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D ie Migranten in Deutschland müssten dem türkischen Mi- nisterpräsidenten in einem Punkt dankbar sein – nicht weil Erdogan in seiner Februarrede in der Köln- Arena die Assimilation der tür- kischstämmigen Migranten ablehn- te und somit uns zu den Anfängen der Integrationsdebatte zurückwarf. Der Verdienst seiner Rede liegt viel- mehr darin, dass die deutsche Poli- tik sich zur öffentlichen Klarstel- lung gezwungen fühlte, wer dem Staatsbürgertum in Deutschland angehört und wo die Grenzen der deutschen Innen- und Außenpoli- tik liegen. Kanzlerin Merkel beteu- erte daraufhin eiligst, dass sie auch die Kanzlerin der türkischstämmi- gen Migranten sei. Diese Äußerungen hatten zwar primär die Absicht, zu betonen, dass von den türkisch-stämmigen Deutschen berechtigte Loyalität er- wartet wird. Doch darüber hinaus hat die Regierung erneut – wie schon in der Regierungserklärung von Innenminister Schäuble im September 2006 (»Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas, er ist Teil unserer Gegenwart und er ist Teil unserer Zukunft«) – ihre Verantwortung unterstrichen, die muslimischen Bürger mit Migrati- onshintergrund nicht als »Andere« zu sehen und auszuklammern. Es steht also nicht mehr zur Debatte, ob der Islam nach Deutschland gehört oder nicht, sondern es geht um die gemeinsame Pflicht, die Muslime in die Gesellschaft und den Staat einzubinden. Bei näherer Betrachtung der Integrationsdebat- te der letzten Jahre stellt man fest: Ein beachtlicher Teil der Wortführer unter den Migranten und auch der Politiker sind zu der Erkenntnis gekommen, »dass die Muslime einen festen Bestandteil der hiesi- gen Gesellschaft ausmachen« – so Innenminister Wolfgang Schäuble, »in die Mitte der Gesellschaft zu holen sind« – so der Bundestags- abgeordnete der Grünen, Omid Nouripour, und »dass der Islam ein- gebürgert werden soll« – so die Bundestagsabgeordnete der Grü- nen, ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Ma- rieluise Beck. Daraus folgt: Integration ist mehr als nur stillschweigende Hinnahme auferlegter Pflichten und Befolgung von Auflagen der Runden Tische. Anforderungen wie Verfassungs- Der schwierige Weg zur Einbürgerung des Islam Plädoyer für eine islamische Theologie an deutschen Universitäten Perspektiven 81 Forschung Frankfurt 1/2008 Nur schöne Worte oder konstruktiver Dialog? Papst Benedikt XVI. mit Ali Bardakoglu, dem Präsidenten der Anstalt für religiöse Angele- genheiten, wäh- rend seines Tür- kei-Besuches im September 2006. Wer wird die Wette um die politische Vormachtstellung bei türkisch-stämmi- gen Migranten gewinnen: Angela Mer- kel, die Kanzlerin der türkisch-stäm- migen Deutschen, oder Recep Tayyip Erdogan, der Ministerpräsident der Auslandstürken?

Perspektiven Der schwierige Weg zur Einbürgerung des Islam · Das Islambild in Deutschland. Zum öffentlichen Um-gang mit der Angst vor dem Islam, Deutsches Institut für Menschen-rechte,

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Page 1: Perspektiven Der schwierige Weg zur Einbürgerung des Islam · Das Islambild in Deutschland. Zum öffentlichen Um-gang mit der Angst vor dem Islam, Deutsches Institut für Menschen-rechte,

Die Migranten in Deutschlandmüssten dem türkischen Mi-

nisterpräsidenten in einem Punktdankbar sein – nicht weil Erdogan in seiner Februarrede in der Köln-Arena die Assimilation der tür-kischstämmigen Migranten ablehn-te und somit uns zu den Anfängender Integrationsdebatte zurückwarf.Der Verdienst seiner Rede liegt viel-mehr darin, dass die deutsche Poli-tik sich zur öffentlichen Klarstel-lung gezwungen fühlte, wer demStaatsbürgertum in Deutschlandangehört und wo die Grenzen derdeutschen Innen- und Außenpoli-tik liegen. Kanzlerin Merkel beteu-erte daraufhin eiligst, dass sie auchdie Kanzlerin der türkischstämmi-gen Migranten sei.

Diese Äußerungen hatten zwarprimär die Absicht, zu betonen,dass von den türkisch-stämmigenDeutschen berechtigte Loyalität er-wartet wird. Doch darüber hinaushat die Regierung erneut – wieschon in der Regierungserklärungvon Innenminister Schäuble imSeptember 2006 (»Der Islam ist Teil

Deutschlands und Teil Europas, erist Teil unserer Gegenwart und erist Teil unserer Zukunft«) – ihreVerantwortung unterstrichen, diemuslimischen Bürger mit Migrati-onshintergrund nicht als »Andere«zu sehen und auszuklammern. Essteht also nicht mehr zur Debatte,

ob der Islam nach Deutschlandgehört oder nicht, sondern es gehtum die gemeinsame Pflicht, dieMuslime in die Gesellschaft undden Staat einzubinden. Bei nähererBetrachtung der Integrationsdebat-te der letzten Jahre stellt man fest:Ein beachtlicher Teil der Wortführerunter den Migranten und auch derPolitiker sind zu der Erkenntnisgekommen, »dass die Muslimeeinen festen Bestandteil der hiesi-gen Gesellschaft ausmachen« – soInnenminister Wolfgang Schäuble,»in die Mitte der Gesellschaft zuholen sind« – so der Bundestags-abgeordnete der Grünen, OmidNouripour, und »dass der Islam ein-gebürgert werden soll« – so dieBundestagsabgeordnete der Grü-nen, ehemalige Beauftragte derBundesregierung für Migration,Flüchtlinge und Integration, Ma-rieluise Beck.

Daraus folgt: Integration ist mehrals nur stillschweigende Hinnahmeauferlegter Pflichten und Befolgungvon Auflagen der Runden Tische.Anforderungen wie Verfassungs-

Der schwierige Weg zur Einbürgerung des IslamPlädoyer für eine islamische Theologie an deutschen Universitäten

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Nur schöne Worte

oder konstruktiver

Dialog? Papst

Benedikt XVI. mit

Ali Bardakoglu,

dem Präsidenten

der Anstalt für

religiöse Angele-

genheiten, wäh-

rend seines Tür-

kei-Besuches im

September 2006.

Wer wird die Wette um die politische

Vormachtstellung bei türkisch-stämmi-

gen Migranten gewinnen: Angela Mer-

kel, die Kanzlerin der türkisch-stäm-

migen Deutschen, oder Recep Tayyip

Erdogan, der Ministerpräsident der

Auslandstürken?

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treue, strikte Beachtung der Geset-ze oder Beherrschung der einheimi-schen Sprache gehören ohne Wennund Aber zu den Integrationsleis-tungen, die Migranten erbringenmüssen. Zur Integration gehört darüber hinaus und erst recht die(Selbst-)Wahrnehmung des agie-renden Subjekts, das imstande ist,seine Rechte in Anspruch zu neh-men. Die Integration ist also erstdann gelungen, wenn die Muslimesich als handelnde Subjekte reflek-tieren, frei und als mündige Bürgerentfalten, sich an der aktiven Bür-gergesellschaft beteiligen. Wie aberkönnen Muslime ihren eigenenBeitrag in einem mehrheitlichnichtmuslimischen Land leisten?Wie können sie am Gemeinwohlmitwirken und dabei ihre spezifi-schen Interessen als Angehörigeeiner Religionsgemeinschaft ein-bringen?

Der Mangel an intellektueller

Dialogkompetenz

In 20 bis 30 Jahren wird nach ver-lässlichen Schätzungen in vielendeutschen Städten ein Drittel derBürger einen muslimischen Hinter-grund haben. Alleine diese Tatsacheerzwingt allseitige Offensiven zur»Einbürgerung des Islam«, wennwir keinen Problem- und Konflikt-stau verursachen und uns in 30 Jah-ren nicht weiterhin mit dem Phä-nomen der Parallelgesellschaftenbefassen wollen. Kein Weg kann aneinem konstruktiven Dialog aufAugenhöhe vorbeiführen, wenn es

sich schließlich um den Versuchhandeln soll, anderen Menschen inihrer Lebensweise gerecht zu wer-den. Erfreulicherweise gibt es be-reits zahlreiche Dialogbemühungenund -formen auf breiter gesellschaft-licher und intellektueller Ebene.Gesprochen und diskutiert wird inMoscheen, Kirchen, Vereinen,Tagungen, akademischen Einrich-tungen und nicht zuletzt auf hoherpolitischer Ebene, in der DeutschenIslamkonferenz. In den Medienwerden unermüdlich brisante Fra-gen diskutiert wie Ehrenmorde,Frauenrechte, Kopftuch, Zwangs-heirat, Moscheebauten. Bedauer-lich ist es dagegen, dass der inter-religiöse Dialogprozess durch Er-müdungserscheinungen und einenKuscheldialog, der nicht über un-verbindliche Absichtserklärungenhinauskommt, erschwert wird.Doch dass diese Form des Dialogsdie Integrationsdebatte nicht voran-bringt, zumindest darin sind sichführende Christen wie der Ratsvor-sitzende der Evangelischen Kirche,Wolfgang Huber, und verantwortli-che Muslime wie die PolitologinRaida Chbib vom Institut für Religi-onswissenschaft der Universität Bo-chum einig.

Zwei miteinander verbundeneGründe lassen sich als Barriere füreinen konstruktiven Dialog ausma-chen. Erstens macht sich ein ernstzu nehmendes Unbehagen bemerk-bar: Häufiger ist zu hören, dass derchristlich-islamische Dialog auchdaran scheitere und die Integration

nicht vorankomme, weil es unterden Muslimen nicht genügendkompetente Gesprächspartner undintellektuelle Repräsentanten gebe.Zu verleugnen ist dies nicht. DieserUmstand führt dazu, dass wichtigetheologische Aspekte sehr oft unau-torisiert diskutiert oder ausgeklam-mert werden. Unter den medien-wirksam auftretenden Expertenbefindet sich kaum einer, der sichauf ein ausgewiesenes Theologie-studium stützen kann. Die wenigenRepräsentanten der muslimischenOrganisationen mit einem gewissentheologischen Hintergrund reichenbei weitem nicht aus, die vielengesellschaftsrelevanten Fragen be-antworten zu können. Die Brisanzder offenstehenden Fragen wirddeutlich, wenn über einen »Eurois-lam« oder »deutschen Islam« dis-kutiert wird, aber kaum jemandwagt, die Debatte über die Even-tualität einer strukturellen »Ver-kirchlichung« im Falle der Aner-kennung einer islamischen Religi-onsgemeinschaft als Körperschaftöffentlichen Rechts aufzunehmen.Zudem erlauben die Pluralität un-ter den Muslimen und ihre Orga-nisationsstruktur keine für alle ver-bindlichen Aussagen oder keineherrschende Lehrmeinung. Be-kanntlich kennt der Islam wedereine Kirche noch existiert eineDachorganisation, die im Namenaller Muslime oder einer Konfes-sion sprechen könnte. Zweitensscheint folgende Gretchenfrage zwi-schen der Islamkritik und dem

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Lang ersehnter

Dialog auf hoher

politischer Ebene,

in der Deutschen

Islamkonferenz.

Das erste drei-

stündige Treffen

fand am 27. Sep-

tember 2006 im

Schloss Charlot-

tenburg (Berlin)

statt.

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Page 3: Perspektiven Der schwierige Weg zur Einbürgerung des Islam · Das Islambild in Deutschland. Zum öffentlichen Um-gang mit der Angst vor dem Islam, Deutsches Institut für Menschen-rechte,

muslimischen Dagegenhalten fastunüberwindbar zu sein: Was machtden Islam aus, beziehungsweise wie soll er sein? Was steht im Ko-ran, und wie sollen Koranverseausgelegt werden?

Warum gibt es zu wenig kompe-tente Dialog- und Ansprechpart-ner? Einige Erklärungsversuche:Die Gastarbeiter wollten zurückund waren daher an Hab und Gutin ihrem Herkunftsland interessiertund nicht an gut ausgebildetenNachkommen im Aufnahmeland.Es dauerte Jahrzehnte, bis sie unddie Politik einsahen und akzeptier-ten, dass sie auf Dauer ihr Landverlassen haben und die Zukunftihrer Kinder in der neuen Heimatliegt. So wuchsen dem Land undder Kultur ihrer Eltern entwurzelteKinder auf. Das fortbestehende Bil-dungsdefizit in Sachen Religion istin der mittlerweile vierten Genera-tion viel größer, als die vielen Ko-ranschulen in Hinterhofmoscheenes vermuten lassen. Abgesehen voneinigen wenigen Ausnahmen ver-mitteln die Koranschulen wedereine terminologische Sprachfähig-keit noch das theologische Hinter-grundwissen, mit denen man halb-wegs in den interreligiösen Dialogeintreten kann.

Nach dem 11.September ist diereligiöse Bildung in Moscheen undMoscheegemeinden mit Nachdruckangeprangert worden, genauso wiedie »Import«-Imame, denen Un-kenntnis über die Gegebenheitender hiesigen Gesellschaft und nichtselten Hasspredigt und Gewaltver-herrlichung vorgeworfen werden.Schlussfolgerung ist die Notwendig-keit des Religionsunterrichts inDeutsch und in deutschen Schulensowie derAusbildung der Imame inDeutschland. Weite Kreise der mus-limischen Migranten sowie zahlrei-

che Personen in Gesellschaft undPolitik unterstützen die Forderungnach islamischem Religionsunter-richt. Die Einführungsversuche lau-fen zwar seit einigen Jahren, gleich-zeitig halten sich einige Bundeslän-der wie Hessen bedeckt, wenn esum Ausbildung der Lehrer und An-erkennung einer Religionsgemein-schaft als Trägerorganisation geht.Die angebotenen Crash-Kurse zurUmschulung islamischer Religions-lehrer wie in Baden-Württembergkönnen vielleicht zu Anfang nütz-lich sein, sind aber weit davon ent-fernt, theologische Fundierungbereitzustellen. Lässt man den langbestehenden Mangel äquivalenterAngebote – wie ordentlicher Religi-onsunterricht in den Schulen undweiterbildende Hochschuleinrich-tungen – Revue passieren, mussman feststellen, dass es um Mög-

lichkeiten des Kompetenzerwerbseher düster aussieht. Es machtwenig Sinn, die Diskussion mitgegenseitigen Schuldzuweisungenrückwärtsgewandt zu vertiefen,

stattdessen sollte vorausblickendgedacht werden.

Theologisches Rüstzeug

stärken

Nicht nur das allgemeingesell-schaftliche Interesse an interreli-giöser Dialogkompetenz macht ein wissenschaftliches Theologie-studium notwendig, sondern auchdie aktuellen spezifischen Erforder-nisse wie die Ausbildung der Reli-gionslehrer oder der Imame. Bisherfehlt allerdings die institutionelleInfrastruktur weitgehend. Die ak-tuelle Frage ist: Wo sollen Lehr-kräfte und Imame das Rüstzeugerlangen, und wie soll diese Infra-struktur aussehen? Hier sind Uni-versitäten in der Pflicht!

Erstmals wurde 2001 auf einerKonferenz in Hamburg die Frage-stellung erörtert, ob ein Lehrstuhl

für islamische Theologie eingerich-tet werden soll. Inzwischen gibt eserste Versuche, eine universitäreAusbildung zum Teil mit islamisch-theologischen Inhalten zu veran-

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Weiterführende Literatur

Ammann, Ludwigund Katajun Amir-pur (Hrsg.), DerIslam am Wende-punkt. Liberaleund konservativeReformer einerWeltreligion, Her-der Spektrum,Freiburg, 2006.

Beauftragte derBundesregierungMigration, Flücht-linge und Integra-tion: Islam einbür-

gern – Auf demWeg zur Anerken-nung muslimischerVertretungen inDeutschland,Dokumentationder Fachtagungvom 25.April2005,veröffentlicht imNovember 2005.

Bielefeldt, Heiner:Das Islambild inDeutschland. Zumöffentlichen Um-

gang mit der Angstvor dem Islam,Deutsches Institutfür Menschen-rechte, 2007.

Leggewie, Claus:Auf dem Weg zumEuro-Islam?Moscheen undMuslime in derBundesrepublikDeutschland, Her-bert-Quandt-Stif-tung, 2002.

Lemmen, Thomas:Islamische Organi-sationen inDeutschland, Hrsg.von der Friedrich-Ebert-Stiftung,Bonn 2000.

Roy, Oliver: Derislamische Wegnach Westen. Globalisierung,Entwurzelung und Radikalisie-rung, Pantheon,2004.

Schmid, Hansjörg:Auf dem Weg zumIntegrationslotsen?Das Rollenver-ständnis der Ima-me in Deutschlandändert sich,www.akademie-

rs.de/fileadmin/

user_upload/pdf_

archive/schmid/Ver

oeffentlichungen/

HK_01_07_Ss_

25ff.pdf

Waardenburg,Jacques, Selbstsichtund Sicht desAnderen. AlteAbgrenzungen undneue Wege zurOffenheit imchristlich-islami-schen Verhältnis,in: HansjörgSchmid u.a.(Hrsg.), Identitätdurch Differenz?WechselseitigeAbgrenzungen inChristentum und

Islam, Verlag Friedrich Pustet,Regensburg, 2007, S.21– 40.

Zentralrat derMuslime inDeutschland e.V.:Islamische Charta,zu lesen unterhttp://www.islam.de/

3035.php

Koranschulen der

Hinterhofmoscheen

sind seit Jahr-

zehnten die ein-

zigen Orte der re-

ligiösen Bildung.

Sie vermitteln

Grundkenntnisse,

jedoch kaum

sprachliche Ar-

tikulierungsfähig-

keit in Deutsch.

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Fragen nach einem europäischenoder deutschen Islam oder nacheiner europäischen Rechtsschulenicht näher eingegangen werden.Fest steht jedoch, dass eine bewuss-te oder unbewusste Entwurzelungvon der alten Heimat und eine Ak-kulturation stattfinden und auchnicht zu vermeiden sind.

Die Geschichte des Islam von denAnfängen bis heute und die heutigeislamische Welt sind beredte Belegedafür, dass die gesellschaftliche undlokale Formung der Identität, derreligiösen Kultur und des Islamver-ständnisses in unterschiedlichenRegionen der Erde andersartige Zü-ge angenommen haben. Dennochist ein paradoxes Bild des Islam undder Muslime hierzulande nicht zuübersehen: Einerseits hat man de-taillierte Kenntnisse über die Plura-lität und Spaltungen unter denMuslimen, in den Medien wird auchgern darüber berichtet; andererseitsdominiert sehr schnell das Bild desradikalen oder terroristischen Mus-lims, wenn es um gesellschaftlicheKonflikte und »Lagerbildungen«geht. Versucht man vorschnellePauschalisierungen oder eine Ab-wehrreaktion zu vermeiden, scheintindessen die Befürchtung berech-tigt, dass sich neben der großenMehrheit der friedlich lebendenMuslime in Europa Fundamentalis-mus und Radikalismus ausbreitenkönnten; was seine Ursachen unteranderem in der steigenden Durch-lässigkeit der Grenzen im Zuge derGlobalisierung hätte.

All diese Phänomene, Erforder-nisse und auch Befürchtungen stel-len sowohl die Muslime als auchdie Christen vor die Herausforde-rung, ihre religiösen Überzeugun-gen und theologischen Grundlagenimmer wieder aufs Neue zu über-denken. Eine kritische (Selbst-)Re-flexion der Muslime in Deutschlandkann und wird sich ohne die aka-demische Beschäftigung mit ihrerTheologie nicht vollziehen, auchwenn diese die Dialog- und Integra-tionsdefizite allein nicht ausgleichenkann. Eine islamische Theologiewird sicherlich nicht die Rolle über-nehmen, von der die Bewältigungsozio-politischer Herausforderungenerwartet werden darf, sondern dieden Prozess kritisch begleitende. Wokann sich eine kritisch-hermeneuti-sche Begleitung der Geschichte desIslam in Europa entwickeln und ent-falten außer in den Universitäten?

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kern. In Münster, Frankfurt, Erlan-gen, Osnabrück, Karlsruhe sindLehrstühle und Professuren errich-tet worden, an denen Lehrstoffe inunterschiedlichen Formen undAusrichtungen angeboten werden.Die Stiftungsprofessur IslamischeReligion im Fachbereich Evangeli-sche Theologie in Frankfurt ist reli-gionswissenschaftlich ausgerichtet,zugleich wird in der Lehre und For-schung auf den wissenschaftlichenDialog zwischen christlichen undmuslimischen Theologen großenWert gelegt. Die übrigen Professu-ren sind mit einer Gewichtung derpädagogischen Lehrerausbildungeingerichtet.

Diese ersten, wenngleich verspä-teten Schritte reichen nicht aus, denBedarf an dem universitären Theo-logiestudium abzudecken. DieseEinrichtungen sind unter dem enor-men Druck der Sachzwänge starkbedarfsorientiert entstanden – alsohauptsächlich für die Lehrerausbil-dung, bei der Imamausbildung istman noch nicht soweit. Damit be-steht die Gefahr, dass sie in aller Eileausbilden, ohne fundierte theologi-sche Grundlagen zu vermitteln. Si-cherheitsdenken und das Motiv, is-lamischem Radikalismus Einhalt zugebieten, stand bei der Schaffungdieser Professuren eher Pate als derGedanke, freie Entfaltungschancendes Islamverständnisses durch eige-ne Theologie einzuräumen oderMenschen- und Bürgerrechte dermuslimischen Migranten zu stärken.

Wahrnehmung der

eigenen Religion und

kritische Selbstreflexion

Ein zweites wesentliches Argumentsoll die Notwendigkeit der univer-sitären Theologie des Islam inDeutschland noch unterstreichen:Wir brauchen in Deutschland eineislamische Theologie, mit deren Hil-fe sich die Selbstsicht der Muslimein der mehrheitlich nichtmuslimi-schen Gesellschaft kreieren undentfalten kann. Selbsterkenntnisund Erkenntnis des Anderen – oder»Selbstsicht« und »Sicht des Ande-ren«, um mit den Worten des Reli-gionswissenschaftlers Jacques

Waardenburg zu sprechen – sindvon ausschlaggebender Relevanzfür die Beziehungen zwischen Mus-limen und Christen. Bisher ist dieSelbstsicht der Muslime, die unterneuen Bedingungen im deutschenund europäischen Kontext leben,noch weitgehend unreflektiert, sieist allerdings für den Einbürge-rungsprozess des Islam unerlässlich.Von einer einheitlichen Selbstsichtder Muslime mit ihrer unterschied-lichen Herkunft und den verschie-densten religiösen Standpunktenkann und soll für die Zukunft auchkeine Rede sein. Erforderlich istjedoch die Wahrnehmung der eige-nen Identität und Religion sowieihre kritische Reflektierung in der»offenen Gesellschaft« (Karl Pop-per) mit pluralistisch-demokrati-schen Strukturen. Hier kann auf die

Moscheen sind

Orte der Gotteseh-

rung, der mensch-

lichen Solidarität

und des gesell-

schaftlichen Frie-

dens und sollten

dies auch dauer-

haft bleiben.

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Nur mit universitärer

Anbindung

Erfreulicherweise ist Deutschlandkein weißer Fleck, wenn es um dieGrundlagenforschung und um dieMethoden der Islamstudien geht.Die hierzulande stark verwurzelteIslamwissenschaft hat bereits vielgeleistet. Eine islamische Theologiekann sich der bereits entwickeltenForschungsmethoden und des vor-handenen Instrumentariums bedie-nen. Die Islamwissenschaft hat da-rüber hinaus die Aufgabe der Reli-gionswissenschaft übernommenund viele kritische Fragen an denIslam und an das Islamverständnisder Muslime gestellt, die eine isla-mische Theologie nicht übersehenkann. Nicht zuletzt unsere Erfah-rung im Rahmen der Ringvorle-sungsreihe an der Stiftungsprofes-sur für Islamische Religion, zu derrenommierte Islamwissenschaftlereingeladen werden, bestätigt dieChancen dieses interdisziplinärenUmgangs. Sie bestätigt aber auch,dass es einer islamischen Theologiebedarf, die von Muslimen selbst ausder Innenperspektive heraus entwi-ckelt und etabliert werden muss.

Eine solche akademische Theolo-gie wird sich neben vielen benach-barten Gebieten wie der Islam- undReligionswissenschaft und anderen

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Die Stiftungspro-

fessur Islamische

Religion in Frank-

furt zieht bundes-

weit viele Studie-

rende an. Ein Teil

von ihnen kam bei

seinem Besuch

mit dem türki-

schen Staatsminis-

ter M. Sait Yazi-

cioglu zusammen,

der für die Stifte-

rin, die Anstalt für

religiöse Angele-

genheiten, zustän-

dig ist.

Die neue Devise des interreli-

giösen Dialogs heißt »auf

Augenhöhe«.

Geisteswissenschaften in interdiszi-plinären Fragestellungen beweisenmüssen. Schließlich scheinen sichdie wenigen islamischen Theologenund Islam- und Religionswissen-schaftler in Deutschland darübereinig zu sein, dass die Sprache derislamischen Theologie in andereWissenschaftsdisziplinen und um-gekehrt transferiert werden muss,um einen wissenschaftlichen undtheologischen Dialog entwickeln zukönnen. Die wissenschaftssprach-liche Kommunikation wäre erst derAnfang, wenn man bedenkt, dass

Der Autor

Ertugrul Sahin, 42, geboren in Sarkikaraagac (Türkei), hat

Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Osmanistik in

der Türkei und in Deutschland studiert. Er ist seit dem Som-

mersemester 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Stif-

tungsprofessur Islamische Religion. Seine Forschungsschwer-

punkte sind Islam und Demokratie, Religionssoziologie sowie

Islam und Muslime in Europa. Er promoviert gleichzeitig zum

Thema Euroislam. [email protected]

der Islam hauptsächlich mit derFrage konfrontiert ist, wie er es miteiner freiheitlich-pluralistischen De-mokratie hält. Die heftige Debatteum die Islamische Charta des Zent-ralrats der Muslime von 2002, dieeine Versachlichung der gesell-schaftlich-politischen Debatte fürsich beanspruchte, hat gezeigt, dasses kein einfaches Unterfangen ist.Eine akademisch ausgerichtete is-lamische Theologie wird sich wei-terhin der Aufgabe stellen müssen,die muslimische Selbstsicht kritischzu hinterfragen und immer wiederaufs Neue zu reflektieren, um denIntegrationsprozess voranzubringen.

Die Verankerung der islamischenTheologie an den deutschen Uni-versitäten ist ein notwendiger Mei-lenstein, um den Islam in Deutsch-land »einzubürgern«. Wenn dieForderung nach Loyalitätsbekun-dung nicht voreilig ausgefallen ist,schuldet uns die Politik eine Ant-wort auf folgende Frage: Wer ist für die Belange der Muslime inDeutschland zuständig und in diePflicht zu nehmen? Der türkischeMinisterpräsident der Auslandstür-ken oder die Kanzlerin der tür-kisch-stämmigen Deutschen? Unddazu gehören eben auch akademi-sche Möglichkeiten für fundiertetheologische Ausbildung! ◆

005 UNI 2008/01 16.04.2008 20:42 Uhr Seite 85