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Policy-Diversität im deutschen Föderalismus
MANFRED G. SCHMIDT
23.10.2015
50283
ABSTRACT
In diesem Beitrag wird anhand von Befunden des Vergleichs der Policies in den
deutschen Bundesländern geprüft, inwieweit das Narrativ der „policy-diversity“ den
deutschen Föderalismus insbesondere seit der Wiedervereinigung des geteilten
Deutschland zutreffend charakterisiert. Der erste Teil des Essays präsentiert Befunde
zugunsten der These, dass die Politikvielfalt („policy diversity“) in den Ländern der
Bundesrepublik keine zu vernachlässigende Größe ist (Teil 1). Längsschnittanalysen
deuten zudem auf zunehmende Politikvielfalt hin (Teil 2). Manche Indikatoren
zeigen allerdings Politikkonvergenz an, also abnehmende Politikvielfalt (Teil 3).
Insgesamt sind aber die Unterschiede zwischen den deutschen Ländern auch im
internationalen Vergleich beachtlich – wie auch ein kursorischer Vergleich mit den
Schweizer Kantonen, den US-amerikanischen Bundesstaaten und Österreichs
Bundesländern lehrt (Teil 4). Die Ursachen der Politikvielfalt und ihrer Grenzen
bedürfen allerdings noch der genaueren Klärung. Vier robuste Erklärungsfaktoren
werden abschließend diskutiert (Teil 5): die parteipolitische Zusammensetzung der
Länderregierungen, die die Politikvielfalt wahrscheinlicher macht, jedoch im
Wettbewerb zweier großer Sozialstaatsparteien ihre obere Grenze findet, die
Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Europäischer Union, und die
besonderen Finanzierungsbedingungen der Länderpolitik, die den
Gestaltungsspielraum der Länderregierungen schmälern und die Chancen für
Politikvielfalt verringern.
EINLEITUNG
Deutschland hat bekanntlich einen Föderalismus der besonderen Art. Er ist ein
„unitarischer Bundesstaat“1, der so viel Gleichwertigkeit bei der politischen
Regulierung und den Lebensverhältnissen sein eigen nennt, dass man meinen
könnte, er sei ein dezentraler Einheitsstaat. Deutschlands ist zudem laut
1 Konrad Hesse, Der unitarische Bundesstaat (Karlsruhe: Müller, 1962).
2
Grundgesetzartikel 20 ein „sozialer Bundesstaat“. Damit ist Deutschland einer jener
seltenen Bundesstaaten, die, im Unterschied zur liberalen Theorie und Praxis des
Föderalismus, mit einem weit ausgebauten Wohlfahrtsstaat koexistieren.2
Deutschland hat zudem mit dem Bundesrat, der Vertretung der Länderexekutive auf
Bundesebene, eine Art zweite Kammer, die von zentraler Bedeutung in der
Gesetzgebung des Bundes ist: Verfassungsänderungen setzen die
Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat voraus, zustimmungspflichtige
Gesetze erfordern die Zustimmung der Mehrheit der Bundesratsstimmen und
sogenannte Einspruchsgesetze, bei denen die Zustimmung des Bundesrates nicht
erforderlich ist, können unter bestimmten Bedingungen3 von einer
Zweitdrittelmehrheit im Bundesrat blockiert werden.
Deutschlands Bundesstaat ist auch ein „Parteienbundesstaat“4, in dem der
demokratische Parteienwettbewerb eine sehr große Rolle spielt und in dem die
Parteien sowohl an der politischen Willensbildung maßgeblich beteiligt sind als auch
an der Wahl und der Kontrolle der Regierung. Im Lichte der Lehre vom
„Parteienbundesstaat“ könnte man erwarten, dass Politikvielfalt (im Sinne von
„policy-diversity“) den deutschen Föderalismus kennzeichnet, während die
Strukturen des unitarischen Bundesstaates und die weitausgebaute
Politikverflechtung zwischen den Exekutive von Bund und Ländern die These
begründen könnten, dass die Politikuniformität wichtiger als die Politikvielfalt ist.
Zwischen diesen beiden Polen der Interpretation sind die Beiträge von C. Jeffery, C.
Rowe und E. Turner in dieser Special Issue und frühere Analysen dieser Autoren
angesiedelt – ein Unternehmen, das auf der Basis theorieorientierter und empirischer
Arbeiten das Narrativ der Politikuniformität („narrative of uniformity”) mit dem
alternativen „Narrativ der Politikvielfalt“ („narrative of policy diversity“)
konfrontiert.5 Tatsächlich spricht einiges für das Narrativ der Politikvielfalt – es gibt
aber auch Gegenbewegungen und obere Grenzen für die Politikvielfalt.
Davon wird in den folgenden Abschnitten dieses Beitrags die Rede sein. Sein erster
Teil stützt die These, dass die Politikvielfalt („policy diversity“) in den Ländern der
Bundesrepublik keine zu vernachlässigende Größe ist. Davon zeugen
Querschnittsanalysen der Politik in den Bundesländern vor und nach der
Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands (Teil 1). Längsschnittanalysen deuten
2 Herbert Obinger, Stephan Leibfried and Francis G. Castles, Federalism and the Welfare State. New World
and European Experiences (Cambridge: Cambridge University Press, 2005). 3 Grundgesetz Artikel 77 Absatz IV. 4 Frank Decker, Regieren im "Parteienbundesstaat". Zur Architektur der deutschen Politik (Wiesbaden: VS,
2011); Klaus von Beyme, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung
(Wiesbaden: VS, 2010, 11th ed.), p.373. 5 See, for example, Charlie Jeffery (ed.) Recasting German Federalism. The Legacies of Unification (London
and New York: Pinter, 1999); Ed Turner, Political Parties and Public Policy in the German Länder
(Basingstoke: Palgrave McMillan, 2011).
3
zudem auf zunehmende Politikvielfalt hin (Teil 2). Manche Indikatoren zeigen
allerdings Politikkonvergenz an, also abnehmende Politikvielfalt (Teil 3). Insgesamt
sind aber die Unterschiede zwischen den deutschen Ländern auch im internationalen
Vergleich beachtlich – wie der Vergleich mit den Schweizer Kantonen ebenso lehrt
wie mit den US-amerikanischen und den österreichischen Bundesländern (Teil 4).
Die Ursachen der Politikvielfalt und ihre Grenzen bedürfen allerdings noch der
genaueren Klärung. Vier robuste Erklärungsfaktoren werden abschließend
diskutiert: die parteipolitische Zusammensetzung der Länderregierungen, die die
Politikvielfalt wahrscheinlicher macht, jedoch im Wettbewerb zweier großer
Sozialstaatsparteien ihre obere Grenze findet, sodann die Kompetenzverteilung
zwischen Bund, Ländern und Europäischer Union sowie die besonderen
Finanzierungsbedingungen der Länderpolitik, die den Gestaltungsspielraum der
Länderregierungen schmälern und somit die Chancen für Politikvielfalt verringern.
I. Signifikante Politikvielfalt (Policy-Diversity)
Deutschland ist ein unitarischer Bundesstaat mit hochgradiger „Politikverflechtung“6
zwischen den Exekutiven der Länder und des Bundes, der laut Verfassung
verpflichtet ist, sowohl für interregionale Umverteilung als auch für „Einheitlichkeit
der Lebensverhältnisse“7 zu sorgen, so der bis 1994 geltende Artikel 72 des
Grundgesetzes und bis heute der Artikel 106 III Nr. 3 des Grundgesetzes. 1994 wurde
der Wortlaut des Artikels 72 verändert: An die Stelle der „Einheitlichkeit der
Lebensverhältnisse“ trat nun die Norm der „Herstellung gleichwertiger
Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ als Voraussetzung für bundesgesetzliche
Regelungen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung.
Doch trotz Unitarisierungstrend, Einheitlichkeits- und Gleichwertigkeitsgebot sowie
Politikverflechtung sind die Politikvielfalt sowie die Unterschiede in der
sozioökonomischen Ressourcenausstattung in den Ländern der Bundesrepublik
nicht zu vernachlässigen. Von Diversität zeugen nicht nur die Demographie und die
Wirtschaftskraft der Bundesländer, sondern auch die Politikergebnisse. Vier Befunde
mögen zur Illustration dienen. Erstens: Wohlstandsbedingt und infolge eines
leistungsfähigen Gesundheitswesens ist die Alterung der deutschen Bevölkerung
weit fortgeschritten, ähnlich weit wie in Italien und Japan, aber mit nennenswerten
6 Fritz W. Scharpf, Bernd Reissert and Fritz Schnabel, Politikverflechtung: Theorie und Empirie des
kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik (Kronberg i.Ts.: Scriptor Verlag, 1976).
7 Einheitlichkeit meint nicht komplette Uniformität oder Gleichheit, sondern eine Norm, der zufolge
als Voraussetzung bundesgesetzlicher Interventionen die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse
verlangt wird.
4
Unterschieden nach Bundesländern: In den ostdeutschen Bundesländern ist die
Bevölkerung älter als in den meisten westdeutschen Bundesländern.8
Zweitens: Noch größer sind die Unterschiede in der Wirtschaftskraft. Das Pro-Kopf-
Bruttoinlandsprodukt beispielsweise ist in Deutschland – trotz
Angleichungstendenzen seit 1990 – im Westen des Landes noch erheblich höher als
im Osten. Allerdings bestehen auch erhebliche Unterschiede zwischen den
wirtschaftsstarken süddeutschen Ländern Baden-Württemberg und Bayern sowie
Hessen einerseits und den insgesamt weniger wirtschaftsstarken Nord- und
Westländern andererseits.9 Von großer Bedeutung sind die Unterschiede in der
Wirtschaftskraft auch für die Migrationspolitik. Denn gemäß dem sogenannten
„Königsteiner Schlüssel“ wird der Anteil der Asylbewerber, der von jedem
Bundesland aufgenommen werden muss, nach der Bevölkerungszahl und der Höhe
der Steuereinnahmen jedes Landes ermittelt.
Große Politikunterschiede signalisieren – drittens – die nach Bundesländern
aufgegliederten Leistungen des Sozialstaates. Wie groß und gewichtig die
Sozialleistungen sind, zeigt insbesondere die Größe der Sozialstaatsklientel –
derjenige Teil der Bevölkerung, der seinen Lebensunterhalt mindestens zur Hälfte
aus Sozialeinkommen finanziert. In den neuen Bundesländern ist die
Sozialstaatsklientel besonders groß, gefolgt von den Stadtstaaten, allen voran Berlin.
Im Osten Deutschlands gehören mittlerweile rund 40 Prozent der Bevölkerung zur
Sozialstaatsklientel. In den Stadtstaaten – Berlin, Bremen und Hamburg – sind es
knapp 35 Prozent und in den westlichen Flächenstaaten knapp 29 Prozent.10
Ähnliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland und zwischen Stadt-
und Flächenstaaten zeigen die nach Ländern aufgeschlüsselten Daten für die
Armuts- und die Mindestsicherungsquoten an, also für den Teil der Bevölkerung,
der finanziell zu einem erheblichen Teil von Leistungen der
Mindestsicherungssysteme lebt, wie der Grundsicherung für Arbeitssuchende, dem
Sozialgeld oder der Sozialhilfe und den Sozialleistungen gemäß
Asylbewerberleistungsgesetz.11
Nicht zuletzt weisen alle Daten zur Staatsverschuldung ebenfalls auf eine erhebliche
Politikvielfalt hin. Die Staatsverschuldung pro Kopf beispielsweise ist, nach
Bundesländern gerechnet, am höchsten in Bremen, im Saarland und in Berlin, und
8 Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 25 Jahre Deutsche Einheit (Wiesbaden: Statistisches
Bundesamt, 2015), p.21. 9 Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 25 Jahre Deutsche Einheit, p. 35. 10 Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 25 Jahre Deutsche Einheit (Wiesbaden: Statistisches
Bundesamt, 2015), p.68. 11 Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 25 Jahre Deutsche Einheit, p. 68, 73, 77, 114;
Statistisches Bundesamt (ed.), Statistisches Jahrbuch 2014. Deutschland und Internationales (Wiesbaden:
Statistisches Bundesamt, 2014), Tab. 8.4.1.
5
am geringsten in Bayern – und in den östlichen Bundesländern in der Regel von
mittlerer Höhe.12
II. Zunehmende Diversität bei den sozioökonomischen Rahmenbedingungen
und den Policies der Bundesländer
Mit der Wiedervereinigung des geteilten Deutschland sind fünf neue ostdeutsche
Bundesländer zu den westdeutschen Ländern hinzugekommen. Alle neuen
Bundesländer waren finanz- und wirtschaftsschwach und sind es – wenngleich
abgeschwächt – auch heute noch. Das war folgenreich: Nie zuvor war die
Spannweite zwischen wirtschaftskräftigen und wirtschaftsschwachen Regionen im
Bundesgebiet so groß wie 1990 und den folgenden Jahren. Ein politisch besonders
brisanter Anzeiger der ökonomischen Kluft zwischen Ost und West ist die
Arbeitslosenquote: Sie lag und liegt im Osten Deutschlands, das zu DDR-Zeiten von
Vollbeschäftigung nahezu aller erwerbssuchender Männer und Frauen
gekennzeichnet war, weit über der Arbeitslosenquote im Westen Deutschlands.
Noch wichtiger sind die Ost-West-Unterschiede der Wirtschafts- und der Finanzkraft
für die politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse im Bund und in den
Ländern. Durch den Beitritt der fünf ostdeutschen Bundesländer zur Bundesrepublik
Deutschland stieg die Zahl der Länder, die im horizontalen Finanzausgleich
ausgleichsberechtigt sind, von zuvor 6 bis 7 auf nunmehr 11, 12 und in manchen
Jahren auf 13. Mehr noch: Hierdurch wurden die Zahler im Länderfinanzausgleich,
die sogenannten ausgleichspflichtigen Länder – Bayern, Baden-Württemberg und
Hessen sowie in manchen Jahren Nordrhein-Westfalen und Hamburg – zur
Minderheit, und die Empfänger der Ausgleichszahlungen zur Mehrheit. Die
Spaltung zwischen der Majorität der finanz- und wirtschaftsschwachen
Bundesländer und der Minderheit der finanz- und wirtschaftsstarken Gliedstaaten
erschwerte nicht nur die Kompromisssuche im Bundesrat, sie verringerte auch die
Chance einer Föderalismusreform zugunsten eines dualen, kompetitiven
Föderalismus.
Dennoch blieb in der Politik im vereinten Deutschland Spielraum für die eine oder
andere Verfassungsänderung. Davon zeugt auch die 1994 verabschiedete Reform der
konkurrierenden Gesetzgebung nach Artikel 72 des Grundgesetzes. Bis 1994 hatte
dieser Grundgesetzartikel eine bundesgesetzliche Regelung im Rahmen der
konkurrierenden Gesetzgebung unter anderem an die Norm der „Wahrung der
Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der
Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus“ gebunden. Dieses
Erfordernis erwies sich faktisch allerdings als das Einfallstor, durch das der Bund in
12 Uwe Wagschal, Ole Wintermann und Petersen Thieß, Konsolidierungsstrategien der Bundesländer
(Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, 2009), p.39.
6
Domänen vordrang, die zuvor den Ländern zustanden. Die Formel der
„Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ wurde 1994 ersetzt durch die Norm der
„Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ als ein
Erfordernis, das eine bundesgesetzliche Regelung legitimiert, sofern diese „im
gesamtstaatlichen Interesse“ ist (GG Art. 72 II neue Fassung).
Die Föderalismusreform I von 2006 ergänzte dieser Regelung durch eine neue
Verteilung der Kompetenzen von Bund und Ländern. Zu dieser Reform gehört der
Transfer einiger Gesetzgebungsgegenstände von der konkurrierenden Gesetzgebung
in die ausschließliche Gesetzgebung der Länder, beispielsweise der Strafvollzug und
die Besoldung und Versorgung der Beamten und Richter in den Bundesländern. Das
ermöglichte den Ländern nicht nur Spielraum beim Strafvollzug, wie der Beitrag von
Rowe und Turner in diesem Band zeigt, sondern auch für eine eigenständige Lohn-
und Pensionspolitik gegenüber ihren Beamten. Diese Chance wurde durchaus rege
genutzt. Ein Beispiel: Bei der Besoldung der Universitätsprofessoren beläuft sich in
der höchsten Besoldungsgruppe („W 3“) die Differenz zwischen dem höchsten
Bruttogrundgehalt (Baden-Württemberg) und dem niedrigsten Bruttogrundgehalt
(Hessen) mittlerweile auf 873 Euro monatlich, was immerhin 14 Prozent des
Maximums entspricht.13 Ähnliche Differenzen kennzeichnen die Besoldung von
Beamten im höheren und mittleren öffentlichen Dienst.14
Auf zunehmende Politikvielfalt weisen auch andere Indikatoren des Policy Output-
und Outcome hin. Die Länder, so verdeutlichen allein die in diesem Heft
publizierten Analysen, nutzen in der Tat das seit 1990 größer gewordene „potential
for policy outputs to diverge from one Land to another”15. Dabei kamen, so zeigen
beispielsweise vergleichende Analysen der Bildungspolitik in den Bundesländern,
mitunter überraschende Politikdifferenzen zustande: Bei der Finanzierung des
Bildungswesens lagen bis Ende der 1990 Jahre nicht die wohlhabenden
westdeutschen Ländern an der Spitze, sondern ein ostdeutsches Bundesland:
Thüringen – und zwar bei den Pro-Kopf-Bildungsausgaben ebenso wie beim Anteil
der Bildungsausgaben am Sozialprodukt.16
Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung hingegen haben die
westdeutschen Länder bis auf den heutigen Tag einen deutlichen Vorsprung vor den
13 Berechnungsbasis: W-Besoldung. Ranking nach Abschluss der W-Reform, Forschung & Lehre 22/ 5
(2015), p. 384. Fast um die Hälfte höher lag die Spannweite vor dem Abschluss der vom Karlsruher
Verfassungsgericht angemahnten Reform der Professoren-Besoldung, vgl. Deutscher
Hochschulverband, Besoldung in der Wissenschaft 2015. Besoldungstabelle W-Besoldung mit Stand: Januar
2015, p.1. 14 N.N., Die Höhe der Beamtenbesoldung in den Ländern, unveröffentlichtes Manuskript, 2015. 15 Introduction to the Special Issue, p. 1 (Manuskript) 16 Frieder Wolf, Die Bildungsausgaben der Bundesländer im Vergleich: Welche Faktoren erklären ihre
beträchtliche Variation? (Berlin: LIT, 2006), p. 143, 147; Statistische Ämter des Bundes und der Länder,
25 Jahre Deutsche Einheit, p.50.
7
ostdeutschen Ländern – allerdings mit einem weiteren Unterschied: In den
ostdeutschen Flächenländern wird Forschung und Entwicklung „zu einem großen
Teil durch die öffentlichen Haushalte finanziert, in den westdeutschen
Flächenländern hingegen überwiegend durch die Wirtschaft“17.
Noch größer wurden nach 1990 die sozialpolitischen Unterschiede zwischen den
Bundesländern. Davon zeugt beispielsweise die Größe der jeweiligen
Sozialstaatsklientel – sie wuchs in den ostdeutschen Bundesländern infolge der
höheren Arbeitslosigkeit und der weiter vorangeschrittenen Alterung rascher als in
den westdeutschen Ländern. Von zunehmenden sozialpolitischen Unterschieden legt
auch die Spannweite bei der Armutsgefährdung Zeugnis ab. Gemessen an der
jeweiligen Armutsgefährdungsquote18 ist der Unterschied zwischen dem Bundesland
mit der höchsten Armutsrisiko – Bremen mit knapp 25 Prozent – und dem Land mit
der niedrigsten Armutsgefährdung – Bayern mit knapp 12 Prozent – noch größer als
bei der Erstmessung von 2005.19
III. Gegenbewegungen: abnehmende Politikvielfalt in den Ländern der
Bundesrepublik Deutschland
In den Analysen über den deutschen Föderalismus und seine Kapazität zum policy-
making hat die These vom „politischen Immobilismus“20 Anklang gefunden. Ihre
politiktheoretische Fundierung bekam die Immobilismus-Lehre durch die Theorie
der „Politikverflechtung“21. Die Immobilismus-Diagnose ist allerdings nicht
unumstritten. Und dass die Politikverflechtung unter bestimmten Bedingungen auch
größere Politikänderungen ermöglicht, hat nicht zuletzt die Analyse der
„Politikverflechtung im vereinigten Deutschland“22 gezeigt. Zuvor schon hatte die
Lehre vom dynamischen Föderalismus23 auf die Wandlungsfähigkeit des deutschen
Föderalismus aufmerksam gemacht. Die im vorangehenden Abschnitt erörterte
Zunahme der Politikvielfalt im deutschen Föderalismus seit der Wiedervereinigung
stützt sowohl die These vom dynamischen Föderalismus als auch die Auffassung,
17 Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 25 Jahre Deutsche Einheit, p.50. 18 Gemessen am Anteil der Personen, deren Äquivalenzeinkommen weniger als 60 Prozent des
Medians der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung in Privathaushalten beträgt. Das
Äquivalenzeinkommen ist ein Indikator des bedarfsgewichteten Pro-Kopf-Einkommens je
Haushaltsmitglied, der auf der Basis des Haushaltsnettoeinkommens berechnet wird. 19 Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 25 Jahre Deutsche Einheit, p.73. 20 Fritz W. Scharpf, Politischer Immobilismus und ökonomische Krise. Aufsätze zu den politischen
Restriktionen der Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik (Kronberg, Ts.: Athenäum, 1977). 21 Scharpf, Reissert, Schnabel, Politikverflechtung. 22 Ute Wachendorfer-Schmidt, Politikverflechtung im vereinigten Deutschland (Wiesbaden: VS, 2005,
2nd ed.) 23 Arthur Benz, Föderalismus als dynamisches System. Zentralisierung und Dezentralisierung im föderativen
Staat (Opladen: Leske + Budrich, 1985).
8
dass die Politik in Deutschland beweglicher ist, als es die Theorie der
Politikverflechtung und ihre Weiterentwicklung zur Theorie der
„Politikverflechtungs-Falle“24 nahelegt.
Zunehmende Politikvielfalt ist ein Unterfall von Wandel. Doch Wandel kann
Unterschiedliches bedeuten. Wandel kann im Sinne eines abrupten Trendbruchs
verstanden werden, der sowohl die Veränderungsrichtung tiefgreifend verändert als
auch das Niveau eines Bestandes. Für einen tiefgreifenden Wandel kann aber auch
eine Serie inkrementeller Änderungen, die einen „transformativen Wandel“25
herbeiführt, verantwortlich sein. Ein Wandel kann schließlich auch durch
dynamische Kontinuität geschehen. In diesem Fall handelt es sich um eine
Veränderung im Sinne des Fortschreibens einer früher schon angelegten
Bewegungsrichtung, beispielsweise um die Weiterführung eines Trends. Dieser
Wandel umfasst zwei Unterformen: Der Trend kann ein Mehr oder ein Weniger
anzeigen. Er kann beispielsweise zunehmende Politikvielfalt oder abnehmende
Politikvielfalt bedeuten. Beides spielt auch im deutschen Föderalismus seit der
Wiedervereinigung eine erhebliche Rolle – wohingegen der der transformative
Wandel selten blieb und der abrupte Trendbruch nur einmal zustande kam, nämlich
durch den Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik Deutschland.
Ein Teil der abnehmenden Politikvielfalt ist, was oft übersehen wird, der
Föderalismusreform I von 2006 zuzuschreiben. Gewiss hat diese Reform, wie weiter
oben erörtert, den Ländern in mancherlei Hinsicht mehr Regelungsmöglichkeiten
verschafft Allerdings standen der Kompetenzmehrung der Länder „erhebliche
Einbußen“26 gegenüber. Mit der Föderalismusreform I wurde nämlich nicht nur der
Kreis der Vorranggesetzgebungsbefugnisse des Bundes erweitert. Hinzu kam die
„Reduzierung der Erforderlichkeitsprüfung“27 für bundesgesetzliche Regelungen:
Der mit der Föderalismusreform I neu gefasste Artikel 72 II des Grundgesetzes sah
die Erforderlichkeitsprüfung für eine bundesgesetzliche Regelung nur noch für eine
kleinere Zahl von Gesetzgebungsmaterien vor. Das war eine folgenreiche
Weichenstellung, weil damit „das Kriterium der Erforderlichkeitsprüfung als
Regelvoraussetzung bundesgesetzlichen Tätigwerdens im Bereich der
konkurrierenden Gesetzgebung aufgegeben und eine voraussetzungslose „Vorrang-
oder Kerngesetzgebung“ eingeführt (wurde)“28. Diese Regelung schwächte die
24 Fritz W. Scharpf, Die Politikverflechtungs-Falle: Europäische Integration und deutscher
Föderalismus im Vergleich, Politische Vierteljahresschrift 29/2 (1985), pp.323-356. Scharpf hat seine
einflussreiche Diagnose später beträchtlich differenziert: Fritz W. Scharpf, The Joint-Decision Trap
Revisited, Journal of Common Market Studies 44/4 (2006), pp.845-864. 25 Wolfgang Streeck and Kathleen Thelen, Introduction: Institutional Change in Advanced Political
Economies. In: Wolfgang Streeck and Kathleen Thelen (eds.), Beyond Continuity. : Institutional Change
in Advanced Political Economies (Oxford: Oxford University Press, 2005), pp.1-39, p. 9, 19, 31 26 Grundgesetz-Kommentar Band II (Art. 20-82) Supplementum 2007, ed. by Horst Dreier (Tübingen: Mohr
Siebeck, 2007), p. 50. 27 Grundgesetz-Kommentar, p.50. 28 Grundgesetz-Kommentar, p.50.
9
Position der Länder und warf sie „noch hinter den mit der Verfassungsrevision von
1994 erreichten Stand zurück“29.
Die Föderalismusreform von 2006 sorgte im Übrigen für eine weitere
Machtverschiebung zugunsten des Bundes und zu Lasten der Länder: Die Materien
der Rahmengesetzgebung wurden nämlich in solche der konkurrierenden
Gesetzgebung überführt und damit dem Zugriff des Bundes geöffnet – allerdings mit
der Möglichkeit der Abweichungsgesetzgebung der Länder nach Art. 72 II. 1 GG
(ebd. S. 51).
Für einen Teil der abnehmenden Politik-Diversität waren zudem ökonomische
Konvergenzvorgänge verantwortlich. Ein besonders wichtiger Vorgang ist die
Annäherung der Wirtschaftskraft und der Wirtschaftsstrukturen in Ostdeutschland
an die westdeutsche Wirtschaft. Auch wenn sich die Hoffnung des damaligen
Bundeskanzlers Kohl auf wirtschaftlich „blühende Landschaften“ im Osten
Deutschlands nicht erfüllt hat, ist doch die Wirtschaftskraft der ostdeutschen Länder
(gemessen beispielsweise am Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt) näher an die der
westdeutschen Länder herangerückt – mit hohem Tempo in den 1990er Jahren,
seither bestenfalls nur mit kleinen Zuwachsraten. Auf moderate Konvergenz deuten
auch die Wirtschaftsstrukturen in Ost und West weil in beiden Teilen Deutschlands
der Dienstleistungssektor „auf dem Vormarsch“30 ist und die ostdeutsche Industrie
sich aus ihrer schweren Krise kurz nach der Wiedervereinigung ein Stück weit erholt
hat. Hinzu kommt der Strukturwandel in der Landwirtschaft, der parallel zum
Fortbestand großer Betriebe in den neuen Ländern einen Konzentrationsprozess in
den alten Bundesländern umfasst.31
Mit der Annäherung der Wirtschaftskraft und der Wirtschaftsstruktur hängen zwei
weitere Konvergenzprozesse zusammen: In Ostdeutschland ist die
Arbeitslosenquote zwar nach wie vor erheblich höher als im Westen des Landes –
doch ist ihr Niveau mittlerweile niedriger und zudem ist die Spannweite der
Arbeitslosenquote zwischen Ost und West ebenfalls geringer geworden. Bei den
Einkommen der Arbeitnehmer zeichnet sich ebenfalls ein Annäherungsprozess an:
Die Einnahmen aus abhängiger Arbeit im Osten Deutschlands gleichen sich ein Stück
weit den Westverdiensten an.32
Annäherungen gibt es auch in einigen Politikfeldern, auch in Teilen der Bildungs-
und der Sozialpolitik. Bei den Bildungsausgaben ist die Vorrangstellung der
ostdeutschen Länder in dem ersten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung
mittlerweile – im Spiegel neuerer Berechnung der Bildungsausgaben – zu Ende
29 Grundgesetz-Kommentar, p.50. 30 Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 25 Jahre Deutsche Einheit, p.33. 31 Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 25 Jahre Deutsche Einheit, p.33. 32 Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 25 Jahre Deutsche Einheit, p.69.
10
gegangen. Zudem haben die westdeutschen Länder, die bis dahin bei den
Bildungsfinanzen zurückhaltender agierten als die ostdeutschen Länder, wieder
aufgeholt.33 Schließlich gibt es in der Sozialpolitik neben Anzeichen zunehmender
Politikvielfalt auch Hinweise auf abnehmende Diversität: So hat beispielsweise die
zunehmende Ärztedichte in Ostdeutschland den Unterschied zur westdeutschen
Ärztedichte spürbar verringert.34
IV. Politikvielfalt in Deutschlands Föderalismus im internationalen Vergleich
Die Unterschiede zwischen den deutschen Bundesländern sind auch aus der
Perspektive des internationalen Vergleichs beachtlich. Ein Beispiel aus der
Bildungspolitik als dem Politikfeld, in dem die Bundesländer besonders viel
Gestaltungsspielraum haben, soll dies illustrieren. Der Großteil der öffentlichen
Bildungsausgaben in Deutschland wird von den Bundesländern finanziert – mit
nennenswerten Unterschieden in der Finanzausstattung des Bildungswesens
insgesamt und der Bildungsausgaben pro Kopf. Berücksichtigt man nur die
Flächenstaaten mit den höchsten und den niedrigsten Bildungsausgaben pro Kopf,
so entsprechen die Ausgaben des schwächsten Bundeslandes – Brandenburg – 61
Prozent (2002) bzw. 68 Prozent (1992) der Ausgaben in Baden-Württemberg, dem
Land mit den zu diesen Zeitpunkten höchsten Ausgaben.35 Erheblich größere
Unterschiede zeigt die Bildungsausgabenquote an, der Anteil der öffentlichen
Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt. Hier hatte der Flächenstaat mit den
niedrigsten Ausgabenquoten (Hessen) im Jahr 1992 nur 35 Prozent der
Bildungsausgabenquote des finanzierungsfreudigsten Landes – Thüringen – erreicht,
und auch knapp 10 Jahre später (2001) nur 45 Prozent.36
Bemerkenswerterweise sind die Unterschiede in der Finanzausstattung der
Bundesländer ähnlich groß wie die Unterschiede in der Bildungsfinanzierung der
US-amerikanischen Staaten: Busemeyers Analysen zufolge reichte die Spannweite
bei den Bildungsausgabenquoten der amerikanischen Bundesstaaten von einem
Höchstbetrag von 8,7 Prozent in Vermont bis zu einem Minimum von 3,0 Prozent in
Connecticut37. Auch von den Unterschieden der Bildungsausgaben der Schweizer
Kantone ist die Politikvielfalt des deutschen Föderalismus nicht allzu weit entfernt:
In der Schweiz erreicht der bei den Bildungsausgaben finanzschwächste Kanton –
Obwalden – bei den Bildungsausgaben pro Schüler 2014 47 Prozent des Maximums,
33 Dieser Abschnitt basiert auf Befunden der überarbeiteten zweiten Auflage von Hildebrand und
Wolf (eds.) 2016. 34 Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 25 Jahre Deutsche Einheit, p.93. 35 Berechnet auf der Basis von Wolf, Bildungsausgaben, p.143. 36 Wolf, Bildungsausgaben, p.140. 37 Marius R. Busemeyer, Die Bildungsausgaben der USA im internationalen Vergleich. Politische Geschichte,
Debatten und Erklärungsansätze (Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag, 2006), pp.97-98,
Datenstand 2000.
11
das im Kanton Basel Stadt erzielt wird.38 Noch größer ist der Unterschied zwischen
den unterschiedlichen Bildungsausgaben der deutschen Bundesländer und den
homogeneren Bildungsausgaben in den österreichischen Ländern.39
Alles in allem deuten die international vergleichenden Zahlen zur Politikvielfalt bei
den Bildungsfinanzen auf ein klares Muster hin: Die Diversität im Föderalismus der
Bundesrepublik Deutschland ist beachtlich. Von reiner Uniformität im Sinne eines
näherungsweise gleichen Niveaus ist in Deutschlands Föderalismus nichts in Sicht.
Das spricht ebenso für das Narrativ der Politikvielfalt wie der internationale
Vergleich.
V. Parteipolitische und finanzierungsstrukturelle Determinanten der
Politikvielfalt und ihrer Grenzen
Ohne das Narrativ der „policy-diversity“, so lässt sich als Zwischenbilanz
formulieren, kann man Deutschlands Föderalismus weder vor der
Wiedervereinigung noch seit 1990 verstehen. Doch nur teilweise geklärt sind
Hintergründe, Anlässe und Ursachen der Politikvielfalt einerseits und der Grenzen
dieser Diversität andererseits. Hier besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf.
Einige Variablen tragen allerdings zu robusten Erklärungen bei – unter ihnen die
parteipolitische Zusammensetzung der Regierung mitsamt der zu ihr gehörenden
„partisan theory“40 of public policy und der Impact von Finanzierungsbedingungen
auf das Tun und Lassen der Länderregierungen (Abschnitt 5.1 und 5.2).41
5.1 Parteipolitische Determinanten der Politikvielfalt in den Ländern der
Bundesrepublik Deutschland
38 Quelle: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/04/02/05.html (Neuchatel: Bundesamt
für Statistik, 2013), Download 13.10.2015). Ähnliche Ergebnisse lassen sich aus R. Nikolais Analyse der
Schweizer Bildungsausgaben ablesen: Rita Nikolai, Die Bildungsausgaben der Schweiz im intranationalen
und internationalen Vergleich (Berlin: dissertation.de, 2007), p. 270. 39 Quelle WKO.at/Statistik/Bundesland/BMP ABS Einwohner.pdf Abruf vom 13.10.2015. Datenstand:
2013. 40 Douglas A. Hibbs, Jr. Political Parties and Macroeconomic Policy. American Political Science Review
71/4 (1977), pp.1467-1487; Douglas A. Hibbs, Jr., Partisan theory after fifteen years. European Journal
of Political Economy 8/3 (1995), pp.361-373. 41 Selbstverständlich, so zeigen die Beiträge zum vorliegenden Sammelband, spielen auch andere
Bestimmungsfaktoren der Länderpolitik eine beträchtliche Rolle – unter ihnen institutionelle Größen
und der politisch-kulturelle Kontext (Hildebrand/Wolf und Rowe/Turner in diesem Band), die
öffentliche Meinung (Reus in diesem Band) und Rückwirkungen der Europäischen Union auf die
Mitgliedstaaten.
12
Dass die Parteienpolitik auch in den Bundesländern einen Unterschied macht, gehört
zu den Befunden der älteren und der neueren Forschung über den deutschen
Föderalismus. Schmidt (1980)42 zufolge machte die Führung der Regierung durch
sozialdemokratische oder christdemokratische Parteien einen signifikanten
Unterschied in der Politik der westdeutschen Länderregierungen. Das war laut
dieser Studie vor allem dann der Fall, wenn eine hegemoniale Partei mit sehr starker
und lang anhaltender Regierungsbeteiligung im Kontext eines hohen Niveaus
ökonomischer Entwicklung agierte. Unter diesen Bedingungen konnten
beispielsweise sozialdemokratische Regierungen ihr Streben nach politischer
Steuerung der kapitalistischen Ökonomie und „Politics against markets“43 in
nennenswertem Ausmaß realisieren. Parteieneffekte wurden auch in späteren
Analysen nachgewiesen, so in Beiträgen zum systematischen Vergleich der Politik in
den Bundesländern in Hildebrandt/Wolf (2008).44 Dass ferner große
Regierungswechsel, wie der Übergang von der CDU-Regierung zu einer grün-roten
Koalitionsregierung in Baden-Württemberg 2011, tiefe Spuren hinterlassen würde,
war zu erwarten und wird durch Änderungen in der Bildungs-, der Umwelt- und
der Partizipationspolitik in grün-sozialdemokratische Richtung bestätigt.45 Studien
über die Bildungsausgaben in den westdeutschen und den ostdeutschen
Bundesländern nach 1990 deckten ebenfalls signifikante Parteieneffekte auf –
allerdings mit überraschender Richtung: Hohe Bildungsausgaben waren
insbesondere unter christdemokratischen Regierungen zu verzeichnen, nicht unter
SPD-geführten Regierungen46. Die Dissertation von Jutta Stern 2000 hatte
demgegenüber je nach Bildungssektor unterschiedliche Ausgabenpraktiken
aufgedeckt: Stern zufolge investierten SPD-geführte Regierungen in
überdurchschnittlichem Maße in den Schulbereich, christdemokratisch geführte
Regierungen waren hingegen im Bereich der Hochschulfinanzierung spendabler47.
Nach politischen Lagern distinkte Welten der Bildungspolitik zeigen auch Studien
über die Strukturen der Bildungspolitik im Schulbereich.48 Ähnliche Befunde förderte
42 Manfred G. Schmidt: CDU und SPD an der Regierung. Ein Vergleich ihrer Politik in den Ländern,
Frankfurt/New York: Campus Verlag 1980. 43 Gösta Esping-Andersen, Politics against markets (Princeton: Princeton University Press, 1985). 44 Achim Hildebrandt and Frieder Wolf (eds.), Die Politik der Bundesländer. Staatstätigkeit im Vergleich
(Wiesbaden: VS, 2008, 2016 2nd.ed.). 45 Uwe Wagschal, Ulrich Eith, Michael Wehner (eds.), Der historische Machtwechsel: Grün-Rot in Baden-
Württemberg (Baden-Baden: Nomos, 2013). 46 Wolf, Bildungsausgaben, Aline Schniewind, Markus Freitag and Adrian Vatter, Die Staatstätigkeit
großer Koalitionen. Eine Analyse der Bildungs- und Sicherheitsausgaben im Vergleich der
Bundesländer, in: Markus Freitag and Adrian Vatter (eds.), Vergleichende subnationale Analysen für
Deutschland. Institutionen, Staatstätigkeiten und politische Kulturen (Münster: LIT, 2010), pp.179-202. 47 Jutta Stern, Programme versus Pragmatik. Parteien und ihre Programme als Einfluss- und Gestaltungsgröße
auf bildungspolitische Entscheidungsprozesse (Frankfurt a.M.: Lang, 2000). 48 Rita Nikolai and Kerstin Rothe, Konvergenz in der Schulstruktur? Programmatik von CDU und SPD
im Vergleich. Zeitschrift für Politikwissenschaft 23/4 (2013), 545-572.
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die neueste Analyse zur Struktur und zum Wandel der deutschen Schulsysteme in
den deutschen Bundesländern von 1949 zutage49.
Parteidifferenzen programmatischer und politikinhaltlicher prägten zudem die
Frauenförderungspolitik der westdeutschen Bundesländer vor 1990, wie Anke
Schusters Bundesländervergleich verdeutlicht50. Schusters Analyse der
Frauengleichstellungspolitik im Bildungswesen, in der Arbeitsmarktpolitik, der
Frauenförderung, der Kinderbetreuung und Kindererziehung, der Familienpolitik,
der Institutionalisierung von Frauenpolitik und der Beteiligung von Frauen an
politischen Leitungspositionen stützt ebenfalls die Parteiendifferenzthese: SPD-
geführte Regierungen favorisierten eine Politik, die auf die Integration der Frauen in
die Arbeitswelt zielte und insoweit eine am klassischen Links-rechts-Schema
ausgerichtete „emanzipatorische Frauenpolitik“ bevorzugte. Traditionaler war die
Frauenpolitik der CDU- und CSU-geführten Regierungen. Einerseits hielten sie in
der Frauenförderung die Option für Unterstützung und Aufwertung der
Familienarbeit offen. Andererseits förderten sie die Beschäftigung von Frauen
insbesondere im Öffentlichen Dienst und durch den Ausbau der Teilzeitarbeit auch
in der Marktwirtschaft.
Parteipolitische Effekte kennzeichnen ferner die Umweltschutzpolitik der
Bundesländer wie Bertram Seeger Vergleich aller west- und ostdeutschen Länder
zeigt. Rot-grüne Koalitionen profilierten sich insbesondere durch eine ökozentrierte
umweltpolitische Programmatik, während bürgerlich-liberale Koalitionen in ihrem
Programm auf eine wirtschaftsschonende Umweltpolitik setzten. Allerdings wurden
die programmatischen Differenzen der Parteien in einem insgesamt nur in
verhaltenem Maße implementiert, weil die Umweltsituation und der
Umweltschutzbedarf sich am Ende als stärkere Wirkfaktoren erwiesen51.
Parteipolitische Effekte kommen auch in der Finanzpolitik der Bundesländer zum
Zuge, wie die ältere Forschung52 und neuere Analysen nachweisen.53 Zu diesen
Wirkungen gehört die signifikante Korrelation zwischen Verschuldungsstand und
parteipolitischer Couleur der Länderregierungen: je stärker die langfristige
Regierungsbeteiligung der SPD (gemessen an Kabinettsitzanteilen von der
Gründung jedes Bundeslandes bis Ende 2006), desto tendenziell höher die Pro-Kopf-
Verschuldung der Bundesländer. Die überwiegend SPD-regierten hochverschuldeten
Stadtstaaten Berlin und Bremen sind dabei das eine Extrem und Bayern, Baden-
49 Marcel Helbig and Rita Nikolai, Die Unvergleichbaren. Der Wandel der Schulsysteme in den deutschen
Bundesländern seit 1949 (Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 2015). 50 Anke Schuster, Frauenpolitik zwischen parteipolitischer Programmatik und Wirklichkeit: Ein Bundes-
Länder-Vergleich (Sinsheim: Prouniversitate Verlag, 1997). 51 Bertram Seeger, Umweltpolitik in den 16 Ländern: Wahlprogramme und Regierungshandeln. Ein
Bundes-Länder-Vergleich (Universität Heidelberg: Dissertation, 2003). 52 Schmidt, CDU und SPD an der Regierung. 53 Wagschal, Wintermann, Theiß, Konsolidierungsstrategien.
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Württemberg sowie Sachsen, die CDU- oder CSU-dominierten Länder mit niedriger
Verschuldung das andere.54
Parteieneffekte kennzeichnen überdies die Bereitschaft und Fähigkeit zum
„streamlining“ der öffentlichen Verwaltung in den Ländern seit den 1990er Jahren.
So deckten Götz, Grotz und Weber auf, dass Koalitionsregierungen aus CDU und
FDP “are the most active reformers (…) In contrast, SPD-led governments are
significantly less likely to enact reforms, with leftist coalitions (SPD-PDS) achieving
the lowest score”.55 Hinzu kommen Kontexteffekte: “The reform activity of leftist
governments varied with contextual constraints, but tends to be quite sizable under
high economic pressure or institutional opportunities. In contrast CDU-FDP reforms
have apparently been motivated by ideological reasons and where thus implemented
on a more persistent level irrespective of variations in the socioeconomic and
institutional environment.”56
Ed Turner schließlich kommt das Verdienst zu, in einer gründlichen Analyse der
Bildungs-, der Familien- und der Arbeitsmarktpolitik der Bundesländer ebenfalls
Parteieffekte nachgewiesen zu haben.57 Im Unterschied zu Schmidt (1980) kamen die
Parteieffekte aber nicht nur unter hegemonialen Regierungsparteien zustande,
sondern schon in der ersten Legislaturperiode einer neuen Regierung. Während die
SPD-geführten Regierungen in der Bildungs-, der Familienpolitik und der Childcare-
Politik nach Zielen der sozialdemokratischen „World of Welfare Capitalism“58
strebten, favorisierten die unionsgeführten Regierungen eine Politik, die die
Wahlmöglichkeiten zwischen Familienarbeit und Erwerbsarbeit offenhielt und im
Bildungswesen an Stelle der Gesamtschule die selektive Förderung im Rahmen eines
dreigliedrigen Schulwesens favorisierte.
Der Nachweis, dass Parteien auch in den deutschen Ländern einen Unterschied
machen, kann nicht überraschen, weil Deutschland nicht nur ein Bundesstaat ist,
sondern auch ein „Parteienstaat“. Manche Fachleute haben in der Verknüpfung
beider Staatsstrukturen sogar einen Sonderfall gesehen, den Fall des
„Parteienbundesstaates“59. In diesem Parteienbundesstaat konkurrieren aber
politische Parteien, die neben wichtigen Gemeinsamkeiten innen- und
außenpolitischer Art nach wie vor nennenswerte Unterschiede in der Programmatik
und in den Policy Positionen aufweisen.60 Am besten lassen sich diese Unterschiede 54 Wagschal, Wintermann, Theiß, Konsolidierungsstrategien, p.39. 55 Alexander Götz, Florian Grotz & Till Weber, Party Government and Administrative Reform:
Evidence From the German Länder. Administration & Society I-34, Online First, August 5, 2015, p.,
2014), p.24 56 Götz, Grotz & Weber, Administrative Reform, p.25. 57 Turner, Political Parties, 2011. 58 Gösta Esping-Andersen, The Three World of Welfare Capitalism (London: Polity Press, 1990). 59 Decker, Regieren; von Beyme, Deutschland. 60 Benoit, Kenneth/Laver, Michael, Party Policy in Modern Democracies (London–New York: Routledge,
2006); Matthias Bianchi, Steffen Bender, Karina Hohl, Andreas Jüschke, Jan Schoofs, Susanne Steitz
and Jan Treibel, Der Duisburger-Wahl-Index (DWI) zur Bundestagswahl 2013. Policy-Positionen von
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in einem zweidimensionalen Raum verorten, der durch die Links-rechts-Achse
definiert ist (im Sinne einer Arbeitsteilung zwischen Staat und Markt, die von
staatszentriert bis zu marktzentriert reicht) und durch eine Werteachse, die von
konservativen zu emanzipatorischen Werten führt. In diesem Raum nehmen die
Unionsparteien auf der Links-rechts-Achse eine Mitteposition ein und auf der
Werteachse eine konservative Position. Die SPD hingegen ist links von der Mitte
platziert und hält auf der Werteachse eine gemäßigt emanzipatorische Position.
Ähnliches gilt für die Linkspartei, auf der Links-rechts-Achse ist sie allerdings der
Linksaußen. Die Grünen hingegen sind durch Linksorientierung und
emanzipatorische Werte charakterisiert, und die FDP durch eine auf der Staat-Markt-
Achse marktorientierte Position und die Befürwortung liberaler Werte auf der
zweiten Achse.
Die unterschiedlichen programmatischen Positionen der Parteien machen sich
insbesondere dann in der Landespolitik spürbar, wenn die jeweiligen Parteien –
gemessen an ihrer Regierungsbeteiligung – eine dominante oder hegemoniale
Position einnehmen. Das ist für die Unionsparteien am ehesten in Bayern und in
Sachsen der Fall und bis 2011 galt das auch in Baden-Württemberg. SPD-dominierte
Länder sind vor allem die beiden Stadtstaaten Bremen und Hamburg und unter den
Flächenstaaten insbesondere Brandenburg.
5.2 Begrenzungen der Politikvielfalt: Sozialstaatsparteien, Kompetenzverteilung
zwischen Bund und Länder und Finanzierungsbedingungen
Parteieneffekte kennzeichnen die Politik in den deutschen Ländern vor und nach der
Wiedervereinigung. Allerdings muss die These, dass Parteien einen Unterschied
machen, mit mehreren Einschränkungen versehen werden. Eine Einschränkung liegt
darin, dass die Policy-Differenzen zwischen den CDU-, CSU- und SPD-geführten
Regierungen meist Differenzen erster und zweiter Ordnung sind, während
Unterschiede dritter Ordnung selten vorkommen.61 Die insgesamt meist moderaten
CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP, Linke und Piraten zur Bundestagswahl 2013 im Vergleich (Duisburg:
NRW School of Governance, 2013).
61 Die Unterscheidung von Policy-Differenzen erster, zweiter und dritter Ordnung erfolgt analog zu
Peter Halls Differenzierung von Reformen erster, zweiter und dritter Ordnung (Peter Hall, Policy
Paradigms, Social Learning, and the State. The Case of Economic Policymaking in Britain, Comparative
Politics 25/2 (1993), 275-296.) Policy-Differenzen erster Ordnung sind Unterschiede infolge von
inkrementellen Anpassungen bestehender Policy-Instrumente an Änderungen in der Umwelt oder
der Innenwelt der Politik. Differenzen zweiter Ordnung betreffen Unterschiede in der Art der Policy-
Instrumente und ihrer Nutzung. Policy-Differenzen dritter Ordnung schließlich umfassen zusätzlich
zu den Unterschieden bei den Policy-Instrumenten auch Unterschiede in der zugrundeliegenden
Steuerungsphilosophie, beispielsweise den Unterschied zwischen einer keynesianischen oder einer
monetaristischen Wirtschaftspolitik oder die Differenz zwischen einer Schulpolitik, die mit
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Policy-Differenzen haben ihre Hauptursache darin, dass dass die zwei größten
Parteien im Deutschland von heute – die CDU/CSU und die SPD –
Sozialstaatsparteien sind. Insoweit haben beide Parteien in der Sozialpolitik, einem
Politikfeld von überragender Bedeutung und größtem finanziellen Gewicht, viel
gemeinsam, insbesondere die Befürwortung der Aufrechterhaltung und
gegebenenfalls des Ausbaus eines starken, finanziell höchst aufwendigen
Wohlfahrtsstaates. Das vermindert unter sonst gleichen Bedingungen das Gewicht
der Policy-Differenzen zwischen den SPD- und den CDU/CSU-Regierungen.
Weitere institutionelle Faktoren verkleinern ebenfalls den Handlungsspielraum der
Länderregierungen. Zweierlei ist hierbei wichtig: die Kompetenzverteilung zwischen
Bund und Ländern sowie die Finanzierungsbedingungen der Länderregierungen.
Bekanntlich hat die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern sowie
zwischen der Europäischen Union und Deutschland den Ländern nur noch wenige
eigenständige Spielräume belassen. Am wichtigsten sind die Spielräume in der
Bildungspolitik, im Politikfeld der inneren Sicherheit und seit der
Föderalismusreform 2006 auch bei der Besoldung und der Versorgung62 der Beamten
und Richter der Länder. In allen anderen Politikfeldern sind die Länder – sofern es
sich nicht um ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes oder der
Europäischen Union handelt – nur ein Mitregent unter mehreren. Dass diese
Kompetenzverteilungen den Spielraum für autonome politische Gestaltung der
Länder drastisch verringern, steht außer Frage.
Als Schranke wirken zudem die Finanzierungsbedingungen, unter denen die Länder
der Bundesrepublik regieren. Zweierlei ist hier von größter Bedeutung. Erstens
bewirken die umfangreichen horizontalen und vertikalen Verteilungsströme im
Bund-Länder-Gefüge eine sehr starke Umverteilung von West nach Ost und generell
von Reich zu Arm. Die Umverteilung ist so stark, dass die finanzschwächeren
Länder nach allen Umverteilungsvorgängen ähnlich viele finanzielle Ressourcen
haben wie die wirtschafts- und finanzstärkeren Bundesländer. Die Verteilungs- und
Umverteilungsmechanismen im deutschen Föderalismus vergrößern die Chancen
der Politikgestaltung der ursprünglich finanzschwächeren Länder, vermindern aber
die Möglichkeiten zur Politikgestaltung bei den reichen Länder und verringern im
Ergebnis die Policy-Differenzen zwischen reichen und armen Ländern in
erheblichem Umfang.
Eine zweite Finanzierungsbedingung verkleinert ebenfalls den Spielraum der
Länderregierungen. Die Länderregierungen handeln im Rahmen von knapp
begrenzten finanzpolitischen Spielräumen. Besonders eng sind diese Spielräume,
Gesamtschulen an Stelle von einem beispielsweise nach Volksschule, Mittelschule und Gymnasium
gegliederten Schulsystem arbeitet. 62 „Versorgung“ ist hier als sozialpolitische Kategorie zu verstehen. Sie umfasst insbesondere die
Alterspensionen für Beamten und die Mitfinanzierung der Gesundheitsdienstleistungen für die
Beamten und Richter.
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weil die Länder ihre Politiken hauptsächlich aus Steuern finanzieren. Die
ertragreichsten Steuern sind aber Teil des Steuerverbundes von Bund und Ländern,
die allesamt gesetzgebungstechnisch nur durch Zustimmung des Bundestages und
des Bundesrates verändert werden können. Die potenziell denkbare Erhöhung der
Staatseinnahmen durch Steuererhöhungen ist gesetzgebungstechnisch schwierig und
wird deshalb selten beschritten: Steuererhöhungen erfordern entweder
zustimmungspflichtige Gesetze oder Verfassungsänderungen. In beiden Fällen sind
die Hürden der Konsensfindung für ein Vorhaben besonders hoch, das obendrein bei
den Wählern höchst unpopulär gilt.
Mehr noch: Der steuerfinanzierte Teil der Staatstätigkeit von Bund und Ländern ist
derzeit mit rund 23 Prozent63 auch im internationalen Vergleich klein64 und er war
auch zuvor nicht viel größer. Die Ursache dafür liegt zum einen in der besonderen
Größe der aus den Sozialabgaben der Arbeitnehmer und ihrer Arbeitgeber
finanzierten Staatstätigkeit, die rund zwei Drittel des gesamten Sozialbudgets in
Deutschland, das sich auf rund 30 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) beläuft,
finanzieren. Weil aber zum anderen der Anteil der gesamten öffentlichen Ausgaben
am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im internationalen Vergleich nur
mittelgroß ist, bleiben für die steuerfinanzierten Staatstätigkeiten nur eng begrenzte
Mittel übrig.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Finanzierungsbedingungen den
Länderregierungen insgesamt enge Grenzen setzen und zudem aufgrund
weitreichender Umverteilungen zugunsten von finanzschwächeren Bundesländern
die Chancen größerer Politikdifferenzen zwischen den Ländern erheblich verringern
soweit es sich um finanziell kostspielige Vorhaben handelt. Beide Entwicklungen
verengen demnach auch den Spielraum für Parteiendifferenzen in der Länderpolitik.
6. Schlussfolgerung
Das Narrativ der policy-diversity ist – so zeigen die Beiträge in diesem Band und
andere Studien zum Bundesländervergleich – außerordentlich hilfreich und liefert
eine unverzichtbare Korrektur einer Perspektive, die primär die Einheitlichkeit der
Lebensverhältnisse in Deutschland betont. Doch wie bei allem sozialen Wandel sollte
ein Lehrsatz der komparatistischen Forschung nicht übersehen werden: Auch große
Änderungen in den politischen, den sozialen oder den ökonomischen Strukturen
gehen in der Regel mit einem hohen Maß an Kontinuität einher. Ähnliches gilt für
die Analyse von policy-diversity im Bundesländervergleich. Neben der
unbestreitbaren Politikvielfalt gibt es – nicht zuletzt aufgrund des Wettbewerbs
63 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Mehr Vertrauen in
Marktkräfte. Jahresgutachten 14/15 (Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, 2014), p. 29. 64 Frieder Wolf, Bildungsfinanzierung in Deutschland (Wiesbaden: VS, 2008), p.41.
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zwischen zwei Sozialstaatsparteien und aufgrund der zuvor erwähnten
Finanzierungsstrukturen – beträchtliche Gemeinsamkeiten zwischen den
konkurrierenden Parteien sowie ein erhebliches Ausmaß an Kontinuität von Politik
einerseits. Mitunter kommen auch Gegenbewegungen zur zunehmenden policy-
Diversität zustande. Insoweit ist Deutschlands Föderalismus vielfältiger als man auf
den ersten Blick meinen könnte: Zu ihm gehören, so zeigt der
Bundesländervergleich, Kontinuität und Diskontinuität, Gemeinsamkeiten und
Unterschiede und nicht zuletzt sowohl zunehmende wie auch abnehmende policy-
Diversität. Insgesamt aber ist, so lehrt der Vergleich des deutschen Föderalismus mit
anderen Bundesstaaten, das verbleibende Maß an Diversität von beachtlicher Größe.