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Sprechpunkte Podiumsdiskussion
Jochen Homann
Präsident der Bundesnetzagentur
Petersberg-Konferenz Freshfields
29.02.2016 in Königswinter
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Erkenntnisse „aus dem Leben eines Taugenichts“
namens Regulierer:
(1) Regulierung kennt keinen Stillstand. Regulierungseingriffe müssen immer
wieder neu begründet werden. Und gleichzeitig berechenbar sein.
(2) Regulierung muss flexibel sein. Die ökonomischen und technischen
Realitäten verändern sich schneller als Gesetzgebung und Rechtsprechung
folgen (können). Im Regulierungsrecht sind wir von einem „5G-Standard“ mit
Latenzzeiten im Milli-Sekundenbereich sehr weit entfernt.
(3) Regulierung muss transparent sein. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind
gerade bei Monopolunternehmen zu begründen. Hinweis auf
„Entschwärzungsaktivitäten“ der BNetzA und aktuelles Urteil VG Köln.
(4) Unabhängigkeit des Regulierers von Unternehmen und Politik muss garantiert
sein. Kontrolle findet durch die Gerichte statt.
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TK-Regulierung
Es geht nicht um „Regulierung oder Deregulierung“, schon gar nicht um
Remonopolisierung, sondern um „maßgeschneiderte Regulierung und
Deregulierung“. Auf Märkten mit natürlichen Monopolen oder
marktmächtigen Platzhirschen muss Regulierung das leisten, was auf anderen
Märkten der Wettbewerb sichert: Macht begrenzen – Chancen für
Wettbewerber öffnen – Verbraucherinteressen wahren.
Diskussion muss versachlicht werden. Sowohl bei klassischen TK-Diensten
für Verhältnis Incumbent vs. Wettbewerber, als auch TK zu OTT-Diensten. Als
auch bei Netzneutralität.
Regulierung hat viele Facetten. In der Diskussion wird vieles in einen Topf
geworfen, was differenziert betrachtet werden muss: Klassische Zugangs- und
Entgeltregulierung von marktmächtigen Unternehmen, Datenschutz,
Datensicherheit, Transparenz und Verbraucherschutz.
Entscheidend: jeweils vorliegender Fall und konkrete Rahmenbedingungen.
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Veränderte Marktgegebenheiten erfordern immer auch Anpassungen der
Regulierungskonzepte und anzuwendenden Instrumente (significant market power vs.
Symmetrische Regulierung).
In vergangenen Jahren: Viele Märkte aus der Regulierung entlassen –
teilweise ganz und teilweise regional.
o Beispiele: bestimmte Mietleitungsmärkte, aber auch der Layer 3
Bitstromzugang in Städten, in denen ausreichend Wettbewerb besteht.
o Regulierungsintensität teils durch Umstellung von der Kostenprüfung hin
zu Kontrolle anhand Mißbrauchsmaßstäben verringert – ex post statt ex
ante.
Wir schaffen zusätzliche Flexibilisierungen, um die Regulierung differenzierter
zu machen. Trägt Anforderungen zunehmend komplexen Marktumfeldes
Rechnung.
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Aber: Bottleneck-Eigenschaften der Anschlussnetze nicht wegzudiskutieren.
Daher Regulierung weiterhin bedeutsam, um Wettbewerbsvielfalt zu erhalten
– zum Wohl der Verbraucher.
Im Übrigen: Die Frage, ob sektorspezifisch reguliert wird oder das allgemeine
Wettbewerbsrecht ausreicht, wird bei jeder einzelnen Marktanalyse intensiv
geprüft und im Einvernehmen mit dem Bundeskartellamt entschieden.
Grundproblem: Gesetzgebung und Rechtsprechung können nicht Schritt
halten mit Tempo der technischen Neuerungen und Entwicklung neuer
Geschäftsmodelle im TK-Bereich. Das ist kein Vorwurf!
Konsequenz: Regulierer (auch Kartellamt) werden gezwungen zum
Regelsetzer zu werden, weil wir entscheiden müssen. Und weil wir uns oft auf
rechtlich umstrittenem Gebiet bewegen müssen, verlangen Gerichte einen
(unverhältnismäßig) hohen Begründungsaufwand vom Regulierer.
Beispiel: Urteil VG Köln zu Gmail (= Telekommunikationsdienst!)
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OTT
Niemand wird ernsthaft Konkurrenz zwischen Whatsapp und SMS bestreiten.
Dennoch gelten unterschiedliche Regeln.
BNetzA-OTT-Konferenz im Oktober Auftakt zu intensivem Diskussionprozess.
Fragen zum berühmten „Level Playing Field“: Ist Interoperabilität erforderlich?
Datenschutz, Datensicherheit, Transparenz oder Verbraucherschutz?
Für mich Frage der Marktmacht von Online-Plattformen durch Datenbesitz von
großer Bedeutung. Algorithmus!
Datenbestände haben Netzwerkeffekte. Tendieren automatisch zu
entsprechender Größe. Probleme lassen sich jedoch weder mit vorsorgender
Fusionskontrolle noch mit nachträglicher Zerschlagung von Konzernen lösen.
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Vielmehr Frage: wie und unter welchen Voraussetzungen Wettbewerber
marktmächtiger Plattformen an dem Datenschatz partizipieren können.
Bedarf es in diesem Sinne ggf. auch eines (regulierten) Zugangs zu nicht
personalisierten Daten? – die Netzagentur ist prädestiniert, sich solcher
Fragestellungen und Herausforderungen anzunehmen.
Regulierungsvorgaben kommen zunehmend aus Brüssel und Luxemburg –
siehe Netzneutralität in der TSM-Verordnung und geplante Regeln zu OTT in
TK-Review sowie deren gerichtliche Beurteilung
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Netzneutralität
o TSM-Verordnung sieht grundsätzlich Netzneutralität vor. Gesamter Verkehr
nicht-diskriminierend zu erbringen.
o Gleichzeitig Vertragsfreiheit zwischen Zugangsanbietern und Endnutzern.
o Spezialdienste unter engen Bedingungen erlaubt:
Netzkapazitäten müssen ausreichen, um sie zusätzlich zu den
bereitgestellten Internetzugangsdiensten zu erbringen;
sie sollen nicht als Ersatz für Internetzugangsdienste nutzbar sein
bzw. angeboten werden,
sie dürfen allgemeinen Internetzugang hinsichtlich Verfügbarkeit oder
Qualität nicht beeinträchtigen.
o Verkehrsmanagement muss transparent, verhältnismäßig und nicht-
diskriminierend sein.
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o Spezialdienste und Verkehrsmanagement gute Beispiele für
Konkretisierungsbedarf: BEREC-Leitlinien bis 30. August.
o Zero-rating = Marketingtrick gegen Netzneutralität? („Hase und Igel“:
Unternehmen sind der Regulierung immer einen Schritt voraus).
o BNetzA-Netzneutralitätsworkshop am 12. Februar – Überblick über
Meinungsbild nationaler Stakeholder verschafft.
o BEREC wird voraussichtlich im Juni Leitlinienvorschlag öffentlich
konsultieren.
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Auch aktuelle Regulierungsfragen nur fallspezifisch zu lösen:
o Vectoring II - Entscheidung: maßgeschneiderte Zugangsregulierung, die
Interessen zum Ausgleich bringt und Investitionen ermöglicht.
Gelegentlich daran erinnern: Zugangsregulierung ist nicht Breitband-
Ausbauplanung, aber sie hat Einfluss auf Investitionen.
o Vectoring II-Verfahren für Hauptverteiler-Nahbereiche keine Frage eines
Technologiemonopols – wenn Glasfaser so viel besser ist wie
behauptet, wird sie sich auch im Wettbewerb durchsetzen.
o Verpflichtung zu Vorleistungsprodukten: KVz-VULA (Virtuelle
entbündelte TAL) und Bitstrom. Je nach Wettbewerber-Geschäftsmodell
ist das eine oder andere Vorleistungsprodukt, VULA oder Bitstrom,
attraktiv.
o Regulierung sollte geschäftsmodellneutral sein, das leistungsfähigste
Unternehmen soll sich im Wettbewerb durchsetzen.
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o Windhundrennen a la vectoring I nicht möglich, da viele HvT bereits
besetzt. Daher Platzhirsch-Ansatz.
o Am Ende werden Preise und deren Konsistenz entscheidend sein: dies
ist klassische Zugangs- und Entgeltregulierung.
o Interessen der Wettbewerber bei weitem nicht so homogen wie sie in
den gebündelten Verbandsmeinungen erscheinen. Wer kein Netz hat,
interessiert sich für Qualität und Preis der neuen Vorleistungsprodukte
aber nicht für einen eigenen Zugang zum HvT im Nahbereich!
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„Internet of Things“ und „Gigabitgesellschaft“
o Henne-Ei-Problem: Noch hochbitratige Anschlüsse relativ wenig
nachgefragt. Grund: Wenig attraktive Dienste? Folge: Flächendeckender
Ausbau hochleistungsfähiger Infrastrukturen zurzeit nicht hinreichend
profitabel.
o Für weiße Flecken öffentliche Förderung erforderlich.
o Bandbreite wirklich entscheidend? Brauchen wir „dicke Pipeline“ für alle?
Weitere entscheidende Dimensionen: Latenz, Zuverlässigkeit,
Sicherheit. Zum Beispiel für Industrie 4.0
o Mobile Technologien werden wichtiger: Deutschland bei 5G mit
Frequenzausstattung gut aufgestellt
o Grenzüberschreitender Aspekt auch hier entscheidend: Europäisch
koordinieren; aber nicht kleinster gemeinsamer Nenner mit fußlahmen
EU-Mitgliedstaaten (= unsere Position für TK-review).
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Grundsatzfragen jenseits der Regulierung:
- Wie gehen wir mit „Uberisierung“ der Wirtschaft um?
- Welche Konsequenzen hat die „sharing economy“?
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Energie-Regulierung
Strommarkt 2.0
o Veränderte Bedingungen brauchen veränderte gesetzliche Regelungen
Stärkere Marktmechanismen, Freie Preisbildung:
Freie Preisbildung Voraussetzung für Entstehen von Knappheitspreisen, diese
wiederum Voraussetzung für Investitionen in Kraftwerkskapazitäten.
Effizienz und Versorgungssicherheit stärken: Preissignale für kostengünstige
Flexibilitätsoption in technologieoffenem Wettbewerb. Anbieter und Nachfrage
entscheiden, ob Geschäftsmodell trägt.
Marktteilnehmer müssen auf Energy-Only Markt 2.0 vertrauen. Tatsächliche
Wirkung Anreize bleibt abzuwarten: Wenn Preisspitzen eintreten – wirken
lassen – keine Preisobergrenzen.
Risiko: Preissignale zu spät (dementsprechend zu wenig Kapazitäten).
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Ausgleich Angebot und Nachfrage: Förderung Bilanzkreistreue sinnvoll und
notwendig, bei Knappheit gelieferte Ausgleichsenergie entsprechend vergütet.
Kapazitätsreserve
Erforderlich, falls Mechanik Energy-Only Markt 2.0 doch nicht funktioniert.
Denkbare Fälle: Marktteilnehmer verkalkulieren sich, Investitionsanreize zu
gering, Nachfrage im europäischen Verbundsystem höher als erwartet.
Positiv: Wettbewerblich Ausschreibung Kapazitäten und Einsatz erst wenn alle
marktlichen Flexibilitäten bereits aktiviert (keine Verzerrung der
Marktpreissignale).
Kapazitätsreserve garantiert, dass auch in knappen Situationen die
Bilanzkreise noch abgerechnet werden können.
Neue Aufgaben der BNetzA:
Wirkung des Bilanzkreis- und Ausgleichsenergiesystems überwachen und bei
Bedarf anpassen.
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Kapazitätsmenge bestimmen, Ausschreibungsverfahren vorbereiten und
durchführen.
BNetzA hat eigenständige Marktsimulation aufgebaut, um selbst
Versorgungssicherheit und zukünftige Marktentwicklung beurteilen zu können
(Stichwort: Transparenz).
o Digitalisierungsgesetz
Smart Meter perspektivisch Möglichkeit, auf fluktuierende Erzeugung zu
reagieren und Verhalten auf der Konsumentenseite zu flexibilisieren.
Intelligenz muss effizient und effektiv eingeführt werden – Diskussion z.Zt.
aber: wer Aufgaben weggenommen und neue Aufgaben zugewiesen
bekommt. VNB jedoch entflochten und nur Netzbetreiberfunktion.
Eigentlich ganz einfach: Daten für Netzbetrieb dorthin wo erforderlich, über
alles weitere, über z.B. für neue Geschäftsmodelle erforderliche
Datenweitergabe entscheidet Kunde
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Netzausbau
o Hinreichend finanzielle Anreize für Netzbetreiber, Stromnetz auszubauen.
o Volkswirtschaftliche Gesamtabwägung im Auge behalten (Netzausbau,
Engpassbewirtschaftung, Einspeisemanagement und Redispatch)
o Schlüssel zum Erfolg der Energiewende: soziale und politische Akzeptanz
o Transparenz: Öffentlichkeit über eventuelle Belastungen informieren
Glaubwürdigkeit: Strikte Neutralität zu den Netzbetreibern
Eingriffe in Landschaft und Wohnumfeld so gering wie möglich halten.
o Erdkabel-Novelle:
Reduzierung der Eingriffsintensität für Mensch und Landschaft Verlagerung
der Wirkfaktoren (Im Fokus: Boden und Wasser)
Neuer Planungsmaßstab. Veränderte Trassenverläufe sind zu entwickeln
und transparent zu kommunizieren.
Gebot der Geradlinigkeit kommt eine besondere Bedeutung zu.
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ARegV
o BNetzA hat empfohlen ARegV mit moderaten Anpassungen weiterzuführen: Nur
mit dem richtigen Mix aus Kupfer und innovativen Lösungen lassen sich
Potenziale zur Einsparung von Netzausbau heben.
o Novellierungsprozess liegt bei BMWi
o Modelle, die allein Anreize für Kupfer und Stahl setzen, können nicht die Zukunft
sein. Politische Kompromisse, die diesen Umstand nicht ausreichend beachten,
werden uns teuer zu stehen kommen.
o Kapitallastige Modelle behindern Innovationen. Forderungen nach höheren
Erlösen aus der Anreizregulierung haben keine Berechtigung. Zu Lasten der
Verbraucher, die höhere Netzentgelte zahlen müssten.
o Die Entgeltregulierung ist kein Instrument, die finanzielle Schieflage von
Kommunen zu beheben
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Netzentgelte
o Einheitliches Übertragungsnetzentgelt vorzugswürdig:
Zunehmend gemeinschaftliche Aufgabe der Übertragungsnetzbetreiber,
Umlagemechanismen (z.B. Offshore-Haftungsumlage) erübrigen sich, gleiche
Startvoraussetzungen für alle Regionalversorger
Gleichzeitiges Beibehalten Effizienzdruck auf ÜNB durch ARegV, keine
bundesweite Kostenwälzung
„Nodal-Pricing“ (von MoPoKo empfohlen). Ansatz: Individuelle Planung
Kraftwerksstandorte berücksichtigt nicht, welcher Netzausbaubedarf dadurch
ausgelöst wird. „Nodal-Pricing“ ordnet jedem einzelnen Einspeise- oder
Entnahmepunkt ein Entgelt in Höhe jeweiliger Bereitstellungskosten von Strom
zu. (Information über Netzengpässe).
Aber: Engpassorientierte Bepreisung in vermaschten Netzen nicht praktikabel
(Anschluss und Einsatzreihenfolge jeder Erzeugungskapazität verändert
wiederum Engpässe, worauf sich wiederum Entgelte ändern müssten, usw.)
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Aktivitäten auf EU-Ebene
o ACER: EU-Plattform für Zusammenarbeit und Koordinierung der nationalen
Regulierungsbehörden. Keine übergeordnete Behörde im Sinne eines EU-
Regulierers.
o Mangel an demokratischer Legitimierung - Unklare Entscheidungsprozesse.
o Unangemessene Stimmrechte und Mehrheitserfordernisse: One country, one
vote, kein Regionalansatz, keine Gewichtung der Größe einzelner Märkte.
o Eine stärkere Rolle von ACER erscheint für die weitere Integration der
Strommärkte nicht zwingend notwendig, Zusammenarbeit der nationalen
Regulierer funktioniert.
o Verbesserung Entscheidungsprozesse und Transparenz sind möglich.
Perspektivisch können in einzelnen Bereichen zusätzliche Aufgaben für ACER
sinnvoll sein, z.B. bei der Überwachung Pan-Europäischer Plattformen wie
Energiebörsen.
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Angesichts dieser vielen Detailfragen eines nicht übersehen:
Energiewende wird nur zum Erfolg, wenn die vielen Puzzleteile zusammen passen.
Davon sind wir derzeit noch ein gutes Stück entfernt:
- Tempo EE-Ausbau und Infrastrukturausbau laufen auseinander. Folge: hohe
Kosten/weniger Sicherheit.
- Kohleausstiegsdiskussion muss vom Kopf (= Streit über Jahreszahlen) auf die
Füße (= Versorgungssicherheit an erster Stelle und Begleitung des ohnehin
stattfindenden Strukturwandels) gestellt werden.
- Wollen wir eine Energiewende oder einen Wettbewerb um regionale
Wertschöpfung?