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Politische Vorfahrt für biologische Vielfalt Politikbarometer zur Biodiversität in Deutschland 2014 STUDIE

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Politische Vorfahrt für biologische Vielfalt

Politikbarometer zur Biodiversität in Deutschland

2014

STUDIE

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DankDiese Studie ist nur durch die Teilnahme und aktive Unterstützung aus den beteiligten Bundes - ministerien und der im Bundestag vertretenen Parteien möglich geworden. Zum Teil haben sich die Gesprächspartner – auch die der höherrangigen administrativen oder politischen Ebenen – sehr viel Zeit für die Interviews genommen. Auch die Atmosphäre in vielen Ressorts und Fraktionen war offen und positiv. Bei vielen Gesprächspartnern war das Interesse und Engagement an dem Thema Biologische Vielfalt sehr ausgeprägt. An dieser Stelle möchten sich der Autor der Studie und der WWF bei allen, die durch Interviews und Gespräche sowie durch die Vermittlung von weiteren Gesprächspartnern aktiv teilgenommen und damit diese Studie ermöglicht haben, recht herzlich bedanken.

Vorliegende Studie entstand in Kooperation mit der Leuphana Universität Lüneburg im Auftrag des WWF Deutschland.

ImpressumHerausgeber: WWF Deutschland, BerlinStand: Januar 2014Autor: Norman Laws, Leuphana Universität LüneburgRedaktion: Günter Mitlacher, Thomas Köberich / WWF DeutschlandKontakt: [email protected]: Thomas Schlembach / WWF DeutschlandProduktion: Maro Ballach / WWF Deutschland

ISBN 978-3-9813048-1-7

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Inhaltsverzeichnis

1 Vorwort 2 Zusammenfassung 3 Einführung 3.1 Biodiversität: Begrifflichkeit, Status und Gefährdung 3.2 Anlass und Ziel der Studie 3.3 Der biodiversitätspolitische Rahmen 3.4 Zuständigkeiten von Bund und Ländern

4 Methodik 5 Empirische Ergebnisse 5.1 Ergebnisse Exekutive 225.1.1 Schlüsselindikator 1: Strategische Planung 22 5.1.1.1 Langfristperspektive 22 5.1.1.2 Machtfaktor 23 5.1.1.3 Neuinstitutionalisierung 25 5.1.2 Schlüsselindikator 2: Der individuelle Faktor 26 5.1.2.1 Biodiversität und Personalentwicklung 26 5.1.2.2 Biodiversität und Führungspersonen 275.1.3 Schlüsselindikator 3: Policy-Steuerung 28 5.1.3.1 Wahl der Policy-Instrumente 29 5.1.3.2 Integration in Planungsprozesse 315.1.4 Schlüsselindikator 4: Umsetzung von Biodiversitätspolitik 32 5.1.4.1 Umsetzungsprobleme 32 5.1.4.2 Präferenzwechsel 34 5.1.4.3 Reicht die Nationale Biodiversitätsstrategie (NBS) aus? 355.1.5 Schlüsselindikator 5: Biodiversitätsziele und ihre Evaluation 36 5.1.5.1 Biodiversitätszielmarken 36 5.1.5.2 Evaluation 375.1.6 Schlüsselindikator 6: Wahrnehmung von Zielkonflikten 385.1.6.1 Zielkonflikte Politikfelder 385.1.6.2 Zielkonflikte im eigenen Ministerium 39 5.1.6.3 Zielkonflikte kurz- und langfristig 405.1.7 Schlüsselindikator 7: Kooperation mit der Zivilgesellschaft 41 5.1.7.1 Kooperation mit nicht staatlichen Akteuren 41 5.1.7.2 Gemeinsame Bewertungs- und Beratungsgremien 43 5.1.7.3 Einflussnahme von interessierten Dritten auf Biodiversitätspolitik 445.1.8 Schlüsselindikator 8: Vertikale Politikintegration 45 5.1.8.1 Einfluss von Europäischer Union (EU) und Vereinten Nationen (UN) 45 5.1.8.2 Berücksichtigung von subnationalen Ebenen 475.1.9 Schlüsselindikator 9: Biodiversitätsverständnis 48 5.1.9.1 Politikfelder 48 5.1.9.2 Gründe für die Biodiversitätskrise 49 5.1.9.3 Lösung der Biodiversitätsproblematik 505.1.10 Schlüsselindikator 10: Kooperation und Koordination 52

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5.1.10.1 Kooperation der Ressorts 53 5.1.10.2 Engagement der Ressorts 54 5.1.10.3 Bedeutung der Interministeriellen Arbeitsgruppe 55 Biodiversitätsstrategie (IMA)5.1.11 Schlüsselindikator 11: Bedeutung von Biodiversität 57 5.1.11.1 Themenkonkurrenz innerhalb des Ministeriums 575.2 Ergebnisse Legislative 595.2.1 Schlüsselindikator 1: Strategische Planung 59 5.2.1.1 Indikator: Machtfaktor 595.2.2 Schlüsselindikator 2: Der individuelle Faktor 60 5.2.2.1 Biodiversität und Personalentwicklung 61 5.2.2.2 Biodiversität und Führungspersonen 615.2.3 Schlüsselindikator 3: Policy-Steuerung 62 5.2.3.1 Wahl der Policy-Instrumente und Umsetzungsmöglichkeiten 62 5.2.3.2 Biodiversität als Begründung 635.2.4 Schlüsselindikator 4: Umsetzung von Biodiversitätspolitik 65 5.2.4.1 Umsetzungsprobleme 655.2.5 Schlüsselindikator 5: Wahrnehmung von Zielkonflikten 66 5.2.5.1 Zielkonflikte mit anderen Politikfeldern 66 5.2.5.2 Zielkonflikte im eigenen Haus 67 5.2.5.3 Zielkonflikte kurz- und langfristig 685.2.6 Schlüsselindikator 6: Kooperation mit der Zivilgesellschaft 69 5.2.6.1 Kooperation mit nicht staatlichen Akteuren 70 5.2.6.2 Gemeinsame Bewertungs- und Beratungsgremien 70 5.2.6.3 Einflussnahme von Dritten auf Biodiversitätspolitik 715.2.7 Schlüsselindikator 7: Vertikale Politikintegration 72 5.2.7.1 Berücksichtigung von subnationalen Ebenen 725.2.8 Schlüsselindikator 8: Biodiversitätsverständnis 73 5.2.8.1 Politikfelder 73 5.2.8.2 Gründe für die Biodiversitätskrise 74 5.2.8.3 Lösung der Biodiversitätsproblematik 755.2.9 Schlüsselindikator 9: Koordination und Kooperation 77 5.2.9.1 Bedeutung des Bundestags 775.2.10 Schlüsselindikator 10: Bedeutung von Biodiversität 78 5.2.10.1 Themenkonkurrenz 78

6 Handlungsempfehlungen7 Schlussbetrachtung8 Anhang9 Literaturverzeichnis

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Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

spreche ich über den Schutz der Artenvielfalt, die der WWF seit 50 Jahren be-treibt, denkt ein jeder sofort an Pandas, Tiger, Elefanten oder Nashörner. Doch wechsele ich dann zu den Themen Biodiversität oder biologische Vielfalt, beginnt mir Skepsis entgegenzuschlagen, weil die Begriffe sperrig sind und die damit verbundenen Anliegen schwer zu vermitteln. Das erlebe ich auch in Gesprächen mit Politikern. Andererseits setzt sich der Begiff in der gesellschaftlichen Dis-kussion um den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen immer mehr durch, seit 1992 in Rio de Janeiro die UN-Konvention zur biologischen Vielfalt und 2007 die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt vom Bundeskabinett beschlossen wurden.

Doch wie wird Biodiversitätspolitik im Alltag der Bundesministerien und der Parteien des Deutschen Bundestages konkret gelebt? Welche Rolle spielt dieser Politikbereich in der Konkurrenz zu anderen politischen Aufgaben? Handelt es sich beim Schutz von Biodiversität um ein prioritäres oder marginales Anliegen des politischen Geschehens und was sind die Gründe?

Die Ihnen vorliegende politikwissenschaftliche Studie ist Ergebnis einer Kooperation von WWF Deutschland und der Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Nachhaltigkeitssteuerung (INSUGO). Sie soll dazu dienen, das politische Handlungsfeld zu durchleuchten und die deutsche Biodiversitäts-politik zu verbessern.

Mir ist es ein besonderes Anliegen, die Einsicht zu fördern, dass es sich bei der Biodiversitätspolitik keinesfalls um eine trendige Luxusaufgabe unserer Gesell-schaft handelt, sondern um eine zukunftsorientierte Antwort auf eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung unserer Zeit. Soll Biodiversitätspolitik erfolg- reich sein, muss sie sämtliche Politikbereiche durchdringen. Sowohl aus ethischen Gründen besteht die Verpflichtung, die biologische Vielfalt um ihrer selbst willen zu schützen, als auch im Hinblick auf künftige ökonomische Optionen: Eine er-folgreiche Biodiversitätspolitik, die die natürlichen Lebensgrundlagen schützt, wiederherstellt und nachhaltig nutzt, ist die Basis für eine krisen freie Entwick-lung in Ökonomie und Gesellschaft, sowohl national wie auch international.

An dieser Stelle danke ich allen Gesprächspartnern für ihre Auskunftsbereit-schaft, Hinweise und persönliche Unterstützung, ohne die unsere Initiative nicht gelungen wäre. Danken möchte ich auch Norman Laws für sein großes Engage-ment, diese Untersuchung durchzuführen.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und hoffe auf fruchtbare Diskussionen zum Wohle der biologischen Vielfalt unserer Erde und damit zu unser aller Wohl.

Eberhard BrandesWWF Deutschland, Vorstand

1 Vorwort

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Das „Politikbarometer zur Biodiversität in Deutsch-land – Politische Vorfahrt für biologische Vielfalt“ ist Ergebnis einer Kooperation von WWF Deutschland und der Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Nachhaltigkeitssteuerung (INSUGO). Die Studie zur

Biodiversitätspolitik auf Bundesebene ergänzt die im Jahr 2012 erstellte Studie zur deutschen Nachhaltigkeitspolitik: „Politikbarometer zur Nachhaltigkeit in Deutschland – Mehr Macht für eine nachhaltige Zukunft“.1

Der Verlust biologischer Vielfalt und politische HandlungsstrategienDer Verlust der biologischen Vielfalt hält unvermindert an. Der vom WWF 2012 veröffentlichte „Living Planet Index“ stellt fest: Die Artenvielfalt ist weltweit auf dem Rückzug, um 30 % seit 1970, in tropischen Regionen durchschnittlich sogar um 60 %.2

Ähnlich sieht es in Europa aus. Nach Angaben der EU-Kommission befinden sich lediglich 17 % der EU-rechtlich geschützten Lebensräume und Arten sowie 11 % der geschützten Ökosysteme in einem guten Zustand.3 In der EU sind etwa 25 % der europäischen Tierarten, einschließlich Säugetiere, Amphibien, Reptilien, Vögel und Schmetterlinge, vom Aussterben bedroht; außerdem sind 88 % der Fischbe-stände überfischt oder erheblich dezimiert.

In Deutschland sind 28 % der untersuchten Wirbeltiere in ihrem Bestand gefähr-det, 8 % gelten als ausgestorben oder verschollen. Noch kritischer ist die Situation der Lebensräume: Von 690 Biotoptypen gelten 72,5 % als gefährdet und 2 % be-reits als vollständig vernichtet. Besonders hohe Anteile gefährdeter Biotop typen finden sich in Meeres-, Küsten- und Alpenlebensräumen.4

Der Artenverlust hat seine Ursachen in der andauernden Zerstörung der Lebens-räume von Tier- und Pflanzenarten, in der Umwandlung natürlicher und natur-naher Ökosysteme, in der Umweltverschmutzung und im Klimawandel. Die meis- ten Ökosysteme sind dadurch nicht mehr vollständig in der Lage, jene Leistungen, auf die wir angewiesen sind, wie z. B. Bestäubung landwirtschaftlicher Kulturen, saubere Luft und sauberes Wasser bzw. Verhütung von Hochwasser oder Erosion, in hinreichender und wirksamer Weise zu erbringen. Unter dieser Situation leiden immer mehr Menschen – ihre Lebensqualität nimmt ab und die volkswirtschaft-lichen Schäden nehmen zu.

Als Antwort auf den globalen Rückgang der biologischen Vielfalt hat die Welt-gemeinschaft im Jahr 2010 auf der 10. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention zur Biologischen Vielfalt (CBD) in Nagoya einen neuen Strategischen Plan mit 20 Zielen beschlossen, um bis 2020 den Verlust biologischer Vielfalt weltweit zu stoppen.5 Zugleich erklärten die Vereinten Nationen den Zeitraum von 2011 bis 2020 zur Dekade der biologischen Vielfalt, um mehr Bewusstsein für die Bedro-hung der Biodiversität zu schaffen.

1 Heinrichs & Laws 2012 2 WWF 20123 Europäische Kommission 20114 Nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz auf www.biologischevielfalt.de 5 Siehe auch: https://www.cbd.int/sp/

2 Zusammenfassung

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Europa hat mit einer eigenen Biodiversitätsstrategie reagiert. Die Anfang 2011 von der EU-Kommission vorgelegte Strategie soll helfen, den Zustand der Bio-diversität in Europa bis 2020 zu verbessern. Die von der EU favorisierte Vorge-hensweise zielt auf die Hauptursachen für den Biodiversitätsverlust. Sie will die größten Belastungen für die Natur und die Ökosystemleistungen in der EU redu-zieren, indem Biodiversitätsziele in allen wichtigen Politikbereichen verankert werden sollen. Auch für Deutschland liegt mit der vom Bundeskabinett bereits 2007 beschlos-senen Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt eine umfassende und an-spruchsvolle Strategie zur Umsetzung der CBD vor. Durch die Verwirklichung von rund 330 Zielen und mit rund 430 Maßnahmen soll bis 2020 der Rückgang der biologischen Vielfalt in Deutschland aufgehalten und der Trend umgekehrt werden.

Zusammenfassung der Ergebnisse und SchlussfolgerungenVor diesem Hintergrund analysiert die vorliegende empirische Studie, wie Politik und Verwaltung auf Bundesebene mit dem Thema Biologische Vielfalt umgehen und wie im parlamentarischen und administrativen Alltag Biodiversitätspolitik betrieben wird. Die Untersuchung betrachtet den gegenwärtigen Status, die Stärken und Defizite sowie die Entwicklungsmöglichkeiten für die Biodiversitätspolitik auf Bundesebene. Den Ergebnissen der politikwissenschaftlichen Analyse liegen Interviews mit den für Biodiversität zuständigen Vertreterinnen und Vertretern der 5 Bundestagsfraktionen der 17. Legislaturperiode und von 11 Bundesministe-rien zugrunde. In den Ministerien waren Personen von der Staatssekretärsebene bis zur Ebene der Referenten beteiligt. Anhand von Schlüssel indikatoren wurden die Befragungsresultate interpretiert.

Die Ergebnisse zeigen ein sehr heterogenes Bild der Biodiversitätspolitik auf Bun-desebene. Positiv fällt auf, dass auf der einen Seite organisatorische, prozessuale und institutionelle Voraussetzungen geschaffen wurden. Hervorzuheben sind hier

» die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) mit ihrem umfassen-den und detaillierten Ziel- und Maßnahmenkatalog, um den Rückgang der biologischen Vielfalt bis 2020 aufzuhalten und zu einer Trendumkehr beizu-tragen;

» die im Jahr 2010 eingerichtete Interministerielle Arbeitsgruppe zur Umset-zung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (IMA NBS), der 11 von 14 Bundesministerien angehören und deren Aufgabe die Förderung der Zusammenarbeit der Ministerien bei der Umsetzung der Ziele und Maß-nahmen der NBS ist;

» die Wahrnehmung der deutschen Biodiversitätspolitik als sehr konstant.

Ernüchternd sind die Ergebnisse jedoch dahingehend, dass das Politikfeld Bio-logische Vielfalt in der administrativen und parlamentarischen Praxis nicht die der Problemlage angemessene Beachtung und Gewichtung erfährt. Dies wird an folgenden Punkten deutlich:

» Biodiversität hat es schwer, sich zu profilieren und sich gegenüber anderen Politikfeldern durchzusetzen. So existieren erhebliche Zielkonflikte zwischen biologischer Vielfalt und anderen politischen Themen, insbesondere zwischen

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wirtschaftlicher Nutzung und Biodiversität, Energie und Biodiversität und insbesondere Landwirtschaft und Biodiversität.

» Die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt wird zwar als ein ausreichen-des Instrument für eine effektive deutsche Biodiversitätspolitik im Zeithori-zont bis 2020 angesehen. Allerdings wird die Umsetzung kritisch beurteilt und z. T. als nicht ausreichend für einen effektiven Schutz der biologischen Vielfalt eingeschätzt. Im administrativen Tagesgeschäft und politischen Alltag spielen die Biodiversitätsziele eine sehr geringe Rolle.

» Die im Jahr 2010 eingerichtete Interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) zur Umsetzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie wird überwiegend als ein Gremium gegenseitiger Information und nicht als ein Ort strategischer Koordination beschrieben.

» Versuche, die langfristigen Politikfolgen für die biologische Vielfalt durch strategischere Planung zu steuern, fallen oft den kurzfristigen politischen Erfordernissen zum Opfer.

» Maßnahmen, Vorhaben oder Politikvorschläge werden in den seltensten Fällen anhand von Biodiversitätskriterien evaluiert.

» Weder die Potenziale eines intensiven Austauschs mit zivilgesellschaftlichen Gruppen noch eine gemeinsame Beratung und Bewertung von Status und Zielen der deutschen Biodiversitätspolitik werden ausgeschöpft.

» Biologische Vielfalt ist in der Personalentwicklung und beruflichen Fortbil-dung kaum von Bedeutung, sodass die handelnden Personen für das Thema nicht ausreichend sensibilisiert sind. Auch fehlen vielfach die notwendigen fachlichen Kenntnisse, um die Auswirkungen der eigenen Arbeit zu erkennen.

» Ein weiteres Hemmnis in der Umsetzung einer effektiven Biodiversitätspolitik besteht in der ungenügenden Ausstattung mit Personal- und Finanzmitteln so-wie der fehlenden Zeit, weil andere politische Themen auf die Agenda kommen und den Vorzug erhalten.

» Es fehlen genügend Fürsprecher in den Führungsebenen von Parteien und Bundesministerien. Die notwendige Führungsverantwortung für die Biodiver-sitätspolitik wird nicht übernommen.

In der Gesamtbetrachtung lässt sich feststellen, dass das Politikfeld Biologische Vielfalt auf der Ebene des Bundes weder ausreichend integriert ist noch – wie es den tatsächlichen Erfordernissen angemessen wäre – als Priorität berücksichtigt, geschweige denn betrieben wird. Gemessen am Stand der wissenschaftlich be-legten, rapide fortschreitenden Abnahme der biologischen Vielfalt in Deutschland, Europa und weltweit und auch gemessen an den Vorschlägen und Strate gien zur Weiterentwicklung dieses Politikfeldes bestehen erhebliche Defizite in der Ver-wirklichung effektiver Biodiversitätspolitik auf Bundesebene.

Vergleicht man diese Ergebnisse mit denen des „Politikbarometers zur Nach-haltigkeit“ 2012, sind die Defizite in einigen Bereichen sogar noch gravierender: Während die deutsche Nachhaltigkeitspolitik schon erhebliche Probleme hat, ist die auf Biodiversität heruntergebrochene konkrete Nachhaltigkeitspolitik noch unterentwickelter. Das oft postulierte Leitbild Nachhaltigkeit erfährt in

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der praktischen Politik, und insbesondere in der Biodiversitätspolitik, nicht die Bedeutung, die ihm zukommt und die ihm in politischen Verlautbarungen oft zugesprochen wird.

Unter den derzeitigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen ist es höchst unwahrscheinlich, dass es gelingen wird, den Verlust der biologischen Vielfalt in Deutschland, in Europa und weltweit bis 2020 aufzuhalten.

Handlungsempfehlungen zur Behebung der DefiziteUm die in dieser Studie offengelegten Defizite deutscher Biodiversitätspolitik zu minimieren und um politische und administrative Konsequenzen aus den Resultaten dieser Studie anzuregen, werden zehn Handlungsempfehlungen formuliert. Diese Vorschläge sollen konkret zur Weiterentwicklung deutscher Biodiversitätspolitik auf Bundesebene beitragen. Angesprochen sind vor allem verantwortliche Personen und Entscheidungsträger auf den verschiedenen Ebenen in den Bundesministerien und in den Parteien.

Handlungsempfehlung 1: Führungsverantwortung übernehmen – Biodiversitätspolitik muss Chefsache werdenDer Stellenwert von biologischer Vielfalt in Politik und Verwaltung hängt in besonderem Maße von den verantwortlichen Entscheidungsträgern ab. Die Führungs- und Leitungsebenen in Politik und Verwaltung sind gefordert, das im Grundgesetz in Artikel 20a niedergelegte Leit- und Handlungsprinzip zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbe-reich zu integrieren und aktiv umzusetzen. Mehr Führungsverantwortung und Durchsetzungswille für Biodiversität sind notwendig, um eine stärkere politi-sche Profilierung zu erreichen. Biodiversität soll zu einem Machtfaktor werden.

Handlungsempfehlung 2: Biodiversitätspolitik erfordert Priorität – Richtlinienkompetenz nutzen Die Beseitigung der Zielkonflikte zwischen Flächennutzungs-, Energie- und Wirtschaftspolitik und der Biodiversitätspolitik muss eine hohe Priorität genie-ßen und darf nicht zulasten der natürlichen Ressourcen betrieben werden. Eine stärkere Nutzung der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzleramtes ist hier notwendig. Zudem stehen bisher etliche Politikfelder gar nicht im Fokus von Politik und Verwaltung, obwohl sie indirekte Treiber des Biodiversitätsverlustes sind. Insbesondere muss z. B. Handels-, Sozial- oder Fiskalpolitik stärker in eine umfassende Biodiversitätspolitik eingebunden werden.

Handlungsempfehlung 3: Nationale Biodiversitäts strategie – mehr Verantwortung für Ziele und Umsetzung Die Nationale Biodiversitätsstrategie droht die bis zum Jahr 2020 gesetzten Ziele zu verfehlen – und damit zu scheitern. Die Bundesregierung muss deshalb

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eine größere Verantwortung für die Umsetzung von Maßnahmen zum Errei-chen der Ziele übernehmen sowie zügiger und umfassender handeln. Für die jeweiligen Politikfelder und Arbeitsbereiche bedarf es klar definierter, operati-onalisierter Ziele und Maßnahmen. Diese müssen mit klaren Zuordnungen der Zuständigkeit für die Ebenen der Ministerien, Abteilungen, Unterabteilungen und Referate versehen werden. Je stärker sie an der Realität der einzelnen Orga-nisationseinheiten orientiert sind, desto größer sind ihre Umsetzungschancen.

Handlungsempfehlung 4: Biodiversitätspolitik braucht mehr Kooperation und Koordination – Interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) aufwertenDie im Jahr 2010 eingerichtete Interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) zur Um-setzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie kann derzeit ihre Koordinations-aufgaben nur unzureichend erfüllen. Die IMA muss daher mit weitreichenderen Befugnissen ausgestattet und zu einem echten strategischen Koordinations-gremium aller Bundesministerien auf Abteilungsleiterebene aufgewertet werden. Zu dessen Aufgaben sollte die Herausgabe eines jährlichen Berichtes an den Bundestag gehören.

Handlungsempfehlung 5: Bessere Biodiversitätspolitik durch intelligente Steuerung – Instrumentenmix konstruktiv einsetzen Die Lösung der vielschichtigen Problematiken der nationalen, europäischen und internationalen Biodiversitätspolitik benötigt einen intelligenten Mix der Politik-instrumente. Die reine Bereitstellung von Informationen wird nicht schnell ge-nug die erforderliche Verhaltensänderung in der Bevölkerung zur Folge haben. Auch marktwirtschaftliche Instrumente allein sind kein Allheilmittel. Und nur auf Ordnungsrecht zurückzugreifen, schafft nicht genügend Akzeptanz, um die Ziele und Maßnahmen der Biodiversitätspolitik zu verwirklichen. Eine moderne Politik muss sich einer adäquaten Mischung an Instrumenten bedienen, um eine intelligente Steuerung zwischen Nutzungsinteressen einerseits und den Inter-essen zur Erhaltung von biologischer Vielfalt andererseits zu ermöglichen.

Handlungsempfehlung 6: Auswirkungen auf die Biodiversität überprüfen – Evaluation verbessernEine verpflichtende, an Kriterien orientierte Überprüfung der Auswirkungen von Maßnahmen, Vorhaben und Ausgaben des Bundes auf die biologische Viel-falt muss eingeführt und öffentlich dargelegt werden. Das gilt gleichermaßen für Vorschläge der Ministerien wie für Initiativen aus dem Parlament.

Handlungsempfehlung 7: Kompetenzen ausbauen – Personal intensiv schulenWichtig für eine Stärkung der Biodiversitätspolitik sind Wissen, Kompetenzen und Handlungsorientierungen der beteiligten Personen in den Ministerien und Parteien. Die Wissens- und Kompetenzerweiterung zum Thema Biologische Vielfalt muss deshalb in Form von Workshops, Fortbildungs- und Trainings-programmen ein wichtiger Teil der Personalentwicklung werden.

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Handlungsempfehlung 8: Biodiversität braucht gemeinsame Gestaltung – Kooperation intensivieren Die Ziele der Biodiversitätspolitik können nur in gemeinsamen Anstrengungen mit gesellschaftlichen Gruppen erreicht werden. Dafür müssen Politik und Ver-waltung bessere und systematischere Kooperations- und Partizipationsstruktu-ren und -prozesse mit Akteuren aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissen-schaft etablieren.

Handlungsempfehlung 9: Neue politische Lösungs ansätze – ökonomische Werte von Biodiversität nutzen Die vielen, bislang kostenlosen Leistungen, die die Ökosysteme und die vielfälti-gen Lebewesen mit ihren genetischen Ressourcen tagtäglich für die Menschheit erbringen, müssen künftig auch verstärkt in ökonomische Werte übersetzt wer-den. Die Kosten einer Nutzung von Biodiversität muss für bestimmte Branchen in die Preise integriert werden. Von diesem neuen politischen Lösungsansatz werden sachgerechtere Entscheidungen in der Biodiversitätspolitik erwartet.

Handlungsempfehlung 10: Umsetzung stärken – mehr Ressourcen bereitstellenWer Biodiversitätspolitik zu größerer Wirksamkeit verhelfen will, muss mehr Personal, mehr Zeit und mehr Finanzmittel bereitstellen – sowohl in den ver-schiedenen Ministerien als auch in den Parteien.

Schlussbetrachtung Es ist von besonderer Bedeutung, die Einsicht zu fördern, dass es sich bei der Biodiversitätspolitik keinesfalls um eine trendige Luxusaufgabe unserer Gesell-schaft handelt, sondern um eine zwingende zukunftsorientierte Antwort auf ein erkanntes, immer akuter werdendes Problemfeld. Soll Biodiversitätspolitik erfolgreich sein, muss sie sämtliche Politikbereiche durchdringen. Nicht nur aus ethischen Gründen besteht die hohe Dringlichkeit, eine effektivere Politik für die biologische Vielfalt umzusetzen, sondern auch mit Blick auf künftige öko-nomische Optionen: Eine erfolgreiche Biodiversitätspolitik, die die natürlichen Lebensgrundlagen schützt bzw. wiederherstellt, ist auch die Basis für eine kri-senfreie Entwicklung in Ökonomie und Gesellschaft, sowohl national wie auch international.

Die Umsetzung dieser Forderungen wird dazu beitragen, das Ziel einer nachhal-tigen Gesellschaft noch rechtzeitig zu erreichen – „rechtzeitig“ heißt: bevor kriti-sche Kipppunkte nicht nachhaltiger Entwicklung die Gestaltungsmöglichkeiten unserer Gesellschaft signifikant einschränken. Im internationalen Vergleich hat Deutschland in den vergangenen Jahren Fortschritte auf dem Weg zu einer bes-seren Biodiversitätspolitik gemacht, auch wenn diese noch nicht ausreichend sind. Jetzt ist es an der Zeit, die nächsten Schritte hin zu einer verantwortungs-bewussten, professionellen und damit wirksameren Politik zur Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen zu gehen.

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3.1 Biodiversität: Begrifflichkeit, Status und Gefährdung

Biologische Vielfalt bzw. Biodiversität – beide Begriffe werden synonym verwendet – stellt die Basis allen Lebens auf der Erde dar. Sie bildet damit das „Rückgrat“ der menschlichen Lebenswelt, des gesell-schaftlichen und sozialen Miteinanders und der ökonomischen Betätigung, die auf der Nutzung der natürlichen Lebensgrundlagen und Ressourcen beruhen.

Definitorisch umfasst biologische Vielfalt die Vielfalt der Arten, der Lebensräu-me bzw. Ökosysteme und die genetische Vielfalt. Pflanzen, Tiere und Mikroorga-nismen sorgen für die Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Rohmaterialien für Kleidung und sie sind Grundlage unzähliger Arzneimittel. Sie nehmen Einfluss auf das Mikroklima einer Region und tragen zum Erhalt eines für den Menschen geeigneten gesamtklimatischen Rahmens bei. Darüber hinaus ist die biologi-sche Vielfalt beteiligt an der Reinigung von Wasser und Luft, der Bereitstellung fruchtbarer Böden, der Bestäubung von Blüten und vielen anderen Ökosystem-leistungen, die der Mensch unmittelbar oder mittelbar in Anspruch nimmt. Daraus folgt: Geht die biologische Vielfalt immer mehr verloren oder wird sie in einem hohen Maße verändert oder degradiert, werden die Grundlagen der menschlichen Existenz auf eine Weise beeinträchtigt, die zu unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen auf die Lebensweise, das soziale Miteinander, kul-turellen Erfahrungen und die bloße Überlebensfähigkeit für eine Vielzahl an Menschen in den verschiedenen Erdregionen führen.

Diese Grundlage allen Lebens einerseits und der menschlichen Existenz an-dererseits erlebt in Europa insbesondere seit der industriellen Revolution und verstärkt seit den 1950er Jahren einen rapiden Rückgang. Es gibt viele Beispiele aus der Historie von Völkern, die ihre biologischen Ressourcen übernutzten. So haben sich etwa die Bewohner der Osterinsel bereits vor Hunderten von Jahren durch Raubbau an der Natur, insbesondere durch die Abholzung von Baum-beständen, ihrer eigenen Existenzgrundlagen innerhalb einer prosperierenden Gesellschaft beraubt.6

Es liegen zahlreiche Erkenntnisse darüber vor, dass sich innerhalb der letzten 50 Jahre weltweit ca. 60 % der Ökosysteme verschlechtert haben. Trotz regio-naler und punktueller Verbesserungen hält der Trend zur Verschlechterung weltweit an.7 Das gilt insbesondere für ökologisch empfindliche Lebensräume mit hohem Nutzungsdruck, etwa für die Korallenriffe, Mangrovenwälder oder Regenwälder. Darüber hinaus versauern Ozeane, Fischbestände nehmen ab, und Menschen, die auf den Fischfang zur eigenen Existenzsicherung angewiesen sind, sehen sich vor der Frage, wie die Regenerationsfähigkeit der Meere wiederge-wonnen werden kann.

In der Europäischen Gemeinschaft befinden sich nach Angaben der EU-Kom-mission lediglich 17 % der EU-rechtlich geschützten Lebensräume und Arten sowie 11 % der geschützten Ökosysteme in einem günstigen Zustand.8 In der EU sind etwa 25 % der europäischen Tierarten einschließlich Säugetieren, Amphibi-en, Reptilien, Vögeln und Schmetterlingen vom Aussterben bedroht; außerdem sind 88 % der Fischbestände überfischt oder erheblich dezimiert.

6 Diamond 20057 WWF 20128 Europäische Kommission 2011

3 Einführung

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In Deutschland sind 28 % der untersuchten Wirbeltiere in ihrem Bestand gefähr-det, 8 % gelten als ausgestorben oder verschollen. Noch kritischer ist die Situation der Lebensräume: Von 690 Biotoptypen gelten 72,5 % als gefährdet und 2 % be-reits als vollständig vernichtet. Besonders hohe Anteile gefährdeter Biotop typen finden sich in Meeres-, Küsten- und Alpenlebensräumen.9

Die Gründe für diesen negativen Trend sind vielfältig. Hauptursachen sind die Umwandlung von Ökosystemen zum Zwecke der landwirtschaftlichen Nutzung, die Versiegelungen von Flächen für Häuser, Straßen oder andere Verkehrsträger, die Verschmutzung von Luft und Böden, die Zerstörung von Gewässern und Küsten, die Versauerung der Meere und die Folgen des Klimawandels.

Um in einer Welt wahrgenommen zu werden, in der nur in monetären Werten gerechnet wird und in der ökonomische Faktoren und Argumente priorisiert wer-den, wurde ein ökonomischer Begründungansatz entwickelt, mit dem, ergänzend zu den intrinsischen, ethischen, ästhetischen, pädagogischen, ökologischen u. a. Begründungen, der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der Biodiversität zu mehr politischer Aufmerksamkeit und Gewichtung verholfen werden soll. Mit der Studie „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“ (TEEB) wurde begonnen, die Dienstleistungen, die Ökosysteme für den Menschen erbringen, in ökonomi-sche Bewertungen mit einzubeziehen.10 Darin fließen nicht nur direkte Leistun-gen ein, wie etwa die Produktion von Rohmaterialien für den Hausbau, sondern auch Leistungen, deren Wertigkeit in ökonomischen Berechnungen bisher außen vor blieb. Beispielsweise die positiven sozialen, ökologischen und ökonomischen Effekte, die wir ökosystemaren Leistungen von Wäldern oder Feuchtgebieten zu verdanken haben: die Speicherung von Kohlenstoff, Wasserreinigung oder Luft-reinhaltung. Durch die ökonomische Bewertung öffentlicher Güter (public goods) lassen sich beispielsweise Kosten-Nutzen-Argumente für zusätzliche öffentliche Investitionen in Naturerhaltungsmaßnahmen geltend machen.

Mithilfe des ökonomischen Bewertungsansatzes lässt sich die Verflechtung von ökologischen mit sozialen und ökonomischen Faktoren verdeutlichen und verständlich machen. So leben von Wäldern direkt mehr als 60 Millionen Men-schen. Wälder produzieren nicht nur Sauerstoff und speichern Kohlenstoff oder sorgen für den Schutz vor Bodenerosion und Überflutungen, sondern der Handel mit Produkten und Leistungen aus Wäldern hat auch ein enormes wirtschaft-liches Volumen – 2004 waren es z. B. 327 Mrd. US-Dollar.11 Die ökonomische Bedeutung der Blütenbestäubung – immerhin zwei Drittel aller Feldfrüchte, die angebaut werden, sind auf eine Bestäubung durch Tiere angewiesen – wird global auf eine Summe zwischen 30 und 60 Mrd. Euro geschätzt.12 Der durch das Bienensterben in den USA im Jahr 2007 entstandene Schaden wird auf 14 Milliarden US-Dollar geschätzt.13

9 Nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz auf www.biologischevielfalt.de 10 Pushpam 201011 WWF o.J.12 WWF o.J.13 WWF o.J.

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Für die Armutsbekämpfung in vielen Ländern des Südens ist die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biodiversität mit entscheidend. Für die über eine Mil-liarde Menschen, die weniger als einen US-Dollar pro Tag zur Verfügung haben und von denen viele in ländlichen Gebieten leben, stellen die Produkte aus der Natur und die Leistungen der Ökosysteme die elementaren Grundlagen für ihr Überleben dar. Diese Beispiele zeigen, wie eng ökonomische, ökologische und soziale Faktoren miteinander verflochten sind, wenn man dieses Gefüge aus der Perspektive der biologischen Vielfalt betrachtet. Damit gewinnen im Kontext von Nachhaltigkeit der Schutz und die Nutzung von Biodiversität eine zentrale Bedeutung, um nachhaltige Entwicklung voranzutrei-ben und die Lebensgrundlagen für Milliarden von Menschen zu sichern. Alles in allem besteht die dringende Notwendigkeit, dass Biodiversität in der Politik pro-minenter behandelt und ihm die angemessene Aufmerksamkeit geschenkt wird.

3.2 Anlass und Ziel der Studie Vor dem Hintergrund der großen faktischen Bedeutung von Biodiversität und Ökosystemleistungen als Lebensgrundlage des Menschen und der daraus resul-tierenden Notwendigkeit einer starken Verankerung auf der politischen Ebene gibt es allen Anlass zu analysieren, wie in Deutschland gegenwärtig mit dem Thema in Politik und Verwaltung auf Bundesebene umgegangen wird. Die vorlie-gende Studie soll einen Beitrag dazu leisten, das politische Handlungsfeld näher zu durchleuchten und die deutsche Biodiversitätspolitik zu verbessern.

Diese politikwissenschaftliche Studie knüpft inhaltlich und thematisch an das 2012 erschiene „Politikbarometer zur Nachhaltigkeit in Deutschland“ an, bei dem Status und Entwicklung der deutschen Nachhaltigkeitspolitik auf Bundes-ebene untersucht wurden.14 Der gleichen Methodik folgend wurde das „Politik-barometer Biologische Vielfalt“ entwickelt. Während im ersten Fall der Umgang mit Nachhaltigkeit als Oberthema in Politik und Verwaltung auf Bundesebene einer genaueren Betrachtung unterzogen wurde, steht nun die konkrete Umset-zung auf einem spezifischen Politikfeld auf dem Prüfstand.

Die Frage ist, ob die bereits aus dem Jahre 2006 stammende Forderung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Nachhaltigkeit als Leitbild zu verankern,15 auch in die Praxis übersetzt wird, wenn es um ein konkretes Politikfeld von Nachhaltigkeit geht. Eine Überprüfung anhand des Themenfeldes Biodiversität eignet sich nicht nur aufgrund der aufgeführten Nachhaltigkeitseigenschaften als Untersuchungsgegenstand, sondern auch deshalb, weil in der Bundes re-gierung gerade Biodiversität als ein Nachhaltigkeitsthema von besonderem Interesse bezeichnet wurde.16

14 Heinrichs & Laws 201215 Bundesregierung 2006 16 Bundesregierung 2006

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Die grundsätzliche Fragestellung dieser Studie lautet demnach, inwiefern Nach-haltigkeitsrhetorik und tatsächliche Praxis in einem konkreten Problemfeld mit-einander in Einklang stehen, wie in der Bundesregierung das Teilgebiet der Bio-diversität auf der Ebene der Bundesministerien behandelt wird und wie mit dem Thema innerhalb der Fraktionen des Deutschen Bundestages umgegangen wird.

Die einzelnen Forschungsfragestellungen lauten:

» Welchen Stand und Stellenwert hat Biodiversitätspolitik in politischen und Verwaltungsprozessen auf der Bundesebene?

» Wie ist Biodiversität als Querschnitts- und Langfristthema auf Bundesebene verankert?

» Welche handlungspraktische Relevanz hat Biodiversität in Exekutive und Legislative?

Die Studie betrachtet folgende 4 Themenblöcke:

» Die Institutionalisierung von Biodiversität: Hier geht es insbesondere darum, wie Biodiversität in verschiedenen Institutionen verankert ist und wie das Thema in ihnen behandelt wird.

» Die Steuerung von Biodiversitätsfragen durch Politik und Verwaltung: Hierbei steht im Vordergrund, mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen versucht wird, eine positive Entwicklung in der politischen Umsetzung zu befördern.

» Der politische Prozess: Hier wird untersucht, wie die Behandlung des Themas Biodiversität in die politischen Abläufe integriert ist oder ob es als Aufgabe priorisiert wird.

» Die inhaltliche Komponente, in der die Frage adressiert wird, wie Biodiversität verstanden bzw. was mit dem Thema Biodiversität verbunden wird und welche Konsequenzen daraus für die Behandlung dieses Politikfeldes gezogen werden.

Mit diesen Forschungsfragen und Betrachtungsgegenständen hebt sich die vor-liegende Studie von anderen Untersuchungen ab, die sich mit Biodiversität befas-sen. Meist stehen die physischen Merkmale sowie die Veränderungen des Biodi-versitätszustandes im Vordergrund, so etwa bei dem „Living Planet Report“ des WWF17 oder dem „Indikatorenbericht 2010 zur Nationalen Strategie zur biologi-schen Vielfalt“18, die die Entwicklung der Biodiversität anhand von Populationen verschiedener Artengruppen aufzeigen. Die in dieser Studie vorgenommene Be-trachtung von Institutionalisierung, politischem Prozess, Steuerung und inhalt-licher Komponente soll es ermöglichen, genauer in Augenschein zu nehmen, wie ausgeprägt der Stand der Umsetzung von Biodiversität in Politik und Verwaltung als eine Säule des Leitbildes „Nachhaltigkeit“ ist. Dabei liegt der Fokus auf dem tatsächlichen Umgang mit der Thematik im Praxisalltag der verschiedenen Ak-teure. Auf diese Weise lassen sich Strukturen und Prozesse gezielter analysieren, als wenn lediglich fixierte Verfahrensvorgaben in der Ministerialbürokratie oder politische Absichtserklärungen begutachtet würden.

17 WWF 201218 BMU 2010

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3.3 Der biodiversitätspolitische RahmenNachfolgend wird der Bezugsrahmen deutscher Biodiversitätspolitik, der inter-nationale, europäische und nationale Elemente umfasst und in dem sich die Ak-teure aus den Ministerien und in den Fraktionen bewegen, erläutert.

Auf der internationalen Ebene besteht das völkerrechtlich verbindliche UN-Ab-kommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD), dem 193 Staaten inkl. der EU und Deutschland beigetreten sind.19 Als Antwort auf den sich verschärfenden globalen Rückgang der biologischen Vielfalt hat die Weltgemeinschaft im Jahr 2010 auf der 10. Vertragsstaatenkonferenz der CBD in Nagoya/Japan einen neuen Strategischen Plan mit 20 Zielen beschlossen, um bis 2020 den Verlust biologischer Vielfalt weltweit zu stoppen.20 Zugleich erklärten die Vereinten Nationen den Zeitraum von 2011 bis 2020 zur Dekade der biolo-gischen Vielfalt, um mehr Bewusstsein für die Bedrohung der Biodiversität zu schaffen. Die Aktionspläne der anderen biodiversitätsbezogenen internationalen Abkommen wie das Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES), die Bonner Konvention über wandernde Arten (Convention on Migratory Species CMS) und das Übereinkommen über Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung (Ramsar-Konvention) tragen ebenfalls dazu bei, den Biodiversitätsverlust zu reduzieren.

In der Europäischen Union bilden die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) und die Vogelschutzrichtlinie mit ihren Naturschutzbestimmungen zur Einrichtung des Natura-2000-Schutzgebietssystems den Kern der EU-Biodiversitätspolitik. Auch die Wasserrahmenrichtlinie und Rahmenrichtlinie der Meeresstrategie sind wichtige Bestandteile der europäischen Biodiversitätspolitik. Trotz der Ein-richtung von über 25.000 Schutzgebieten, die über 17 % der Landfläche der EU einnehmen, und eines Aktionsplanes zu dem 2001 gesetzten Ziel, den Verlust der Biodiversität bis 2010 aufzuhalten, konnte der Biodiversitätsrückgang in der EU nicht aufgehalten werden. Die EU hat daraufhin und angesichts der Beschlüsse der CBD-Konferenz 2010 mit einer eigenen Europäischen Biodiversitätsstrategie reagiert. Die Anfang 2011 von der EU-Kommission vorgelegte Strategie soll helfen, den Zustand der Biodiversität in Europa bis 2020 zu verbessern. Die von der EU favorisierte Vorgehensweise zielt auf die Hauptursachen für den Bio diversitätsverlust. Sie will die größten Belastungen für die Natur und die Ökosystemleistungen in der EU reduzieren, indem Biodiversitätsziele in allen wichtigen Politikbereichen verankert werden sollen.21

Auch für Deutschland liegt mit der vom Bundeskabinett bereits 2007 beschlos-senen Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt eine umfassende und anspruchsvolle Strategie vor, die auch der Umsetzung der CBD und ihres stra-tegischen Plans Rechnung tragen soll. Durch die Verwirklichung von rund 330 Zielen und mit rund 430 Maßnahmen sollen bis 2020 der Rückgang der biolo-gischen Vielfalt in Deutschland aufgehalten und der Trend umgekehrt werden.22 Der Ziel- und Maßnahmenkatalog bezieht eine große Bandbreite an Politikfeldern ein, jedoch mit großen Unterschieden hinsichtlich der Verbindlichkeitsgrade ein-zelner Ziele und Maßnahmen. Der Nationalen Biodiversitätsstrategie steht ein Indikatorenset zur Seite, mit dem die Veränderungen und Zielerreichungsgrade gemessen werden.23

19 Siehe auch: www.cbd.int 20 Secretariat of the Convention on Biological Diversity o.J. 21 Europäische Kommission 2011 22 BMU 2007 23 BMU 2010

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Die 2002 erstmalig beschlossene Nationale Nachhaltigkeitsstrategie „Perspek-tiven für Deutschland“ enthält ein eigenständiges Kapitel zur Biodiversität. Der Indikator „Artenvielfalt und Landschaftsqualität“ ist einer der 21 Schlüsselindi-katoren und soll Auskunft über die Entwicklung der biologischen Vielfalt geben. Im jüngsten, 2012 veröffentlichten Indikatorenbericht zur Nationalen Nachhal-tigkeitsstrategie lag der den Indikator erklärende Zielerreichungsgrad (Bestand von 59 Vogelarten, die die wichtigsten Landschafts und Lebensraumtypen in Deutschland repräsentieren/Ziele bis 2015) bei knapp 67 % (Zahl bezogen auf das Jahr 2009).24 Daraus lässt sich schließen, dass „bei gleichbleibender Entwicklung (…) das Ziel von 100 % in 2015 nicht ohne erhebliche zusätzliche Anstrengungen von Bund, Ländern und auf kommunaler Ebene in möglichst allen Politikfeldern mit Bezug zum Natur- und Landschaftsschutz erreicht werden“25 kann.

3.4 Zuständigkeiten von Bund und LändernHinsichtlich der innerstaatlichen Zuständigkeit für Biodiversität besteht in der föderalen Struktur Deutschlands eine Aufteilung zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen. Für den Bereich „Naturschutz und Landschaftspflege“, der die hier betrachtete Aufgabe Biologische Vielfalt mit umfasst, brachte die Fö-deralismusreform von 2006 eine entscheidende Veränderung mit sich.26 An die Stelle der bis dahin geltenden Rahmengesetzgebung des Bundes wurde die kon-kurrierende Gesetzgebungskompetenz und Zuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG gesetzt.27 Diese Situation bestimmt auch die innerstaatliche Aus ge-staltung und gegenseitige Beeinflussung der Biodiversitätspolitik ganz wesentlich.

24 Statistisches Bundesamt 201225 Statistisches Bundesamt 2012: 17 26 Laws 201327 Degenhart 2011

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Ziel der Studie ist eine politikwissenschaftliche Analyse des Stands der Biodiversitätspolitik auf Bundesebene. Biodiversität wird dabei als ein kon-kreter Teilbereich von Nachhaltigkeit aufgefasst, sodass mit dieser Studie eine empirische Überprü-

fung der Umsetzung eines allgemein postulierten Handlungsprinzips auf einem konkreten Politikbereich erfolgen konnte. Bei dieser Betrachtung des Leitbildes Nachhaltigkeit stand die tatsächliche Umsetzungspraxis in Politik und Verwal-tung auf Bundesebene im Vordergrund.

Im Mittelpunkt der politikwissenschaftlichen Analyse steht der Praxisalltag der Akteure und das tatsächliche (Er-)Leben und Gestalten von Biodiversitätspolitik und weniger die schriftlich fixierte Form des Umgangs mit biologischer Vielfalt als politischem Thema. Insofern wird statt einer Analyse von Dokumenten wie etwa der Nationalen Biodiversitätsstrategie (NBS), den biodiversitätsbezoge-nen Teilen der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie oder der entsprechenden Indikatoren- und Fortschrittsberichte der Weg über Interviews der Akteure aus Legislative und Exekutive gewählt. Hintergrund der Auswahl dieses Vorgehens ist die Überlegung, dass Vorgaben oder Dienstanweisungen sowie normative Richtlinien nicht unbedingt mit der tatsächlichen Umsetzung in der täglichen Praxis harmonieren oder gar übereinstimmen müssen. Um jedoch der gelebten politischen Realität möglichst nahezukommen, ist den Aussagen der entspre-chenden Akteure (Ministerialbeamte, Politiker und deren Referenten) eine hohe Bedeutung beizumessen. Die Fragestellungen und verwendeten Indikatoren sind deshalb auf den Praxisalltag zugeschnitten.

InterviewsFür diese Studie und ein angeschlossenes Dissertationsprojekt wurden insge-samt 24 leitfadengestützte Experteninterviews mit 31 Personen geführt. Im Bereich der Exekutive wurden Personen in folgenden Ministerien befragt: » Auswärtiges Amt (AA) » Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) » Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV)

» Bundesministerium der Finanzen (BMF) » Bundesministerium für Gesundheit (BMG) » Bundesministerium des Inneren (BMI) » Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) » Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) » Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) » Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) » Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)

Die Bundesministerien für Arbeit und Soziales (BMAS), Justiz (BMJ) und für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMSFJ) haben mit der Begründung mangelnder fachlicher Zuständigkeit bzw. nicht vorhandener Berührungspunkte mit Biodiversitätspolitik an der Studie nicht teilgenommen. Bei diesen Ministe-rien ist davon auszugehen, dass viele der untersuchten Punkte und Indikatoren kaum oder gar keine Rolle für das jeweilige Ministerium spielen. Auf die ent-sprechende wiederholte inhaltliche Hervorhebung dieser Annahme in jedem Kapitel bzw. bei jedem Indikator wurde deshalb verzichtet. Das Bundeskanzler-amt hatte es abgelehnt, ein Interview zu dem Thema zu führen.

4 Methodik

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In den genannten Bundesministerien wurden insgesamt 19 Interviews mit 26 Personen auf verschiedenen Funktionsebenen geführt. 1 Person auf Staatssekretärsebene,2 Personen auf Abteilungsleiterebene, 3 Personen auf Unterabteilungsleiterebene, 11 Personen auf Referatsleitungsebene und9 Personen auf Referentenebene.

Die Wahl der Interviewpartner in den Ministerien erfolgte jeweils nach fol- gendem Prinzip: Zunächst wurden diejenigen kontaktiert, die als jeweilige Ansprechpartner der Ministerien in der vom BMU nach Rücksprache mit den entsprechenden Ministerien zur Verfügung gestellten Liste der Interministeri-ellen Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (IMA NBS) aufgeführt sind. Entweder kam es direkt mit diesen Per-sonen zu Interviews und/oder diese Personen vermittelten oder verwiesen an andere Gesprächspartner in ihren Ressorts. In einzelnen Fällen wurde darüber hinaus oder alternativ versucht, weitere Ansprechpartner mit Biodiversitätsbe-zug in den Ministerien zu gewinnen. Neben der Referentenebene wurden auch die verschiedenen Leitungsebenen (Unterabteilung, Abteilung, Staatssekretär) befragt – deren Einverständnis vorausgesetzt. Damit sollten unterschiedliche Sichtweisen eingefangen werden.

Die Gesprächslängen unterschieden sich beträchtlich. Die Gespräche dauerten zwischen 40 und 181 Minuten. Alle Interviews wurden digital aufgezeichnet und anschließend zur differenzierten Auswertung transkribiert. Zur Analyse der Legislative wurden insgesamt 5 Interviews mit den im Bundes-tag vertretenen 5 Fraktionen der 17. Legislaturperiode geführt: » Bündnis 90/Die Grünen (B‘90/Die Grünen) » Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union Deutschlands (CDU/CSU)

» Freie Demokratische Partei (FDP) » Die Linke » Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bei den Gesprächspartnern handelte es sich um Bundestagsabgeordnete, die in ihren Fraktionen mit dem Thema Biologische Vielfalt/Biodiversität bzw. Naturschutz und Landschaftspflege betraut waren. Hinzu kam eine Person auf Referentenebene, die zu einem Gespräch hinzugezogen wurde. Auch hier unter-schieden sich die Gesprächslängen beträchtlich und betrugen zwischen 32 und 124 Minuten. Alle Interviews wurden digital aufgezeichnet und anschließend zur differenzierten Auswertung transkribiert.

Indikatoren, Auswertung und DarstellungDie Indikatoren wurden auf der Basis theoretisch-konzeptioneller Ansätze und Praxisexpertise und zwischen den beteiligten Wissenschaftlern der Leuphana Universität und Experten des WWF entworfen. Dabei sollte eine möglichst große Bandbreite an Themen berücksichtigt werden, mit deren Hilfe die verschiedenen Facetten der Biodiversitätspolitik und ihre Verankerung in der Praxis abgebildet werden können. Die jeweilige Ausgestaltung und Bedeutung der Indikatoren wird in den entsprechenden Kapiteln näher erläutert.

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Insgesamt wurden bis zu 27 Indikatoren in beiden Interviewarten benutzt. Auch war es in den Gesprächen im Bereich der Legislative durch die teilweise vorhan-dene zeitliche Begrenzung der Gespräche nicht immer möglich, alle Fragen zu stellen, sodass in der Auswertung nicht immer alle Fraktionen dem entsprechen-den Indikator zugeordnet wurden. Die Anzahl der in den Interviews genutzten bzw. abgefragten Indikatoren variierte in den Interviews mit den Bundesminis-terien und den Bundestagsfraktionen. Grund dafür waren inhaltliche Unter-schiede. Die einzelnen Indikatoren wurden zu Schlüsselindikatoren zusammen-gezogen und interpretiert.

Einzelne Ergebnisse von Indikatoren, wie z. B. der Einfluss der UN auf nationale Politik, sind nicht eindeutig als „gut“ oder „schlecht“ zu bewerten. Sie dienen insbesondere informatorischen Zwecken, sind entsprechend gekennzeichnet und fließen nicht in die Bewertung der Schlüsselindikatoren ein.

Alle Interviews wurden mit einer laufenden Nummer gekennzeichnet. In der Auswertung und Zuordnung ist dann beispielsweise BMU und in Klammern da-hinter die Nummer 12 angegeben. Bei dem so gekennzeichneten Gespräch han-delte es sich um das zwölfte Interview, in diesem Fall geführt im Bundesminis-terium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wenn alle Interviewten eines Ministeriums Aussagen trafen, die eine Einordnung in die gleiche Auswer-tungskategorie zuließen, oder wenn keine andere/abweichende Meinung in einem Ministerium durch andere Gesprächspartner genannt wurde, dann wurden keine Interview-Nummern, sondern nur das jeweilige Ministerium aufgeführt. Alle Interviews wurden zudem mit einem Buchstaben versehen, der nach dem Zufallsprinzip zugeordnet ist. Wenn es aufgrund von sensiblen Aussagen an-gezeigt erschien, dass das Ministerium in der Auswertung nicht genannt wird, wurde eine Anonymisierung der Aussage vorgenommen. In diesen Fällen wur-den entweder die Interview-Buchstaben aufgeführt oder es wurde lediglich an-gegeben, wie viele Ministerien/Interviews sich welchen Bewertungsstufen oder Kategorien zuordnen ließen.

Die Auswertung der Aussagen stützt sich auf Codierungen, die mit dem Pro-gramm „MaxQda“ vorgenommen worden sind. Dabei wurden 3.037 Codings für die Gespräche in den Ministerien und 825 Codings bei den Parteien für die ein-zelnen Kategorien und Unterkategorien verwendet.

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5 Empirische Ergebnisse 5.1 Ergebnisse ExekutiveDie Schlüsselindikatoren und die einzelnen Teilindikatoren für die Befragung der Exekutive sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengestellt. Die jewei-lige Ausgestaltung und Bedeutung der Indikatoren wird in den entsprechenden Kapiteln näher erläutert.

Tabelle 1: Übersicht des Indikatorensystems für die

Exekutive

5.1.1 Schlüsselindikator 1: Strategische PlanungLangfristperspektive + Machtfaktor + Neuinstitutionalisierung Bei der Untersuchung der Integration von biologischer Vielfalt in die strategische Planung stehen insbesondere die Fragen in Vordergrund, ob Biodiversität in der Praxis eher unter der Perspektive eines kurzfristigen Zeithorizontes behandelt wird oder ob die Handlungspraxis auch die fernere Zukunft einbezieht, inwie-fern Biodiversität einen Machtfaktor darstellen kann und ob neue Institutionen geschaffen werden, um Biodiversitätsfragen zu behandeln.

5.1.1.1 LangfristperspektiveDefinition IndikatorDer Indikator „Langfristperspektive“ (LFP) fragt, ob die Handlungen in den Ministerien von einer Langfristperspektive mitbestimmt sind oder ob primär das Erzielen kurzfristiger Ergebnisse die Handlungen dominiert, wenn es um biodiversitätsrelevante Fragestellungen geht. Aufgrund der Art der Arbeitsweise in politisch-administrativen Organisationen, die häufig tagespolitische Aufgaben zu erfüllen haben, ist es offensichtlich, dass keine ausschließliche Fixierung auf langfristige Projekte und Zeitrahmen möglich ist. Bei der Analyse der Integration der Langfristperspektive geht es darum herauszufinden, ob eine Langfristorien-tierung ebenfalls einen Arbeitsrahmen darstellt, wie es bei Fragestellungen mit Biodiversitätsbezug notwendig erscheint. Von entscheidender Bedeutung soll

Schlüsselindikator Teilindikator 1 Teilindikator 2 Teilindikator 31 Strategische Planung Langfristperspektive Machtfaktor Neuinstitutionalisierung 2 Der individuelle Faktor Biodiversität und

PersonalentwicklungBiodiversität und Führungspersonen

3 Policy-Steuerung Wahl der Policy-Instrumente

Integration in Planungsprozesse

4 Umsetzung von Biodiversitätspolitik

Umsetzungsprobleme Präferenzwechsel Biodiversitätsstrategie ausreichend

5 Biodiversitätsziele und ihre Evaluation

Biodiversitätszielmarken Evaluation

6 Wahrnehmung von Zielkonflikten

Zielkonflikte Politikfelder Zielkonflikte im eigenen Haus

Zielkonflikte kurz- und langfristig

7 Kooperation mit der Zivilgesellschaft

Kooperation mit nicht staatlichen Akteuren

Gemeinsame Bewertungsgremien

8 Vertikale Politikintegration

Einfluss von EU und UN Berücksichtigung von subnationalen Ebenen

9 Biodiversitäts-verständnis

Politikfelder Gründe für die Biodiversitätskrise

Lösungen der Biodiversitätsproblematik

10 Kooperation und Koordination

Kooperation der Ressorts Engagement der Ressorts Bedeutung der IMA

11 Bedeutung von Biodiversität

Themenkonkurrenz

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dabei sein, ob bei Fragen mit Biodiversitätsbezug Legislaturperioden als pri-märer Referenzrahmen im Vordergrund stehen oder ob darüber hinausgehende Zeitansätze ebenfalls eine Rolle spielen.

KategorienBei dem Indikator LFP wurden diejenigen Ministerien identifiziert, deren Aus-sagen in Fragen mit Biodiversitätsbezug nicht nur Legislaturperioden oder noch kürzere Zeitabstände umfassten, sondern die darüber hinausreichten. Wiesen die Gesprächspartner explizit auf einen langfristig orientierten Handlungshori-zont hin oder konnte das aus ihren Aussagen geschlossen werden, fand eine Ein-ordnung in „LFP vorhanden“ statt.

ErgebnisDie Interviewergebnisse haben gezeigt, dass in vielen Ministerien bei Themen mit Biodiversitätsbezug nicht nur Legislaturperioden als Handlungs- und Pla-nungsrahmen existieren, sondern das Thema über den 4-Jahres-Rhythmus und über das Tagesgeschäft hinausgehend betrachtet wird. Damit scheint das Thema Biodiversität von der Mehrzahl der Befragten als eines anerkannt zu werden, das eine Beschäftigung mit einem langfristigen Zeithorizont erfordert.

Lediglich in 2 Ministerien dominiert bei dem Biodiversitätsthema die auf die Legislaturperiode bezogene Kurzfristperspektive (BMF, AA). Bei den anderen Ministerien konnte keine Zuordnung vorgenommen werden. Im Falle des AA ist darauf hinzuweisen, dass zum einen in diesem Ministerium der Reaktionsnot-wendigkeit auf kurzfristige Entwicklungen eine hohe Bedeutung zukommt und sich die auch im politisch-administrativen Prozess des Hauses niederschlägt.

Indikator: Langfristperspektive Einstufungen Langfristperspektive

vorhanden Landfristperspektive eher nicht vorhanden

Bundesministerien BMBF, BMG, BMU, BMVg, BMZ

AA, BMF

5.1.1.2 Machtfaktor Definition Indikator Der Indikator „Machtfaktor“ fragt, ob Biodiversität strategisch eingesetzt wird bzw. ihr eine potenzielle Wirkung zugeschrieben wird, die eigene Macht als Mi-nisterium/Organisationseinheit (Abteilung, Unterabteilung, Referat) zu mehren. Auch wird der Frage nachgegangen, ob Biodiversität als Kommunikationsinstru-ment genutzt wird, um Politikvorstellungen der eigenen Organisationseinheit besser vermitteln oder sogar durchsetzen zu können.

Der Umgang mit Biodiversität als Machtfaktor weist darauf hin, inwiefern Bio-diversität mittlerweile als ein Thema und Kommunikationsinstrument angesehen wird, mit dem politische Prozesse beeinflusst werden können oder ob Bio diver-sität als Vehikel zur Machsteigerung der eigenen Organisationseinheit genutzt werden kann. Es wird gefragt, ob die Machtdimension im Zusammenhang mit Biodiversität Eingang in die Interaktion mit anderen Akteuren gefunden hat und ob durch die Nutzung des Themas eigene Vorstellungen besser auf der Agenda platziert werden können. Ist bei der politischen Förderung der Biodiversität die Erweiterung der eigenen Machtbasis ein zusätzlicher Effekt? Kann mit dem Thema überhaupt Überzeugungsarbeit geleistet werden oder hat das Thema zu wenig Durchsetzungskraft, sodass es als Machtfaktor nicht nutzbar ist?

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Bewertungsstufen Biodiversität wurde als „signifikanter“ Machtfaktor eingeordnet, wenn von den Gesprächspartnern explizit erwähnt wurde bzw. aus den Gesprächen gefolgert werden konnte, dass Biodiversität als Thema in der Kommunikation mit anderen Organisationseinheiten innerhalb oder außerhalb des eigenen Ministeriums als Machtfaktor im oben beschriebenen Sinne genutzt wird, wenn zweitens durch die Nutzung des Themas Sachaspekte auf der politischen Agenda verankert werden sollten bzw. wenn auf diese Weise der eigene Arbeits- und Funktionsbe-reich aufgewertet werden sollte oder wenn drittens das Thema Biodiversität als grundsätzlich durchgehend positiv und förderlich in der politischen oder organi-satorischen Kommunikation angesehen wurde.

Wenn solche Bestrebungen nur hin und wieder stattfanden oder in den Argu-mentations- und Kommunikationsprozess nur eingeführt wurden, um vereinzelt Themen auf der politischen Agenda zu verankern oder besser durchzusetzen bzw. die Machtbasis der eigenen Organisationseinheit dadurch zu verbessern oder keine einheitliche Intention oder Nutzenzuschreibung festgestellt wurde, erfolgte eine Einordnung in „teilweise nutzbar“. Auch die Nutzung von Biodiver-sität als zusätzlicher Kommunikationsrahmen, um bestimmte Sachthemen zu orchestrieren, führte zu dieser Eingruppierung.

Die seltene Nutzung oder Nicht-Nutzung – etwa weil es als kontraproduktiv an-gesehen wurde – führte zur Bewertung „insignifikant“ oder kaum nutzbar.

Ergebnis Biodiversität konnte lediglich aufgrund der Aussagen in einem Gespräch als signifikanter Machtfaktor eingestuft werden (BMU 2). In 4 Ministerien spielt Biodiversität als Machtfaktor kaum eine Rolle (BMI, BMVBS, BMVg, BMWi). Bei Gesprächspartnern aus 7 Ministerien konnte gefolgert werden, dass fallwei-se das Thema Biodiversität als Machtfaktor genutzt werden kann (AA, BMBF BMELV, BMF, BMG, BMU 12, 13, BMZ).

Somit wird deutlich, dass in dem Thema Biodiversität selbst in den Ministerien, die damit befasst sind, ein eher beschränktes Machtpotenzial und Potenzial für die Kommunikation eigener politischer Anliegen erkannt wird. Dennoch kann Biodiversität inzwischen als ein Thema angesehen werden, das in der politischen Diskussion eingeführt ist und mit dem sich in bestimmten Bereichen und bei bestimmten Personengruppen politische Wirkungen erzielen lassen. Das gilt allerdings insbesondere für Ministerien, die in ihrer täglichen Arbeit engere Verbindungen zum Thema Biodiversität aufweisen.

Wie Biodiversität als Begriff genutzt werden kann, verdeutlicht ein Interview (Interview K), in dem darauf hingewiesen wurde, dass inzwischen durch die Nutzung des Begriffs Biodiversität in dem betreffenden Ministerium ein posi-tiver Beitrag zur Kommunikation von Naturschutzthemen im weitesten Sinne geleistet werde. Der Grund dafür besteht darin, dass von Ansprechpartnern aus verschiedenen Ministerien in diesem Begriff deutlich weniger „Bedrohungs-potenzial“ gesehen wird als etwa im Begriff Naturschutz. Dadurch würde sich die Wahrscheinlichkeit einer abwehrenden Haltung von vornherein verringern. Der Begriff Biodiversität wird offener und weniger restriktiv wahrgenommen.

24 | Politikbarometer zur Biodiversität in Deutschland

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Indikator: Machtfaktor Einstufungen signifikant

(nutzbar)teilweise insignifikant

(kaum nutzbar)Ministerien BMU (2) AA, BMBF, BMELV,

BMF, BMG, BMU (12, 13), BMZ

BMI, BMVBS, BMVg, BMWi

5.1.1.3 NeuinstitutionalisierungDefinition IndikatorDer Indikator „Neuinstitutionalisierung“ fragt, inwiefern in den letzten Jahren in den jeweiligen Ministerien neue Institutionen mit dem Ziel gegründet wur-den, sich mit Biodiversität bzw. mit biodiversitätspolitischen Fragen zu befassen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Planung und Gründung von spezi-fischen Institutionen zu Biodiversität und biodiversitätspolitischen Fragen nicht eindeutig auf die Effektivität der Behandlung des Themas schließen lässt und ebenfalls keine Rückschlüsse auf die Progressivität und die thematische Breite der Lösungsansätze zulässt. Allerdings wird es möglich, eine erste Einschätzung hinsichtlich der Dynamik des Themas im politisch-administrativen Umfeld zu geben.

BewertungsstufenEine Planung und (Neu-)Gründung von spezifischen Institutionen, die sich mit Biodiversität bzw. mit biodiversitätspolitischen Fragen innerhalb der Ministeri-en befassen, wurde als „signifikant“ eingeordnet, wenn aus dem Gesprächskon-text implizit oder explizit hervorging, dass entsprechende neue Institutionen oder Institutionenanpassungen in jüngerer Zeit erfolgt sind und ihnen von den Akteuren eine positive Wirkung zugesprochen wurde (signifikante Neuinstituti-onalisierung). Das bedeutet, dass sowohl in Fällen einer „signifikanten“ Neuin-stitutionalisierung als auch in Fällen der „teilweisen“ Neuinstitutionalisierung von der Gründung und Umgestaltung von Organisationen und Organisations-einheiten mit Biodiversitätsbezug ausgegangen wird – der Unterschied besteht darin, dass bei „teilweise“ keine positive Wirkungszuschreibung vorgenommen wurde. Eine Einordnung in die Kategorie „insignifikant“ wurde vorgenommen, wenn die Schaffung neuer mit dem Thema Biodiversität betrauter Institutionen verneint wurde.

Ergebnis5 der untersuchten Ministerien haben eine Neuinstitutionalisierung bejaht (BMELV, BMU, BMVBS, BMVg, BMZ) und 5 eine Neuinstitutionalisierung verneint (AA, BMBF, BMF, BMG, BMI). Auch wenn daraus nicht geschlossen werden kann, dass eine hohe Neuinstitutionalisierung eine effektivere oder fortschrittlichere Befassung mit dem Thema Biodiversität bedeutet bzw. umge-kehrt eine nicht stattfindende Neuinstitutionalisierung bedeuten muss, dass das Thema nicht effektiv bearbeitet wird, fällt dennoch auf, dass die Ministerien, die enger mit dem Thema Biodiversität befasst sind, auch eine Neuinstitutionalisie-rung aufweisen.

Indikator: NeuinstitutionalisierungEinstufungen signifikant

(erfolgt)teilweise insignifikant

(nicht erfolgt)Ministerien BMELV, BMU,

BMVBS, BMVg, BMZ

AA, BMBF, BMF, BMG, BMI

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Fazit Schlüsselindikator 1: Strategische Planung Biologische Vielfalt ist als politisches Thema im Bereich der strategischen Pla-nung angekommen. Eine wirklich umfassende Nutzung von Biodiversität als strategische Ressource im Politikgeschehen lässt sich allerdings nicht feststellen. Während anerkannt wird, dass Biodiversität einen langfristigen Zeithorizont er-fordert, stellt es als Thema keine allgemeine Machtressource dar, sondern wird in diesem Sinne nur sehr zielgruppenabhängig und sporadisch genutzt. In eini-gen Fällen wird auch eine kontraproduktive Wirkung des Begriffes Biodiversität als Kommunikationsinstrument genannt. Für den Bereich der Neuinstitutiona-lisierung halten sich starke und geringe Bestrebungen zu Neuinstitutionalisie-rungen – bezogen auf die Gesamtzahl der Ministerien – die Waage. Damit findet die dem Thema Biodiversität in jüngerer Zeit innewohnende politische Dynamik und Brisanz nur eine teilweise Entsprechung in den Ministerien.

5.1.2 Schlüsselindikator 2: Der individuelle FaktorBiodiversität und Personalentwicklung + Biodiversität und Führungspersonen Die Analyse des „individuellen Faktors“ bezieht sich insbesondere auf Fragen, inwiefern Biodiversität ein Thema bei der Personalentwicklung ist und ob sich Entscheidungsträger für das Thema Biodiversität einsetzen.

5.1.2.1 Biodiversität und PersonalentwicklungDefinition IndikatorDer Indikator „Personalentwicklung“ fragt, ob einer Vielzahl der Mitarbeiter in den jeweiligen Ministerien die grundlegende Bedeutung und Biodiversität und deren Implikationen, zu denen auch die Langfristorientierung und die Inter-dependenzen der verschiedenen Politikfelder gehören, vermittelt werden. Das könnte beispielsweise über Fortbildungen und Workshops geschehen. Da Biodi-versität als ein Teilbereich von Nachhaltigkeit anzusehen ist, geht es insbesonde-re um die Verankerung von Wissen um Wirkungs-zusammenhänge, die mehrere Dimensionen der Nachhaltigkeit betreffen. Es geht auch um die Bedeutung von Biodiversität für die eigenen Fachgebiete und die Wirkungen aus dem eigenen Fachgebiet auf die Biodiversität.

BewertungsstufenBiodiversität in der Personalentwicklung wurde als „signifikant“ eingeordnet, wenn nach Angaben der Gesprächspartner im Ministerium systematisch Fortbil-dungen explizit zum Thema Biodiversität angeboten werden, deren Ziel die För-derung des Wissens um Interdependenzen von Biodiversität mit verschiedenen Nachhaltigkeitsdimensionen und/oder Wirkzusammenhänge zwischen den je-weiligen Fachgebieten des Ministeriums und Biodiversität zum Ziel haben – oder dies aus den Gesprächen gefolgert werden kann.

Als „teilweise“ Berücksichtigung von Biodiversität in der Personalentwicklung wurde verstanden, wenn hin und wieder Fortbildungen oder einzelne Vorträge zum Thema Biodiversität angeboten werden oder wenn diese in nachgeordneten Behörden stattfinden, aber nicht im Ministerium selbst.

Finden keine oder kaum Fortbildungen zum Thema Biodiversität statt, wurde die Einordnung „insignifikant“ gewählt. Ist bei denjenigen Mitarbeitern, die befragt wurden, und die sich zu einem großen Teil mit Biodiversitätsfragen beschäfti-gen, kein Wissen zu derartigen Fortbildungen vorhanden, wurde ebenfalls davon ausgegangen, dass keine Fortbildungen angeboten werden.

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ErgebnisIn keinem Ministerium werden Fortbildungen in einer Art und Weise angeboten, die eine Einordnung in die Rubrik der Signifikanz erlauben würden. 6 Ministeri-en gehören der mittleren Gruppe an (AA, BMELV, BMU, BMVBS, BMVg, BMZ). In den anderen Ministerien werden keine Fortbildungen zu Biodiversität ange-boten (BMBF, BMF, BMG, BMI, BMWi).

Es bleibt festzuhalten, dass Biodiversität in der Personalentwicklung und Fort-bildung kaum Bedeutung hat. Damit wird der Notwendigkeit, die Querschnitts-bezüge und Interdependenzbeziehungen von Biodiversität zu vielen verschie-denen Politikbereichen systematisch zu vermitteln und das Wissen darum zu verbreitern, dem Thema nicht bedeutungsadäquat Rechnung getragen. Bemerkenswert ist, dass das Thema Biodiversität gerade in der Personalentwick-lung des für Bildung und Forschung zuständigen Ministeriums eine lediglich untergeordnete Bedeutung spielt.

Im BMZ besteht die besondere Situation, dass die gezielte Personalfluktuation zwischen Länder- bzw. Regionalreferaten und Sektorreferaten einen ständigen Wissenstransfer möglich macht. Fach- und länderspezifisches Wissen um Biodi-versität – Biodiversität ist in jedem Länderreferat von Bedeutung – lässt sich so genauso in andere Fachreferate oder in andere Länderreferate tragen, wie auch ein Transfer aus dem Biodiversitätsreferat in andere Länder- oder Fachreferate möglich wird.

Indikator: Personalentwicklung und BiodiversitätEinstufungen signifikant teilweise insignifikantMinisterien AA, BMELV, BMU,

BMVBS, BMVg, BMZ

BMBF, BMF, BMG, BMI, BMWi

5.1.2.2 Biodiversität und Führungspersonen Definition IndikatorDer Indikator „Führungspersönlichkeiten und Biodiversität“ fragt, ob es nach Ansicht der Gesprächspartner Führungspersönlichkeiten im Ministerium gibt, die sich besonders für das Thema Biodiversität im politischen und administrati-ven Prozess einsetzen. Dabei geht es vor allem um die Hierarchieebene der Mi-nister, Staatssekretäre und Abteilungsleiter. Aus diesem Grund richtet sich die Fragestellung primär an die Arbeitsebene. Hintergrund ist, dass Biodiversität des Einsatzes von Führungspersönlichkeiten bedarf, um im politisch-administ-rativen Tagesgeschäft auf der Agenda platziert, überhaupt wahrgenommen und vorangetrieben zu werden. Es gibt immer wieder „starke Persönlichkeiten“, die biodiversitätsbezogene Themen auf die öffentliche Agenda setzen oder in den politisch-administrativen Prozess einspeisen und damit entscheidend dazu bei-tragen, dass sich diese Themen profilieren.

BewertungsstufenDer Einsatz von Führungspersonen wurde als „signifikant“ eingeordnet, wenn Gesprächspartner darauf hinweisen, dass Minister, Staatssekretäre oder Abtei-lungsleiter sich für das Thema Biodiversität einsetzten oder es auf andere Weise befördern wollen oder dies aus den Aussagen der Gesprächspartner geschlossen werden konnte. Ein „teilweiser“ Einsatz wurde angenommen, wenn Führungs-personen das Thema auf der Agenda haben, hin und wieder nachfragen, sich für das Thema einsetzen, aber Zweifel an der Kontinuität an diesem Interesse ge-äußert bzw. angenommen wird. Eine Einordnung in die Kategorie der „Insigni-

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fikanz“ erfolgte, wenn Führungspersonen das Thema nicht aktiv vorantreiben, Nachfragen unterlassen und sich für das Thema bzw. Teilbereiche des Themas nicht aktiv einsetzen.

ErgebnisDer Einsatz von Führungspersonen für Biodiversität wird je nach Ministerium sehr unterschiedlich wahrgenommen. In 4 Ministerien (BMBF, BMELV, BMU, BMZ) äußerten sich die Befragten der Arbeitsebene äußerst positiv über die Bemühungen des Führungspersonals für Biodiversität, was als „signifikanter Einsatz“ einzustufen ist.

In 2 Ministerien ist ein Engagement für Biodiversität von Fall zu Fall gegeben und in die Rubrik „teilweiser Einsatz“ eingeordnet (AA, BMG).

Die Aussagen von Interviewten aus 5 Ministerien lassen den Schluss zu, dass die Führungspersonen das Thema Biodiversität kaum aktiv vorantreiben, sodass die Eingruppierung in die Kategorie „insignifikanter Einsatz“ erfolgt.

Aus den Aussagen kann geschlussfolgert werden, dass Biodiversität nur bei jenem Führungspersonal in den Ministerien auf der Agenda steht, die haupt-sächlich und offenkundiger mit Biodiversität befasst sind und in Verbindung gebracht werden.

Indikator: FührungspersönlichkeitenEinstufungen signifikanter Einsatz teilweiser Einsatz insignifikanter

EinsatzMinisterien 7 Interviews in

4 Ministerien2 Interviews in 2 Ministerien

5 Interviews in 5 Ministerien

Fazit Schlüsselindikator 2: Der individuelle FaktorDas individuelle Engagement von Führungspersonen kann die Umsetzung einer umfassenden Biodiversitätspolitik in den Ministerien stark befördern. Allerdings hat sich gezeigt, dass das Thema vom Führungspersonal einiger Ministerien noch nicht entdeckt wurde. So entstehen verpasste Chancen zur Profilierung. Außerdem können Auswirkungen auf die Art und Weise des Umgangs mit dem Thema in den entsprechenden Ministerien die Folge sein. Wirklich deutlich setzt sich nur das Führungspersonal derjenigen Häuser für biologische Vielfalt ein, die eng mit dem Thema verbunden sind. Personalentwicklungsmaßnahmen, gerade auch hinsichtlich der Sensibilisierung, welche Bereiche auf Biodiversität einwirken und welche von ihr beeinflusst werden, wurden innerhalb der Minis-terien äußerst mangelhaft eingeführt: Nirgends – so die Feststellung – wurde von einer intensiven Nutzung dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Weder der Einsatz der Führungspersonen noch die Integration in die Personalentwicklung befindet sich auf einer Stufe, die der politischen Bedeutung des Themas ange- messen ist.

5.1.3 Schlüsselindikator 3: Policy-SteuerungWahl der Policy-Instrumente + Integration in PlanungsprozesseDer Schlüsselindikator „Policy-Steuerung“ umfasst die Fragen nach den genutz-ten und präferierten Instrumenten bei der Behandlung des Themas Biodiversität sowie Fragen, inwiefern Biodiversität als Thema in die Planungsprozesse des jeweiligen Ressorts einbezogen wird.

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5.1.3.1 Wahl der Policy-Instrumente Definition IndikatorDer Indikator „Wahl der Policy-Instrumente“ sucht Antworten darauf, welche Instrumente im Umgang mit Biodiversität genutzt bzw. bevorzugt werden. Die dabei infrage kommenden Instrumente sind ordnungsrechtlich-regulative, marktwirtschaftliche, informatorische und fördernde. Es wird davon ausge-gangen, dass in politisch-administrativen Institutionen grundsätzlich alle Ins-trumente zur Verfügung stehen und auch zur Anwendung kommen können. Es stellt sich die Frage, ob von den handelnden Akteuren bestimmte Instrumente bevorzugt werden oder ob ein klarer Mix der Instrumente bei der Wahl der Mit-tel beobachtet werden kann. Wichtig ist auch herauszufinden, ob komplexitäts-adäquate Instrumente Anwendung finden und ob eine einseitige Instrumenten-präferenz festzustellen ist.

KategorienDie Auswertung wurde in zwei Stufen vorgenommen. Zuerst wurde zusammen-gestellt, welche Instrumente derzeit genutzt werden, um biodiversitätsrelevante Themen zu bearbeiten (Instrumentennutzung). Hierfür wurden 4 Bereiche kate-gorisiert: fördernde, informatorische, marktwirtschaftliche und ordnungsrecht-liche Instrumente. In Fällen, in denen mindestens informatorische und markt-wirtschaftliche und ordnungsrechtliche Instrumente genannt wurden, erfolgte eine Einordnung in die Kategorie „Instrumentenmix“. Die Gesprächspartner mussten explizit die Instrumente benennen.

In einer zweiten Stufe wurde der Frage nachgegangen, welche Instrumente die Befragten präferieren (Instrumentenpräferenz). Entsprechende Einordnungen wurden vorgenommen, wenn die Gesprächspartner bestimmte Instrumente ex-plizit als von ihnen präferiert benannten oder wenn eine solche Bevorzugung aus ihren Aussagen abgeleitet werden konnte. Eine Eingruppierung in die Kate gorie „Instrumentenmix“ erfolgte, wenn mindestens informatorische und marktwirt-schaftliche und ordnungsrechtliche Instrumente in ihrer Kombination gleichbe-rechtigt genannt wurden. Für die anderen Kategorien war es möglich, dass Ein- ordnungen in mehrere – zumeist eng miteinander in Beziehung stehende – Kate-gorien erfolgen konnten, wenn eine gewisse Gleichrangigkeit bei der Instrumen-tenpräferenz erkennbar war.

ErgebnisVon den Ministerien werden alle zur Verfügung stehenden Instrumente einge-setzt, um biodiversitätsrelevante politische Problemstellungen zu adressieren. Dabei treten bei der tatsächlichen Nutzung spezifischer Instrumente und der jeweiligen Instrumenten-Konfiguration jedoch wichtige Unterschiede zwischen den Ministerien zutage. In 4 Ministerien (BMELV, BMU, BMVBS, BMWi) kommt ein Mix von Instrumenten zum Einsatz, der sowohl ordnungsrechtliche, markt-wirtschaftliche und informatorische Maßnahmen umfasst. Aufgrund der Ressort- aufgaben steht im BMBF, im BMI und im BMZ das Instrument der Förderung im Vordergrund. Im BMZ wird darüber hinaus auch noch mit dem informa-torischen Instrument gearbeitet, das ebenfalls im AA und BMG primär zur Anwendung kommt. Das BMVg agiert ausschließlich über ordnungsrechtliche Vorschriften, um die Bewirtschaftungsvorgaben unter Biodiversitätsaspekten für seine Liegenschaften (primär Truppenübungsplätze) zu machen.

Diese Unterschiede lassen sich somit insbesondere aus den verschiedenen Funk-tionslogiken und Aufgabenstellungen der Ministerien erklären. Das BMU mit seiner federführenden Zuständigkeit im Bereich der Biodiversität und andere

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Ministerien mit vielen Berührungspunkten in Biodiversitätsfragen (BMELV, BMVBS) setzen die ganze Bandbreite an Instrumenten in Abhängigkeit der Problemstellung ein. Es sind gerade die Ministerien, die mit Fragen der Fläche oder Flächennutzung, mit Emissionen, Mobilität, Rahmenbedingungen für ökonomische und ökologische Entwicklungen oder mit dem Umgang mit Ver-braucherschutzregelungen zu tun haben, die nicht nur informatorische, markt-wirtschaftliche oder fördernde Instrumente nutzen, sondern die auch im Bereich der ordnungsrechtlichen Vorgaben aktiv sind. Das BMBF ist vorwiegend mit der Förderung von Forschung für Biodiversität tätig und das BMZ unterstützt Partnerländer mit der Förderung von Projekten. Ordnungspolitische Eingriffs-möglichkeiten im engeren Sinne sind bei beiden nicht gegeben. Das AA verfügt ebenfalls über keine substanziellen ordnungsrechtlichen Möglichkeiten. Die informatorischen Instrumente (informieren und überzeugen) nehmen bei diesen Ministerien eine bedeutende Stellung ein.

Mit Blick auf die präferierten Instrumente verschiebt sich das Bild deutlich. Vom BMU wird weiterhin der Policy-Mix bevorzugt; auch das Ordnungsrecht spielt eine wichtige Rolle. Demgegenüber werden im BMELV, BMF, BMVBS und BMWi die marktwirtschaftlichen Instrumente präferiert. Bei BMBF und BMZ ist die Präferenz für bestimmte Instrumente kongruent mit den Instrumenten, mit denen sie in Biodiversitätsfragen primär umgehen. Hinzu kommt bei beiden Ministerien die Informationsverbreitung, der ebenfalls eine hohe Nützlichkeit attestiert wird und die auf der Präferenzliste weit oben rangiert. Auch von AA, BMELV, BMG, BMU, BMVBS und BMWi wird der Information eine hohe Bedeu-tung im Umgang mit biodiversitätspolitischen Fragen beigemessen. Im BMVg wurde keine Aussage über die Präferenz gemacht, lediglich über die Nutzung.

Indikator: Instrumentennutzungeher Instrumen-tenmix(mindestens informatorisch, marktwirt-schaftlich und ordnungsrecht-lich)

eher Förderung eherinformatorisch

eher marktwirt-schaftlich

eher ordnungs-rechtlich

BMELV, BMU, BMVBS, BMWi

BMBF, BMI, BMZ

AA, BMG, BMZ BMVg

Indikator: Instrumentenpräferenzeher Instrumen-tenmix(mindestens informatorisch, marktwirtschaft-lich u. ordnungs-rechtlich)

eher Förderung eherinformatorisch

eher marktwirt-schaftlich

eher ordnungs-rechtlich

BMU BMBF, BMZ AA, BMBF, BMELV, BMG, BMVBS, BMWi, BMZ

BMELV, BMF, BMVBS, BMWi

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5.1.3.2 Integration in PlanungsprozesseDefinition IndikatorDer Indikator gibt an, inwiefern Biodiversität in ministerielle Planungsprozessen integriert ist und ob es im und auf das Ministerium und seine Organisations-einheiten bezogene konkrete Handlungsanweisungen zur Berücksichtigung von Biodiversität in Planungsprozessen gibt. Für bestimmte Politikbereiche exis-tieren Vorgaben, etwa im Sinne von allgemeinen Gesetzesfolgenabschätzungen oder Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVPs) für Maßnahmen des Bundes (z. B. Bundesautobahnen). Für den Bereich der Nachhaltigkeit – deren Bestand-teil Biodiversität ist – gibt es die Vorgabe für die Ministerien in Paragraph 44, Absatz 1, Satz 4 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO), nach der bei Gesetzesvorhaben darzustellen ist, „ob die Wirkungen des Vorhabens einer nachhaltigen Entwicklung entsprechen, insbesondere welche langfristigen Wirkungen das Vorhaben hat“.

Verschiedene allgemeine Vorgaben sind demnach vorhanden und es kann argu-mentiert werden, dass damit eine gewisse Berücksichtigung von Biodiversität in den verschiedenen Geschäftsbereichen der Bundesregierung zu erfolgen hat und dass auch eine Integration von Biodiversität in die Planungsprozesse statt-zufinden hat. Darüber hinaus ist zu erfragen, ob Biodiversität in die jeweiligen ministeriellen Planungsprozesse tatsächlich und spezifisch Eingang findet: Gibt es etwa konkrete ressortbezogene Handlungsanweisungen oder Vorgaben, die konkret Biodiversität betreffen?

Die Ziele und Maßnahmenkataloge der Nationalen Biodiversitätsstrategie, die allerdings höchst unterschiedliche Verbindlichkeitsgrade aufweisen, sind im hier verstandenen Sinne keine tatsächlichen ministeriumsspezifischen Handlungs-anweisungen.

BewertungsstufenEine Einordnung als „signifikante Integration in Planungsprozesse“ erfolgte, wenn aus dem Gespräch explizit hervorging oder wenn aus den Aussagen der Gesprächspartner gefolgert werden konnte, dass neben allgemeinen Vorgaben (UVP etc.) weitere grundsätzliche Weisungen für das gesamte Ministerium vor-liegen, die explizit auf Biodiversität ausgerichtet sind und ministeriumsspezi-fisch verwaltungstechnische und/oder inhaltliche Vorgaben im Umgang mit ihr machen.

Eine Einordnung in „teilweise Berücksichtigung“ wurde vorgenommen, wenn aus dem Gespräch explizit hervorging oder wenn aus den Aussagen der Ge-sprächspartner gefolgert werden konnte, dass neben den allgemeinen Vorgaben (UVP etc.) weitere grundsätzliche Weisungen für Teile des Ministeriums bzw. bestimmte Arbeitsbereiche oder auch nachgeordnete Behörden existieren, die explizit auf Biodiversität ausgerichtet bzw. biodiversitätsrelevant sind.

Eine Einordnung der „Insignifikanz“ fand dann statt, wenn aus dem Gespräch explizit hervorging oder wenn aus den Aussagen der Gesprächspartner gefolgert werden konnte, dass keinerlei formale auf Biodiversität ausgerichtete Hand-lungsanweisungen existieren, die über die allgemeinen Vorgaben (UVP etc.) hinausgehen.

ErgebnisAls Ergebnis kann festgestellt werden, dass eine über die allgemeinen Vorgaben (z. B. der GGO der Bundesregierung) hinausgehende Praxis der Integration von

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Biodiversität in ressortspezifische Planungsprozesse durch jeweils auf das Res-sort und seine Aufgabenstellungen zugeschnittene biodiversitätsbezogene Hand-lungsanweisungen in relativ wenigen Ministerien vorhanden ist (BMBF, BMU, BMVBS, BMVg). Eine tatsächliche Integration in Planungsprozesse des Ressorts konnte in keinem Ministerium konstatiert werden. In der überwiegenden Zahl der Ministerien sind keine entsprechenden über die Beteiligungs- und Mitzeich-nungsvorschriften hinausgehenden Handlungsanweisungen zu finden (AA, BMELV, BMF BMG, BMI BMWi).

Indikator: Integration in Planungsprozessesignifikant teilweise insignifikant

BMBF, BMU, BMVBS, BMVg

AA, BMELV, BMF, BMG, BMI, BMWi

Fazit Schlüsselindikator 3: Policy-SteuerungFür die Policy-Steuerung werden grundsätzlich alle den entsprechenden Ressorts zur Verfügung stehenden Policy-Instrumente genutzt. Dabei sind die Instrumen-tennutzungen den jeweiligen Aufgabenstellungen der Ministerien angepasst. Bei der Instrumentenpräferenz konnte jedoch eine starke Neigung zu informa-torischen und marktwirtschaftlichen Instrumenten beobachtet werden. Eine Präferenz für einen klaren Instrumentenmix zeigte sich nur in einem Minis-terium (BMU). Eine über die allgemeinen Vorgaben hinausgehende Praxis der Integration von Biodiversität in ministerielle Planungsprozesse durch jeweils spezifische auf das Ressort und seine Aufgabenstellungen zugeschnittene biodi-versitätsbezogene Handlungsanweisungen kann kaum beobachtet werden.

5.1.4 Schlüsselindikator 4: Umsetzung von BiodiversitätspolitikUmsetzungsprobleme + Präferenzwechsel + Biodiversitätsstrategie ausreichend Bei dem Indikator „Umsetzung von Biodiversitätspolitik“ stellt sich die Frage, welche Umsetzungsprobleme die Akteure sehen, ob sie eine stringente und kon-tinuierliche Beschäftigung mit dem Thema Biodiversität feststellen oder ob und wann es zu einem Wechsel in der Schwerpunktsetzung von Biodiversitätspolitik kommt. Ein wichtiger Punkt ist außerdem die Frage, ob und inwiefern die Nati-onale Biodiversitätsstrategie (NBS) als ausreichend betrachtet wird, um die bio-logische Vielfalt effektiv zu schützen.

5.1.4.1 UmsetzungsproblemeDefinition Indikator Der Indikator „Umsetzungsprobleme“ widmet sich der Frage, welche Umset-zungsprobleme, Hindernisse und Schwierigkeiten aus Sicht der Befragten in den Ministerien bei der täglichen Arbeit im eigenen Ressort oder mit anderen nicht staatlichen und staatlichen Stellen (Ministerien, Bundeskanzleramt) auftreten. Durch die Liste an Umsetzungsproblemen in der Praxis lassen sich Ansatzpunk-te identifizieren, um Biodiversitätspolitik zu verbessern.

KategorienDa es sich hier um einen informatorischen Indikator handelt, wurden lediglich Einordnungskategorien gebildet. Für diesen Indikator wurden offene Fragen formuliert, was die hohe Themenvielfalt erklärt.

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ErgebnisIn Bezug auf Umsetzungsprobleme einer effektiven Biodiversitätspolitik wurden von mehreren Gesprächspartnern bestimmte Themen häufiger– auch innerhalb verschiedener Ministerien – genannt. Dazu gehörten insbesondere:

» Mangelnde Ausstattung mit Personal (in 8 Gesprächen aus 6 Ministerien).

» Fehlende finanzielle Mittel (6 Gespräche in 5 Ministerien).

» Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln (6 Gespräche in 5 Ministerien). Das vorhandene Wissen um die Bedeutung sowie die Handlungsnotwendigkeit und das tatsächliche Handeln in Bereich Biodiversität fallen auseinander. Es werden andere Prioritäten gesetzt.

» (Mangelndes) Interesse von handelnden Personen (5 Gespräche in 5 Ministerien).

» Abstraktheit des Themas (4 Gespräche in 4 Ministerien). Biodiversität wird als sehr komplexe Aufgabe wahrgenommen, die entweder ein Verstehen oder einen effektiven Umgang mit dem Thema erschweren.

» Klientelpolitik (5 Gespräche in 3 Ministerien). Es wurde kritisiert, dass im Gesetzgebungsprozess oder auch im administrativen und politischen Alltag Rücksicht auf Befindlichkeiten von Abgeordneten für ihre Wahlkreise ge-nommen wird (Interview A) oder dass sich andere Ministerien für bestimmte Interessen(gruppen) stark einsetzen bzw. auf diese Rücksicht nehmen (Interview D).

» Tagesaktualität/Zeit für das Thema (2 Gespräche in 2 Ministerien). Hier wird darauf hingewiesen, dass unter dem Druck des Tagesgeschehens die Zeit, die für das Thema Biodiversität erbracht werden kann, zu gering ist. Die Agenda wird oft von anderen Themen bestimmt und Biodiversität rutscht in der Priorität nach hinten (Interview S).

Insgesamt wird als das größte Hindernis einer effektiven Beschäftigung mit dem Thema Biodiversität die „ungenügende Ausstattung mit Personal- und Finanz-mitteln der Ministerien“ genannt. Zudem spielt die „persönliche oder politische Prioritätensetzung“ und das „Interesse am Thema“ eine wichtige Rolle. Auch die „Verfolgung von Klientelpolitik“ bestimmter Ministerien wird als Hinderungs-grund angesehen.

Indikator Umsetzungsproblememangelnde Perso-nalausstattung

fehlende finanzielle Mittel

Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln (andere Prioritäten werden gesetzt)

(mangelndes) Inte-resse von handeln-den Personen

8 Interviews/ 6 Ministerien

6 Interviews/ 5 Ministerien

6 Interviews/ 5 Ministerien

5 Interviews/ 5 Ministerien

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Indikator UmsetzungsproblemeAbstraktheit/ Komplexität

Klientelpolitik Tagesaktualität, Zeit für das Thema

anderes

4 Interviews/ 4 Ministerien

5 Interviews/ 3 Ministerien

2 Interviews/ 2 Ministerien

internationales System (2 Inter-views/2 Ministerien)falsche Organisati-onsprioritäten (1 Interview/ 1 Ministerium)Governance-Struk-turen (1 Interview/ 1 Ministerium)

5.1.4.2 PräferenzwechselDefinition Indikator Der Indikator „Präferenzwechsel“ fragt, ob aus Sicht der Befragten ein Regie-rungswechsel und/oder der Beginn neuer Legislaturperioden die Schwerpunkt-setzungen in der Biodiversitätspolitik verändern oder ob eine grundsätzliche Kontinuität in der Biodiversitätspolitik auch über sich verändernde Regierungs-konstellationen hinaus zu beobachten ist.

Bewertungsstufen Eine Einordnung in die Kategorie „signifikant“ (hoher Wechsel) wurde vorge-nommen, wenn die Befragten explizit betonten oder aus den Gesprächen hervor-ging, dass die politischen Schwerpunkte in der Biodiversitätspolitik (insbeson-dere in ihrem Arbeitsbereich) bei Regierungswechseln anders gesetzt werden.Aussagen wurden in die Kategorie „teilweise“ eingruppiert, wenn die Gesprächs-partner berichteten oder aus den Gesprächen hervorging, dass ein Regierungs-wechsel vereinzelte, kleinere Veränderungen und Anpassungen der Biodiversi-tätspolitik (insbesondere in ihrem Arbeitsbereich) nach sich zieht, die grund-sätzliche Politikausrichtung aber bestehen bleibt.

Eine Einordnung in die Kategorie „insignifikant“ (geringer Wechsel) erfolgte, wenn die Gesprächspartner explizit angaben oder aus den Gesprächen her-vorging, dass ein Regierungswechsel die Ausrichtung der Biodiversitätspolitik (insbesondere in ihrem Arbeitsbereich) überhaupt nicht oder nur marginal verändert.

Ergebnis Die deutsche Biodiversitätspolitik ist in hohem Maße konstant. Umfangreiche Veränderungen, bedingt durch Regierungswechsel oder den Beginn neuer Legislaturperioden, wurden nicht beobachtet. Befragte aus 5 Ministerien spra-chen von vereinzelten oder kleineren Veränderungen. Die meisten Interviewten (9 Interviews in 8 Ministerien) berichteten sogar von keinerlei Auswirkungen bei Regierungswechseln oder beim Beginn neuer Legislaturperioden auf die Ausrichtung der Biodiversitätspolitik.

Indikator: Präferenzwechsel signifikant (ja, hoch)

teilweise insignifikant (nein, gering)

8 Interviews mit 10 Gesprächspartnern in 5 Ministerien

9 Interviews mit 13 Gesprächspartnern in 8 Ministerien

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5.1.4.3 Reicht die Nationale Biodiversitätsstrategie (NBS) aus?Definition Indikator Der Indikator „NBS ausreichend“ fragt, ob die Maßnahmen und Ziele der Na-tionalen Biodiversitätsstrategie (NBS) ausreichend sind, um einen effektiven Schutz an Biodiversität in Deutschland zu gewährleisten. Der Indikator kann darüber Auskunft geben, ob es die beschlossene Strategie des NBS vermag, mit ihren 330 Zielen und rund 430 Maßnahmen im Zeitraum bis zum Jahr 2020 aus der Perspektive der Befragten – nicht aus der Perspektive der Ministerien! – den Rückgang der biologischen Vielfalt aufzuhalten und eine Trendumkehr zu erreichen.

KategorienEs wurde unterschieden, ob die NBS mit ihren Maßnahmen und Zielen aus Sicht der Akteure ausreichend ist oder nicht, um einen effektiven Biodiversitätsschutz sicherzustellen. Eine Einordnung in die beiden Kategorien wurde vorgenommen, wenn die Befragten explizit ausführten, dass aus ihrer Kenntnis heraus die Maß-nahmen und Ziele der NBS ausreichend bzw. nicht ausreichend sind oder wenn dies aus ihren Aussagen gefolgert werden konnte. Darüber hinaus wurde eine Kategorie eingefügt, in die Aussagen eingeordnet wurden, wenn die NBS grund-sätzlich als positiv beschrieben, ihre Umsetzung aber als nicht ausreichend bezeichnet wurde.

ErgebnisIn der Mehrzahl der Gespräche wurde die NBS mit ihren Zielen und Maßnah-men als grundsätzlich ausreichendes Instrument angesehen, um die Biodiversi-tät effektiv zu schützen (7 Interviews in 7 Ministerien). Allerdings wird in zwei Gesprächen – beide aus dem Bereich des BMU – die Umsetzung als noch nicht ausreichend bezeichnet und in einem Fall darauf hingewiesen, dass es sich bei der NBS um kein Gesetz oder keine Verordnung handelt und es ihr daher an Verbindlichkeit mangele. Zudem wird in einem Fall eine Priorisierung der Ziele angemahnt. In 4 Interviews in 3 Ministerien wird die NBS als nicht hinreichend für einen effektiven Biodiversitätsschutz angesehen. Diese kritische Perspektive zeigte sich in Gesprächen im BMBF, BMU und BMVBS.

Indikator: NBS ausreichend ausreichend, aber Umset-zung noch nicht ausreichend

ausreichend nicht ausreichend

2 Interviews in einem Ministerium

7 Interviews in 7 Ministerien 4 Interviews in 3 Ministerien

Fazit Schlüsselindikator 4: Umsetzung von Biodiversitätspolitik Die deutsche Biodiversitätspolitik wird als sehr konstant wahrgenommen, denn große Veränderungen, bedingt durch Regierungswechsel oder neue Legislatur-perioden, werden von den Befragten nicht festgestellt. Die Nationale Biodiver-sitätsstrategie (NBS) wird von vielen Gesprächspartnern als ein ausreichendes Instrument für eine effektive deutsche Biodiversitätspolitik gesehen – allerdings wird die Umsetzung durchaus kritisch hinterfragt. In einigen Fällen wurde die NBS als nicht ausreichend eingeschätzt. Die Umsetzung der Biodiversitätspolitik in den Ministerien ist mit einigen Problemen verbunden: Besonders häufig wird als Hemmnis die ungenügende Ausstattung mit Personal- und Finanzmitteln genannt.

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5.1.5 Schlüsselindikator 5: Biodiversitätsziele und ihre EvaluationBiodiversitätszielmarken + Evaluation Die Indikatoren gehen den Fragen nach, ob den Biodiversitätszielmarken im ad-ministrativen Tagesgeschäft tatsächlich eine Bedeutung beigemessen wird und ob Maßnahmen grundsätzlich unter Biodiversitätsgesichtspunkten evaluiert werden.

5.1.5.1 BiodiversitätszielmarkenDefinition IndikatorDer Indikator „Biodiversitätszielmarken“ fragt, wie wichtig die rund 330 Ziele der Nationalen Biodiversitätsstrategie (NBS) und die Ziele der Nachhaltigkeits-strategie für die Interviewten in den jeweiligen Ministerien sind und welche Bedeutung diesen Zielen tatsächlich im administrativen Alltag beigemessen wird. Wichtig ist, ob diese Bedeutung mit der tatsächlichen Praxis in den aus-führenden Ministerien korrespondiert.

BewertungsstufenDie Eingruppierung in „signifikant“ wurde vorgenommen, wenn die Gesprächs-partner den Biodiversitätszielmarken und dem Versuch sie zu erfüllen, eine große Bedeutung im Tagesgeschäft der jeweiligen Ministerien beimessen oder wenn dies aus ihren Aussagen gefolgert werden konnte. In diese Rubrik fielen auch Äußerungen, die auf eine kontinuierliche Evaluation dieser Zielerreichung und nicht nur hinsichtlich der Erstellung von Fortschrittsberichten hinwiesen. Eine „teilweise“ Signifikanz der Biodiversitätsziele wurde angenommen, wenn den Biodiversitätszielmarken lediglich eine mittlere Bedeutung im Tages-geschäft beigemessen wurde. Wird eine Evaluation der Zielerreichung lediglich im Zuge der Erstellung von Fortschrittsberichten vorgenommen, wurde die mittlere Kategorie gewählt. Auch wenn Biodiversitätszielmarken grundsätzlich im Tagesgeschäft von Bedeutung sind, im Zweifelsfalle aber eine Unterordnung unter andere Gesichtspunkte erfolgt, kann nur von einer „teilweisen Bedeutung“ ausgegangen werden. Eine „Insignifikanz“ der Biodiversitätszielmarken wurde angenommen, wenn die Gesprächspartner den Zielmarken keine oder kaum eine Bedeutung im Tagesgeschäft beimessen.

ErgebnisDie Biodiversitätszielmarken der Nationalen Biodiversitätsstrategie oder der Nachhaltigkeitsstrategie spielen eine untergeordnete Rolle im administrativen Alltag der meisten Bundesministerien. Lediglich im BMU haben die Ziele eine hohe Relevanz. In 3 weiteren Ministerien spielen diese Ziele teilweise eine Rolle (BMELV, BMG BMZ), während sie in 7 Ministerien nur eine geringe Bedeutung haben (AA, BMBF, BMF, BMI, BMVg, BMVBS, BMWi).

Die Zielsysteme der Nationalen Biodiversitätsstrategie und/oder der Nachhal-tigkeitsstrategie bleiben damit in ihrer Bedeutung hinter den Anforderungen zurück und werden durch viele Ministerien nicht konsequent genug verfolgt. Es besteht die berechtigte Befürchtung, dass die strategischen Ziele kaum in die ad-ministrative Praxis umgesetzt werden und die Zielerreichung der NBS gefährdet wird. Zielsysteme, die in Ministerien nur sehr eingeschränkt handlungsleitend sind bzw. in der täglichen Praxis nur wenig umgesetzt werden, sind anfällig dafür, nicht erreicht zu werden.

Von einigen Gesprächspartnern wird u. a. kritisiert, dass sich manche Ziele und Kriterien als ungeeignet erweisen für die Anwendung im ministeriellen Alltag und relativ weit von der Realität der handelnden Personen in den verschiedenen Ministerien entfernt sind. Als problematisch werden insbesondere solche For-

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mulierungen angesehen, mit denen die Referate wenig anzufangen wissen oder die für ihre Arbeit zu unkonkret formuliert sind. Als kritisch wird ebenfalls an-gemerkt, dass die Adressaten von Zielen nicht immer zu identifizieren sind und damit nicht ersichtlich ist, welche Organisationseinheit bei welchen Zeitzielen welche Aufgaben zu erfüllen hat. Als erste Abhilfemaßnahme wird beispiels-weise die Entwicklung qualitativer und quantitativer Indikatoren vorgeschlagen.

Indikator: Bedeutung von Biodiversitätszielmarkensignifikant(hoch)

teilweise insignifikant(gering)

BMU BMELV, BMG, BMZ AA, BMBF, BMF, BMI, BMVg, BMVBS, BMWi

5.1.5.2 Evaluation Definition Indikator Der Indikator der „Maßnahmen-Evaluation“ sucht Antwort auf die Frage, inwie-fern eine inhaltliche Evaluation der Vorhaben (Gesetze, Rechtsverordnungen, Richtlinien, Ressortstrategien, Förderprogramme etc.) anhand von ministeri-ums- oder arbeitsbereichsspezifischen Biodiversitätskriterien in den Bundesmi-nisterien stattfindet. Evaluationen werden dabei verstanden als vollinhaltliche Prüfungen, die den Maßnahmen und Vorhaben vor- und nachgeschaltet sind und u. a. die über die Darstellung der Nachhaltigkeitswirkungen hinausgehen, die be-reits im Rahmen der Gesetzesbegründung auf der Grundlage der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) erfolgen. Von Interesse ist, ob eine Evaluation faktisch praktiziert wird und nicht nur die reinen Verwaltungs-vorschriften der GGO angewendet werden. Die Beantwortung der Frage soll den Stellenwert von biodiversitätspolitischen Maßnahmen in der Verwaltungspraxis der Ministerien bestimmen helfen.

BewertungsstufenBei der Bewertung ging es um die tatsächliche Durchführung von Evaluation, die spezifisch auf die Ministerien und Arbeitsbereiche bezogen sind und die über die GGO-Vorgaben hinausgehen bzw. diese spezifizieren. In die Kategorie „eher signifikant“ wurde eingruppiert, wenn die Gesprächspartner explizit sag-ten oder aus dem Gespräch geschlossen werden konnte, dass Maßnahmen und Vorhaben grundsätzlich und vollinhaltlich sowie ex post und ex ante auf ihre biodiversitätspolitische Lenkungswirkung oder lang- und kurzfristige Biodiver-sitätswirkung hin evaluiert werden. Wurde eine Evaluation als fallweise, in un-regelmäßigen Abständen oder nur teilweise (z. B. entweder ex post oder ex ante) oder nur für bestimmte Arbeitsbereiche erfolgend dargestellt, wird von einer „teilweisen“ Aufgaben-Evaluation ausgegangen. Werden Vorhaben nach Angaben der Gesprächspartner selten oder gar nicht auf ihre Wirkung auf und die Inter-dependenzen mit Biodiversität hin evaluiert, wird von einer „insignifikanten“ Maßnahmenevaluation gesprochen.

ErgebnisEine ministeriumsspezifische und/oder arbeitsbereichsspezifische, vollinhalt-liche Evaluation von Maßnahmen und ihrer Wirkung auf die Biodiversität findet kaum Eingang in die administrative Praxis. Lediglich die Befragten aus dem BMZ machen Aussagen zu einer entsprechenden Evaluationspraxis, die allerdings auch mit Einschränkungen verbunden ist. Von fallweisen Biodiversi-tätsevaluationen wird im BMU und BMVBS berichtet. In den meisten Ministe-rien werden Evaluationen auf Biodiversitätswirkungen kaum praktiziert, sodass lediglich eine insignifikante Evaluationspraxis im definierten Sinne konstatiert werden kann (AA, BMBF, BMELV, BMF, BMG, BMI, BMVg, BMWi).

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Indikator: Vorhaben-Evaluation (eher) signifikant(eher praktiziert)

teilweise insignifikant(kaum praktiziert)

BMZ BMVBS, BMU AA, BMBF, BMELV, BMF, BMG, BMI, BMVg, BMWi

Fazit Schlüsselindikator 5: Biodiversitätsziele und ihre EvaluationBiodiversitätszielmarken spielen im Tagesgeschäft der Bundesministerien grund- sätzlich eine sehr geringe Rolle – und wenn sie eine Rolle spielen, dann in den Ministerien, die eher mit Biodiversität assoziiert werden. Das gilt gleichermaßen für die Durchführung von Evaluationen anhand von Biodiversitätskriterien. Eine ministeriumsspezifische und/oder arbeitsbereichsspezifische vollinhaltli-che Biodiversitätsevaluation ist demnach kaum zu finden.

5.1.6 Schlüsselindikator 6: Wahrnehmung von ZielkonfliktenZielkonflikte Politikfelder + Zielkonflikte im eigenen Haus + Zielkonflikte kurz- und langfristig Die Analyse der Zielkonflikte konzentriert sich auf die Fragen, ob Zielkonflikte zwischen Politikfeldern der einzelnen Ressorts oder innerhalb der jeweiligen Ministerien beobachtet werden. Darüber hinaus werden Zielkonflikte zwischen kurzfristigen Erfordernissen und langfristigen Biodiversitätsnotwendigkeiten untersucht.

5.1.6.1 Zielkonflikte PolitikfelderDefinition IndikatorDer Indikator „Zielkonflikte Politikfelder“ geht der Frage nach, ob aus Sicht der Befragten Zielkonflikte zwischen Biodiversitätspolitik und anderen Politikfel-dern bestehen, insbesondere im eigenen Arbeitsbereich des Ministeriums. Die Antwort auf diese Frage ist wichtig, wenn es um die Einschätzung der Hinder-nisse zur Umsetzung einer effektiven Biodiversitätspolitik geht. Das Wissen um und die Wahrnehmung von Zielkonflikten im eigenen Aufgabenbereich gibt zudem Hinweise darauf, wo kritische Konflikte bestehen, die, um sie aufzulösen, einer intensiven politischen Beschäftigung bedürfen.

KategorienFür diesen Indikator wurde eine Einordnung in „Zielkonflikte vorhanden“ vor-genommen, wenn von den Gesprächspartnern explizit berichtet wurde, dass aus ihrer Perspektive Zielkonflikte zwischen Biodiversität und anderen Politikfel-dern – grundsätzlich oder in ihrem Geschäftsbereich – bestehen bzw. dies aus ihren Aussagen gefolgert werden konnte. Wenn explizit von den Gesprächspart-nern berichtet wurde, dass aus ihrer Perspektive keine Zielkonflikte zwischen Biodiversität und anderen Politikfeldern bestehen bzw. dies aus den Aussagen gefolgert werden konnte, dann wurde eine Einordnung in „keine Zielkonflikte vorhanden“ vorgenommen.

Im Falle einer Einordnung in „Zielkonflikte vorhanden“ wurde eine Kategorisie-rung vorgenommen, um welche Zielkonflikte es sich handelt.

ErgebnisAlle 9 Ministerien, in denen dazu Aussagen gemacht wurden, berichten von existenten Zielkonflikten zwischen Biodiversitätspolitik und anderen politi-schen Themen (AA, BMBF, BMELV, BMF, BMU, BMVBS, BMVg, BMWi, BMZ). Mehrfach genannt werden Spannungsverhältnisse zwischen „Wirtschaft und

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Biodiversität“, „Energie und Biodiversität“ oder „Nutzung/Bewirtschaftung/Landwirtschaft und Biodiversität“. Bei den wahrgenommenen Zielkonflikten im Bereich „Wirtschaft und Biodiversität“ ging es primär um wirtschaftliche Nut-zung (z. B. Flächenverbrauch) und Biodiversität und weniger um die Frage der Organisation des Wirtschaftssystems selbst und seine möglichen Auswirkungen auf Biodiversität. Auch finanzielle Belastungen von Unternehmen wurden als Konfliktthemen genannt (BMVBS, BMWi) und in der internationalen Biodiversi-tätspolitik auch soziale und allgemeine Entwicklungsfragen (BMU, BMZ).Damit verdeutlicht sich zum einen, dass – bis zu einem gewissen Maße – ein Bewusstsein von Zielkonflikten vorhanden ist und zum anderen, auf welchen Politikfeldern Anstrengungen zu ihrer Überwindung durch die Ministerien unternommen werden sollten.

Indikator: Zielkonflikte mit anderen Politikfeldernvorhanden nicht vorhandenAA, BMBF, BMELV, BMF, BMU, BMVBS, BMVg, BMWi, BMZ

genannte KonfliktfelderWirtschaft und Biodiversität Energie und Biodiversität Verkehr und BiodiversitätAA, BMU, BMVBS BMELV, BMU, BMVBS BMVBS

genannte KonfliktfelderNutzung/Bewirt-schaftung/Agrar

finanzielle Belastun-gen durch Biodiver-sität

soziale Fragen und Entwicklungsfragen

anderes

AA, BMELV , BMU BMVBS, BMWi BMU, BMZ BMBF, BMELV, BMF, BMU, BMVg, BMZ

5.1.6.2 Zielkonflikte im eigenen MinisteriumDefinition IndikatorDer Indikator „Zielkonflikte im eigenen Ministerium“ soll darstellen, inwiefern auch innerhalb der Ministerien selbst Zielkonflikte zwischen einzelnen Organi-sationseinheiten (Abteilungen, Referaten) zu biodiversitätsrelevanten Themen bestehen. Diese Beobachtung lässt Aussagen über die tatsächlichen Umsetzungs-chancen von biodiversitätsbezogenen Maßnahmenvorschlägen zu. Zielkonflikte und divergierende Auffassungen im eigenen Ressort können die Effektivität und Verwirklichung der Biodiversitätspolitik in dem jeweiligen Ressort negativ be-einflussen. Ein Fehlen von Zielkonflikten bedeutet andererseits nicht, dass auto-matisch eine progressive Biodiversitätspolitik betrieben wird. Ein Ministerium kann konsistent in seinen Zielvorstellungen und Mitteln sein und trotzdem eine problematische Politik für die Biodiversität betreiben.

KategorienFür diesen Indikator wurden zwei Kategorien definiert. Die Einordnung in „Ziel-konflikte bestehen“ erfolgte, wenn Gesprächspartner explizit über divergierende Auffassungen zu biodiversitätsrelevanten Themen im eigenen Ministerium be-richten oder sich diese aus den Schilderungen über Arbeitsabläufe ergaben. Keine bzw. marginale Zielkonflikte zwischen Organisationseinheiten im eigenen Res-sort werden angenommen, sobald keine explizit divergierenden Auffassungen zu biodiversitätsrelevanten Themen im eigenen Ministerium genannt wurden oder sich dieser Sachverhalt aus den Schilderungen über Arbeitsabläufe ergab.

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ErgebnisDie Interviewpartner aus 6 Ministerien äußerten, dass mehr oder minder diver-gierende Meinungen und Zielkonflikte zu biodiversitätsrelevanten Themen be-obachtet werden können (AA, BMBF, BMELV, BMU, BMVBS, BMZ). Lediglich in 4 Ministerien wurde über keine Zielkonflikte innerhalb des Ressorts berichtet (BMF, BMI, BMVg, BMWi). Unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Minis-terien bestehen vor allem dann, wenn biodiversitätspolitische Ziele mit anderen Aufgaben des Ministeriums in Konflikt geraten, z. B. im BMELV und BMVBS bzgl. Flächenkonkurrenzen oder im BMU bei der Ausgestaltung der Energie-wende. Auch wurde in einem Ministerium darauf hingewiesen, dass bestimmte Akteure den Biodiversitätszielen grundsätzlich zustimmen, bei konkreten Maß-nahmen aber doch abweichende Meinungen äußern. Hinsichtlich der Gründe von Zielkonflikten innerhalb der Ministerien gab es unterschiedliche Aussagen, wie etwa zusätzliche Kosten durch Biodiversitätsbelange.

Indikator: Zielkonflikte im eigenen MinisteriumEinstufungen bestehen nicht vorhanden

AA, BMBF, BMELV, BMU, BMVBS, BMZ

BMF, BMI, BMVg, BMWi

5.1.6.3 Zielkonflikte kurz- und langfristigDefinition IndikatorDer Indikator „Zielkonflikte Kurz- und Langfristigkeit“ geht der Frage nach, inwiefern in der Biodiversitätspolitik Zielkonflikte auf der Zeitachse auftreten. Hier steht im Mittelpunkt, ob kurzfristige Notwendigkeiten, etwa aufgrund des politisch-administrativen Tagesgeschäfts, und langfristige Erfordernisse der Biodiversitätspolitik von den Akteuren erkannt werden. Die Wahrnehmung von Zielkonflikten zwischen Kurz- und Langfristigkeit soll Auskunft darüber geben, ob Handlungsbedarf besteht, wenn es um die Dauerhaftigkeit der Biodiversitäts-politik geht.

KategorienEine Einordnung in „Zielkonflikte vorhanden“ wurde vorgenommen, wenn von den Gesprächspartnern explizit berichtet wurde, dass aus ihrer Perspektive Zielkonflikte zwischen kurzfristigen Erfordernissen entweder im eignen Tätig-keitsbereich bzw. der täglichen Arbeit oder auch allgemein und den langfristen Anforderungen der Biodiversität gesehen werden bzw. dies aus ihren Aussagen gefolgert werden konnte. Auch das Berichten von Abwägungen zwischen kurz- und langfristigen Aspekten führte zu einer Einordnung in diese Kategorie. Wenn explizit von den Gesprächspartnern berichtet wurde, dass aus ihrer Perspektive keine Zielkonflikte zwischen der Kurz- und Langfristperspektive bestehen bzw. dies aus den Aussagen gefolgert werden konnte, dann wurde eine Einordnung in „keine Zielkonflikte vorhanden“ vorgenommen.

Ergebnis Das Vorhandensein von Zielkonflikten zwischen kurzfristigen Erfordernissen (Tagesgeschäft, eigene Politikformulierungen des Ministeriums) und langfristi-gen Notwendigkeiten wird bei einer Nennung in jeweils der gleichen Anzahl an Ministerien in einer knappen Mehrheit der Gespräche bejaht. Es fällt auf, dass solche Zielkonflikte tendenziell nicht in den Ressorts erwähnt werden, die sich mit ökonomischen Politikthemen beschäftigen, wie z. B. das BMELV, das BMF oder das BMWi. Eine Zieldiskrepanz zwischen Kurz- und Langfristigkeit wird im BMU und BMZ wahrgenommen, allerdings auch von Befragten aus anderen Ministerien konstatiert (AA, BMF, BMI, BMVBS, BMVg).

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Indikator: Zielkonflikte kurz- und langfristigvorhanden/werden bejaht nicht vorhanden/werden verneintAA, BMI, BMU (2, 13, 16), BMVBS, BMVg, BMZ10 Interviews in 6 Ministerien

BMWi, BMELV, BMG, BMBF, BMU (12), BMF7 Interviews in 6 Ministerien

Fazit Schlüsselindikator 6: Wahrnehmung von ZielkonfliktenZielkonflikte mit Biodiversitätspolitik werden auf unterschiedlichen Ebenen beobachtet. Es wird eine Reihe von grundsätzlichen Zielkonflikten zwischen Biodiversitätspolitik und anderen Politikfeldern beschrieben. Insbesondere wenn es um Flächennutzungsfragen geht. Innerministerielle divergierende Meinungen und Zielkonflikte zu biodiversitätsrelevanten Themen sind in vielen Ressorts zu beobach-ten. Lediglich in 4 Ministerien wurden hier Zielkonflikte verneint. Eine Diskrepanz zwischen kurzfristigen Erfordernissen und langfristigen biodiversitätspoliti-schen Aufgaben werden jeweils in der Hälfte der Ministerien bejaht wie verneint.

5.1.7 Schlüsselindikator 7: Kooperation mit der ZivilgesellschaftKooperation mit nicht staatlichen Akteuren + gemeinsame Bewertungsgremien + Einflussnahme von Dritten auf BiodiversitätspolitikDieser Schlüsselindikator fragt nach der „Kooperation mit der Zivilgesellschaft“, und zwar zum einen nach der Intensität der Zusammenarbeit mit nicht staatli-chen Akteuren und zum anderen, ob Gremien zur gemeinsamen Bewertung und Weiterentwicklung der Biodiversitätspolitik von den Ministerien genutzt werden bzw. inwiefern von Dritten versucht wird, Einfluss auf Biodiversitätspolitik der Ministerien auszuüben.

5.1.7.1 Kooperationen mit nicht staatlichen AkteurenDefinition IndikatorDer Indikator soll feststellen, inwiefern das prozedurale Nachhaltigkeitsziel der Akteursbeteiligung auch im Aufgabenfeld Biodiversität erfüllt wird, d.h., ob es das Anliegen der Ministerien ist und ob es gelingt, eine möglichst große Band-breite an Akteuren zu beteiligen. Eine stärkere Beteiligung kann zu breiterer Akzeptanz bei den Betroffenen, zu besserem gegenseitigen Verständnis und zur Integration von zusätzlichem Wissen für die Zielformulierung und den Weg zur Zielerreichung beitragen. Die Intensität der Zusammenarbeit mit nicht staat-lichen Akteuren im Bereich der Biodiversität kann verdeutlichen, inwieweit sie eine Rolle in der staatlichen Biodiversitätspolitik spielen und ihre jeweils eige-nen Perspektiven einbringen können.

BewertungsstufenEine Einordnung in die Rubrik „signifikante Zusammenarbeit mit nicht staat-lichen Akteuren“ erfolgte, wenn aus dem Gespräch implizit oder explizit hervor-ging, dass die Organisationseinheit der Befragten häufig und mit einer großen Bandbreite (Akteure aus mindestens 4 der 5 Kategorien) an nicht staatlichen Ak-teuren bei Themen mit Biodiversitätsbezug zusammenarbeiten und/oder wenn diese Zusammenarbeit als förderlich für die eigene Arbeit angesehen wird. Eine Eingruppierung in die Rubrik „teilweise Zusammenarbeit mit nicht staatli-chen Akteuren“ wurde vorgenommen, wenn die Zusammenarbeit fallbezogen oder in unregelmäßigen Abständen bzw. mit einer geringeren Anzahl von Akteuren (Akteure aus 3 der 5 Kategorien) stattfand und/oder wenn diese Zusammenarbeit als nicht notwendigerweise förderlich für die eigene Arbeit angesehen wird. Auch wenn lediglich die Zusammenarbeit mit nicht staatlichen Akteuren erwähnt, diese aber nicht spezifiziert wird, findet eine Zuordnung zu dieser Rubrik statt.

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Eine Einordnung in die Rubrik der „Insignifikanz“ fand statt, wenn die Zusam-menarbeit kaum oder gar nicht vorhanden war (Akteure aus einer der 5 Katego-rien) bzw. wenn diese Zusammenarbeit als hinderlich oder sogar kontraproduk-tiv für die eigene Arbeit angesehen wird.

ErgebnisInsgesamt gehören 5 Ministerien zur Gruppe mit einer „signifikanten“ Zu-sammenarbeit mit nicht staatlichen Akteuren (BMBF, BMELV, BMU, BMVBS, BMZ). Daraus ist ersichtlich, dass die Interaktion mit einer Vielzahl von gesell-schaftlichen Akteuren im Bereich Biodiversität für diese Ministerien eine hohe Bedeutung hat. Auch aus der Perspektive der nicht staatlichen Akteure spielen diese Ministerien als Ansprechpartner eine wesentliche Rolle bei Themen der Biodiversität. Das gilt insbesondere für Umweltschutzorganisationen, mit denen in 8 der untersuchten Ministerien zusammengearbeitet wird. Mit der Wirtschaft besteht eine Zusammenarbeit in 7 Ministerien, mit Nutzerverbänden hingegen lediglich in 3 Ressorts – in diesem Fall allerdings in den für diese Gruppen un-mittelbar bedeutsamen Ministerien.

Insbesondere diejenigen Ministerien gehören der Kategorie „signifikante Zusam-menarbeit“ an, die unmittelbar oder teilweise für Biodiversität zuständig sind bzw. mit dem Thema eher assoziiert werden können. Mit dem BMG, dem BMI und dem BMF sind 3 Ministerien in die Gruppe mit „insignifikanter Zusammen-arbeit“ eingeordnet.

Deutlich wird auch, dass eine Vielzahl an Ministerien nicht mit der ganzen Bandbreite von Akteuren zusammenarbeitet, wenn es um Fragen der Biodiver-sität geht. Auch wenn berücksichtigt werden muss, dass für die meisten dieser Ministerien Biodiversität nicht zu einem besonders wichtigen Zuständigkeits-bereich und Bestandteil der täglichen Arbeit zählt, wird deutlich, dass die Quer-schnittsaufgaben und Interdependenzen, die mit Biodiversität assoziiert werden können, nur einen begrenzten Niederschlag in einer Zusammenarbeit mit nicht staatlichen Akteuren finden.

Indikator: Zusammenarbeit mit nicht staatlichen AkteurenNutzerverbände (z. B. Bauern-verband)

Umwelt-verbände

Wirtschaft Wissenschaft + Forschung

andere zivilge-sellschaftliche Akteure(z. B. Kirchen, Sozialverbände)

BMELV, BMU, BMVBS

AA, BMBF, BMELV, BMU, BMVBS, BMVg, BMWi, BMZ

BMBF, BMELV, BMU, BMVBS, BMWi, BMZ

AA, BMBF, BMELV, BMU, BMVBS, BMVg, BMZ

AA, BMBF, BMU, BMVBS, BMZ

Indikator: Zusammenarbeit mit nicht staatlichen AkteurenEinstufungen signifikant

(häufig)teilweise insignifikant

(selten)Ministerien BMU (5/5), BMVBS

(5/5), BMBF (4/5), BMELV (4/5), BMZ (4/5)

AA (3/5,) BMWi (2/5) BMG (1/5), BMF (0/5), BMI (0/5)

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5.1.7.2 Gemeinsame Bewertungs- und Beratungsgremien Definition IndikatorDer Indikator fragt, ob gesellschaftliche Akteure nicht nur im Austauschpro-zess mit staatlichen Stellen stehen, sondern ob sie darüber hinaus auch an der Formulierung von Biodiversitätszielen für die Geschäftsbereiche der jeweiligen Ministerien – mehr oder weniger institutionalisiert – beteiligt werden. Ganz konkret wird untersucht: Gibt es gemeinsame Beratungs- oder Bewertungsgre-mien zwischen staatlichen Stellen und zivilgesellschaftlichen Akteuren? Werden staatliche Biodiversitätsziele und Biodiversitätsbemühungen – allgemeine und konkrete Ziele, Zielmarken, Zeiträume, Indikatoren – auf den verschiedenen Ebenen gemeinsam mit Akteuren aus den Bereichen Zivilgesellschaft, Wirtschaft und/oder Wissenschaft überprüft und bewertet? Können derartige Gremien Vorschläge zur weiteren konzeptionellen Entwicklung machen, die dann auch Eingang in die offizielle Politik finden?

BewertungsstufenEs wurde eine Einordnung in die Rubrik „signifikant“ vorgenommen, wenn aus dem Gespräch hervorging, dass von den Organisationseinheiten der Befragten häufig auf institutionalisierte Gremien mit nicht staatlichen Akteuren zurückge-griffen wird, um Biodiversitätsziele festzulegen, bisherige Ergebnisse zu evaluie-ren oder zu debattieren. Eine Eingruppierung in die Rubrik „teilweise“ erfolgte, wenn in unregelmäßigen Abständen, fallbezogen und nicht institutionalisiert auf solche Gremien zurückgegriffen wird, um Ziele festzulegen, bisherige Ergebnisse zu evaluieren oder zu diskutieren. Auch die Behandlung von Einzelprojekten wird hierzu gezählt. Eine Einordung in die Rubrik „insignifikant“ fand statt, wenn selten oder niemals auf solche gemeinsamen Gremien zurückgegriffen wird, um Nachhaltigkeitsziele festzulegen, bisherige Ergebnisse zu evaluieren oder zu debattieren.

ErgebnisVon den Ministerien, die sich zu dem Thema geäußert haben, kann lediglich in 3 Ministerien (BMBF, BMU, BMZ) die Einordnung in die Rubrik „signifikant“ erfolgen, da die Nutzung entsprechender Gremien in diesen Ministerien aus-geprägt ist. In 3 weiteren Ministerien (AA, BMELV, BMVBS) wurde zumindest eine teilweise Signifikanz konstatiert. Kein oder ein sehr geringer Rückgriff auf gemeinsame Beratungs- oder Bewertungsgremien erfolgt in 5 Ministerien (BMF, BMG, BMI, BMVg, BMWi).

Das Ergebnis verdeutlicht, dass die gemeinsame Beratung und Bewertung von Biodiversitätsstatus und Biodiversitätszielen zwischen Ministerien und gesell-schaftlichen Akteuren in institutionalisierten gemeinsamen Gremien bisher unterentwickelt ist und nur von wenigen Ministerien ausgeübt wird.

Indikator: Gemeinsame Bewertungsgremien mit der Zivilgesellschaftsignifikant teilweise insignifikant (gering)BMBF, BMU, BMZ AA, BMELV, BMVBS BMF, BMG, BMI, BMVg,

BMWi

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5.1.7.3 Einflussnahme von interessierten Dritten auf Biodiversitäts-politikDefinition IndikatorDer Indikator „Einflussnahme von interessierten Dritten“ soll einen Einblick in die Intensität von Versuchen der Einflussnahme in biodiversitätspolitischen Fragen auf die jeweiligen Institutionen und die in ihnen Beschäftigten bringen. Es soll die Frage beantwortet werden, ob Biodiversität als politisches Thema mittlerweile eine derartige Bedeutung erlangt hat, dass Einflussnahmeversuche auf staatliche und politische Akteure in der täglichen Praxis erfolgen. Dadurch können auch Aussagen getroffen werden, ob Lobbygruppen dem Thema eine derart hohe Bedeutung einräumen, als dass sie sich in diesen Fragen an Minis-terien wenden. Es soll auch genauer bestimmt werden, welche Akteursgruppen welchen Ministerien in Biodiversitätsfragen eine Bedeutung zumessen und wel-chen nicht.

BewertungsstufenDie Eingruppierung als „signifikante“ Intensität der Einflussnahme und Ver-suche zur Einflussnahme erfolgte, wenn aus dem Gespräch hervorging, dass die Befragten und/oder deren Organisationseinheit häufig von entsprechenden Interessengruppen zu Biodiversitätsthemen angesprochen werden. Eine „teilwei-se“ Signifikanz wurde angenommen, wenn eine Ansprache in unregelmäßigen Abständen stattfindet. Eine dritte Möglichkeit ist die Kategorie der „geringen“ Signifikanz der Einflussnahme, wenn die Befragten und/oder deren Organi-sationseinheit selten oder niemals von Lobbygruppen angesprochen werden, gemeinsame Treffen nicht oder fast niemals stattfinden, sowie auch sonst kein Kontakt oder der Versuch einer Kontaktaufnahme besteht.

ErgebnisAls Ergebnis zeigt sich eine Zweiteilung: Ministerien, in denen materielle Ent-scheidungen mit unmittelbarem Bezug auf Biodiversität getroffen werden, sind häufig Ziel der Ansprache von Interessengruppen. Dazu zählen das federfüh-rende BMU, aber auch das BMELV und das BMVBS. Es verwundert nicht, dass insbesondere Naturschutzverbände genannt werden.

Die Einflussnahme wirtschaftlicher Akteure konzentriert sich auf das BMU und das BMZ, also die Ministerien, die für internationale und nationale Biodiver-sitätsfragen primär zuständig sind. Allerdings wird auch im BMELV als einem Ministerium mit engen direkten Biodiversitätsbezügen von solchen Einflussnah-men berichtet. Es kann angenommen werden, dass wirtschaftliche Akteure in anderen Politikfeldern und Ministerien weniger (lohnenswerte) Anknüpfungs-punkte bei diesem Thema sehen.

Die unterschiedliche Einordnung des BMVBS in „signifikant“ und „insignifikant“ resultiert aus unterschiedlichen Erfahrungsberichten zwischen der Arbeits- und der politischen Ebene. In den anderen Ministerien sind die Einflussnahmever-suche von außen im Hinblick auf biodiversitätspolitische Fragestellungen eher selten.

Indikator: Einflussnahmeversuche von Dritten Einstufungen signifikant

(häufig)teilweise insignifikant

(selten)Ministerien BMELV, BMU,

BMVBS (19) BMBF, BMZ AA, BMF, BMI

BMWi, BMVBS (11), BMVg

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Indikator: Einflussnahmeversuche insbesondere durch…Akteure aus Ökologie/Zivilgesell-

schaft Ökonomie Nutzerverbände

Anzahl 4 2 1Ministerien BMELV, BMU,

BMVBS, BMZBMELV, BMU, BMZ BMELV

Fazit Schlüsselindikator 7: Kooperation mit der Zivilgesellschaft Die Kooperation mit einer Vielzahl zivilgesellschaftlicher Akteuren in Biodiver-sitätsfragen ist in den Ministerien insgesamt sehr ausgeprägt. Die wenigsten Mi-nisterien weisen eine unterdurchschnittliche Zusammenarbeit auf. Eine gemein-same Beratung und Bewertung von Biodiversitätsstatus und Biodiversitätszielen ist hingegen deutlich geringer ausgeprägt und bleibt unter den Möglichkeiten. Von Interessengruppen angesprochen werden insbesondere Ministerien, die mit direkt auf Biodiversität einwirkenden Entscheidungen in Verbindung gebracht werden können. Einflussnahmeversuche werden hier insbesondere von Akteuren mit Bezug zur Ökonomie oder Ökologie vorgenommen.

5.1.8 Schlüsselindikator 8: Vertikale PolitikintegrationEinfluss von EU und UN + Berücksichtigung von subnationalen Ebenen Zur Analyse der „vertikalen Politikintegration“ wird gefragt, inwiefern der Euro-päischen Union bzw. den Vereinten Nationen in biodiversitätspolitischen Fragen Einfluss auf Deutschland zugeschrieben wird. Darüber hinaus wird untersucht, inwiefern die Bundesländer und Kommunen bei der Formulierung von auf Nach-haltigkeit ausgerichteter Politik mitberücksichtigt werden.

5.1.8.1 Einfluss von Europäischer Union (EU) und Vereinten Nationen (UN) Definition IndikatorFür eine effiziente Biodiversitätspolitik sind angemessene Austausch- und Ko-ordinationsmechanismen zwischen den Politikebenen notwendig. Der Indikator gibt an, inwiefern die Gesprächspartner bzw. ihre Organisationen einen Ein-fluss von Entscheidungen, die auf der Ebene der Vereinten Nationen (UN) oder der Europäischen Union (EU) getroffen werden, auf die Biodiversitätspolitik in Deutschland sehen.

Die internationalen Ebenen, die – nicht hierarchisch, aber strukturell – der na-tionalen übergeordnet sind, interagieren im Prozess der Politikgestaltung mit der bundes- und landespolitischen Ebene und üben einen Einfluss auf sie aus. Bestimmungen und Vereinbarungen, die auf internationaler Ebene – sei es im Rahmen der UN oder der EU – getroffen werden, beeinflussen die Nationalstaa-ten und die Inhalte ihrer Politik. Beispielsweise ist für das Feld der Umweltpo-litik unter dem Schlagwort der „Europäisierung“ in verschiedenen Studien eine immer stärkere Verlagerung auf die europäische Ebene festgestellt worden. Für die Betrachtung der Biodiversitätspolitik auf Bundesebene ist es daher von Be-deutung, den Kontext der vertikalen Politikintegration zu beachten und die mög-lichen Spielräume und Einschränkungen nationaler Politikartikulation im Feld der Multi-Level-Governance abzuschätzen.

BewertungsstufenDie Bewertung wurde in „Einfluss der EU“ und „Einfluss der UN“ unterteilt. Eine Eingruppierung in die Rubrik „hoher Einfluss“ erfolgte, wenn aus dem Gespräch hervorging, dass die Befragten und/oder deren Organisationseinheit

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sich in einer Vielzahl von Fragen, die die biodiversitätspolitische Entwicklung in ihrem Zuständigkeitsbereich bzw. in Teilbereichen, die von ihnen als besonders signifikant erachtet werden, von Beschlüssen und Ereignissen auf der Ebene der UN und/oder der EU betroffen sehen. Eine Einordnung in die Rubrik „teilweiser Einfluss“ erfolgte, wenn die Betroffenheit in einer begrenzten Anzahl von Teil-bereichen angegeben wurde. In Fällen, in denen nicht deutlich wird, wie viele Fachreferate oder Einzelthemen betroffen sind, aber grundsätzlich der Einfluss von politischen Ebenen oberhalb der nationalen genannt wird, findet ebenfalls eine Einordnung in diese Rubrik statt. Eine Eingruppierung in die Rubrik „ge-ringer Einfluss“ erfolgte, wenn aus dem Gespräch hervorging, dass die Befragten und/oder deren Organisationseinheit sich fast gar nicht oder niemals in Berei-chen, die die Biodiversitätspolitik betreffen, von Beschlüssen und Ereignissen auf der Ebene der UN bzw. der EU betroffen sehen. Da der Einfluss der EU oder der UN auf nationale Politik nicht eindeutig als gut oder schlecht zu bewerten ist, dient dieser Indikator primär informatorischen Zwecken und fließt nicht in die Bewertung des Schlüsselindikators ein.

Ergebnis Politikebene der EUDer EU wird in vielen biodiversitätspolitischen Themen für die Arbeit der je-weiligen Ministerien eine erhebliche Bedeutung zugesprochen. 6 Ministerien (BMELV, BMI, BMU, BMVBS, BMWi, BMVg) wurden in die Rubrik mit „hohem Einfluss“ eingruppiert. In weiteren 5 Ministerien konnte noch ein „teilweiser Einfluss“ geschlussfolgert werden (AA, BMBF, BMF, BMG, BMZ). Kein Ministe-rium fiel in die Gruppe mit „geringem Einfluss“ der EU. Insbesondere die Flora-Fauna-Habitat Richtlinie (FFH) und die Vogelschutzrichtlinie der EU sowie das Schutzgebietsnetz Natura 2000 (im Geschäftsbereich des BMVg sind es etwa 50 % der unbebauten Flächen, die als Natura 2000-Flächen ausgewiesen sind, BMVg 7) werden als maßgebliche Bestimmungen am häufigsten genannt, gefolgt von der Wasserrahmenrichtlinie (z. B. BMVBS). Auch die Gemeinsame Agrar-politik der EU (GAP) gehört zu den politischen Maßnahmen, die Auswirkungen auf die biodiversitätspolitische Beschäftigung in den Ministerien haben und ge-nannt werden (z. B. BMELV, BMI, BMU). Eine hohe Relevanz der EU konnte ins-besondere für diejenigen Ressorts festgestellt werden, die, wie das BMELV, das BMVBS oder auch das BMVg, mit Flächennutzungen beschäftigt sind und bei denen biodiversitätsbezogene Regelungen, etwa Schutzgebietsmanagement oder bestimmte Bewirtschaftungsweisen, eine besonders große Bedeutung haben.

Ergebnis Politikebene der UNIm Gegensatz zur EU wird der UN-Ebene eine wesentlich geringere Bedeutung für die tägliche Arbeit zugemessen. Lediglich 3 Ministerien bescheinigen der UN einen hohen Einfluss, und zwar solche, die mit Aspekten der internationalen Biodiversitätspolitik befasst sind (BMG, BMU, BMZ). Seit der Diskussion um das Nagoya-Protokoll unter der CBD ist auch das BMG intensiv mit Biodiversitäts-fragen beschäftigt. 3 Ministerien nannten einen fallweisen Einfluss (AA, BMBF, BMELV), wenn sie mit internationalen Biodiversitätsfragen konfrontiert sind. Weitere 4 Ministerien bestätigten einen geringen Einfluss (BMF, BMI, BMVBS, BMVg), weil sie mit der UN-Ebene nicht befasst sind. Insbesondere die Ziele des strategischen Plans der CBD (z. B. BMZ) oder die CBD selbst (BMZ) wurden als einflussreich erwähnt.

Insgesamt wird der EU eine wesentlich höhere Bedeutung und Einflussnahme zugesprochen als der Ebene der Vereinten Nationen (UN). Der Grund dafür liegt insbesondere in dem mit EU-Vorgaben einhergehenden stärkeren Verpflich-tungsgrad und dem entsprechenden Durchgriff auf nationale Regelungen.

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Indikator: Einfluss von EUEinstufungen signifikant

(hoher Einfluss)teilweise insignifikant

(geringer Einfluss)Ministerien BMELV, BMI, BMU,

BMVBS, BMWi, BMVg

AA, BMBF, BMF, BMG, BMZ

Indikator: Einfluss von UNEinstufungen signifikant

(hoher Einfluss)teilweise insignifikant

(geringer Einfluss)Ministerien BMG, BMU, BMZ AA, BMBF, BMELV BMF, BMI, BMVBS,

BMVg

5.1.8.2 Berücksichtigung von subnationalen Ebenen Definition Indikator Der Indikator nimmt das Verhältnis von Bundesebene und Ebene der Länder in Augenschein. Für den Bereich der Naturschutzpolitik spielt aufgrund der im Grundgesetz geregelten Zuständigkeiten insbesondere die Ebene der Bundeslän-der eine besondere Rolle. Aus diesem Grund soll eruiert werden, inwiefern aus der Sicht der Bundesministerien eine enge Zusammenarbeit mit der subnationa-len Ebene besteht. Dabei kann analysiert werden, welche Ministerien enger mit Ländern zusammenarbeiten als andere.

BewertungsstufenEine Einordnung in den Bereich der „signifikanten“ Zusammenarbeit wurde vorgenommen, wenn die Gesprächspartner explizit erwähnt haben oder aus dem Gespräch gefolgert werden konnte, dass eine intensive Arbeitsbeziehung zu den Ländern in Biodiversitätsfragen besteht. Die Gruppe mit einer „fallweisen“ Zu-sammenarbeit umfasst Aussagen – wenn von den Gesprächspartner explizit er-wähnt oder aus dem Gespräch gefolgert wurde –, dass eine Arbeitsbeziehung in Biodiversitätsfragen zu den Ländern bzw. Bundesländerkollegen in spezifischen Fragen punktuell oder in unregelmäßigen Abständen besteht. Eine Einordung in den Bereich der „insignifikanten“ Zusammenarbeit erfolgte, wenn die Ge-sprächspartner explizit erwähnt haben oder aus dem Gespräch gefolgert werden konnte, dass eine Arbeitsbeziehung zu den Ländern in Biodiversitätsfragen nicht oder kaum vorhanden ist.

ErgebnisEine Zusammenarbeit mit den Ländern in Fragen der Biodiversität wird – mit Ausnahme des BMG – in allen befragten Ministerien gepflegt. Unterschiedlich indes ist deren Intensivität. Die engsten Arbeitsbeziehungen zur Länderebene unterhalten BMU und BMVBS, was sich aus der Zuständigkeitsverteilung zwi-schen Bund und Ländern erklärt (u. a. konkurrierende Gesetzgebung im Natur-schutz). Ein Großteil der Ministerien unterhält eine punktuelle oder thematisch eingegrenzte Zusammenarbeit mit den Bundesländern in biodiversitätspoliti-schen Fragen (BMBF, BMELV, BMI, BMVg, BMWi, BMZ). Diese Situation erklärt sich zum großen Teil aus den Aufgabenbereichen und Zuständigkeiten der jeweiligen Ministerien. Insgesamt ist die Zusammenarbeit mit den Ländern ein grundsätzlicher Bestandteil der Biodiversitätspolitik der Ministerien. Teilweise wird von sehr guten Beziehungen zu den Länderkollegen berichtet (Interview I). Teilweise wird auch von Problemen gesprochen, wenn etwa Personen die Spielräume der Landesnaturschutzgesetze unterschiedlich auslegen (Interview G) oder wenn Versuche unternommen werden, auf Länder-minister von außerhalb des Naturschutzes Einfluss zu nehmen (Interview D).

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Indikator: Zusammenarbeit mit der subnationalen Ebenen zu Biodiversität signifikant teilweise insignifikant BMU, BMVBS BMZ, BMWi, BMELV, BMVg,

BMBF, BMIBMG

Fazit Schlüsselindikator 8: Vertikale PolitikintegrationIn Biodiversitätsfragen wird der EU von den Befragten eine relativ hohe Rele-vanz zugesprochen, während der Einfluss der UN als deutlich geringer erlebt wird. Die Zusammenarbeit mit den Bundesländern in biodiversitätspolitischen Fragen ergibt sich aus der Zuständigkeit für Naturschutz, die im Grundgesetz geregelt ist und die den Ländern einen entscheidenden Einfluss in dieser Frage zusichert. Insofern verwundert es nicht, dass fast alle Ministerien von einer „signifikanten“ oder zumindest doch „teilweisen“ Zusammenarbeit mit den Bundesländern in Biodiversitätsfragen berichten.

5.1.9 Schlüsselindikator 9: Biodiversitätsverständnis Politikfelder + Gründe für Biodiversitätskrise + Lösung Biodiversitätskrise Der Schlüsselindikator zum „Biodiversitätsverständnis“ geht der Frage nach, welche Politikfelder von den Akteuren der biologischen Vielfalt zugerechnet werden und wie sich aus ihrer Sicht die Krise der Biodiversität begründet. Auf diese Weise soll hervorgehoben werden, welche Bereiche in den Ministerien als biodiversitätsrelevant wahrgenommen werden. Zu dieser Übersicht sollen auch Aussagen beitragen, wie man die Krise der Biodiversität zu lösen gedenkt.

5.1.9.1 PolitikfelderDefinition Indikator Der Indikator „Politikfelder“ beinhaltet Antworten auf die Frage, welche Politik-felder als bedeutend angesehen werden, wenn es um die Adressierung der biolo-gischen Vielfalt geht. Das Ergebnis soll Aussagen darüber ermöglichen, welche Prioritäten die einzelnen Ministerien sehen. Aussagen können auf spezifische Politikfelder abzielen, sie können aber auch durch die Nennung einer großen Bandbreite verschiedener Politikbereiche bereits einen Hinweis darauf ermögli-chen, ob und inwiefern Biodiversität als ein Querschnittsthema verstanden wird, bei dem eine Vielzahl von politischen Themenfeldern bearbeitet werden muss, um zu einem effektiven Biodiversitätsschutz zu gelangen.

Kategorien Die Bewertungsstufen entfallen, da es sich um eine Übersicht über die genann-ten Politikfelder durch Akteure in den unterschiedlichen Ministerien handelt.

Ergebnis Von den Befragten in den Ministerien werden verschiedene Politikfelder genannt, die für die Biodiversität von Bedeutung sind. Mit der Landwirtschaftspolitik (Nennungen in 8 Ministerien), dem Naturschutz und der Flächeninanspruch-nahme bzw. Landnutzung (je 4 Nennungen) werden insbesondere diejenigen Politikbereiche mehrfach genannt, die traditionell eher mit Biodiversität in Verbindung gebracht werden. Bezüge zur Wirtschafts-, Handels-, Finanz-, For-schungs- oder Klimapolitik (je eine Nennung) werden nur vereinzelt hergestellt.Eine besonders große Bandbreite an Politikfeldern, die mit Biodiversität in Ver-bindung gebracht werden, wird vom BMU identifiziert. Auffällig ist, dass das AA Politikfelder nennt, die nicht unmittelbar mit Biodiversität zu assoziieren sind, wie etwa organisierte Kriminalität/Terrorismus oder Handelspolitik. Für den internationalen Biodiversitätsschutz wird die Entwicklungspolitik von 2 Ministerien als relevant genannt.

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Indikator: PolitikfelderFlächeninanspruch-nahme/Landnutzung

Wirtschaft Naturschutz (Schutz-gebiete, Flächen aus der Nutzung etc.)

Bundesministerien BMELV, BMU, BMVBS, BMWi

BMU BMELV, BMG, BMF, BMU

Indikator: PolitikfelderLandwirtschaftspolitik (Forst, Agrar, Fischerei …)

Andere

AA, BMELV, BMG, BMI, BMU, BMVBS, BMVg, BMZ

Außenpolitik (BMU), Bildungspolitik/Forschungspolitik (BMZ, BMU), Energie (BMU, BMI), Entwicklungspolitik (BMU, AA), Finanzpolitik (BMU), Forschung (BMELV), Handelspolitik (AA), Klimapolitik (AA, BMF), Mensch-Natur-Verhältnis (AA), organisierte Kriminalität/Terrorismus (AA), Urbanisierung (AA), Verbraucherschutz (BMF), Verkehr (BMU)

5.1.9.2 Gründe für die Biodiversitätskrise Definition Indikator Der Indikator „Gründe für die Krise der Biodiversität“ zielt darauf ab, genauer zu bestimmen, welche Gründe für die Biodiversitätskrise von den Befragten identi-fiziert werden. Daraus ergeben sich Hinweise auf die Politikfelder, die aus Sicht der Ministerien bearbeitet werden müssten, um Biodiversitätsschutz effektiv zu betreiben. Darüber hinaus sollen unterschiedliche Problemwahrnehmungen zwischen den Ministerien und ggf. bestimmte Muster identifiziert werden. Dies erlaubt Interpretationen dahingehend, wie umfassend die Einflussfaktoren auf Biodiversität wahrgenommen werden.

Kategorien Es wurde eine Übersicht über die genannten Gründe für die Biodiversitätskrise erstellt.

Ergebnis Die „Flächennutzung“ und im Allgemeinen die „menschliche Nutzung“, zu der auch insbesondere Emissionen und Verschmutzungen zählen (5 bzw. 6 Nennun-gen), wurden am häufigsten genannt. Auch der „Verkehr“ und die „Landwirtschaft bzw. landwirtschaftliche Intensivierung“ wurden von verschiedenen Gesprächs-partnern angeführt (je 3 Nennungen). Bei der landwirtschaftlichen Intensivierung ist darauf hinzuweisen, dass dieses Problemfeld einerseits als ein historisches, andererseits als ein noch aktuell andauerndes Problem gesehen wird.

„Wirtschaftspolitik“ wird mehrfach als Grund genannt (3 Nennungen), aller-dings wird auf das „ökonomische System“ selbst (2), das Thema „Wachstum“ (1) und die Priorisierung der Ökonomie vor dem Biodiversitätsschutz (1) nur verein-zelt hingewiesen.

Als Treiber des Biodiversitätsverlustes werden demnach vorwiegend bestimmte Flächennutzungen betont (direkte Gründe). Auch individuelle Gründe wie Kon-summuster (2 Nennungen) und strukturelle Gründe (2 Nennungen) des Wirt-schafts- und Gesellschaftssystems werden genannt.

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Die globale Krise der Biodiversität wird insbesondere mit Bevölkerungswachs-tum und schlechter Regierungsführung in Verbindung gebracht.Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die einzelnen Kategorien nicht feststehend sind, sondern teilweise ineinanderfließen, wie beispielsweise der Flächen verbrauch und die agrarische Intensivierung oder die Zerschneidungs-wirkung von Verkehrsträgern (Straße oder Schiene).

Indikator: Gründe für die Biodiversitätskrise Flächennutzung (dazu zählen auch Flächenzerschnei-dung und Bebauung)

menschliche Nutzung (auch: Emissionen, Verschmutzung)

Bevölkerungswachs-tum(bezogen auf die internationale Ebene)

Bundesministerien BMBF (9), BMELV (3), BMU (12, 13, 16), BMVBS (11), BMWi (1)

BMBF (9), BMELV (6), BMF (14), BMU (16), BMVBS (11), BMZ (18)

AA (5), BMU (12, 16), BMVg (7), BMZ (18)

Indikator: Gründe für die Biodiversitätskriseschlechte Regierungsführung (Bad Governance)(bezogen auf die internationale Ebene)

Landwirtschaft bzw. landwirtschaftli-che Intensivierung

Konsum-muster

BMU (12, 13) AA (5), BMELV (3, 6), BMU (13) AA (5), BMU (12)

Indikator: Gründe für die Biodiversitätskrise

fehlendes Bewusstsein Wirtschaftspolitik VerkehrBMU (12), BMZ (8), BMELV (13), BMU (13),

BMVg (7)BMVBS (11), BMVg (7), BMU (13)

Indikator: Gründe für die Biodiversitätskriseanderesgeringere finanzielle Mittel durch Verschuldung der Staaten (BMU 13), Marktversagen (BMELV 3), inkohärente Politiken (AA 5), invasive Arten (BMELV 6), ökonomische Belange im Vordergrund (BMI 15), öko-nomisches System (BMBF 9, BMU 16), Wachstum (BMU 12)

5.1.9.3 Lösungen der BiodiversitätsproblematikDefinition Indikator Lösungsvorschläge und -präferenzen für ein komplexes Thema wie Biodiver-sität können verschiedene politische Maßnahmen in mehreren Themenfeldern umfassen. Bestimmte Präferenzen für Lösungen der Biodiversitätsproblematik resultieren oft aus den sehr spezifischen Erfahrungen mit und aus dem eigenen Arbeitsbereich. Die identifizierten Präferenzen für Lösungen können Hinweise

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darauf geben, welche politisch-inhaltlichen Vorstellungen bei den Befragten vorherrschen und welche nicht.

Der Indikator „Lösungen der Biodiversitätsproblematik“ geht somit der Frage nach, welche politischen Lösungsvarianten der Biodiversitätsproblematik aus Sicht der Befragten anzustreben oder sinnvoll sind. Daraus können sich Hinwei-se auf neue Initiativen, Maßnahmen und politische Aktivitäten ergeben.

KategorienDa es sich hier um einen informatorischen Indikator handelt, wurden qualitative Kategorien gebildet.

ErgebnisWelche Lösungsvorschläge zur Verbesserung der Biodiversitätspolitik werden von den Befragten präferiert? Durch die offene Fragestellung gibt es Antworten zu verschiedenen Politikbereichen und diversen Handlungsebenen. Da unter-schiedliche inhaltliche und administrative Ebenen benannt sind, gibt es weder eine inhaltliche noch prozedurale Vergleichbarkeit der Antworten. Es können folgende Präferenzen herausgestellt werden:

1. Inwertsetzung (ökonomische Argumentation), (10 Interviews in 5 Ministerien). Im Mittelpunkt dieses Lösungsweges steht die Idee der ökonomischen Bewer-tung und Wertzuschreibung der Natur. Dabei wird den von ihr erbrachten öko-systemaren Leistungen ein monetärer Wert zugeordnet und teilweise in Preise übersetzt.

2. Umweg über Internationalisierung (6 Interviews in 4 Ministerien). Der Vor-schlag umfasst die Überlegung und Erfahrung, auf internationaler Ebene (etwa die EU) Standards zu setzen, die dann für Deutschland verbindlich werden und hinter die sowohl Politik als auch Verwaltung nicht mehr zurückfallen können.

3. Konsum- und Verhaltensänderung auf individueller Ebene (6 Interviews in 4 Ministerien). Aufbauend auf mehr Bewusstseinsbildung wird dies als lang-fristige Lösung angesehen.

4. Gesetzliche und politische Vorgaben (4 Interviews in 4 Ministerien). Es wer-den gesetzliche und politische Vorgaben vorgeschlagen, damit die Bundesmi-nisterien entsprechende Umsetzungen vornehmen können. Solange gesetzliche Vorgaben als Handlungsvorgabe für die Verwaltung fehlen, kann sie nicht tätig werden.

5. Einsatz von Führungspersonen (3 Interviews in 3 Ministerien). Dies wird als nicht zu unterschätzender Beitrag zur Verbesserung der Biodiversitätspolitik betrachtet.

Die Mehrzahl der Befragten sieht in der Einbeziehung des ökonomischen Argu-ments einen Ansatz zu besserer Biodiversitätspolitik. Über die ökonomische Inwertsetzung mit marktwirtschaftlichen Methoden werden Chancen zur Ver- besserung gesehen.

An zweiter Stelle wird mit dem Umweg über die Internationalisierung ein Weg genannt, der die Ergebnisse der Biodiversitätspolitik verbessern helfen soll. Diese Strategie hat in den letzten Jahrzehnten erfahrungsgemäß einige Erfolge gebracht, insbesondere mit Hilfe EU-rechtlicher Bestimmungen.

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An dritter Stelle stehen individuelle Faktoren wie Konsum- und Verhaltens-änderungen.

Die an vierter Stelle genannte Verbesserung über politische und ordnungsrecht-liche Steuerungsinstrumente mag zunächst wie ein Plädoyer für Ordnungsrecht wirken. Es dürfte aber eher um verwaltungstechnische Vorgaben und Regularien gehen, die auf die Regelgebundenheit von Ministerien verweisen. Am Schluss der Liste häufig genannter Punkte steht der notwendige Einsatz von Führungspersonal.

Die Frage der Gesellschaftsorganisation wurde hingegen nur ein einziges Mal genannt.

Indikator: Lösungen der BiodiversitätsproblematikInwertsetzung (ökonomische Argumentation)

Umweg über Interna-tionalisierung

Konsumverände-rung/Verhalten

gesetzliche und politische Vorgaben müssen erfolgen

10 Interviews in 5 Ministerien

6 Interviews in 4 Ministerien

6 Interviews in 4 Ministerien

4 Interviews in 4 Ministerien

Indikator: Lösungen der BiodiversitätsproblematikEinsatz Führungs-personen

Anderes

3 Interviews in 3 Ministerien

Bioenergie, CO2-Reduktion/Energiewende, gesellschaftliche Strukturen, Regiona-lisierung/regionales Wirtschaften(je 1 Interview in 1 Ministerium)

Fazit Schlüsselindikator 9: Biodiversitätsverständnis Als entscheidende Felder der Biodiversitätspolitik werden von den Befragten jene Bereiche gesehen, die naheliegend mit Biodiversität im Zusammenhang stehen (z. B. Landwirtschaft, Naturschutz, Flächennutzung). Bei der Frage nach den Gründen für die Biodiversitätskrise stehen mit der „Flächennutzung“, der „menschlichen Nutzung allgemein“ oder „Landwirtschaft/landwirtschaftliche Intensivierung“ (Verschmutzung) die gleichen Themenbereiche im Vordergrund. Umgekehrt werden Bezüge zur Wirtschafts-, Handels- oder Finanzpolitik fast überhaupt nicht hergestellt, wie auch Wirtschaftspolitik oder das ökonomische System selbst bei den verursachenden Gründen nicht genannt werden.

Demgegenüber wird bei den Lösungsmöglichkeiten öfter das ökonomische Argument im Sinne einer Inwertsetzung genannt, die auch monetäre Werte der biologischen Vielfalt zugeordnet. Befürwortet wird, dass mit der Wertzuschrei-bung auch eine Einpreisung einhergehen soll.

5.1.10 Schlüsselindikator 10: Kooperation und KoordinationKooperation der Ressorts + Engagement der Ressorts + Bedeutung der IMADer Schlüsselindikator „Kooperation und Koordination“ beschäftigt sich mit der Einschätzung der Kooperationsbeziehungen zwischen den Ministerien in Biodiversitätsfragen und nach der Einschätzung des Engagements verschiedener Ministerien. Darüber hinaus wird eruiert, inwiefern die biodiversitätsrelevanten Politiken der verschiedenen Ministerien in der „Interministeriellen Arbeitsgrup-pe Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ tatsächlich koordiniert werden.

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5.1.10.1 Kooperation der RessortsDefinition IndikatorDer Indikator „Kooperation der Ressorts“ soll verdeutlichen, welche Ressorts in Biodiversitätsfragen besonders eng und positiv kooperieren bzw. in welchen es an Kooperation fehlt. Die Übersicht über die unterschiedlichen Qualitäten und Einordnungen der Kooperation zwischen den Ministerien soll das Geflecht der Kooperationsbeziehungen aufzeigen. So wird ersichtlich, wo und wie inhaltliche Allianzen und Divergenzen bestehen und wo die Schaffung inhaltlicher Konver-genzen und verstärkter Abstimmungen notwendig ist, um zu einer kohärenten Biodiversitätspolitik für die gesamte Bundesregierung zu gelangen. Dies hätte vor allem Konsequenzen für die Umsetzung der Nationalen Biodiversitätsstrate-gie. Denn, dass es sie gibt, bedeutet nicht, dass man ihrer Strategie folgt.

KategorienBei der Auswertung der Aussagen werden 3 Kategorien gebildet:

» „positiv“, wenn die Kooperationsbeziehungen in Biodiversitätsfragen durch die Gesprächspartner explizit als durchgehend positiv, eine Kongruenz der Interessen benannt bzw. eine Interessenähnlichkeit beschrieben wird oder wenn dies aus dem Gespräch gefolgert werden kann,

» „teilweise“, wenn die Kooperationsbeziehungen in Biodiversitätsfragen durch die Gesprächspartner explizit als mit positiven und negativen Punkten beschrie- ben werden oder wenn dies aus dem Gespräch gefolgert werden kann. Auch wenn eine Zusammenarbeit weder als positiv noch als negativ erwähnt wird, erfolgt eine Einordnung in diese Kategorie.

» „negativ“, wenn die Kooperationsbeziehungen in Biodiversitätsfragen durch die Gesprächspartner überwiegend als konfliktträchtig bezeichnet werden bzw. man sich keiner/kaum positiver Kooperationen erinnert und die negativen Punkte überwiegen oder wenn dies aus dem Gespräch gefolgert werden kann.

ErgebnisBesonders häufig wird von den Gesprächspartnern eine positive Kooperation mit dem BMU genannt (Nennungen in 6 Ministerien bei 9 Interviews). Öfter werden auch positive Kooperationen mit dem BMZ (3 Ministerien/3 Interviews) und dem BMELV (2 Ministerien/2 Interviews) genannt. Allerdings verfügt keines der Ministerien über ausschließlich positive Beziehungen zum BMWi. Schwierige bzw. negative Kooperationsbeziehungen in Biodiversitätsfragen werden eher gegenüber dem BMWi (3 Ministerien/4 Interviews) und dem BMELV (1 Minis-terium/2 Interviews) angeführt. Bei diesem Ergebnis ist anzumerken, dass sich nicht alle Ministerien zu ihrer Einschätzung hinsichtlich der Qualität der Zusam- menarbeit mit anderen Ministerien geäußert haben und von einigen Interview-partnern diesbezüglich große Zurückhaltung zu erkennen war.

Indikator: Kooperation der Ressortspositiv mit teilweise mit negativ mit BMU = Nennungen in 6 Ministerien/9 InterviewsBMZ = 3/3BMELV = 2/2 AA = 1/2BMBF = 1/1BMG = 1/1

BMELV = 7/7BMVBS = 3/4BMU = 4/5BMWi = 4/4BMBF = 3/3AA = 2/2BMI = 1/1BMF = 1/1

BMELV = 1/2 BMWi = 3/4BMVBS = 1/1BMJ = 1/1BMG = 1/1

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5.1.10.2 Engagement der RessortsDefinition IndikatorDer Indikator „Engagement der Ressorts“ soll zeigen, welche Ressorts von ande-ren Ministerien als besonders engagiert in Biodiversitätsfragen angesehen bzw. welche als weniger engagiert wahrgenommen werden. Die Sicht, die einzelne Mi-nisterien auf andere Ressorts haben, soll mögliche Konflikte im Themenbereich Biodiversität verstehen helfen. Der Indikator weist auf mögliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer kohärenten Biodiversitätspolitik hin sowie auf eventu-elle Hindernisse bei der Zusammenarbeit der Ressorts.

KategorienRessorts wurden als „weniger engagiert“ eingruppiert, wenn sie von den jewei-ligen Gesprächspartnern entweder explizit als weniger engagiert bzw. als brem-sende Ressorts benannt wurden oder wenn sich deren Rolle aus den Schilderun-gen der Zusammenarbeit mit anderen Ministerien implizit als weniger engagiert bzw. als bremsend darstellt. Als „besonders engagierte“ Ressorts wurden solche eingruppiert, die von den jeweiligen Gesprächspartnern entweder explizit als be-sonders engagiert benannt wurden oder deren Rolle sich aus den Schilderungen der Zusammenarbeit mit anderen Ministerien implizit als besonders engagiert darstellt.

ErgebnisDas BMU wurde am häufigsten als „besonders engagiert“ benannt (von 7 Inter-viewten aus 4 anderen Ressorts). Dieses Ergebnis überrascht kaum, da diese Einstellung von dem federführenden Ressort erwartet werden kann. Dem BMZ, dem BMBF und dem BMVg attestierte je ein Interviewter aus dem BMU ebenfalls besonderes Engagement für Biodiversität. Hier gibt es sehr positive Erfahrungen in den Arbeitsbeziehungen der Ministerien untereinander. Die mehr wirtschafts- und nutzerorientierten Ressorts werden grundsätzlich eher als weniger engagiert für Biodiversität eingeschätzt. Das BMWi wird von 5 Interviewten aus 4 Ressorts, das BMELV von 5 Interviewten aus 3 Ministerien und das BMVBS von 2 Inter-viewten aus zwei Ministerien in dieser Weise beschrieben.

Für diesen Indikator ist anzumerken, dass bei einigen Interviewten eine große Zurückhaltung zu erkennen war, was die persönliche Einschätzung anderer Ministerien betrifft. Dennoch wurde deutlich, dass sich in der Bundesregierung grundsätzlich zwei verschiedene Gruppen von Ministerien gegenüberstehen, wenn es um Biodiversitätsthemen geht.

Indikator: Besonders engagierte und weniger engagierte RessortsEinstufungen besonders engagiert weniger engagiertMinisterien, die genannt wurden

BMU (7 Interviews, 4 Ministerien) BMVg (1/1) BMZ (1/1)BMBF (1/1)

BMWi (5 Interviews, 4 Ministerien)BMELV (5/3)BMVBS (2/2)BMJ (1/1)BMG (1/1)

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5.1.10.3 Bedeutung der Interministeriellen ArbeitsgruppeBiodiversitätsstrategie (IMA) Definition IndikatorDer Indikator „Bedeutung IMA“ soll analysieren, inwiefern die Interministeriel-le Arbeitsgruppe „Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ (IMA NBS) von den Akteuren als wirklich bedeutendes Arbeits- und Koordina-tionsgremium angesehen wird. Die IMA wurde 2010 als Gremium eingerichtet, um die Zusammenarbeit und den Austausch von verschiedenen Ministerien bei der Umsetzung der Ziele und Maßnahmen der Nationalen Strategie zur biolo-gischen Vielfalt zu fördern und die ressortspezifischen Aktivitäten zu koordi-nieren. Der IMA NBS gehören BMU, BMAS, BMBF, BMELV, BMF, BMG, BMI, BMVBS, BMVg, BMWi und BMZ an, nicht vertreten sind AA, BMJ, Bundeskanz-leramt und BMFJSF. Als konkrete Aufgaben der IMA NBS werden aufgeführt: „… die Umsetzung der NBS in den einzelnen Ministerien voranzutreiben, die Umsetzung und Priorisierung der Ziele und Maßnahmen der NBS in den ein-zelnen Ministerien zu koordinieren, die laufenden Leuchtturmprojekte der NBS zu fördern und neue Leuchtturmprojekte des Bundes zur Umsetzung der NBS zu entwickeln, die Kommunikation der Aktivitäten der einzelnen Ministerien durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen.28“ Mit dem Indikator „Bedeutung IMA“ wird versucht nachzuvollziehen, inwiefern sich aus der Sicht der beteilig-ten Ministerien die beabsichtigte Bedeutung auch in der Realität widerspiegelt. Die Bedeutung der IMA ist vor dem Hintergrund wichtig, dass allein die Exis-tenz der Nationalen Biodiversitätsstrategie nicht bereits bedeutet, dass es auch einen gemeinsamen inhaltlichen Ansatz aller beteiligten politisch-administrati-ven Akteure gibt und dass dem beabsichtigten strategischen Ansatz tatsächlich gefolgt wird. Es kann durchaus sein, dass jedes Ministerium in die Strategie lediglich bestimmte „passende“ Punkte aus seinem Bereich einbringt, ohne dass tatsächlich eine strategische Ausrichtung auf ein Ziel hin erfolgt.

BewertungsstufenBei der Auswertung sind zwei Aspekte berücksichtigt: Zum einen wurde nach der Bedeutung der IMA NBS gefragt, und zwar insbesondere für die eigene Ar-beit bzw. den eigenen Arbeitsbereich. Zum anderen wurde untersucht, inwiefern die IMA NBS als tatsächliches Koordinationsgremium für die Biodiversitäts-politik der Bundesregierung wahrgenommen oder ob sie eher als ein Gremium des Informationsaustausches gesehen wird.

In die Rubrik mit „signifikanter Bedeutung“ fielen Ministerien, wenn die Ge-sprächspartner der IMA NBS explizit grundsätzlich oder für den eigenen Ar-beitsbereich eine hohe und positive Bedeutung zuschrieben oder dies aus den Aussagen der Gesprächspartner gefolgert werden konnte. Äußerten sich die Ge-sprächspartner grundsätzlich positiv zur IMA als Einrichtung, schilderten je-doch deutliche Probleme (z. B. Bürokratie) oder eine veränderte Bedeutung, etwa während der Entwicklung der NBS und nach ihrer Verabschiedung, wurde eine „teilweise Bedeutung“ zugeordnet. Wurde die IMA als wenig förderlich, grund-sätzlich oder für den eigenen Arbeitsbereich als wenig bedeutungsvoll beschrie-ben, wurde diese Aussage in die Rubrik „insignifikante Bedeutung“ eingestuft. Des Weiteren wurden die Aussagen in die beiden Kategorien „eher koordinierend“ oder „eher informatorisch“ gruppiert, wenn entweder die Koordinationsfunktion der IMA betont oder der Informationsaustausch zwischen den Ministerien, z. B. über laufende oder geplante biodiversitätsrelevante Projekte, genannt wurde.

28 www.biologischevielfalt.de

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Auf die konkrete Nennung der Ministerien wurde verzichtet, um die Bewertun-gen der IMA anonym zu halten.

ErgebnisDie Bedeutung der IMA NBS wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. In den Fällen, in denen sich zur Bedeutung der IMA geäußert wurde, kann Folgendes festgestellt werden:

» In 5 Gesprächen in 5 Ministerien wird der IMA eine signifikante Bedeutung zugemessen (31,25 % der Gespräche).

» In 7 Gesprächen in 7 Ministerien wird der IMA eine mittlere Bedeutung attestiert (43,75 % der Gespräche)

» In 4 Gesprächen in 4 Ministerien wird von einer geringen Bedeutung berichtet (25 % der Gespräche).

Interessant ist die unterschiedliche persönliche Bewertung der IMA in den Mi-nisterien: In einem Ministerium attestierte ein Gesprächspartner der IMA bei-spielsweise eine signifikante Bedeutung, während ein anderer von einer geringen Bedeutung sprach (unterschiedliche Interpretationen der Gesprächspartner in einem Ministerium fanden mithin „teilweise“ statt).

Insgesamt fällt die Zufriedenheit mit der IMA geringer aus, als dies mit der Ein-richtung wahrscheinlich beabsichtigt war. Nur aus einem Drittel aller Äußerun-gen lässt sich eine große Bedeutung der IMA folgern, während zwei Drittel der IMA lediglich eine mittlere bis geringe Bedeutung zumessen.

Erfüllt die IMA ihren Auftrag als Koordinationsgremium, wie es in der Aufga-benbeschreibung dargelegt ist? Lediglich in 5 Gesprächen in 5 Ministerien wird von einer mehr oder minder ausgeprägten Koordinierungsfunktion berichtet, während in 7 Gesprächen in 6 Ministerien der informatorische Charakter der IMA NBS hervorgehoben wird. Angesichts dieser Rückmeldungen erscheint die Bedeutung und Wirkung der IMA NBS als Koordinationsgremium der Bundes-regierung zur Umsetzung des Nationalen Biodiversitätsstrategie sehr begrenzt. Eine konstruktive Koordination der Biodiversitätsaktivitäten der gesamten Bun-desregierung kann so kaum sichergestellt werden. Viele der beteiligten Minis-terien betrachten die IMA mehr als Informationsbörse denn als effektives und strategisches Koordinationsinstrument.

Was bereits in einer Untersuchung zur Integration von Nachhaltigkeit in den politisch-administrativen Prozess konstatiert werden musste (Heinrichs & Laws 2012), lässt sich auch für den Bereich der Biodiversität beobachten: In einigen Ministerien kann ein Vernetzungsdenken, das eine klare Koordination der Poli-tiken über die Ministeriumsgrenzen hinaus zum Ziel hat, nicht festgestellt wer-den. Das sogenannte Ressortprinzip, bei dem in den Ministerien die Vorstellung verbreitet ist, dass sich jedes Ministerium lediglich um seinen Fachbereich küm-mern müsste, damit sich eine positive Gesamtwirkung – entweder für Nach-haltigkeit insgesamt oder etwa für Biodiversität als ein Teilaspekt von Nachhal-tigkeit – einstellt, kam in mehreren Gesprächen zum Vorschein (Interview B, Interview E, Interview L). Nötig erscheint demgegenüber die Betrachtung der Wirkungen von Biodiversität auf unterschiedliche Fachbereiche und die Betrach-tung der Wirkungen (Politiken) der unterschiedlichen Fachbereiche auf Bio-diversität – und damit verbunden eine entsprechende Koordinierungspraxis, die

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über die der IMA zugeschriebenen Koordinierungspraxis hinausgeht. Zu beden-ken ist dabei auch, dass viele politische Maßnahmen , die zunächst einmal nicht mit Biodiversität und Biodiversitätswirkung in Zusammenhang gebracht werden und deswegen nicht Teil der IMA-Tagesordnungen sind, entscheidende Einflüsse auf die Gesamtsituation der Biodiversität (Rahmenbedingungen für Biodiversi-tätsentwicklung) wie auch direkte Auswirkungen auf diese haben können.

Indikator: Bedeutung IMAEinstufungen signifikant

(große Bedeutung)teilweise insignifikant

(geringe Bedeutung)Bundesministerien 5 Interviews/

5 Ministerien7 Interviews/ 7 Ministerien

4 Interviews/ 4 Ministerien

Indikator: Bedeutung IMA – informatorisch oder koordinierend? Einstufungen eher informatorisch eher koordinierendBundesministerien 7 Interviews/6 Ministerien 5 Interviews/5 Ministerien

Fazit Schlüsselindikator 10: Kooperation und Koordination Das BMU wird am häufigsten erwähnt, wenn es um eine positive Kooperation in Biodiversitätsfragen geht, gefolgt vom BMZ. Das BMU wird auch als dasjenige Mi-nisterium mit dem höchsten Engagement für das Thema genannt. Dagegen wurde das BMWi bei Kooperationsbeziehungen nicht positiv erwähnt, sondern stand an der Spitze der Nennungen problematischer Kooperationsbeziehungen wie es auch an der Spitze der Nennungen der als wenig engagierten Ministerien lag. Die Bedeutung der IMA von den Gesprächspartnern sehr unterschiedlich, aber mit einer leicht positiven Tendenz eingeschätzt. Bei der Frage, ob sie eher ein tatsächlich koordinierendes Gremium oder aber ein Gremium der gegenseitigen Information ist, geht der Trend in Richtung Informationsinstrument.

5.1.11 Schlüsselindikator 11: Bedeutung von BiodiversitätThemenkonkurrenzDer Schlüsselindikator „Bedeutung von Biodiversität“ untersucht, welches Ge-wicht Biodiversität innerhalb der Themenkonkurrenz in den jeweiligen Ministe-rien einnimmt.

5.1.11.1 Themenkonkurrenz innerhalb des MinisteriumsDefinition IndikatorDer Indikator „Themenkonkurrenz“ fragt, welche Stellung das Politikfeld Bio-diversität im politisch-administrativen Geschehen einnimmt und an welcher Position es zwischen den anderen Themenfeldern, die miteinander in Kon-kurrenz stehen, von den Akteuren für den jeweiligen Geschäftsbereich ihres Ministeriums verortet wird.

BewertungsstufenEine Zuordnung in „signifikant“ wurde vorgenommen, wenn die Gesprächspart-ner explizit berichteten oder aus dem Gespräch hervorging, dass dem Themen-feld Biodiversität eine hohe Bedeutung in der täglichen Arbeit zugemessen wird bzw. es im Vergleich mit anderen Themenfeldern, die im Ministerium behandelt werden, eine hohe Bedeutung hat. Eine Zuordnung in die Kategorie „teilweise“ wurde gewählt, wenn die Gesprächspartner explizit berichteten oder aus dem Gespräch hervorging, dass Biodiversität ein Thema unter vielen ist, ihm aber

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keine hohe Bedeutung in der Themenkonkurrenz des Ministeriums zugemessen wird. In die Rubrik „insignifikant“ fielen Antworten, wenn die Gesprächspartner explizit berichteten oder aus dem Gespräch hervorging, dass dem Themenfeld Biodiversität keine hohe Bedeutung innerhalb des Themenspektrums des jewei-ligen Ministeriums zugemessen wird.

ErgebnisLediglich im BMZ kann eine hohe Bedeutung von Biodiversität in der Themen-konkurrenz festgestellt werden (Kategorie „signifikant“), während 7 der befrag- ten Ministerien in die Kategorie „teilweise“ eingeordnet sind (AA, BMBF, BMELV, BMG, BMU, BMVBS, BMWi). In 3 Ministerien kann nur eine Eingruppierung in die Kategorie „insignifikant“ erfolgen (BMF, BMI, BMVg). Anhand dieser Ergebnisse wird deutlich, dass Biodiversität als Thema in der Mehrzahl der Bundesministerien keine wichtige Rolle spielt und in der Themen-konkurrenz von untergeordneter Bedeutung ist. Biodiversität wird in den meis-ten Ministerien zwar als eines von vielen Themen behandelt, hat es aber schwer, sich gegenüber anderen politischen Themen zu profilieren. Dies ist offensichtlich auch im zuständigen BMU der Fall.

Hinsichtlich der Bewertung der Aussagen der Interviewpartner muss darauf hingewiesen werden, dass es immer um den relativen Status von Biodiversität innerhalb des Themenspektrums eines bestimmten Ministeriums ging. Auf-grund dieser Betrachtung konnte es beispielsweise vorkommen, dass das BMU wegen der Aussagen der Gesprächspartner in „teilweise“ eingeordnet wurde (die Energiewende oder Fragen des Klimaschutzes wurden von Gesprächspartnern teilweise als Themen angegeben, die Biodiversität überlagern), obwohl es eine grundsätzlich bedeutendere Rolle im Bereich der Biodiversität spielt als etwa im BMWi, das ebenfalls in dieser Gruppe eingruppiert wurde. Das BMVg wurde zwar in die Rubrik mit geringer Bedeutung (Insignifikanz) eingeordnet, dennoch hat es eine sehr aktive Abteilung, die sich um Biodiversitätsschutz auf den eige-nen Liegenschaften (Truppenübungsplätze) intensiv kümmert.

Indikator: Themenkonkurrenz Einstufungen: signifikant

(hohe Bedeutung)teilweise insignifikant

(geringe Bedeutung)Ministerien: BMZ AA, BMBF, BMELV,

BMG, BMU, BMVBS, BMWi

BMF, BMI, BMVg

Fazit Schlüsselindikator 11: Bedeutung von Biodiversität Innerhalb der Themenkonkurrenz der jeweiligen Ministerien erscheint Biodiver-sität als ein Thema, das es schwer hat, sich gegenüber anderen zu profilieren oder gar durchzusetzen. In den meisten Ministerien konnte nur eine eingeschränkte Bedeutung festgestellt werden. Nur in einem Ministerium (BMZ) hat Biodiversi-tät eine hohe Bedeutung.

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5.2 Ergebnisse LegislativeDie Schlüsselindikatoren und die einzelnen Teilindikatoren für die Befragung der Legislative sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengestellt. Die jewei-lige Ausgestaltung und Bedeutung der Indikatoren wird in den entsprechenden Kapiteln näher erläutert.

Tabelle 2: Übersicht des Indikatorensystems für die

Legislative

Schlüsselindikator Teilindikator 1 Teilindikator 2 Teilindikator 31 Strategische Planung Machtfaktor2 Der individuelle Faktor Biodiversität und

Personal entwicklung Biodiversität und Führungs personen

3 Policy-Steuerung Wahl der Policy-Instrumente Biodiversität als Begründung

4 Umsetzung von Bio diversitätspolitik

Umsetzungsprobleme

5 Wahrnehmung von Zielkonflikten

Zielkonflikte von Politikfeldern

Zielkonflikte im eigenen Haus

Zielkonflikte kurz- und langfristig

6 Kooperation mit der Zivilgesellschaft

Kooperation mit nicht staatlichen Akteuren

gemeinsame Bewertungsgremien

Einflussnahme von Dritten auf die Biodiversitätspolitik

7 Vertikale Politik-integration

Berücksichtigung von sub nationalen Ebenen

8 Biodiversitäts-verständnis

Politikfelder Gründe für die Biodiversitätskrise

Lösungen der Biodiversitätskrise

9 Kooperation und Koordination

Bedeutung des Bundestags

10 Bedeutung von Bio diversität

Themen konkurrenz

Bei den Schlüsselindikatoren, die in der Legislative nur durch einen einzelnen Indikator abgedeckt werden, findet keine zusätzliche Bewertung des Schlüssel-indikators statt.

5.2.1 Schlüsselindikator 1: Strategische PlanungMachtfaktorBei der Untersuchung zur Integration von Biodiversität im Bereich der strate-gischen Planung steht die Frage im Vordergrund, inwiefern Biodiversität einen Machtfaktor darstellt.

5.2.1.1 Indikator: Machtfaktor Definition Indikator Spielt bei der politischen Förderung der Biodiversität die Erweiterung der eige-nen Machtbasis eine zusätzliche Rolle? Kann man mit dem Thema überhaupt Überzeugungsarbeit leisten oder fehlt es ihm an Kraft/Bedeutung, sodass es als Machtfaktor unbrauchbar ist? Der Indikator „Machtfaktor“ fragt deshalb, ob Biodiversität strategisch eingesetzt wird bzw. ihr eine potenzielle Wirkung zugeschrieben wird, die eigene Macht, den eigenen Einfluss als Fraktion oder Partei zu stärken. Auch wird untersucht, ob Biodiversität als Kommunikations-mittel genutzt wird, um Politikvorstellungen der eigenen Fraktion/Partei besser vermitteln oder sogar durchsetzen zu können. Der Umgang mit Biodiversität in diesem Zusammenhang weist darauf hin, inwiefern Biodiversität als ein wichti-ges Thema und Kommunikationsinstrument angesehen wird, mit dem politische Prozesse beeinflusst werden können oder ob Biodiversität als Vehikel zur Macht-steigerung der eigenen Fraktion/Partei genutzt werden kann. Es wird analysiert, ob die Machtdimension von Biodiversität Eingang in die Interaktion mit exter-

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nen Akteuren gefunden hat und ob durch die Nutzung des Themas Biodiversität eigene Vorstellungen besser auf der Agenda platziert werden können. Bewertungsstufen Biodiversität wurde als „signifikanter“ bzw. „genutzter“ Machtfaktor eingeord-net, wenn aus den Ausführungen der Gesprächspartner gefolgert werden konnte bzw. sie explizit erwähnt haben, dass Biodiversität als Thema in der Kommu-nikation mit anderen Akteuren innerhalb oder außerhalb der eigenen Partei/Fraktion als Machtfaktor im oben beschriebenen Sinne genutzt wurde, wenn durch die Nutzung des Themas Biodiversität Sachaspekte auf der politischen Agenda verankert werden sollten bzw. wenn auf diese Weise die eigene politi-sche Stellung aufgewertet werden sollte oder wenn das Thema Biodiversität als grundsätzlich durchgehend positiv und förderlich in der politischen oder organi-satorischen Kommunikation angesehen wurde.

Wenn solche Bestrebungen nur hin und wieder stattfanden oder in den Argu-mentations- und Kommunikationsprozess nur einbezogen wurden, um verein-zelt Themen auf der politischen Agenda zu verankern oder besser durchzusetzen bzw. die Machtbasis der eigenen Organisationseinheit dadurch zu verbessern oder keine einheitliche Intention oder Nutzenzuschreibung festgestellt wurde, erfolgte eine Einordnung in „teilweise“ bzw. „teilweise genutzt“. Auch die Nutzung von Biodiversität als zusätzlicher Kommunikationsrahmen, um bestimmte Sach-themen zu orchestrieren, führte zur Einordnung in diese Gruppe. Wird das Thema selten oder nicht genutzt – etwa weil es als kontraproduktiv angesehen wurde –, führte dies zur Bewertung „insignifikant“ bzw. „kaum ge-nutzt“.

Ergebnis Biodiversität wird von keiner Partei so eingeschätzt, dass die Thematik als sig-nifikanter Machtfaktor genutzt werden kann. Biodiversität wird in allen Fällen kaum eine Wirkung als Machtfaktor zugeschrieben. Daraus kann gefolgert wer-den, dass Biodiversität eine zu geringe politische Bedeutung aufweist, als dass dieses Thema als Machtfaktor oder Kommunikationsvehikel eingesetzt werden würde. Es lässt sich ebenfalls folgern, dass Biodiversität als Begriff nicht positiv genug besetzt ist, um zur Machtsteigerung genutzt zu werden. Im Gegenteil – in einem Gespräch wurde sogar darauf hingewiesen, dass die Begriffe „Biodiversi-tät“ bzw. „Naturschutz“ problematisch seien, da sie mit „Verhinderung“ assozi-iert werden (Interview Z).

Indikator: Machtfaktor signifikant(genutzt)

teilweise(teilweise genutzt)

insignifikant(kaum genutzt)

Fraktionen B’90/Die Grünen, CDU/CSU, Die Linke, SPD

5.2.2 Schlüsselindikator 2: Der individuelle FaktorBiodiversität und Personalentwicklung + Biodiversität und FührungspersonenDie Analyse des individuellen Faktors bezieht sich insbesondere auf die Fragen, inwiefern Biodiversität als Thema in der Personalentwicklung eine Rolle spielt und ob sich Entscheidungsträger für das Thema einsetzen.

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5.2.2.1 Biodiversität und PersonalentwicklungDefinition IndikatorDer Indikator „Personalentwicklung und Biodiversität“ fragt, ob den Mitarbei-tern in den jeweiligen Fraktionen die grundlegende Bedeutung von Biodiver-sität und deren Implikationen vermittelt werden, zu denen auch die Langfrist-orientierung und die Interdependenzen der verschiedenen Politikfelder gehören. Das könnte beispielsweise über Fortbildungen und Workshops geschehen. Da Biodiversität als ein Teilbereich von Nachhaltigkeit anzusehen ist, geht es ins-besondere um die Verankerung von Wirkungszusammenhängen, die mehrere Dimensionen der Nachhaltigkeit betreffen. Es geht zudem um die Bedeutung von Biodiversität für die eigenen Fachgebiete und umgekehrt der Fachgebiete auf Biodiversität.

KategorienBiodiversität in der Personalentwicklung wurde als „vorhanden“ eingeordnet, wenn nach Angaben der Gesprächspartner in der Fraktion Fortbildungen expli-zit zum Thema Biodiversität angeboten werden, deren Ziel es ist, das Wissen um Interdependenzen von Biodiversität mit verschiedenen Nachhaltigkeitsdimensi-onen und/oder Wirkzusammenhängen zu fördern. Finden keine Fortbildungen zum Thema Biodiversität statt, wurde die Eingruppierung in „nicht vorhanden“ gewählt. Wissen die Befragten nichts von derartigen Fortbildungen, kann eben-falls davon ausgegangen werden, dass keine Fortbildungen angeboten werden.

ErgebnisMit Ausnahme bei der Fraktion B’90/Die Grünen spielt Biodiversität bei der Personalentwicklung in den Fraktionen des Deutschen Bundestages keine Rolle. Dieses Ergebnis weist auf die geringe Bedeutung hin, die dem Thema insgesamt eingeräumt wird.

Indikator: Personalentwicklung und BiodiversitätVorhanden nicht vorhandenB’90/Die Grünen CDU/CSU, Die Linke, FDP, SPD

5.2.2.2 Biodiversität und Führungspersonen Definition IndikatorDer Indikator „Biodiversität und Führungspersonen“ soll analysieren, ob es nach Ansicht der Gesprächspartner Führungspersönlichkeiten in Fraktion und Par-tei gibt, die sich im politischen Prozess besonders für dieses Thema einsetzen. Dabei geht es vor allem um die Hierarchieebenen Partei- und Fraktionsvorsit-zende und -geschäftsführer sowie die jeweiligen Stellvertreter. Hintergrund ist, dass Biodiversität des Einsatzes von Führungspersönlichkeiten bedarf, um im politisch-administrativen Tagesgeschäft auf der Agenda platziert, überhaupt wahrgenommen und vorangetrieben zu werden. Es gibt immer wieder „starke Persönlichkeiten“, die biodiversitätsbezogene Themen auf die öffentliche Agenda setzen oder in den politisch-administrativen Prozess einspeisen und damit ent-scheidend dazu beitragen, dass diese Aufgaben profiliert werden.

BewertungsstufenDer Einsatz von Führungspersonen wurde als „signifikant“ eingeordnet, wenn Gesprächspartner darauf hinweisen, dass Führungspersonen sich kontinuierlich und mit großem Engagement für Biodiversität einsetzen und es befördern wollen – oder dies aus den Aussagen der Gesprächspartner geschlossen werden konnte. Ein „teilweiser“ Einsatz wurde angenommen, wenn Führungspersonen das The-ma auf der Agenda haben, vereinzelt oder anlassbezogen nachfragen oder sich

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sporadisch für das Thema einsetzen. Auch wenn keine genauere Spezifikation erfolgte, wurde eine Einordnung in diese Kategorie vorgenommen. Die Kategorie „Insignifikanz“ wurde gewählt, wenn Führungspersonen das Thema nicht aktiv vorantreiben, Nachfragen unterbleiben und sich für das Thema bzw. Teilbereiche des Themas nicht aktiv einsetzen.

ErgebnisDas Führungspersonal in den Fraktionen ist durchaus am Thema Biodiversität interessiert, und so gibt es keine Ausführungen, die zu einer Einordnung in die Kategorie „Insignifikanz“ berechtigen würde. Allerdings setzen sich Führungs-personen auch nicht kontinuierlich und engagiert für Biodiversität ein, sodass sämtliche Eingruppierungen in der mittleren Gruppe zu finden sind. Die Einstu-fungen in diese Kategorie bedeuten hingegen nicht, dass es keine Abstufungen innerhalb dieser Kategorie geben würde. Aus den Gesprächen ergibt sich, dass sich das Führungspersonal bei B’90/Die Grünen deutlich stärker für das Thema einsetzt, während es bei der CDU/CSU ein geringeres Engagement gibt. Insge-samt wird deutlich, dass Biodiversität nicht als Toppriorität und Profilierungs-thema des Führungspersonals gesehen wird.

Indikator: Führungspersönlichkeitensignifikanter Einsatz teilweiser Einsatz insignifikanter Einsatz

B’90/Die Grünen, CDU/CSU, Die Linke, FDP, SPD

Fazit Schlüsselindikator 1: Der individuelle Faktor Das individuelle Engagement für Biodiversität ist stark unterentwickelt. Weder wird das Thema in besonderer Weise von Führungspersonen befördert, noch werden in den Fraktionen/Parteien Mitarbeiter in Biodiversitätsfragen und ihren Implikationen geschult, um auf diese Weise die Belange der Biodiversität stärker in die eigene Arbeit einfließen lassen zu können. Damit wird – von Aus-nahmen abgesehen – nicht ausreichend von den Möglichkeiten einer verstärkten Förderung der Beschäftigung mit Biodiversität und ihrer Etablierung auf der politischen Agenda Gebrauch gemacht.

5.2.3 Schlüsselindikator 3: Policy-SteuerungWahl der Policy-Instrumente + Biodiversität als BegründungBeim Indikator „Policy-Steuerung“ geht es um die Frage, welche Instrumente bei der Bearbeitung des Themas Biodiversität präferiert und ob politische Initiati-ven und Maßnahmen mit Biodiversitätserfordernissen begründet werden.

5.2.3.1 Wahl der Policy-Instrumente und Umsetzungsmöglichkeiten Definition IndikatorDer Indikator „Wahl der Policy-Instrumente“ fragt, welche Instrumente in der Biodiversitätspolitik bevorzugt werden. Es kommen ordnungsrechtlich-regula-tive, marktwirtschaftliche, informatorische und fördernde Instrumente infrage. Es wird davon ausgegangen, dass von den im Bundestag vertretenen Fraktionen/Parteien grundsätzlich alle 4 Kategorien in Erwägungen gezogen werden. Inte-ressant ist die Frage, ob von den handelnden Akteuren bestimmte Instrumente bevorzugt werden oder ob ein klarer Instrumentenmix bei der Wahl der Mittel beobachtet werden kann.

Kategorien Zwei Aspekte wurden abgefragt: zum einen, welche Instrumente von den Befrag-ten präferiert wurden (Instrumentenpräferenz). Entsprechende Einordnungen

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wurden vorgenommen, wenn die Gesprächspartner bestimmte Instrumente explizit als von ihnen präferiert benannten oder wenn sich eine solche Bevor-zugung aus ihren Aussagen erschloss.

Zum zweiten erfolgte eine Zuordnung in die Gruppe „Instrumentenmix“, wenn mindestens informatorische und marktwirtschaftliche (oder fördernde) und ordnungsrechtliche Instrumente in ihrer Kombination gleichberechtigt genannt wurden.

ErgebnisDas Ergebnis zeigt, dass viele der Befragten verschiedene Instrumente in ihre politischen Überlegungen einbeziehen und somit einen Mix bevorzugen. Es wurde eine ganze Bandbreite von Instrumenten genannt, die als wichtig anzuse-hen sind. Insbesondere aus den Antworten von B’90/Die Grünen und SPD lässt sich ablesen, dass ein Nebeneinander der Instrumente von großer Bedeutung ist. Auf bestimmte Instrumente und deren Bedeutung wird von den Beteiligten besonders eingegangen. So wird etwa bei B’90/Die Grünen darauf hingewiesen, dass marktwirtschaftliche Instrumente nicht ausreichen und in ihrer positiven Biodiversitätswirkung begrenzt bleiben müssen bzw. keine regulativen Vorga-ben ersetzen können. Der Gesprächspartner der CDU/CSU wies ebenfalls auf die Bedeutung des Ordnungsrechts hin und merkte an, dass er sich marktwirt-schaftliche Instrumente nicht vorstellen könne. Auch im Gespräch mit dem Interviewpartner aus der SPD wurde die Bedeutung des Ordnungsrechts betont und auf die Notwendigkeit einer Renaissance des Denkens zur Schaffung von ordnungsrechtlichen Rahmen hingewiesen. Allerdings stellt sich die Frage, in-wiefern die Beteiligten mit einem Ordnungsrechtfokus weniger an alle mit Bio-diversität verbundenen Implikationen oder mehr an den Naturschutz im engeren Sinne gedacht haben. Bei der FDP hingegen wurde das Ordnungsrecht zwar ebenfalls genannt, aber mit dem Hinweis verbunden, dass man damit nicht alle Aufgaben lösen könne und daher zusätzlich marktwirtschaftliche Anreizsysteme geschaffen werden müssten.

Vieles weist darauf hin, dass die Biodiversitätspolitiker der Parteien größere und andere Handlungsnotwendigkeiten in diesem Themenbereich sehen und daher bestimmte Instrumentenpräferenzen erkennen lassen, als dies andere Fachpoli-tiker ihrer Parteien womöglich beurteilen.

Fast alle Beteiligten hoben die hohe Bedeutung des informatorischen Instru-ments hervor und betonten die Notwendigkeit intensiver Kommunikation und von der Vermittlung des Themas (ein Gesprächspartner sprach davon, das The-ma „nordkurvenfähig“ zu machen, Interview Ä).

Indikator: Instrumentenpräferenzeher Instrumen-tenmix

eher Förderung eher informato-risch

eher marktwirt-schaftlich

eher Ordnungs-recht

B’90/Die Grünen, SPD

B’90/Die Grünen, SPD, FDP

B’90/Die Grü-nen, CDU/CSU, FDP, SPD

FDP B’90/Die Grünen, CDU/CSU, Die Linke, SPD

5.2.3.2 Biodiversität als Begründung IndikatorDer Indikator „Biodiversität als Begründung“ fragt danach, ob Gesetzesvorhaben oder andere Maßnahmen explizit mit Biodiversitätserfordernissen begründet

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werden. Gesetze oder andere Vorhaben müssen mit fachpolitischen Erforder-nissen begründet werden und diese Begründungen verdeutlichen die jeweiligen Prioritäten der sie entwerfenden, bearbeitenden oder einbringenden Institutio-nen und Akteure (Ministerien, Parteien, Fraktionen). In der Untersuchung stan-den insbesondere die Begründungen durch die handelnden Akteure selbst im Vordergrund und weniger die tatsächlichen Gesetzestexte. Auf diese Weise ist es möglich, die Intentionen und die mit den Gesetzesvorhaben durch die Akteure selbst gewünschten Lenkungswirkungen zu beschreiben.

BewertungsstufenDer Biodiversitätsbezug bei Vorhaben wurde als „signifikant“ gekennzeichnet, wenn der Gesprächspartner der Biodiversität explizit eine bedeutende Rolle bei der Begründung von Vorhaben und Maßnahmen der jeweiligen Fraktion in einem Großteil der Politikfelder und Arbeitsgebiete zugesprochen hat oder dies aus den Aussagen der Gesprächspartner gefolgert werden konnte. In die mittlere Gruppe „teilweise“ fielen Aussagen dann, wenn der Gesprächspartner Biodiver-sität explizit eine grundsätzlich eingeschränkte Bedeutung bei der Begründung von Vorhaben und Maßnahmen der jeweiligen Fraktion zugesprochen hat oder wenn er ihr als Begründung lediglich eine Bedeutung in Teilbereichen oder auf spezifischen Fachgebieten zuordnete oder wenn dies aus den Aussagen der Ge-sprächspartner gefolgert werden konnte. Auch wenn die Biodiversität betreffen-den Maßnahmen und Gesetze nur teilweise mit Biodiversität begründet werden, sondern primär mit anderen fachlichen Begründungen, wurde die Aussage die-ser Gruppe zugeordnet. Die Kategorie „Insignifikant“ wurde gewählt, wenn der Gesprächspartner der Biodiversität explizit eine niedrige Bedeutung bei der Be-gründung von Vorhaben und Maßnahmen der jeweiligen Fraktionen zurechnete – oder dies aus den Aussagen des Gesprächspartners gefolgert werden konnte. Auch eine grundsätzlich geringe Nutzung in Teilbereichen führte zu einer Ein-ordnung in diese Kategorie.

ErgebnisEine hohe Bedeutung von Biodiversität als Begründung von Vorhaben und Maßnahmen konnte in keiner Fraktion festgestellt werden. In zwei Fraktionen (B‘90/Die Grünen, Die Linke) wurden Maßnahmen und Initiativen teilweise mit Bio diversität begründet. In anderen Fraktionen wurde eine äußerst geringe Nutzung eingeräumt (CDU/CSU, SPD), und bei der FDP war eine Einordnung der Antwort nicht möglich.

Indikator: Biodiversität als BegründungEinstufungen signifikant teilweise insignifikantFraktionen B‘90/Die Grünen,

Die LinkeCDU/CSU, SPD

Fazit Schlüsselindikator 2: Policy-Steuerung Das Ergebnis dieses Indikators verdeutlicht, dass im Bereich der Policy-Steue-rung die Fraktionen Biodiversität als Begründung von Initiativen und Maßnah-men nur sehr begrenzt nutzen. In der Anwendung von Policy-Instrumenten gibt es eine Präferenz für den Instrumentenmix. Neben ordnungsrechtlichen, fördern- den und marktwirtschaftlichen Instrumenten wird die Information über Biodi-versität als besonders bedeutend und sinnvoll angesehen. Die Parteien/Fraktio-nen neigen dazu, verschiedene Schwerpunkte zu setzen.

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5.2.4 Schlüsselindikator 4: Umsetzung von BiodiversitätspolitikUmsetzungsprobleme Bei der „Umsetzung von Biodiversitätspolitik“ stellt sich die Frage, welche kon-kreten Umsetzungsprobleme die Akteure erkennen und identifizieren.

5.2.4.1 UmsetzungsproblemeDefinition Indikator Wichtig ist die Frage, was einer effektiven Biodiversitätspolitik entgegensteht. Der Indikator der „Umsetzungsprobleme“ widmet sich deshalb der Ursachen-forschung, welche Umsetzungsprobleme und Schwierigkeiten aus Sicht der Bio-diversitätspolitiker bei der täglichen Arbeit, mit Kollegen oder im Politikbereich allgemein auftreten. Durch die Liste an Umsetzungsproblemen in der Praxis kön-nen Ansatzpunkte identifiziert werden, um Biodiversitätspolitik zu verbessern.

KategorienDa es sich hier um einen informatorischen Indikator handelt, wurden lediglich Einordnungskategorien gebildet. Für diesen Indikator wurden offene Fragen formuliert, woraus die Vielzahl an Antworten resultiert.

ErgebnisIn Bezug auf Umsetzungsprobleme einer effektiven Biodiversitätspolitik wurden folgende Themen häufiger genannt:

» Tagesaktualität/Zeit für das Thema. Von allen Parteien wird darauf hingewie-sen, dass unter dem Druck des Tagesgeschehens, die Zeit, die für das Thema Biodiversität erbracht werden kann, zu gering ist. Die Agenda wird oft von anderen Themen bestimmt, und Biodiversität rutscht in der Priorität nach hinten (B’90/Die Grünen, CDU/CSU, Die Linke, FDP, SPD).

» Mangelndes Verständnis von Biodiversität/Wissen um Biodiversität. Thema-tisiert wird geringes Wissen um die Bedeutung von biologischer Vielfalt an sich und das sich daraus ergebende mangelnde Verständnis für notwendige politische Aktivitäten, etwa bei Kollegen oder anderen Politikern (B’90/Die Grünen, FDP, SPD).

» Geringe Bedeutung in der Bevölkerung als einem der wichtigsten Parameter, auf die Politik reagiert (B’90/Die Grünen, Die Linke, SPD).

Andere Problemfelder, wie etwa die „Abstraktheit des Themas“, „ungenügende Finanzmittel“ oder „mangelnde Personalausstattung“ wurden jeweils einmal genannt.

Indikator: UmsetzungsproblemeTagesaktualität, Zeit für das Thema

mangelndes Verständnis von Biodiversität/Wissen um Biodiversität (etwa bei Kollegen/anderen Politikern)

(mangelnde) Personalgröße

geringe Bedeutung in der Bevölkerung(das, worauf Politik reagiert)

B’90/Die Grünen, CDU/CSU, Die Linke, FDP, SPD

B’90/Die Grünen, FDP, SPD

B’90/Die Grünen B’90/Die Grünen, SPD, Die Linke

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Indikator: UmsetzungsproblemeAbstraktheit/Kom-plexität des Themas

mangelnde Evaluati-onskapazitäten

Klientelpolitik anderes

SPD B’90/Die Grünen Die Linke mangelnde Finanzmittel (FDP), Governance-Struk-turen/International (FDP), individuelle Anspruchshaltung (FDP)

Fazit Schlüsselindikator 4: Umsetzung von BiodiversitätspolitikAus Sicht der Befragten ist das größte Hindernis einer effektiven Beschäftigung mit dem Thema Biodiversität im politisch-legislativen Raum die Tatsache, dass die Thematik im Tagesgeschäft durch andere Themen verdrängt oder überlagert wird bzw. Zeitmangel existiert, um sich dem Thema angemessen zu widmen. Die Kombination mit dem mangelnden Verständnis für und dem geringen Wissen um das Thema bei Kollegen und anderen Politikern erschwert wesentlich eine stärkere politische Behandlung. Auch die von einigen befragten Politikern wahr-genommene geringe Bedeutung des Themas in der Bevölkerung führt dazu, dass nicht genügend Druck auf die Politik ausgeübt wird, damit die Parteien sich damit beschäftigen und entsprechend agieren.

5.2.5 Schlüsselindikator 5: Wahrnehmung von ZielkonfliktenZielkonflikte Politikfelder + Zielkonflikte im eigenen Haus + Zielkonflikte kurz- und langfristig

Der Schlüsselindikator „Zielkonflikte“ analysiert, ob zwischen Biodiversitäts-politik und anderen Politikfeldern Zielkonflikte gesehen, ob innerhalb der eige-nen Fraktion Konflikte bezogen auf Biodiversitätsthemen beobachtet und ob Zielkonflikte zwischen kurzfristigen Erfordernissen und langfristigen Biodiver-sitätsnotwendigkeiten benannt werden.

5.2.5.1 Zielkonflikte mit anderen PolitikfeldernDefinition IndikatorDer Indikator „Zielkonflikte Politikfelder“ geht der Frage nach, ob aus Sicht der Akteure Zielkonflikte zwischen Biodiversität und anderen Politikfeldern beste-hen bzw. ob aus Sicht der Befragten von anderen Akteuren solche Zielkonflikte gesehen werden. Die Antwort ist bedeutsam, wenn es um die Einschätzung der Möglichkeiten und Hindernisse einer effektiven Adressierung der Biodiversitäts-problematik geht. Das Wissen um bestehende Zielkonflikte im eigenen Umfeld gibt einen deutlichen Hinweis darauf, dass solche Konflikte einer intensiven politischen Beschäftigung bedürfen, um sie aufzulösen.

KategorienDie Antworten wurden in zwei Kategorien eingruppiert: eine Einordnung in „Zielkonflikte vorhanden“ wurde vorgenommen, wenn von den Gesprächspart-nern explizit berichtet wurde, dass entweder aus ihrer Perspektive oder aus der Perspektive anderer Politiker Zielkonflikte zwischen Biodiversität und weiteren Politikfeldern vorhanden sind bzw. dies aus ihren Aussagen gefolgert werden konnte. Die Eingruppierung in „keine Zielkonflikte vorhanden“ wurde gewählt, wenn von den Gesprächspartnern berichtet wurde, dass aus ihrer Perspektive keine Zielkonflikte zwischen Biodiversität und weiteren Politikfeldern existie-ren oder diese aus der Perspektive anderer Politiker bestehen bzw. dies aus den Aussagen gefolgert werden konnte.

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Die verschiedenen Zielkonflikte, die genannt wurden, sind nach Themen auf-geschlüsselt.

ErgebnisAlle befragten Politiker der verschiedenen Fraktionen berichten von selbst be-obachteten oder von anderen Politakteuren wahrgenommenen Zielkonflikten zwischen Biodiversität und anderen Politikfeldern. Es gab keine Aussage, die Konflikte verneinte. Von den zahlreichen Politikbereichen, die als Konflikt-felder identifiziert wurden, treten insbesondere „Wirtschaft und Biodiversität“ (4 Nennungen), „Landwirtschaft und Biodiversität“ (3 Nennungen) sowie „Flä-chennutzung und Biodiversität“ (je 2 Nennungen) hervor. Damit sind diejenigen Politikfelder analysiert, die besonders konfliktträchtig sind und der politischen Aufmerksamkeit und Lösung bedürfen. Auch im Bereich der Legislative ist bei der Nennung „Wirtschaft und Biodiversität“ nicht notwendigerweise der Zusam-menhang mit dem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem gemeint.

Indikator: Zielkonflikte: andere Politikfeldervorhanden nicht vorhandenB’90/Die Grünen, CDU/CSU, Die Linke, FDP, SPD

Genannte KonfliktfelderWirtschaft und Biodiversität Flächennutzung (Besiede-

lung, Flächenzerschnei-dung, Bauten …)

nah und fern

B’90/Die Grünen, CDU/CSU, Die Linke, SPD

CDU/CSU, FDP CDU/CSU

Genannte Konfliktfelder Agrar Energie und

BiodiversitätSoziales nah und fern

CDU/CSU, FDP, SPD

B’90/Die Grünen, CDU/CSU

Die Linke CDU/CSU

5.2.5.2 Zielkonflikte im eigenen HausDefinition IndikatorDer Indikator „Zielkonflikte im eigenen Haus“ untersucht, inwiefern auch inner-halb der Fraktionen/Parteien Zielkonflikte bzw. unterschiedliche Auffassungen zwischen biodiversitätspolitischen Themen und anderen politischen Aufgaben bestehen. Die Beobachtung solch konkurrierender Auffassungen kann Aussagen über die tatsächlichen Umsetzungschancen von biodiversitätspolitischen Maß-nahmenvorschlägen ermöglichen. Bei Zielkonflikten und divergierenden Auf-fassungen kann die Effektivität angestrebter Biodiversitätswirkungen negativ betroffen sein. Auch können gegenläufige Auffassungen und Prioritätensetzun-gen die Effektivität biodiversitätspolitischer Arbeitsprozesse behindern und das Erreichen von Zielen erschweren. Falls keine Zielkonflikte bestehen, so bedeutet dies nicht, dass eine progressive Biodiversitätspolitik betrieben wird. Eine Frak-tion kann theoretisch auch konsistent in ihren Zielvorstellungen und Mitteln sein und dennoch eine schädliche Politik für die Biodiversität betreiben.

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BewertungsstufenFür diesen Indikator wurden zwei Bewertungskategorien definiert. Die Einord-nung in „Zielkonflikte vorhanden“ erfolgte, wenn Gesprächspartner explizit über divergierende Auffassungen zu biodiversitätsrelevanten Themen in der Fraktion berichteten oder sich diese implizit aus den Schilderungen über Arbeitsabläufe ergaben. Keine bzw. marginale Zielkonflikte werden angenommen, sobald keine explizit divergierenden Auffassungen zu biodiversitätsrelevanten Themen genannt wurden oder sich dieser Sachverhalt implizit aus den Schilderungen ergab.

ErgebnisBiodiversität ist ein politisches Themenfeld, dem in allen Fraktionen zwar eine gewisse Bedeutung eingeräumt wird, das man jedoch als etwas betrachtet, das mit anderen Politikfeldern in Konflikt steht. Diese unterschiedlichen Auffassun-gen existieren etwa zwischen Wirtschafts- und Umwelt-/Biodiversitätspolitikern (Interviews CDU/CSU, SPD) oder auch bezogen auf soziale Themen, die in Zwei-felsfällen in der Wertigkeit vorangestellt werden (Die Linke). In einem Interview wurde auf Meinungsforscher hingewiesen, die der Ansicht seien, dass man in den Parteien und Fraktionen keinen politischen Vorteil im Sinne von Stimmen-zuwächsen mit dem Thema Biodiversität zu erwarten habe. Diese Argumentati-on verfängt in der Fraktionsführung durchaus (Interview Ä). Insgesamt verdeut-licht das Ergebnis dieses Indikators, dass Zielkonflikte zwischen dem Politikfeld Biodiversität und anderen Politikbereichen, insbesondere Wirtschaft und öko-nomische Entwicklung, in hohem Maße bestehen und auch so von Akteuren der Fraktionen und Parteien beobachtet werden.

Indikator: Zielkonflikte im eigenen Hausbestehen nicht vorhandenB’90/Die Grünen, CDU/CSU, Die Linke, FDP, SPD

5.2.5.3 Zielkonflikte kurz- und langfristigDefinition IndikatorDer Indikator „Zielkonflikte kurz- und langfristig“ geht der Frage nach, inwie-fern im Umgang mit dem Thema Biodiversität Zielkonflikte innerhalb der Zeit-dimensionen gesehen werden und welcher Umgang durch die Akteure erfolgt, wenn ein solcher Zielkonflikt konstatiert wird. Hier steht im Mittelpunkt, ob von den Akteuren kurzfristige Notwendigkeiten, etwa aufgrund des politischen Tagesgeschäfts, und langfristige Erfordernisse der Biodiversität erkannt werden. Die Wahrnehmung von Zielkonflikten zwischen Kurz- und Langfristigkeit soll Auskunft darüber geben, inwiefern politischer Handlungsbedarf besteht, wenn es um eine effiziente und auf Dauer angelegte Biodiversitätspolitik geht.

KategorienEine Einordnung in „Zielkonflikte vorhanden“ wurde vorgenommen, wenn die Gesprächspartner explizit berichteten, dass aus ihrer Perspektive Zielkonflikte zwischen kurzfristigen Erfordernissen entweder im eignen Tätigkeitsbereich bzw. der täglichen Arbeit und den langfristen Anforderungen der Biodiversität gesehen werden bzw. dies aus ihren Aussagen gefolgert werden konnte. Auch das Berichten von Abwägungen zwischen kurz- und langfristigen Aspekten führte zu einer Eingruppierung in diese Kategorie. Wenn von den Gesprächspartnern berichtet wurde oder aus den Gesprächen geschlossen werden konnte, dass aus ihrer Perspektive keine Zielkonflikte zwischen Kurz- und Langfristigkeit beste-hen bzw. dies aus den Aussagen gefolgert werden konnte, dann wurde eine Ein-ordnung in „keine Zielkonflikte vorhanden“ vorgenommen.

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Ergebnis Grundsätzlich ist ein Bewusstsein um Zielkonflikte in der Zeitdimension vor-handen. Es geht dabei vor allem um das Spannungsverhältnis zwischen der tagesaktuellen Behandlung von Themen, den langfristigen Wirkungen der eige-nen Arbeit sowie den langfristigen Erfordernissen einer effektiven Biodiversi-tätspolitik. In zwei Gesprächen wurden insbesondere diese Aspekte besonders hervorgehoben bzw. problematisiert (B’90/Die Grünen, SPD). In einem Gespräch wurde berichtet, dass aus Sicht des Interviewten gerade Umweltpolitiker erleben müssen, dass die langfristigen Folgen politischer Entscheidungen nur eine un-tergeordnete Rolle in Entscheidungen der Fraktionen spielen (Interview Ä). In einem anderen Interview wurde als Bewältigungsstrategie und Reaktion auf das Wissen um die Zielkonflikte in der Zeitdimension eine Priorisierung bestimm-ter politischer Vorhaben genannt, allerdings müsste man diesen Konflikt auch häufig verdrängen (Interview Z). Die Versuche, eine mehr strategische Planung durch Berücksichtigung langfristiger Politikfolgen und eine stärkere Orientie-rung an den langfristigen Erfordernissen der Biodiversität zu etablieren, stellen eine besondere Herausforderung dar.

Die Aussagen der CDU/CSU konnten nicht bewertet werden bzw. ließen keine klare Interpretation zu.

Indikator: Zielkonflikte: Kurz- und Langfristigkeitvorhanden/werden bejaht nicht vorhanden/werden verneintB’90/Die Grünen, Die Linke, FDP, SPD

Fazit Schlüsselindikator 5: Wahrnehmung von ZielkonfliktenVon den Befragten in den Fraktionen werden Zielkonflikte zwischen Biodiver-sität und anderen Politikbereichen auf unterschiedlichen Ebenen beobachtet. Grundsätzliche Zielkonflikte zwischen anderen Politikfeldern und Biodiversität sind in allen Fraktionen gegeben. Dabei stechen „Wirtschaft und Biodiversität“ sowie „Landwirtschaft und Biodiversität“ hervor. Bei den wahrgenommenen Zielkonflikten im Bereich „Wirtschaft und Biodiversität“ standen primär Spannungsverhältnisse von wirtschaftlicher Nutzung (z. B. Flächenverbrauch) und Biodiversität und weniger die grundsätzliche Frage der Wirtschaftssystem-organisation in ihrem Zusammenhang mit der Wirkung auf Biodiversität im Vordergrund (und wenn solche Zusammenhänge hergestellt wurden, dann eher durch SPD, B’90/Die Grünen, Die Linke).

Deutlich ist auch, dass von allen Gesprächspartnern über Zielkonflikte zu bio-diversitätspolitischen Themen innerhalb der eigenen Fraktionen berichtet wird. Zielkonflikte in der Zeitdimension, nämlich zwischen kurzfristigen Notwendigkei-ten und langfristigen biodiversitätspolitischen Erfordernissen, werden ebenfalls von allen Gesprächspartnern aufgeführt, die sich dazu geäußert haben. Aus diesen Teilaspekten wird deutlich, dass Biodiversität als ein Politikfeld mit einem hohen Konfliktpotenzial in unterschiedlichen Kontexten wahrgenommen wird.

5.2.6 Schlüsselindikator 6: Kooperation mit der ZivilgesellschaftKooperation mit nicht staatlichen Akteuren + gemeinsame Bewertungsgremien + Einflussnahme von Dritten auf Biodiversitätspolitik

Der Schlüsselindikator „Kooperation mit der Zivilgesellschaft“ untersucht die Intensität der Zusammenarbeit mit nicht staatlichen Akteuren und inwiefern Gremien zur gemeinsamen Bewertung und Weiterentwicklung der Biodiversi-tätspolitik der Fraktionen/Parteien existieren und genutzt werden. Zudem wird

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gefragt, inwiefern von Dritten versucht wird, Einfluss auf Biodiversitätspolitik der Parteien/Fraktionen auszuüben.

5.2.6.1 Kooperation mit nicht staatlichen AkteurenDefinition IndikatorDer Indikator „Kooperation mit nicht staatlichen Akteuren“ fragt, inwiefern das Ziel der Akteursbeteiligung erfüllt wird. Ist es das Anliegen der Fraktionen/Par-teien und gelingt es, eine möglichst große Bandbreite an Akteuren zu beteiligen, wenn es um Fragen der Biodiversitätspolitik geht? Eine stärkere Mitwirkung kann zu breiterer Akzeptanz bei den Betroffenen, zu besserem gegenseitigen Verständnis und der Integration von zusätzlichem Wissen für die Zielformulie-rung und den Weg zur Zielerreichung in den Fraktionen/Parteien beitragen.

KategorienJe nach Angaben der Gesprächspartner wurden verschiedene Akteursgruppen identifiziert.

ErgebnisBei den nicht staatlichen Akteuren, mit denen die in den Fraktionen für Bio-diversitätsfragen zuständigen Abgeordneten kooperieren, stehen die Umwelt-verbände an vorderster Stelle. Alle Fraktionen arbeiten mit ihnen zusammen. Auch Vertreter aus Wissenschaft und Forschung spielen bei 3 Parteien eine Rolle (B’90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP). Auffällig ist, dass ökonomische Akteure nicht und auch Nutzerverbände lediglich einmal (FDP) genannt werden.

Indikator: Zusammenarbeit mit nicht staatlichen AkteurenNutzerverbände (z. B. Bauern-verband)

Umwelt-verbände

Wirtschaft Wissenschaft + Forschung

andere zivilge-sellschaftliche Akteure(z. B. Kirchen, Sozialverbände)

FDP B’90/Die Grünen, CDU/CSU, Die Linke, FDP, SPD

B’90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP

B’90/Die Grü-nen, Die Linke

5.2.6.2 Gemeinsame Bewertungs- und BeratungsgremienDefinition IndikatorDer Indikator „Gemeinsame Bewertungs- und Beratungsgremien“ soll angeben, ob gesellschaftliche Akteure nicht nur im Austauschprozess mit Parteien und Fraktionen stehen, sondern ob sie darüber hinaus auch an der Formulierung von grundsätzlichen Biodiversitätszielen der Parteien und Fraktionen – mehr oder weniger institutionalisiert – beteiligt werden. Ganz konkret: Gibt es gemeinsame Beratungs- oder Bewertungsgremien von Fraktionen und zivilgesellschaftlichen Akteuren mit dem Ziel der Weiterentwicklung und Festlegung von Zielen der jeweiligen Biodiversitätspolitik.

KategorienEs wurde eine Einordnung in die Rubrik „vorhanden“ vorgenommen, wenn aus dem Gespräch hervorging, dass gemeinsame Beratungsgremien mit der Zivil-gesellschaft eine Rolle spielen.

ErgebnisLediglich bei B’90/Die Grünen wurden solche gemeinsamen Beratungsgremien genannt. Die anderen Parteienvertreter äußerten sich nicht zu dieser Frage.

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Indikator: gemeinsame Bewertungsgremien mit der ZivilgesellschaftvorhandenB’ 90/Die Grünen

5.2.6.3 Einflussnahme von Dritten auf die BiodiversitätspolitikDefinition IndikatorDer Indikator „Einflussnahme von interessierten Dritten“ soll einen Einblick in die Intensität von Einflussnahmeversuchen in biodiversitätspolitischen Fragen auf die Fraktionen/Parteien ermöglichen. Es gilt die Frage zu beantworten, ob Biodiversität als politisches Thema mittlerweile eine derartige Bedeutung erlang hat, dass Einflussnahmeversuche auf politische Akteure in der täglichen Praxis erfolgen. Dadurch können Aussagen dazu getroffen werden, ob bestimmte Lob-bygruppen dem Thema eine derart hohe politische Bedeutung beimessen, sodass sie sich in diesen Fragen an Biodiversitätspolitiker wenden. Es wird auch deut-lich, welche Interessengruppen welchen Fraktionen eine Bedeutung beimessen.

KategorienEntsprechend den Aussagen der Gesprächspartner wurden Einordnungen in die verschiedenen Akteursgruppen vorgenommen.

ErgebnisBiodiversitätspolitiker aller Parteien werden insbesondere von Umweltverbänden oder Vertretern aus der Zivilgesellschaft mit Umweltbezug (z. B. Bürgerinitiati-ven) angesprochen. Nutzerverbände und Akteure aus der Wirtschaft werden nur bei den Biodiversitätspolitikern der bürgerlichen Parteien bzw. den Parteien der Regierungskoalition vorstellig (CDU/CSU, FDP). Hier dürfte die größere Einfluss-möglichkeit, die den Regierungsfraktionen zugeschrieben wurde, von besonderer Bedeutung gewesen sein. Eventuell kann auch eine angenommene oder tatsäch-liche politische Nähe eine Rolle spielen. In einem Gespräch wurde darauf hinge-wiesen, dass die Einflussnahmeversuche von den Nutzerverbänden bzw. Akteu-ren aus der Wirtschaft dann beginnen, wenn angenommen wird, dass Maßnah-men zum Biodiversitätsschutz ökonomische Tätigkeiten behindern (CDU/CSU).

Indikator: Einflussnahmeversuche insbesondere durch …Akteure aus Ökologie/Zivilgesell-

schaft Wirtschaft Nutzerverbände

Anzahl 4 2 2Fraktionen B’90/Die Grünen,

CDU/CSU, FDP, SPD

CDU/CSU, FDP CDU/CSU, FDP

Fazit Schlüsselindikator 6: Kooperation mit der ZivilgesellschaftDie Kooperation von Fraktionen/Parteien in biodiversitätspolitischen Themen ist besonders ausgeprägt mit Akteuren aus dem Umweltschutzbereich, gefolgt von dem Austausch mit Experten aus der Wissenschaft. Akteure aus der Wirt-schaft spielen eine geringe Rolle. Bei den Beratungsgremien wurde nur in einer Fraktion festgestellt, dass diese in die Weiterentwicklung der eigenen Biodiversi-tätspolitik integriert sind; die anderen Fraktionen äußerten sich nicht dazu. Biodiversitätspolitiker aller Parteien werden insbesondere von Umweltverbän-den oder Vertretern aus der Zivilgesellschaft mit Umweltbezug (z. B. Bürgerini-tiativen) angesprochen. Nutzerverbände und Akteure aus der Wirtschaft werden nur bei den Biodiversitätspolitikern aus den Parteien der Regierungskoalition vorstellig.

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5.2.7 Schlüsselindikator 7: Vertikale PolitikintegrationBerücksichtigung von subnationalen Ebenen Der Schlüsselindikator zur „vertikalen Politikintegration“ untersucht, inwiefern die Bundesländer und Kommunen bei der Formulierung von Biodiversitäts-politik mitberücksichtigt werden bzw. wie intensiv die Zusammenarbeit von Biodiversitätspolitikern der Fraktionen mit Länderkollegen ist.

5.2.7.1 Berücksichtigung von subnationalen Ebenen Definition Indikator Der Indikator nimmt das Verhältnis von Bundes- und Länderebene im Bereich der Biodiversitätspolitik in Augenschein. Für den Bereich der Naturschutzpolitik spielen aufgrund der im Grundgesetz geregelten Zuständigkeiten die Bundes-länder eine zentrale Rolle. Aus diesem Grund besteht ein Interesse daran, zu eruieren, inwiefern eine enge Zusammenarbeit der Biodiversitätspolitiker des Bundestages mit den Kollegen der Bundesländer besteht.

BewertungsstufenEine Einordnung in den Bereich der „signifikanten Zusammenarbeit“ wurde vorgenommen, wenn die Gesprächspartner explizit erwähnt haben oder aus dem Gespräch gefolgert werden konnte, dass eine intensive Arbeitsbeziehung mit häufigen und regelmäßigen Treffen (bzw. regelmäßigem Austausch) zu ihren Bundesländerkollegen in Biodiversitätsfragen existiert. Eine Eingruppierung in den Bereich der „teilweisen Zusammenarbeit“ fand statt, wenn die Gesprächs-partner explizit erwähnt haben oder aus dem Gespräch gefolgert werden konnte, dass eine Arbeitsbeziehung in Biodiversitätsfragen zu ihren Bundesländerkolle-gen in spezifischen Fragen, punktuell oder in unregelmäßigen, weiter auseinan-der liegenden Abständen besteht oder erfolgt. Auch wenn keine nähere Spezifi-kation der Zusammenarbeit stattfand, ist eine Einordnung in dieser Kategorie erfolgt. Eine Eingruppierung in die Gruppe der „insignifikanten Zusammen-arbeit“ wurde gewählt, wenn die Gesprächspartner explizit erwähnt haben oder aus dem Gespräch gefolgert werden konnte, dass eine Arbeitsbeziehung zu den Bundesländerkollegen in Biodiversitätsfragen nicht oder kaum vorhanden ist. ErgebnisDie Bedeutung der Bundesländer in der Naturschutz- und Biodiversitätspolitik reflektiert sich an der Zusammenarbeit der Biodiversitätspolitiker mit ihren Länderkollegen. In allen Fraktionen, in denen Angaben dazu gemacht wurden, spielt die Zusammenarbeit eine Rolle und ist die Abstimmung mit den Parteikol-legen auf Länderebene vorhanden – wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. Von der CDU/CSU gab es hierzu keine auswertbaren Informationen.

Indikator: Zusammenarbeit mit den subnationalen Ebenen zu Biodiversität signifikant(intensive Zusammenarbeit)

teilweise insignifikant(kaum Zusammenarbeit)

B’90/Die Grünen, Die Linke FDP, SPD

Fazit Schlüsselindikator 7: Vertikale PolitikintegrationIn allen Fraktionen ist die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern von Bedeutung, um Biodiversitätspolitik konsistent abzustimmen. Die Politik-integration wird jedoch mit unterschiedlicher Intensität ausgeübt.

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5.2.8 Schlüsselindikator 8: Biodiversitätsverständnis Politikfelder + Gründe für Biodiversitätskrise + Lösung BiodiversitätskriseDer Schlüsselindikator zum „Biodiversitätsverständnis“ geht der Frage nach, welche Politikfelder von den Befragten der biologischen Vielfalt zugerechnet werden und welches aus ihrer Sicht die Gründe für die Krise der Biodiversität sind. Auf diese Weise soll hervorgehoben werden, welche Bereiche in den Frak-tionen/Parteien als biodiversitätspolitisch relevant wahrgenommen werden und welche nicht.

5.2.8.1 PolitikfelderDefinition Indikator Der Indikator „Politikfelder“ beinhaltet Antworten auf die Frage, welche Politik-felder als bedeutend angesehen werden, wenn es um die Adressierung der biolo-gischen Vielfalt geht. Das Ergebnis soll Aussagen darüber ermöglichen, welche politischen Prioritäten die einzelnen Fraktionen sehen, wenn sie sich mit Bio-diversität beschäftigen. Aussagen können auf spezifische Politikfelder abzielen, sie können aber auch durch die Nennung einer großen Bandbreite verschiedener Politikbereiche einen Hinweis darauf ermöglichen, ob und inwiefern Biodiversi-tät als ein Querschnittsthema verstanden wird, bei dem eine Vielzahl von politi-schen Feldern bearbeitet werden müssen, um zu einer effektiven Biodiversitäts-politik zu gelangen.

KategorienDie Aussagen werden in einer Übersicht über die genannten Politikfelder durch Akteure in den unterschiedlichen Fraktionen/Parteien dargestellt.

Ergebnis Bei den Politikfeldern, die der biologischen Vielfalt zugeordnet werden, wird ins-besondere der Naturschutz im Sinne von Schutzgebietsausweisungen angeführt (B’90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP, SPD). Daneben werden auch die Flächenpoli-tik (B’90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP), Landwirtschaftspolitik (CDU/CSU, FDP, SPD) und Verkehrspolitik (B’90/Die Grünen, FDP, SPD) häufiger genannt. Bemerkenswert ist, dass bei B’90/Die Grünen und der SPD auch Fragen der Wirtschafts- und Steuerpolitik genannt werden und damit eine größere Palette an Themen mit Biodiversität in Verbindung gebracht werden als bei CDU/CSU und FDP. Die größte Querschnittsabdeckung war bei B’90/Die Grünen zu finden.

Indikator: PolitikfelderNaturschutz (Schutz-gebiete, Flächen aus der Nutzung etc.)

Flächenpolitik/ Landnutzung

Wirtschaft Landwirtschafts-politik

B’90/Die Grünen, CDU/CSU, SPD, FDP

B’90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP

B’90/Die Grünen, SPD

CDU/CSU, FDP, SPD

Indikator: PolitikfelderVerkehrspolitik anderesB’90/Die Grünen, FDP, SPD Religion (B’90/Die Grünen), Steuerpolitik

(SPD, B’90/Die Grünen)

Politische Vorfahrt für biologische Vielfalt | 73

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5.2.8.2 Gründe für die Biodiversitätskrise Definition Indikator Der Indikator „Gründe für die Krise der Biodiversität“ zielt darauf ab zu bestim-men, in welchen Fraktionen/Parteien welche Gründe für die Krise der Biodi-versität identifiziert werden. Daraus ergeben sich Hinweise auf die Politikfelder, die aus Sicht der Fraktionen bearbeitet werden müssten, um einen effektiven Biodiversitätsschutz zu betreiben. Darüber ist die Frage von Interesse, ob es un-terschiedliche Problemwahrnehmungen zwischen den Fraktionen/Parteien gibt und ob sich bestimmte Muster zeigen. Dies erlaubt Schlussfolgerungen dahin-gehend, wie umfassend die Einflussfaktoren auf Biodiversität wahrgenommen werden und welche politischen Lösungen es geben könnte.

KategorienDie Aussagen wurden in verschiedene Kategorien mit Begründungen für die Biodiversitätskrise eingeordnet.

Ergebnis Die Ursachen, die von den Gesprächspartnern bei den Antworten auf die offe-ne Frage nach Gründen für die Krise der Biodiversität genannt werden, weisen ein breites und heterogenes Spektrum auf. Am häufigsten genannt wurde die „menschliche Nutzung allgemein“ (B’90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP und SPD). Die anderen Einzelthemen wurden von maximal 2 Gesprächspartnern erwähnt. Auffallend ist, dass von CDU/CSU und FDP insbesondere direkte Gründe für den Biodiversitätsverlust genannt wurden, etwa „Flächennutzung“, „Zersiedelung“ oder „mangelnde Naturschutzflächen“, während von B’90/Die Grünen, der Lin-ken und der SPD auch eine Verbindung mit ökonomischen Themen hergestellt wird: Fokus auf Wirtschaft und Finanzen bei der SPD; Wirtschaftspolitik, Wirt-schaftssystem und Wachstumsparadigma bei B’90/Die Grünen und Wirtschafts-system bei der Linken.

Indikator: Gründe für die Krise der Biodiversität Flächennutzung (dazu zählen auch Flächenzerschnei-dung und Bebauung)

menschliche Nutzung (auch: Emissionen, Verschmutzung)

Bevölkerungs-wachstum

Fraktionen CDU/CSU, FDP B’90 Die Grünen, CDU/CSU, FDP, SPD

SPD

Indikator: Gründe für die Krise der Biodiversitätfehlendes Bewusstsein Wirtschaftspolitik Konsummuster

CDU/CSU, Die Linke B’90/Die Grünen Die Linke

Indikator: Gründe für die BiodiversitätskriseWirtschaftssystem Fokus auf Wirtschaft und

FinanzenWachstum

B’90/Die Grünen, Die Linke SPD B’90/Die Grünen

Indikator: Gründe für die BiodiversitätskriseandereZersiedelung (FDP), man-gelnde Naturschutzflächen (CDU/CSU)

74 | Politikbarometer zur Biodiversität in Deutschland

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5.2.8.3 Lösungen der BiodiversitätsproblematikDefinition Indikator Lösungsvorschläge und -präferenzen für ein komplexes Thema wie Biodiversi-tät können vielfältig sein und politische Maßnahmen in vielen Themenfeldern betreffen. Der Indikator „Lösungen der Biodiversitätsproblematik“ untersucht bestimmte Präferenzen für Lösungen, die aus den sehr spezifischen Erfahrun-gen mit und aus dem eigenen politischen Arbeitsbereich resultieren können. Die identifizierten Präferenzen für Lösungen können auch Aussagen darüber erlau-ben, welche politisch-inhaltlichen Vorstellungen bei den Befragten vorherrschen und welche fehlen.

KategorienDa es sich hier um einen informatorischen Indikator handelt, wurden qualitative Kategorien gebildet.

ErgebnisWelche Lösungsvorschläge zur Verbesserung der Biodiversitätspolitik werden von den Befragten präferiert? Durch die offene Fragestellung gibt es Antworten zu verschiedenen Politikbereichen und diversen Handlungsebenen. Es zeichnen sich folgende Präferenzen ab:

1. Das Schaffen von mehr Bewusstsein für biologische Vielfalt wird von den meisten Parteienvertretern genannt (B’90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP, Die Lin-ke, SPD). Dies ist – im Gegensatz zu den Ministerien, bei denen unterschiedliche Präferenzen festgestellt wurden – der einzige Lösungsansatz, der von allen Ge-sprächspartnern aus den 5 befragten Fraktionen präferiert wird.

2. Die gesetzlichen und politischen Vorgaben werden von allen Befragten der Parteien mit Ausnahme der FDP benannt (B’90/Die Grünen, CDU/CSU, SPD, Die Linke).

3. Die Inwertsetzung mit einer stärkeren ökonomischen Argumentation sowie die Verabschiedung vom Wachstumsmodell identifizierten jeweils 2 Parteien als Lösung (B’90/Die Grünen und SPD bzw. B’90/Die Grünen und Die Linke). Weitere Themen wurden nur je einmal vorgeschlagen: Die unterschiedlichen Antworten reichen von der Betonung der „Bedeutung von Naturschutzgebieten“ (CDU/CSU) über die Stärkung der „Koordination auf unterschiedlichen Fachge-bieten“ mit dem Ziel einer positiven Biodiversitätswirkung (SPD) bis zur Verän-derung des Wirtschaftssystems insgesamt (Die Linke).

Der Versuch einer Gruppierung der einzelnen Antworten ergibt folgende Ten-denzen: Bei den bürgerlichen Parteien CDU/CSU und FDP stehen mit Appellen zur Bewusstseinsänderung (beide) und dem Hinweis der Verantwortung der Verbraucher für Verhaltens- und Konsumänderungen (FDP) vorwiegend indivi-duelle Lösungsansätze im Vordergrund.

In der CDU/CSU wird Biodiversität als ein Problem gesehen, bei dem primär die Lösungsinstrumente des traditionellen Naturschutzes Erfolg versprechen sollen, etwa mit der Herausnahme von einzelnen Gebieten aus der Nutzung oder der Erhaltung extensiv genutzter Gebiete. Unterfüttern will die CDU/CSU diesen Ansatz noch mit einer stärkeren Betonung entsprechender gesetzlicher Vorgaben (z. B. Schutz vor Verschmutzung).

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Demgegenüber wird bei anderen Parteien mit dem Konzept einer ökologischen Industriepolitik (SPD) oder dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Abkehr vom Wachstumsverständnis (B’90/Die Grünen, Die Linke) der Zusammenhang von ökonomischen Aspekten und Biodiversität stärker betont. Bei den Linken reicht dies bis hin zur Infragestellung des Wirtschaftssystems.

Der ökonomische Lösungsansatz über die Inwertsetzung von Biodiversität wird explizit nur bei B’90/Die Grünen erwähnt, gleichzeitig jedoch mit dem Hinweis verbunden, dass ein solches marktwirtschaftliches Vorgehen nicht ausreichend ist oder gleich gewichtet werden sollte mit Lösungen durch gesetzliche und poli-tische Vorgaben.

Bei der SPD wird auch eine stärkere Koordination innerhalb der Regierung ange- mahnt und als Lösungsansatz genannt, u. a. mit der Koordination über verschie-dene Politikfelder hinweg und durch das Bundeskanzleramt. Von keiner anderen Partei wird solch ein strategisch-steuernder Ansatz hervorgehoben, der auf die Arbeitsweise der Bundesregierung ausgerichtet ist.

Es ist anzumerken, dass die Antworten ausschließlich von Biodiversitätspoliti-kern stammen und eher persönlich motivierte Lösungsvorschläge und Prioritä-ten umfassen. Ob diese Ansichten auch Mehrheitsmeinungen in den Fraktionen und Parteien sind, kann daraus nicht abgeleitet werden.

Indikator: Lösungen der BiodiversitätsproblematikKonsumverände-rung/indiv. Verhalten

gesetzliche und politische Vorgaben

Bewusstsein schaffen

Umweg über Internationalisierung

FDP B’90/Die Grünen, CDU/CSU, Die Linke, SPD

B’90/Die Grünen, CDU/CSU, Die Linke, FDP, SPD

B’90/Die Grünen

Indikator: Lösungen der BiodiversitätsproblematikInwertsetzung (ökonomische Argumentation)

Veränderung Wirtschaftssystem

Abschied vom Wachstumsmodell

ökologische Indus-triepolitik (Verbin-dung Wirtschaft und Ökologie)

B’90/Die Grünen, SPD

Die Linke B’90/Die Grünen, Die Linke

SPD

Indikator: Lösungen der BiodiversitätsproblematikVerankerung in der Verfassung

Evaluation und Umweltverträg-lichkeitsprüfungen stärken

stärkere Koordinati-on von verschiede-nen Fachgebieten

stärkere Koordinati-on Kanzleramt und Nutzung der Richt-linienkompetenz im Bereich Biodiversität stärker nutzen

Die Linke Die Linke SPD SPD

Indikator: Lösungen der BiodiversitätsproblematikVerringerte Flächennutzung Naturschutzgebiete CDU/CSU CDU/CSU

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Fazit Schlüsselindikator 8: BiodiversitätsverständnisAls Politikfelder, die auf die Biodiversitätspolitik entscheidend einwirken, werden in den Fraktionen der Naturschutz im Sinne von Schutzgebietsausweisungen so- wie die Flächen- und Landwirtschaftspolitik am häufigsten genannt. Bei den Gründen der Biodiversitätskrise sind es zuvorderst „menschliche Nut-zung allgemein“ und ihre Folgen sowie verschiedene Flächennutzungen. Daran wird deutlich, dass zumeist die traditionell im Zusammenhang mit Biodiversität genannten Problembereiche als relevant betrachtet werden. Allerdings gibt es Ausnahmen. Denn angesprochen werden auch Wirtschaftspolitik und Wirt-schaftssystem in verschiedenen Kontexten. Dieser mehr auf die Treiber und Verursacher ausgerichtete Blick gehört jedoch nur bei wenigen Parteien zum Instrument politischer Analyse. Da es sich um Interviews mit Biodiversitätspo-litikern gehandelt hat, ist anzunehmen, dass diese Erkenntnis nicht unbedingt bei Politikern der gleichen Fraktion, aber aus anderen Fachbereichen, ebenfalls vorhanden sein muss.

Demgegenüber beziehen sich die Vorschläge zur Lösung der Krise der biolo-gischen Vielfalt primär auf andere politische Handlungsstrategien: von der „Bewusstseinsschaffung für die biologische Vielfalt“ über „gesetzliche und politische Vorgaben“ bis zu strukturellen Reformen. Lösungen zur stärkeren Versöhnung von Ökologie und Ökonomie haben nur bestimmte Parteien parat.

5.2.9 Schlüsselindikator 9: Koordination und KooperationBedeutung des BundestagsDer Schlüsselindikator „Koordination und Kooperation“ untersucht die Bedeu-tung des Deutschen Bundestages für die Biodiversitätspolitik.

5.2.9.1 Bedeutung des BundestagsDefinition Indikator:Der Indikator „Bedeutung des Bundestags“ fragt, inwiefern der Deutsche Bun-destag von den Akteuren als wichtiges und einflussreiches Instrument der deut-schen Biodiversitätspolitik angesehen wird.

BewertungsstufenEine Eingruppierung in „eher signifikant“ erfolgte, wenn die Aussagen der Ge-sprächspartner darauf schließen ließen, dass dem Bundestag eher eine hohe Be-deutung in der Biodiversitätspolitik zuschrieben werden kann bzw. die Beschäf-tigung mit Themen der Biodiversität – auch im Verhältnis zu anderen Themen – als relativ hoch eingeschätzt wurden. Eine Zuordnung in „eher insignifikant“ erfolgte, wenn die Aussagen der Gesprächspartner darauf schließen ließen, dass dem Bundestag eine eher geringe Bedeutung in der Biodiversitätspolitik beschei-nigt werden kann bzw. wenn die Beschäftigung mit Themen der Biodiversität – auch im Verhältnis zu anderen Themen – als gering oder sehr gering geschildert wurde.

ErgebnisAlle Aussagen der Gesprächspartner ließen lediglich eine Einordnung in die Ru-brik „eher insignifikant“ zu (die Aussage von CDU/CSU war nicht zuzuordnen).

Indikator: Bedeutung BundestagEinstufungen eher signifikant

(eher bedeutend)eher insignifikant(eher unbedeutend)

keine klare Zuordnung

Fraktionen B’90/Die Grünen, Die Linke, FDP, SPD

CDU/CSU

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Fazit Schlüsselindikator 9: Koordination und KooperationIn keinem Gespräch wurde der Deutsche Bundestag als ein bedeutendes Instru-ment der Biodiversitätspolitik geschildert. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf die Beachtung der Biodiversitätspolitik auf Bundesebene. Findet sich ein Thema nicht umfassend auf der Tagesordnung der Legislative oder der politi-schen Agenda, dann besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich theoretisch gegebene Handlungsnotwendigkeiten nicht in erforderliche Handlungspraxis umsetzen. Findet eine geringe Befassung mit dem Thema auf der politischen Bühne statt, kann das Auswirkungen auf die öffentliche Aufmerksamkeit haben. Sie kann dadurch geringer werden oder gering bleiben, wie dies von den Befrag-ten bestätigt wird. Die Parteien im Deutschen Bundestag könnten als Multiplika-tor wirken und zur Sensibilisierung für Biodiversitätspolitik beitragen, wenn das Thema intensiver im Deutschen Bundestag behandelt würde.

5.2.10 Schlüsselindikator 10: Bedeutung von BiodiversitätThemenkonkurrenz Um die „Bedeutung von Biodiversität“ zu beurteilen, wird gefragt, welches Gewicht Biodiversität innerhalb der Themenkonkurrenz in den jeweiligen Fraktionen/Parteien einnimmt.

5.2.10.1 Themenkonkurrenz Definition IndikatorDer Indikator „Themenkonkurrenz“ fragt, welche Stellung Biodiversitätspolitik im politischen Gesamtgeschehen einnimmt und an welcher Position es zwischen den anderen Themenfeldern, die miteinander in Konkurrenz um Aufmerksam-keit stehen, von den Akteuren für die jeweilige Fraktion/Partei verortet wird.

BewertungsstufenEine Zuordnung in „signifikant“ wurde vorgenommen, wenn die Gesprächspart-ner explizit berichteten oder aus dem Gespräch hervorging, dass dem Themen-feld Biodiversität eine hohe Bedeutung in der Fraktion/Partei zugemessen wird bzw. es im Vergleich mit anderen Themenfeldern, die in Fraktion/Partei behan-delt werden, eine hohe Bedeutung hat. Eine Zuordnung in die Kategorie „teilwei-se“ wurde gewählt, wenn die Gesprächspartner explizit berichteten oder aus dem Gespräch hervorging, dass Biodiversität ein Thema unter vielen ist, es punktuell behandelt wird, ihm aber grundsätzlich nur eine untergeordnete Bedeutung in der Themenkonkurrenz der in Fraktion/Partei behandelten Themen zugemessen wird. In die Rubrik „insignifikant“ fielen Antworten, wenn die Gesprächspartner explizit berichteten oder aus dem Gespräch hervorging, dass dem Themenfeld Biodiversität eine sehr geringe Bedeutung innerhalb des behandelten Themen-spektrums der jeweiligen Fraktion/Partei zugemessen und im Arbeitsalltag der Fraktion daher kaum vorkommt. Dazu zählt auch, wenn etwa erwähnt wird, dass das Thema Biodiversität bei der Behandlung des Oberthemas Umweltpoli-tik noch deutlich hinter anderen Themen rangiert.

ErgebnisBiodiversität gehört in keiner Partei/Fraktion zu den politischen Themen, denen eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Andere, häufig tagesaktuelle politische Themen (Finanzkrise, Arbeitsmarkt, Sozialpolitik) dominieren nach Aussage mehrerer Befragter die politische Agenda. Lediglich bei B’90/Die Grü-nen hat das Thema einen etwas größeren Stellenwert. Jedoch wurde auch hier eingeräumt, dass Biodiversität nicht unter dem ersten Drittel der behandelten Themen zu finden ist.

78 | Politikbarometer zur Biodiversität in Deutschland

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Im Gespräch mit der CDU/CSU wird die Tatsache, dass das Thema nicht pro-minent auf der Tagesordnung steht, versucht sogar positiv zu interpretieren, da man sich auf diese Weise längerfristig und besser über die Legislaturperioden hinweg um das Thema kümmern könne.

Indikator: Themenkonkurrenz Einstufungen signifikant

(hohe Bedeutung)teilweise insignifikant

(geringe Bedeutung)Fraktionen B’90/Die Grünen CDU/CSU, Die

Linke, FDP, SPD

Fazit Schlüsselindikator 10: Bedeutung von BiodiversitätInsgesamt lässt sich bei fast allen Fraktionen ein sehr geringer Stellenwert von Biodiversitätspolitik in der Themenkonkurrenz feststellen. Biodiversität wird von anderen politischen Themen regelmäßig verdrängt und marginalisiert. Zudem ist festzuhalten, dass biodiversitätspolitische Themen selbst innerhalb der umweltpolitischen Themenpalette in der Priorität hinter anderen Umwelt-themen eingeordnet werden.

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Um die in dieser Studie offengelegten Defizite deut-scher Biodiversitätspolitik zu minimieren und um politische und administrative Konsequenzen aus den Resultaten dieser Studie anzuregen, werden 10 Handlungsempfehlungen formuliert. Diese Vor-schläge sollen konkret zur Weiterentwicklung deut-

scher Biodiversitätspolitik auf Bundesebene beitragen. Angesprochen sind vor allem verantwortliche Personen und Entscheidungsträger auf den verschiedenen Ebenen in den Bundesministerien und in den Parteien.

Handlungsempfehlung 1: Führungsverantwortung übernehmen – Biodiversitätspolitik muss Chefsache werden

Der Stellenwert von biologischer Vielfalt in Politik und Verwaltung hängt in besonderem Maße von den verantwortlichen Entscheidungsträgern ab. Die Führungs- und Leitungsebenen in Politik und Verwaltung sind gefordert, das im Grundgesetz in Artikel 20a niedergelegte Leit- und Handlungsprinzip zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbe-reich zu integrieren und aktiv umzusetzen. Mehr Führungsverantwortung und Durchsetzungswille für Biodiversität sind notwendig, um eine stärkere politi-sche Profilierung zu erreichen. Biodiversität soll zu einem Machtfaktor werden.

Handlungsempfehlung 2: Biodiversitätspolitik erfordert Priorität – Richtlinienkompetenz nutzen

Die Beseitigung der Zielkonflikte zwischen Flächennutzungs-, Energie- und Wirtschaftspolitik und der Biodiversitätspolitik muss eine hohe Priorität genie-ßen und darf nicht zulasten der natürlichen Ressourcen betrieben werden. Eine stärkere Nutzung der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzleramtes ist hier notwendig. Zudem stehen bisher etliche Politikfelder gar nicht im Fokus von Politik und Verwaltung, obwohl sie indirekte Treiber des Biodiversitätsverlustes sind. Insbesondere müssen z. B. Handels-, Sozial- oder Fiskalpolitik stärker in eine umfassende Biodiversitätspolitik eingebunden werden.

Handlungsempfehlung 3: Nationale Biodiversitätsstrategie – mehr Verantwortung für Ziele und Umsetzung

Die Nationale Biodiversitätsstrategie droht die bis zum Jahr 2020 gesetzten Ziele zu verfehlen – und damit zu scheitern. Die Bundesregierung muss deshalb eine größere Verantwortung für die Umsetzung von Maßnahmen zum Erreichen der Ziele übernehmen sowie zügiger und umfassender handeln. Für die jewei-ligen Politikfelder und Arbeitsbereiche bedarf es klar definierter, operationali-sierter Ziele und Maßnahmen. Diese müssen mit klaren Zuordnungen der Zu-ständigkeit für die Ebenen der Ministerien, Abteilungen, Unterabteilungen und Referate versehen werden. Je stärker sie an der Realität der einzelnen Organisa-tionseinheiten orientiert sind, desto größer sind ihre Umsetzungschancen.

6 Handlungsempfehlungen zur Behebung der Defizite

80 | Politikbarometer zur Biodiversität in Deutschland

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Handlungsempfehlung 4: Biodiversitätspolitik braucht mehr Kooperation und Koordination – Interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) aufwerten

Die im Jahr 2010 eingerichtete Interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) zur Um-setzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie kann derzeit ihre Koordinations-aufgaben nur unzureichend erfüllen. Die IMA muss daher mit weitreichenderen Befugnissen ausgestattet und zu einem echten strategischen Koordinationsgre-mium aller Bundesministerien auf Abteilungsleiterebene aufgewertet werden. Zu dessen Aufgaben sollte die Herausgabe eines jährlichen Berichtes an den Bun-destag gehören.

Handlungsempfehlung 5: Bessere Biodiversitätspolitik durch intelligente Steuerung – Instrumentenmix konstruktiv einsetzen

Die Lösung der vielschichtigen Problematiken der nationalen, europäischen und internationalen Biodiversitätspolitik benötigt einen intelligenten Mix der Poli-tikinstrumente. Die reine Bereitstellung von Informationen wird nicht schnell genug die erforderliche Verhaltensänderung in der Bevölkerung zur Folge haben. Auch marktwirtschaftliche Instrumente allein sind kein Allheilmittel. Und nur auf Ordnungsrecht zurückzugreifen, schafft nicht genügend Akzeptanz, um die Ziele und Maßnahmen der Biodiversitätspolitik zu verwirklichen. Eine moder-ne Politik muss auf einen adäquaten Instrumentenmix zurückgreifen, um eine intelligente Steuerung zwischen Nutzungsinteressen einerseits und denen zur Erhaltung von biologischer Vielfalt andererseits zu ermöglichen.

Handlungsempfehlung 6: Auswirkungen auf die Biodiversität überprüfen – Evaluation verbessern

Eine verpflichtende, an Kriterien orientierte Überprüfung der Auswirkungen von Maßnahmen, Vorhaben und Ausgaben des Bundes auf die biologische Viel-falt muss eingeführt und öffentlich dargelegt werden. Das gilt gleichermaßen für Vorschläge der Ministerien wie für Initiativen aus dem Parlament.

Handlungsempfehlung 7: Kompetenzen ausbauen – Personal intensiv schulen

Wichtig für eine Stärkung der Biodiversitätspolitik sind Wissen, Kompetenzen und Handlungsorientierungen der beteiligten Personen in den Ministerien und Parteien. Die Wissens- und Kompetenzerweiterung zum Thema Biologische Vielfalt muss deshalb in Form von Workshops, Fortbildungs- und Trainings-programmen ein wichtiger Teil der Personalentwicklung werden.

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Handlungsempfehlung 8: Biodiversität braucht gemeinsame Gestaltung – Kooperation intensivieren

Die Ziele der Biodiversitätspolitik können nur in gemeinsamen Anstrengungen mit gesellschaftlichen Gruppen erreicht werden. Dafür müssen Politik und Verwaltung bessere und systematischere Kooperations- und Partizipations-strukturen und -prozesse mit Akteuren aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft etablieren.

Handlungsempfehlung 9: Neue politische Lösungsansätze – ökonomische Werte von Biodiversität nutzen

Die vielen, bislang kostenlosen Leistungen, die die Ökosysteme und die vielfäl-tigen Lebewesen mit ihren genetischen Ressourcen tagtäglich für die Mensch-heit erbringen, müssen künftig auch verstärkt in ökonomische Werte übersetzt werden. Der Verbrauch und Verlust von Biodiversität muss ohne Ausnahmen für bestimmte Branchen auch Teil der Preise werden. Von diesem neuen politischen Lösungsansatz werden sachgerechtere Entscheidungen in der Biodiversitäts-politik erwartet.

Handlungsempfehlung 10: Umsetzung stärken – mehr Ressourcen bereitstellenWer Biodiversitätspolitik zu größerer Wirksamkeit verhelfen will, muss mehr Personal, mehr Zeit und mehr Finanzmittel bereitstellen – sowohl in den ver-schiedenen Ministerien als auch in den Parteien.

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Es ist von besonderer Bedeutung, die Einsicht zu fördern, dass es sich bei der Biodiversitätspolitik keinesfalls um eine trendige Luxusaufgabe unserer Gesellschaft handelt, sondern um eine zwingende

zukunftsorientierte Antwort auf ein erkanntes, immer akuter werdendes Pro-blemfeld. Soll Biodiversitätspolitik erfolgreich sein, muss sie sämtliche Poli-tikbereiche durchdringen. Nicht nur aus ethischen Gründen besteht die hohe Dringlichkeit, eine effektivere Politik für die biologische Vielfalt umzusetzen, sondern auch mit Blick auf künftige ökonomische Optionen: Eine erfolgreiche Biodiversitätspolitik, die die natürlichen Lebensgrundlagen schützt bzw. wieder-herstellt, ist auch die Basis für eine krisenfreie Entwicklung in Ökonomie und Gesellschaft, sowohl national wie auch international.

Die Umsetzung dieser Forderungen wird dazu beitragen, das Ziel einer nachhal-tigen Gesellschaft noch rechtzeitig zu erreichen – „rechtzeitig“ heißt: bevor kriti-sche Kipppunkte nicht nachhaltiger Entwicklung die Gestaltungsmöglichkeiten unserer Gesellschaft signifikant einschränken. Im internationalen Vergleich hat Deutschland in den vergangenen Jahren Fortschritte auf dem Weg zu einer besseren Biodiversitätspolitik gemacht, auch wenn diese noch nicht ausreichend sind. Jetzt ist es an der Zeit, die nächsten Schritte hin zu einer verantwortungs-bewussten, professionellen und damit wirksameren Politik zur Erhaltung unse-rer natürlichen Lebensgrundlagen zu gehen.

7 Schlussbetrachtung

Politische Vorfahrt für biologische Vielfalt | 83

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8 AnhangAbkürzungsverzeichnis

AA Auswärtiges AmtBK BundeskanzleramtBM BundesministeriumBMAS Bundesministerium für Arbeit und SozialesBMBF Bundesministerium für Bildung und ForschungBMELV Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzBMFSFJ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und JugendBMG Bundesministerium für GesundheitBMF Bundesministerium der FinanzenBMI Bundesministerium des InnerenBMJ Bundesministerium der JustizBMU Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitBMVBS Bundesministerium für Verkehr, Bau und StadtentwicklungBMVg Bundesministerium der VerteidigungBMWi Bundesministerium für WirtschaftBMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungBNatschG BundesnaturschutzgesetzBT Bundestag / Deutscher BundestagCBD Convention on Biological Diversity (Konvention über biologische Vielfalt)CDU Christliche Demokratische Union DeutschlandsCSU Christlich-Soziale Union in BayernFDP Freie Demokratische ParteiGG GrundgesetzGGO Gemeinsame Geschäftsordnung der BundesministerienSPD Sozialdemokratische Partei DeutschlandsTEEB Studie: „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“

84 | Politikbarometer zur Biodiversität in Deutschland

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Degenhart, Christoph: Regelungsmöglichkeiten des Bundes zur Gleichstellung von Ersatzgeld und Natu-ralkompensation im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung, Rechtsgutachten für das Bun-desamt für Naturschutz, online: http://www.bfn.de/fileadmin/MDB/images/themen/recht/Gutachten-Prof-Degenhart.pdf (Zugriff: 2013-11-13).

Diamond, Jared: Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen, Frankfurt am Main, 2005.

Europäische Kommission: Lebensversicherung und Naturkapital – Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, KOM 2011/344. Europäische Kommissi-on, online: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0244:FIN:DE:PDF (Zugriff: 2013-11-13).

Heinrichs, Harald & Laws, Norman/WWF: Politikbarometer zur Nachhaltigkeit in Deutschland – Mehr Macht für eine nachhaltige Zukunft, Berlin, 2012.

Laws, Norman 2013: Carry on the Distribution of Power – Federalism in Germany, in Ramos, D. T. (Hrsg.): O Federalista Atual: Teoria do Federalismo, Arraes Editores: Belo Horizonte, S. 501–521.

Pushpam, Kumar (Hg.): – The Economics of Ecosystems and Biodiversity – Ecological and Economic Foun-dations, London, 2010.

Secretariat of the Convention on Biological Diversity o. J.: Strategic Plan for Biodiversity 2011–2020 and the Aichi Targets. Secretariat of the Convention on Biological Diversity: Montreal.

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