Peter Birle Vom Ende des Kalten Krieges zum Krieg gegen ... · PDF filePeter Birle Vom Ende des Kalten Krieges zum Krieg gegen den Terrorismus: Neuere Tendenzen in der Lateinamerikapolitik

  • Upload
    vohanh

  • View
    221

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • Peter Birle

    Vom Ende des Kalten Krieges zum Krieg gegen den Terrorismus: Neuere Tendenzen in der Lateinamerikapolitik der USA

    erschienen in: Klaus Bodemer / Susanne Gratius(Hrsg.): Lateinamerika im internationalen System. Zwischen Regionalismus und Globalisierung, Opladen: Leske + Budrich 2003, 127-150. Einleitung Die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und den Lndern Latein-

    amerikas waren nur selten konfliktfrei. Von gutnachbarlichen Widersachern ist in einer

    neueren Studie (LaRosa/Mora 1999) die Rede, womit die komplexe Geschichte dieser Bezie-

    hungen eine Mischung aus wechselseitigen Spannungen und Zusammenarbeit, Fehlperzep-

    tionen und Faszination, Interventionen und Vernachlssigung treffend charakterisiert wird.

    Seit dem Rckzug der europischen Kolonialmchte aus Iberoamerika ab Anfang des 19.

    Jahrhunderts betrachteten die USA den Subkontinent als ihre natrliche Einflusssphre. Ihr

    zentrales Interesse bestand zunchst in der territorialen Expansion, wie sie im Erwerb Flori-

    das von Spanien (1819), der Annexion von Texas (1836) und den Gebietszugewinnen im Zu-

    ge des Krieges mit Mexiko (1846-48) zum Ausdruck kam. Als Rechtfertigungsgrundlage der

    expansionistischen Politik diente den USA die Vorstellung, es sei ihre offenkundige Be-

    stimmung (manifest destiny), den Kontinent ihrem eigenen politischen Modell und Lebens-

    stil anzupassen. Mit der Monroe-Doktrin von 1823 wurde jene bis heute gltige geopolitische

    Maxime formuliert die besagt, der amerikanische Kontinent sei in Zukunft fr alle auer-

    amerikanischen Mchte tabu. Jeden Versuch einer europischen Macht, ihr System auf ein

    Gebiet der Westlichen Hemisphre auszudehnen, werde man als Gefahr fr die eigene Si-

    cherheit betrachten. Nach dem Ende der territorialen Expansion gewannen im letzten Drittel

    des 19. Jahrhunderts konomische Interessen wachsende Bedeutung fr die Lateinamerikapo-

    litik der USA. Diese lsten Grobritannien als wichtigster Wirtschafts- und Handelspartner

    der Region ab und wussten ihren hegemonialen Einfluss in der Folgezeit durch intensive Dip-

    lomatie, aber auch durch wiederholte Militrinterventionen zu sichern. Die Dollardiploma-

    tie und die Politik des groen Knppels wurde ab den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts

  • 2

    durch eine Politik der guten Nachbarschaft abgelst, allerdings ohne dass die Grundmaxi-

    men der US-Lateinamerikapolitik deshalb an Bedeutung verloren htten.1

    Im Mittelpunkt des folgenden Beitrages steht die Frage, in welche Richtung sich die Latein-

    amerikapolitik der Vereinigten Staaten von Amerika seit dem Ende des Kalten Krieges entwi-

    ckelt hat. Zunchst erfolgt ein kurzer Rckblick auf die Grundzge der innerhemisphrischen

    Beziehungen whrend des Kalten Krieges. Im zweiten Abschnitt wird herausgearbeitet, wie

    sich die Rahmenbedingungen der Beziehungen seit Ende der 80er Jahre verndert haben. Im

    dritten Abschnitt geht es um die auenpolitischen Entscheidungsprozesse der USA mit Blick

    auf Lateinamerika. In diesem Zusammenhang werden auch das (Des)Interesse der US-

    ffentlichkeit an den sdlichen Nachbarn und die Bedeutung der rasch wachsenden Zahl von

    US-Brgern lateinamerikanischer Abstammung fr die Lateinamerikapolitik thematisiert. In

    den beiden folgenden Abschnitten werden die Interessen der USA gegenber den einzelnen

    Subregionen Lateinamerikas und die Rolle der Region als Handelspartner der USA analysiert.

    Im letzten Abschnitt wird nach den Konsequenzen gefragt, die die Terrorangriffe des 11. Sep-

    tember 2001 fr die Lateinamerikapolitik der USA hatten.

    1. Der Kreuzzug gegen den Kommunismus Die USA und Lateinamerika whrend des Kalten Krieges

    Mehr als vier Jahrzehnte lang, von 1947 bis zum Ende der 80er Jahre, bestimmte die Logik

    des Kalten Krieges mit seiner bipolaren Machtstruktur und der starken Betonung ideologi-

    scher Faktoren auch die Beziehungen zwischen den USA und Lateinamerika. Die Politik ge-

    genber den sdlichen Nachbarn hatte sich dem 1947 in Form der Truman-Doktrin verknde-

    ten zentralen Ziel der US-Auenpolitik unterzuordnen, das darin bestand, eine weitere Aus-

    dehnung der kommunistischen Herrschaft zu verhindern (containment). Lateinamerika wurde

    somit ebenso wie zuvor Europa und Asien zu einem Schlachtfeld der Auseinandersetzung

    zwischen Ost und West. Unter Verweis auf ihre nationale Sicherheit entfachten die USA in

    Lateinamerika einen antikommunistischen Kreuzzug, der sich gegen Regierungen, Parteien,

    Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Akteure richtete, die im Verdacht standen, sozi-

    alistisch, kommunistisch oder irgendwie linksgerichtet zu sein. Mit dem Interamerikani-

    schen Beistandspakt (Rio-Pakt) von 1947 und der 1948 gegrndeten Organisation der Ameri-

    kanischen Staaten (OAS) etablierten die USA ein System politischer und militrischer Allian-

    zen, das ebenfalls in den Dienst der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus gestellt

    1 Zu den auenpolitischen Doktrinen der USA im Hinblick auf Lateinamerika siehe Dent (1999). Gute Ein-fhrungen in die Geschichte der US-Lateinamerikapolitik bieten Gilderhus 2000; LaRosa/Mora 1999;

  • 3

    wurde. Die USA zogen es im Zweifelsfall vor, mit antikommunistischen Militrregierungen

    statt mit liberalen oder reformorientierten zivilen Regierungen zusammenzuarbeiten, denen

    man zu groe Nachgiebigkeit gegenber dem Kommunismus vorwarf oder die gar als von

    diesem durchdrungen galten. Diktaturen wie die von Odra in Peru, Prez Jimnez in Venezu-

    ela, Batista in Kuba, Somoza in Nicaragua oder Trujillo in der Dominikanischen Republik

    erfreuten sich guter Beziehungen mit den Vereinigten Staaten. Wenn die Machtbernahme

    einer linken Regierung trotz aller Bemhungen nicht verhindert werden konnte, griffen die

    USA zum Mittel der militrischen Intervention. Dies galt fr die durch den CIA gesteuerte

    Absetzung der reformorientierten Regierung Arbenz in Guatemala 1954 ebenso wie fr die

    fehlgeschlagene Schweinebuchtinvasion in Kuba 1961, die Intervention in der Dominikani-

    schen Republik 1965, die Mitwirkung des CIA am Sturz der Regierung Allende in Chile

    1973, die Grenada-Invasion von 1983 und die Zentralamerikapolitik Ronald Reagans in den

    80er Jahren. Gerade weil es trotz der Schweinebuchtinvasion, des Embargos und zahlloser

    CIA-gesteuerter Versuche zur Ermordung Fidel Castros nicht gelang, das kubanische Regime

    von seinem eingeschlagenen Kurs abzubringen, galt es in den Augen der US-Regierung umso

    mehr, ein weiteres Kuba in der Westlichen Hemisphre unter allen Umstnden zu verhin-

    dern.

    Anders als Europa erhielt Lateinamerika nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zunchst

    kaum wirtschaftliche Untersttzung durch die USA, und dies obwohl fast alle Lnder der Re-

    gion die USA und die Alliierten im Kampf gegen die Achsenmchte untersttzt hatten. Erst

    nach dem Sieg der kubanischen Revolution im Jahr 1959 verkndete die US-Regierung unter

    Prsident John F. Kennedy 1961 ein Zehnjahresprogramm zur Frderung von wirtschaftli-

    chem Wachstum, sozialer Entwicklung und politischer Demokratie in Lateinamerika, die Al-

    lianz fr den Fortschritt. Innerhalb eines Jahrzehnts sollten mindestens 20 Milliarden Dollar

    Wirtschaftshilfe in die Region flieen und berfllige gesellschaftliche Reformen gefrdert

    werden, um damit weitere Revolutionen zu verhindern. Doch obwohl die Wirtschaftshilfe der

    USA in den 60er Jahren tatschlich stark anstieg, blieb die Allianz fr den Fortschritt ein

    weitgehend fehlgeschlagenes Zwischenspiel. Die Anzahl der lateinamerikanischen Militrdik-

    taturen nahm in den 60er Jahren nicht ab, sondern zu, und nach der Ermordung Kennedys

    nderten sich unter Prsident Lyndon B. Johnson erneut die Prioritten der US-Politik. Auf

    die Frderung gesellschaftlicher und sozialer Reformen wurde in der Folgezeit verzichtet,

    stattdessen arrangierten sich die USA mit den in immer mehr Lndern die Macht ergreifenden

    Schoultz 1998; Smith 2000. Der vorliegende Beitrag geht nur sporadisch auf die US-Politik der lateinameri-

  • 4

    Militrs. Ihre Haltung variierte dabei zwischen passiver Akzeptanz und unverblmter Unter-

    sttzung. Militr- und Wirtschaftshilfe fr die brasilianischen und argentinischen Militrs,

    gnstige Kredite fr den haitianischen Diktator Duvalier, Untersttzung fr reaktionre Dy-

    nastien wie die der Somoza in Nicaragua oder Stroessner in Paraguay all dies sollte der Be-

    kmpfung des Kommunismus und dem Schutz der nationalen Sicherheit der USA gelten. Le-

    diglich die Regierung von Prsident Jimmy Carter (1976-80) bildete in dieser Hinsicht eine

    Ausnahme: Sie strich den Militrregierungen in Guatemala, Chile und Argentinien wegen

    massiver Menschenrechtsverletzungen die Wirtschafts- und Militrhilfe. Unter Prsident Ro-

    nald Reagan schlug die US-Regierung dann jedoch in den 80er Jahren eine umso hrtere

    Gangart gegenber der kommunistischen Bedrohung ein. Bestandteil dieser Politik war

    nicht nur die Untersttzung der sich anti-kommunistisch gebenden Militrregierungen in El

    Salvador und Guatemala, sondern auch der Aufbau und die Finanzierung einer paramilitri-

    schen Opposition (Contras) gegen das sandinistische Regime in Nicaragua.2

    2. Die 90er Jahre: Die USA a