh macht auch Mist“.

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In anderen Fällen dient dieses Geld derFinanzierung einer lokalen Szene odersoll in eine Immobilie – häufig einerDatsche – fließen. Wenn eine Szene ersteinmal über eine Liegen schaft für Ver -anstaltungen verfügt, kann sie weitereEinnahmen erzielen und ihrer Klienteletwas bieten, wozu dann Schulungenund die Rekrutierung neuer Anhängerzählen.

Musik und Merchandising

Ebenso werden gelegentlich „Solida ri -täts-“Tonträger wie „Lieder-Abend inBrandenburg“ produziert. Dazu hieß esim mittlerweile verbotenen Thiazi-Fo -rum: „Unterstützt mit dem Kauf diesesTonträgers den politischen Kampf desNationalen Widerstands.“ In anderenFällen fließen die Einnahmen beispiels-weise einem inhaftierten Kame radenoder einem unter staatlichem Druck ste-henden Personen zusam men schluss zu.Solche Soli-Veranstaltungen werden auchfür die nach wie vor gering frequentierteLiegenschaft in Biesenthal genutzt. Dortkommt es ebenso zu Arbeits einsätzen,um diese Liegenschaft auszubauen und inStand zu halten. Rechtsextremisten wer-den regelmäßig dazu verpflichtet, auchwenn das Enga gement schwankt.

Merchandising ist ein anderer Weg,mit verhältnismäßig wenig Aufwand vielzu erzielen. Dazu zählen beispielsweiseT-Shirts, bedruckt mit dem Namen einer

Kameradschaft oder einem Szene-Spruch.Beim inzwischen verbotenem „Wider -stand Südbrandenburg“ lautete derSpruch „Leben heißt Kampf“ samt Box -handschuh-Motiv. Vertrieben wurde esbei Kampfsportveranstaltungen: Einweiteres T-Shirt war mit „Wählst dunoch oder kämpfst du schon?“ versehen– ein Spruch der in der Szene gegen dieNPD zielte. Mit solchen Dingen lässt sichGeld erwirtschaften und gleichzeitigIdeologie transportieren.

Ein weiteres Instrument Geld zu ge-nerieren, ist „Flattr“ – ein Social-Pay -ment-Service mit Sitz im schwedischenMalmö. Dahinter steht die Idee, Inter -netseiten mit Geld zu belohnen, wennsie einem gefallen. Will ich eine Seite be-lohnen, muss ich bei „Flattr“ ein Kontoeröffnen und eine monatliche Geld -summe dort einzahlen. Ebenso muss diezu belohnende Internetseite dort regis-triert sein. Zur Belohnung klicke ich ein-fach auf den „Flattr“-Button der entspre-chenden Internetseite. Und am Ende des Monats wird das eingezahlte Geldgleichmäßig nach Anzahl meiner Be loh -nungs-Klicks verteilt. Klicke ich nur eineSeite an, bekommt die eben alles. Klickeich 100 Seiten an, bekommt jede einenhundertsten Teil meiner monatlichenBelohnung. Dieses Instrument wird auchvon Rechtsextremisten genutzt. So warbeispielsweise die Seite „Spreelichter“der inzwischen verbotenen Organisa -tion „Widerstand Südbrandenburg“ bei

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Flattr registriert und hatte auch Zah -lungen erhalten. In welcher Höhe ist je-doch nicht bekannt.

Spagat zwischen Szene und Fans

Hie und da gibt es in der Szene den einenoder anderen Musikmacher, der ansatz-weise davon leben kann. Der Lieder - macher Frank Rennicke, ehemaligerNPD-Kandidat für das Amt des Bun des -präsidenten, oder Michael Regener, Sän -ger der Band „Die Lunikoff Ver schwö -rung“ könnten dazu zählen. Leiderfehlen uns für Brandenburg Zahlen überUmsätze in der rechtsextremistischenHass-Musik-Szene, wie sie teilweise fürSachsen vorliegen. Aber einige wenigekönnen von ihrer rechtsextremistischenMusik tatsächlich leben. Für die meistenbrandenburgischen Bands, selbst diemusikalisch etwas versierteren wie„Preussenstolz“, bleibt es ein Zubrot.Vielleicht bekommen „Preussenstolz“200 Euro für einen Auftritt. Und dieseSumme muss noch unter den Band mit -gliedern aufgeteilt werden. Eventuell er-halten sie zusätzlich einen Spritkosten-Zuschuss und können auch ein paarihrer Tonträger vor Ort verkaufen. DasProblem für die brandenburgischenBands – wenn sie denn überhaupt inBrandenburg auftreten – ist, dass dieseKonzerte meistens relativ klein sind. Dakommen keine tausend Leute, eher ma-ximal 150. Und von den Tonträgern lässt

sich auch nicht leben, meistens sind es kleine Auflagen, die zunächst vorfi-nanziert werden müssen. Wenn so einTon träger eine Auflage von 1.000 Stück erreicht, wäre das schon viel. Insofernkann man sich damit maximal ein Zu -brot verdienen.

Will eine Band erfolgreich sein, musssie raus aus ihrem angestammten Mi - lieu. Und sie muss versuchen, ihrenrechts extremistischen Fanstamm zu hal-ten und gleichzeitig neue Fans hinzuge-winnen. Ein solches Beispiel sind viel-leicht „Kategorie C“. Der Band ist völligbewusst, dass sie nach wie vor Kult -status unter Rechtsextremisten genießt.Sie hat aber ebenso Fans außerhalb derSzene. „Kategorie C“ zählt zu den Grup -pen, die schon eher von ihrer Musik leben könnten. Diesen Spagat zwischender eigenen Szene und Fans von außenschaffen die meisten jedoch nicht. Diefrühen „Böhsen Onkelz“ oder eben„Kategorie C“ sind eine Ausnahme.

Die Polizei geht rigoros vor

Hinzu kommt, dass in Brandenburg dasKonzertwesen fast zum Erliegen gekom-men ist. Wenn sie stattfinden, sind dieBesucherzahlen recht niedrig. Groß er-eignisse wie vor ein paar Jahren in Bran -denburg an der Havel sind die absoluteAusnahme. Das ist eine entscheidendeLeistung unserer Polizei. Sie geht rigo-ros gegen Konzerte vor, so dass poten-

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zielle Veranstalter abgeschreckt werdenund damit rechnen müsse, dass ihr Kon -zert erst gar nicht anfängt oder mitten-drin aufgelöst wird. Trotzdem bleibenKonzerte – auch wenn sie klein sein mö-gen – eine wichtige Finanzquelle. ImJahr 2011 nutzten die „Jungen Natio -naldemokraten“ in Oranienburg das„Juz“ für insgesamt acht Konzerte mit jeweils 40 bis 80 Besuchern. Bands tratenohne Gage auf und es wurde Eintritt erho-ben. So floss ein wenig Geld in die lokaleSzenekasse, welches in die Sze nearbeitinvestiert wurde. Seit Ende 2011 könnendie „Jungen Nationalde mokraten“ dieEinrichtung nicht mehr nutzen.

Große Geldflüsse gibt es nicht

Ebenso ist der brandenburgische Szene-Versandhandel nicht mit dem in Sachsenvergleichbar. Vereinzelt können Rechts -extremisten in Brandenburg von ihremVersandhandel leben, jedoch werden kei-ne Gewinne wie auf dem Niveau in Sach -sen erzielt, wo ein paralleles Wirt schafts -imperium mit Brennstoffhandel undanderen Dingen entstanden ist. Hinzukommt, dass ein Szene-Händler unterBeobachtung der Szene selbst steht. Wermit und durch die Szene Geld verdient,muss ständig demonstrieren, dass seineEinnahmen auch wieder der Szene zugu-tekommen.

Zusammenfassend können wir fest-halten, dass der Rechtsextremismus in

Brandenburg nicht wohlhabend ist.Große Geldflüsse gibt es nicht. Bran -denburger Rechtsextremisten sind da-her auf Pragmatismus und Einfalls -reichtum angewiesen, um aus wenigeinigermaßen viel zu machen, was ihnenin mancher Hinsicht auch gelingt. Be -sonders die brandenburgische Szene derNeo-Nationalsozialisten ist ein Motorund Ideengeber für die bundesweiteSzene. Sie hat vorgemacht, wie beson-ders über das Internet mit wenig finan-ziellen Mitteln Ideologie modern undschnell verbreitet werden kann – all diesverbunden mit einer großen Bereit -schaft zur Selbstausbeutung. Sie sindbereit, einen Großteil ihrer Freizeit, ih-res Einkommens bis hin zur Blutspendefür die Szene einzusetzen.

Der Arbeitsplatz entscheidet!

Ihr Arbeitsplatz, wo sie sich hauptsäch-lich verdingen müssen, ist eine Einfluss -möglichkeit für unsere Zivilgesellschaftund Sicherheitsbehörden. Denn dort ha-ben Rechtsextremisten eine Schwach -stelle. Ihr Erwerbsleben entscheidet mitdarüber, ob sie eine gesicherte bürgerli-che Existenz führen wollen oder ob siesich für einen anderen Weg entscheiden.Bei bestimmten Berufen, müssen wirsehr genau hingucken. Damit meine ichinsbesondere diejenigen, die an derNahtstelle zu Rockern bestehen: Be wa -chungsgewerbe und Tätowierer. Eine

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weitere Herausforderung für die Sicher -heitsbehörden sind Immobilien, denndiese sind immer auch Rückzugsorte fürdie Szene und damit ein Nährboden fürIdeologietransfer und Gelderwerb.|

GORDIAN MEYER-PLATHist Präsident des sächsischenVerfassungsschutzes.

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag,der anlässlich einer Tagung des Bran -denburger und Sächsischen Verfas -sungs schutzes zu „Verfassungsfeindenund das Kapital“ gehalten wurde.

GORDIAN MEYER-PLATH | RECHTSEXTREMISMUS ALS BERUFUNG

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RONNY BLASCHKE | ANGRIFF VON RECHTAUSSEN

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E s war ein kalter Tag im Januar, alsdie Aachen Ultras noch einmal ihre

Stimmen erhoben. Sie schwenkten ihreFahnen, sie sangen, protestierten und feierten, obwohl es keinen Grund zumFeiern gab. Für die Aachen Ultraswarjenes Pokalspiel bei Viktoria Köln Strafeund Erleichterung zugleich. Nach demAbpfiff beendeten sie ihre aktive Unter -stützung der Alemannia, einem hoff-nungslos verschuldeten Drittliga-Verein.Die Fans wollten nicht mehr ins Stadiongehen, Fußball war für sie zu gefährlichgeworden. „Es wurde immer schwerer,sich in der Stadt frei zu bewegen. Auf demWeg zur Uni oder zur Arbeit, die Dro hun -gen und Angriffe häuften sich, der privateRaum hat keinen Schutz mehr geboten“,sagt Simon, er gehört zu den AachenUltras, seinen wahren Namen möchte ernicht nennen. „Irgendwann haben wirkeine Möglichkeit mehr gesehen, um unsim Stadion gegen Diskriminierung zupositionieren.“

Simon ist Mitte zwanzig, wie die ge -samte Gruppe interessiert er sich für

Fußball – und für Politik. Die AachenUltras setzen sich für eine kreativeFankultur ein, für sie ist auch die Wür -de des sportlichen Rivalen un an tast - bar. Die Gruppe sammelt Spenden fürFlücht linge und hilft Obdachlosen, orga-nisiert Debatten über Homophobie oderSe xismus.

Angriff von den eigenen Fans

Zu viel des Politischen, schimpfen ihreGegner. Ihre Gegner aus demselbenVerein. Simon berichtet: „Wir wurdengegen Aue von vermummten Fans imeigenen Block angegriffen. In Saar -brücken haben sie auf Leute eingetre-ten, die schon am Boden lagen. Aufeiner Raststätte in Pforzheim haben sieein Auto von uns verfolgt, in dem Leutesaßen, die noch nicht mal volljährigwaren. Einen Spruch haben wir immerwieder zu hören bekommen: Fußball istFußball und Politik ist Politik. Ein un -sinniger Versuch, sich seiner gesell-schaftlichen Verantwortung zu entzie-

ANGRIFF VON RECHTAUSSENWie rechtsextreme Fans das Stadion alsPräsentationsfläche nutzen — Von Ronny Blaschke

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hen. Dieser Spruch offenbart eine un -aus gesprochene Toleranz mit Neo nazis.“

Die Region Aachen gilt als eine Hoch -burg der Rechtsextremen, das Netzwerkaus Neonazis, Hooligans und Rockernist eng geknüpft. Auch die AachenUltras haben sich nach ihrer Gründung1999 nicht von dieser Allianz distan-ziert. Erst mit neuem Zulauf setzte sicheine differenzierte Selbstbetrachtungdurch, Fraktionen bildeten sich heraus.Sie stritten um die Melodien der Ge -sänge, das Erscheinungsbild der Cho reo -grafien und: die politische Ausrichtung.2010 verließen einige Mitglieder dieGruppe und gründeten die Karlsbande.Offiziell unpolitisch, aber offen für Neo - nazis und Schläger, sagt Simon: „DieLage eskalierte, es gab Hetzjagden ge -gen uns, rassistische und antisemitischeRufe. Der Einsatzleiter der Polizei sagte,er habe so etwas in 25 Jahren noch nichterlebt. Es ging soweit, dass Leute imeigenen Hausflur attackiert wurden. Wirhaben auf Unterstützung gewartet, ausder Fanszene oder dem Fanprojekt – lei-der vergeblich.“

Auf Dauer zu übermächtig

Zum Kreis der Aachen Ultras gehörenetwa 100 Fans. Die „unpolitischen“Ultras der Karlsbande zählen 300 Sym -pa thisanten, mit dabei: die Hooligan -gruppen „Westwall Aachen“ und„Alemannia Supporters“; der stadtbe-

kannte NPD-Funktionär Sascha Wagnerund frühere Mitglieder der verbotenenKameradschaft Aachener Land. Ihr Ziel:die National befreite Kurve. Diese ge -waltbereite Allianz erschien den studen-tisch geprägten Aachen Ultras auf Dau -er zu übermächtig zu sein. „Bei denNazis haben bestimmt die Sektkorkengeknallt, als wir uns aus dem Stadionzurückgezogen haben“, sagt Simon.„Doch wir haben uns nicht aufgelöst.Unsere Liebe zum Verein ist erkaltet.Aber wir haben viel Resonanz aus ganzDeutschland erhalten, wir wollen nunauf anderen Wegen weitermachen.“

Kein Einzelfall

Politik, Zivilgesellschaft und Medien po -sitionieren sich gegen Rechtsextre mis -mus, debattieren über die Terroris tendes Nationalsozialistischen Unter grundsNSU und ein mögliches Ver bots verfahrender NPD. Trotz dieser Öffentlichkeit siehteine junge Fußballgruppe nur einen Aus -weg: den Rückzug. Ein Einzelfall, möchteman meinen, ein lokales Phäno men?Keineswegs. Beispiel Rostock: Die Grup -pe „Unique Rebels“ sprach sich für einekreative Unterstützung ihrer Mann schaftaus, ohne Herabwürdigung der gegneri-schen Anhänger. Vielen Fans des FCHansa erschien diese Haltung zu „links“zu sein. Sie duldeten keine „poli tischen“Äußerungen, und zwangen die „UniqueRebels“ Anfang 2011 zur Auf lö sung. Auch

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in anderen Städten wurden Gruppen kritisiert, sie bezeichnen sich nichtimmer als links, aber als antirassistisch.Grup pen in Dresden, Duisburg oderDüssel dorf, in Essen, Leipzig oderBraun schweig.

Die Liebe zum Verein

„Es ist ein großer Fehler, Gruppen wiedie Aachen Ultras als Linksextremistenabzustempeln“, sagt Jonas Gabler, Po -litikwissenschaftler aus Berlin, Autorvon zwei Büchern über die Ultra-Kulturund Mitarbeiter der Universität Hanno -ver. „Wir haben es hier mit einer Gruppezu tun, deren Anliegen es ist, im Stadiondie EU-Antidiskriminierungs norm durch -zusetzen. Das sind junge engagierte Men -schen, die sich gegen Rassismus, gegenDiskriminierung engagieren, und die die-sen gesellschaftlichen Anspruch auchaufs Stadion übertragen.“ Die Ultras sinddie Meinungsführer in den Kurven, eineBewegung, die in den neunziger Jahreaus Italien nach Deutsch land kam. Dut -zende Gruppen bildeten sich, ihr An trieb:die Liebe zum Verein. Als Ausdruck vonPatriotismus, Zusam men halt, Treue.Nun, nach fast zwanzig Jahren, gibt eineneue Gene ration den Ton an. Und so ver-ändern sich Struktu ren und Debatten derUltras, sagt Gerd Dembowski, Sozialwis -sen schaftler und Fanforscher seit fastzwanzig Jahren: „Aachen ist die Spitzeeiner Bewegung. In mehr als zehn Sta -

dien gibt es Ausdifferenzierungs pro - zesse, wo Leute sagen: Wir wollen diesenunpolitischen Konsens nicht mehr tra-gen, wir wollen offensiv etwas unterneh-men gegen Homophobie, gegen alle For -men von Diskriminierung.“

Politisch oder unpolitisch? Ein Be -kenntnis zum Antirassismus oder derFokus auf Fußball? Der Wandel derUltra-Bewegung fällt in eine Zeit, in deröffentlich ganz andere Themen disku-tiert werden: Gewalt und Pyrotechnik.Laut Polizeistatistik ist es wahrschein -licher, beim Münchner Oktoberfestdurch einen Angriff verletzt zu werdenals in einem Fußballstadion. Ultras wur - den dennoch pauschal als Randalie rerbezeichnet. Dieser Popu lismus hauchteiner Subkultur neues Leben ein, dieausschließlich an Gewalt interessiertwar: die Hooligans, die re bellische Fuß -ballelite aus den achtziger und frühenneunziger Jahren.

Hooligans drohen mit Gewalt

1998 hatten deutsche Schläger währendder WM in Frankreich den PolizistenDaniel Nivel fast zu Tode geprügelt.Seitdem zogen sich viele Hooliganszurück, andere verlegten ihre Kämpfe.Ganz verschwunden waren die Hooli -gans nie, sagt Gerd Dembowski. „DieHooligans hatten immer eine Art subti-les Gewaltmonopol. Sie tauchen bei gro-ßen Derbys auf oder bei ganz persön -

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lichen Feindschaften immer wieder.“Beispiel Kaiserslautern. Ältere Hooligansder Rotfront legten jungen Ultras desFCK ein Verbot auf: Die Ultras dürfensich nicht antirassistisch positionieren,auch ihre Fanfreundschaft zu den linkenAnhängern des FC Metz müsse im Sta -dion ruhen. Ansonsten drohe Gewalt.Die Einschüchterung ging so weit, dassdie meisten Ultras Aufklärungsabendenzum Thema Rechtsextremismus fern-blieben. Nicht nur für die Hooligans inKaiserslautern zählt das Gesetz desStärkeren. Brachiale Männlichkeit,Überlegenheitsdenken, Gewaltverherr-lichung. Ein Gemisch, das anschlussfä-hig ist für Neonazismus und Jugend -liche verunsichern kann.

Ein Schlag ins Gesicht

Einer, der das genau beurteilen kann, istThilo Danielsmeyer, seit mehr als zwan-zig Jahren Mitarbeiter im FanprojektDortmund. Während des Champions-League-Spiels in Donezk Mitte Februarwurde Danielsmeyer von Rechtsextre -men überfallen: „Ich habe sofort einenSchlag ins Gesicht bekommen und warerst mal konsterniert. Während aufmich eingeschlagen wurde, kamen Rufewie: ,Wir sind Dortmund und Ihr nicht‘,‚Ihr Schweine wollt uns hier raus haben‘und ‚Dortmund bleibt rechts‘. Und ichhabe das Glück gehabt, dass jemand ausder Szene meine Stimme kannte und

mich mit Gewalt da rausgeholt hat. Unddann ist mir erst klar geworden, dassich in dem Moment quasi fürs Systemgestanden habe.“

Neonazis gibt es überall

In Dortmund leben viele Autonome Na -tionalisten, organisiert in losen Struk -turen, unauffällig, meist gewaltbereit.Dieser Einfluss ist auch im Umfeld derBorussia zu spüren. So bekundetenFans auf einem Transparent ihre Soli -darität zum „Nationalen WiderstandDortmund“, die neonazistische Grup -pierung war zuvor verboten worden. Inkeiner Stadt Nordrhein-Westfalens wer-den so viele rechtsextrem motivierteStraftaten gemeldet wie in Dortmund.Die Grenzen zwischen Neonazis, Kampf -sportlern und Ultras verschwimmen,vor allem in den Fan-Gruppierungen„Desperados“ und „Northside“. Vielevon ihnen schauen zur dreißig Jahrealten Borussenfront und ihrem KopfSiegfried Borchardt auf, bekannt als SS-Siggi. Zuletzt sind Kleidungsstücke derBorussenfront wieder häufiger gesichtetworden, doch erst nach dem Angriff aufden Sozialarbeiter Thilo Danielsmeyerin Donezk begann eine breite Debatteüber Rechtsextremismus. Doch wielange hält diese Debatte an? Antiras sis -tische Ultras der Gruppe „The Unity“werden in Dortmund bedroht. Kein Ein -zelfall: In 16 Fanszenen der drei Pro fi -

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ligen gibt es Überschneidungen zwi-schen gewaltbereiten Fans und Rechts -extremen, so die Zentrale Infor ma tions -stelle Sporteinsätze.

„Trotzdem beschäftigen wir uns zustark mit den 50 bis 150 Neonazis, die esvermutlich in jedem Stadion gibt“, sagtder Sozialwissenschaftler Gerd Dem -bowski. „Wir müssen vor allem auf jeneFans schauen, die sich nicht als Ras -sisten oder Neonazis bezeichnen wür-den, aber die immer wieder eine Rolledabei spielen, neue 50 bis 150 Neo naziszu ermöglichen.“ Nicht erst Hitler grußoder Hakenkreuz offenbaren rechtsex-treme Einstellungen. Dem bowski lenktden Blick auf die Lang zeit studie zurGruppenbezogenen Menschen feind -lichkeit: Darin hat der BielefelderGewalt forscher Wilhelm Heitmeyernachgewiesen, dass Abwertungsmusterwie Ras sismus, Homophobie, Sexismustief in der Gesellschaft verankert sind.So vertreten fast fünfzig Prozent der Be völkerung die Meinung, dass inDeutsch land zu viele Ausländer leben.Für den Politikwissenschaftler JonasGabler wirkt das Stadion wie eine ArtLupe, unter der sich Ressentiments ver-dichtet entladen können: „Die Historiedes Fußballs ist seit hundert Jahrenmännlich geprägt, auch daraus resultierthierarchisches Empfinden und Freund-Feind-Denken. Menschen, die nicht die-ser Mehrheitsnorm entsprechen, wer denvon Fans schnell abgewertet.“

Den Begriff „Unterwanderung“ hältJonas Gabler für missverständlich, erwürde eine Strategie von außen vermu-ten lassen. Vielmehr können Ritualeund Normen des Fußballs Menschen -feind lichkeit bei Jugendlichen schüren,durch Nationalismus und Überlegen-heitsdenken. Nicht nur in der Anony -mität des Stadions, sondern im Umfeld:in Zügen, Kneipen, Internetforen. Dochdieser langsame Prozess ist für Politik,Funktionäre und Medien schwer zu be -greifen. Schließlich gibt es selten Fern -seh bilder wie zum Beispiel von pyrotech-nischen Gegenständen zu sehen.

Druck auf Politik und Verbände

Die wiederkehrende Mediendebatteerzeugt einen Handlungsdruck auf Po -litik und Verbände. Eine Konsequenz:Im neu aufgelegten Sicherheitskonzeptder Deutschen Fußball-Liga DFL fanddas Thema Rechtsextremismus nur amRande Erwähnung. „Dabei sind die Sta -dien sicher“, sagt Gabler. „Wenn ich soein Papier auflege und suggeriere, dasist ein unsicherer Ort, dann schrecke ichauch Leute ab. Auch Minder heiten, diediskriminierendem Verhal ten ausge-setzt werden können. Ein fa tales Signal,das die DFL damals unter dem Druckauch der Innenpolitik ausgesendet hat.“

Die Ultras haben im Herbst 2012 bun-desweit Proteste gegen die Krimina li -sierung ihrer Kultur organisiert. Auch

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über alte Rivalitäten hinweg. In diesemBündnis durften Gruppen mitmischen,deren Entwicklung ins rechte Spektrumtendiert, zum Beispiel die Karlsbandeaus Aachen. Gerd Dembowski glaubt,dass durch diesen Schulterschluss dieantirassistischen Gruppen auf noch mehrWiderstand stoßen können, vor allemauf den Widerstand der erstarkendenHooligans: „Dann hat man keine Zeitmehr, um diesen kleinen Kampf gegenDiskriminierung im Alltag durchzuset-zen, weil das große Thema ein anderesist. Dann kommen Neonazis wieder aufdieses politische Trittbrett, dass siesagen können: Wir engagieren uns jagesellschaftlich.“

Fußball als Bühne

Im Fußball ist eine Atmosphäre entstan-den, die Dembowski als Moralpanik be -zeichnet. Und die will sich die NPD zuNutze machen. Oft ist Fußball für dierechtsextreme Partei eine Bühne, auf dersie leicht Propaganda verbreiten kann.Gegen Polizei im Stadion – damit gegenden Staat. Für heimische Talente – alsogegen Migranten. Gegen Kommerz – ge -gen Globalisierung. Immer wieder nut-zen Parteikader Schlagworte, die zumVokabular des Fußballs gehören: Kampf -kraft, Ehre, Heimat.

Die NPD in Thüringen wandte sich im Februar mit einem Schreiben an dieFanklubs von Rot-Weiß Erfurt und

Carl Zeiss Jena. Der Titel des Papiers:„Sport frei! Politik raus aus dem Stadion– Für eine lebendige, selbstständige undvielfältige Fankultur im Fußball“. DieVerei ne distanzierten sich, doch bei vie-len Unbeteiligten dürfte ein negativerEin druck haften bleiben. Das Beispielverdeutlicht, wie machtlos sich Klubsund Verbände fühlen.

Das gilt auch für den Deutschen Fuß -ball-Bund. „Bei der Aufarbeitung habenwir als DFB zunächst keine aktive Rolleim Sinne von Sanktionen“, sagt dessenPräsidenten Wolfgang Niersbach. „Wirkönnen als Verband nur unsere Grund -haltung deutlich machen. Dass wir nichtnur über die Satzung, sondern aus vollerÜberzeugung gegen jede Bewegung nachrechts sind, dass dieser DFB offen seinsoll für alle.“

Was der DFB tut

Wolfgang Niersbach sitzt in der Biblio -thek der DFB-Zentrale, auf dem Kon -ferenztisch liegen Zeitungsartikel, Ver -einssatzungen, Sportgerichtsurteile. Erspricht langsam, auch über seine Fami -liengeschichte. Sein Vater war bis 1949in britischer Gefangenschaft, da nachhaben sie bis zu seinem Tod nie aus-führlich über den Krieg gesprochen.Heute bedauert Wolfgang Niersbach,nicht intensiver gefragt zu haben. 1976 war Niersbach zum ersten Mal inAuschwitz, er hatte als Journalist von

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der Eishockey-Weltmeisterschaft inPolen berichtet. Auch nach Israel ist er immer wieder geflogen, zuletzt imDezember mit Nachwuchsspielern desDFB. Vor allem ihr Besuch in der Ge -denkstätte Yad Vashem wird ihm inErinnerung bleiben.

Lokale Partner gesucht

Unter seinem Vorgänger Theo Zwan -ziger hat der DFB viele Kampagnenangestoßen. Fans und Medien fragtensich, ob Niersbach diesen Kurs fortfüh-ren würde. Der 62-Jährige pflegt seineKontakte zu den Spitzenvereinen. Kri -tische Aktivisten sagen hingegen, ihrDialog mit dem DFB sei unter Niersbacheingeschlafen. Der Sozialwissen schaft -ler Gerd Dembowski ist Mitglied einerKompetenzgruppe an der UniversitätHannover, auch er berät den DFB undsagt: „Der DFB hat keinen Antidis kri -minierungs-Beauftragten und keinenGleichstellungs-Beauftragten. Jedergroße Betrieb leistet sich einen Gleich -stellungs-Beauftragten. So etwas einzu-setzen, wäre meiner Meinung nach eingroßer Schritt. Es sollten Ansprech -partner auch in Landes- und Regional -verbänden geschaffen werden.“

Wolfgang Niersbach sagt, die Struk -tu ren des DFB seien ausreichend: ImHintergrund arbeiten Wissenschaftler,Experten und Fanbetreuer an Kon zep -ten, zum Beispiel an einem Leitfaden für

das Coming-out schwuler Profi spieler.Niersbach rückt die Prävention in denVordergrund: die Vergabe des Julius-Hirsch-Preises an antirassistischeInitiativen und die finanzielle Unter -stützung der fünfzig Fanprojekte. So -zialarbeiter nutzen seit mehr als dreiJahrzehnten das Medium Fußball, umFans für Jugendhilfe zu gewinnen. Inder Hoffnung, dass rechte Einstellungengar nicht erst entstehen. Der angestreb-te Jahresetat eines Pro jekts liegt bei180.000 Euro, für drei Sozialarbeiterund eine Verwaltungs kraft. DiesenMindeststandard weisen aber nur fünfvon fünfzig Fanprojekten auf. MichaelGabriel, Leiter der Koordi nationsstelleFanprojekte in Frankfurt, der KOS, be -tont, dass die öffentliche Erwar tungs -haltung an die Sozialar bei ter stetigwächst: „Uns sind in den letzten andert-halb Jahren 25 Leute weggebrochen,aufgrund von Krankheit, aber auch, weilsie sich für andere Stellen beworbenhaben. Viele Kollegen in den Fanpro -jekten, aber auch bei den Fan beauf -trag ten, werden von Rechtsextre menangegriffen.“

Fans werden selbst aktiv

Die Sozialarbeiter klären auf: über Co - die rungen, Internethetze, Kleider mar -ken oder über die rechte Fußball bandKategorie C. Und sie leisten Ak zep tie -rende Sozialarbeit: Integration statt

RONNY BLASCHKE | ANGRIFF VON RECHTAUSSEN

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Ausgrenzung – auch von Jugend lichenmit einem diffusen rechten Weltbild.Das Niveau in den Fan-Be treuungen derVereine ist unterschiedlich, sagt PhilippMarkhardt, Sprecher des bundesweitenBündnisses ProFans: „Es reicht ganzeinfach nicht, wenn ein Verein sagt: Wir positionieren uns gegen Rechts -extre mismus, oder noch besser gegenExtre mismus jeder Art. Das ist ja diesetypische Aussage, wenn man es allenrecht machen möchte. Ich kenne keinenein zigen Verein, der in Absprache mitden Fans konsequent einen Kurs gegenRassismus fährt.“ Ohne Unterstützungihrer Vereine nehmen es kritische Fansmeist selbst in die Hand. Sie gründenInitiativen, suchen externe Experten,knüpfen Netzwerke. Zum Beispiel dieLöwenfans gegen Rechts in München,die Schalker Fan-Initiative in Gelsen -kirchen oder die Ultras des SV WerderBremen.

Neonazis suchen neue Wege

Rechtsextreme haben ihre Bewegungimmer wieder modernisiert. Nach demVerbot der Freiheitlichen DeutschenArbeiterpartei, der FAP, schlossen sichviele Mitglieder Mitte der neunzigerJahre militanten Kameradschaften an,heute sind die unauffälligen AutonomenNationalisten prägend. Neonazis habenmehrfach neue Wege gesucht und gefun-den. Rechtsextreme werden weiter

ihren öffentlichen Raum zur Präsen ta -tion beanspruchen. Das Umfeld desFußballs wird dabei eine Rolle spielen.|

RONNY BLASCHKEist freier Journalist aus Berlin. 2011 erschiensein Buch „Angriff von rechtsaussen. WieNeonazis den Fußball missbrauchen“.

SCHWERPUNKT | WACHSAM BLEIBEN

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R echtsextremismus ist nicht alleindurch Verwaltungshandeln be -

kämpfbar, weder durch ein Parteien -verbot noch durch Einschränkungen derBürgerrechte für Nazis. Verwaltungkann und soll helfen, aber es muss einepolitische Bewegung dazu kommen, diedemokratische Alternativen attraktivermacht als die dumpfen Ideologien derRechtsextremisten. Eine Welt anschau -ung kann man nicht abstellen. Und sogibt es die rechtsextremen Weltbilderfast genauso lange wie die Sozialdemo -kratie. Die Etiketten haben sich geän-dert, auch die Flaschen – aber der bitte-re Wein ist immer derselbe geblieben.Wer etwas tun will, sollte es also ohnedie Illusion tun, Rechtsextremismusabschaffen zu können.

Wenn es darum geht vor Ort etwas gegen Rechtsextremismus zu tun, sollteman eine Handlungsstrategie nur verfol-gen, wenn langfristige Konzepte benö-tigt werden. Das bedeutet, es solltenTeilnehmer vorhanden sein, die nicht

nur wegen der Bewältigung eines aktuel-len Ereignisses zusammenkommen. Esmuss auch nicht immer „gegen Rechts -extremismus“ gehen – vor allem sollte esnie gegen Menschen gehen. Ein gut funk-tionierendes Gemeinwesen ist deshalbdie beste Versicherung gegen Rechts ex -tremismus.

Wie sieht es vor Ort aus?

Zunächst einmal gibt es keine Universal -rezepte gegen Rechtsextremismus aufkommunaler Ebene. Der Begriff „Hand -lungsstrategie“ geht davon aus, dass essich nicht um punktuelle Symbolhand -lungen handelt. Als erstes hängt es da-von ab, wie die politischen Bedingungenvor Ort sind: Gibt es eine plurale politi-sche Kultur, kann man über gemeinsameAktivitäten nachdenken. Gibt es sienicht (wie zum Beispiel in stark polari-sierten Kommunen) wäre es eher sinn-voll, eine Parteiaktion in Betracht zu ziehen, die dann auf Kreisebene unter-

DIRK WILKING | LEBENSWERT UND WIDERSTANDSFÄHIG

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LEBENSWERT UND WIDERSTANDSFÄHIGWie kommunale Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus erfolgreich sein können — Von Dirk Wilking

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stützt werden kann. Soll ein kommuna-les Konzept entstehen, wäre dann zuentscheiden, wie intensiv man seineKräfte einbinden will. Es ist zu entschei-den, ob man kurz-, mittel- oder langfris-tig agieren möchte.

Kurzfristige Aktionen sind zumeistReaktionen auf rechtsextreme Hand -lungen (wie Aufmärsche, „Mahn wa -chen“, Konzerte etc.) und sind damit abhängig von den Rechtsextremistenselbst. Der Erfolg kurzfristiger Reakti o -nen hängt davon ab, ob es vor Ort einMobilisierungspotenzial für eine Ge -genveranstaltung gibt. Wenn das nichtder Fall ist, sollte man versuchen, mitden Behörden zu vereinbaren, wie mandie Veranstaltung der Rechtsextremen„unschädlich“ machen kann – entweder,indem sie nicht stattfindet (durch Nut -zung des Versammlungs- und Ord nungs -rechts u. a.) oder zumindest keine Wir -kung in der Bevölkerung entfalten kann.„Strategisch“ daran ist, dass es ein guteingespieltes und abgestimmtes lokalesVerfahren auf kommunaler Ebene einezwingende Voraussetzung für erfolgrei-ches Handeln ist.

Mittelfristige Aktivitäten beziehensich zumeist auf größere Demonstra -tionen, Erwerb von Immobilien durchRechtsextremisten oder den Aufbau vonOrganisationsstrukturen. Hierzu bedarfes eines Netzwerkes von Akteuren ausPolitik und Verwaltung. Hier sind auchKooperationen und Beratung auf überre-

gionaler Ebene durch das Mobile Be ra -tungsteam und das „Aktions bündnisBrandenburg gegen Gewalt, Rechtsex -tremismus und Fremdenfeindlichkeit“sinnvoll.

Langfristige Aktivitäten sind inBrandenburg fast immer eher zufälligaus einer Kette von kurz- und mittelfris-tigen Aktivitäten entstanden. Hier gehtes dann nicht mehr nur um Reaktionenauf Rechtsextremisten, sondern auchum die Gestaltung des politischen Kli -mas, die Formulierung von Defiziten desdemokratischen Zusammenlebens undder Zivilisierung von Konflikten in derKommune. Zwischen diesen Stra tegiengibt es viele Grautöne. Was „besser“oder „schlechter“ ist, hängt stets vompolitischen Klima vor Ort ab.

Volksfront oder Strategie?

Es scheint eine unreflektiert überkom-mene Vorstellung zu sein, dass „gegenNazis“ automatisch eine Volksfront derDemokraten entstehen müsse. Das pas-siert jedoch eher selten. In der Regelscheitert es daran, dass die lokalenAkteure sich gerne als „in der erstenReihe“ befindlich definieren um dort ihrMacherprofil zu schärfen. Das schrecktpolitische Konkurrenten ab. Wo alsoausgesprochen oder unausgesprochenKämpfe in der politischen Hierarchie mitArbeit gegen Rechtsextremismus ver-knüpft werden, gelingt es kaum, einen

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breiten Konsens herzustellen. Eine ge-meinsame Form des Widerstandes fin-det man dann nicht – im Gegenteil: Wer von einem CDU-Ortsverein erwar-tet, dass er sich an einer Blockade be tei -ligt, will die CDU wohl eher vorführenals beteiligen.

Wie man einen Ort gewinnt

Also ehrlich sein: Will ich konservativeMilieus erreichen? Wenn nein, dannbrauche ich sie auch nicht einzubezie-hen. Wenn ja: Dann brauchen dieseKräfte auch eine angemessene Form derAktivität. In der Praxis hat sich bewährt,für die willigen Gruppen jeweils ein spe-zifisches Aktionsangebot zu gestalten.Senioren gehen im Winter ungern in einen Wasserwerfereinsatz der Polizeibei einer Blockade. Aber wenn es eineLe sung zum Thema in einer Buch hand -lung innerhalb eines Gesamtkonzeptesgibt, mobilisiert man auch diese Gruppe.Elitäre Demagogie, die zwischen „Bock -wurstfest“ und „echtem Kampf“ unter-scheidet, sollte man auch als solche bezeichnen. Angemessene Konzeptezeichnen sich dadurch aus, dass sie sichauf das Wirkungsfeld beziehen und nichtauf die Stilisierung von Personen undGruppen.

Es macht einen wesentlichen Unter -schied, ob ich in einer größeren Stadtinitiativ werde oder in einem Dorf. Wirdein Dorf – mangels Masse – von auswär-

tigen, städtischen Aktivisten mit bestenAbsichten besucht, kann dort schnell einAbwehrreflex erfolgen, wenn man sich„überrollt“ und nicht einbezogen fühlt.Es ist in solchen Fällen schon vorgekom-men, dass sich die Dorfbevölkerungklammheimlich eher mit den Rechts ex -tre misten solidarisierte, weil die nichtbevormundend und besserwisserisch erscheinen. Um solchen unerwünschtenEffekten vorzubeugen ist es nötig, die lokalen Kommunikationsmuster zu ken-nen und zu berücksichtigen, und nichteinfach etwas aus dem Methodenkofferzu ziehen. Es geht schließlich nicht (nur)darum, die physische Erscheinung vonein paar Rechtsextremisten in der Re -gion einzudämmen – viel wichtiger istes, deren Wirkung auf ihre Zielgruppenzu unterbinden. Wie lässt sich also einelokale Handlungsstrategie aufbauen?

Quer und bunt

Die Startphase trägt entscheidend zuErfolg oder Misserfolg einer Strategiebei. Die formierende Gruppe hat eine eigene Dynamik, und so würde eineZusammensetzung aus Fraktions vor -sitzenden, Bürgermeister und Dezer -nenten einen anderen Drall geben, als eine Kombination aus Landtags abgeord-neten, Pfarrer, Theaterintendanten undStudierenden. Auch hier gilt: Es kommtauf die Situation vor Ort an, und auf diedefinierten Ziele. Die erste Variante

DIRK WILKING | LEBENSWERT UND WIDERSTANDSFÄHIG

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würde recht erfolgreich bei verwaltungs-orientierten Problemen sein, aber weni-ger Wirkung im Gemeinwesen erreichen,im zweiten Fall ist es tendenziell umge-kehrt.

Es geht also weniger um etwas Abso -lutes, sondern um die Zielbeschreibung.Für die sollte man sich ausreichend Zeitnehmen. Hier kann die Unterstützungdes „Aktionsbündnisses gegen Gewalt,Rechtsextremismus und Fremden feind -lichkeit“ schnell und unbürokratisch ab-gerufen werden. In der Praxis hat sich ei-nes jedenfalls immer herausgestellt:Gruppen, die sich wegen ihrer Zustän -digkeit zusammengefunden haben, wa-ren deutlich instabiler, als Gruppen vonWilligen, die aus privatem Antrieb dabeisind. Gruppen, die aus mehreren Akti -visten mit großem Ego bestehen, lösensich bald zerrüttet auf, oder es überlebtnur eine Person, die alle anderen Mit -glieder beherrscht. Quer zu den Hierar -chien und bunt gemischt funktioniertam Ende meistens am besten.

Lagebild ist Voraussetzung

Rechtsextremismus ist bekanntlich einorganisatorisches und ideologischesNetzwerk aus Parteien, Kamerad schaf -ten und lokalen Wirkungsgruppen. Die -ses Netzwerk ist nicht homogen, aberdurchaus zu gemeinsamem Handeln mitRollenaufteilungen fähig. Wenn die NPDdemonstriert, ist das für die SPD kompa-

tibel, weil es sich um Parteienstrukturenhandelt, die bekannt sind. Schwierigerist der Umgang mir Flashmobs der Auto -nomen Nationalisten. Hier werden Bot -schaften gesendet, die sich den eta -blierten Kommunikationsmustern vonPar teien entziehen. Auch regionaleKameradschaften sind nicht leicht zu erkennen und ihre Wirkung entspre-chend schwer einzuschränken. Sie agie-ren zum Teil konspirativ, sind „Vete -ranen“ der Szene, schon Jahre nichtmehr öffentlich aktiv und im Establish -ment angekommen. Ähnlich schwierigsind Aktivitäten von sich als „Bürger -initiativen“ darstellenden Gruppen wieetwa dem „Deutschen Polizei Hilfs-Werk“ (DPHW), die sich als Bürgerwehraufspielen und einen praktischen Er -satz staat anbieten. Das Themen spek -trum rechtsextremer Bürgerinitiativenist so vielfältig, wie es schwierige Pro -blemlagen gibt. Es reicht von Kanal an -schlussgebühren bis zu Problemen derillegalen Kleingartenbebauung. Wie im-mer gilt, dass denen nicht das Themawichtig ist, sondern die finale Forde -rung: „Das System muss weg!“ – dies istimmer das Ergebnis aller vermeintlichsachlichen Argumentationen. Daraufkann man sich immer verlassen.

Um eine Strategie zu entwickeln be-darf es deshalb zuerst einer Situations -be schreibung. Kommunal sollte mansich – bevor man zur Handlung übergeht– Gedanken darüber machen, woher man

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die Informationen zur rechtsextremenSzene seiner Region bezieht. Im ungüns-tigsten Fall sind es ausschließlich Pres -se berichte, die dann häufig zu aktionis -tischer Hektik führen. Besser für eineStrategieentwicklung ist es, sich ein zu-verlässiges, kontinuierliches Lagebild zuorganisieren. Neben der Polizeiwache istdas der Verfassungsschutzbericht, An -fragen an das Mobile Beratungsteamund Presseartikel.

Die Jungen kennen sich aus

Die zuverlässigste Quelle sind aber loka-le Akteure selbst. In der Regel könnenJugendsozialarbeiter, Jusos, Falken, andere Jugendgruppen sowie Gemein de -verwaltungen hervorragende Beschrei -bungen liefern, wenn sie in einem ge -schützten Raum unter Wahrung ihrerAnonymität ihre Kenntnisse der lokalenGegebenheiten kommunizieren. Nachunserer Erfahrung kann eine Gruppe 17-18-Jähriger in drei Stunden ein außer-ordentlich präzises Bild des Rechts ex -tremismus in ihrer Kommune geben. AufBasis solcher (durchaus nicht wissen-schaftlichen) Situationsbeschreibungen,die in regelmäßigen Abständen wieder-holt werden sollten, lassen sich die Wir -kungsabsichten der Rechtsextremen gutabschätzen und entsprechende Gegen -strategien entwickeln.

Es ist wenig hilfreich, wenn in einerKommune bekannt ist, dass es eine klei-

ne Gruppe gibt, die sich als „die Guten“definiert – und die „anderen“ als passiveVersager. Eine Strategie gegen Rechts -extremismus sollte durchaus bewusstbeinhalten, dass es mehrere Wege gibt,an sein Ziel zu kommen. In einer Groß -stadt kann es beispielsweise durchaussinnvoll sein, dass sich Bündnisse ausbestimmten Eliten bilden, die das En -gagement gegen Rechtsextremismusstrukturieren. Hier sollte aber im Vor -dergrund stehen, dass der Weg für wei te -re Akteure frei gemacht wird, das heißtdas Bündnis versteht sich als Medium einer breiteren Öffentlichkeit und nichtals Elite im Kampf gegen Rechtsextre -mismus. Es werde immer eher kleinereGruppen sein, die die Initiative für loka-le Konzepte entwickeln.

Auf Schwächen reagieren

Ziel sollte dabei aber sein, dass man die „Mitte der Gesellschaft“ erreicht, das heißt jene Menschen, die sich dieRechts extremen als Zielgruppe ausge-wählt haben. Das sind in der Regel auchgeografisch benennbare Gebiete. In dengrößeren Städten sind das Plattenbau -siedlungen oder eingemeindete Dörfer.Im ländlichen Raum sind es häufigDörfer, die außerhalb des Speckgürtelsliegen, wo die Menschen sich abgekop-pelt fühlen (oder es gar sind). Es sindGruppen, bei denen die SPD schwierigeKommunikationsbedingungen hat – und

DIRK WILKING | LEBENSWERT UND WIDERSTANDSFÄHIG

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diese Schwierigkeit nutzen die Rechts -extremen bewusst aus. Eine Strategiekann und sollte deshalb auch beinhal-ten, nicht nur gegen Rechtsextremismuszu sein, sondern sich diesen Bevölke -rungsgruppen zuzuwenden, sie stärkerin Diskussions- und Entscheidungs pro -zesse einzubinden. Wir (die De mo kra -ten) sollten uns eingestehen, wo wirSchwächen haben: Durch die Einge -meindungen von Dörfern ist in denStädten keine bewusste Dorfpolitik ent-wickelt worden, für die Plattenbausied -lungen haben die Parteien in der Regelkein plausibles Kommunikations kon -zept und in den Randregionen gibt eskaum funktionierende Strukturen derdemokratischen Parteien außerhalb der Städte. Eine Strategie sollte dieseSchwächen benennen und konzeptionelldarauf reagieren.

Solidarität mit Angegriffenen

Sollte es zu gewalttätigen Übergriffenvon Rechtsextremen kommen, gehörtdie unbedingte Solidarität mit den Über-fallenen. Das klingt selbstverständlich,ist aber in der Praxis schwer. Die meis-ten Angegriffenen sind nicht etwa Aus -län der, sondern Menschen am unterstenRand der Gesellschaft. Da wir Opfer ger-ne als „gute Menschen“ darstellen möch-ten, eignet sich diese Gruppe vermeint-lich nicht für öffentliche Solidarisierung.Aber es wäre wichtig, eine politisch mo-

tivierte Gewalttat immer als Verbrechenzu kennzeichnen, das sich gegen die Men - schenwürde richtet. In Brandenburg istder beste Weg, direkt Kontakt mit demVerein „Opferperspektive“ aufzunehmen,die in solchen außerordent lichen Situ a -tionen schnelle und unbürokratischeUnterstützung geben können.

Jugendliche einbinden

Deutlich unterschätzt wird gelegentlichdie Wirkung von Angriffen der Rechts -extremisten auf Parteibüros. Häufigwerden diese Angriffe nicht öffentlichgemacht, um den Rechtsextremisten keine „Erfolgsmeldung“ zu gönnen.Kom mu nale Solidarität bleibt häufigeraus, weil es einen politischen Gegner getroffen hat und im schlimmsten Fallwird kommuniziert, das die Partei jaselbst schuld sei, wenn sie sich so weitgegen Rechtsextremisten aus demFenster lehne. Der Angriff auf Partei -büros ist aber eine der direktestenAttacken auf die Demokratie, weil da-durch ein kommunales Angstklima ge-schaffen werden soll. Menschen sollendavon abgehalten werden, sich öffent-lich politisch zu engagieren. Wo es zusolchen Angriffen kommt, sollte dieReaktion schnell und unmissverständ-lich kommen: Neben der Polizei solltensich alle demokratischen Par teien – egalin welcher politischen Kon troverse siesich gerade befinden – mit den Ange grif -

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fenen solidarisieren. Opfer von solchenAngriffen sind in der Ver gan gen heitpraktisch alle demokratischen Par teienim Land geworden.

Die Erfahrung zeigt, dass engagierteMenschen sich keiner besonderen Ge -fahr aussetzen. Rechtsextremisten wollen in der Regel für ihre Ideologiewerben und solange sich der zivil gesell -schaftliche Widerstand dagegen auf dieKommu ni kationsstruktur und die Mei -nungs bil dung richtet, ist die Situationrecht kalkulierbar. Das gilt nicht im-mer, wenn es sich um Jugendliche han-delt. Jusos oder Falken sind einer höhe-ren Gefahr ausgesetzt. Das hat nichtunbedingt etwas mit deren Verhaltenzu tun, sondern damit, dass sie häufigerin demselben Milieu wie die jungenRechts extre misten verkehren (Schule,Aus bildung, Freizeit). Dort eskalierenSitua tionen zwangsläufig schneller.Diesem erhöhten Risiko sollte man sichbewusst sein, wenn man Jugendliche insein Konzept einbindet.

Alle mitnehmen

Wenn das Engagement sich direkt gegenPersonen aus der rechtsextremen Szenewendet – Abgeordnete, Szeneläden, Knei -pen etc. – steigt das Risiko. Je stärker kon-kret benennbare Personen und ihr priva-tes Lebensumfeld in den Fokus geraten,desto höher ist das Risiko gewalttätigerEskalation. Der Eingriff in die biografi-

schen Zusammenhänge wird immer mitgesteigertem aggressiven Verhalten be-antwortet.

Morddrohungen und andere Angstmachende Äußerungen kommen inBran den burg recht selten vor. Am häu-figsten werden sie von so genannten„Reichs bürgern“ geäußert, die nicht immer als Rechtsextre misten zu be-zeichnen sind, sondern sich häufig ausprivaten Motiven (Bankrott, geistigeVer wir rung u. ä.) entschieden haben, ihrem Dasein die höheren Weihen einer „Reichregierung“ zuzueignen. In diesem Zusammenhang werden dann„To desurteile“ eines „Reichsgerichts“verschickt. Rechtsterroristische Ge -fahren sind – trotz der derzeitigen NSU-Diskus sion – in Brandenburg derzeitnicht erkennbar. Gleichwohl werdenzum Beispiel SPD-Mitglieder durchRechtsextreme im lokalen Umfelddurchaus bepöbelt oder bedroht und in seltenen Fällen auch geschlagen.

Zivilgesellschaftlichen Aktivitätenwird oft angehängt, dass sie eher sym -bolisch und wenig kämpferisch gegenRechts extreme vorgehen. Das mag stim-men oder nicht, aber der Erfolg ist ebennicht messbar in den Metern, die eineDe monstration der NPD vorwärtskommt, sondern in der Wirkungs lo sig-keit dieser Partei in den Kommunen.Nach unseren Erfahrungen sind Kom - munen mit funktionierenden Konzepten erfolgreich, weil sie das gesamte Ge -

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mein wesen stimulieren, sich zu posi tio -nieren, ihre eigenen lokalen Themen demokratisch zu verhandeln und sich so gut vernetzt haben, dass sie Verän -derungen in ihrer Gemeinschaft sehrschnell wahrnehmen und darauf reagie-ren. Wo der Ansatz ist, dass politischeAktionen weit über das „Gegen“ denRechtsextremismus hinaus geht und kul-turelle, jugendpolitische, wirtschaftlicheund bildungspolitische Maßnahmen miteinbezogen werden, entwickelt sich einestandfeste politische Konflikt struk tur,die offen mit ihren Problemen umgeht.Und das macht eine Kommune am Endelebenswert und widerstandsfähiger.|

DIRK WILKINGist Geschäftsführer des BrandenburgischenInstituts für Gemeinwesensberatung –demos. Deren Mobile Beratungsteams (MBT) beraten im Rahmen des Handlungs -kon zeptes Tolerantes Brandenburg(www.tolerantes.brandenburg.de) seit 1998Kommu nen, Initiativen und Einzelpersonenmit dem Ziel, rechtsextreme Entwicklungen und Übergriffe abzuwehren bzw. zu ver hindern. Sie sind erreichbar unterwww.gemeinwesenberatung-demos.de.

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R echtsextreme Bewegung bombar-diert Verwaltungen mit Drohun gen“,

„Alternativwährung wirbt für rechtseso-therischen Reichsbürger ver ein“, oderauch „Durchs wilde Absur distan“ – solauteten Überschriften von Medienbe -richten über zunehmende Aktivitäten der “Reichsbürger-Bewe gung“ auch inBrandenburg. Die selbsternannten„Reichsbürger“, „Selbstver walter“ oderauch „Reichsregierungen“ sind Anhängermehrerer kleiner sektenartiger Gruppie -rungen, die sich im rechts extremenUmfeld tummeln. Sie sprechen der Bun -desrepublik Deutsch land die völkerrecht-liche Souveränität ab und vertreten dieTheorie, dass das Deutsche Reich fort-existiere. Auch in Brandenburg verzeich-net die „Bewe gung“ Zulauf.

Eine heterogene Bewegung

Bei den „Reichsbürgern“ handelt es sichum Anhänger einer sehr heterogenenBewegung, die aus Einzelpersonen, aberauch Personenzusammenschlüssen und

Vereinigungen wie beispielsweise der„Kommissarischen Reichsregierung“oder der „Exilregierung DeutschesReich“ bestehen. Sie alle eint das Ziel,unter Zuhilfenahme von kruden Argu -menta tionsmustern den Rechtsstaat inFrage zu stellen und durch provokativesAuftreten staatliches Handeln zu blo-ckieren. „Nicht immer sind die AnhängerRechtsextremisten. Trotz allem versu-chen viele Akteure, einen gesellschaft -lichen Resonanzboden für rechtsextre-mistisches Gedankengut zu bedienen[…] und sind teilweise tief in der rechts-extremistischen Szene verankert“, heißtes im Brandenburger Verfassungs schutz - bericht aus dem Jahr 2012.“ Auch des-halb wird häufig gegenüber Ämtern, Be -hör den oder auch in Gerichtsver fahrenversucht, mit pseudowissenschaftlichenGutachten und abenteuerlichen Ver -schwö rungstheorien den Holocaust zuleugnen und die „Fremdherrschaft“ derBundesrepublik zu beweisen.

Die ersten „Reichsregierungen“ ha-ben sich bereits in den achtziger Jahren

LARS KRUMREY | TOTGEGLAUBTE LEBEN LÄNGER?

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TOTGEGLAUBTE LEBEN LÄNGER?Die „Reichsbürger“ werden auch in Brandenburg zunehmend aktiv — Von Lars Krumrey

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in der alten Bundesrepublik gegründet.Hatte die Reichsbürgerbewegung für diedeutsche Neonazi-Szene bisher kaumBedeutung, so fällt sie seit einiger Zeitdurch ihre Aktivitäten vor allem beiBrandenburger Behörden und auch anSchulen zunehmend auf.

Der Staat wird ignoriert

Eben mit dem Verweis auf die Fortexis -tenz des Deutschen Reiches lehnen die„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“die Zahlung von Steuern, Bußgeldernoder Verwaltungsgebühren ab. Dass es dabei nicht immer bei vermeintlichungefährlichen, weil verbalen, Aktivi -täten bleibt, zeigt ein Vorfall aus demNovem ber letzten Jahres im sächsi-schen Ort Bärwalde nahe Dresden, andem auch Brandenburger Reichsbürgerbeteiligt waren. Bei dem Versuch, Schul -den eines Anhängers der Reichs bürger -bewegung einzutreiben, wurde ein Ge -richtsvoll zieher von vermeintlichen„Polizisten“ mit Hinweis auf seine ihrerAnsicht nach fehlende Legitimation fürdie Beitrei bung „verhaftet“. Diese Po -lizisten waren jedoch beileibe keine Ho heitsbeamten, sondern vielmehrAnge hörige des „Deut schen PolizeihilfsWerks“ (DPHW), einer Nebenorgani - sation der Reichs bürger be wegung. DieBefreiung des Gerichtsvoll ziehers muss-ten dann tatsächlich von echten Poli zis -ten durchgesetzt werden.

Nicht immer so spektakulär, aber dafür umso nervenaufreibender ist dastagtägliche Traktat der „Reichsbürger“vornehmlich gegen Kommunalver wal -tun gen. Unzählige Behörden müssensich beispielsweise mit Schadens er satz -schreiben wegen abgelehnter So zial leis -tungen rumplagen, in denen Gegen for -derungen, „zahlbar in Gold, Silber oderPlatin in handelsüblicher Stücke lung“,aufgestellt werden. Ein drücklich berich-tete unlängst die Märkische Oderzeitungüber das Agieren von Reichs bürgern imLandkreis Oder-Spree. Dort hatte manlange – dem Leitbild einer bürgerfreund-lichen Verwaltung folgend – die einge-gangenen Schreiben freundlich undsachlich beantwortet.

Grundgesetz steht in Frage

Als „Dank“ wurden die Behörden unab-lässig mit Fragen bombardiert wie „IstIhnen die Haager Landkriegs ord nung bekannt?“ oder „Kennen Sie die Gesetzezur Bereinigung des Bundes rechts?“ AlsAnlage finden sich dann bis zu 100 Sei -ten starke Pam phlete, die gerne aucheinfach mal durchgefaxt werden. In die-sen wird dann behauptet, dass die Bun -desrepu blik Deutschland am 17. Juli 1990untergegangen sei. An diesem Tag habeder amerikanische Außenminister an-lässlich der Verhand lungen zum Zwei-Plus-Vier-Vertrag in Paris kraft seineralli ierten Sonder rechte „am Rande eines

SCHWERPUNKT | WACHSAM BLEIBEN

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Ge sprächs Artikel 23 des Grundgesetzesin der Fassung vom 23. Mai 1949 aufge-hoben. Mit der Streichung von Artikel 23(in der alten Fassung), welcher zu dieserZeit den Geltungsbereich des Grund -gesetzes regelte, sei die Gültigkeit desGrundgesetzes selbst entfallen und dieBundesrepublik rechtlich erloschen“.1

Kopien aus dem Internet

Dieser „Tatsache“ folgend seien alleInstitutionen und Gesetze der Bundes -regierung „falsch“ und „unrechtmäßig“.Vielmehr sei die heutige BundesrepublikDeutschland eine Art alliiertes Ge schäfts -modell, eine Firma in der Rechtsform einer GmbH, auch gerne bezeichnet als„staatssimulative Besatzungsverwal -tungsfirma BRD“. Deshalb seien alle Ge bühren und Bußgelder unrechtmäßigverhängt. Häufig werden einfach Text -passagen aus dem Internet kopiert, an einander gereiht und als Unterma u -erung der eigenen Forderung oder derZahlungs verweigerung beigefügt.

In E-Mails, die die „Volks bewe gungDem Deutschen Volke – Für eine Zukunftmit Recht und Gesetz“ an unzähligeStädte, Gemeinden und Ämter in Bran -denburg verschickte, wurde ein „Verbotzu rechtsunwirksamen Verwal tungs -akten und den damit einhergehenden widerrechtlichen Voll streckungen“ aus-gesprochen. Jeder öffentlich Be diens -tete würde bei „Zu widerhandlung unein-

geschränkt mit seinem gesamten Ver mö -gen“ haften, drohte die Gruppie rung.2

Gerne berufen sich „Reichsbürger“samt „Reichsregierungen“ auch auf eineEntscheidung des Bundesverfassungs -gerichts aus dem Jahr 1973. Darin stelltedas Bundesverfassungsgericht unter an-derem dar, welche völkerrechtlichenProbleme sich nach Ende des ZweitenWeltkrieges durch die Teilung Deutsch -lands hinsichtlich des deutschen Staates(„als Ganzes“) aufgetan hatten. Darauszitieren „Reichsregierungen“ oft diesePassage: „Das Grundgesetz […] geht da-von aus, dass das Deutsche Reich denZusammenbruch 1945 überdauert hatund weder mit der Kapitulation nochdurch Ausübung fremder Staatsgewaltin Deutschland durch die alliiertenOkkupationsmächte noch später unter-gegangen ist; das ergibt sich aus derPräambel, aus Art. 16, Art. 23, Art. 116und Art. 146 GG. Das entspricht auch derständigen Rechtsprechung des Bundes -verfassungsgerichts, an der der Senatfesthält. Das Deutsche Reich existiertfort (…), besitzt nach wie vor Rechts fä hig -keit, ist allerdings als Gesamtstaat man-gels Organisation, insbesondere mangelsinstitutionalisierter Organe selbst nichthandlungsfähig. […] Mit der Errichtung

LARS KRUMREY | TOTGEGLAUBTE LEBEN LÄNGER?

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1 Zitiert nach: Parlamentarischer Beratungsdienst, LandtagBrandenburg, ...nachgefragt. Existiert die BundesrepublikDeutschland? Zur Argumentation der Reichsbürger.

2 Vgl. Landtag Brandenburg, Terrorisierung von Verwaltungund Bürgern durch sogenannte „Reichsbürger“, DS 5/6888

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der Bundesrepublik Deutsch land wurdenicht ein neuer westdeutscher Staat ge-gründet, sondern ein Teil Deutschlandsneu organisiert (…) Die BundesrepublikDeutschland ist also nicht ‚Rechts nach -folger‘ des Deutschen Reiches […].“

Das Agieren hat System

Welcher Kommunalbedienstete steht einer solch kruden Argumentation nichtratlos gegenüber und unterliegt nichtder Versuchung, ein Verfahren entnervteinfach einzustellen – was dann von denReichsbürgern im Internet bundesweitals Erfolg verkauft wird. Reagiert eineKommune nicht oder wird das Antrags -begehren abgelehnt, folgt die Bombar -dierung mit vermeintlichen „Rechtshin -weisen“. Dass ihr Agieren dabei aberSystem hat und einer politischen Inten -tion folgt, beweist das Weglassen derSchlüsselpassage des zitierten Verfas -sungsgerichtsurteils. In ihr heißt es:„Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht ‚Rechtsnachfolger‘ des Deut -schen Reiches, sondern als Staat iden-tisch mit dem Staat ‚Deutsches Reich‘, –in Bezug auf seine räumliche Ausdeh -nung allerdings ‚teilidentisch‘, so dassinsoweit die Identität keine Aus schließ -lichkeit beansprucht.“

Der Verfassungsschutz schätzt dieZahl der Anhänger in Brandenburg aufetwa 100 Personen. Die Polizei verzeich-nete von 2008 bis zum 31. Januar 2013

insgesamt 51 Fälle, in denen Reichs bür -ger in Brandenburg aktiv waren. DerVerfassungsschutzbericht 2013 desLandes Brandenburg listet eine ganzeReihe weiterer Straftaten und Aktivi -täten der „Reichsbürger“ und „Selbst -verwalter“ auf.

So forderte ein Steuerberater eineGemeinde auf, zunächst die Rechtmä -ßig keit des Grundgesetzes zu belegen,ehe sein Mandant Steuern entrichtenwürde. Als Reaktion auf ein „Park - knöllchen“ erhielt die Kommune eine„Abmahnung“ mit den Vorwürfen vonWillkür, Nöti gung, Rechtsbeugung,Betrug, Amts an maßung und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Eine vermeintliche „Rich te rin am Reichs -gericht“ hat gegenüber einem Land -ratsamt ein „Grundstücksbetre tungs -verbot, Hausverbot und Zustellverbot“ausgesprochen. Ver schiedentlich habenReichsbürger das Landeswappen aufdem Kfz-Kenn zeichen gegen einenReichsadler ersetzt. In einer E-Mail wurde der Landrat des LandkreisesPots dam-Mittelmark als „SPD-Gau -leiter“ tituliert und Mitar beiter desLand rat samtes mussten sich als „Nazi -schergen“ beschimpfen lassen.3

Aufsehen erregt haben aber nicht nur die Traktate gegenüber Behörden.Herausstechend war eine E-Mail der„Kommissarischen Reichsregierung“

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3 Vgl. „Jetzt gibt es Hausverbot“, Berliner Zeitung vom28.02.2013

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an 320 märkische Schulen mit einer„ausdrücklichen und dringlichen Vor -sorgewarnung“. In ihr wurden dieSchulen aufgefordert, „auf besondereAnordnung der Reichsregierung und desReichsgerichts zur Vorsorge für dieAuflösung der Bundesrepublik Deutsch -land Nahrungsmittel, Trinkwasser,Decken und Heizmaterial vor[zu]hal-ten.“ Im Januar dieses Jahres weigertesich eine NPD-Abgeordnete aus demLandkreis Teltow-Fläming, zwei Buß -gelder in Höhe von 105 Euro zu zahlen.Sie gab sich als „Staatsbürgerin derExilregierung des 2. Deutschen Reiches“aus. Ende Januar stand ein Ingenieurvor dem Finanzgericht in Cottbus. Derselbst ernannte Reichsbürger hatte esabgelehnt, Steuern zu zahlen. Im Mai2012 haben die Vereine „Neudeutsch land“und der Schwester-Verein „GanzheitlicheWege“ in Neuruppin für die Alter nativ-Währung „EngelGeld“ geworden. Beides –Vereine und Währung – gehören trotz deralternativ-esotherischen Be zeichnungenzur Reichsbürger be we gung.

Eigenes Geld …

Die „Reichsbürger“ stellen aber nicht nurdie Legitimität der Bundesrepublik inFrage, sondern präsentieren den Behör -den häufig eigene „Hoheits pa pie re“ wie„Reichsausweise“, Urteile eines selbst er-nannten Reichsgerichts oder manipulierteKFZ-Kennzeichen. Konse quent weiterge-

dacht werden dann so Gruppierungen wie„Neudeutschland“ gegründet. Sie wurde2009 in Witten berg (Sachsen-An halt) vondem Eso te riker und Kampf sportler PeterFitzek als „Weltanschau ungs gemein -schaft“ und „Scheinstaat“ gegründet. Zielvon Fitzek ist es, eine neue, esoterischund ökologisch ausgerichtete, utopischeStaats form in Deutsch land zu schaffen.Nach eigenen Angaben hat „Neudeutsch -land“ etwa 2.000 Mitglieder. Da jederStaat auch eine Währung braucht, wirdbeispielsweise das „EngelGeld“ heraus -gegeben (das im Mai 2012 unter anderemin Neuruppin von teilweise ahnungslosenKünstlern beworben und als lokales Zah-lungsmittel in einzelnen Geschäften ak-zeptiert wurde). Ebenfalls wurden eine„Neudeutsche Rentenkasse“ und eine„Neudeutsche Gesundheitskasse“ einge-richtet.

… und eigene Ausweise

Selbstverständlich braucht auch eineselbsternannte Reichsregierung Fi nanz -mittel - und sei es nur zur persön lichenRefinanzierung. Dafür haben die Akti -visten vor allem „Amtsgeschäfte“ kre-iert, die sie sich bezahlen lassen. Nebenden schon zitierten „Reichspersonal - ausweisen“ werden weitere Phantasie -papiere wie „Reichsführerscheine“,„Reichskinderausweise“, „Reichsbau -genehmigungen“ oder auch „Reichs ge -werbescheine“ kreiert. Diese „Doku -

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mente“ werden ganz profan verkauft.Eine „Personen-Meldestelle“ in Tübin -gen kassiert beispielsweise 60 Euro fürden „Personenausweis“ oder einen„Gewerbeschein“.

Erwerb von Grundstücken

Dass es für diese Dokumente auch tat-sächlich einen Markt gibt, kann man auseiner Verlautbarung des Verfassungs -schutzes schließen. Nach dieser leitetedas Bundesverwaltungsamt Köln bereitsim Jahr 2007 mehr als 300 Ordnungs wid -rigkeitenverfahren und Strafverfahrenwegen Amtsanmaßung, Missbrauch vonTiteln, Berufsbezeichnungen und Ab zei -chen sowie missbräuchlicher Ver wen -dung des Bundesadlers gegen Per sonenein, die derartige „Ausweise“ bei offizi -ellen Stellen vorlegten. Die Be trof fenenmussten in diesem Fall nicht nur diePhantasiepapiere bezahlen, sondernauch noch die Bußgelder nebst Verfah -renskosten. Manchmal wird aber auchGeld für ganz konkrete Projekte einge-worben. In Berlin verkaufte ein Reich s -bürger Anteilscheine zur Finan zierungvon Presslufthämmern um das Holo -caust mahnmal abzureißen.

Der schon angesprochene PeterFitzek hat ein weiteres Geschäftsfeldentwickelt. Sein charismatisches Auf -treten lässt er sich gut bezahlen. Für den zweitägigen „Gründungskongress“seiner Bewegung im Mai 2012 mussten

die Teilnehmer beispielsweise 223 Euro entrichten. Zu Seminaren, bei denen der Autodidakt über „StaatsrechtlichesGrundlagenwissen“, alternative Heil -methoden, freie Energie und das Völ ker -recht referierte, pilgerten in den vergan-genen Monaten hunderte Inte ressierte.„EngelGeld“ wurde hier aber augen schein -lich nicht akzeptiert. Die Ge schäfte schei -nen jedenfalls so gut zu gehen, dass dieGruppierung um Peter Fitzek gegen har-te Währung ein ehemaliges Kranken -haus in Wittenberg erwerben konnte.Das etwa neun Hektar große Territo - rium, auf dem das Krankenhaus zu fin-den ist, soll als „Staatsgebiet“ seinerBewe gung dienen.

Ein belächeltes Scharnier

Auch wenn die Reichsbürgerbewegunginsgesamt sehr heterogen aufgestellt istund im rechtsextremistischen Lager ins-gesamt eher belächelt wird, besitzt sieals Rekrutierungsbecken und insbeson-dere durch ihre Scharnierfunktion in dieesoterische Szene hinein einen nicht zuunterschätzenden Stellenwert. DerBran denburger Verfassungsschutz hatinsbesondere in Hinblick auf die Stär -kung der Verwaltungen im Jahr 2012 eine Informationsreihe für Behörden -mitarbeiter und Polizisten durchgeführt.Bei drei eintägigen Fortbildungs veran -staltungen wurden rund 220 Mitarbeitergeschult. Darüber hinaus hat der Ver -

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fassungsschutz in seinem Bericht fürdas Jahr 2012 der Reichsbürger bewe -gung ein ganzes Kapitel gewidmet. Diesalles hat dazu geführt, dass das Thema„Reichsbürger“ eine deutlich höhereAufmerksamkeit erfährt, als das in denletzten Jahren der Fall war. Kommunenhaben einen kompetenten Ansprech part -ner und können angemessen und zielori-entiert mit den Aktivitäten umgehen.|

LARS KRUMREYist Referent bei der SPD-Fraktion imBrandenburger Landtag.

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IMPRESSUM

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Herausgeber– SPD-Landesverband Brandenburg– Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie

in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Die perspektive 21 steht für dieGleichberechtigung von Frauen und Männern. Der besseren Lesbarkeit halber wurden an manchen Stellen im Text ausschließlich männliche oder weibliche Bezeichnungen verwendet. Diese Bezeichnungen stehen dann jeweils stellvertretend für beide Geschlechter.

RedaktionKlaus Ness (V.i.S.d.P.), Thomas Kralinski (Chefredakteur), Ingo Decker, Dr. Tobias Dürr, Klaus Faber,Tina Fischer, Klara Gey witz, Lars Krumrey, Christian Maaß, Till Meyer, Dr. Manja Orlowski, John Siegel

AnschriftAlleestraße 914469 PotsdamTelefon +49 (0) 331 730 980 00Telefax +49 (0) 331 730 980 60

[email protected]

Internetwww.perspektive21.dewww.facebook.com/perspektive21

HerstellungGestaltungskonzept, Layout & Satz: statement Designstudio, Berlinwww.statementdesign.deDruck: LEWERENZ Medien+Druck GmbH, Coswig (Anhalt)

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Heft 42 1989 - 2009Heft 43 20 Jahre SDPHeft 44 Gemeinsinn und ErneuerungHeft 45 Neue ChancenHeft 46 Zwanzig Jahre BrandenburgHeft 47 It’s the economy, stupid?Heft 48 Wie wollen wir leben?Heft 49 Geschichte, die nicht vergehtHeft 50 Engagement wagenHeft 51 Die Zukunft der KommunenHeft 52 Die Zukunft der MedienHeft 53 Welche Hochschulen

braucht das Land?Heft 54 Quo vadis Brandenburg?Heft 55 Sport frei!Heft 56 Wo es stinkt und kracht