PM Magazin Mai 2014

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    ui/2014 PU. 29

  • TEXT: EDITH LIJSCHMANN

    anche kn-nen nicht ohne ihn, fr andere ist er eineQual, nur machen sollte ihn eigentlich je-der: Sport. Denn wenn das Herz klopft,die Muskeln brennen und der Atem nurmehr ein Keuchen ist, wenn der Kopfvollkommene Erschpfung signalisiertund man trotzdem weiterluft, dann istdas fr den Krper wie Teihnachten.

    Mit jedem Schritt wird der Kreislaulberschwemmt von kleinen, potentenBotenstoffen. Diese krpereigenen Do-pingmittel wandern in Leber, Knochenoder Gehirn und treiben die faulen Zel-len an, der Gesundheit zuliebe.

    Beeindruckt? Dann blo nicht stehenbleiben! Denn diese Allesknner kom-men nicht aus dem Gehirn oder denHormondrsen, sondern aus denMuskeln selbst

    - vorausgesetzt,

    diese arbeiten.Dass Muskeln berhaupt

    von sich aus Signale aussen-den, konnte man sich nochvor r5 Jahren kaum vorstel-len. ,,Die Muskeln waren bisvor kurzem ein vllig uner-forschtes Organ", besttigt IngoFrobse, Leiter des Zentrums furGesundheit durch Sport und Bewegungder Deutschen Sporthochschule Kln.,,Aber es tut sich etwas! Langsam erken-nen wir, wie viele Ablufe von den Mus-keln beeinflusst werden."

    Lange Jahre sah man in den Skelett-muskeln bloe Mechanik. Sie dienten da-zu, unsere Arm- und Beinknochen zu be-wegen, mehr als Nervensignale in Kon-traktion umzusetzen, traute man ihnennicht zu. Doch heute wei man: Die Mus-keln sind keine bloen Befehlsempfnger.Sie knnen mit anderen Organen kom-munizieren und so den ganzen Organis-mus beeinflussen.

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  • Datenautobahn:ber die Muskel-fasern werdenInformationen imganzen Organismusverteilt

    Schuld an dem neuen VIP-Status desMuskelapparats ist die dnische Medizi-nerin Bente Klarlund Pedersen vomReichshospital in Kopenhagen. Sie hatvor fast zehn Jahren eine entscheidendeEntdeckung gemacht: Indem sie einerTestperson vor und nach SportbungenBlut abnahm, konnte sie nachweisen,dass Skelettmuskeln bei leder Bewegungbisher unbekannte Botenstoffe ins Blutabgeben. Die Antriebsmaschine des Kr-pers wurde damit quasi ber Nacht zu ei-nem der wichtigsten Stoffwechselorganedes Menschen.

    Pedersen taufte diese Molekle ,,Myo-kine", was in etwa ,,von Muskeln produ-zierte Signalstoffe" heit. Bis heute arbei-tet sie daran, mehr ber die vielseitigenStoffe herauszufinden.

    Ihnen allen gemeinsam sind nur ihrUrsprung in den Muskeln und die

    Ttsache, dass sie erst bei kr-perlicher Anstrengung in

    nennenswerten Mengenproduziert werden. Dochdie Frage, wie die einzel-nen Myokine genau ar-beiten, ist noch langenicht beantwortet.

    ,,7ir wissen nichti einmal genau, wie viele

    verschiedene Produktedie Muskeln produzieren

    " knnen", erklrt die dni-sche Arztin. ,,Unser Institut

    hat etwas mehr als 6oo Myo-kine entdeckt, manche Grup-

    pen behaupten, es seien 8oo. Ab-schlieend sagen kann das aber noch

    keiner."'as man aber sagen kann, ist: Sie ma-

    chen gesund! Oder besser: Sie bieten end-lich eine Erklrung dafr, warum Sport

    gesund macht und zumindest ein Mini-mum an Bewegung fr den Menschen le-benswichtig ist. Denn dass trainierteMenschen gesnder sind, zeigen zahlrei-che Studien. Schon wer sich halbwegs fithlt, hat ein geringeres Schlaganfall- oderHerzinfarktrisiko, leidet seltener an Dia-betes, und sogar Alzheimer scheint beiSportlern weniger hufig aufzurreten.

    Nur warum das so ist, das konnte bis-her keiner so genau beanfworten. ,,Heu-te wissen wir, dass die Myokine bei die-sen Vorgngen eine Rolle spielen", erklrtder Sportwissenschaftler Frobse.,,Unddas besttigt natrlich den positiven Ef-fekt krperlicher Aktivitt, den wir im-mer predigen."

    Schon in den vielen Myokinen, welchedie Muskelzellen nie verlassen, steckt ge-waltiges Potenzial. Sie sind dafr verant-wortlich, dass Muskeln durch regelmi-ges Training anwachsen, sich nach Verlet-zungen regenerieren und an vernderteAnforderungen anpassen knnen.

    Dazu gehren zum Beispiel Interleu-kin-7, -8 und -r5. Da sie wie natrlicheAnabolika den Muskelaufbau anregen,hoffen Mediziner, sie eines Tges als The-rapeutikum bei Muskelschwunderkran-kungen einsetzen zu knnen.

    Noch einflussreicher ist allerdings derTeil der Myokine, der ber das Blut in an-dere Bereiche und zu anderen Organenwandert und dort zum Beispiel den Fett-stoffwechsel anregt. Frher diente Fett-gewebe ia dazu, Reserven fr schlechtere

    Muskeltraining hilft gleich doppeltgegen Bierbauch und Speckringe

    Zeitenzulagern. Aber da Hungersnte inunserer Konsumgesellschaft selten gewor-den sind, machen diese Zellen sich heutevor allem als ungeliebte Speckringe undBierbauch bemerkbar.

    Nun versuchen die Menschen schonsehr lange, ihren Pfunden mit Sport zuLeibe zu rcken. Doch erst seit der Erfbr-schung der Myokinewe man, dass Mus-keltraining auf dem Weg zum'Tunschge-wicht gleich doppelt hilfe Zum einen, weildie Muskeln natrlich Kalorien verbrau-chen. Und zum Zweiten, weil sie whrend

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  • der Kontraktion Interleukin-6 (IL-6) aus-schtten. Dieser Signalstoff ist der Proto-typ aller Myokine und bernimmt unteranderem die Rolle eines Abnehmcoachs.Sein Auftrag an Muskel- und Fettzellen:Ankommende Feffsuren aus der Nah-rung nicht speichern, sondern abbauen!Die gewonnene Energie dient demAntriebder Muskeln. Folge Ungesunde Ferde-pots schwinden.

    ,,Abnehmen ohne Muskeln geht ein-fach nichto', bringl es Frobse auf denPunkt. ,,'ir brauchen aktive Muskeln,um die Kalorien, die wir zu uns nehmen,auch zu verbrennen." Klar, auch wer we-niger isst, greift irgendwann seine Reser-ven an und verliert an Feftmasse. Docherst der Einfluss der Myokine auf die Fett-zellen treibt die Verbrennung richtig an

    -

    Vielleicht gibt es bald eine effektiveTherapie gegen bergewicht

    sowohl in den Fett- wie in den Muskelzel-len. Das zeigt eine Studie mit Labormu-sen. Die Tiere, denen das Gen fr IL-aentferntworden war, wurden mit demAl-ter alle bergewichtig und entwickelteneine Glukose-Intoleranz.

    lL-6hat nmlich noch eine zweite F-higkeit. Der Teil, der im Skelettmuskelbleibt, sorgt dafr, dass der Muskel nichtnur mehr Fett verbrennt, sondern auchmehr Glukose aus dem Blut aufnimmt.Normalerweise ist das Aufgabe des Hor-

    Gehtn

    Fettgewebe

    mons Insulin, das immer dann ausge-schttet wird, wenn dem Krper Zuckerzugefhrt wird. Doch manchmal funkti-oniert diese Regelung nicht mehr richtig.

    IL-6 ist nun in derLage, dieZellen wie-der empfnglicher fr Insulin zu machen.Gleichzeitig hat der Signalstoff aber auchEinfluss auf die Leber und die Bauchspei-cheldrse, die fr die Produktion des Hor-mons verantwortlich ist. So steuert derMuskelbote das Zusammenspiel der Or-gane und halt den Blutzuckerspiegel imGleichgewicht.

    Seit einiger Zeit bekommt das alt-bewhrte IL-6 Konkurrenz von einer vielversprechenden Entde-ckung. ,,kisin ist eines derneuesten und interessantes-ten Myokine, mit denenwir arbeiten", erzhlt Pe-dersen. ,,Es hat nmlichzustzlich einen nachweis-baren brunenden Effekt

    Wetche Myokine was knnen:lnterleukin-6 steigert den Fettstoffwechsel, macht die Zellen empfnglicher fr lnsulin und wirkt sobergewicht und Diabetes entgegen, Auch Bauchspeicheldrse und Leber arbeiten unter Einfluss desMyokins besser. Gleichzeitig hat lL-6 eine stark anti-entzndliche Wirkung.lnterleukine-4, -7 und -8 frdern das Muskelwachstum und die Regeneration der Muskelzellen.Myostatin lsst Muskeln strker wachsen und sorgt fr einen Abbau ungesunden Fettgewebes.IGF-I und FGF-2 regen die Neubildung von Knochen an und verbessern deren Stabilitt und Dichte.lrisin wkkt positiv auf den Gesamtenergieverbrauch des Krpers und treibt ebenfalls den Fettstoff-wechsel an. Zudem verwandelt lrisin fettspeichernde weie Fettzellen in braune, fettverbrennende.BNDF erhht die Fettverbrennung in Muskelzellen und verbessert deren Regenentionsfhigkeit.Vermutlich hat es auch einen schtzenden und aktivierenden Einfluss auf Nervenfasern.

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  • auf Fettzeilen." 'as nach Solarium undSommerurlaub klingt, ist in Wirklichkeitder Traum jedes Abnehmwilligen. Denn,,braune Fettzellen" produzieren Wrmeund verbrauchen so Energie, anstatt siezu speichern. Jeder Organismus verfgtber solche Ze1len, allerdings berwiegtdie ungesunde weie Art deutlich. Knn-te man jedoch weies Fettgewebe dazubringen, sich wie braunes zu verhalren,wre das eine unschlagbare Therapie ge-gen bergewicht.

    Sport ist also tatschlich eine wirkungs-volle Medizin. Aber noch besser alsKrankheiten behandeln zuknnen, ist es natrlich,sie von vornhereinzv verhindern.Auch dabei spie-len die Myokineeine wichtigeRolle, nmlichals enger Partnerunseres Immun-systems. Ein Teildieser muskulrenAbwehrtruppe ist dasvielseitig begabte IL-6.Es wird bei Verletzungen undEntzndungen gewhnlich zuerst ausge-schttet und ist dann in der Lage, sich Ver-strkung zu holen. indem es weirere soge-nannte anti-inflammatorische Zltokine

    Hoff nung bei Arterienverkalkungund Alzheimer

    aktiviert. Aber vor allem ist IL-6 der Ge-genspieler des Tmor-Nekrose-Faktors(TNF).

    Dieser Stoff ist an fast allen Entzndun-gen beteiligt und wird zum Beispiel vontiefsitzendem Bauchfett produziert. Die-ses Fett liegt zwischen den Organen, woes aber nicht hingehrt. Dadurch entstehtein chronischer Entzlindungsherd, derstndig TNF produziert. Je mehr von demStoff in den Krper gelangt, desto schlech-ter reagieren erwa die Krperzellen auf In-sulin, was zum metabolischen Syndromund Diabetes fhrt. Auch Arterienverkal-kung und neurodegenerative Krankheitenwie Alzheimer knnen eine Folge sein.

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  • Das 11-6 aber unterdrckt die TNF-Pro-duktion, lindert dadurch die Entzndungund verringert die Gefahr von Folge-krankheiten.

    Darunter fallen sogar viele Krebsar-ten) zum Beispiel Brust- oder Darmkrebs.Denn auch bsartige Tumore werdenhufig durch ger:ingfgige innere Enrzn-dungen verursacht. Frhere Experimen-te zeigten, dass Brustkrebszellen, die imLabor mit Blutserum mit Myokinen be-l-randelt wurden, aufhrten, sich zu ver-mehren und schlielich abstarben. Lei-der ist diese Wirkung im lebenden Kr-per nicht ganz so ausgeprgt, doch derpositive Effekt von Sport bei IGebser-krankungelr ist unbestritten.

    Regelmige Qualen im Fitnessstudiobringen uns aiso nicht nur dem 'Iraum-krper nher, sondern knnten im Alterunsere l-ebensversicherung bei Krebs,Herzinfarkten oder Demenz sein. Aber istes wirklich so einfach? Ein paar Sit-upsund schon strmen geheime Signalstoffeals wahres Wundermirtel durch unseren

    Krper?Im Grundeschon, glaubt zu-rrindest die Spezialistin Pedersen. ,,'Wirwissen mit Sicherheit, dass Myokine auchmit der Leber interagieren, die Blutgef-e vor Verschlssen beschtzen und anti-

    Warum nicht einfach Myokine inTablettenform verkaufen?

    entzndiiche Effekte haben", zhlt sie auf.Aber im Gegensatz zu einem klassischenMedikament ist der Gesundheitscocktailaus den Muskelzellen schrver zu dosieren.Das Rezept, auf dem 5o Liegesctzen ge-gen Bluthochdruck verschrieben werden,gehrr ins Reich der Trume.

    Der Tiaum der Pharmaindustrie ist ver-mutlich ohnehin ein anderer: '(l'arumnoch schwitzen und sich anstrengen,wenn es nur auf die ausgeschtteten Bo-tenstoffe ankommt? ''arum also nichteinfach Myokine in Tablemenform ver-kaufen?

    ,,Theor:etisch knnten Myokine alsMedikament verwendet werden, aber ichglaube nicht, dass es bald so weit ist",dampft Internistin Pedersen die Begeiste-rung ber derartige Gedankenspiele. Da-zu sei das Myokin-K