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Der Rinderwahn und die Poltik S. 3 Der Streit um das Tschechische Fernsehen – ein öffentlicher Machtkampf S. 5 Von Aktionen gegen Nazi- Anschläge und Auftritte S. 12 Eine Fortsetzung der Diskussion um die neuen Arbeitszeitmodelle S. 15 „Deutsche Vergangenheitsbewältigung, 3. Akt“ – Gesichtspunkte zur Debatte S. 20 Politische Berichte Politische Berichte – Zeitschrift für Sozialistische Politik Ausgabe Nr. 3 am 1. Februar 2001, Jahrgang 23, Preis 2,50 DM 3 2000 PROLETARIER ALLER LÄNDER VEREINIGT EUCH! PROLETARIER ALLER LÄNDER UND UNTERDRÜCKTE VÖLKER VEREINIGT EUCH !

Politische Berichte · Politische Berichte ZEITUNG FÜR SOZIALISTISCHE POLITIK – ERSCHEINT VIERZEHNTÄGLICH Herausgeber: Arbeitskreis Politische Berichte, Stubaier Straße 2, 70327

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Der Rinderwahn und die Poltik S. 3

Der Streit um das Tschechische Fernsehen– ein öffentlicher Machtkampf S. 5

Von Aktionen gegen Nazi-Anschläge und Auftritte S. 12Eine Fortsetzung der Diskussion um dieneuen Arbeitszeitmodelle S. 15

„Deutsche Vergangenheitsbewältigung, 3. Akt“ – Gesichtspunkte zur Debatte S. 20

Politische Berichte

Politische Berichte – Zeitschrift für Sozialistische Politik Ausgabe Nr. 3 am 1. Februar 2001, Jahrgang 23, Preis 2,50 DM

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Politische BerichteZZEEIITTUUNNGG FFÜÜRR SSOOZZIIAALLIISSTTIISSCCHHEE PPOOLLIITTIIKK

–– EERRSSCCHHEEIINNTT VVIIEERRZZEEHHNNTTÄÄGGLLIICCHH

Herausgeber: Arbeitskreis Politische Berichte,Stubaier Straße 2, 70327 Stuttgart. Herausgeberfür den Arbeitskreis Politische Berichte: SelmanArslan, Christoph Cornides, Ulrike Detjen, EmilHruška, Herbert Stascheit.

Verantwortliche Redakteure und Redaktionsan-schriften:

Aktuelles aus Politik und Wirtschaft: ChristianeSchneider: GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359Hamburg, Tel. 040 / 43188820, Fax : 040 /43188821. E-mail: [email protected]: Hardy Vollmer;GNN-Verlag, Wilhelmstraße 15, 79098 Freiburg,E-mail: [email protected] / Gewerkschaftliches West …: MartinFochler, GNN Verlag, Stubaier Straße 2, 70327Stuttgart,Tel. 07 11/624701, Fax : 0711/ 62 15 32,e-mail: [email protected] … und Ost AchimWahl; GNN-Verlag, Postfach 200639, 13516 Ber-lin, Tel. 030 / 2400 94 68, Fax: 030 / 24 00 94 69 Diskussion / Dokumentation und Letzte Seite:Alfred Küstler, GNN Verlag, Stubaier Straße 2,70327 Stuttgart, Tel. 07 11 / 62 47 01, Fax : 071162 15 32. E-mail: [email protected] und bei der PDS: Jörg Detjen, GNN Verlags-gesellschaft Politische Berichte mbH, 50674Köln, Zülpicher Str. 7, Tel. 0221/211658, Fax:0221/215373. E-mail: [email protected]: Christiane Schneider, Anschrift s. Ak-tuelles.

Die Mitteilungen der „ARGE, Arbeitsgemein-schaft Konkrete Demokratie, soziale Befreiungbei der PDS“ werden in den Politischen Berich-ten veröffentlicht. Adresse GNN Hamburg

Verlag: GNN-Verlagsgesellschaft Politische Be-richte mbH, 50674 Köln, Zülpicher Str. 7 undGNN Verlag Süd GmbH, Stubaier Str. 2, 70327Stuttgart, Tel. 07 11 / 62 47 01, Fax : 0711 /62 15 32. E-mail: [email protected]

Bezugsbedingungen: Einzelpreis 2,50 DM. EinHalbjahresabonnement kostet 45,50 DM (För-derabo 71,50 DM), ein Jahresabonnement kostet91 DM (Förderabo 143 DM). Ein Jahresabo fürBezieher aus den neuen Bundesländern: 80,60DM, Sozialabo: 65 DM. Ausland: + 13 DM Porto.Buchläden und andere Weiterverkäufer erhalten30 % Rabatt.

Druck: GNN Verlag Süd GmbH Stuttgart

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2 AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT• PB 3/2001

Politische Berichte– zum Abonnieren – zum Kennenlernen

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o 4 Ausgaben für 10 DM (beilegen) zum Kennenlernen.

o Halb- o Jahresabo (45,50 DM / 91 DM je Einzelabo)

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o Bankeinzug: Ich ermächtige den GNN-Verlag widerruflich,die Rechnung zu Lasten meines Kontos abzubuchen

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KEIN ZUWANDERUNGSGESETZ. Als„nicht nötig“ bezeichnete der innenpoli-tische Sprecher der SPD-Bundestags-fraktion ein Zuwanderungsgesetz. Auchder Grüne-Innenpolitiker Cem Özdemiräußerte sich entsprechend. Man könnedas alles „flexibel“ durch Verordnungenund Verwaltungsvorschriften machen.Auch wenn die Begründung ist, damitvermeide man eine Auseinandersetzungmit CDU und CSU in den bevorstehen-den Wahlkämpfen, die von der Union de-magogisch betrieben werde, bleibt alsFakt: Innenminister Otto Schily hat, wiebereits bei der Greencard-Regelungpraktiziert, ohne parlamentarische Dis-kussion freie Hand im „deutschen Inter-esse“ zu verfahren. Den Grünen ist’srecht, denn sie müssten sonst für einedeutliche Verbesserung der Ausländerpo-litik kämpfen.

STANDORTKONKURRENZ. Die Minis-terpräsidenten der Bundesländer habensich auf Grundsätze für einen neuen Fi-nanzausgleich geeinigt. Bis zum Aprilsollen die Finanzministerien der Länderaus den beschlossenen Leitlinien kon-krete Einzelregelungen entwickeln. So-weit ersichtlich, soll die Standortkon-kurrenz zwischen den Ländern etwasverschärft werden, das entsprechendeStichwort im Ergebnisprotokoll lautet:„Die Neuregelung des Finanzausgleichssoll gegenüber dem geltenden Recht einestärkere Anreizorientierung verwirk-lichen, die einen höheren Selbstbehalt inden Ländern als bisher gewährleistet.“Die Länder mit überdurchschnittlichenSteuereinnahmen (Bayern, Baden-Würt-temberg, Hessen und NRW) sollen künf-tig weniger in den Ausgleich einzahlen;die östlichen Bundesländer sollen nichtschlechter gestellt werden (wobei hierangedeutet wird, dass der Bund mehrzahlen soll), die Stadtstaaten sollen an-geblich auch nicht viel schlechter fahren,blieben als Hauptbetroffene vor allemNiedersachsen, Schleswig-Holstein,Rheinland-Pfalz und das Saarland. Da-mit der Systemwechsel nicht zu drasti-schen Einbrüchen bei den betroffenenLändern führt, soll die Besser- bzw.Schlechterstellung zunächst auf 12 Markpro Einwohner im Umstellungjahr be-schränkt werden.

ZENTRALISIERUNG. Der Chef derDeutschen Bank war begeistert, Eichelsei der beste Finanzminister, den dieBundesrepublik Deutschland je hatte.Das dicke Lob gab’s wegen der Reform-pläne für die Bundesbank und die Bank-enaufsicht.Nachdem sich die Kompeten-zen der Bundesbank mit der Euroeinfüh-rung in Richtung Einflussnahme auf dieEuropäische Zentralbank verschobenhaben, will Finanzminister Eichel dieBundesländer aus der Bundesbank her-aushaben. Bisher sind die neun Präsi-denten der Landeszentralbanken Mit-glied des Zentralbankrates. Dieses Di-

rektorium soll durch einen sechsköpfigenVorstand ersetzt werden. Gleichzeitigwill Eichel eine neue Finanzmarktauf-sicht schaffen, die die bisher getrenntexistierenden Aufsichtsbehörden fürKreditwesen, Versicherungen und fürWertpapierhandel ablöst. Diese Zentra-lisierung verringert vor allem den Ein-fluss von Sparkassen und ähnlichen Kre-ditinstituten, die eher noch der regiona-len Wirtschaft verbunden sind. Gestärktwerden die sogenannten Global Player,die ihre Geschäfte mindestens europa-weit betreiben. Man versteht die Freudebei der Großbank.

LAUSCHEN ERLEICHTERT. Das Bun-deskabinett hat am 24. Januar einen Ge-setzentwurf beschlossen, der Abhörak-tionen von Verfassungsschutz und der an-deren Geheimdienste an die technischeEntwicklung anpassen soll (das Verfas-sungsgericht hatte das beanstandet). DieGelegenheit nutzte Schily, um auch nochden Katalog auszuweiten, wann die Ge-heimdienste tätig werden dürfen. Neuauch bei Geiselnahmen im Ausland,Mordund Totschlag, Geiselnahmen, Spreng-stoffexplosionen, die sich gegen die fdGorichten; damit sei jetzt auch die Beob-achtung von Einzelpersonen möglich undnicht nur von sog. terroristischen Verei-nigungen. Auch die Volksverhetzungwurde aufgenommen. Die Grünen inFraktion und im Kabinett stimmten auchzu, da einige Datenschutzbestimmungenebenfalls geändert wurden (Löschungnicht mehr benötigter Daten).

IMMER NOCH KEINE ZAHLUNG. Sogarder innenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach,regte sich auf: „Denen fällt auch immerwas Neues ein, wären nicht die Beru-fungsfälle, gäbe es bestimmt ein anderesArgument.“ Mit denen sind jene großenFirmen gemeint, die immer noch nicht inden Zwangsarbeiterfonds einzahlen unddie immer noch die Freigabe der Gelderblockieren. Hatten sie bisher argumen-tiert, gezahlt wird, wenn der letzte Fallvor US-Gerichten erledigt ist (das dürf-te dieser Tage der Fall sein), kam nun derEinwand, man müsse noch abwarten, obnicht Berufungen stattfinden.Auch sonstUnerfreuliches aus dem Kuratorium derStiftung: für den Posten des sog. Zu-kunftsfonds bewirbt sich Lothar Ulsa-mer vom Daimler-Chrysler-Konzern. Erwar 1988 und 1991 Autor bei der NPD-nahen Zeitschrift Europa.

NPD-VERBOT. Diese Woche wird dieBundesregierung ihren Verbotsantrag ge-gen die NPD beim Bundesverfassungsge-richt einreichen. Die Staatssekretärin imInnenministerium Cornelie Sonntag-Wolgast meint, das Material sei so über-zeugend, dass das Gericht dem Antragfolgen werde. Auch Bundesrat undBundestag werden ihre Anträge danneinreichen.

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PB 02/2001 • AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT 3

In der letzten Ausgabe der Politischen Be-richte veröffentlichten wir eine Chronik derBSE-Krise, die die Unterschätzung, Täu-schungs- und Vertuschungsmanöver vonz.T. direkt kriminellen Ausmaßen deutlichmachte. In dieser und der nächsten Ausga-be wollen wir PDS-Positionen zu den Ursa-chen der Krise und notwendigen politischenKonsequenzen veröffentlichen. In Kürze er-scheint ein von Dr. Sabine Voigt für dieBundestagsfraktion der PDS zusammenge-stellter, materialreicher Reader („BSE – Rin-der- oder Menschenwahn? Seuche oderPharma-Unfall?“), aus dem wir unter ver-schiedenen Gesichtspunkten Teile entnom-men, leicht bearbeitet und zusammenge-stellt haben. scc

Die Zahl der BSE-Fälle in Europa steigtweiter. Bisher wurden mehr als 181.900Fälle registriert. Allein in Großbritan-nien wurden 180.500 Rinder (Stand Ja-nuar 2001; kumulativ) mit BSE-Befundregistriert. 3,8 Millionen alter englischerKühe wurden verbrannt. Hochrisikolän-der sind Großbritannien mit 500 Fällenauf 1 Mio. Rinder 1999, Portugal mit 188BSE-Fällen je 1 Mio. Rinder. In Irlandund Frankreich liegt der Wert unter 100Fälle je 1 Mio. Rinder.

Bisher sind 19 zweifelsfreie BSE-Fäl-le in Deutschland bekannt (Stand25.1.2001). Doch dabei wird es nichtbleiben.Wöchentlich kommen neue Fäl-le hinzu. Nicht nur liegt der Verdacht na-he, sondern es lässt sich mit hoher Wahr-scheinlichkeit sagen, dass längst BSE-

Kühe in die Nahrungskette gelangt sind.Für Deutschland werden in diesem Jahrzwischen 200 und 500 BSE-Fälle erwar-tet (Aussagen der Bundesanstalt fürFleischforschung in Kulmbach).Das ent-spricht einem Seuchenstatus größerenAusmaßes. BSE ist aber keine Seuche, dadie Krankheit nicht – wie sonst bei Seu-chen – lokal oder regional zu verortenund höchstwahrscheinlich nicht hori-zontal durch Infektion von Tier zu Tierübertragbar ist.

Ursachen der Krise

BSE zeigt, wie stark sich in einer Gesell-schaft, in der der Profit regiert, dieMenschheit von der Natur entfremdethat.Das vollendete profitabelste Verwer-ten von Abfällen steht dahinter. DasTrimmen auf widernatürliche Leistung,Wachstum und Reproduktion schafftÜberproduktion und Überkonsum.

Die Landwirtschaft Europas produ-ziert heute weit mehr, als sie absetzenkann. Was einmal mit Fortschritten zuArbeitserleichterung und Spezialisie-rung begann, wurde zunehmend denMarkt- und Profitzwängen geopfert.Kälber werden mit fremden Tierfettenstatt mit Milch aufgezogen, Pflanzen-fresser mit Tiermehl gefüttert, Hormoneund Antibiotika eingesetzt, ohne die Ge-flügel, Schweine und Rinder auch Eier,Kotelett und Milch produzieren können,und schließlich werden noch das letzteZipfelchen vom Knochen, Knorpel undFettgewebe in die Wurstpelle gedrückt.

Wo ist das Verursacherprinzip

anzusetzen?

Gesucht werden Schuldige und einge-schlagen wird vor allem auf die agrarin-dustrielle Großproduktion. Der Begriff„industrielle Landwirtschaft“ oder„Agrarindustrie“ wird oft negativ ge-braucht, und es sehen sich gerade dieBauern im Osten der BRD, wo große Be-triebe und Agrargenossenschaften gangund gäbe sind, regelrecht stigmatisiert.Aber, die letzten Wochen haben es ge-zeigt, BSE ist keine Frage großer oderkleiner Betriebe. Auch kleinere Famili-enbetriebe wie in Bayern wurden Opfervon BSE.Tatsächlich ist heute jeder Bau-ernhof spezialisiert und im Rahmen sei-ner Möglichkeiten rationalisiert. Tat-sächlich zählt zur Agrarindustrie der ge-samte Komplex des Vorleistungs- (vomMaschinenbau über Agrochemie bis hinzu Mischfuttermittelkonzernen) und desNachleistungsbereiches der Landwirt-schaft (Rohwarenhandel, Lagerung, le-bensmittelverarbeitende Industrie).

Eines ist jedoch klar: Wir haben es hierkeineswegs nur mit einem landwirt-schaftlichen oder wirtschaftlichen Pro-blem der Futtermittel- oder Lebens-mittelherstellung zu tun, sondern mit ei-nem zutiefst gesellschaftlichen Problem.Dazu gehört, dass der liberalisierteMarkt die Bauern zwingt, ständig billi-ger zu produzieren, um zu überleben. Einentscheidender Punkt hinsichtlich derAusweitung von BSE ist etwa, dass im-mer weniger Futter, insbesondere Ei-weißfutter, aus eigenem betrieblichen

oder regionalen Aufkommen in derViehhaltung zur Anwendungkommt. Das ist aber nicht ursäch-lich von den Bauern so gewollt undzu verantworten. Um den beste-henden irrsinnigen Leistungs-druck aushalten zu können, demdie Bauern „dank“ der Globalisie-rung unterworfen werden, sind sieauf hochkonzentrierte und vor al-lem billige Eiweißfuttermittel an-gewiesen. Dass sie hier nicht aus-brechen können, dafür sorgen dieprofitträchtigen, national wieauch international agierendenUnternehmen, die den Futter- undLebensmittelhandel fest unterKontrolle haben. Sie sind es, dieden enormen Intensivierungs-druck in den Ställen,aber auch aufden Feldern geradezu umweltge-fährdend forcieren.

Letztendlich sitzen die Verant-wortlichen in den Führungsetagenvon Futtermittelkonzernen, vonHandelsketten,auch der Agrarlob-by (CMA, Centrale Marketingge-sellschaft; DBV, Deutscher Bau-ernverband)) und nicht zuletzt in

BSE-Krise

Eine neue Agrarpolitik ist notwendig

Die PDS forderte im Dezember ein Soforthilfsprogramm: Die durch die BSE-Krise geschä-

digten Kommunen sollen bei der Beseitigung von Schlachtabfällen und Kadavern über die

geltenden Regelungen hinaus unterstützt werden, die betroffenen landwirtschaftlichen Be-

triebe finanzielle Hilfe durch einen Nothilfefonds erhalten. Bisher wurde der PDS-Antrag nicht

verhandelt.

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4 AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT • PB 3/2001

der Agrar-, Gesundheits- und Umwelt-politik selbst.

Betroffen sind alle Bauern – kleine wiegroße –, Milchproduzenten, Rindermäs-ter und Rinderzüchter gleichermaßen,denn sie alle beziehen ihre Kraft- undMischfuttermitteln von Konzernen desagrarindustriellen Vorleistungsberei-ches. Bauernhöfe und landwirtschaftli-che Betriebe sind auch alle an die Preis-diktate von Verarbeitungsindustrie undHandelsketten gebunden und dem Kapi-talverwertungsprinzip unterworfen.Deshalb geht es nicht an, dass die Bau-ern die Suppe alleine auslöffeln.

Vorsorgender Verbraucher- und Gesund-

heitsschutz!

BSE ist nicht kontrollierbar. Kühe sinderkrankt, die kein Tiermehl gefressenhatten. Der maternale Übertragungswegist nicht erwiesen, steht aber unter Ver-dacht. Jetzt zweifelt man an Milchaus-tauschern mit Tierfetten. Die Testes de-cken nur einen minimalen Teil derSchlachtungen ab. Immer wieder gibt esbei intensiven Zollkontrollen illegale Im-porte über Drittländer.Etikettenschwin-del und illegale Beimischungen beiFleisch, Wurst und Futtermittel sind ander Tagesordnung. Übertragungen undRückübertragungen auf andere Tiere(Schafe, Katzen) sind realistisch. Kürz-lich wurden in Spanien in einer Grube300 illegal getötete Rinder entdeckt …Wen wundert’s? Kontrollen werden we-der flächendeckend noch branchende-ckend durchgeführt – alles eine Frage vonKosten und teuren Kapazitäten.

us der langen Skandalgeschichte derBSE-Krise wird deutlich,wie wichtig diepolitische Anerkennung des Vorsorge-prinzips bezüglich des Schutzes des Ver-brauchers und seiner Gesundheit wäre.Dies würde bedeuten, dass immer so ge-handelt werden muss, dass bei einer An-mahnung zur Abwehr gesundheitlicherRisiken für die Bevölkerung derschlimmst mögliche Fall angenommenwerden muss: hier die Abwehr der neu-en Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (nCJK),zumindest solange,bis Verdachtsmomen-te, Risiken und Gefährdungen abge-schätzt, eingegrenzt und ausgeschaltetsind. Natürlich ist in der Lebensmittel-produktion keine 100%ige Sicherheitvorhersagbar,und natürlich lässt sich einRisiko niemals ausschließen. Jedoch so-lange man das Risiko für die weitereAusbreitung von BSE und der auf denMenschen übertragbaren Krankheitnicht kennt und eine Risikoabschätzungnicht vorgenommen werden kann, sinddrastische Sicherheitsmaßnahmen zu er-greifen. Es stellt sich deshalb die Frage,wie bei all den Unwägbarkeiten und wis-senschaftlichen Ungenauigkeiten derBSE-Erreger tatsächlich ausgemerztwerden kann, wenn Risikoherden undRisikomaterial (Innereien, Tiermehl,Düngemittel) nicht aus der Nahrungs-kette bzw. aus dem Reproduktionskreis-lauf herausgenommen werden.

Rentenreform

Nächste Runde eingeläutetAm Freitag, den 26. Januar hat der Bundes-tag in erster Lesung mit der Mehrheit vonRot-grün bei Gegenstimmen der Unionspar-teien, der FDP, der PDS und einiger wenigerAbgeordneten von SPD und B90/Grüne denGesetzentwurf für eine Rentenreform verab-schiedet. Wesentliche Punkte, über die wirschon mehrfach berichtet haben:

Das Rentenniveau wird auf einenschon nicht mehr absehbaren Zeitraumvon 30 Jahren auf 67% des Nettolohnni-veaus festgeschrieben. Diese Zahl ist ingewisser Hinsicht eine Hausnummer,denn niemand weiß, wie hoch das Netto-lohnniveau in 30 Jahren sein wird, nie-mand weiß, wie hoch z.B. die Mietausga-ben im Verhältnis zum Einkommen lie-gen werden, kurz der Lebensstandard imBereich von einer Generation weiter,lässt sich einfach nicht abschätzen.

Die Botschaft, die aber von der Politikmit dieser Zahl für die Lebensplanungder heute aktiv in Lohn-/Gehaltsver-hältnissen stehenden Bevölkerung über-mittelt wird: auch in Zukunft wird es ei-ne gesetzliche Rentenversicherung ge-ben, sie wird aber wahrscheinlich im Ver-hältnis zum üblichen Lohneinkommennicht mehr so hoch sein.

Die Betrugsvorwürfe treffen nicht

Die Erregung der Union, dass das allesein Betrug sei,kommt nicht so richtig rü-ber (sonst wäre das mit dem Plakat überSchröder als Kriminellen angekommen),weil sie selber so was ähnliches geplanthatte, als sie noch regierte und vor allem,weil es vielen irgendwie klar ist, dass eswahrscheinlich nicht anders geht, außerdas ganze System der Alterssicherungwird völlig umgeändert, was aber außervielleicht der PDS niemand will.

Entsprechend dann die zweite Bot-schaft der Rentenreform: Jeder solltekünftig selber was auf die Seite legen,so-weit er das nicht sowieso tut.Dafür gibt’sverschiedene Anreize:

Materielle Anreize

Das eine sind die steuerlichen Zuschüs-se zur privaten Altersvorsorge. Der Ein-wand, dass auch hier Betrug vorliegt,zieht ebenfalls nicht richtig. Zwarstimmt’s, dass der Beitragsatz für einenArbeitnehmer dann nicht unter den imReformgesetz genannten maximal 22%liegt, wenn man die private Vorsorge mitmaximal 4% dazurechnet.Es macht aberdoch einen Unterschied, ob man einensolchen Betrag nur als Abzugsziffer aufdem Lohn-/Gehaltszettel sieht oder obman das Geld erst mal auf dem Konto hatund sich dann entscheiden kann, wofürman’s aufwendet.

Weiter steigt derzeit das verfügbareEinkommen gerade bei Wenig- und Nor-

malverdienern wegen der Steuerreformmerkbar. 40 bis 50 Mark mehr im Monat,die ab dem Januargehalt da sind, das istin etwa der Betrag, der für eine zusätzli-che Altersversorgung nach dem Riester-gesetz in diesen Einkommensbereichenanzulegen wäre.

Eine Maßnahme, die ebenfalls Druck,machen wird,private Vorsorge zu treiben:Die Rentenversicherung ist künftig ver-pflichtet,jedem Versicherten,der älter als27 Jahre ist, jährlich eine Mitteilung überseine Versicherungsansprüche zukom-men zu lassen.

Anpassungen an üblich gewordene

Lebensplanungen

Der dritte Betrugsvorwurf von Seiten derUnion, Benachteiligung der Frauen (wo-bei auf das aus den sechziger, siebzigerJahren stammende Bild der weiblichenAltersarmut reflektiert wird). Auch dashaut nicht hin. Die Union hat hier einenormes Problem.Eine offene Propagan-da für die Förderung der Hausfrauenehekann sie nicht machen, das würde einerFrau Dr. rer.nat. Angela Merkel auch garnicht abgenommen. Das Frauenbild, dashinter der rot-grünen Rentenreformsteht, entspricht einfach den heutigenRealitäten. Es gibt Übergangsregelun-gen, so dass für alle Frauen, die heute 40und älter sind, Hinterbliebenenrentenusw. in etwa so bleiben wie sie sind.Ver-besserungen gibt’s bei der Anrechnungvon Kindererziehungszeiten. Die Argu-mentation von rot-grün ist in etwa:Langfristig (in den berühmten dreißigJahren) wird die lebenslange Erwerbsar-beit von Frauen normal sein; Unterbre-chungen, Teilzeitarbeit oder Karriere-knicke während der Kindererziehungwerden mit Zuschlägen berücksichtigt.Neue Modelle zur Teilung von Rentenan-wartschaften zwischen Ehepartnern,wiesie bei einer Scheidung wichtig werden,sollen möglich werden. Die bei der heu-tigen Generation im Rentenalter nochhäufig übliche Absicherung der Fraudurch Rentenansprüche des Mannes solldann nur noch eine geringe Rolle spielen.

In der Bundestagsdebatte, die wir ausPlatzgründen nicht dokumentieren kön-nen, wurde das Szenario künftiger Le-bensplanungen von SPD und Grünen-Abgeordneten weiter ausgemalt: Sobräuchte man künftig mehr Ganztags-schulen, dann würde das Problem vonGeringverdienerinnen wegen Kinderer-ziehung auch noch mal weniger werden,die Ausbildung bis zum Abitur könntedann in einem solchen Fall auf zwölf Jah-re verkürzt werden und die Rentenversi-cherungen hätten von dieser Verlänge-rung der Lebensarbeitszeit auch was.DieUnion sah daher in der Kritik an der rot-grünen Rentenreform einfach alt aus.

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PB 3/2001 • AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT 5

Intervention der Wohnungswirtschaft

Von anderer, handfesterer Art, war dieKritik der FDP. Irmgard Schwätzer fochtfür die Interessen der Wohnungswirt-schaft. Das Gesetz von Riester siehtWohneigentum nicht als zuschusswürdi-ge Form der Altersvorsorge an, bzw. dieBedingungen, die an die private steuer-geförderte Altersvorsorge gestellt wer-den, schließen das bisher aus. Als größ-tes Hindernis erweist sich die Forderung,dass eine monatliche Rente fließen muss,was bei Wohneigentum nur möglich wä-re, wenn es gegen eine Leibrente abge-treten wird – vielleicht gäb’s unter denHaushalten ohne Nachkommen, an dievererbt werden kann, einen Personen-kreis der das machen will, aber die Woh-nungswirtschaft hat über Frau Schwät-zer mitgeteilt, dass sie ein solches Modellauch aus anderen Gründen nicht will(Schwierigkeiten der Vermarktung usw.).

Also bleibt hier das Vermittlungsver-fahren über den Bundesrat.Da dieser Teildes Gesetzes die Zustimmung derBundesländer braucht, ist hier eine Ein-flussnahme im Sinne der FDP (im Mo-ment noch in den Regierungen von Ba-den-Württemberg und Rheinland-Pfalzvertreten) zu erwarten, schon wegen derLandtagswahlen in diesen beiden Län-dern im März. Inzwischen hat eine Mehr-heit von Bundesländern bereits erklärthaben, dass sie dem Rentenreformgesetznicht in dieser Form zustimmen wird, ei-ne Fortsetzung dieser Diskussion stehtalso ins Haus.

Große unsoziale Lücken

Nun soll hier nicht ein Loblied auf dierot-grüne Rentenreform gesungen wer-den. Zwar ist eine Modernisierung er-kennbar, dadurch dass die Alterssiche-rung an die geänderten Lebensentwürfe

und Lebensentwicklungen angepasstwird. Sehr traditionell, bleibt aber dieRegierung bei denen, die nicht diese„Normallebensläufe“ durchlaufen ha-ben oder durchlaufen konnten.

Auch wenn in den rot-grünen Renten-reform-Reden öfters von der bedarfsab-hängigen sozialen Grundsicherung ge-sprochen wird: Im Rentenreformgesetzkommt das nicht einmal als Wort vor.Wasmit der Phrase gemeint ist, sind kleinenicht weitreichende Änderungen: Sozi-alhilfeanträge können auch über dieRentenversicherung gestellt werden,die-se klärt darüber auf, dass es solche An-sprüche gibt und, das ist die einzige Ver-besserung, der Rückgriff auf die Kinderfür Unterhaltszahlungen entfällt.

Dass Altersarmut aufgrund gebroche-ner oder zerbrochener Erwerbsbiogra-fien bei der Sozialhilfe landet, daran hatsich aber nichts geändert. alk

W enige Wochen, nachdem die tsche-chische Regierungspartei CSSDund ihre loyale Opposition ODS

bei den Senatswahlen massiv verlorenhaben und die noch rechtere Viererkoali-tion im Senat an die erste Stelle gerücktist, brach der Kampf um das TschechischeFernsehen los, über das auch in den deut-schen Medien ungewohnt ausführlich be-richtet wurde. Der Versuch der ODS, ei-nen willfährigen Fernsehdirektor zu in-stallieren, ist gescheitert, der Versuch derViererkoalition, unter dem Banner der„Unabhängigkeit der Medien“ ihren ei-genen Einfluss auf die öffentlich-recht-lichen Medien und die öffentliche Mei-nung zu stärken, ist noch im Gange. Deram 20. Dezember vom damaligen Ferns-ehrat berufene, ODS-nahe Fernsehdirek-tor Jiri Hodac ist „aus gesundheitlichenGründen“ zurückgetreten, der Fernseh-rat am 12.Januar wegen Missachtung desParlaments abberufen, ein neues Me-

diengesetz vom Abgeordnetenhaus amselben Tage verabschiedet worden. Da-nach soll der Fernsehrat künftig 15 Mit-glieder haben, die von „gesellschaftlichrelevanten Gruppen“ nominiert und vomAbgeordnetenhaus berufen werden. DerSenat hat das Gesetz am 17. Januar ab-gelehnt und an das Abgeordnetenhauszurückverwiesen, weil er selbst bei derBerufung der Fernsehräte dabei sein will.Die revoltierenden Fernsehjournalistenhalten weiterhin die Nachrichtenredak-tion besetzt und haben mittlerweile dieBesetzung auf die Senderleitung ausge-dehnt und den im Dezember vom Ferns-ehrat abgesetzten CT-Finanzdirektor La-dislav Paluska zum TV-Chef ausgerufen.Zigtausende von tschechischen Bürgernsind in den letzten Wochen auf die Stra-ßen gegangen, aufgerufen von der Bür-gerinitiative „Das Tschechische Fernse-hen – eine öffentliche Angelegenheit“.Die meisten von ihnen haben für die Un-

abhängigkeit der Medien demonstriert,nicht für die Stärkung des Einflusses derViererkoalition auf die Medien. Könntesein, dass der Viererkoalition der Stein,den sie aufgehoben hat, irgendwann ein-mal auf die eigenen Füße fällt. R.H.In den Deutsch-Tschechischen Nach-richten,Ausgabe Nr.25 / Januar 2001, derdie hier veröffentlichten Texte entnom-men sind, gibt es darüberhinaus noch eineinen Artikel von Ken Biggs, in dem derHerausgeber von Postmark Prague diepolitischen Konstellationen näher erläu-tert, sowie eine Erklärung des Ge-schäftsführenden Ausschusses des ZKder Kommunistischen Partei Böhmensund Mährens (KSCM),aus der die – skep-tische – Haltung der linken Oppositionzu den Vorgängen beim TschechischenFernsehen hervorgeht.Die Deutsch-Tschechischen Nachrichtenkönnen über GNN Verlag Süd, Stubaier Str.2, 70327 Stuttgart, bezogen werden.

Tschechische Republik

Der Streit um das Tschechische Fernsehen –ein öffentlicher Machtkampf1997: Premier Václav Klaus (Demokrati-sche Bürgerpartei, ODS) gerät wegen ei-ner Parteispendenaffäre in Bedrängis.Sein Rivale Jan Ruml versucht, die Füh-rung der ODS zu übernehmen. Als dasmisslingt, gründet Ruml mit Gesin-nungsgenossen eine eigene Partei rechtsvon der ODS, die „Freiheitsunion“ (US).Klaus muss zurücktreten, eine Über-gangsregierung bereitet Neuwahlen vor.

1998: Nach den Wahlen bilden die So-zialdemokraten (CSSD, 32,3% der Stim-men) eine Minderheitsregierung. Mit dergestürzten ODS (27,7%) unterzeichnensie ein Tolerierungsabkommen. Die USerringt 8,6% der Stimmen mit einem

Wahlkampf, in dem sie die frühere Re-gierung als zu zimperlich bei der Priva-tisierung und beim Sozialabbau kriti-siert. Die Kommunisten (KSCM) bekom-men 11%, die Christdemokraten (KDU-CSL) 9%.

1999: In der Bevölkerung wächst dieUnzufriedenheit. In den Meinungsum-fragen nimmt die Zustimmung zurKSCM zu; Ende des Jahres erreicht die-se zeitweise mit rund 24% Platz 1. Vonder politischen Rechten wird der Vertragzwischen CSSD und ODS für alle Übelverantwortlich gemacht.Die vier kleinenrechten Parteien (US, KDU-CSL, Demo-kratische Bürgerallianz ODA und De-

mokratische Union DU) bilden die sog.Viererkoalition (4K). Im November ver-öffentlichen Intellektuelle, die bei der„samtenen Revolution“ 1989 eine Rollegespielt haben (darunter der Journalistund ehemalige Direktor des Tschechi-schen Rundfunks, Vlastimil Jezek), eineErklärung „Wir danken euch – tretet zu-rück!“ Über 200.000 Menschen unter-zeichnen die Erklärung. Im Dezemberfordern 60.000 Demonstranten auf demWenzelsplatz den Rücktritt der Regie-rung. Eine neue Partei soll gegründetwerden, die „Partei des bürgerlichen An-stands“ (abgekürzt SOS) als Sammelbe-wegung der Rechten.Dann bleibt es doch

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bei der Viererkoalition. Diesewird von Jezek aufgefordert, sich„zu einem neuen politischen Sub-jekt zu binden und unter einer ge-meinsamen Führung mit einemSpitzenkandidaten anzutreten“.

Sommer 2000: CSSD und ODSverabschieden gemeinsam einneues Wahlgesetz, das die beidengrößten Parteien politisch und fi-nanziell begünstigt, die kleinerenmassiv benachteiligt. PräsidentHavel (bekannt für seine Sympa-thien für die Freiheitsunion) ver-weigert die Unterschrift und ruftdas Verfassungsgericht an.

12./19. November 2000: Beiden Kreistagswahlen kommt dieODS auf Platz 1, die 4K auf Platz2,die KSCM auf Platz 3,die CSSDauf Platz 4. Bei den Teilwahlenzum Senat gewinnt die 4K 11 Sit-ze hinzu (jetzt 39 Sitze). Die ODSverliert drei (jetzt 23), die CSSDacht Sitze (jetzt 15, zusammen 1weniger als die 4K!).

November: Der seit zehn Monaten am-tierende Generaldirektor des Tschechi-schen Fernsehens (CT), Dusan Chmeli-cek, wird heftig kritisiert, weil er einekritische Reportage über ein Wett-Unternehmen vom Sendeplan abgesetzthat,nachdem die Firma drohte, ihre Wer-bespots zurückzuziehen.

12. Dezember: Der tschechischeFernsehrat beschließt mit schwammigerBegründung Chmeliceks Abberufung.Von den neun Mitgliedern des Rates, dienach der bisherigen Regelung von denParteien nominiert und vom Abgeordne-tenhaus (der „unteren“ Kammer destschechischen Parlaments) gewählt wur-den, stehen vier der CSSD, drei der ODSund einer der US nahe. Für die Abberu-fung ist eine Zweidrittelmehrheit (d.h.mindestens 6 Stimmen) erforderlich. DieAblösung Chmeliceks durch einen Nach-folger ist für Ende Januar geplant.

17. Dezember: Rund 40 Medienexper-ten, Film- und Fernsehproduzenten,Schriftsteller und CT-Angestellte pro-testieren gegen die Abberufung Chmeli-ceks. Der Fernsehrat wird wegen Unter-würfigkeit unter Parteiinteressen zumRücktritt aufgefordert.Vom Abgeordne-tenhaus fordern die Protestierer in einerPetition „Das Tschechische Fernsehen,eine öffentliche Angelegenheit“ die Aus-setzung des Verfahrens zur Neubeset-zung des Direktorenpostens. Eine De-monstration während der nächstenFernsehratssitzung am 19.12. wird ange-kündigt und ein Streik vorbereitet. Die„radikale Version“: Unterbrechung derSendungen; die zahmere Version: Verle-sung der Petition im Fernsehen.

19. Dezember: Der Fernsehrat beräterstmals über den Nachfolger Chmeli-ceks; vor dem Gebäude demonstrierenetwa 300 Menschen. Zwei führende Poli-tiker der 4K – der Stellv.SenatspräsidentJan Ruml und Senator Michael Zantovs-ky – fordern ein neues Fernsehgesetz mit

anderem Wahlmodus und die Verschie-bung der Neuwahl bis nach dessen Ver-abschiedung. 27 weitere Senatorenschließen sich an.

20. Dezember: Das von der US für denFernsehrat nominierte Mitglied (derevangelische Pfarrer Miloš Rejchrt) trittzurück. Der nunmehr achtköpfige Ratwählt in einer Blitzentscheidung unter33 Bewerbern Jiri Hodac zum neuen CT-Direktor. Der britische Staatsbürger undehemalige BBC-Mitarbeiter, der nachzwanzigjährigem Exil in Australien undEngland 1999 nach Prag zurückkehrte,hatte bereits im Sommer 2000 vier Mo-nate als Nachrichtenchef beim CT gear-beitet.Wegen allzu großer Willfährigkeitgegenüber äußerem Druck war er aberbereits damals mit der Nachrichtenred-aktion in Konflikt geraten: Als sich Re-gierungschef Miloš Zeman und Opposi-tionschef Václav Klaus über einen Mode-rator beschwerten,der ihnen in der sonn-täglichen Politshow „V pravé poledne“(Zwölf Uhr mittags) unangenehme Fra-gen gestellt hatte, feuerte Hodac den kri-tisierten Journalisten. Danach musste erselbst den Hut nehmen.

Am Abend unterbricht die Redaktionder Hauptnachrichten die Sendung, einText auf dem Bildschirm bezeichnet dieWahl von Hodac als existenzbedrohendfür das Tschechische Fernsehen.Die Red-akteure bilden einen Krisenausschuss.

21. Dezember: In Prag, Brno und Ost-rava finden Demonstrationen gegen dieWahl Hodacs statt.Bis zum späten Abendunterzeichnen ca. 10.000 Menschen dieErklärung „Das Tschechische Fernsehen– eine öffentliche Angelegenheit“.

Der ODS-Chef und Parlamentsvorsit-zende Václav Klaus fordert die Privati-sierung des CT.

22. Dezember: Hodac beginnt als neu-er CT-Generaldirektor. Zur Nachrich-tenchefin ernennt er Jana Bobosiková,die 1999 zeitweilig als Beraterin vonKlaus tätig war. Die Journalisten beset-

zen die Redaktionsräume und ma-chen die Nachrichten in eigenerRegie.Die Mehrheit der CT-Ange-stellten unterstützt sie.

24. Dezember: Das CT strahltzwei verschiedene Nachrichten-sendungen aus. In den regulärenRedaktionsräumen produziert dierevoltierende Nachrichtenredak-tion ihre Sendungen, die aber nurin den ca. 350.000 Haushalten mitSatelliten- oder Kabelfernsehenempfangen werden können. In an-gemieteten Räumen der beidenPrivatsender Nova und Primaproduziert Jiri Hodac mit einigenUnterstützern „offizielle“ Sen-dungen. Da die für die Ausstrah-lung verantwortliche Sendean-stalt Ceske radiokomunikace Ho-dac als rechtmäßigen Direktor an-erkennt, erhält die Mehrheit dertschechischen Fernsehzuschauerdie von ihm produzierten, analogausgestrahlten Sendungen.

Wie in den Tagen zuvor finden vor demCT-Gebäude Demonstrationen zurUnterstützung der revoltierenden Jour-nalisten statt.

26. Dezember: Jana Bobosiková über-reicht 20 Mitarbeitern der Nachrichten-redaktion die Kündigung, die von diesenzurückgewiesen wird.

Kulturminister Pavel Dostal (CSSD)unterstützt die Redakteure. Er sieht dieGefahr einer gesamtgesellschaftlichenKrise als Folge der TV-Krise.

Der ehemalige ODS-Außenministerund jetzige 4K-Senator Josef Zieleniec:„Die Arroganz, mit der das Tolerierungs-abkommen [zwischen CSSD und ODS]entstanden ist, wird auf konkrete Schrit-te übertragen, die dazu führen sollen, dieMacht der beiden Parteien aufrecht zuerhalten.“

27. Dezember: Hodac lässt beide Ka-näle des CT abschalten und fordert einePrüfung, welches Programm das recht-mäßige ist.

Das politische Gremium der regieren-den CSSD (ohne Premier Zeman) kriti-siert den Schritt Hodacs und fordert ihnzum Rücktritt auf.

Die Vizepremiers Pavel Rychetsky undVladímir Spidla (beide CSSD) versuchenerfolglos, zu vermitteln. Laut Rychetskysoll am 3. Januar ein Regierungsentwurffür ein neues Fernsehgesetz beschlossenwerden.

28. Dezember: Der Fernsehrat bestä-tigt die Rechtmäßigkeit von HodacsNachrichtensendungen, fordert ihn aberauf, die Programmausstrahlung wiederaufzunehmen. Dies geschieht, doch an-stelle der Nachrichten erscheint wiederein Hinweis, dass in das Netz Program-me von nicht autorisierten Personen ein-gespeist worden seien.

Vor dem Gebäude demonstrieren meh-rere Tausend Menschen.

29. Dezember: Der Fernsehrat fordertHodac auf, mit allen juristischen Mittelnfür die Wiederaufnahme der Sendungen

6 AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT • PB 3/2001

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PB 3/2001 • AUSLANDSBERICHTERSTATTUNG 7

zu sorgen. Hodac verhandelt mit der Po-lizei über ein eventuelles Eingreifen ge-gen die Besetzer der Nachrichtenredak-tion. Die Polizei lehnt ab, JustizministerRychetsky erklärt, er sehe keine juristi-sche Grundlage für einen Polizeieinsatz.Eher werde er zurücktreten. PräsidentHavel äußert zum wiederholten Male sei-ne Unterstützung für die revoltierendenFernsehmitarbeiter.

31. Dezember: Hodac lässt die Nach-richtenredaktion durch einen privatenWachdienst abschirmen. Die Journalis-ten können zwar die Redaktion verlas-sen,z.B.um zur Toilette zu gehen,danachaber nicht wieder zurückkehren.

1. Januar: Hodac lässt die Ausweiseder Anwesenden von der Polizei kontrol-lieren. Die Journalisten treten in denStreik. Durch die Fenster werden sie vonSympathisanten mit allem Nötigen ver-sorgt,darunter auch mit fünf chemischenKlos.

2. Januar: Auf Veranlassung von Klaustreffen sich die Vorsitzenden der Parla-mentsparteien, unter Ausschluss derKSCM. Klaus’ Kompromissvorschlagfindet keine Unterstützung.

Die 4K-Vertreter fordern die Abberu-fung Hodacs. Der Chef der Freiheits-union will auch den Fernsehrat abberu-fen lassen.

Regierungschef Zeman hofft auf eineLösung durch das neue Fernsehgesetz.Nach der Verabschiedung des Entwurfsam 3. Januar werde die Regierung um dieErklärung des legislativen Notstands er-suchen, damit das Gesetz im Parlamentbeschleunigt verabschiedet werden kön-ne.

Von den acht Fernsehräten haltennoch vier an Hodac fest.

Die revoltierenden Journalisten erhal-ten Unterstützung durch die Böhmisch-Mährische Konföderation der Gewerk-schaftsverbände und die Assoziation derselbständigen Gewerkschaften sowiedurch die Internationale Journalistenfö-deration.

3. Januar: Nach dem Regierungsent-wurf für ein neues Rundfunk- und Fern-sehgesetz sollen die Parteien keine Kan-didaten für den Rundfunk- und Ferns-ehrat mehr nominieren dürfen.Diese sol-len künftig von Bürgerinitiativen, Ver-bänden, Glaubensgemeinschaften undanderen gesellschaftlichen Gruppen vor-geschlagen und dann vom Parlament ge-wählt werden. Die Amtszeit des jetzigenRates soll 30 Tage nach dem Inkrafttre-ten des neuen Gesetzes enden.

Der Senat fordert Hodac und denFernsehrat zum Rücktritt auf.

Präsident Havel verschiebt seinen Ur-laub.

Fast 100.000 Menschen demonstrierenauf dem Prager Wenzelsplatz „für dieUnabhängigkeit des tschechischen Fern-sehens“. Die Erklärung „Das Tschechi-sche Fernsehen – eine öffentliche Ange-legenheit“ ist mittlerweile von ca.120.000 Menschen unterzeichnet wor-den.

In der Presse wird die Situation mitder von 1989 verglichen und von einem„Machtkampf“ gesprochen.

4. Januar: Der Medienausschuss desParlaments kommt bei seiner Sondersit-zung zu keinem gemeinsamen Beschluss.Die ODS-Vertreter beharren auf derRechtmäßigkeit der Wahl Hodacs undempfehlen,auf das neue Mediengesetz zuwarten. Die Vertreter der Viererkoalitionverlangen den Rücktritt Hodacs. DieCSSD-Vertreter votieren uneinheitlich.

Hodac erleidet einen Kreislaufkollapsund kommt ins Krankenhaus.

Der Leiter der Europäischen Kom-mission, Ramiro Cibrian, erörtert die Si-tuation bei CT mit dem stellv. tschechi-schen Außenminister, Pavel Telicka.

5. Januar: Vierzehnstündige Sonder-sitzung des Abgeordnetenhauses: Mitden Stimmen von CSSD, KDU-CSL undUS wird der Fernsehrat aufgefordert,Hodac abzuberufen.Nur die ODS hält anihm fest. KDU-CSL und US (beide Mit-glieder der 4K) fordern die Abberufungdes Fernsehrates. Premier Zeman be-schuldigt Präsident Havel, die Journalis-ten zu Gesetzesverstößen angestiftet zuhaben. Havel fordert eine Entschuldi-gung.

Hodac, weiterhin im Krankenhaus,lehnt einen Rücktritt ab.

8. Januar: Sondersitzung des Fernseh-rates.Die Abberufung Hodacs steht nichtauf der Tagesordnung.

9. Januar: Die von Hodac eingesetzteNachrichtenchefin Jana Bobosiková gibtes auf, selbst Nachrichtensendungen zuproduzieren.

10. Januar: Die ursprüngliche Nach-richtenredaktion, die weiterhin die Red-aktionsräume besetzt hält, sendet erst-mals wieder ungestört Nachrichten.

Der Kulturausschuss des Abgeordne-tenhauses empfiehlt eine Novelle des Me-diengesetzes, nach dem der Fernsehratauch künftig nur vom Abgeordnetenhausgewählt werden soll. Die Christdemo-kraten (KDU-CSL) setzen sich mit ihremVorschlag, auch den Senat zu beteiligen,ebensowenig durch wie die Vertreter derFreiheitsunion (US), die die Wahl einesDrittels der Fernsehräte dem Präsiden-ten überlassen will.

11.Januar: Hodac wird aus dem Kran-kenhaus entlassen und tritt „aus ge-sundheitlichen Gründen“ zurück. Wie-der demonstrieren Zigtausende in Pragund anderen Städten. Neben Gewerk-schafts- und Parteienvertretern sprichtein Vertreter der polnischen Solidarnosc.Alle bejubeln den Sieg im „Streit um dieUnabhängigkeit des Fernsehens“. DerSprecher der Bürgerinitiative „DasTschechische Fernsehen – eine öffentli-che Angelegenheit“ fordert, das neueFernsehgesetz müsse eine „Entpolitisie-rung“ der Wahl des Fernsehchefs bein-halten. Abgeordnetenhaus, Senat undPräsident müssten gleichberechtigt dar-an beteiligt sein – mit anderen Worten:nicht die „große Koalition“ aus CSSDund ODS, sondern die Viererkoalition

soll letztendlich bestimmen, wer Fern-sehchef wird.

12. Januar: In einer 18-stündigen Sit-zung beschließt das Abgeordnetenhausdie Abberufung des Fernsehrates,der dieParlamentsbeschlüsse der Vorwoche ig-noriert hat. Mit 133 Ja- und 52 Nein-Stimmen wird ein neues Mediengesetzbeschlossen, nach dem die Kandidatenfür den Fernseh- bzw.Rundfunkrat nichtmehr von den Parteien, sondern von „re-levanten gesellschaftlichen Gruppen“nominiert, aber vom Abgeordnetenhausberufen werden. Die CT-Journalistenhalten weiterhin die Redaktionsräumebesetzt und wollen ihren Streik fortset-zen, bis alle Mitglieder der Fernsehlei-tung abberufen und die Kündigungenzurückgenommen sind. R.H.

Quellen: Radio Prag, Prager Zeitung,Süddeutsche Zeitung, ARD, ORF2 •

Italien

Verbot von Forzanuova contraMeinungskampf?In der Diskussion um ein Verbot der fa-schistischen Organisation Forza Nuova(Neue Kraft, Fn), die Ende Dezember nachdem Attentat auf il manifesto aufgeflammtist, überwiegt derzeit die Ablehnung einesVerbots. Das ist zunächst erstaunlich, denn zahl-reiche Fakten sprechen für ein Verbot.Der Attentäter steht in Verbindung zu Fnund auch staatliche Stellen sehen Zu-sammenhänge. Der Chef des UCIGOS(Zentrales Amt für allgemeine Untersu-chungen und Sonderaktionen der staat-lichen Polizei) gab in einer Anhörung vorder Parlamentskommission Stragi (Mas-saker, Attentate) Untersuchungsergeb-nisse bekannt, dass hinter den drei At-tentaten in Rom (auf das Museum der Re-sistenza im November 1999, auf das Ki-no Nuova Olimpia im November 2000und auf il manifesto) eine einheitlicheStrategie erkennbar sei,die auf Forza nu-ova zurückgeführt werden könne.

Fn kündigt derweil die Beteiligung ander Parlamentswahl im Frühjahr an undals Auftakt des Wahlkampfs eine natio-nale Kundgebung am 10. Februar in Ver-ona unter der Losung „Zusammen mitHaider, in Forza nuova. Schluss mit derEinwanderung, stoppen wir die Inva-sion“.Obwohl diese Kundgebung und dieAktivitäten von Fn insgesamt rassisti-schen und faschistischen Charakter ha-ben,schreiten die Behörden bislang nichtein. Dabei ist die Rechtslage eindeutig.

Verfassung und Gesetze verbieten fa-

schistische und rassistische Propaganda

und Organisation

Die italienische Verfassung legt in Art.

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8 AUSLANDSBERICHTERSTATTUNG • PB 3/2001

139, 12. Übergangsbestimmung, fest:„Die Reorganisation der aufgelösten Fa-schistischen Partei ist in jeder Form ver-boten“. Diese Grundsätze wurden 1950in das sog. Scelba-Gesetz aufgenommen(benannt nach dem damaligen Innenmi-nister),das alle Nachfolgeorganisationenverbot. Gleichwohl konnte schon 1946mit dem Movimento Sociale Italiano(MSI) eine Nachfolgeorganisation ge-gründet und über die ganze Zeit fortge-führt werden (heute in Alleanza nazio-nale umgebildet), weil die Christdemo-kratische Partei ein Interesse an derExistenz einer Partei am äußersten rech-ten Rand hatte.

1993 schließlich wurde das sog. Man-cino-Gesetz verabschiedet, das bezüg-lich Organisationen regelt: „Verboten istjede Organisation, Vereinigung, Bewe-gung oder Gruppe,die in ihren Zielen dieAufstachelung zur Diskriminierung oderzur Gewalt aus rassischen, ethnischen,nationalen oder religiösen Gründen hat.Wer an solchen Organisationen,Vereini-gungen, Bewegungen oder Gruppen be-teiligt ist oder ihre Aktivitäten unter-stützt, wird allein für die Tatsache derBeteiligung oder Unterstützung mit Haftvon sechs Monaten bis zu vier Jahren be-straft. Wer solche Organisationen,Verei-nigungen, Bewegungen oder Gruppenfördert oder leitet, wird allein dafür mitHaft von ein bis sechs Jahren bestraft“.Neben der Organisationsbildung wird indem Gesetz auch die entsprechende Pro-paganda unter Strafe gestellt. Nach demWortlaut wie dem Sinn des Gesetzes sindAktivitäten wie die Kundgebung am 10.Februar zu verbieten und die Organisa-tion aufzulösen.

Stimmen für ein Verbot

Dennoch sind die Stimmen, die ein sol-ches Vorgehen fordern, in der Minderheitund weitgehend auf die Linke be-schränkt: Unmittelbar nach dem Atten-tat hatte Cossutta für die (Regierungs-)Partei der italienischen Kommunisten

(PdCI) ein Verbot gefordert. Und Berti-notti hatte für die (oppositionelle) Ri-fondazione comunista erklärt: „Forzanuova muß nach dem Mancino-Gesetzverboten werden. Das ist ein gebotenerAkt“. Auf die Frage, ob Rifondazione et-was in dieser Richtung unternehmenwerde, reagierte Bertinotti eher zurück-haltend mit der Möglichkeit einer parla-mentarischen Anfrage. Aus der Begrün-dung konnte man schließen, dass er mitdieser Haltung vermeiden will, unab-sichtlich die Position der parlamentari-schen Rechten zu fördern, die das Vorge-hen gegen rechts mit der Unterdrückungvon Linken (speziell der autonomen Cen-tri sociali) verknüpfen will.

Der Sekretär der Linksdemokraten(DS),Veltroni, schließlich erklärte auf dieFrage von il manifesto nach einem Verbotmit Hinweis auf die Prüfung eines NPD-Verbots in Deutschland: „Ich denke, dassdie Kundgebungen von Forza nuova imGegensatz zum Mancino-Gesetz stehenund das Anziehen der Schrauben inDeutschland der Besorgnis über eine re-ale Gefahr entspricht“. Aber entspre-chende Initiativen der Linksdemokratenals größter Regierungspartei sind nichtbekannt geworden, und einflussreicheLinksdemokraten argumentieren ganzanders.

„Meinungen mit Meinungen bekämpfen“?

Beispielsweise Luciano Violante, Präsi-dent der Abgeordnetenkammer, der zu-nächst ein scharfes Vorgehen gegen Fnangekündigt hatte, dann aber in der Ver-botsfrage umschwenkte: „Eine extremeMaßnahme dieser Art kann nicht zu demZweck angewandt werden, das zivile Be-wusstsein aufzurütteln. Das wäre uner-träglich … Das zivile Bewusstsein rütteltman mit ideellen Schlachten auf, nichtmit Polizeimaßnahmen. Ich teile Ihre Be-sorgnis. Deshalb halte ich es für notwen-dig, die intelligenten Leute, die zivilenLeidenschaften, die Frauen und Männerder Kultur, die Lehrmeister rund um die

großen Werte der Freiheit, die durch die-se Einschüchterungen in Gefahr ge-bracht werden, zu mobilisieren“.

Die Ablehnung eines Verbots (das jaMeinungskampf gegen faschistischeKräfte nicht ausschließt, sondern imGegenteil verlangt) mag daher rühren,dass der Parlamentspräsident wie dieLinksdemokraten als Partei eine Konsti-tutionalisierung der parlamentarischenRechten (also auch Alleanza nazionaleund Lega Nord) durch Einbindung in in-stitutionelle Reformen versuchen. Diekonsequente Durchsetzung des Manci-no-Gesetzes würde zweifellos auch die-se Parteien berühren: Repräsentantenvon Alleanza nazionale haben die Rück-kehr der Fn-Gründer Fiore und Morsel-lo aus dem britischen Exil betrieben, Al-leanza nazionale selber hat nach wie vorfaschistische Strömungen, Kundgebun-gen der Lega Nord tragen unverhüllt ras-sistische Züge.Verbot und Auflösung vonFn ließen sich kaum als „chirurgischeOperation“ trennscharf an der parla-mentarischen Rechten vorbei durchfüh-ren.

Ein Beispiel für Violantes „Mobilisie-rung der intelligenten Leute …“ hat esauch schon gegeben: Ein Bündnis vonzehn Intellektuellen von links bis rechts(darunter der linksdemokratische Philo-sophieprofessor und Bürgermeister vonVenedig, Cacciari) hat einen „Appell analle freien Geister Italiens“ losgelassen,„Meinungen mit Meinungen zu bekämp-fen, ohne Bann und gegenseitige Verteu-felung“. Darin heißt es zu einem Verbotvon Fn: „Ein formaler Verbotsakt hätteunvermeidlich den Effekt, diesen Bewe-gungen einen neuen Anstoß zu geben unddie Spirale von Opferrolle und Rebellen-tum zu verschärfen. Wir müssen die De-mokratie ausdehnen und sie nicht ein-schränken und so versuchen, diejenigeneinzuschließen und nicht auszuschlie-ßen,die sich an ihren Rändern befinden“.Unterschiedslos in einem Atemzug wer-den dann genannt „Gruppierungen derRechten oder der radikalen Linken“.DasArgument wurde von der Rechten dank-bar aufgenommen. So z.B. Gustavo Sel-va, Fraktionschef von Alleanza naziona-le in der Abgeordnetenkammer: „Mei-nungen bekämpft man mit Meinungen.Nur terroristische und gewalttätige Ak-te bekämpft man auch mit dem Strafge-setzbuch“.

Die Propagierung von Ausländerver-treibung oder Antisemitismus, die ideo-logische Brandstiftung nur eine „Mei-nung“ unter anderen? Dass die parla-mentarische Rechte das Argument gernaufgreift, wundert nicht. Damit lockertsich öffentlicher Druck auf diese Par-teien.Dass sie im Gegenzug – wie von dersozialdemokratischen Politik erhofft –die eigene Politik zivilisieren,die eigenenreaktionären Flügel mäßigen oder dievielfältigen Verbindungen zur außerpar-lamentarischen äußersten Rechten kap-pen, ist dagegen nicht abzusehen.

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Faschistische Schläger an der Universität von Rom (ca. Ende der 60er Jahre). Rechts

im Bild Giorgio Almirante, der langjährige Sekretär der faschistischen Partei MSI.

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Proteste in Davos und anderenStädtenIn vielen Städten der Schweiz kam es amWochenende zu massiven Protesten ge-gen das im Wintersportort Davos tagen-de Weltwirtschaftsforum.Rund 3 000 Re-gierungs- und Wirtschaftsvertreter tref-fen sich dort derzeit, um über künftigeStrategien zu beraten. Auch aus einigeneuropäischen Hauptstädten wie War-schau und Madrid wird über Proteste ge-gen das neoliberale Spitzentreffen in denSchweizer Bergen berichtet. Zu Solida-ritätskundgebungen und Protesten ge-gen die Verletzung der Meinungsfreiheitin der Schweiz kam es auch im brasilia-nischen Porto Alegre,wo sich 10 000 Glo-balisierungsgegner aus aller Welt zumWeltsozialgipfel versammelt haben. Da-vos war unterdessen am Samstag von derAußenwelt nahezu abgeschnitten.Trotz-dem konnten mehrere hundert Demon-stranten nach Davos durchdringen, wowiederholt Wasserwerfer gegen sie ein-gesetzt wurden. Auch Teilnehmer einesinternational zusammengesetzten Ge-genkongresses, der unter dem Titel „Pu-blic Eye on Davos“ im Ort tagte, mußtenunschöne Bekanntschaft mit eidgenössi-schen „Sicherheitskräften“ machen, alssie sich den Protesten anschließen woll-ten. Selbst die bekannte indische Femi-nistin und Ökologin Vandana Shiva wur-de mit Polizeiknüppeln traktiert. „Ichhabe ihnen meine Akkreditierung zumForum gezeigt, aber sie hörten nicht auf,mich zu stoßen“, berichtete sie.

Im Nachbarort Landquart wurden et-liche hundert Demonstranten am Bahn-hof an der Weiterfahrt gehindert und mitGummischrot beschossen. Als sie sichschließlich zur Rückfahrt nach Zürichentschlossen, wurden sie dort am Bahn-hof wiederum von Polizei in Empfang ge-nommen. „Die Polizei dreht vollkommendurch“, berichtete ein Augenzeuge aufden Internetseiten des unabhängigenMedienzentrums von den Vorgängen inder Nähe des Zürcher Bahnhofs am frü-hen Samstag abend. Es würde wahllosmit Gummigeschossen in die Menge ge-

zielt, die auf über 1 000 angewachsen sei.Mindestens zwei Demonstranten erlittenschwere Augenverletzungen, die noch inder Nacht operiert werden mußten. Ausdem Polizeiangriff entwickelt sich einemehrstündige Straßenschlacht, bei derauch einige Autos in Brand gesteckt wur-den. In der Folge nahm die Polizei rund100 Demonstranten fest.

In Brasilien protestierten derweilBauern aus aller Welt zünftig gegen dieGlobalisierung, in dem sie ein Versuchs-gut des Gentechnik-MonopolistenMonsanto besetzten und die Felder mitgen-manipulierten Pflanzen zerstörten.Die Aktion war von der Bewegung derLandlosen MST und anderen brasiliani-schen Verbänden organisiert worden. Be-teiligt haben sich unter anderem auchfranzösische Bauern.

Kuba: Kritik an Fischer-Protest Der Vorgang ist seltsam und bizarr:Bundesaußenminister Joseph Fischerhatte in der vergangenen Woche den ku-banischen Botschafter ins AuswärtigeAmt einbestellt und die Regierung in Ha-vanna auffordern lassen, zwei im Landinhaftierte tschechische Politiker freizu-lassen. Der frühere tschechische Finanz-minister und heutige Abgeordnete IvanPilip und das frühere Parlamentsmit-glied Jan Bubenik waren am 12. Januarin der kubanischen Provinz Ciego de Avi-la rund 300 Kilometer östlich der Haupt-stadt Havanna festgenommen worden.Pilip und Bubenik seien nicht als „Tou-risten“ nach Kuba gekommen, sondern„im Dienste und Auftrag des FreedomHouse,bekanntes Instrument der USA inihrer subversiven Politik gegen unserLand, um konterrevolutionäre Elementezu kontaktieren und ihnen Anweisungenund Mittel zu geben“, heißt es in der Er-klärung aus Havanna weiter. Den beidenTschechen soll nach Angaben der kuba-nischen Zeitung Granma der Prozeßwegen nicht näher bezeichneter subver-siver Aktivitäten gemacht werden.

Kuba konterte die ungewöhnlichdrastische Intervention aus dem Hause

Fischer umgehend und wies dieBerliner Einmischung in die in-neren Angelegenheiten zurück.Die kubanische Regierung verbittesich jegliche Einmischung von außen,hieß es in einer diplomatischen Note, dieder kubanische Botschafter MarcelinoMedina daraufhin in Berlin übergab.Darin rechtfertigt Kuba nachdrücklichdie Verhaftung von Pilip und Bubenik.Die Regierung in Havanna könne kei-nerlei Handlungen akzeptieren, die ge-gen die Gesetze und die Souveränität desLandes verstoßen, heißt es in der Erklä-rung aus Havanna. Auch die Regierungin Prag, im Gegensatz zu Fischer für di-plomatische Noten in diesem Fall tat-sächlich zuständig,protestierte gegen dieFestnahme. Die Beziehungen zwischenHavanna und Prag sind gespannt, seitTschechien im vergangenen Jahr bei derUN-Menschenrechtskommission in GenfKuba wegen Menschenrechtsverletzun-gen verurteilte.

Verschärfung der Situation in Süd-serbienAngesichts der neuen Eskalation imGrenzgebiet zum Kosovo hat Jugoslawi-en eine Dringlichkeitssitzung des Weltsi-cherheitsrats beantragt. AußenministerGoran Svilanovic forderte die „sofortigeund entschiedene Verurteilung terroris-tischer Angriffe“ in Südserbien.

Bei einem Überfall von Kosovo-Alba-nern am Rand der fünf Kilometer brei-ten Pufferzone zum Kosovo wurde ein ju-goslawischer Soldat getötet. Eine Grup-pe von 20 Untergrundkämpfern soll beiPresevo ein Militärfahrzeug angegriffenhaben. Die Soldaten hätten entschiedenzurückgeschossen, hieß es in Belgrad.Vier weitere Soldaten wurden bei ande-ren Vorfällen am Sonntag zum Teilschwer verletzt. Der jugoslawischeInnenminister Zoran Zivkovic warntevor einem massiven Einsatz von Polizeiund Armee. In der Pufferzone kämpft derUCK-Ableger UCPMB für die Abtren-nung des Presovo-Tals von Serbien unddessen Vereinigung mit einem unabhän-gigen Kosovo.Wegen des entmilitarisier-ten Status des Gebiets dürfen die jugos-lawischen Streitkräfte dort nicht ein-marschieren, um die Separatisten zu be-kämpfen. Am Freitag waren mehrerehundert UCPMB-Leute in das südserbi-sche Dorf Dobrosin einmarschiert.

Wiederholt hatte die jugoslawischeFührung in den letzten Wochen versucht,die NATO dazu zu bewegen, durch ge-meinsame Patrouillen mit Einheiten derKFOR die Terroristen aus der Pufferzo-ne zu vertreiben und dort für Sicherheitzu sorgen. Die NATO lehnt dies ab. Zu-gleich weist man in Brüssel die Vorwür-fe des jugoslawischen Präsidenten Vojis-lav Kostunica zurück, die NATO sei ent-weder nicht willens oder unfähig, ihrerAufgabe, nämlich für Sicherheit zu sor-gen, nachzukommen.

Zusammenstellung: hav

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10 REGIONALES UND GEWERKSCHAFTLICHES • PB 3/2001

Verfahren gegen Thüringer Flücht-lingsrat mit Geldbuße eingestelltILMENAU. Am 18. Januar verhandeltedas Amtsgericht Ilmenau eine Anklagegegen die Vorsitzende des FlüchtlingsratsThüringen, Julika Bürgin. Wie in unsererletzten Ausgabe berichtet,ging es bei demVerfahren nicht darum, ob das Landrats-amt die medizinische Hilfe für einen 17-jährigen Asylbewerber über Monate hin-weg rechtswidrig verweigerte, sondern,ob die vom Flüchtlingsrat veröffentlich-te Antwort einer Sachbearbeiterin ge-genüber dem Asylbewerber tatsächlichgefallen ist und daher zitiert werden darf.Diese lautete „dass er ein Schwarzer ausAfrika sei und er in Afrika auch keine sol-che Behandlung bekommen hätte“. DasVerfahren wurde gegen Zahlung einerGeldbuße von 1500 DM wegen geringerSchuld eingestellt. Zahlt die Vorsitzendedes Flüchtlingsrats diesen Betrag nicht,wird sie wegen „übler Nachrede“ verur-teilt, weil die vom Asylbewerber angege-bene Aussage der Behördenmitarbeiterinnicht als „erweislich wahr“ erwiesenwerden konnte. Der Flüchtlingsrat, ProAsyl und das Europäische Bürgerforumsowie viele solidarische Einzelpersonenbewerten das Verfahren als Versuch,Men-schen, die sich öffentlich gegen Ras-sismus engagieren,behördlicherseits ein-zuschüchtern. www.nadir.org

27. Januar: Aktion für die Entschä-digung ehem. ZwangsarbeiterInnenBERLIN. 500 bis 600 Menschen trugen am27. Januar die Forderung nach sofortigerEntschädigung der ehemaligen Zwangs-arbeiterInnen auf die Straße. DerBundestagsabgeordnete Heinrich Finkging in seiner Rede kritisch auf die Stif-tungsinitiative und ihre Verschleppungs-taktik ein. Der Wissenschaftler ThomasKuczynski rechnete die Gewinne derdeutschen Wirtschaft mit dem dagegensehr gering ausfallenden „Entschädi-gungsbetrag“ auf. Alle RednerInnen be-tonten, dass die Anmeldung der Neona-

zis wegen der massiven Ankündigungenvon antifaschistischen Gegenaktivitätenvon der Polizei nicht erlaubt wurde. DasBündnis „Gemeinsam gegen Rechts“ so-wie das Antifaschistisches Aktionsbünd-nis III (A3) organisierten außerdem eineGedenkfahrt zum ehem. ArbeitslagerLieberose und riefen für den Abend zu ei-ner Lichterkette in Berlin-Pankow auf.Diese Aktionen sind Teil der Antifaschis-tischen Woche seit dem 24. Januar, die am3. Februar mit einer Demonstration ge-gen die Rep-Bundeszentrale in Pankowabschließen wird. www.antifawoche.de

Großdemonstration am 18. Februarin Ahaus gegen die AtompolitikAHAUS. Nach dem Verzicht der Betreiberauf den Castor-Transport von Neckar-westheim nach Ahaus hat NRW-Innen-minister Behrends am 25. Januar die Vor-bereitungen der Polizei gestoppt. Die BI„Kein Atommüll in Ahaus“ beendet da-her auch die Mobilisierung für denWiderstand gegen diesen Transport. DerAufruf für eine Großdemonstration am

18. Februar in Ahaus bleibt aber beste-hen.Denn es gibt genug Gründe,den Pro-test gegen die Atompolitik zu organisie-ren: •Auch nach dem Transportverzichtaus Neckarwestheim wird es weitere Ver-suche gebe, Atommüll nach Ahaus zuschaffen. •Die sog. Interimslagerung inNeckarwestheim bedeutet ebenso wenigeine Lösung des Atomproblems wie derTransport nach Ahaus. Nur der Verzichtauf die Produktion weiteren nuklearenAbfalls kann eine Verschärfung des Pro-blems verhindern. •Die Grundlage fürden Betrieb von Atomkraftwerken wirdin der Urananreicherungsanlage in Gro-nau geschaffen. Im sog. Atomkonsenswird sie nicht einmal erwähnt. •Für En-de März/Anfang April ist ein Castor-Transport aus La Hague nach Gorlebengeplant. Er soll die Voraussetzungen fürdie weitere Belieferung der franz.Wiederaufbereitungsanlage durch deut-sche Kraftwerksbetreiber schaffen.Freu-de über den verhinderten Castor-Trans-port nach Ahaus – Demonstration für dieStillegung von Atomanlagen und gegenweitere Castor-Transporte – Mobilisie-rung für den Widerstand gegen den an-stehenden Transport nach Gorleben: Dassind die 3 Elemente, die die Demonstra-tion am 18. Februar bestimmen werden.14 Uhr ab Rathaus. www.bi-ahaus.de

Cochemer Appell gegen Atomwaffenim Auswärtigen Amt übergebenBERLIN. Am 16. Januar übergab eine klei-ne Delegation des Trägerkreises „Atom-waffen Abschaffen“ in Berlin den „Co-chemer Appell“ mit ca. 18.000 Unter-schriften an den Staatssekretär im Aus-wärtigen Amt Ludger Volmer. Nach sei-nem Statement wurde Volmer über dieatomare Teilhabe befragt. Die Bundes-wehr könne doch einseitig die Ausbil-dung von Soldaten an Atomwaffen unddie Bereithaltung von Bundeswehrtorna-dos für US-Atomwaffen einstellen. Dazusagte er „Von solchen einseitigen Schrit-ten halte ich nicht mehr viel“. Deutsch-land hätte wenig Einfluss. Als loyaler

Köln, 27. Januar 2001. Im Anschlussan eine Gedenkveranstaltung an dieOpfer des Nationalsozialismus in derAntoniterkirche fand ein Gedenk-gang zur „der Tränen“ am BahnhofKöln-Deutz statt.Von hier aus wur-den im Mai 1940 zunächst 1000 Ro-ma und Sinti aus Köln und dem Um-land nach Auschwitz deportiert, spä-ter folgten die Deportationen jüdi-scher Mitbürger. Die Situation derRoma und Sinti hatte auch im Mittel-punkt der Reden und Texte auf derGedenkveranstaltung gestanden.Die Polizeiakten aus der NS-Zeitdienten auch nach Kriegsende nochzur weiteren Repression gegen dieseBevölkerungsgruppe. Ca. 300 Men-schen nahmen an den Veranstaltun-gen teil.

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NATO-Partner sei es sinnvoller mit denanderen zusammen an der Veränderungder NATO-Doktrin zu arbeiten. Dabeiseien solche Unterschriftensammlungenhilfreich, könne man doch dann in denVerhandlungen darauf verweisen, dassdie Bevölkerung eine antinukleare Poli-tik wolle. Der Trägerkreis wies auf dasUrteil des Internationalen Gerichtshofesvon den Haag hin, dass 1996 Atomwaffenfür völkerrechtswidrig erklärt hatte.Vol-mer meinte, hier gäbe es Interpretations-unterschiede, aber ohnehin sei Deutsch-land keine Supermacht und könnte seinePosition nicht so einfach zur Geltungbringen. www.uni-kassel.de/fb10/frieden

Am 17.2. bundesweite Jugend-konferenz zu Mumia Abu-JamalHAMBURG. Am Samstag, den 17. Februar,wird in Hamburg eine bundesweite Ju-gendkonferenz zu Mumia Abu-Jamalstattfinden.Sie soll als „Starttagung“ fürein bundesweites Jugend- und Schüler-netz für Mumia genutzt werden. Haupt-thema wird sein,wie mehr Schüler für dieMumia-Kampagne gewonnen werdenkönnen und welche bundesweiten Aktio-nen es am Tag X an Schulen, Universitä-ten usw. geben wird. Im Anschluss an dieKonferenz findet ein Solikonzert in derRoten Flora statt. Nährere Infos bei [email protected]. www.mumia.de

PDS Hessen unterstützt Strafan-zeige gegen Horst Mahler, NPDFRANKFURT A.M. Die PDS Hessen unter-stützt die von Einzelpersonen aus Frank-furt erstattete Strafanzeige wegen Volks-verhetzung gegen den NPD-Anwalt undVorstandsmitglied Horst Mahler: Mahlerfordert in einem auf seiner Webseite ver-öffentlichten Dokument das „Verbot al-ler vom jüdischen Volksgeist beeinflus-sten Einrichtungen und Organisatio-nen“, weil sie Völkermord und Vertrei-bungen unterstützen würden. Weiterheißt es dort, der Judaismus sei eine töd-liche Gefahr für die Völker. Mit offen-sichtlich unwahren Behauptungen wirdunterstellt, dass jüdische Organisationeneinen Krieg gegen Deutschland führenwürden.Letztlich wird in dem Dokumentgefordert, ausländische Mitbürger vonBeschäftigung, sozialer Sicherung, Bil-dung und anderen Bereichen des gesell-schaftlichen Lebens auszuschließen. DiePDS unterstützt daher die Klage und ap-pelliert an die Behörden, die Website zusperren. www.pds-hessen.de

NGOs veranstalten Gegengipfel zumWeltwirtschaftsgipfel in DavosBERLIN,DAVOS. Der Bund für Umwelt undNaturschutz Deutschland (BUND) istMitveranstalter eines Gegengipfels zuram 25. Januar begonnenen Tagung desWord-Economic-Forum (WEF). Dr. An-gelika Zahrnt, BUND-Bundesvorsitzen-de: „Wenn Wirtschaftsbosse und Politiker

hinter den Kulissen aushandeln wollen,wie sie künftig der Gentechnik den Wegbereiten, verstößt das gegen elementareRegeln der Demokratie.Die Bevölkerunglehnt in ihrer Mehrheit gentechnisch ma-nipulierte Lebensmittel ab. Mehrere eu-ropäische Länder haben inzwischen Mo-ratorien gegen gentechnische Freisetzun-gen erlassen. Gerade in Zeiten von BSEhat das Weltwirtschaftsforum nicht dasRecht, den Willen der Bevölkerung nachmehr Umwelt- und Verbraucherschutz zuignorieren.“ Friends of the Earth – dasinternationale Netzwerk des BUND – istzusammen mit anderen Nichtregierungs-organisationen Veranstalter der Gegen-konferenz in Davos. In dem FoE-Konzept„Für eine nachhaltige Wirtschaft“ („To-wards Sustainable Economies“) werdenu.a. die Förderung lokaler und regiona-ler Wirtschaftsstrukturen, internationalverbindliche Regeln für transnationaleKonzerne und mehr Einfluss der Politikauf die Finanzmärkte vorgeschlagen.„Towards Sustainable Economies“ undweitere Informationen zum Gegengipfelsind im Internet abrufbar unterwww.foeeurope.org. www.bund.net

Plakataktion gegen Rassismus inAugsburger BetriebenAUGSBURG. „Türkenkoffer“ steht auf demPlakat. Und etwas kleiner darunter heißtes: „Schon mal nachgedacht, wo Frem-denhass beginnt?“ Weitere Plakate grei-fen die rassistischen Begriffe „Neger-kuss“, „Judenfurz“ und „Zigeunerspieß“auf. Die Metall-Arbeitgeber der RegionAugsburg und die Gewerkschaft IGMetall wollen provozieren, um so zurNachdenklichkeit, zum Abbau von Vor-urteilen und zur Diskussion gegen Frem-denfeindichkeit und Rechtsradikalismuszu kommen. Sie vereinbarten, dass dieprovokativen Plakate in 40 Betriebenaufgehängt und unbedingt auch disku-tiert werden. Dafür sollen Mitarbeiter ei-gens geschult werden. Neben der Ak-tionswoche, die vom 19. bis 23. Februar

stattfindet,gibt es einen Wettbewerb vom8.März bis 18.Mai zum Motto „Macht miteinander – Betriebe für Toleranz“. DerWettbewerb richtet sich speziell an Ju-gendliche und fordert sie zu kulturellenAktivitäten in jeder Form auf. Er stehtunter der Schirmherrschaft des Augs-burger Oberbürgermeisters und wirdunterstützt vom Ausländerbeirat derStadt und der Israelitischen Kultusge-meinde. Augsburger Zeitung, 27.1. – baf

Kölner Flüchtlingsrat kritisiert Aktion der Stadt gegen RomaKÖLN. Der Kölner Flüchtlingsrat kriti-siert die am 15.Januar begonnene und zu-nächst auf zwei Wochen befristete Aktionder Stadt Köln,die in der Innenstadt bet-telnden Frauen, vorwiegend Angehörigeder Roma, von ihren Kindern zu trennen.Die Kinder werden in städtische Kinder-heime untergebracht. Dort können sievon den Sorgeberechtigten wieder abge-holt werden. Ziel der Aktion sei es, so dieStadt, „die Kinder akut zu schützen undden Sorgeberechtigten die gesundheitli-che Gefährdung deutlich zu machen undHilfestellung anzubieten“. Der KölnerFlüchtlingsrat begrüßt zwar eine solcheZielsetzung, bewertet die städtische Ak-tion aber als völlig unangemessen. ClausUlrich Prößl, Geschäftsführer des För-dervereins Kölner Flüchtlingsrat erklärt:„Ein polizeiliches Durchgreifen wirddem Anliegen, das Wohl der Kinder zufördern, nicht gerecht. Anstelle von ord-nungspolitischen Maßnahmen, die Ursa-chen und soziale Hintergründe des Bet-telns unberücksichtigt lassen, sollen fa-milienbezogene pädagogische Konzepteseitens des zuständigen Allgemeinen So-zialen Dienstes entwickelt werden.“

PM Kölner Flüchtlingsrat 15.1.2001

fzs begrüßt Vorstoß der SPD zurStudiengebührenregelungBONN. Der freie zusammenschluss vonstudentInnenschaften (fzs) fordert dieBundesregierung auf, die im Koalitions-vertrag festgeschriebene generelle Stu-diengebührenfreiheit auf Bundesebeneumzusetzen. „Natürlich begrüßen wir,dass das SPD-Präsidium nun endlich dieNotwendigkeit einer bundesweiten ge-setzlichen Regelung der Studiengebüh-renfrage anerkennt“, so Veronika Muhr,Vorstandsmitglied des fzs. Dennoch be-fürchtet der fzs, dass es jetzt lediglich zueiner Umsetzung des Meininger Kom-promisses im Hochschulrahmengesetzkommen könnte. „Wenn man in der SPDvon einem gebührenfreien Erststudiumredet, so bleibt zu hoffen, dass dies tat-sächlich unabhängig von der Dauer desStudiums gelten wird und die SPD somitwenigstens sogenannte Langzeitstudien-gebühren ausschließt. Weiterhin fordernwird die Regierung auf,auch jedwede an-dere Form von Gebühren, wie z.B. Zweit-studiumgebühren, gesetzlich zu verbie-ten“. www.pbjacon.de/studierende-fzs

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W o bleibt die rot-grüne Initiativefür ein Paket antirassistischer

Gleichstellungsgesetze? Die Proteste gegen die Nazis nehmen zu,aber die Gewalttaten der Nazis nehmennicht ab. Die Bündnisse, die sich vie-lerorts bilden, erreichen durch die Betei-ligung der Gewerkschaften eine großeBreite. Aktionen in Stadtvierteln zeigenSolidarität im umkämpften öffentlichenRaum. Aber was tut der Staat?

In München hatte eine ortsansässigeNazi-Bande bundesweit eingeladen. Ausder Veranstaltung heraus kam es zu ei-nem Überfall auf einen Passanten grie-chischer Nationalität, der nach allgemei-ner Ansicht tödlich geendet hätte, wärennicht zwei Mitbürger türkischer Natio-nalität zu Hilfe geeilt. Wenige Minuten

später war auch die Polizei da. – Die bei-den jungen Männer wurden mit Foto undNamensangaben von den Nazis im Inter-net präsentiert. Einem kündigte der Ar-beitgeber, weil er krank geschrieben war.Die Öffentlichkeit fragt sich, was die V-Leute, die bei dem Treffen waren, getanbzw. unterlassen haben und wieso dieVeranstaltung von den Behörden nichtverboten oder wenigstens durch offenePolizeipräsenz eingedämmt worden war.

Jahrelang hatte die CSU-Regierungbehauptet, in Bayern gäbe es wenigerÜbergriffe, weil a) die Politik die ver-ständlichen Sorgen der Bevölkerung vorÜberfremdung, Ausnutzung der Sozial-system usw. ernst nähme, und b) Über-griffe nicht geduldet würden. Man nann-te Zahlen, dass Bayern sicherer sei.

Der nur durch einen glücklichen Zu-fall verhinderte Pogrom-Mord auf offenerStrasse macht klar, dass diese Strategie –wenn sie je gegriffen hat – jetzt jedenfallsnicht mehr wirkt.

Wieso? Wahrscheinlich weil die Fa-schisten den Erfolg ihrer Aktionen sehen.Sie weiden sich an der Furcht von Men-schen, die nicht wie Hans und Grete aus-sehen. Sie triumphieren, wenn Flüchtlin-ge und Wanderarbeiter das Land meiden.Sie reiben sich die Hände wegen derRückwanderung. Jede gewaltsame Ab-schiebung bestätigt sie in ihrer eigenenGewaltbereitschaft. Die Nazis machenmit ihren Aktionen weiter, weil sie im so-zialen Raum die Ergebnisse sehen, die siewünschen.

Das Geflecht der Gesetze und Verord-

Nach Nazi-Überfall

„Gegen Nazi-Terror undRassismus, Solidaritätmit Flüchtlingen undMigrantInnen!“

MÜNCHEN. Unter dem Motto: „Gegen Nazi-Ter-ror und Rassismus, Solidarität mit Flüchtlin-gen und MigrantInnen!“ demonstrierten amMittwoch 1.500 Menschen im Schlachthof-viertel. Nicht nur die „üblichen Verdächtigen“,sondern auch viele AnwohnerInnen aus demViertel schlossen sich der Demonstration an.Das Münchner Bündnis gegen Rassismus, zu-sammen mit griechischen, türkischen undkurdischen MigrantInnen und mit Mitgliederndes Ausländerbeirats München, hatte zu die-ser Protestdemonstration aufgerufen, nach-dem in der Nacht von Freitag auf Samstag derGrieche Artemios T. von Skinheads verprügeltund schwer verletzt worden war.

Etwa 60 Skinheads,die aus München unddem gesamten Bundesgebiet angereist

waren, hatten in der Gaststätte „BurgTrausnitz“ gefeiert. Laut Polizeiangabenist dieses Lokal schon seit längerem einTreffpunkt der Neonazis.

Gegen 1.00 Uhr griffen einige von ih-nen vor dem Lokal den 31-jährigen Grie-chen an und prügelten und traten auf ihnein. Zwei junge Türken holten Hilfe auseinem nahe gelegenen türkischen Lokalund versuchten, die Skinheads zu stop-pen. Daraufhin erhielten die Skinheadsebenfalls Verstärkung von ihren Sauf-kumpanen aus der „Burg Trausnitz“. DieNazis waren zum Teil bewaffnet mitStangen und Flaschen, ein Türke wurdebei der Auseinandersetzung so schwerverletzt, dass er ebenfalls ins Kranken-haus musste. Als endlich die Polizei –alarmiert durch viele Anrufe von An-wohnern – auf der Bildfläche erschien,flüchteten die Skinheads in das Lokalund, nachdem es ihnen nicht gelungenwar, die Tür zu verbarrikadieren, durchdie Hintertür.

Im Laufe des Wochenendes wurden 18Skinheads festgenommen, gegen zweivon ihnen, eine 17-jährige und einen 19-jährigen Neonazi,wird wegen versuchten

Mordes ermittelt. Der HauptverdächtigeChristoph Schulte konnte fliehen, trotzder inzwischen auf 30.000 DM erhöhtenBelohnung gibt es keine konkreten Hin-weise auf sein Versteck. Einige der Neo-nazis sind bereits seit längerem der Poli-zei bekannt, z.B. hatte einer der Schlägerdie Pistole beschafft,mit der im Juni letz-ten Jahres eine 15-jährige Schülerin an-geschossen wurde.

Das Opfer des brutalen Überfalls wur-de schwer verletzt in ein Krankenhauseingeliefert. Artemios T. ist nicht kran-kenversichert, hat keine Wohnung undkeine Arbeit. Die Stadträtin Tassia Fou-ki-Friedl rief auf der Auftaktkundge-

Ein interessante Initiative

Ausländerbeirat jetzt aufwerten

MÜNCHEN. Eine politische Aufwertungdes Ausländerbeirats fordert die Stad-tratsfraktion Bündnis90/Die Grünen –rosa Liste. Zu diesem Zweck schlägtStadträtin Tassia Fouki-Friedl vor, einenstädtischen Migrationsausschuss ins Le-ben zu rufen, der sich aus Stadträten undAusländerbeiräten zusammensetzt. Ver-gleichbar dem Sozialhilfeausschuss hät-ten im Migrationsausschuss auch exter-ne Mitglieder die Möglichkeit, ihre An-liegen in einem regulären,von einem Bür-germeister geleiteten städtischen Gre-mium zu präsentieren und Anträge zustellen. Der Migrationsausschuss würdezu allen Vorlagen der Verwaltung, in de-nen migrationspolitischen Fragen tan-

giert sind, Stellung nehmen, seine Be-schlüsse wären allen anderen Ausschuss-beschlüssen gleichgestellt.Dadurch wür-de sich der politische Stellenwert der ge-wählten Vertreter der Ausländer und desThemas „Migrationspolitik“ insgesamterhöhen.Der Ausländerbeirat könnte seine Vertre-ter im Migrationsauschuss entweder perWahl delegieren oder der Ausländerbei-rat würde nach einer entsprechenden Ver-kleinerung seine Mitglieder direkt in denMigrationsausschuss entsenden. DieZahl der Ausländerbeiräte sollte die Zahlder Stadträte jedoch nicht übersteigen.Tassi Fouki-Friedl: „Die Anforderungenan den Ausländerbeirat haben sich durchverschiedenste rechtliche Änderungen(neues Staatsbürgerschaftsrecht, Rege-lungen auf EU-Ebene zum aktiven undpassiven Wahlrecht für EU-AusländerI-nen etc.) deutlich verändert. Die CSU

liegt allerdings falsch, wenn sie aus die-sen neuen Rahmenbedingungen die For-derung nach der Abschaffung des Aus-länderbeirates ableitet. Im Gegenteil –die politische Präsenz der Einwanderermuss gefördert und gestärkt werden,denn sie und ihre Themen nehmen in un-serer Stadt eine immer wichtigere Rolleein. Das beherzte Eingreifen der beidenjungen türkischen Männer gegen eineÜbermacht von Neonazis am letzten Wo-chenende ist ein Beleg nicht nur für dieweit gediehene Integrationsleistung vie-ler Einwanderer, sondern auch für diespezifischen Probleme, denen sie ausge-setzt sind. Es ist nur allzu verständlichund berechtigt, wenn nun Vertreter grie-chischer und türkischer Organisationeneine bessere Beteiligung der Einwande-rer am politischen Prozess fordern. Diesist auch ihr Land – und ihre Stimme musszukünftig besser zu hören sein.“ •

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Der 29.1.2001 wird in Hamburg-Ottensen zum Tag der offenen Tür

Ein Stadtteil öffnet seine Türen

An diesem Tag werden gleichzeitig ver-schiedene Kneipen, Cafès, Läden etc. ei-nen Aufkleber in ihr Schaufenster oderan ihre Wohnungs/Büro-Tür kleben:„Wir bieten Schutz bei rassistischen An-griffen“ wird darauf in verschiedenenSprachen stehen. Diese Aktion „openborders – open doors“ ist vom AltonaerBündnis gegen Rassismus initiiert undmöchte durch Diskussion und Aktionein für MigrantInnen und Flüchtlingeoffenes, einladendes und schützendesKlima schaffen. Diese Aktion lehnt sichan eine Initiative im brandenburgischenBernau an, die einige rassistische Über-fälle zum Anlass nahmen, um eine „Ak-tion Noteingang“ ins Leben zu rufen.Ein Aufkleber an Geschäften, Kneipen,Cafés, Restaurants, Institutionen, Arzt-praxen, Rechtsanwaltsbüros, Wohnun-gen etc. sollte Menschen,die angegriffenwerden, oder potentiell von Angriffenbedroht sind, signalisieren, dass sie indem betreffenden Haus Zuflucht undSolidarität finden können.Unsere Aktion hat mehrere Ziele: a) Na-türlich im Notfall ganz konkret Zu-flucht und Hilfe. b) Die Diskussion überRassismus und Faschismus in der Öf-fentlichkeit verbreitern. c) Den rechtenTätern soll der Rückhalt in der Mitte derGesellschaft genommen werden. d) DerAufkleber soll markieren wie viele Men-schen bereit sind,Opfern rechter Gewaltzu unterstützen und damit ein einla-dendes Klima für MigrantInnen undFlüchtlinge schaffen. e) Ganz konkreteHandlungsmöglichkeiten aufzuzeigenFür einen eventuellen Notfall (…) ist esnotwendig, dass die Läden, Cafés etc.den Opfern einen Fluchtweg anbietenund entsprechende Stellen informieren(u.U. auch die Polizei). Auch das Bünd-nis wird erreichbar sein und Unterstüt-zung anbieten (Rechtsanwälte, Ärzteetc.).In unserer Vorabdiskussion haben wirfestgestellt,dass es bei den Läden ,Knei-pen etc. zum Teil auch Vorbehalte undÄngste gibt sich zu positionieren. Wirhaben deswegen den gemeinsamen Be-ginn des Aufklebens geplant. Es wäreschön, wenn sich die Aufkleber danachso verbreitern würden, dass sich die, diekeinen Aufkleber im Fenster haben, inder Minderheit fühlen. Einmal angelau-fen, sollte sich diese Aktion auch in an-dere Stadtteile ausbreiten und irgend-wann ganz Hamburg erreichen.

Macht bei der Aktion mit! Diskutiertmit Laden- und Kneipenbesitzern, mitEuren Ärzten und Rechtsanwälten etc.Aufkleber und ein dazugehöriges Falt-blatt gibt es gegen eine Schutzgebühr.

Altonaer Bündnis gegen RassismusAm Born 24, 22765 Hamburg, ma.

nungen, mit dem die BRD auf das sozia-le Phänomen der weltweiten Wanderar-beit, Migration und Flucht reagiert, ist re-aktionär. Da rot-grün diese Gesetze ste-hen lässt, steht eine überwältigendeMehrheit der Volksvertreter hinter dieserStruktur. Deswegen nützen die Kritikender Staatsrepräsentanten an Rassismusund Übergriffen nicht, und deswegen ma-chen auch Verbote dem Spuk kein Ende.

Wo bleibt die rot-grüne Initiative fürein Paket von antirassistischen Gleich-stellungsgesetzen? Vom Recht auf dop-pelte Staatsbürgerschaft, auf Asyl, derAbschaffung der Abschiebehaft und undund … bis hin zur Aufhebung der Inter-nierung in Flüchtlingslagern und derschändlichen Schikane der Paketverpfle-gung.

Es ist wohl klar, dass die Gleichstel-lung vor dem Gesetz nur als langwierigerProzess in vielen Einzelschritten durch-gesetzt werden kann, aber gegenwärtigist sie nicht mal ein politisches Thema.

Die neuen Nazis sind inzwischen einefeste Größe im kulturellen Bestand derBRD. Sie haben ihre Gesinnung durchschwere Verbrechen unterstrichen. Dasbleibt in den Biografien verankert. Daskann nicht irgendwie durch gute Worteund Gewalt zurückgedrängt werden.

Dagegen hilft nur noch, dass die sozi-ale Realität sich unübersehbar ganz an-ders entwickelt. Wenn die Politik denKurs der Gleichstellung einschlägt undwenn mehr Ausländer kommen und mehrRechte erhalten, werden die Unbelehrba-ren resignieren.Vorher nicht. maf

bung die Stadt München auf, die Be-handlungskosten zu übernehmen und ei-nen Spendenaufruf für Artemios T. zustarten: „Nur mit Mitleid, Mitgefühl undBetroffenheit kommen wir nicht weiter,“zumindest in finanzieller Hinsicht müs-se konkrete Hilfe organisiert werden.

Claus Schreer vom Münchner Bündnisgegen Rassismus stellte die Forderungvoran: „Der braune Sumpf muss tro-ckengelegt werden, den brauen Schlä-gerbanden muss das Handwerk gelegtwerden.“ Es sei ein Skandal, dass die fa-schistische DVU in München Pasing ihreZentrale hat und völlig unbehelligt ihrebraune Propaganda von dort aus vertrei-ben könne. Pavlos Delkos, Mitglied desAusländerbeirats München und im Be-zirksausschuss im Schlachthofviertel,er-neuerte die Forderung des Ausländerbei-rats an die Stadt, eine unabhängige anti-rassistische Beschwerdestelle einzurich-ten. Als wichtigen Bestandteil im Kampfgegen die politischen Brandstifter for-derte Memo Arikan, ebenfalls Mitglieddes Ausländerbeirats, das Wahlrecht undmehr Mitspracherechte für AusländerIn-nen und ein Antidiskriminierungsgesetz.„Wer Feindbilder propagiert, Ausländer-Innen einteilt in ‚nützliche' und ‚unnüt-ze', wer Menschen in Folter und Tod ab-schiebt und mittels rassistischer Gesetzediskriminiert,der schafft den Nährbodenfür die Schlägerbanden.“

Außerdem gab es Redebeiträge vonSigfried Benker, Vorsitzender der Stad-tratsfraktion der Grünen und Fofana ausTogo von der ‚Karawane für die Rechteder Flüchtlinge und MigrantInnen'. AlleRednerInnen brachten Dank und Res-pekt für das mutige Eingreifen der jun-gen Türken zum Ausdruck.

Martin Löwenberg schloss die Kund-gebung mit den Worten: „Wir sind hier,um unsere Solidarität mit Flüchtlingenund MigrantInnen in München zu de-monstrieren. Aber ich appelliere auch andie vielen Menschen unterschiedlichsterHerkunft auf dieser Kundgebung: Seidsolidarisch mit uns! Lasst uns mit diesenNazis und Rassisten nicht allein!“

Corinna, mlb

Zum 5. Mal antifaschistische

Demo gegen Nazis in Elmshorn

Diesmal 1800 Teil-nehmerInnen!Elmshorn. Trotz des nasskalten Frostes ver-sammelten sich 1500 EinwohnerInnen zurDemonstration gegen die stationäre „Kund-gebung“ der Nazis aus Hamburg und Pin-neberg auf der Kreuzung Adenauerdamm /Rethfelder Ring. Zusätzlich waren 300 aus-wärtige antifaschistische FreundInnen ge-kommen, die die Polizeiführung, teilweiseauch die Presse als „gewaltbereite Autono-me“ wahrnahm.

Nicht alle harrten auf der Abschluss-kundgebung mit vielen RednerInnen undKulturbeiträgen im Eichenkamp übermehrere Stunden aus – aus unterschied-lichen Gründen. Den einen war esschlichtweg zu kalt. Andere waren unzu-frieden, in rund 800 m Entfernung vonder Nazi-Kundgebung zu stehen,ohne sieverhindern zu können. Einige befürchte-ten eine Eskalation mit der Polizei, die1200 BeamtInnen eingesetzt und eine„niedrige Einsatzschwelle“ angedrohthatte. Die ist jedenfalls im Rahmen derDemo und Kundgebungen nicht einge-treten; auch weil der Polizeileiter vor Ortbesonnen reagierte und Sympathie fürdas Anliegen des Bündnisses hegte.Aller-dings kam es in der Umgebung zu unver-hältnismäßigen Festnahmen von über 60,teilweise sehr jungen Leuten, die die Na-zis blockieren wollten und nach deren

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14 REGIONALES UND GEWERKSCHAFTLICHES • PB 3/2001

Nazi-Anzeige gescheitert

ELMSHORN. Am 11.1. wurde eine Strafan-zeige gegen meine Person vor dem Amts-gericht verhandelt. Polizeibeamte mitdrei Streifenwagen waren am 20. Febru-ar letzten Jahres ausgerückt, weil ein an-onymer Anrufer eine Person gesehen ha-ben wollte, die Plakate der neofaschisti-schen NPD vom Geländer der Brücke ander Wasserstraße reiße. Der damaligeLandesvorsitzende der NPD, Stawitz,stellte Strafanzeige wegen Sachbeschä-digung. Im Prozeß bestätigte der als Zeu-ge geladene Polizeibeamte, dass die Pla-kate nicht zerstört, sondern wieder ver-wendet werden hätten können. DieSchrift sei noch lesbar gewesen. Staats-anwaltschaft und Richterin verständig-ten sich während des Prozesses auf dieEinstellung des Verfahrens und Übernah-me der Kosten durch die Landeskasse.Die Verteidigerin Gaby Heinicke dagegenforderte einen Freispruch. Sie stellte inZweifel, daß hier überhaupt ein öffentli-

ches Interesse, wie es die Staatsanwalt-schaft sah,vorliegen würde.Dies ist in derRegel der Fall, wenn per Definition deröffentliche Friede durch die Tat empfind-lich gestört wurde. In einer öffentlichenErklärung, die eingangs von mir vorge-tragen wurde, wird auf den verbrecheri-schen Wahlkampf, den die NPD in Elms-horn veranstaltete, eingegangen. Wennalso eine Störung des öffentlichen Frie-dens vorgelegen hätte, dann von dieserPartei. Die Erklärung wurde der Richte-rin mit ca. 40 Unterschriften zugestelltund der Prozeß von etlichen Unterzeich-nern besucht.Die Richterin entschied aufFreispruch, weil auch sie keine Sachbe-schädigung erkennen konnte.Zudem wä-re die Situation zu dem damaligen Zeit-punkt in Elmshorn „aufgeheizt“ gewe-sen. Damit ist klargestellt: Das Umdre-hen faschistischer Wahlplakate ist er-laubt, da es sich nicht um Sachbeschädi-gung handelt. Sinnbildlich so, als wennjemand ein Bild von der Wand nimmt undzur Seite stellt, wie die Verteidigerin aus-führte. eg – (Rudi Arendt)

Beschreibung zu einer teilweisen rüdenBehandlung durch Polizeikräfte, die vorRedaktionsschluss nicht überprüfbarwar. Zweifellos ist die antifaschistischeDemo des Bündnisses unter diesmaligerFederführung der ÖTV ein großer Erfolg,zumal die Gerichte das Marschverbot fürdie Nazis mehrfach bestätigt hatten.

Die Ausgangsbedingungen für dasBündnis waren schwierig. Der Kreis hat-te eine stationäre „Kundgebung“ der Na-zis mit erheblichen Auflagen genehmigt,um sich „gerichtsfest“ zu präsentieren.Dieser Auffassung schloss sich das Innen-ministerium an. Es ist eher zu vermuten,dass man hier auch mit einer weniger ein-schränkenden Verfügung „zufrieden“ ge-wesen wäre. So konnte das Bündnis sei-nen ursprünglichen Abschlusskundge-bungsort in Rufweite, nur 120 m von derNazi-Kundgebung entfernt, auf den sichalle Bündnismitglieder unter großer An-wesenheit geeinigt hatten, nicht durch-setzen, vor allem, weil die Polizeiführungihre politischen Ansichten als „sicher-

heitstechnische Bedenken“ vortragenkonnte.Das Bündnis war letztendlich vordie Wahl gestellt, eine einschränkendeVerfügung zu kassieren und den Klage-weg zu bestreiten oder einen anderenKundgebungsort zu wählen. Da die De-moleitung den „Vorschlag“ der Polizei,die Abschlusskundgebung auf dem Vor-platz der KGSE durchzuführen, auf kei-nen Fall nachkommen, sondern unbe-dingt seine Solidarität mit den Bewoh-nern des Stadtteils im Zentrum desStadtteils ausdrücken wollte, wurde derEichenkamp, politisch, aber auch ver-kehrstechnisch die einzige Alternativezum ursprünglichen Ort vorgeschlagenund durchgesetzt. Für manche ein faulerKompromiss, auch für das Bündnis nichtohne Widersprüche, vor allem aber fürdiejenigen Antifaschisten unerträglich,die die Formen des antifaschistischenWiderstands konkret immer für wichti-ger halten als einen langen Atem und dieder Zusammenarbeit unterschiedlicherpolitischer Spektren, vor allem mit den

bürgerlichen Milieus misstrauen. So ver-ständlich das scheint, hält das Bündnis,auch viele Linke darin, insgesamt keinenanderen Weg für erfolgversprechend, alsdie Nazis politisch zu bekämpfen, um ih-nen die Straße zu verwehren. Immerhinhätten im Vorwege die Einwände gegendie gemeinsamen Absprachen des Bünd-nisses vehement vorgetragen werdenkönnen, denn dort herrscht tatsächlichMeinungsfreiheit, statt sie hinterher zuumgehen und dem Bündnis den „schwar-zen Peter“ zuzuschieben. Die sektieri-schen Bezichtigungen einzelner Linkergegen die Demoleitung sind hilflos undbedürften einer streitbaren, aber dialog-bereiten Auseinandersetzung.

Dass das Bündnis gegen Neonazisdurchaus Geschick bei der Auswahl derRednerinnen und Redner sowie der Kul-turschaffenden entwickelte, sieht mannicht zuletzt daran, daß neben denHauptrednern, Schleswig-HolsteinsLandtagspräsident Heinz-Werner Arensund Probst Kurt Puls, auch viele anderesprachen, deren Kritik an der deutschenGesellschaft und Herrschaft grundsätz-licher ist. Neben dem bekannten Schau-spieler Rolf Becker, kamen andere ausGewerkschaften, Betriebs- und Perso-nalräten, Migrantenorganisationen,SPD, Grünen, VVN, DKP und avanti –Projekt undogmatische Linke zu Wort.Die Kulturschaffenden sprachen alleMusikgeschmäcker an und hatten Ver-ständnis für ihre Kurzauftritte. Leidergelang es Thies, dem Zauberer nicht, deneinfachsten Weg zu gehen, und die Naziseinfach ins All zu beamen.

Landtagspräsident Arens sprach – so-zusagen als Minimalkonsens – aus, wasalle dachten: „Elmshorns Plätze gehörenden Demokraten und nicht den Feindender Demokratie“!

Die 200 Nazis kamen eine Stunde zuspät, nachdem sie unverständlicherweisemit Bussen der Pinneberger Verkehrsge-sellschaft, allerdings mit verklebter Wer-bung und Logo, aus Pinneberg herange-karrt worden waren und blieben fastgänzlich unter sich. Die wenigen Ein-wohner, die von ihren Balkonen über-haupt etwas von der Nazi-Kundgebungmitbekamen, hielten teilweise Schildermit der Aufschrift „Faschismus ist keineMeinung, sondern ein Verbrechen“ in denHänden oder stellten ihre Musikanlagenauf volle Lautstärke. Worch jammertenach seiner Schlappe herum „Wir habendas Recht die Meinung zu äußern, abersie kann niemanden erreichen.“ Er gabdie Durchhalteparole aus: „Wir kommenwieder!“ Er und seine Steigbügelhalterzogen allerdings bereits nach eineinhalbStunden wieder von dannen und zeigtendamit,daß ihre Demo-Ziele nur in der fa-schistischen Provaktion bestehen.

Das Bündnis fühlt sich in seiner Mei-nung nach der Urteilsbegründung desOVG voll bestätigt und verlangt nach-wievor ein Verbot von Nazi-Märschenund Kundgebungen.

(dm)

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PB 3/2001 • REGIONALES UND GEWERKSCHAFTLICHES 15

Projekt Bürgerhaushalt.DÜSSELDORF, GÜTERSLOH.

Die Bertelsmann-Stiftungund das nordrhein-westf. Innenministe-rium suchten für ein gemeinsames Pro-jekt Städte und Gemeinden, die ihreBürger aktiv an der Haushaltsplanungbeteiligen wollen. „Der Haushaltsplanals wichtigstes Politik-Instrument einerKommune wird von vielen Bürgerinnenund Bürgern in unserem Land immernoch als kompliziertes, undurchschau-bares Rechenwerk empfunden“, sagteInnenminister Dr. Fritz Behrens bei derVorstellung der Initiative in Düsseldorf.Obwohl die Bürgerschaft konkret vonden finanziellen Weichenstellungen be-troffen sei, werde sie bislang kaum in dieEntscheidungsprozesse einbezogen. Inden nationalen und internationalenNetzwerken der Stiftung spielt das The-ma „Bürgerhaushalt“ eine wichtige Rol-le. In den Städten Mönchweiler, Mon-heim am Rhein und Hamm würden be-reits heute Bürgerhaushalte erfolgreichpraktiziert. www.bertelsmann-stiftung.de

Bürgerbegehren „Unser Münchenaus der Schuldenfalle“ scheitert.MÜNCHEN. 5,5% statt 10% Wahlbeteili-gung kamen zusammen beim stark um-strittenen Bürgerbegehren zum Stadt-haushalt. Knapp 50.000 gingen zur Ab-stimmung, nur 53% davon stimmten mitJa. Das Begehren prangerte die Ver-schuldung an sich an und schlug zweiMaßnahmen dagegen vor: 1. Eine län-gerfristige Finanzvorschau, die jederEinwohner verstehen kann und 2. dieEinführung von Bürgergutachten für ei-ne sparsame Stadt, die mindestens 500Münchner (Auswahl nach dem Zufalls-prinzip) eine Woche lang in Gruppen mitExpertenunterstützung erarbeiten sol-len. Für Kinderbetreuung wäre gesorgt,der Gehaltsausfall würde erstattet. DasProgramm für die Woche hätte ein un-abhängiges Institut festgelegt.

Südd. Zeitung 20./22. Jan. 2001

Internationales Jahr der Freiwilli-gen. BONN. Auf der bundesweiten Auf-taktveranstaltung zum InternationalenJahr der Freiwilligen sagte das Präsidi-almitglied des Deutschen Städte- undGemeindebundes, Dr. Gerd Landsberg:„Unser Ziel ist die selbstaktivierendeBürger- oder Zivilgesellschaft, die dieEigenverantwortung des Bürgers stärkt.Wer sich für die Gesellschaft engagiert,darf nicht durch überzogene Bürokratiegegängelt werden. Es geht nicht an, dasszum Beispiel Eltern durch zu hohe Qua-litätsanforderungen darin gehindertwerden, im Kindergarten zeitweise Be-treuungsarbeiten zu übernehmen.“ DieFörderung bürgerschaftlichen Engage-ments biete den Kommunen die Chance,ihr Gemeinwesen zu revitalisieren. DerAnkündigung des Bundeskanzlers, dasehrenamtliche Engagement steuerlich

nicht zu belasten, müssten Taten folgen.Die Steuerfreistellung von Aufwands-entschädigungen in Höhe von 300 DMmonatlich sei das Mindeste, was erfor-derlich ist. www.dstgb.de

Erstes rollenden Rathaus.RHEINBERG,NRW. „Bürgernähe ist für mich prakti-zierte Dienstleistung. Statt in jedemOrtsteil kosten- und personalaufwändi-ge Bürgerbüros aufzubauen, haben wiruns entschlossen, ein mobiles Bürgerbü-ro einzusetzen“, sagt Ute Schreyer, Bür-germeisterin der 32.000 Einwohner gro-ßen Stadt am Niederrhein. An zunächst12 festen Haltestellen wird das Stadt-mobil in der gut 75 qkm großen Stadt fürBürger erreichbar sein. In dem Fahrzeugsind zwei Büroräume mit datentechni-scher Infrastruktur untergebracht.Durch Befragungen sollen die Bedürf-nisse der Bürger und Unternehmen fest-gestellt und das Angebot entsprechendausgerichtet werden. www.dstgb.de

Ausbau der Kraft-Wärme-Kopp-lung. BERLIN. Der Deutsche Städtetaghat die Bundesregierung am 24.1. aufge-fordert, wie geplant bis Mitte 2001 eineQuote für den Ausbau der umweltver-träglichen Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung einzuführen. Grundfür diese Aufforderung ist die Befürch-tung, dass Vertreter der großen Energie-versorger die Bundesregierung von ih-rem Beschluss abbringen wollen. Umseine Forderungen zu bekräftigen, ver-anstaltet der Deutsche Städtetag ge-meinsam mit den Gewerkschaften ÖTVund DAG und dem Verband kommuna-ler Unternehmen (VKU) am 15. Februar2001 in Berlin einen Kongress zum The-ma „Umweltschutz und Beschäftigungdurch Ausbau der Kraft-Wärme-Kopp-lung“. www.staedtetag.de

Wohnen in der Genossenschaft. BER-LIN. Genossenschaftliches Wohnen istnicht nur ein bundesdeutsches Thema.Auch in Mittel- und Osteuropa findensich interessante Ansätze des demokra-tisch organisierten und selbstverwalte-ten Wohnens. Darum ging es bei derInternationalen Genossenschaftsta-gung, die Mitte Oktober in Berlin statt-fand. Die Referate dieser Konferenz –u.a. von Prof. Häußermann von derHumboldt-Universität Berlin sowie vonGenossenschaftsvorständen aus Polen,Tschechien und Ungarn – sind in einemReader „Wohnungsgenossenschaften2000 – Demokratische Strukturen undSelbsthilfeansätze in Mittel- und Osteu-ropa“ zusammengefasst. Die 80-seitigeBroschüre kann zum Preis von 18 DMbestellt werden beim Genossenschafts-forum, Königin-Elisabeth-Str. 41, 14059Berlin, Fax 030/3062264, E-Mail: [email protected], www.demo-online.deZusammenstellung der Meldungen: baf

KommunalePolitik

Fortsetzung der Diskussionum neue Arbeitszeitmodelle

Krokodile inder Firma SICK– gibt’s die?Dass es in einem kapitalistischen Unter-nehmen mitunter zugeht wie in einer Schlan-gengrube und im Konkurrenzkampf sowohlum Posten als auch um Marktanteile Geset-ze des Dschungels herrschen – um im Bildzu bleiben – ist nichts Neues. Aber bei derPodiumsdiskussion am 27.November in derKantine der SICK AG ging es um etwas an-deres: eingeladen hatten der Betriebsrat unddie Personalleitung folgende Podiumsteil-nehmer: die UnternehmensberatungsfirmaWeidinger, Hoff & Partner, von Arbeitgeber-seite als Experten der Arbeitszeitflexibilisie-rung und sogenannten „Vertrauensarbeits-zeit“ sehr geschätzt. Von Betriebsratsseite:Stefan Schaumburg vom Vorstand der IGMetall, Abteilung Tarifpolitik, und Klaus Pe-ters, Philosoph und Berater von Betriebsrä-ten, darunter IBM in Sachen Arbeitszeit und„Arbeiten ohne Ende“.

Von besagtem Klaus Peters stammt dieGeschichte mit dem Krokodil: denn esgilt aufzuklären und zu verstehen, wa-rum die neuen Management-Methodenweniger auf das Kommandosystem(„Modell Pistole“) bauen, wie es früherverbreitet war: der Vorgesetzte befiehlt,was zu tun ist. Der abhängig Beschäftig-te führt die Befehle aus.Wenn auf Grundbestimmter Produktionsvorfälle oderUnwegsamkeiten im Marktgeschehenbestimmte Befehle in der vorgesehen Zeitnicht erledigt werden konnten,war dafürletztlich der Vorgesetzte und nicht der Be-schäftigte verantwortlich. Ganz andersdie moderne Führungsmethode („ModellKrokodil“): dem Beschäftigten wird im-mer mehr Autonomie, auch Zeitautono-mie (bis hin zur Abschaffung der Zeiter-fassung mittels „Vertrauensarbeitszeit“)und Eigenverantwortung eingeräumt, sodass die Marktgesetze oder auch die„internen und externen Kunden“ unge-bremst und ohne Dazwischentreten vonVorgesetzten auf den Beschäftigten pral-len. Klaus Peters nennt diese Führungs-methode „indirekte Steuerung“. DerMitarbeiter verinnerlicht das Projektzieloder den Kundenwunsch oder den Lie-fertermin oder den Wettbewerbsdruckdermaßen, dass er selbst sich zu immermehr Leistung und Überarbeit drängt:„Wenn ich den Termin nicht halte, müs-sen das meine Kollegen oder der Kundeausbaden!“ In diesem Sinne funktioniertdas Krokodil: bevor es mich auffrisst, ar-beite ich lieber noch mehr und noch län-ger … ohne dass irgendein Vorgesetzter

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16 REGIONALES UND GEWERKSCHAFTLICHES • PB 3/2001

mich dazu anhalten würde. Im Gegenteil:„sozialverantwortliche“ Vorgesetzteschauen dann abends schon mal besorgtins Büro und mahnen: „Gehen Sie dochmal früher nach Hause!“

Was hat das jetzt alles mit der Diskus-sion um neue Arbeitszeitmodelle undAusweitung der Gleitzeit etc.bei SICK zutun? Der Betriebsrat hat vor einigen Mo-naten begonnen, die Frage von Überar-beit, Überlastungen und gesundheit-lichen Gefährdungen durch überlangeArbeitszeiten öffentlich in der Beleg-schaft zu erörtern.

Neben der Podiumsdiskussion habenzwei Diskussionsrunden mit Mitarbei-tern einerseits und Führungskräften an-dererseits bei SICK im November statt-gefunden. Auf der Betriebsversammlungam 7. Dezember berichtete der Betriebs-rat über die z.Teil sehr interessanten Er-gebnisse dieser „Workshops“:

Bericht des Betriebsrates zum Thema

Arbeitszeit:

„Wie Ihr wisst, hat Herr Kast schon seitlängerem die Betriebsvereinbarung zurGleitzeit im Hause SICK AG gekündigt.Das heißt: von Seiten der Geschäftslei-tung möchte man flexiblere Arbeitszeit-modelle haben.

Zum Beispiel hat Herr Kast einen Vor-schlag vorgelegt, in dem er Ausweitungder Gleitzeit auf Plus 60 / Minus 30 Stun-den vorschlägt; oder ein Pilotprojekt fürdie Forschung und Entwicklung mit biszu 400 Stundenkonten; Ausweitung der40-Stunden-Verträge nach Bedarf undohne die Prozent-Beschränkung, die derTarifvertrag vorschreibt – was immerhinTarifbruch wäre!

Überstundenanträge sollen nichtmehr für Personen, sondern als Kontin-gente für ganze Bereiche beantragt wer-den können. Ausserdem sind Langzeit-konten, Lebensarbeitszeitkonten und

Broschüre vonGesamtmetall:„Arbeitszeit – (K)Ein Thema für Sie?“

Der Horror-Katalog wird eingeleitet durchoffenherzige Fragen wie: „Wollen Sie zuschlagpflichtige Mehrarbeitvermeiden?“ und folgendermaßen beant-wortet:„Verwenden Sie den Samstag als Regelar-beitstag. Führen Sie Sonntagsarbeit ein, soweit diegesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.Nutzen Sie Zeitbudgetregelungen. Erweitern Sie die Grenzen von Arbeitszeit-konten. Dehnen Sie die Ansprech- und Betriebszei-ten aus. Arbeiten Sie mit variablem Arbeitsbeginnund Arbeitsende. Informieren Sie Ihre Beschäftigten über Auf-tragslage und Nachfragesituation. (Kroko-dile! d.Verf.) Sorgen Sie dafür, dass Ihre Mitarbeiter nach

Hause gehen, wenn keine Arbeit vorhandenist.“Und die Vorschläge zur Verlängerung derBetriebszeiten, zur Schaffung von „Anrei-zen für kundenorientiertes Arbeiten“ und„flexiblere Reaktionsmöglichkeiten auf Auf-tragsschwankungen“ lauten:„Entkoppeln Sie Arbeits- und Betriebszei-ten. Verlängern Sie für einzelne Mitarbeiter dieArbeitszeitdauer. Führen Sie zusätzliche Schichten ein. Organisieren Sie den Pausendurchlauf vonMaschinen. Planen Sie Schichtübergaben bei laufendenMaschinen. Verschaffen Sie Ihren Mitarbeitern größereZeitautonomie. Nutzen Sie Vertrauensarbeitszeit (...) Verlängern Sie Ausgleichszeiträume. Ermöglichen Sie die An- und Absage vonSchichten ...“.

(erschienen Juni 2000)

verschiedenes mehr im Gespräch.Wir als Betriebsrat sehen, dass das ein

wahnsinnig großes und wichtiges, aberauch kompliziertes Thema ist. Deshalbhaben wir – gestützt auch auf Erfahrun-gen aus anderen Betrieben, z.B. die Bro-schüren „Denkanstöße“ von IBM, be-schlossen, dieses Arbeitszeit-Themamöglichst breit in der Belegschaft zu dis-kutieren.

Ein erster Schritt in diese Richtungwaren die beiden Workshops und die Po-diumsdiskussion, die wir zusammen mitder Personalleitung veranstaltet haben.Ziel dieser Veranstaltungen war für uns,möglichst viele und vielseitige Informa-tionen von Euch zu bekommen und einebreitere Öffentlichkeit im Betrieb fürdieses Thema zu sensibilisieren.

Der 1.Workshop fand am 15.11.00 mit

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausganz verschiedenen Bereichen statt: ausder Produktion,der Auftragsbearbeitungvon GB01 und GB02, der Applikation,dem Produkt- und Marktmanagementverschiedener GBs, der Entwicklung unddem Controlling.

Interessant war, dass die Kolleginnenund Kollegen bei dieser Diskussion (trotzAnwesenheit von Herrn Kast) sehr offenund ungeschminkt Stellung genommenhaben.

Ich möchte im Folgenden nur ein paarKernpunkte dieser Debatte vorlesen undmich bei dieser Gelegenheit auch nochmal für die Teilnahme bedanken:1. Fast alle 20 Teilnehmer wiesen auf denZusammenhang zwischen Überlastun-gen, Stress, hohen Stundensalden etc.und fehlendem Personal hin.2. Insbesondere in den Entwicklungsab-teilungen, dem Controlling und IS, woviel Projektarbeit stattfindet, waren dieEinschätzungen, wie hohe Stundensal-den als größere Freizeitblöcke wirklichgenommen werden können, eher pessi-mistisch.3. Herr Kast erläuterte, dass auch 1999wieder 23.000 Stunden verschenkt wur-den,also verfallen sind,und 17.000 Über-stunden geleistet wurden.Damit begrün-dete er seine Vorschläge in RichtungStundensparen, Abkaufen oder Umwan-deln in Rentenansprüche usw.Zu Recht wandten dagegen mehrere Teil-nehmer ein: Ich lebe aber jetzt, ich habejetzt kleine Kinder, die ich aufwachsensehen möchte!4. In mehreren Beiträgen wurde deutlichgemacht, dass inzwischen in manchenBereichen der Arbeitsdruck und die Ei-genverantwortlichkeit der Mitarbeiter soweit geht, dass man dem Problem nichtbeikommen wird mit noch so guten Ar-beitszeitmodellen.

Ein Kollege hat es treffend auf denPunkt gebracht: wir diskutieren hier

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PB 3/2001 • REGIONALES UND GEWERKSCHAFTLICHES 17

Hundt (BDA) wünscht Mode-ration im Mitbestimmungs-konflikt. – HB, Montag,22.1.2001. – Das Arbeitgeberlager istbei der Reform des Betriebsver-fassungsgesetzes gespalten. Der Prä-sident der Bundesvereinigung Deut-scher Handelsverbände, M. Fuchs,lehnt den Gesetzentwurf völlig ab.BDA-Präsident Hundt erwartet einVermittlungsgespräch von Wirt-schaftsminister Müller. Die BDA habeschon vor Monaten ein alternativesKonzept vorgelegt. Er sei mit Müllerdarin einig, dass vor allem die erheb-liche Zusatzbelastung der mittelstän-dischen Wirtschaft (von bis zu 4,4 Mrd.DM, laut ZDH) verhindert werdenmuss. Die Gewerkschaften lehnen ei-ne Beratung der Mitbestimmung-Re-form im Bündnis für Arbeit ab.

BDA kritisieren Verbot von Studienge-bühren. – HB, Dienstag, 23.1.2001. –Die Bundesregierung will ein Verbotvon Studiengebühren für das Studiumbis zum ersten Abschluss im Hoch-schulrahmengesetz verankern. DieArbeitgeber haben den Beschluss desPräsidiums heftig kritisiert. Die Er-hebung von Studiengebühren sei ein„unverzichtbares Element“ für dieinternationale Wettbewerbsfähigkeitder Hochschulen, so die BDA.

BDI mahnt zu Reformen auf dem Ar-beitsmarkt. – HB, Mittwoch, 24.1.2001. – Strukturelle Reformen am Ar-beitsmarkt und bei den sozialenSicherungssystemen dürften ange-sichts der erwarteten Abschwächungder Konjunktur in Deutschland nichtlänger aufgeschoben werden.Über dieWirtschaftspolitik insgesamt zeigtsich der BDI enttäuscht: Steuerre-form, Rentenreform, Ökosteuer,Mitbestimmungsreform stießen aufKritik. Einziger Lichtblick seien dieÜberlegungen von Bundeswirt-schaftsminister Müller,rechtliche Vor-aussetzungen für Abweichungen vomTarifvertrag zu prüfen.

Gesamtmetall warnt vor Mitbestim-mung des Betriebsrates bei Arbeits-abläufen. – HB, Donnerstag, 25.1.2001. – Die Metallindustrie fürchtet,dass die Reform der Mitbestimmungdem Betriebsrat erstmals ein Rechtauf Mitsprache bei Investitionenbringt. DaimlerChrysler sieht deshalbbei künftigen Standortentscheidun-gen Nachteile für Deutschland. DerBetriebsrat müsse nur die Behauptungaufstellen, dass etwa die Umgestal-tung einer Produktionsstraße wegeneines neuen Modells arbeitswissen-schaftlichen Erkenntnissen wider-spreche, so E. Kreßel, Leiter Arbeits-und Sozialrecht, DaimlerChrysler.

Presseauswertung: rst

Wirtschafts-

presseüber Vorschläge von Herrn Kast, die al-lesamt Ventile sein werden für Überar-beit, hohe Stundensalden und Überlas-tungen – aber wir diskutieren schon garnicht mehr, wie wir zur Normalarbeit zu-rückkommen und Belastungen abbauenkönnen!5. Immer wieder wurde darauf hingewie-sen,dass nur bei entsprechender Projekt-und Personalplanung wirklich Entlas-tung geschaffen und Freizeitblöcke ge-nommen werden könnten.Für Projektar-beit würde das z.B. heißen: längere Pro-jektlaufzeiten, mehr Personal, direkteEinplanung von Urlaubs- und Freizeit-blöcken.6. Aber aus der Entwicklung kam derEinwand: bei uns heißt es immer wieder:Eigentlich passt Urlaub nie ins Projekt!Wir kriegen keine geeigneten Leute aufdem Arbeitsmarkt! Ein Projekt jagt dasandere oder mehrere laufen gleichzeitig.7. Eine wichtige Erfahrung in diesemMitarbeiter-Workshop war auch noch die Erkenntnis,dass sich verschiedene Gleit-zeit- und Arbeitszeitregelungen je nachTätigkeit und Abteilung ganz unter-schiedlich auswirken – zum Beispiel imPrämienlohn. Mehrere Teilnehmer warenfroh,endlich mal wieder die Arbeits- undLebensumstände z.B. von Mitarbeiterin-nen aus der Produktion mitzubekommen,von denen man ansonsten völlig getrenntlebt! Umgekehrt war es auch wichtig fürLeute aus der Produktion, die ganz an-dersartigen Belastungen in bestimmtenAngestelltenbereichen einmal hautnahzu erfahren.

Als Fazit lässt sich festhalten: bei allerUnterschiedlichkeit der Tätigkeiten undErfahrungen, die sich sicher auch inunterschiedlichen Regelungen der Ar-beitszeit wird niederschlagen müssen,war der Konsens über den Zusammen-hang von Arbeitsquantum und Arbeits-zeit und damit auch von Überlastungeneinerseits und Personaldecke anderer-seits erstaunlich groß …

Hoffnungsvoll stimmt uns auch, dassdie Mehrheit der Führungskräfte sichdurchaus dafür aussprach, ein Klima imHause SICK zu schaffen,in dem offen undohne Ängste über Belastungen und Ar-beitszeitprobleme gesprochen werdenkann. Es wurde die Fürsorgepflicht derVorgesetzten betont und z.B. gesagt: „Esdarf nicht sein, dass sich extreme Ar-beitszeiten durch die Hintertür ein-schleichen und zum Normalzustand wer-den, nur weil niemand darüber spricht!“Natürlich wurde dagegen auch einge-wandt, dass viele Mitarbeiter sich scheu-en, über Belastungen oder gar gesund-heitliche Probleme zu sprechen und auchmal „NEIN“ zu sagen, weil sie befürch-ten,dass ihnen das negativ ausgelegt oderwomöglich bei der nächsten Leistungs-beurteilung aufs Butterbrot geschmiertwird!

Immerhin: mehrere Führungskräftewaren auch der Meinung, dass letztlichdie Personalbemessung stimmen müsseund nicht einfach über Ausdehnung der

Arbeitszeit Personalmangel verdecktwerden dürfe.

Für die Projektarbeitszeit müsse rascheine Ausgleichsregelung gefunden wer-den. Hier wiesen wir vom Betriebsrat er-neut darauf hin, dass ein entsprechenderEntwurf für eine Betriebsvereinbarungseit Jahren vorliegt, der auch Stunden-salden z.B. bis zu 150 Stunden vorsieht,allerdings mit dem Rechtsanspruch desMitarbeiters, nach Abschluss eines Pro-jekts auch einen zusammenhängendenFreizeitblock zu nehmen.

Zum Thema „Abkauf von Stunden“oder Langzeit-, Lebensarbeitszeit- undRentenkonten waren die Stellungnah-men sehr unterschiedlich: einige mein-ten, dass man diese Möglichkeit unbe-dingt begrenzen müsse, da sonst die Ge-fahr der Überarbeitung und des Burn-Out sehr groß sei.Nächste Schritte zur Schaffung betrieb-licher Öffentlichkeit: Wie Ihr gehört habt,gab es sehr spannende Diskussionen unddies ermuntert uns, mit dieser Art Wil-lensbildung in der Belegschaft unbedingtfortzufahren. Wir werden auch im neuenJahr – das hat auch Herr Kast bereits be-fürwortet – weitere Diskussionsrundenzu konkreten Arbeitszeitmodellendurchführen. Und wir werden auch wei-tere Veranstaltungen zum Thema anbie-ten, als nächstes haben wir an die Einla-dung eines Arbeitsmediziners gedacht,der den Zusammenhang von psychischerBelastung, Stress und Arbeitszeitrege-lungen genauer untersuchen und darle-gen wird.Außerdem planen wir ein Intra-net-Diskussionsforum zum Thema.

Oberster Maßstab für uns Betriebsrä-te bei den kommenden Verhandlungenwird jedenfalls sein: Arbeitszeit-Rege-lungen zu finden, auch durchaus unter-schiedlicher Art, die die eigenen Interes-sen der Mitarbeiter an humanen undnicht gesundheitsgefährdenden Arbeits-bedingungen schützt und nicht einfachdie Überarbeit, Selbstausbeutung undgigantische Stundenkonten verwaltet.“Der Vorsitzende der kürzlich neugewähl-ten IG Metall-Vertrauensleute bei SICKberichtete in einem Beitrag, dass im Ge-spräch mit Kolleginnen und Kollegenwiederholt die Frage nach den „Kroko-dilen bei SICK“ aufgetaucht sei. Geradein seiner Abteilung, dem Informations-Service (EDV), sei das Phänomen der ho-hen Belastungen und der Projekte,bei de-nen eins das nächste jagt, sehr bekannt.In zwei weiteren Beiträgen von Betriebs-räten wurde auch das Thema: wachsendeBelastungen durch Schichtarbeit ange-sprochen. Der Horror-Katalog des Ar-beitgeberverbandes „Gesamtmetall“(siehe Kasten) wurde zurückgewiesenund betont: mit diesem Betriebsrat wirdes keine Ausweitung zur Nachtschicht inMontageabteilungen geben! Ab Ende Januar sollen die Verhandlun-gen über neue Arbeitszeitmodelle beiSICK beginnen. Es wird wichtig sein, diebreite betriebliche Diskussion über dasThema fortzusetzen. (sic)

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18 DISKUSSION UND DOKUMENTATION • PB 3/2001

Zur Vorbereitung derBundestagswahlen hat der

Vorstand folgende Maßnah-men ergriffen und Verantwortlich-

keiten festgelegt:Parteitage und zentrale Konferenzen: • 2. Tagung des 7. Parteitages, 6. und 7.

Oktober 2001, Dresden, Kulturpalast,V.: Gabi Zimmer / Dietmar Bartsch

• 3.Tagung des 7. Parteitages, (Wahlpar-teitag der PDS zur Bundestagswahl2002) Frühjahr 2002. Ort: Offen, ange-strebt wird die Durchführung des Par-teitages in Sachsen-Anhalt, V.: GabiZimmer / Dietmar Bartsch

• 1. Tagung des 8. Parteitages, Oktober2002, Ort: Offen, V.: Gabi Zimmer /Dietmar Bartsch

• Internationale Konferenz zur Ausein-andersetzung mit dem Rechtsextre-mismus, 11. bis 13. Mai 2001, Berlin,V.:Petra Pau

• Finanz- und Strukturkonferenz derPDS, 30. Juni 2001, Magdeburg, V.:Dietmar Bartsch / Uwe Hobler

• Föderalismuskonferenz der PDS, IV.Quartal 2001, Saarland, V.: PeterPorsch

Die gemeinsamen Projekte von Partei-vorstand und Bundestagsfraktion: Es istdie Absicht von Parteivorstand undBundestagsfraktion, arbeitsteilige Pro-zesse so zu führen, dass Synergieeffekteentstehen. Das erfordert gemeinsameProjekte sowie eine strategische Füh-rung und planerische Koordination.

Der Landesvorstand der PDS Hamburgreagiert auf die am 26.1.01 ausgespro-chene Einladung zur programmatischenund personellen Zusammenarbeit mitRegenbogen – für eine neue Linke:

Bereits im Juli 2000 hatte sich die PDSin Hamburg für ein breites Bündnis deroppositionellen Kräfte gegen die Spar-politik von Sozialdemokratie und Grün-alternativer Liste ausgesprochen. Ange-sichts der Kandidaturen von rechtspo-pulistischen, neofaschistischen und ras-sistischen Parteien ist es wichtig; in ei-nem linken Bündnis für eine wirksameantifaschistische, antimilitaristischeund antikapitalistische Opposition imHamburger Landesparlament und denBezirksversammlungen zu sorgen.

Nach Auffassung des Landesvorstan-des der PDS könnte es in Kooperationmit der Wählervereinigung Regenbogen– für eine neue Linke gelingen; auch inder nächsten Legislaturperiode, einewirksame Interessenvertretung der Be-nachteiligten und parlamentarische Op-position zur Politik der „neuen Mitte“ zuermöglichen.

Der PDS Vorstand begrüßt, dass sichwichtige Schritte eines solchen Bünd-nisses der Linken in Hamburg abzeich-nen. Die Veranstaltung eines stadtpoliti-schen Ratschlages am 10.Februar, orga-nisiert von Regenbogen, PDS und Men-schen aus anderen Organisationen kann

in einem linken Alternativprogrammund einer für alle Strömungen offenenListe münden.

Diesen Verständigungsprozess willder PDS Landesvorstand weiter voran-treiben, so dass auf einer wahlpoliti-schen LandesmitgliederversammlungEnde März/Anfang April die abschlie-ßende Festlegung des wahlpolitischenHandelns erfolgen kann. Der Landes-vorstand wird ein für die PDS tragfähi-ges Konzept für die Wahlen in Hamburgim September zu entwickeln. DiesesKonzept soll auf einer Landesversamm-lung Anfang April zum Thema Bürger-schaftswahl diskutiert und Abgestimmtwerden. Angestrebt wird bis dahinweiterhin,ein gemeinsames Auftreten zuder Bürgerschaftswahl und den Wahlenin den Bezirken von PDS und Regenbo-gen zu erreichen.

Hierzu der Landesgeschäftsführer,Roman Scharwächter: „Gegenüber einersymbolischen Alleinkandidatur der PDSist in der Hamburger Situation die ge-meinsame parlamentarische Vertretungvon Parteien und außerparlamentari-schen Bewegungen der politischen Lin-ken eindeutig vorzuziehen“

Die inhaltlichen Überschneidungenzwischen Regenbogen und der PDS sindin vielen Politikfeldern der Hansestadtvorhanden. Hieraus ergeben sich vieleGründe und Chancen für ein gemeinsa-mes Handeln bei den Wahlen im Sep-tember. Dennoch können einige grund-sätzliche Unterschiede zwischen denGruppen nicht unbeachtet bleiben. Na-türlich gibt es in einer bundesweiten, so-zialistischen Partei und einer regionalen,aus der westdeutschen Alternativbewe-gung kommenden Wählervereinigungein jeweils anderes Organisationsver-ständnis und eine jeweils andere Ziel-stellung für die Entwicklung der eigenenGruppe. Ebenso sind bei den politisch,inhaltlichen Grundsätzen beachtlicheDifferenzen erkennbar. Doch bergen alldiese Unterschiede in Traditionen undGrundlagen politische Handelns auchChancen für sinnvollen und fruchtbarenAustausch und Zusammenarbeit für dieWahl im September und die Zeit danachin sich. Dies hat sich in den bisherigenGesprächen zwischen Regenbogen undder PDS über ein gemeinsames Vorgehenbei der Bürgerschaftswahl und bei dergemeinsamen Vorbereitung der Stadtpo-litischen Tagung gezeigt.

Hamburg, 31. Januar 2001

Der Landessprecher der PDS Baden-Württemberg Peter Linnes teilte am 22.Januar mit: Auf ihrer Landesmitglieder-versammlung am 20.1. in Stuttgart be-schäftigte sich die PDS mit den ThemenBildung, Neofaschismus und Rassismus,Kommunalpolitik. Obwohl die PDS beider Landtagswahl im März noch nichtantritt, stellt sie zunehmend die landes-politischen Gesichtspunkte in den

Mittelpunkt ihrer Arbeit.Als Gastredner auf der Versammlung

sprach Rainer Dahlem, Landesvorsit-zender der Gewerkschaft Erziehung undWissenschaft (GEW). In seinem Referatwies er auf die besonders restaurativenElemente in der baden-württembergi-schen Schulpolitik hin. Er forderte mehrGeld für Bildungseinrichtungen undmehr Lehrer. Klassengrößen bis zu 32Schüler seien unverantwortlich. Förder-und Stützkurse seien besonders in derGrundschule wieder ausreichend anzu-bieten.Darüber hinaus brauche es struk-turelle Reformen. Das dreigliedrigeSchulsystem sei hochselektiv und sozialausgrenzend. Es müsse überwundenwerden. Die sogenannte „verlässlicheGrundschule“ sei eben kein Schritt zurHalbtags- oder Ganztagsschule. Für Ge-bühren bis zu 150 Mark gibt es Betreu-ung statt Bildung.

Ulrike Küstler wies auf rückschrittli-che Elemente in der baden-württember-gischen Landesverfassung hin, die zwarauf Gott und Heimat orientieren, nichtaber auf Kooperation, soziale Kompe-tenz und Persönlichkeitsentwicklung.

Winfried Wolf (MdB) knüpfte in sei-nem Bericht an die Bildungsdebatte anund thematisierte die ökonomischenRahmenbedingungen. Massenerwerbs-losigkeit auf nach wie vor hohem Niveauund Privatisierungsoffensiven stellen diePDS im Vorwahljahr vor die Aufgabe, alssoziale und solidarische Kraft wirksamzu werden. Der Verkauf der Eisenbahn-erwohnungen – in Baden-Württembergüber 8000 in 15 Städten – sei ein sozial-politischer Skandal und ein Wortbruchder SPD.Die Einstellung der InterRegiosführe dazu, dass ganze Regionen wieOberschwaben vom Schienen-Fernver-kehr abgeschnitten würden.Er stellte dieInitiative „Bürgerbahn statt Börsen-bahn“ vor.

StadträtInnen und engagierte Mit-glieder aus Heidelberg, Karlsruhe Stutt-gart und Tübingen berichteten über diekommunalpolitischen Erfahrungen derPDS vor Ort. Eine landesweite Koordi-nation dieser Arbeit in den Kommunal-parlamenten wurde vereinbart.

Stefanie Fischbach und Titus Stahl re-ferierten zum Kampf gegen Rechts. DiePDS ist aktiv dabei, damit ein Wieder-einzug der REPublikaner in den Land-tag verhindert wird. Aber auch Initiati-ven gegen die unmenschlichen Abschie-bungen und rassistische Sondergesetzesind Bestandteil antifaschistischer Poli-tik.Zu diesem und fünf weiteren Themenlagen neue PDS-Faltblätter mit landes-politischen Positionen vor.

Aus aktuellem Anlass solidarisiertesich die Versammlung mit den hunger-streikenden politischen Häftlingen inder Türkei und verabschiedete einen ent-sprechenden Brief an das türkische Kon-sulat.

Zusammenstellung: jöd

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PB 3/2001 • DISKUSSION UND DOKUMENTATION 19

Warum haben die Bürgerlichen die Aus-einandersetzung um die grünen Bundes-minister Fischer und Trittin und ihre Ver-gangenheit ausgelöst. Warum führen siesie jetzt? Dass und auf welche Weise Fi-scher und Trittin an den außerparlamen-tarischen Auseinandersetzungen der70er-Jahre beteiligt waren, war schließ-lich zu keinem Zeitpunkt ihres Aufstiegszu Bundesministern unbekannt, und bei-de haben vor allem durch ihre Mitver-antwortung für den Angriffskrieg gegenJugoslawien unter Beweis gestellt, dasssie von der Kritik der Staatsgewalt zu ih-rem Einsatz übergegangen sind. Warumschließlich führen sie gleichwohl dieKampagne in einer Schärfe, die sich m.E.nicht mit Propagandatrommeln begnügt,sondern auf politische Vernichtung zielt?

Im Angriff der konservativen undrechtsliberalen Parteien und Medien mi-schen sich verschiedene Motive und Zie-le. So tritt etwa das Bestreben zutage, dieneonazistische Gewalt gegen Fremde,Schwache und Andersdenkende durchihre Gleichsetzung mit den außerparla-mentarischen Kämpfen mit der Staats-macht zu verharmlosen. Im Folgendensollen einige Gesichtspunkte zur Beur-teilung der stattfindenden Debatte bei-gesteuert werden.

Gewalt und staatlichesGewaltmonopol

„Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, dieDemokratie freue sich über jeden, der inihren Schoß zurückkehre.Es ist klar, dasswir darum werben. Es ist auch richtig,was in der Bibel steht: Über einen, derSünder ist und umkehrt, freut sich derHimmel mehr als über 99 Gerechte. Aberes steht nicht in der Bibel, dass derjeni-ge auch gleich Vizekanzler eines Landeswerden muss.“ (Friedbert Pflüger, CDU,in Aktuellen Stunde des Bundestages am18.1.)

Die Konservativen bestreiten Fischernicht, „umgekehrt“ zu sein. Warum alsodie Aufregung? Für sie ist Gewalt, die dasstaatliche Gewaltmonopol verletzt, einpolitisches Verbrechen, das, und sei esnoch so lange verjährt, gesühnt werdenmuss und das in gleich zweifacher Weisenicht hinnehmbar ist. Zum einen gilt ih-nen und ihrer sozialen Basis, den Rei-chen, das staatliche Gewaltmonopol alsunverbrüchlich, weil es den normalenGeschäftsgang der kapitalistischen Pro-duktion sichert (wobei die Staatsauffas-sung der deutschen Konservativen tradi-tionell das staatliche Gewaltmonopol als„General- und Blankovollmacht“ ver-steht und jedes noch so eng gefassteWiderstandsrecht ausschließt). Zum an-deren ist von der Warte derjenigen aus,deren Geschäfte durch das staatliche Ge-

waltmonopol gesichert werden, der „Ge-walttäter“ eine höchst problematischePerson. Der aus den unterdrückten Klas-sen sowieso, aber der aus den besserenGesellschaftskreisen, in denen Fischerseinen Platz beansprucht, auf andereWeise nicht weniger. Denn die Verbin-dung von Einfluss, Macht, Reichtum undGewalttätigkeit gefährdet die bürger-lichen Verkehrsformen, begünstigt dieEntwicklung mafiotischer Verhältnisse.Deshalb spielen Maß und Mitte und dieinnere Zügelung in den konservativenWertvorstellungen eine große Rolle. Mankann es den Konservativen abnehmen:Sie akzeptieren Leute wie Fischer nicht,mögen sie sich drehen und wenden, wiesie wollen.

Die PDS hat in ihren Stellungnahmenzur Debatte und in der Kritik des kon-servativen Angriffs Wert auf die Feststel-lung gelegt, dass sie Gewalt ablehnt. Da-mit ist aber die Frage nicht beantwortet,warum auf Seiten oppositioneller Bewe-gungen Gewalt, die am besten mit demBegriff „Militanz“ umschrieben ist, eineRolle spielt – in der Jugendbewegung der60er- und 70er-Jahre wie in den Wider-standsbewegungen der 80er-Jahre undden heutigen Auseinandersetzungen et-wa um die Globalisierung, Stichwort Se-attle, Prag, Davos/Zürich. Was sind dieUrsachen, wenn eben nicht mehr oderweniger kriminelles Fehlverhalten Ein-zelner, die die große Mehrheit missbrau-chen, um ein lange beliebtes Erklärungs-modell deutlich zurückzuweisen?

Die „Militanz“ oppositioneller Bewe-gungen symbolisiert den Bruch mit derAutorität,die die außerparlamentarischeOpposition in einer inferioren Lage fest-zuhalten trachtet. Deshalb werden oppo-sitionelle Bewegungen auf die symboli-sche Geste der „Militanz“ auch nicht ver-zichten, wie auch der Staat nicht daraufverzichtet, diese symbolische Geste zuunterdrücken und dadurch seine Auto-rität und sein Gewaltmonopol wieder-herzustellen. Die Abrechnung der Bür-gerlichen mit der Vergangenheit Fischersund Trittins und der ganzen sog.68er-Be-wegung hat diesen ständigen, stets ak-tuellen Konflikt im Auge. Eine nützlicheUnterstützung außerparlamentarischerBewegungen wäre die Entwicklung einerKritik der staatlichen Autorität und desstaatlichen Gewaltmonopols, die auf dieÄchtung von Gewalt zielt.

„Vergangenheitsbewältigung“„Ich bin aber nicht bereit … zu konzedie-ren, dass diejenigen, die Steine geworfenhaben, und diejenigen, die zu den RAF-Terroristen gehörten, einen Beitrag zurFreiheit in der Bundesrepublik Deutsch-land geleistet haben …Ich erwarten von

Ihnen viel mehr auch, dass Sie sagen: Ichhatte in der damaligen Zeit eine total ver-quere Sicht von der BundesrepublikDeutschland … Dies war nicht die rich-tige Sicht und ich habe deshalb Buße zutun …“ (Angela Merkel am 18.1. imBundestag) „Die erste deutsche Demokratie wurdevon den Nazis vernichtet. Der Reichstagwurde von Goebbels als ,Quasselbude‘ be-zeichnet. Sie und Ihre Genossen sind mitder gleichen verwerflichen Gesinnungans Werk gegangen“. (Hans Peter Uhl,CSU, ebenda)

Die Kampagne der Bürgerlichen, in-zwischen im Deutschlandfunk schon als„deutsche Vergangenheitsbewältigung,3. Akt“ bezeichnet, spart den Konflikt,um den es Ende der 60er-, Anfang der70er-Jahre ging, entweder aus oder lügtihn schlichtweg um in einen Konfliktzwischen freiheitlicher Demokratie(herrschende Ordnung) und terroristi-schem Totalitarismus (außerparlamenta-rische Oppositionsbewegung). Deshalbsoll ganz kurz an die strategischen Aus-einandersetzungen erinnert werden, dienicht nur in der BRD, sondern in weitenTeilen der Welt stattfanden und in denenzwei Fragen eine ganz zentrale Rollespielten. Im Kampf um die Durchsetzungdes Weltmarktes waren die westlichenMächte dabei, keineswegs freiwillig, diekoloniale Unterdrückung großer Territo-rium im Wesentlichen aufzugeben undstattdessen eine neue Konzeption zu ent-wickeln, die die ökonomische Durch-dringung mit Gewaltherrschaft und mi-litärischer Besatzung verband – hierfürsteht der Vietnamkrieg.Wie tief die BRDin diesen Krieg tatsächlich verstricktwar,wird sich auf Grundlage der im Lau-fe des nächsten Jahrzehnts freizugeben-den Akten im Detail beweisen lassen.

Das zweite Konfliktfeld, die Repres-sion nach innen, d.h. die Durchsetzungder inneren Ordnung auch gegen Mehr-heiten, spielte gerade auch in der BRD ei-ne große Rolle. 1968 verabschiedete dieGroße Koalition gegen breiten außerpar-lamentarischen Widerstand die Not-standsgesetze, mit der für den Fall derFälle gesetzliche Einschränkungen derStaatsgewalt aufgehoben wurden. Esreicht der Platz nicht, um all die Instru-mente der Repression auch nur stich-wortartig zu erwähnen, mit der dieStaatsmacht gegen die erst im Kampf ge-gen die Notstandsgesetze Massencharak-ter annehmende außerparlamentarischeOppositionsbewegung vorging, lange be-vor diese auch nur der erste Stein aufhob.(1)

Warum denn ausgerechnet gegen diedamalige SPD-geführte Regierung undihren Kanzler Brandt, der „Mehr Demo-kratie wagen“ auf seine Fahnen ge-

„Deutsche Vergangenheitsbewältigung, 3. Akt“ – Gesichtspunkte zur Debatte

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schrieben hatte, wird immer in die De-batte geworfen.Weil die SPD die Repres-sion maßgeblich mit zu verantwortenhatte und weil sie mit den Berufsverbo-ten, aber auch den Unvereinbarkeitsbe-schlüssen der Gewerkschaften die Exis-tenzbedingungen und Lebensplanung ei-ner ganzen kritischen jungen Generationzerstörte. Gerade diese beiden Maßnah-men, die direkt einige Tausend bis Zehn-tausend, indirekt Hunderttausende be-trafen,machen deutlich,dass das Ziel derRepression nicht war, Steinewerfen zuunterbinden, nicht war, bewaffnete Ak-tionen zu unterbinden, sondern sich dar-auf richtete, die durch die Jugendbewe-gung aufgenommene große Debatte zuunterdrücken und in enge Bahnen zudrücken, eine Debatte, in der es darumging, wie sich diese Gesellschaft gut zweiJahrzehnte nach dem Sieg der Antihit-lerkoalition über den Faschismus organi-sieren und welchen Platz sie in der Welteinnehmen will.

Die Bürgerlichen interpretieren dieAPO und die aus ihnen hervorgegange-nen K- und Spontigruppen in dieser De-batte als quasi Vorfeldorganisationen derRAF. Insbesondere in der Verfolgung derRAF ist jedoch der Staat mit seinem Ge-waltmonopol aus den Schranken desRechts gebrochen. Wenn also über denMescalero-Nachruf gesprochen werdensoll, dann muss über die massiven staat-lichen Rechtsverletzungen gesprochenwerden, darüber, dass auch der seiner-zeitige Generalbundesanwalt sich in sei-nen Handlungen nicht mehr durch dasRecht gebunden sah, denn in diesem Zu-sammenhang entstand der Mescalero-Nachruf und nur in dem Zusammenhangkann er verstanden werden. Das gilt ge-nauso für die Frage der Militanz der 70er-Jahre: Die Bedingung, dass sie eine ge-wisse Breite gewann, war die Entfesse-lung der staatlichen Exekutive.

CDU/CSU/FDP aber verhandeln denganzen großen Konflikt als Frage vonPersonen, die aus welchen Gründen auchimmer Polizisten gejagt oder, wie’s FDP-Gerhardt sinngemäß formuliert hatte,Gedanken gedacht haben, in deren NäheDemokraten nicht einmal kommen dürf-ten.

Angriffsziele„In Wahrheit … ist der damalige APO-Fanatismus kaum ein von der Geschich-te, gar dem ,Weltgericht‘ beglaubigter,idealischer Kampf gewesen, sondern inseiner exzessiven Form ein Verrat an dem,was wir nach 1945 endlich und endgültigbegriffen zu haben glaubten: nämlich:dass der parlamentarische Formalismus… jene politische Zivilisation darstellt,die Deutschland endlich hätte lernen,verinnerlichen können und müssen.“(Friedrich Merz in der Aktuellen Stundeam 18.1.)

Für die Stabilität der bürgerlichenHerrschaft ist wichtig, dass die gesell-schaftlichen Widerstandsbewegungen

keinen politischen Arm, keine Vertretungin den Institutionen des Parlamenta-rismus haben, schon gar nicht in der Re-gierung. In vielerlei Hinsicht, vor allemdurch die Unterstützung des NATO-An-griffskrieges gegen Jugoslawien, ist dieVerbindung zwischen den Grünen in Par-lament und Regierung und gesellschaft-lichen Bewegungen gestört und ge-schwächt, aber sie ist nicht einfach ganzzerrissen. Es ist möglich, dass die kon-servative Kampagne kurzfristig daraufzielt, die Koalition unter Druck und viel-leicht sogar zum Platzen zu bringen, daskönnte mit erklären, warum die FDP soheftig eingestiegen ist. Längerfristig undstrategisch scheint sie mir zum Ziel zu

haben, die immer noch bestehenden Ver-bindungen und damit den Einfluss ge-sellschaftlicher Widerstandsbewegun-gen auf die institutionalisierte Politik zuzerstören. Wird es gelingen, den unver-meidlichen Generationenwechsel inner-halb der Grünen mit der Kampagne auf-zuheizen und den stattfindenden Gene-rationenkonflikt in die Bahnen einer Dis-tanzierung der Junggrünen von denaußerparlamentarischen Wurzeln derGrünen zu lenken? scc

1 Die Entwicklung der Repression ab 1970 ist aus-führlich dokumentiert in: BundesrepublikDeutschland – Rote Armee Fraktion, GNN-Ver-lag

Der Imperialismus ist tot. Es lebeder Kampf gegen das EmpireEinigen Thesen von Antonio Negri *

Antonio Negri und Michael Hard haben imletzten Jahr ein Buch veröffentlicht mit demTitel „Empire“. In der neuesten Ausgabe derMonatszeitschrift „Le Monde Diplomatique“(Januar 2001) fasst Negri in einem Artikel mitdem bezeichnenden Titel „Empire – Dashöchste Stadium des Kapitalismus“ dieGrundthesen des Buches zusammen.

Zwei Annahmen standen als These zuBeginn der Überlegungen zu dem Modell„Empire“:

„Die erste Überlegung besagt, dass eseinen Weltmarkt (in dem Sinn, den mandem Begriff seit dem Fall der BerlinerMauer geben kann, also nicht bloß alsmakroökonomisches Modell, sondern alspolitische Kategorie) nicht ohne eineForm rechtlicher Regulierung gebenkann. Diese Rechtsordnung wiederumkann nicht ohne eine Macht existieren,die ihre Durchsetzung garantiert.

Die zweite Überlegung besagt,dass dieRechtsordnung des globalisierten Markts(den wir ‚imperial‘ nennen) nicht nur ei-ne neue höchste Form der Macht abbil-det, die durch sie organisiert werden soll;in dieser Rechtsordnung schlagen sichauch neuartige Kräfte des Alltagslebensund des Widerstandes, der Produktionund des Klassenkampfes nieder.“

Wenn Negri diese Ordnung imperialnennt,warum bezieht er sich nicht auf diebisherigen „Imperialismustheorien“ undformuliert sie auf die veränderten Bedin-gungen um? Seine direkte Antwort: „Inder aktuellen imperialen Phase gibt eskeinen Imperialismus mehr.“ Der klassi-sche Imperialismus war die Expansiondes Nationalstaates gegen unterentwi-ckelte Länder zum Zwecke kolonialisti-scher Ausbeutung. Er basierte auf derSouveränität dieses imperialistischenNationalstaates über Politik, Ökonomie,Kultur und Militär. Und diese Souverä-

nität ist dem Nationalstaat abhanden ge-kommen und damit, so Negri, hat auchder Nationalstaat aufgehört zu existie-ren, und die Formen, die noch weiter be-stehen, befinden sich lediglich in einemÜbergangsstadium. Mit diesem Auflö-sungsprozess ist aber auch die Unterord-nung der alten Kolonialländer unter dieimperialistischen Staaten verschwundenoder nahe dabei dies zu tun. Alte imperi-alistische Staaten und alte kolonial aus-gebeutete Staaten befinden sich nun ge-meinsam im „Empire“ als der derzeitiggültigen Form kapitalistischer Ökono-mie.

Was kennzeichnet nun das „Empire“

„Der globalisierte Markt gewinnt seinepolitische Einheit durch die Attribute,die immer schon die Souveränität ge-kennzeichnet haben: durch militärische,monetäre, kommunikative, kulturelleund sprachliche Macht. Die militärischeMacht rührt aus der unumschränktenVerfügungsgewalt über ein umfassendesRüstungsarsenal, inklusive Nuklearwaf-fen. Die monetäre Macht beruht auf derExistenz einer hegemonialen Währung,der die Finanzwelt trotz ihrer Vielgestal-tigkeit vollständig untergeordnet ist. DieMacht der Kommunikation zeigt sich imTriumph eines einzigen kulturellen Mo-dells oder gar einer einzigen universellenSprache. Dieses Machtdispositiv ist su-pranational,global und total: Wir nennenes ‚Empire‘ (Imperium) … Warum der Be-griff ‚Empire‘ (der auf die Neuartigkeitder Rechtsform abhebt,die er impliziert),für etwas, was man auch schlicht als US-Imperialismus nach dem Fall der Mauerbezeichnen könnte? Unsere Antwort aufdiese Frage ist klar: Im Gegensatz zu dem,was die letzten Verfechter des Nationa-lismus behaupten, ist das Empire nichtetwa ein US-amerikanisches – wie übri-

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gens die USA im Lauf ihrer Geschichteauch weniger imperialistisch waren alsEngland, Frankreich, Russland oder Hol-land. Nein, das Empire ist schlicht kapi-talistisch. Es ist die Ordnung des ‚Ge-samtkapitals‘, also der Kraft, die denBürgerkrieg des zwanzigsten Jahrhun-derts gewonnen hat.“

Auf eine Dominanz des US-Kapital imEmpire kann man sich auch deshalb nichtbeziehen,weil noch ein weit größere Zahlvon Kapitalisten darin bestimmend be-teiligt sind.Neben dem europäischen Ka-pital, auch die russischen Kapitalisten,die Kapitalisten der arabischen asiati-schen und afrikanischen Welt, die ihreKinder zum Studium nach Harvard schi-cken und ihr Geld an der Wall Street ma-chen. Sie alle gehören zu dieser weltwei-ten Aristokratie, die das Empire stützen.

Das was das Empire im Vergleich zuden bisherigen Nationalstaaten so effek-tiv macht, ist die totalitäre Durchdrin-gung aller Gesellschaften dieser Welt.„Ineinem fortschreitenden Prozess derDurchdringung aller Regionen der Erdenutzt das Empire die weltweiten ökono-mischen und finanzpolitischen Verhält-nisse zur Durchsetzung des imperialenRechts. Ja, schlimmer noch: Es intensi-viert die Kontrolle über alle Aspekte desLebens.

Deshalb betonen wir die neue ‚biopo-litische’ Qualität der ‚imperialen’ Macht,deren Herausbildung durch einen Ein-schnitt markiert ist: durch den Übergangvon der fordistischen Organisation derArbeit zur postfordistischen, von einerauf die Fabrik konzentrierten Produk-tionsweise zu weit umfassenderen Ver-wertungs- und Ausbeutungsformen. Da-bei handelt es sich um gesellschaftliche,immaterielle Formen, die auch das Lebenin seinen intellektuellen und affektivenÄußerungen betreffen, die Reproduk-tionszeiten, die Wanderungen der Armenüber die Kontinente usw. Das Empireschafft eine biopolitische Ordnung, weildie Produktion biopolitisch geworden ist.

Anders ausgedrückt: Der National-staat verfügt über die Dispositive derDisziplinargesellschaft, um Machtaus-übung und Konsensfindung zu organi-sieren und zugleich eine soziale und pro-duktive Integration samt den entspre-chenden Staatsbürgerschaftsmodellenzu etablieren. Das Empire hingegen ent-wickelt Kontrolldispositive, die sämtli-che Aspekte des Lebens besetzen und die-se nach dem Muster von Produktion undStaatsbürgerschaft ummodeln, was aufeine totalitäre Manipulation aller Akti-vitäten, der Umwelt, der sozialen undkulturellen Verhältnisse usw. hinaus-läuft.

So wie die räumliche Dezentralisie-rung der Produktion zur gesellschaft-lichen Mobilität und Flexibilität bei-trägt, so verstärkt sie auch die Pyrami-denstruktur der Macht und die weltwei-te Kontrolle über die Aktivierung der be-troffenen Gesellschaften. Der Prozess istoffenbar irreversibel geworden und

macht sich allenthalben geltend: in derEntwicklung von den Nationen zum Em-pire, in der Verlagerung der Wertschöp-fung von der Fabrik in die Gesellschaft,in der Ablösung von Arbeit durch Kom-munikation und schließlich auch imÜbergang von disziplinarischen Herr-schaftsformen zu Kontrollprozeduren.“

Warum entstand das Empire?

Hier schlug Negri bei Marx nach und kamzu folgendem Ergebnis: Ursache für dieHerausbildung des Empire sind dieKämpfe der Arbeiterklasse, des Proleta-riats der Dritten Welt und der Emanzi-pationsbewegungen in den ehemaligenLändern de Realsozialismus. Die Arbei-terkämpfe in den kapitalistischen Me-tropolen haben die technologische Revo-lution beschleunigt, die Kämpfe in derDritte Welt haben über die Migrations-bewegungen die nationalen Schrankendes Arbeitsmarktes eingerissen und der„Freiheitswunsch des neuen technischen

und intellektuellen Proletariats in denrealsozialistischen Ländern, hat dieüberholte sozialistische Disziplin insWanken gebracht und zugleich die stali-nistische Verzerrung der Weltmarktbe-dingungen aufgehoben“. Das Empireläutet auch somit eine neue Phase imKampf der Ausgebeuteten und Unter-drückten ein. Dies nicht zu erkennen istdas Problem der traditionellen Organi-sationen (wie z.B. Gewerkschaften), dienoch mit den traditionellen Methoden,die auf Basis des Nationalstaates operie-ren, gegen das globale Empire angehen.Dies muss nach Negri scheitern. Deshalbmuss man sich auch von diesen Bewe-gungen distanzieren.

„In den Arbeiterbewegungen, derKlasse, dem Proletariat die Ursache fürdiese Veränderung im kapitalistischenMachtsystem zu sehen heißt, darauf zubestehen, dass die Menschen ihrer Be-

freiung von der kapitalistischen Produk-tionsweise näher kommen. Und sich zu-gleich von Leuten zu distanzieren, dieKrokodilstränen über das Ende der kor-porativen Kompromisse vergießen, wiesie für den Sozialismus und die nationa-len Gewerkschaftsstrategien bezeich-nend waren. Das bedeutet zugleich eineDistanzierung von denen, die den wun-derbaren alten Zeiten nachtrauern – al-so einem sozialen Reformismus, derdurchtränkt ist von den Ressentimentsund Neidgefühlen, die nur allzu häufigunter der Utopie schwelten. Machen wiruns nichts vor: Wir befinden uns inmit-ten des Weltmarkts. Doch wir bemühenuns noch immer, dem Traum Gestalt zugeben, eines Tages die ausgebeutetenKlassen im Schoß der kommunistischenInternationale zu vereinigen. Denn wirsehen neue Kräfte heranwachsen“.

Wie sehen die neuen Kräfte aus?

Hier bleibt die Erklärung ausgesprochen

blass. Einziger konkreter Hinweis, denNegri gibt, ist folgender: Die Ausarbei-tung zu dem Buch, das er mit MichaelHardt verfasst hat, fanden statt vor demHintergrund der Auseinandersetzungenim öffentlichen Dienst Frankreichs imWinter 1995. Diese „Pariser Communeunter dem Schnee engagierte sich nichtnur für die Verteidigung des öffentlichenTransportwesens, sondern sie bedeuteteviel mehr einen subversiven Prozess derSelbsterkenntnis von Bürgerinnen undBürger in den großen Städten. Diese Er-fahrung liegt nun bereits einige Jahre zu-rück. Gleichwohl hat sich in allen Kämp-fen, die seitdem gegen das Empire statt-gefunden haben, etwas manifestiert, wassie vor allem anderen auszeichnet: dasneue Bewusstsein, dass im Leben wie inder Produktion das gemeinschaftlicheWohl entscheidend ist, und zwar weitmehr als das ‚Private’ oder das ‚Nationa-

Demonstration während des Weltsozialforums im brasilianischen Porto Allegre. Trä-

ger einer neuen Front im Kampf gegen das Empire? Bild: ND

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le’, um diese veralteten Begriffe zu ver-wenden. Gegen das Empire erhebt sicheinzig und allein das ‚Gemeinschaftliche’… Im Übrigen bleibt uns keine Alterna-tive, denn wir werden in diesem Empireausgebeutet und unterdrückt und nichtirgendwo sonst. Das Empire ist nun ein-mal die gegenwärtige Ordnung eines Ka-pitalismus, der nach einem Jahrhunderthistorisch beispielloser proletarischerKämpfe eine neue Gestalt ausbildet. Un-ser Buch setzt also eine gewisse Sehn-sucht nach dem Kommunismus voraus.“

hav* Toni Negri, Autor, zusammen mit Michael Hardt,von „Empire“ (Harvard University Press, Cam-bridge 2000). Negri, der ehemalige Chef der lin-ken Gruppe Arbeitermacht (Potere operaio), istderzeit im römischen Gefängnis Rebibbia inhaf-tiert. Wegen „bewaffneten Aufstands gegen denStaat“ war er zu dreißig Jahren Gefängnis verur-teilt worden und hatte wegen der „moralischenVerantwortung“ für die Zusammenstöße zwi-schen autonomen Militanten und der Polizei imMailand der Jahre 1973 bis 1977 viereinhalb Jah-re zusätzlich erhalten. Gegenwärtig ist er Frei-gänger. Bis zu seiner freiwilligen Rückkehr nachItalien 1997 lebte er 14 Jahre im Exil in Paris undwar unter anderem Hochschullehrer an der Uni-versität Paris VIII sowie am Collège Internationalde Philosophie.Von Toni Negri liegen auf Deutschunter anderem vor, zusammen mit Maurizio Laz-zarato und Paolo Virno: „Umherschweifende Pro-duzenten“, 1998; zusammen mit Michael Hardt:„Die Arbeit des Dionysos“, 1997, beide ID-Ver-lag, Berlin.

Buchtipp zum Thema Geschichte der Ar-

beiterbewegung

Arbeiterbewegung1933 bis 1939Michael Schneider: Unterm Hakenkreuz. Ar-beiter und Arbeiterbewegung. 1933 bis1939. (Geschichte der Arbeiter und Arbei-terbewegung in Deutschland seit dem Endedes 18. Jahrhunderts. Bd. 12) VerlagJ.H.W.Dietz Nachf. Bonn 1999, 1186 S.Gestützt auf ein breites Quellenmaterialund eine umfangreiche Literaturauswer-tung, ließ der Autor einen historischerAbriss entstehen, der als Standardwerkzur Thematik betrachtet werden kann.Sein Anliegen, eine Gesamtdarstellungvon Arbeiterschaft und Arbeiterbewe-gung im Spannungsfeld von Integration,Anpassung und Widerstand vorzulegen,ist vorzüglich umgesetzt.

Wertvoll und zur Diskussion anregendist bereits die Einleitung, in der metho-dologisches Vorgehen, Forschungsstandund Literaturkritik, Defizite und Kon-troversen der Historiographie, Begriffs-bestimmungen, Struktur und Aufbau derArbeit dargelegt werden. Untersuchtwerden dann im folgenden vor allem diePolitik des NS-Regimes gegenüber derArbeiterschaft, deren Auswirkung aufdie Lebenslage der Arbeiter sowie die po-litische Aktionen der Arbeiterbewegung.Diese Komplexe reflektieren sich auch imAufbau des Bandes.

Viel Raum,ein eigenes Kapitel,widmet

Schneider der Arbeiterbewegung imFrühjahr 1933, wobei er auf die Reichs-tagswahlen, die Betriebsrätewahlen, dieAnfänge der illegalen Arbeit von KPDund Zwischengruppen, den Legalitäts-kurs der SPD, die Auflösung der Ge-werkschaften, die Verlagerung der Vor-standsarbeit von KPD und SPD ins Aus-land u.a. eingeht. Im zweiten Kapitel be-fasst er sich vor allem mit der NS-Politikgegenüber der Arbeiterschaft. Werbenum die Arbeiter, die Rolle der DeutschenArbeitsfront, nationalsozialistischeWirtschafts- und Sozialpolitik, Arbeits-markt, Volksgemeinschafts-Mythos undUnterdrückungssystem sind einige derThemen. Kapitel 111 behandelt das All-tagsleben der Arbeiter, „Betrieb, Haus-halt, Freizeit“. Erörtert werden z. B. Be-triebsgemeinschaft, Ernährung, Wohnenund Freizeitverhalten der Arbeiter,Stim-mungen und Einstellungen der Arbeiter-schaft,Veränderungen in sozio-kulturel-len Arbeitermilieus, eingegangen wirdauch auf die umstrittene Bewertung der„Modernisierungsleistungen“ der NS-Politik. Im letzten, vierten Kapitel – ihmfolgt dann noch eine verallgemeinerndeZusammenfassung – untersucht S. unterder Überschrift „Ohnmächtiger Wider-stand“ das Agieren der Arbeiterbewe-gung in der Illegalität und im Exil, ihreKonzepte und Strukturen in der Illega-lität, organisatorische Neuformierungwie strategische Neuorientierungen, Zä-suren im Widerstand, Einheits- undVolksfront.

Das Jahr 1933 wertet S. als den wohltiefsten Bruch in der Geschichte derdeutschen Arbeiterbewegung. Innerhalbkurzer Zeit wurde die Arbeiterbewegungin den Untergrund und ins Exil getrie-ben, wurde sie letztlich als politischerFaktor neutralisiert und ausgeschaltet,wurden ihre Parteien verboten, die Ge-werkschaften aufgelöst und viele Orga-nisationen „gleichgeschaltet“. Das führtnatürlich zur alten Frage: Worauf grün-dete sich der Erfolg der NSDAP, wie hät-te ihr Machtantritt verhindert werdenkönnen.

M. E. war eine Einheitsfront der Ar-beiterparteien zumindest die Vorausset-zung, einen Regierungsantritt derNSDAP zu verhindern. Ob dies alleinaber ausreichend gewesen wäre, darüberist nur zu spekulieren. Wahrscheinlichhat Schneider in der Hinsicht Recht,wenn er meint, dass die Flügel der Ar-beiterbewegung „zu tief zerstritten (wa-ren), als dass auch nur eine großangeleg-te gemeinsame Aktion im Bereich desMöglichen gewesen wäre“. (34) Deutlichmacht er zugleich die Illusionen, die bei-de Arbeiterparteien zunächst über einekurze Dauer des NS-Herrschaft hegten.1933 bedeutet für ihn das Ende der „al-ten“ Arbeiterbewegung als Massenbewe-gung, die NS-Strategie wird als eineKombination von Gewalt, Terror undRücksichtslosigkeit mit der Aufrechter-haltung des Scheins der rechtsstaat-lichen Kontinuität charakterisiert (kon-

zentriert 118). Die kontrovers diskutier-te Frage, wie weit es dem NS-Regime ge-lang, unter den Arbeitern und der Arbei-terschaft Zustimmung zu finden, sie fürsich zu gewinnen und zu integrieren,durchzieht den gesamten Band. Über-zeugend belegt der Autor, dass die Band-breite der Haltungen von begeisterterZustimmung, Passivität, über partielleVerweigerung bis zur Opposition odergar zum Widerstand reichte. Der Alltagunter dem Hakenkreuz war vielfältig,differenziert – mit Pauschalisierungenkann er nicht erfasst werden.StaatlichenTerror bestimmt er als eine der „wesent-lichen Systembedingungen nationalsozi-alistischer Herrschaft, ohne deren Be-rücksichtigung Arbeiterleben und -poli-tik kaum angemessen beurteilt werdenkönnen“. An Zahlen werden angeführt,dass zwischen 1933 und 1939 etwa eineMillion Menschen aus politischen Moti-ven in Gefängnisse,Zuchthäuser und La-ger gesperrt wurden,mehrere Tausend er-mordet werden (1069). Gewalt und Ter-ror zur Ausschaltung der Arbeiterbewe-gung nahmen einen zentralen Raum inder NS-Politik ein, aber auch Propagan-da und Arbeitsbeschaffungs-, Wirt-schafts- und Sozialpolitik bildeten einwichtiges Element der NS-Strategie zurBeeinflussung der Arbeiterschaft. Den-noch gelang es den NS-Machthabernnicht, wie S. resümiert, mit ihrer propa-gierten „Volksgemeinschafts-Ideologie“die sozialen Unterschiede zwischen Ar-beitern und Angestellten zu überwinden,die klassenspezifischen Schranken auf-zuheben und eine „schichtenübergrei-fende Massengesellschaft“ zu formen.(u.a. 781)

Ein besonderes Kapitel widmet S. derEntwicklung, Politik und Aktionsfähig-keit des antifaschistischen Widerstands.Er verweist auf Schwächen und Ver-säumnisse wie auch auf Grenzen desWiderstands und dessen Konzepte. Fak-tenreich und detailliert werden die Brei-te des Widerstands aus der Arbeiterbe-wegung, dessen verschiedene Zweige,Richtungen und Formen analysiert. Da-bei gilt die Untersuchung nicht nur demkommunistischen und sozialdemokrati-schen Widerstand, sondern auchZwischengruppen wie Neu Beginnen,SAP, KPDO, ISK, denen ein „überpro-portional hoher Anteil am Widerstand“bescheinigt wird. Dass die Kommunistennicht nur das erste Angriffsziel der NS-Machthaber waren, sondern auch diegrößte Zahl von Opfern hatten, wird vonS. erneut belegt. Er bekräftigt, dass kei-ne andere soziale Kraft einen so hohenAnteil sowohl an spontanem Widerstandals auch an organisierter Opposition her-vorbrachte wie die Arbeiterschaft.Sicherist ihm zuzustimmen, dass Dissens, Op-position oder Widerstand aus der Arbei-terbewegung zu keinem Zeitpunkt dieStabilität des NS-Regimes ernsthaft ge-fährden konnten, was den moralischenWert des Widerstands nicht mindert.

S. Gesamtresümee hinsichtlich Arbei-

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terschaft und -bewegung ist schlüssig:„Die Stellung der Arbeiterschaft war we-der eindeutig von Konsens, von Zustim-mung oder Einvernehmen, noch klar vonDissens, von Ablehnung und Vorbehaltengeprägt. Auch eine pauschale Apostro-phierung als ‚resistent’ gegen Verlockun-gen und/oder Zwang der nationalsozia-listischen Politik wird der Realität mitihren ‚Grautönen’, also Gemengelagenvon Zustimmung und Ablehnung keines-wegs gerecht“.

Hingegen „schufen bzw.bewahrten diesozial-moralischen Arbeitermilieus auchunter dem Druck der nationalsozialisti-schen Politik Bedingungen, unter denender Entschluss zur Aufrechterhaltung –verbotener – persönlicher Kontakte so-wie zum Engagement im aktiven politi-schen Widerstand gefördert wurde.“(1082, 1084)

Insgesamt ein beachtenswertes Buch,über dessen Einschätzungen sich durch-aus – wenn man dem Autoren nicht in je-dem Falle zu folgen vermag – konstruk-tiv debattieren lässt.Hervorzuheben sinddie Sachlichkeit und pauschale Urteilevermeidende, differenzierte Wertung derDarstellung. Nicht unerwähnt bleibensoll die gute Übersichtlichkeit des Bu-ches: Eine klare Gliederung, Zusammen-fassungen, ausführliche Verzeichnissevon Archivalien und Publikationen, Per-sonen-, Orts- und Sachverzeichnis er-möglichen eine schnelle Orientierung.Herbert Mayer, aus: Beiträge zur Ge-schichte der Arbeiterbewegung 4/2000

Kommunismus-forschung „von unten“Mallmann, Klaus Michael: Kommunisten inder Weimarer Republik. Sozialgeschichte ei-ner revolutionären Bewegung, Darmstadt,1996: Ein wichtiges Buch über die Sozial-geschichte der KPD

Unzufrieden war der Autor mit demgegenwärtigen Zustand der Kommunis-musforschung. Obwohl die Bibliothekenunter der riesigen Last von Forschungenüber den Gegenstand ächzen, sei denwirklichen Fragen noch nicht mal nahe-gekommen.Als da z.B.wäre: „… wieso einbeträchtlicher Teil jener Arbeiterbewe-gung, die im 19.Jahrhundert mit der Lo-sung der Demokratie gegen den Obrig-keitsstaat angetreten waren, aus der ei-genen Tradition ausscherte, Marx’ War-nung vor der ‚asiatischen Despotie‘ in denWind schlug und sich letztlich zum In-strument einer staatlich systematisiertenRepression verwandelte, ist längst nichthinreichend beantwortet …“ Ja, woranlag es, dass die Forschung diese Fragenicht klären konnte? Hatte sie das falscheRüstzeug, oder wollte sie gar nicht? Do-miniert wurde die Kommunismusfor-schung, selbstverständlich durch den Os-ten wie durch den Westen. Die Kommu-nismusforscher in beiden Lagern saßen

jedoch falschen Sichtweisen auf. In derDDR herrschte nach Mallmann die Kunstder Glorifizierung vor. Die Geschichteder kommunistischen Bewegung gipfeltein der siegreichen Tätigkeit der SED. Al-les, was in dieses Bild nicht passte, exis-tierte nicht. Aber auch die Forschung inder BRD hatte ihr Brett vor dem Kopf.Mallmann benennt es: Es war das vor al-lem von Ossip K. Flechtheim und Her-mann Weber entwickelte „Stalinisie-rungs-Modell“. Dieses besagt, das imGrunde die Geschichte der KPD, so ab1924, im Wesentlichen durch Moskauferngesteuert wurde.

Beide Ansätze lehnt Mallmann nun ab.Diese hätten nämlich ein ganz wesentli-ches Element aus den Forschungen aus-geblendet: „… dass Kommunismus im-mer auch eine soziale Massenbewegung,eine Bewegung von ‚gewöhnlichen Leu-ten‘ gewesen war, geriet kaum irgendwoin den Blick … Die Deutung des Kom-munismus als monolithisches, eindimen-sional definiertes System und der Kurz-schluss vom erteilten Imperativ auf dieprompte Durchführung verkennen, dasdie Mitglieder primär Subjekte waren,die die Politik vor Ort nach ihren eigenenMaßstäben gestalteten, die Weisungen‚von oben‘ ignorierten, falls sie sie fürfalsch hielten, die notfalls – wie zu zeigensein wird – mit den Füßen gegen die Li-nie der Zentrale abstimmten.“ Zu zeigenist also nach Mallmann eine „Geschich-te von unten“. Es geht nicht primär umeine Geschichte der Partei, sondern umeine Geschichte des Menschen,die sich inihr engagierten.

Wie ist da nun vorzugehen? Man rätschon, dass es nicht einfach für den Au-tor war, sich hier auf Spurensuche zu ma-chen. Zunächst brauchte er ein theoreti-sches Modell, das anders als die zu An-fang erwähnten falschen zu einer genau-eren Aufklärung führen kann. Er fanddieses Modell.Es ist das Konzept des „so-zialmoralischen Milieus“,des SoziologenRainer M. Lepsius. Mallmann beschreibtdieses Milieumodell wie folgt: „ Es ist ei-ne soziale Einheit, in der wirtschaftlicheInteressen, kulturelle Orientierungenund politische Ansprüche in ein labilesGleichgewicht eingebunden sind, eineKategorie nichtmarktförmiger Sozialbe-ziehungen zur spezifischen Homogeni-sierung von Heterogenitäten, die durch-aus im Spannungsverhältnis zu anderenVergesellschaftungsprozessen zu sehenist. Es entsteht auf lokaler Ebene in ei-nem Vorgang wechselseitiger Verstärkungvon gemeinsamen Einstellungen undÜberzeugungen auf Grund von Bevorzu-gung von Sozialkontakten mit solchenPersonen, die ähnliche Erfahrungen undInteressen besitzen, geht mit traditions-bildenden Formen einer ,örtlichen Ge-sinnungspflege‘ einher und mündet in ei-nem weder durch Verwandtschaft nochdurch formellen Beitritt begründetenWir-Gefühl, in einem kollektiven Gesin-nungszusammenhang, der überindivi-duell vermittelt und institutionell ge-

stützt wird.“Dieses Modell, angewendet auf die

Kommunisten in der Weimarer Republik,bringt Mallmann nun zu einem nicht un-erheblichen Untersuchungsergebnis.An-ders als es das Studium der Parteitags-dokumente der KPD und der Leitartikeldes Zentralorgans, die eine Spaltung derArbeiterbewegung ständig herbei reden,suggerieren, war an der „Basis“ derKPD-Parteiarbeiter innerhalb des ähn-lichen sozialen Milieus verwurzelt undpolitisch tätig wie der SPD-Parteiarbei-ter. Sie waren beide in der gleichen loka-len Konsumgenossenschaft, im gleichenkommunalen Parlament, in der gleichenlokalen Struktur der Gewerkschaftenverwurzelt. In all diesen Gremien warensie derselben Wählerbasis verpflichtetund mussten deren Bedürfnis berück-sichtigen, wollten sie gewählt werden. Inder praktischen Parteiarbeit vor Ort, soMallmann, blieben sie, bei Strafe der Iso-lierung oder gar des Untergangs einerpragmatischen Politik verhaftet. „Sieblieben darin – zugespitzt formuliert –Sozialdemokraten wider Willen, obwohlsie Noske und Zörgiebel verabscheuten.“Und gerade in diesem Spannungsver-hältnis, revolutionäre Politik treiben zuwollen in nichtrevolutionären Zeiten,sind die dauernden Linienkämpfe in derPartei zu deuten. Ständig streitet das ZKgegen Reformismus und Opportunismusin den eigenen Reihen und schlägt alsscheinbar kurierendes Mittel immernach links aus. Natürlich blieb dies kei-ne Einbahnstraße. Auch von unten wur-de nicht nur über den Aufstand geredet,sondern auch versucht ihn zu praktizie-ren. Auch war nicht überall und zu allerZeit das Verhältnis an der Basis zwischensozialdemokratischen und kommunisti-schen Menschen gleich harmonisch.Aberim Großen und Ganzen zitiert Mallmanndoch gern als symbolträchtiges Beispielfür die Milieukonstanz, die 1929 fertig-gestellte Halle der Arbeitervereine inSteinheim am Neckar: „In der Schank-stube hing an der Stirnseite ein Bild vonEbert,ihm gegenüber das von Lenin. Undbei diesem Neben- und Gegeneinander,dieser ebenso sinnbildlichen wie seltsa-men Symbiose, blieb es bis 1933.“

Das Buch ist sicherlich wichtig. Hataber auch seine Schwächen, die der Au-tor selbst benennt. Zunächst gebe es inder Lepsiuschen Milieutheorie einigeUnwägbarkeiten, die die Anwendung er-schweren. Im Buch tauchen einige Bei-spiele auf. Zum anderen hat er nur einenkleinen Teil lokaler Parteiarbeit ausge-wertet, nämlich aus dem Saarland, weilhier die Materialfülle einigermaßenbrauchbar war. Mallmann sieht sich aberauch nur als Wegbahner, dem weitereUntersuchungen folgen sollen.Vor allemscheint mir das Buch für eine Neube-trachtung der Möglichkeiten der soge-nannten Einheitsfrontpolitik in der Wei-marer Republik für sehr hilfreich, ak-tuelle Debatten über das Thema mit ein-geschlossen. Hardy Vollmer

Page 24: Politische Berichte · Politische Berichte ZEITUNG FÜR SOZIALISTISCHE POLITIK – ERSCHEINT VIERZEHNTÄGLICH Herausgeber: Arbeitskreis Politische Berichte, Stubaier Straße 2, 70327

MI-TE

RMINE

TER 2.-3. Februar, Kassel: Bürgerkommune und aktivierender

Staat, Kommunalpolitischer Kongress von Bündnis 90/DieGrünen, Kassel-Wilhelmshöhe, Anthroposophisches Zentrum

3. Februar, Fulda: Forum Kommunistischer Arbeitsgemein-schaften - Sitzung des Arbeitsausschusses, Fulda, DGB-Ju-gendbildungsstätte

9.-11. Februar, Hamburg: Internationale Tagung anlässlich desAbschieds von Frigga Haug von der Hochschule für Wirtschaftund Politik, Hamburg (HWP): Strategien neoliberaler Hege-monie - Kritische Erneuerung emanzipatorischer Standpunk-te. Mit Workshops zu den Themen: Mikroelektronische Pro-duktionsweise und Arbeitspolitik/ Alltagsforschung / Frauen-politik/ Bildungspolitik/ Kritische Psychologie / Umbrücheder Lebensweisen in Neoliberalismus/ Marxismus-Femi-nismus. Ort: Hamburg, HWP,Von-Melle-Park

22. Februar, München: Hauptversammlung der Siemens AG,Olympiahalle, Kritische Aktionäre protestieren gegen Atom-energie und für Zwangsarbeiter-Entschädigung. Kontakt:Dachverband Kritische AktionärInnen, Henry Mathews,Schlackstr. 16, 50737 Köln, Tel.: 0221/5995647, Fax:0221/5991024. E-Mail: [email protected]. Internet: http://www.kritischeaktionaere.de

24. Februar, Fulda: Wirtschaftskurs des Forum Kommunisti-scher Arbeitsgemeinschaften, Kapitel 13, 14 und 15: Staat,Staatshaushalt, Fiskalpolitik, DGB-Jugendbildungsstätte.Beginn 10.30 Uhr

2.-4. März, Bochum: Ratschlag des Bundeskongresses ent-wicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO), Thema: Öf-fentlichkeitsarbeit/Aussendarstellung. Kontakt: Geschäfts-stelle der BUKO, Nernstweg 32-34, 22765 Hamburg, Tel.:040/393156, Fax: 040/3907520, E-Mail: [email protected],Internet: http://www.epo.de/buko/index.htm

2. März, Duisburg: Hauptversammlung der ThyssenKrupp AG,Mercatorhalle, Kritische Aktionäre protestieren gegen Rüs-tungsproduktion und Arbeitsplatzvernichtung. Kontakt:Dachverband Kritische AktionärInnen, Henry Mathews,Schlackstr. 16, 50737 Köln, Tel.: 0221/5995647, Fax:0221/5991024.E-Mail: [email protected]: http://www.kritischeaktionaere.de

16.-18. März, Berlin: Gewerkschaftstag der ÖTV

18.-21. März, Berlin: Gründungskongress ver.di

18. März 2001: Kommunalwahlen in Hessen

24. März, Kassel: Mitgliederversammlung des BdWi, Uni/Ge-samthochschule Kassel. Kontakt: Bund demokratischer Wis-senschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi), Postfach 543,Gisselberger Str. 7, 35037 Marburg, Tel.: 06421/21395, Fax:06421/24654,E-Mail: [email protected],Internet: www.bdwi.org

25. März: Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rhein-land-Pfalz

7./8. April, Fulda: Forum Kommunistischer Arbeitsgemein-schaften. Fulda, DGB-Jugendbildungsstätte

11. April, Berlin: Hauptversammlung der DaimlerChrysler AG[http://www.DaimlerChrysler.de], ICC, Kritische Aktionäreprotestieren gegen Rüstungsproduktion und Ermordung vonGewerkschaftern, Kontakt Kritische Aktionäre DaimlerCh-rysler, Paul Russmann: 0711/608396. Kontakt: DachverbandKritische AktionärInnen, Henry Mathews, Schlackstr. 16,50737 Köln, Tel.: 0221/5995647, Fax: 0221/5991024. E-Mail:[email protected] Internet: www.kriti-scheaktionaere.de

14. bis 16. April, bundesweit: Ostermarsch - Demonstrationenund andere Aktionen

26. April, Ludwigshafen: Hauptversammlung der BASF AG,Kritische Aktionäre protestieren gegen Gentechnik, Umwelt-verseuchung und Arbeitsplatzvernichtung, Kontakt vor Ort:06457/89041. Kontakt: Dachverband Kritische AktionärIn-nen, Henry Mathews, Schlackstr. 16, 50737 Köln, Tel.:0221/5995647, Fax: 0221/5991024. E-Mail: [email protected] . Internet: http://www.kritischeaktio-naere.de

27. April, Köln: Hauptversammlung der Bayer AG, Messe, Kri-tische Aktionäre protestieren gegen Gentechnik, Umweltver-seuchung, etc., Kontakt: Koordination gegen Bayer Gefahren,Tel.: 0211/333911, e-mail: [email protected] . Kontakt:Dachverband Kritische AktionärInnen, Henry Mathews,Schlackstr. 16, 50737 Köln, Tel.: 0221/5995647, Fax:0221/5991024, E-Mail: [email protected] , Internet: www.kritischeaktionaere.de

4.-6. Mai, Düsseldorf: Bundesparteitag der FDP

5.-9. Mai, Lübeck: 24.o. Gewerkschaftstag der GEW

19. Mai, Fulda: Wirtschaftskurs des Forum KommunistischerArbeitsgemeinschaften, Kapitel 16, 17 und 18: Geld, DGB-Ju-gendbildungsstätte. Beginn 10.30 Uhr

24.- 27. Mai, Erlangen: IPPNW-Kongress „Medizin und Ge-wissen“, Schwerpunktthemen: Menschenrechte, Technologie-folgen, Gesundheitspolitik,Vorträge/Workshops u.a. zu: „Me-dizin zwischen den Fronten.Ethische Dilemmata der hum.Hil-fe“; Kinderstreben in Bagdad - Embargo und Gesundheit“;Uran im Kosovo - NATO-Einsatz strahler Munition“, „Hand-lager für das Militär - Verträge von Kliniken und Bundeswehr“,...; Kongress-Büro: Fichtenstr. 39, 91054 Erlangen, Tel.:09131/816830, Fax: 09131/816831, e-mail: [email protected],http://www.medizinundgewissen.de (Mo-Do 9.30-12 Uhr).Kontakt: IPPNW, Körtestr. 10, 10967 Berlin,Tel.: 030/6930244,Fax: 030/6938166, E-Mail: [email protected]: http://www.ippnw.de

29./30. Mai, Leipzig: ver.di-Konferenz zum Thema: „Ge-schlechterdemokratie ist das Ziel - Gender Mainstreaming dasInstrument“

13./14. Juni, Frankfurt: Evangelischer Kirchentag

23.-24. Juni, Münster: 15. Ordentl. Bundesverammlung derGrünen / Bündnis 90, Halle Münsterland

2. bis 5. August: Linke Sommerschule in Sondershausen

9. September: Kommunalwahlen in Niedersachsen

22. September, Fulda: Wirtschaftskurs des Forum Kommunis-tischer Arbeitsgemeinschaften, Kapitel 19, 20 und 21: Inter-nationaler Handel und Währung, DGB-Jugendbildungsstätte.Beginn 10.30 Uhr

23. September: Bürgerschaftswahlen in Hamburg