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Forum 25 Dipl.-Phys. Ilka Flegel, freie Jour- nalistin, Textlabor, Am Markt 19, 07743 Jena Erfolgreiche Phy- sikwerbung: Rund 400 Schüler und Schülerinnen be- suchen die Satur- day Morning Phy- sics-Kurse der TU Darmstadt. Im Demonstrations- versuch repräsen- tieren sie up- und down-Quarks und Antiquarks. (Foto: TUD) Seit 1992 sinken im Studienfach Physik die Anfängerzahlen – teilweise so drastisch, daß man- cher Fachbereich ums Überleben bangt. Doch die Not macht erfin- derisch: Ein Spaziergang durch die „Werbe-Angebote“ der Uni- versitäten enthüllt ein abwechs- lungsreiches Bild, mit mehr oder weniger traditionellen Veranstal- tungen und echten Highlights, von der Physik-Show am Samstag morgen bis zum PC für jeden Studienanfänger, vom Frühein- stieg ins Physikstudium bis zum Mentorinnen-Programm für Schülerinnen. D ie Zahlen von 1999 belegen zwar eine Stabilisierung der Anfängerzahlen gegenüber dem Vorjahr. Aber auf niedrigem Niveau: Schrieben sich zum Win- tersemester 1990/91 knapp 10000 Abiturienten für das Fach Physik ein, so waren es 1998/99 nur noch die Hälfte. Die Anzahl der Vor- diplomsprüfungen fiel in fünf Jah- ren um fast 70 %. In zwei bis drei Jahren werden anstelle der 4800 Absolventen, die der Arbeitsmarkt derzeit wieder ohne größere Schwierigkeiten aufnehmen kann, weniger als 1500 Diplomabsolven- ten pro Jahr die Hochschulen ver- lassen. Die DPG und viele Fach- bereiche warnen vor akutem Physikermangel. Der Rückgang der Studienanfänger steht dabei als Symptom für das eigentliche Pro- blem, den Verfall des öffentlichen Stellenwerts der Naturwissen- schaften im allgemeinen und der Physik im besonderen. Dieser Trend setzt in der deut- schen Physiklandschaft derzeit einiges in Bewegung. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft be- schließt, ihre Öffentlichkeitsarbeit zu intensivieren und auf ein profes- sionelles Niveau zu heben. Die For- schungszentren der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft (HGF) finden sich zusammen, um ihre Aktionen für die Zielgruppe Leh- rer/Schüler aufeinander abzustim- men und zu verstärken. Und allen voran greifen die Hochschulen zu den originellsten Mitteln, um die Physik wieder in das öffentliche Interesse zu rücken und sich den wissenschaftlichen Nachwuchs zu sichern. Üblich ist an den meisten Uni- versitäten ein Informationstag, an dem sich die gesamte Hochschule der Öffentlichkeit vorstellt. Darüber hinaus veranstalten viele Physik- fachbereiche eigene Tage der offe- nen Tür, die sich teils an ein breites Publikum, teils mit ergänzenden In- formationen zu Studium und Beruf gezielt an Schüler wenden. Auf An- fragen hin können viele Fachberei- che im Rahmen von Wandertagen oder Projektwochen besichtigt wer- den, diese Führungen richten sich meist an Schülerinnen und Schüler der Oberstufe. Der Fachbereich Physik der Universität Jena bietet Schülern schon ab der 9. Klasse die Möglichkeit, an Projekttagen einen halben Tag lang in den Praktikums- räumen eigenhändig zu experimen- tieren. Mit einem städtischen Gym- nasium besteht außerdem ein be- sonderes Abkommen: Über zwei Jahre hinweg können die Schüler der oberen Klassen jeweils einmal pro Woche einen Nachmittag lang einen Versuch durchführen. Dieser feste Kurs, zu dem auch eine kleine „Prüfung“ gehört, wird nicht nur in Jena, sondern auch von anderen Universitäten zum Teil als Anfän- gerpraktikum anerkannt. Bisweilen wird für die „Schüler- werbung“ schon mal der ganze Fachbereich vorübergehend lahm- gelegt. Daß sich das durchaus lohnt, belegt die Initiative „Fine Young Pioneers Wanted“ vom Fach- bereich Physik der Universität Hamburg. Als besonderer Clou wird dabei neben der Unterstützung von Referaten und Schulprojekten (Arbeitsgruppen, „Jugend forscht“), Berufspraktika, Laborbesichtigun- gen, eintägigem Schnupperstudium und Berufs- bzw. Studienberatung in den Schulen ein zweitägiger „Ferienkurs“ angeboten. Premiere war im Juli 1998. 60 Schülerinnen und Schüler der Oberstufe sollten an zwei Tagen insgesamt drei Ver- suche zu Themen der Laser- und angewandten Physik durchführen – auszuwählen nicht etwa aus einer Liste von einfachen Praktikumsver- suchen, sondern aus 26 Experimen- ten von der vordersten Front der Forschung: von der „Materialanaly- se mit dem Raster-Elektronen- mikroskop“ über den „Quanten- Hall-Effekt“ bis zur „Beobachtung von elektrischer Supraleitung und Suprafluidität in Flüssig-Helium“. Die Resonanz war überwälti- gend. Von den knapp 200 Bewer- bern wurden schließlich 106 ange- nommen, kein einziger sprang ab. Selbst etliche Physiklehrer ließen sich von der Begeisterung erfassen, so daß mit der Unterstützung des Amts für Schule und des Instituts für Lehrerfortbildung schon im Herbst 1998 ein ähnlicher Kurs für Lehrkräfte abgehalten wurde. Auf- grund dieser Erfahrungen entschloß sich der Fachbereich, solche Ferien- kurse nicht nur regelmäßig anzubie- ten, sondern auch auf die Gebiete Teilchenphysik und Astronomie auszudehnen. Ganz entgegen der verbreiteten Ansicht, die deutschen Schüler würden in Mathematik und Physik nur ungenügend ausgebildet, konn- ten die Organisatoren feststellen, daß die Schüler neben einem außergewöhnlichen Interesse auch erstaunlich viel Vorwissen mit- brachten. Bemerkenswert ist wei- terhin, daß der Frauenanteil unter den Teilnehmern bei etwa 35 % lag, also weit über den 12 %, die sich tatsächlich für ein Physikstudium Physikstudierende – verzweifelt gesucht ... Physikfachbereiche rühren die Werbetrommel Ilka Flegel Physikalische Blätter 55 (1999) Nr. 7/8 0031-9279/99/0707-25 $17.50+50/0 © WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim, 1999

Physikstudierende - verzweifelt gesucht …: Physikfachbereiche rühren die Werbetrommel

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Dipl.-Phys. IlkaFlegel, freie Jour-nalistin, Textlabor,Am Markt 19,07743 Jena

Erfolgreiche Phy-sikwerbung: Rund400 Schüler undSchülerinnen be-suchen die Satur-day Morning Phy-sics-Kurse der TUDarmstadt. ImDemonstrations-versuch repräsen-tieren sie up- unddown-Quarks undAntiquarks. (Foto:TUD)

Seit 1992 sinken im StudienfachPhysik die Anfängerzahlen –teilweise so drastisch, daß man-cher Fachbereich ums Überlebenbangt. Doch die Not macht erfin-derisch: Ein Spaziergang durch die „Werbe-Angebote“ der Uni-versitäten enthüllt ein abwechs-lungsreiches Bild, mit mehr oderweniger traditionellen Veranstal-tungen und echten Highlights, von der Physik-Show am Samstagmorgen bis zum PC für jedenStudienanfänger, vom Frühein-stieg ins Physikstudium bis zumMentorinnen-Programm fürSchülerinnen.

D ie Zahlen von 1999 belegenzwar eine Stabilisierung derAnfängerzahlen gegenüber

dem Vorjahr. Aber auf niedrigemNiveau: Schrieben sich zum Win-tersemester 1990/91 knapp 10 000Abiturienten für das Fach Physikein, so waren es 1998/99 nur nochdie Hälfte. Die Anzahl der Vor-diplomsprüfungen fiel in fünf Jah-ren um fast 70 %. In zwei bis dreiJahren werden anstelle der 4800Absolventen, die der Arbeitsmarktderzeit wieder ohne größereSchwierigkeiten aufnehmen kann,weniger als 1500 Diplomabsolven-ten pro Jahr die Hochschulen ver-lassen. Die DPG und viele Fach-bereiche warnen vor akutemPhysikermangel. Der Rückgang derStudienanfänger steht dabei alsSymptom für das eigentliche Pro-blem, den Verfall des öffentlichenStellenwerts der Naturwissen-schaften im allgemeinen und derPhysik im besonderen.

Dieser Trend setzt in der deut-schen Physiklandschaft derzeiteiniges in Bewegung. Die DeutschePhysikalische Gesellschaft be-schließt, ihre Öffentlichkeitsarbeitzu intensivieren und auf ein profes-sionelles Niveau zu heben. Die For-schungszentren der Hermann vonHelmholtz-Gemeinschaft (HGF)finden sich zusammen, um ihreAktionen für die Zielgruppe Leh-rer/Schüler aufeinander abzustim-men und zu verstärken. Und allenvoran greifen die Hochschulen zu

den originellsten Mitteln, um diePhysik wieder in das öffentlicheInteresse zu rücken und sich denwissenschaftlichen Nachwuchs zusichern.

Üblich ist an den meisten Uni-versitäten ein Informationstag, andem sich die gesamte Hochschuleder Öffentlichkeit vorstellt. Darüberhinaus veranstalten viele Physik-fachbereiche eigene Tage der offe-nen Tür, die sich teils an ein breitesPublikum, teils mit ergänzenden In-formationen zu Studium und Berufgezielt an Schüler wenden. Auf An-fragen hin können viele Fachberei-che im Rahmen von Wandertagenoder Projektwochen besichtigt wer-den, diese Führungen richten sichmeist an Schülerinnen und Schülerder Oberstufe. Der FachbereichPhysik der Universität Jena bietetSchülern schon ab der 9. Klasse dieMöglichkeit, an Projekttagen einenhalben Tag lang in den Praktikums-räumen eigenhändig zu experimen-tieren. Mit einem städtischen Gym-nasium besteht außerdem ein be-sonderes Abkommen: Über zweiJahre hinweg können die Schülerder oberen Klassen jeweils einmalpro Woche einen Nachmittag langeinen Versuch durchführen. Dieserfeste Kurs, zu dem auch eine kleine„Prüfung“ gehört, wird nicht nur inJena, sondern auch von anderenUniversitäten zum Teil als Anfän-gerpraktikum anerkannt.

Bisweilen wird für die „Schüler-werbung“ schon mal der ganzeFachbereich vorübergehend lahm-gelegt. Daß sich das durchauslohnt, belegt die Initiative „FineYoung Pioneers Wanted“ vom Fach-bereich Physik der UniversitätHamburg. Als besonderer Clouwird dabei neben der Unterstützungvon Referaten und Schulprojekten(Arbeitsgruppen, „Jugend forscht“),Berufspraktika, Laborbesichtigun-gen, eintägigem Schnupperstudiumund Berufs- bzw. Studienberatungin den Schulen ein zweitägiger„Ferienkurs“ angeboten. Premierewar im Juli 1998. 60 Schülerinnenund Schüler der Oberstufe solltenan zwei Tagen insgesamt drei Ver-suche zu Themen der Laser- und

angewandten Physik durchführen –auszuwählen nicht etwa aus einerListe von einfachen Praktikumsver-suchen, sondern aus 26 Experimen-ten von der vordersten Front derForschung: von der „Materialanaly-se mit dem Raster-Elektronen-mikroskop“ über den „Quanten-Hall-Effekt“ bis zur „Beobachtungvon elektrischer Supraleitung und

Suprafluidität in Flüssig-Helium“. Die Resonanz war überwälti-

gend. Von den knapp 200 Bewer-bern wurden schließlich 106 ange-nommen, kein einziger sprang ab.Selbst etliche Physiklehrer ließensich von der Begeisterung erfassen,so daß mit der Unterstützung desAmts für Schule und des Institutsfür Lehrerfortbildung schon imHerbst 1998 ein ähnlicher Kurs fürLehrkräfte abgehalten wurde. Auf-grund dieser Erfahrungen entschloßsich der Fachbereich, solche Ferien-kurse nicht nur regelmäßig anzubie-ten, sondern auch auf die GebieteTeilchenphysik und Astronomieauszudehnen.

Ganz entgegen der verbreitetenAnsicht, die deutschen Schülerwürden in Mathematik und Physiknur ungenügend ausgebildet, konn-ten die Organisatoren feststellen,daß die Schüler neben einemaußergewöhnlichen Interesse aucherstaunlich viel Vorwissen mit-brachten. Bemerkenswert ist wei-terhin, daß der Frauenanteil unterden Teilnehmern bei etwa 35 % lag,also weit über den 12 %, die sichtatsächlich für ein Physikstudium

Physikstudierende – verzweifelt gesucht ...Physikfachbereiche rühren die Werbetrommel

Ilka Flegel

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entscheiden – was erneut die Frageaufwirft, wohin denn Interesse undMotivation der Schülerinnen vorStudienbeginn verschwinden. Dasich auch Schüler der 9. Klasse fürdie Kurse angemeldet hatten, über-legt der Fachbereich nun, ein sol-ches Praktikum eigens für dieMittelstufe aufzuziehen, um dieSchüler schon vor der Entschei-dung für die Leistungskurse zuerreichen.

Mit ähnlichem Enthusiasmuswird eine weitere Kategorie vonInitiativen aufgenommen, die„Physik-Shows“ – spezielle Vorle-sungen zu ausgewählten Themender Physik, die als Einzelveranstal-tung oder Ringvorlesung abgehaltenwerden. So bietet Jena zweimal imJahr für alle Jenaer Gymnasien die„Ernst-Abbe-Seminare“ an. Seit

1994 gibt es die Leipziger „Sonn-tagsvorlesungen“, die an verschie-denen Terminen im Studienjahr„Experimente zu grundlegendenPhänomenen und neuen Anwen-dungen physikalischer Effekte inWissenschaft und Technik“ präsen-tieren. Der Chemnitzer „Förderver-ein für Physik e. V.“ organisiert inZusammenarbeit mit der Techni-schen Universität und dem Ober-schulamt Chemnitz die Vortragsrei-he „Physik – Wie Forschung Spaßmacht“, mit Themen von „Darf’sein Nanometer mehr sein?“ bis hinzu „Es klingt bei Physikern zurWeihnachtszeit“. Und in Darmstadtstartete zum Sommersemester dieVeranstaltungsreihe „SaturdayMorning Physics“, für die sich 1000Jugendliche (22 % Mädchen) undLehrer anmeldeten – derart viele,

daß man 600 Interessenten auf eineWiederholung der Reihe im Herbstvertrösten mußte (siehe Kasten).Die Kosten der Veranstaltung,15 000 DM für Porto, Broschürenund Plakate, tragen zur Hälfte dieTU Darmstadt und lokale Sponso-ren. Auch an der Universität Mainz,deren Einzugsgebiet sich mit demder Universität Frankfurt und derTU Darmstadt überschneidet, ha-ben sich über 300 Schüler für dieähnlich gestaltete Reihe „Physik amSamstagmorgen“ angekündigt.

Ein Entgegenkommen ganzanderer Art zeigt die UniversitätKaiserslautern gegenüber Abiturien-ten, die vor dem Studium die Bun-deswehr, den Zivildienst, ein FreiesSoziales Jahr oder ähnliches absol-vieren. Mit dem Fernstudienpro-gramm „FiPS – Früheinstieg ins

Auf dem Marktplatz in derInnenstadt kann man sichfür 80 Mark von einem Kranin die Tiefe stürzen. Dafürgibt es anschließend das„Bungee-Diplom“. Aber dasInteresse ist mäßig, die mei-sten fahren für 5 Mark in derGondel mit, um erstmalHöhenluft zu schnuppern.Unten rücken die KellnerStühle zurecht, die Buch-händler rollen Postkarten-ständer nach draußen, undder Automobilclub „Heck-flosse“ fährt Oldtimer vordas Schloß. Ein ganz norma-ler Samstag vormittag inDarmstadt? Nicht ganz: Einpaar Meter weiter, im großenHörsaal des Instituts fürKernphysik, sind die Bänkeso voll wie in den guten altenZeiten, als die Hochschulenaus allen Nähten platzten.Über dreihundert Jugend-liche, die meisten aus derOberstufe, aber auch Zivil-und Wehrdienstleistende, sit-zen dichtgedrängt nebenein-ander, in den hinteren Rei-hen die Lehrer. Einige derSchüler sind übernächtigt,weil sie eine anstrengendeAbi-Party-Nacht der Stadt-gymnasien hinter sich habenoder weil sie, wie die 18jähri-ge Anja aus Rüsselsheim, vonaußerhalb anreisen und sichschon um sechs oder siebenUhr auf den Weg gemachthaben. Warum? Weil DieterH. H. Hoffmann, Professorfür Kernphysik an der Tech-nischen Universität, an die-sem Samstag morgen einenVortrag über „Kernfusion –Grenzenlose Energie aus

Wasser“ hält, mit anschlie-ßender Diskussion undDemonstrationsexperiment.

Das „Event“, wie man viel-leicht sagen sollte, ist dasdritte in einer siebenteiligenReihe unter dem Titel „Satur-day Morning Physics“, mitder die Physiker in Darm-stadt dem Rückgang der Stu-dentenzahlen entgegenwir-ken wollen. Nach einer kur-zen Einführung beginntDieter Hoffmann seinen Vor-trag mit einigen allgemeinenBetrachtungen zur Energie-problematik und – nicht oh-ne Seitenhiebe – zur Ener-giepolitik. Dann schildert erdie Grundlagen der Träg-heitsfusion und gibt einenEinblick in aktuelle Experi-mente. Nach der Kaffeepausedürfen die Schüler in derGruppe eine Kettenreaktionsimulieren. Hoffmann stellt25 von ihnen in ein abge-grenztes Quadrat und läßtsie nach bestimmten RegelnKorken in die Luft werfen.Er erhöht die Anzahl derWerfer auf 50 und weiter auf 75 – undenkbar in deneigenen Vorlesungen. An-schließend führen Studentenaus dem zweiten Semestereinen Versuch mit einerSanduhr durch – „PhysicsFreshmen wiegen die Zeit“.Im Hörsaal ist es mucks-mäuschenstill.

„Mir ist schon klar, daßnicht jede Vorlesung so ab-laufen wird wie diese hier,“sagt Manuela (19). Sie hatChemie und Französisch alsLeistungskurse, ist aber festentschlossen, Physik zu stu-

dieren, und zwar in Darm-stadt. Das wußte sie aberschon vor Saturday MorningPhysics. „Ich komme aus In-teresse, vor allem wegen derInhalte, um was zu lernen.“Auch Richard (19), der indrei Tagen seine Abiklau-suren schreiben wird, undBjörn (20), der gerade beimBund ist, kommen wegen derInhalte. Und auch sie wissenschon genau, was sie studie-ren wollen: auf keinen FallPhysik. Richard will in dieWirtschaftsinformatik, Björnzu den Wirtschaftsingenieu-ren, „wegen der Job-Perspek-tive“. „Ich kann mir nichtvorstellen, als Forscher indunklen Labors rumzuhän-gen,“ sagt er. Ein anderer hatgehört, daß Physik-Dokto-randen nur „halbe Stellen“bekommen – das sei entmuti-gend. Saturday MorningPhysics finden sie alle gut,auch wenn der eine sich einbißchen mehr Physikwünscht, der andere mehrInformationen über konkreteBerufsaussichten. Nur einLehrer hat sich anfangs be-schwert, daß die Veranstalterden Schülern das unbe-schwerte Lernen vorgaukelnund die wahre Mühsal desPhysikstudiums verheimli-chen würden. Daß es sichauch um eine Werbeveran-staltung handelt, ist den Ju-gendlichen durchaus bewußt.„Man merkt schon, die wol-len uns,“ sagt Joachim (19),„das merkt man aber genau-so bei den E-Technikern undden Maschinenbauern“. DieUniversitäten machen sich

dabei auch gegenseitig Kon-kurrenz, meint ein Schüler,dessen Leistungskurslehrerauf ähnliche Veranstaltungenin Heidelberg und Mainzhingewiesen hat.

„Es stimmt natürlich, wirwollen von 60 auf 100 [Erst-semester]“, sagt HaraldGenz, der Saturday MorningPhysics nach dem Vorbild ei-ner ähnlichen Veranstaltungdes Fermilab bei Chicago insLeben gerufen hat, „aberwenn hier zukünftige Richtersitzen und wir allgemein dasPhysikinteresse fördern, istdas auch ein schöner Erfolg“.Warum Saturday MorningPhysics so viel Resonanz ge-funden hat – 100 Teilnehmerwaren eingeplant, 1000 mel-deten sich –, kann er sichauch nicht so richtig er-klären. Vielleicht das „Loch“am Samstag vormittag, ver-mutet Genz: Die Schüler ha-ben schulfrei, die Eltern ge-hen einkaufen, im Fernsehenläuft nichts, und die Partiesbeginnen erst am Abend. DieDarmstädter Kernphysikerhaben es auf jeden Fall ge-schafft, die Jugendlichen ein-zubinden und bei der Stangezu halten. Im improvisiertenTagungsbüro am Eingang desHörsaals erhält jeder ein Na-mensschild und trägt sich indie Anwesenheitsliste ein.Wer an sechs Veranstaltun-gen teilnimmt, bekommt das„Saturday Morning Physics-Diplom“ – kostenlos.

Max Rauner

„Die wollen uns“ – Saturday Morning Physics in Darmstadt

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Physikstudium“ können diese sichseit dem Wintersemester 98/99 ineinem Vorstudienabschnitt denStoff des ersten Fachsemesters an-eignen. Damit möchte der Fachbe-reich den Abiturienten die Möglich-keit bieten, bereits erste – von an-deren Universitäten ebenfallsanerkannte – Übungsscheine zu er-werben, so daß das gesamte Studi-um in neun Präsenzsemestern abge-schlossen werden kann. Außerdemmöchte man „eine entscheidendeOrientierungsleistung ermöglichen,da ansonsten gerade das erste Fach-semester durch das ungewohnteTempo in der Stoffvermittlung undden bekannten ‚Mathematikschock‘sehr oft als frustrierend erlebtwird“, so das Infoblatt.

Der Fachbereich Physik der Uni-versität Paderborn startete im Maidie bisher wohl spektakulärste Ak-tion. Zum Wintersemester 1998/99hatten sich dort für den Diplomstu-diengang nur noch 16 Abiturientenneu eingeschrieben – sie gaben denAnstoß für das „PC-Programm derPhysik: PCs für alle Studienanfän-ger“: Die ersten 50 Studierenden,die zum Wintersemester 1999/2000einen Diplomstudiengang beginnen,erhalten für die Dauer ihres Studi-ums im Paderborner Fachbereicheinen „leistungsfähigen PC“ nebstModem oder ISDN-Karte leihweisezur Verfügung gestellt. Finanziertwird das Angebot aus freien For-schungsmitteln, über die der Fach-bereich im Rahmen von Industrie-projekten verfügt, eingeworben vonFirmen, die von dem Nachwuchs-mangel ebenso betroffen sind wiedie Universität. Die Initiative ver-steht sich als Maßnahme, denStudiengang attraktiver zu gestaltenund die Qualität und Berufsnäheder Lehre zu verbessern. Nicht zu-letzt dient das PC-Programm jedochdazu, die Öffentlichkeit auf mög-lichst spektakuläre Weise auf dendrohenden Physikermangel auf-merksam zu machen.

Die Liste der durchgeführtenund geplanten Aktionen ließe sichbeliebig verlängern. Bemerkenswertist insbesondere die wachsende An-zahl von Veranstaltungen für Schü-lerinnen, die meist nicht speziellvon den Physikfachbereichen, son-dern im Rahmen von fachübergrei-fenden Aktionen der Frauenbeauf-tragten oder Studienberatungen an-geboten werden. Die Schülerinnenwerden gezielt über naturwissen-schaftlich-technische Studiengängeund Berufe informiert; Angebote

vom Schnupperstudium bis zurmehrwöchigen Sommeruniversität– wie in Essen oder Wuppertal –sollen ihr Interesse wecken undihnen die Scheu vor Technik undNaturwissenschaften nehmen. InRheinland-Pfalz vereint das Ada-Lovelace-Projekt sechs Hochschu-len mit dem Ziel, ein dauerhaftesNetzwerk von Mentorinnen zu er-richten. Dabei besuchen speziellausgebildete Studentinnen dieSchülerinnen in den Schulen, ladensie zu Tagen der offenen Tür mit„Technik zum Anfassen“ ein undorganisieren Besuche von Indu-striefirmen. Als Vorbilder veran-schaulichen sie den Mädchen an-hand ihrer persönlichen Erfahrungdie konkrete Realität eines natur-wissenschaftlich-technischen Stu-diums.

Inwieweit all diese Bemühungenvon Erfolg gekrönt werden, läßtsich bisher nur schwer erfassen.Dazu fehlen sowohl der zeitlicheAbstand – die meisten Teilnehmerder Ferienkurse und Physik-Showswerden erst im kommenden Win-tersemester ein Studium aufnehmen– als auch fundierte Statistiken, umden Erfolg der Initiativen konkretzu erfassen. Unklar bleibt damitauch, ob diese Aktionen lediglichzu einer Umverteilung der potenti-ellen Studierenden hin zu den Uni-versitäten mit der besten Werbungführen, oder ob die Entwicklungder Studentenzahlen insgesamttatsächlich beeinflußt wird. Den-noch läßt der Anklang, den die An-gebote bundesweit finden, langfri-stig auf Erfolg hoffen. Der Schritt indie Öffentlichkeit, von einer ent-rückten, abgekapselten Physik hinzur Vermittlung von Begeisterungfür die moderne Forschung, scheintein Schritt auf dem richtigen Wegzu sein.

�Mitteldeutsche Physik-ComboAuch zur Verbesserung der Lehrelassen sich einzelne Fachbereicheeiniges einfallen. Die theoretischenPhysiker der Universitäten Halle, Je-na und Leipzig bieten beispielsweisegemeinsam im Rahmen der „Physik-Combo“ fortgeschrittenen Studieren-den, Diplomanden und Doktoran-den drei Wochenendseminare proSemester über grundlegende Metho-den der aktuellen Forschung an.Nach einer bislang knapp dreijähri-gen Laufzeit liegt eine Zwischen-beurteilung vor. Mit einem derInitiatoren, Prof. Dr. Andreas Wipfaus Jena, sprach Stefan Jorda.

Sind die klassischen Univer-sitätsstrukturen nicht mehr in derLage, ihrer Ausbildungsaufgabe ge-recht zu werden, so daß „Studierenam Wochenende“ nötig wird?

Wipf: Mit der zunehmendenSpezialisierung der Naturwissen-schaften werden wir uns in Zukunftnoch mehr auf die Vermittlung ei-ner hervorragenden und umfassen-den Grundausbildung beschränkenmüssen. Um aber darüber hinauseine zielgerichtete Spezialausbil-dung anzubieten, welche die Stu-dierenden an die aktuellen Fragender Forschung heranführt, müssenwir tatsächlich über neue Ausbil-dungsformen nachdenken. Durchdie relative Nähe von Jena zu Halle(vertreten durch Prof. J. Louis) undLeipzig (vertreten durch Prof. K.Sibold) und der sich hervorragendergänzenden Fachkompetenz in dertheoretischen Physik dieser dreiPartner-Universitäten ergibt sichdie in Deutschland nahezu einma-lige Gelegenheit, eine länderüber-greifende Ausbildung anzubieten,die das zu leisten versucht. Die„Mitteldeutsche Physik-Combo“bietet an drei Wochenenden im Se-mester, alternierend in Halle, Jenaund Leipzig, Vorlesungen in theo-retischer Physik an. Die Vortragen-den sind Hochschullehrer der dreibeteiligten Universitäten und aus-wärtige Kollegen.

Ist die Combo auch als Reaktionauf zurückgehende Studentenzah-len zu verstehen, angesichts dererSpezialvorlesungen an den einzel-nen Universitäten keine „kritischeMasse“ mehr erreichen?

Wipf: Natürlich ist es für dieVortragenden erfreulicher, eineSpezialvorlesung für dreißig bis

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1) www.physik.uni-leipzig.de/TET/combo

vierzig statt zehn Studenten zu hal-ten. Aber dies ist nicht die wesentli-che Motivation für unseren Modell-versuch. In der Tat war in den ver-gangenen Jahren die Anzahl derPhysikstudenten an den beteiligtenUniversitäten etwa konstant undnimmt nun leicht zu. Wichtiger istdie Tatsache, daß durch den Zu-sammenschluß der Universitätendie personellen Ressourcen effekti-ver genutzt werden können.

Wie wird das Angebot von denStudierenden angenommen?

Wipf: Bisher sehr gut. Außer un-seren eigenen Studenten haben sichregelmäßig Gaststudenten aus ande-ren Bundesländern angemeldet, diesogar teilweise für ihre Übernach-tungs- und Fahrtkosten selbst auf-gekommen sind. Daß die Studentendazu bereit waren, zeigte nicht nur,wie groß ihr Wunsch nach weiter-gehenden Vorlesungen über Quan-tenfeldtheorie, mathematische Phy-sik, Gravitation, statistische Physik,

Supersymmetrie, Stringtheorie,Schwarze Löcher oder Quanten-optik war. Vielmehr war es auch dieMöglichkeit, mit den vortragendenWissenschaftlern und gleichaltrigenKollegen zu diskutieren, engereKontakte zu entwickeln und diesezu pflegen. Gerade diese persön-lichen Bekanntschaften bereicherndie Studierenden und sind vonunschätzbarem Wert im zunehmendvon Teamarbeit geprägten For-schungsbetrieb. Auch unsere Aus-wahl von Gastrednern hat sicherdazu beigetragen, das Programm at-traktiv zu machen1). Und natürlichsind wir auf Themen- oder Perso-nenvorschläge, die von den Teilneh-mern kamen, nach Möglichkeit ein-gegangen. Dank Mitteln aus Förder-programmen der UniversitätenHalle und Jena und des Graduier-tenkollegs Quantenfeldtheorie Leip-zig wird nun auch den Studentendie Teilnahme an der „Physik-Com-bo“ erleichtert.

Warum beschränken Sie sich aufdie Ausbildung in theoretischerPhysik?

Wipf: Eine Veranstaltung wie die„Physik-Combo“ kann eine guteGrundausbildung an den Univer-sitäten nie ersetzen, sie kann nurein zusätzliches Angebot imBereich der Spezialisierung sein.Daher wollten wir Organisatorenuns auf unser eigenes Fachgebietbeschränken, und das ist eben dietheoretische Physik. Aber die engeZusammenarbeit verschiedenerUniversitäten zur Verbesserung derLehre in Form von gemeinsamenVeranstaltungen hat sicher nichtnur für die theoretische Physikzukunftsweisenden Charakter. Wirsehen nach nunmehr drei Jahren„Physik-Combo“ diese Veranstal-tung als großen Erfolg an undhoffen sehr, daß sie Schule macht.