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SUTTON KRiMI Ein Mecklenburg-Krimi Richard R. Roesch Leseprobe

"Pink Clover Club. Ein Mecklenburg-Krimi"

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Die Entlarvung eines bundesweit gesuchten Frauenmörders hat Pawel Höchst, dem Rostocker Privatdetektiv mit russischen Wurzeln, viel Ruhm beschert – doch leider keine Aufträge. Deshalb zögert der bärbeißige Ex-Seemann auch keine Sekunde, als ihn die Rostocker Kripo gegen ein Erfolgshonorar als Berater engagieren will. Eine Dame aus der besten Schweriner Gesellschaft ist in einem Rostocker Luxushotel ermordet aufgefunden worden – eine Dame, die bestens mit Politik und Wirtschaft in der Landeshauptstadt vernetzt war und womöglich auch mit der Schweriner Polizei. Deshalb soll Pawel erst einmal ganz diskret die Hintergründe untersuchen, nicht dass da am Ende ein Skandal droht. Klingt logisch. Klingt das wirklich logisch? Und wieso stößt Pawel dauernd auf einen Schweriner Privatschnüffler, der das Opfer angeblich schon seit Wochen überwacht? Ohne die Hilfe von Polizeianwärter Kevin kommt Pawel nicht voran, weder am Schweriner See noch am Warnowufer.

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ie Entlarvung eines bundesweit gesuchten Frauenmörders hat Pawel Höchst, dem Rostocker Privatdetektiv mit russischen

Wurzeln, viel Ruhm beschert – doch leider keine Aufträge. Deshalb zögert der bärbeißige Ex-Seemann auch keine Sekunde, als ihn die Rostocker Kripo gegen ein Erfolgshonorar als Berater engagieren will.

Eine Dame aus der besten Schweriner Gesellschaft ist in einem Rostocker Luxushotel ermordet aufgefunden worden – eine Dame, die bestens mit Politik und Wirtschaft in der Landeshauptstadt vernetzt war und womöglich auch mit der Schweriner Polizei.

Deshalb soll Pawel erst einmal ganz diskret die Hintergründe unter-suchen, nicht dass da am Ende ein Skandal droht. Klingt logisch. Klingt das wirklich logisch? Und wieso stößt Pawel dauernd auf einen Schweriner Privatschnüffl er, der das Opfer angeblich schon seit Wochen überwacht? Ohne die Hilfe von Polizeianwärter Kevin kommt Pawel nicht voran, weder am Schweriner See noch am Warnowufer.

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Originalausgabe | 9,95 €www.sutton-belletristik.de

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SUTTON KRiMI

Ein Mecklenburg-Krimi

Richard R. Roesch

unverkäufl iche Leseprobe

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Sutton Verlag GmbHHochheimer Straße 59

99094 Erfurtwww.suttonverlag.de

www.sutton-belletristik.deCopyright © Sutton Verlag, 2013

Gestaltung und Satz: Sutton VerlagFoto: Sebastian Holzbrecher

ISBN: 978-3-95400-160-6

Druck: Aalexx Buchproduktion GmbH, Großburgwedel

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Über den Autor

Richard R. Roesch, mit bürgerlichem Namen Volker H. Altwasser, ist in Greifswald geboren. Mittlerweile lebt und schreibt er in Rostock. 2011 wurde der Schriftsteller mit dem Italo-Svevo-Preis ausgezeichnet und war für den Deutschen Buchpreis nominiert. 2013 ist er für den Agatha Christie Krimi preis nominiert. »Pink Clover Club« ist nach »French 75« der zweite Fall für Pawel Höchst.

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Prolog

Es nicht zu verstehen, es zu fühlen, das Ende zu spüren, es aber nicht zu begreifen, in das Gesicht sehen zu wollen, es aber nicht mehr zu schaffen, sich gegen die Finger wehren zu wol-len, es aber nicht mehr zu können, und schreien zu wollen, so gern schreien zu wollen, es aber nicht zu schaffen, nicht mehr.

In dieser Badewanne zu liegen, das Genick gegen den Rand gedrückt zu bekommen, die Fingerkuppen auf dem Kehlkopf zu haben, die eigenen Füße bluten zu sehen, die Hände auch, und das Blut stoßweise aus den geöffneten Pulsadern fließen zu sehen, das eigene Blut, und die Augen zu verdrehen, müh-sam gegen das warme Wasser anzukämpfen, den Druck der Finger immer stärker auf dem Kehlkopf zu spüren, und hoff-nungslos zu versuchen, die offenen Pulsadern gegeneinander zu drücken, kämpfen zu wollen, um jede Sekunde kämpfen zu wollen, so gern Atem schöpfen zu wollen, es aber nicht zu können, schon lange nicht mehr.

Das warme Wasser sich röten zu sehen, in der Durch-sichtigkeit des Wassers zu verschwinden, aber nicht auf dem Boden anzukommen, nach dem Stöpsel zu tasten, an der Kette zu ziehen, und den Atem zu spüren, der ausbleibt.

Und die Augen zu spüren, die hervortreten.

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Diesen Blick hatte er nun also zum letzten Mal. Pawel Höchst schob den Chefsessel nach hinten, stand auf und stellte sich ans Fenster. Wie oft er den Bäumen, die hinter der Papier-fabrik standen, beim Blühen und Welken zugesehen hatte und wie oft er den Ruderern auf der Warnow mit den Augen gefolgt war, ehe sie hinter der Flussbiegung verschwanden, vermochte er nicht zu sagen. Von all dem war nun, Anfang April, noch nichts zu sehen. Von diesem kleinen Bürozimmer aus hatte er den Fall um den Müttermörder und Starlyriker Tobias Siegfried Lenz gelöst.

Vor einem Monat.Seitdem hatte er Unmengen von Interviews gegeben,

ganz Deutschland war froh, dass der Rostocker Privatdetektiv Pawel Höchst, ein aus Nordrussland eingewanderter ehemali-ger Hochseefischer, also er, der hier lächelnd am Fenster stand und in Richtung Süden sah, diesen brutalsten, weil emotions-losesten Frauenmörder überführt hatte.

Einen Muttersohn, der alleinerziehende Frauen getötet hatte, um so die Väter zu zwingen, sich wieder um die Söhne zu kümmern. Niemand in Europa war auf dieses abwegige Motiv gekommen, bis sich Pawel Höchst an ein Gespräch auf einem Fischtrawler erinnert hatte. Eine Unterhaltung mit einem anderen erwachsenen Muttersohn – ja, Pawel kannte die Nöte und Geheimnisse der männlichen Psyche wie kein anderer. Zwanzig Jahre war er zur See gefahren, zwanzig Jahre, in denen er jede Abwegigkeit gehört hatte.

Er kannte sie alle, die schmutzigen Phantasien von Män-nern, die ihre Probleme mit Frauen hatten, die Frage war nur, ob er sich an sie auch erinnern konnte, wenn es darauf ankam. Pawel wusste, ein Detektiv war nur so viel wie seine

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Erfahrungen und Erinnerungen wert. Da er aber kaum Erfah-rungen hatte, musste er aus den Erinnerungen schöpfen. Er war der einzige ihm bekannte Seemann, der an Land geblie-ben war, um ein Privatdetektiv zu werden. Wegen Susanne.

Schon wieder waren seine Gedanken bei seiner Ehefrau, die ihn betrogen hatte. Über Jahre hinweg, wie sich herausge-stellt hatte. Er musste ihr verzeihen und wieder bei ihr einzie-hen, bloß, konnte er das?

Wie es seinen beiden Jungs wohl gerade ging? Pawel rieb sich übers Kinn und zählte die nackten, schmalen Bir-kenstämme, die als Wäldchen hinter der Fabrik zusammen-standen. Siebenundfünfzig, nicht schlecht für ein Wäldchen mitten in einer Großstadt.

Aufträge waren seit der Lösung seines ersten Falls kaum hereingekommen, keinerlei echte Ablenkung, und so übte sich Pawel in der Tugend der Angler. Er wusste, es lag an seiner plötzlichen Popularität. Auftraggeber von Privatdetektiven hatten nur selten Interesse an Medienberichten.

Pawel hatte ein paar Schulkinder zu den Eltern zurück-gebracht, einen Diebstahl aufgeklärt, aber alles in allem lief sein Berufsleben auf Sparflamme. Genau wie sein Privatleben. Noch immer hatte er sich nicht mit Susanne aussprechen kön-nen, die Zwillinge hatte er in den letzten vier Wochen nur für ein paar Stunden gesehen, aber wenn er Susanne in die Augen sah, dann fühlte er sofort wieder, wie die Wut aufstieg. Wut und Schmach. Und Eifersucht.

Er sah auf die kahlen Äste der Eichen und Birken, die Papierfabrik hatte einen anderen Namen bekommen. Jetzt leuchtete an den Stirnwänden der beiden Hallen der Name eines großen Konzerns: Veolia, Umweltservice.

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Konzerne, überall Konzerne, wenigstens unterstützte die-ser hier Hansa Rostock, den hiesigen Fußballverein, der als Tabellenführer kurz vor dem Aufstieg in die zweite Bundes-liga stand. Aufwärts, es ging mal wieder aufwärts, auch wenn in Japan gerade eine Kernschmelze eingesetzt hatte.

Genau vor Pawels Fenster hatte der Verwalter des Büro-hauses auf dem Flachdach der ehemaligen Fabrikhalle Solar-platten anbringen lassen. Mitten im Dezember, als ein heftiger Nordwind tagelang Schneewehen übers flache Land gefegt hatte. Pawel hatte den Arbeitern zugesehen, schön im warmen Büro, die mit nackten Fingern die Platten verschrauben muss-ten. Ein Wahnsinn, dass für die Herstellung so einer Platte mehr Energie verbraucht wurde, als sie jemals produzieren konnte. Und wohin mit diesem unabbaubaren Solarmüll, das wusste auch noch keiner. Der Verwalter hatte versprochen, dadurch würde der Strom für die Mieter billiger, aber Privat-detektiv Pawel Höchst wusste eines von der deutschen Wirt-schaft ganz genau: Billiger wurde nichts.

Er wandte den Kopf nach rechts und sah über die flachen Baracken der städtischen Abfallfirma. Vor dem Eingang stand ein Dutzend dickbäuchiger Männer in leuchtend-roten Arbeitsanzügen. Sie rauchten und sahen immer wieder zu ihren Privatwagen. Einige Fahrertüren standen schon offen, und Pawel fragte sich, wie ein solches Arbeitsleben im öffentlichen Dienst wohl war. Ob das für Kevin Hilbig überhaupt das Richtige war? Der junge Polizeianwärter, mit dem zusammen er den Fall um den Müttermörder Lenz gelöst hatte, war der nicht viel zu selbstständig und eigenver-antwortlich, um als Beamter arbeiten zu können? Was der jetzt wohl machte?

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Die Jungs da drüben hatte Pawel jedenfalls noch nie in Panik verfallen sehen, auch nicht im Winter, als der Schnee hier oben an der Küste hüfthoch gestanden hatte. Sie schoben ihn weg, den Schnee, aber niemals mit Hektik. Von denen würde wohl keiner an einem Herzinfarkt sterben, meinte Pawel und sah sie Feierabend machen.

Freitag nach eins macht jeder seins, ging so nicht ein Sprichwort aus der alten DDR?

Vielleicht war seine einzige Möglichkeit, an neue Aufträge zu kommen, wieder mit den grünen Sheriffs, die heute in blauen Uniformen steckten, zusammenzuarbeiten? Wenn die Privatwirtschaft Angst vor seiner Berühmtheit hatte, die öffentliche Hand zuckte da nicht so schnell zurück.

Im Gegenteil, er könnte den Beamten gut ein paar Blitz-lichtgewitter abnehmen. Für die Polizei die Drecksarbeit zu machen, das war aber eigentlich auch nicht das, was Pawel Höchst von seiner unmittelbaren Zukunft erwartete. Er dachte: Es klappt zwar nichts, wie ich es will, aber wenigstens halte ich durch.

Die Privatautos der städtischen Angestellten fuhren vom Hof, und Pawel warf noch einen Blick zur mit hohen Elektro-zäunen gesicherten Nervenheilanstalt von Gehlsdorf. Dann brach die Sonne durch die helle Wolkendecke, und Pawel zog die Jalousien vors Fenster, schob den Chefsessel auf den Gebäudeflur und beendete den Umzug von der dritten in die zweite Etage des gleichen Gebäudes.

Nur ging die Sicht jetzt nach Norden und Osten, und Pawel wusste, dass er nun zwar ein kühleres Arbeitszimmer hatte, dessen Grundriss identisch mit dem alten war, aber was war schon wirklich identisch? Jeder Anfang war doch

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auch immer ein Ende, oder nicht? Pawel spürte, dass er in ein Alter kam, in dem er keine Veränderungen mehr mochte. Auch wenn es nur eine Etage war, Nordsicht war eben nicht Südsicht.

In die dritte und vierte Etage waren die »Sozialen Dienste der Justiz« eingezogen, ein Landesamt für ambulante Straf-fälligenarbeit. In letzter Zeit waren in Pawels altes Zimmer oft ehemalige Knastbrüder gekommen und hatten nach irgendwelchen Namen gefragt. Sie mussten sich alle in gewissen Zeitabständen auf dem Amt melden. Da kam der Penner mit der Bierflasche, da kam der Geschäftsführer im Nadelstreifen, da kam die Hausfrau mit vier Kindern, sie kamen alle, machten sich aber nur selten die Mühe, die Namen an den Bürotüren zu lesen. Lieber gingen sie ins erstbeste Büro und fragten nach ihren Bewährungshelfern, und Pawel verstand das gut. Warum kompliziert, wenn es auch einfach ging?

Im Knast war kompliziert nie gut, genau wie auf dem Meer. Jedes Schiff war auch immer ein Gefängnis, nur ohne Besuchsrecht.

Pawel stieß den Chefsessel vor sich her, der auf dem langen Flur entlangrollte und ans Treppengeländer stieß. Er sah sich nicht noch einmal um, stieg in die zweite Etage hinab und sah wenig später einen Mann vor der Tür seines neuen Büros stehen.

»Sind Sie der berühmte Detektiv?«, fragte der Haarlose, als Pawel die Tür aufschloss. Pawel nickte und sagte: »Die Kiste da, können Sie die mal mit reinbringen?«

Der Mann nickte, hob die Aktenkiste auf, und wenig spä-ter standen sie zu zweit im neuen Büro, in dem es noch keinen

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Platz gab, den man einem Besucher anbieten konnte. Selbst auf dem Schreibtisch stapelten sich kleine Kisten.

»Sie ziehen aus?«, fragte der Mann und hielt ihm die Hand hin. »Mein Name ist Kurt Elliot. Ich bin ein neuer Kunde von Ihnen.«

Pawel nickte, schob den Chefsessel gegen eine große Kiste und fragte: »Gut, Herr Elliot, was gibt’s? – Und nein, ich ziehe hier ein. In der dritten Etage ist kein Platz mehr für mich.«

»Haben Sie schon gegessen? Ich lade Sie ein.«»Ein Arbeitsessen?«»Ein Arbeitsessen.«»Gut«, sagte Pawel. »Dann nehme ich meinen Schreibblock

und meinen Kugelschreiber mit, wenn ich sie fi nden sollte.«Beide Männer musterten das Chaos, ehe Kurt Elliot sagte:

»Ich gebe Ihnen neues Schreibutensil. Die ersten Spesen.«

Sie fuhren mit Pawels Wagen und Kurt Elliot fragte unter-wegs, ob Pawel etwas gegen Pizza hätte. In der Altstadt-Filiale einer Pizzakette gehe es schnell und man sei ungestört. Er kenne da eine Ecke, die uneinsehbar sei. Pawel nickte und antwortete: »Ich war noch nie da drin.«

Er parkte den Wagen auf dem Glatten Aal, sie gingen durch die Passage des »Rostocker Hofes«, die sich am Hauptgebäude der Universität befand, und Pawel fragte sich wieder einmal, wie selbstherrlich die Einwohner doch früher gewesen sein mussten, als sie ihre eigene Einkaufspassage kurzerhand nach sich selbst benannten. Pawel fand das ehrlich.

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Sie rauchten vor dem Restaurant die Zigaretten auf und gin-gen hinein. Es war Donnerstag, früher Abend, sie gingen durch den fast leeren Vorraum, in dem etwa zwanzig Tische standen, durchquerten den Hauptsaal und kamen in einen Nebenraum, in dem sich nur drei Tische befanden. Alle drei waren reserviert.

Verblüfft sah Pawel zu Kurt Elliot. »Sie müssen ja etwas Wichtiges zu bereden haben! Drei Tische für ein Gespräch zu reservieren, das leistet sich längst nicht jeder.«

»Stimmt«, sagte Herr Elliot. »Setzen wir uns. Die Vorspeise kommt gleich, ich habe mir erlaubt, im Vorfeld zu wählen. Vertrauen Sie meinem Geschmack?«

»Unbedingt. Sie sind der Chef.«»Ja, das bin ich.«Herr Elliot öffnete seine Aktentasche und schob Pawel

einen Schreibblock und einen Kugelschreiber über den Tisch. »Wie versprochen, für Ihre Notizen.«

Auf dem Kugelschreiber stand: 110 – Ihr Freund, Ihr Helfer.Pawel zog die Augenbrauen nach oben, sagte aber nichts.

Also wohl doch kein Mafi oso. Oder einer mit Sinn für Humor?»Vielleicht stelle ich mich erst einmal vor«, sagte Herr

Elliot. »Ich bin Kriminalhauptkommissar Kurt Elliot, Chef einer heute eingerichteten Sonderermittlungskommission. – Wir brauchen jemanden für die Drecksarbeit, und Ihr Ruf als Freund und Helfer der Polizei ist nach dem Fall Lenz ausge-zeichnet.«

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»Welche Dienststelle?«»Kriminalpolizeiinspektion Rostock.«»Die Presse weiß also von nichts. Noch nicht?«»Richtig, Herr Höchst, aber lassen Sie uns doch von den

gefüllten Champignons kosten. Sonst werden sie noch kalt.«Pawel nickte, und während er die Pilzfüllung auslöffelte,

versuchte er sich einen Reim auf Kurt Elliot und seinen Auf-trag zu machen. Drecksarbeit? Als hätte er es nicht geahnt. Manchmal war er sich selbst unheimlich. Gerade dachte er noch, seine einzige Chance, an neue Aufträge zu kommen, bestünde darin, mit den Rostocker Sheriffs zusammenzu-arbeiten, und schon tauchte einer von ihnen bei ihm auf.

Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht, dachte er, während die Kell-nerin die Teller abräumte und eine Flasche Rotwein auf den Tisch stellte. Sie war schon geöffnet, und Pawel wurde sofort misstrauisch. In diesem scheinbar unwirklichen Hinterzim-mer schien ihm im Moment alles möglich. Er sagte: »Sie werden verzeihen, aber man kann nicht vorsichtig genug sein. Könnten Sie mir Ihre Dienstmarke zeigen?«

»Bei uns gibt es nur Dienstausweise, solche wie diesen«, sagte Kurt Elliot und hielt Pawel eine eingeschweißte Plastik-karte mit Foto hin.

»Danke sehr. – Also, besprechen wir die Drecksarbeit bei einem trocknen Rotwein und dieser prächtig aussehenden Lasagne hier. – Gibt Schlimmeres«, sagte Pawel.

»Oh, nein. Wir essen erst. Ich hatte den ganzen Tag noch nichts. Ich finde, es redet sich beim Espresso besser. – Sicher-lich, die Zeit ist knapp, aber im Moment kann man sowieso nichts machen. Meine Männer tun alles Mögliche und Unmögliche, Sie möchte ich engagieren, um zu verreisen.«

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Pawel nickte, schnitt ein Stück von der Lasagne ab und sagte leise: »Meinetwegen müssen wir auch gar nichts bespre-chen, Sie zahlen ja sowieso. – Und reisen kostet doppelt, weil ich in meinem Leben so viel verreist bin, dass ich nun nur noch wenig Lust dazu habe. Also bei allen Kostenrechnungen einfach immer mal zwei eintippen.«

Kurt Elliot lachte beim Zerteilen der Lasagne und ant-wortete: »Wir sind nicht in Russland und auch nicht auf der See. In Deutschland ist das Beamtentum noch die Zierde der Gesellschaft!«

»Wer glaubt, der glaubt!«

»Es stimmt«, sagte Pawel. »Nach dem Essen redet es sich bes-ser über eine solche Sache. Wie viel Blut ein Mensch doch hat.«

Er legte die Fotos mit den Großaufnahmen weg, nahm einen Schluck Kaffee und schloss für einen Moment die Augen, ehe er sich die restlichen Fotos vom Tatort ansah, die ihm Kurt Elliot hingeschoben hatte. Bilder von der Garde-robe, vom ungemachten Bett, von einigen persönlichen Gegenständen der Frau.

»Eine echte Dame«, sagte Pawel und sah sich das Gesicht der Toten genauer an.

»Reich war sie. Das stimmt«, sagte Elliot. »Reich geheira-tet, um genau zu sein. Wie das immer so ist: Dumm gucken schaut süß aus.«

»Schrecklich. Sie sieht fast wie eine russische Gräfi n aus. Auch jetzt noch«, meinte Pawel. »Wie alt soll sie sein?

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Vierundfünfzig? Das glaub ich nicht. Zweiunddreißig, ja, aber doch nicht vierundfünfzig lange Lenze!«

»Das hätte sie bestimmt gefreut«, sagte Elliot und trank den doppelten Espresso mit einem Schluck aus.

»Vielleicht stammen ihre Ahnen ja aus Russland, wer weiß?«

»Sehr gut«, sagte Elliot und zeigte Pawel ein aufrichtiges Lächeln. »Ihr Akzent wird bei Ihren Recherchen vielleicht goldwert sein.«

»Meinen Recherchen?«»Ihren Recherchen.«»Erst einmal die Fakten bitte, die nicht auf den Bildern zu

sehen sind«, sagte Pawel und legte das gute halbe Dutzend Fotos vor Kurt Elliot auf den Tisch. Elliot nahm sie und steckte sie wieder in die Aktentasche, ehe er sagte: »Sie wer-den mit niemandem darüber reden. Unterschreiben Sie diese Stillschweigevereinbarung.«

Pawel las und pfiff durch die Zähne. »Hunderttausend Euro, wenn ich etwas an die Öffentlichkeit gebe?«

»Hunderttausend Euro, ganz genau. Das dürfte selbst für die ›Bild‹ zu viel sein.«

Pawel nickte, unterschrieb vorsichtshalber mit der linken Hand und lehnte sich zurück.

»Frau Luise Temmen, vierundfünfzig Jahre, geschieden seit fünf Jahren. Sie war verheiratet mit dem Schweriner Freiherrn von und zu Zippendorf-Mueß, der nach der Wende viele Ländereien zurückkaufte. Nach der Scheidung blieb sie Vorsitzende einiger einflussreicher Stiftungen. Ihr Gewicht in der Landeshauptstadt war so groß, dass wir unseren Schwe-riner Kollegen nicht zumuten wollen, sich die Finger zu

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verbrennen. Daher haben wir nicht vor, sie vor Dienstag über den Tod ihrer prominenten Einwohnerin zu informieren. Das heißt: Wir müssen den Mörder von Luise Temmen vor Dienstag dingfest gemacht haben, heute ist Donnerstag. Frau Temmen wurde in unserem Revier tot aufgefunden, am heu-tigen Morgen um neun Uhr dreiundzwanzig. Sie lag tot in der Badewanne ihrer Suite im Hotel ›Zur Sonne‹ am Neuen Markt, wo sie ein geschätzter Stammgast war. Frau Temmen hatte das Zimmer bis Dienstag gemietet, daher unser Zeit-fenster. Vom Täter fehlt jede Spur, die Überwachungskameras zeigen einen jungen Mann, vermummt mit Hut und Mantel, der den Fahrstuhl in der obersten Etage um sechs Uhr zwei verlässt und ihn um sieben Uhr vierzig wieder betritt, um nach unten zu fahren. Wenig später verlässt er das Hotel ›Zur Sonne‹. Hut und Mantel fanden wir in der Schalterhalle der angrenzenden Hauptpost.«

»Scheiße«, sagte Pawel.»Warum?«»Schon wieder ein Fall mit Popularität. Das ist nicht gut für

meinen Job, wenn ich dauernd in der Zeitung stehe.«»Vielleicht können wir Sie da raushalten, wenn es mit den

Medien losgeht.«»Das wäre gut!«»Weiter. Todesursache: vermutlich Erwürgen. Frau Tem-

men wurde entkleidet und in die Badewanne gelegt. Man ließ warmes Wasser einlaufen, dann schnitt man der Dame die Pulsadern an Fuß- und Handgelenken auf. Parallel drückte man ihr die Kehle zu. Es wurden auch persönliche Wertsachen gestohlen. Eine der drei Kreditkarten wurde wenig später am Bahnhof benutzt, um ein Mecklenburg-

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Vorpommern-Ticket zu kaufen. Wir wissen daher nicht, wohin der Mörder fuhr.«

»Also ein Verbrechen aus Leidenschaft.«»Wie kommen Sie darauf? Dafür spricht doch nichts.«»Der Täter konnte sich nicht entscheiden. Er täuschte

Selbstmord und Raubmord vor. Er wollte das wahre Motiv ganz klar verwischen, war aber zu dumm, sich für einen Weg zu entscheiden. Was bleibt als Motiv da noch übrig? Es war Leidenschaft im Spiel.«

»Er könnte auch den Raubmord mit einem Selbstmord verdecken wollen.«

»Unwahrscheinlich. So etwas kann doch nicht funktionie-ren.«

»Richtig, das macht keinen Sinn. Wir haben natürlich auch schon festgestellt, dass wahrscheinlich Leidenschaft mit im Spiel war.«

»Natürlich.«»Wir gehen davon aus, dass der Täter aus dem Umfeld

von Frau Temmen stammt. Wir können ihn nur nicht in Schwerin suchen. Das würde unsere Kollegen aus der Landes-hauptstadt zum Handeln zwingen, und vielleicht würden sie so eine gewaltige Lawine lostreten müssen, dass die bis in den Landtag reicht. Deshalb brauchen wir Sie: Ihre Aufgabe wird es sein, dort Untersuchungen anzustellen und uns zu informieren.«

»Verstehe.«»Der Stand der Dinge: Unsere einleitenden Maßnahmen

und vordringlichen Aktionen sind Untersuchung des Tat-ortes, Befragung von Zeugen, Auswertung der Kameras, Verein barung des Stillschweigens mit allen Beteiligten, die

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Obduktion läuft. – Bitte verstehen Sie, Herr Höchst, wenn ich zu diesen Punkten im Augenblick keine näheren Angaben machen kann.«

»Okay. – Geben Sie mir aber Kopien von den Fotos mit«, sagte Pawel. »Ich fasse noch mal zusammen: Ich habe vier Tage Zeit, damit Sie Ihre Kollegen aus der Landeshauptstadt mit Hilfe der Presse vorführen und sich selbst eine Beförde-rung sichern können. – Sagen Sie, Herr Elliot, sind Sie sicher, dass das nicht so ein verrücktes Rostock-Schwerin-Konkur-renz-Ding ist? Sie wissen schon, so ein Köln-Düsseldorf-Ding oder so ein Dresden-Leipzig-Ding?«

»Ich habe meine Gründe, sagen wir mal so. Und Sie haben nicht vier, sondern drei Tage Zeit, ich will Montagmittag an die Presse. – Für Sie ist wichtig, aus buchhaltungstechnischen Gründen werden Sie hiermit zum Berater der Rostocker Kripo für die Dauer einer Woche ernannt. Ihr Beraterhonorar beträgt einmalig und inklusive aller Spesen eintausendsieben-hundert Euro brutto.«

»Netto! Netto oder gar nicht.«»Okay, tausendsiebenhundert Euro netto. Unterschrei-

ben Sie hier. Und diese Klausel wird Sie besonders interes-sieren.«

Pawel beugte sich übers Papier und las den Paragraphen, in dem stand, dass das Honorar nur ausgezahlt werden musste, wenn der Berater erfolgreich gearbeitet hatte.

»Marktwirtschaft«, sagte Kurt Elliot entschuldigend. »Wir üben noch«, fügte er süffisant hinzu.

»Dann übt mal schön weiter«, antwortete Pawel Höchst und unterschrieb den Vertrag. Kurt Elliot bezahlte den Raum und das Essen und stand auf.

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Der vordere Teil des Restaurants hatte sich mit vielen jun-gen Leuten gefüllt. Hier war es laut geworden, und von den Pizzaöfen strömte Hitze aus.

Pawel und Kurt Elliot gingen durch den »Rostocker Hof«, als Pawel noch ein Detail einfiel: »Ich hoffe, mein Freund, es gibt ab und an Folgeaufträge.«

»Liefern Sie, liefern Sie erst einmal jetzt. – Auf Wieder-sehen, Herr Höchst! Ich höre spätestens Montag von Ihnen. Zehn Uhr in meinem Büro, für elf Uhr habe ich die Presse geladen. Hier ist noch meine Privatnummer, unterrichten Sie mich ständig. Ich bin aber nur an Fortschritten interessiert. Wir werden natürlich nicht nur auf Sie setzen, wir ermitteln parallel auch.«

Pawel nickte, nahm die Karte und ging am Hinterausgang der Passage nach rechts zu seinem alten Peugeot, während Elliot zurück zur Kriminalpolizeiinspektion ging, die sich in der Blücherstraße befand.

Kurt Elliot hielt dem Pförtner seinen Ausweis hin und stieg die breite Treppe des Gebäudes aus den Dreißigerjahren hoch. Er dachte an Schwerin. Welch Glücksfall für ihn, der Tod dieser reichen Dame. Wenn er jetzt gute Arbeit machte, stellte er sich vor, könnte das seine Versetzung ins LKA wirk-lich beschleunigen. Endlich!

Kriminalhauptkommissar Kurt Elliot hatte genug vom Rostocker Arbeitermilieu, mit den ständigen Auseinander-setzungen zwischen Kommunisten und Faschisten und den ewigen Prügeleien betrunkener Fußballfans, die alle zwei Wochen aus den umliegenden Dörfern die Stadt stürmten, um wer weiß was zu wollen. Wie gelassen es doch dagegen in Schwerin zuging! Keine Proleten, nur Bildungsbürgertum

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und Beamte. Keine Bauern, nur Adel und Spitzenpolitiker. Und von Leezen-Rampe aus, dem Sitz des LKA, wäre es nur ein Katzensprung bis dort.

Der gebürtige Boizenburger wollte die Großstadt verlassen und hatte das Versetzungsgesuch schon vor Monaten abge-schickt. Es war keine leichte Entscheidung gewesen, doch nun hoffte er, dass der Mordfall Temmen ihm den Weg bahnen würde. Und Pawel Höchst sollte dabei seine Geheimwaffe sein, seine Machete, mit der er sich einen Weg durch den Urwald schlug, von der aber niemand etwas wusste, denn fairplay war ein Spiel für Idioten.

Straßenlärm, daran hatte er nicht gedacht. Pawel sah aus dem Fenster seines neuen Büros auf die Hauptverkehrsstraße, auf der der Fernverkehr in kurzen Intervallen vorbeirollte. Lastwagen, Lastwagen, Krankenwagen, Krankenwagen, Unmengen von Pkws; Pawel drehte sich um und hörte die Straßenbahn, deren Räder in den Gleisen quietschten, weil es hier eine leichte Kurve gab.

Das Zimmer sah noch immer katastrophal aus. Er wusste nicht, wo er anfangen sollte, und dachte: Wer scheiße aussieht, hat es schwer im Leben.

Aber Luise Temmen war eine schöne Frau gewesen, eine sehr schöne, und Pawel fragte sich, wie man an ihr ein Ver-brechen aus Leidenschaft hatte begehen können. Was für ein Kerl musste das sein? Ein junger Mann, das hatte die Über-wachungskameras gezeigt, was aber hieß jung? Jung genug,

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um ein Enkel zu sein? Ein Neffe? Pawel wollte auch das älteste Motiv der Welt nicht ausschließen: Habgier.

Die Kameras hatten gezeigt, dass der Täter zielstrebig vorgegangen war. Er wusste, wo er die Frau suchen musste, er kannte die Zimmernummer. War sie mit ihm verabredet gewesen? Luise Temmen war ein Stammgast in dem Rosto-cker Hotel gewesen. Warum kam die Schwerinerin regelmä-ßig nach Rostock, warum übernachtete sie hier? Die beiden Städte waren keine neunzig Kilometer voneinander entfernt. Ein Liebhaber, der geheim gehalten werden musste? Oder doch Erbstreitigkeiten? Warum brachte ein Liebender eine Geliebte um? Eifersucht? Pawel schloss das Fenster und setzte sich in den Wippsessel, um sich zu konzentrieren. Welche Motive aus Leidenschaft gab es noch?

Möglich war auch ein Unfall, aber nach sadomasochisti-schen Praktiken hatte es in dem Hotelzimmer nicht ausgese-hen. Es gab Sexspiele mit Atemkontrolle, davon hatte Pawel schon gehört, aber er hatte auch von so viel anderem gehört. Damals auf seinem Fischtrawler, was die Kollegen da nicht alles erzählt hatten. Haudegen, der hatte die meisten Erfahrungen in diesem Bereich gehabt, zumindest hatte er das behauptet. Viel-leicht sollte er Haudegen anrufen? Vielleicht wusste der mehr über Atemkontrolle, als er damals erzählt hatte? Was Haudegen jetzt wohl machte? Ob der immer noch zur See fuhr? Aber er war ja damals schon über fünfzig Jahre alt gewesen. Wie hieß der überhaupt richtig? Sie hatten sich an Bord des Schiffes mit Absicht neue Namen gegeben, Spitznamen, damit sie keine Wehmut nach Hause bekamen, kein Heimweh. Denn Heim-weh war tödlich auf See. Zwanzig Prozent aller Arbeitsunfälle auf dem Wasser passierten wegen des verdammten Heimwehs.

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Dagegen half am besten, sich andere Namen zu geben und neue Rollen zu erfi nden. Es war eine Frage des Überlebens. Die See war nicht das Land, und das Land war nicht die See. Heute war das für ihn nicht mehr so. Heute war Pawel auch auf der Arbeit Pawel, selbst wenn er wie zurzeit kein Zuhause hatte und im Wagen übernachtete, oder in Pensionszimmern in der eigenen Stadt, oder einfach im Büro. Er sollte Susanne anrufen, endlich, oder zumindest seine beiden Söhne. Was konnten Kinder für ihre Eltern?

Nichts.Pawel lächelte müde, als er sah, wie leer der Handyakku

war. Und wo, bitte schön, war das Aufl adegerät? In welcher verdammten Kiste? Jetzt hätte Pawel garantiert zu Hause angerufen, aber mit leerem Handy ging das ja leider nicht. Nicht vorzustellen, wenn das Gespräch mittendrin abbrechen würde, dieses vielleicht wichtigste Gespräch.

Die Technik beherrschte schon längst die Menschen, das war doch nun offensichtlich. Pawel blieb im Sessel sitzen. Was für Motive aus Leidenschaft gab es noch?

Das Gebäude der Treptower Polizeischule »Guido Bank« befand sich in der Beermannstraße, einer kleinen Straße, die rechtwinklig von der Elsenstraße abging. An der Ecke stand das vierstöckige Haus aus den Siebzigerjahren. Es war ein Plattenbau mit breiter Eingangsfront, an deren beiden Sei-ten einst Denkmäler des Namenpatrons gestanden hatten. Sie waren im Zuge der Maueröffnung abgebaut worden,

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die Polizeischule aber war geblieben. Polizeianwärter Kevin Hilbig kam die Stufen herunter, und sein Freund, der ihn am Zaun des Grundstücks erwartete, wurde ganz stolz, als er Kevin, der die meisten seiner Mitschüler um mindestens einen halben Kopf überragte, in der neuen Uniform sah. Björn winkte ihm zu, Kevin nickte und kam lachend herun-ter. Er schwenkte die Mappe mit den Prüfungsergebnissen und rief schon von weitem, dass er es geschafft hatte. Er hatte die Theorie bestanden, nicht mit Pauken und Trompeten, aber geschafft war geschafft. Er zeigte die Mappe seinem Freund, der ihn umarmte und anlächelte. Sie küssten sich, inmitten der anderen Paare, die am Zaun standen. Die meisten Mäd-chen hatten Blumen mitgebracht, die sie ihren Freunden gaben, die damit so recht nichts anfangen konnten. Björn aber holte zwei kleine Flaschen Sekt hervor und gab eine davon seinem Freund. Kevin öffnete sie, und wenig später stießen sie an diesem ersten warmen Tag des Jahres an. Es war Anfang April, die Temperatur war aber schon am Vormittag auf acht-zehn Grad gestiegen. Es ging auf Mittag zu, sie hatten wenig gefrühstückt, und schnell stieg ihnen der Sekt in den Kopf. Arm in Arm schlenderten sie zur Hauptstraße und Kevin erzählte Björn ausführlich, wie die Zeremonie abgelaufen war. Er kam von Detail zu Detail und auf Höhe Puschkinallee musste der Architekturstudent ihn unterbrechen. »Wunder-bar! Jetzt bist du schon fast ein richtiger Polizist! – Die Praxis schaffst du auch noch. In der Praxis bist du ja immer gut.«

Sie lachten, und eigentlich hatten sie vor, die Elsenstraße weiter zur S-Bahnstation zu gehen, doch mitten auf der Kreuzung zog Kevin seinen Freund plötzlich nach rechts in die Puschkinallee, die in den Treptower Park führte. Das

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Ehrenmal ließen sie rechts liegen, sie steuerten direkt auf die schmale Holzbrücke zu, die auf die Insel der Jugend führte. Als sie endlich eine freie Bank gefunden hatten, sahen sie direkt aufs Gasthaus »Zenner«. Nicht nur der Biergarten war geöffnet, auch auf der Terrasse standen Plastiktische und Stühle. Viele waren noch unbesetzt.

»Wenn die Sache mit Pawel vor einem Monat nicht gewe-sen wäre, dann könnte ich noch im April volles Geld ver-dienen. Aber so muss ich zwei Wochen Strafversetzung in Wismar abreißen. Komische Strafe, oder?«, fragte Kevin und sah seinen Freund traurig an. »Zwei Wochen getrennt von dir!«

»Das schaffen wir auch noch. Da in Wismar schiebst du eine ruhige Kugel, dann machst du hier die praktische Prü-fung und bringst eben ab Mai das Beamtengehalt immer schön nach Hause! – Was ist schon ein Monat? Erst einmal hast du zwei Wochen an der Ostsee, du Glücklicher! Vergiss das nicht. Denk nur: Es hätte auch tiefster Thüringer Wald sein können.«

»Ja, ja, an der Ostsee: aber im April! Was soll im April an der Ostsee los sein? Die Kollegen dort werden mich aus Lange weile ganz schön triezen, das kannst du glauben.«

»Hast du Angst? Ich wusste gar nicht, dass du Angst vor Veränderungen hast.«

»Ach, so ein Umzug, das ist doch immer ein Stress zu Anfang. Und wenn ich mich an die neue Umgebung gewöhnt habe, dann kann ich schon wieder abfahren. Ich meine, hier in Berlin, hier ist es ja nicht schlimm. Ob nun hier oder da, es bleibt doch immer Berlin.«

»Na ja, du fährst erst Donnerstag. Heute ist Dienstag! Jetzt feiern wir erst einmal deinen Sieg über die graue

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Theorie «, sagte Björn. »Sei doch froh, dass du die Sache mit Pawel durchgezogen hast. Jetzt kennt man dich über-all in Deutschland: der Polizeiazubi, der eigenmächtig mit einem Privatdetektiv den schlimmsten Frauenmörder Euro-pas dingfest gemacht hat! – Ein wenig mussten sie dich ja bestrafen, Alleingänge sind für Beamte doch so gut wie ver-boten, aber ich wette, du wirst nach Wismar sofort befördert werden. – Die sind hier doch alle stolz, so einen smarten Typ wie dich zu haben.«

»Das wäre nicht schlecht«, sagte Kevin und dachte an den Müttermörder Lenz, der in der Haft von anderen Insas-sen getötet worden war. Zusammen mit Pawel hatte er ihn gestellt, er, Polizeianwärter Hilbig, unter Missachtung eini-ger Dienstvorschriften; einiger alberner Dienstvorschriften. Kevin lächelte, ehe er sagte: »Vielleicht rufe ich den alten See-mann mal wieder an, Wismar und Rostock, das ist doch nicht so weit auseinander.«

»Mach das, mein Hase. Leider muss ich ja hierbleiben und das Schwimmhallenprojekt fertigmachen. Das nervt mich! Immer soll alles anders sein, aber was kann man an einer Schwimmhalle schon groß anders machen? Keine Ahnung.«

»Mach doch eine ohne Umkleidekabinen, das wäre lustig«, sagte Kevin und zeigte aufs »Zenner«. »Lass uns da rübergehen und was essen.«

Björn nickte, sie gaben die Bank für ein anderes Pärchen frei, und als sie auf die Terrasse des legendären Überbleibsels der einstmals über sechzig Ausflugslokale der Region kamen, fanden sie gerade noch einen freien Tisch. Aber auch von ihm aus hatte man einen Blick aufs Wasser und über die Insel der Jugend, auf der es immer voller wurde. Schon hörte man ein

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Wirrwarr von Musikklängen, das vom Wasser noch verstärkt wurde. Björn und Kevin störte das nicht. Auch gewöhnten sie sich an die Blicke, die Kevins Uniform auf sich zog, denn es waren die Blicke von Großstädtern: Schnell mal gemustert und schnell wieder vergessen, nichts, was es nicht gibt.

»Die Sonne sticht nicht durch die Wolkendecke, sie säbelt sie auseinander und knüllt sie zusammen.« Kevin lachte, als sein Freund ihm die Wetteränderung so erklärte. Sie streckten die Gesichter der Sonne entgegen und bestellten Milchkaffee mit extra Schokostreusel. Und Weißweinschorle.

»Ach, was für ein Stress das war!«, sagte Kevin mit geschlossenen Augen. »Paragraphen, Paragraphen, Vorschrif-ten, Vorschriften, Anordnungen, Anordnungen, und die Leute denken immer, Bullen wären dumm! Dabei sind Poli-zisten gebildeter als so mancher Idiot. Wie viele Schreibfehler ich schon auf Plakaten gesehen habe. Wir haben intern eine Sammlung von Fotos der schlimmsten Fehler. Die Antifa liegt mit den Neonazis gleichauf, sollte man nicht glau-ben. – Na ja, so muss es ja wohl auch sein, aber was ich mir alles in den Kopf gepaukt habe, ich will gar nicht mehr dran denken!«

»Dann denk doch nicht dran! Vorbei! – Ich hab übrigens gemerkt, wie du gestern Nacht aus dem Bett gestiegen und nicht mehr wiedergekommen bist. Du hast die ganze Nacht nicht geschlafen, stimmt’s?«

»Ja, vor Aufregung. Ich hätte die Prüfungsergebnisse wohl auch im Internet einsehen können, aber das hab ich mich nicht getraut. Ich wollte schon herkommen – mit dir.«

»Mit mir«, wiederholte Björn, ohne die Augen zu öffnen. »Das hast du schön gesagt.«

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Sie waren beide dreiundzwanzig Jahre alt und seit vier Monaten ein Paar. Noch hatten sie zwei Wohnungen in Trep-tow und in Schöneberg, und ihre erste gemeinsame Reise hatte sie nach Rostock geführt, wo sie Pawel vor zehn Tagen besucht hatten, nachdem Lenz sicher im Gefängnis war. Sie hatten Pawel gedrängt, über seinen Schatten zu springen, der Ehefrau zu verzeihen und sich wieder um seine Söhne zu kümmern, nichts war wichtiger, und für sie hatte das ganz einfach geklungen. Jetzt fragte Björn sich aber, ob der kauzige Detektiv dem Rat gefolgt war. Er sah seinen Freund fragend an. »Meinst du, Pawel ist wieder mit seiner Ehefrau zusam-men? Ich habe gehört, je älter einer wird, umso komischer wird er auch.«

»Komik war der Sex des Alters, bevor es Viagra gab«, meinte Kevin. Er bestellte noch zwei Gläser Schorle und sagte: »Zur Feier des Tages.«

»Zur Feier des Tages müssten wir eigentlich Berliner Weiße trinken. Du mit Waldmeister, ich mit Himbeere«, sagte Björn. »Aber wir sind ja keine Touristen.«

So oft wie er jetzt schon hier gewesen war, fühlte sich Björn fast schon als Treptower. Der Kiez war im Aufbruch, aber auch sein Kiez in Schöneberg war ihm Heimat. Kevin hatte hier in der Brockenstraße eine kleine Zweiraumwohnung mit Balkon, die sehr gemütlich war. Vor allem war es hier ruhig, nichts im Vergleich zu Schöneberg, aber andersrum, was soll-ten sie denn mit Ruhe? Sie waren Anfang zwanzig!

Björn wusste, dass die Lage das einzig wirkliche Argument für seine Wohnung war, wenn sie zusammenziehen würden, vielleicht würden sie sich aber auch eine ganz neue Wohnung suchen. Bloß wo?

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Mein Gott, dachte er, ich denk schon ans Zusammenziehen!Er lächelte und schüttelte nur den Kopf, als Kevin ihn nach

dem Grund fragte.Das Gasthaus »Zenner« war selbst für Berliner Verhältnisse

groß, hatte es doch knapp zweitausend Plätze in mehreren Abteilungen. Allein tausendfünfhundert befanden sich im Freien. Es war ein Gartenlokal, das selbst Westberliner in den Osten lockte, die aber nicht über Neukölln fuhren.

Kevin brauchte fast eine halbe Stunde, ehe er vom Pinkeln wieder zurück am Tisch war. Unterwegs hatte er noch eine Runde Schorle bestellt, ihm war nach Frühling und Feiern, und ja, es war ja auch schon Frühling. In Berlin und überall in Deutschland. Mit Ausnahme der Ostseeküste.

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ie Entlarvung eines bundesweit gesuchten Frauenmörders hat Pawel Höchst, dem Rostocker Privatdetektiv mit russischen

Wurzeln, viel Ruhm beschert – doch leider keine Aufträge. Deshalb zögert der bärbeißige Ex-Seemann auch keine Sekunde, als ihn die Rostocker Kripo gegen ein Erfolgshonorar als Berater engagieren will.

Eine Dame aus der besten Schweriner Gesellschaft ist in einem Rostocker Luxushotel ermordet aufgefunden worden – eine Dame, die bestens mit Politik und Wirtschaft in der Landeshauptstadt vernetzt war und womöglich auch mit der Schweriner Polizei.

Deshalb soll Pawel erst einmal ganz diskret die Hintergründe unter-suchen, nicht dass da am Ende ein Skandal droht. Klingt logisch. Klingt das wirklich logisch? Und wieso stößt Pawel dauernd auf einen Schweriner Privatschnüffl er, der das Opfer angeblich schon seit Wochen überwacht? Ohne die Hilfe von Polizeianwärter Kevin kommt Pawel nicht voran, weder am Schweriner See noch am Warnowufer.

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