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PORTFOLIO JÜRGEN SCHADEBERG Johannesburg, liebevoll auch Jo’burg oder Jozi genannt – die wohl widersprüchlichste Stadt Afrikas hat das Zeug zur Weltme- tropole. Der deutsche Fotograf Jürgen Schadeberg mahnt in seinem Bildband „Tales from Jozi“: Die schwarzen Einwohner schwe- ben in ständiger Gefahr, genau daran zu Grunde zu gehen. FOTOS: JÜRGEN SCHADEBERG 54 LFI 4/2008 TALES FROM JOZI

Portfolio jürgen schadeberg tales from jozi · Jo’burg oder Jozi genannt – die wohl widersprüchlichste Stadt Afrikas hat das Zeug zur Weltme-tropole. Der deutsche Fotograf Jürgen

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Portfoliojürgen schadeberg

Johannesburg, liebevoll auch Jo’burg oder Jozi genannt – die wohl widersprüchlichste Stadt Afrikas hat das Zeug zur Weltme-tropole. Der deutsche Fotograf Jürgen Schadeberg mahnt in seinem Bildband „Tales from Jozi“: Die schwarzen Einwohner schwe-ben in ständiger Gefahr, genau daran zu Grunde zu gehen.

fotos: jürgen schadeberg

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tales from jozi

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Bhekinkosi (unten re.) mit seiner Tochter vor ihrem Haus. Ein Schuss ins Bein während einer eskalierten Straßenparty machte ihn erwerbsunfähig

Linke Seite: Alltag in einem ehemals noblen Apartmenthochhaus. Busiswe (links) muss gleich ihrer kleinen Schwester erklären, dass sie ihr Schul-geld nicht mehr aufbringen kann

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In Yeoville ist es bunt, schrill, trist und still. In dem leben-digen, multikulturellen Viertel in Johannesburg schlägt das Herz Südafrikas

Straßenhändler tupfen mit trotzigem Optimismus farbliche Akzente in Schadebergs Momentaufnahmen. Und nicht weit entfernt tanzt nachts die schwarze High Society

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Mandla, Sifiso und ihre Kumpels schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch. Das Treppenhaus ist ihr Spielplatz, der Hinterhof ihre Waschküche

Thabisile verdient ihren spärlichen Unterhalt bei einer Sicherheitsfirma. Sie ist froh, dass sie Arbeit hat

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Jürgen Schadeberg und Jozi treffen erstmals 1950 aufeinander. Die Wirtschaft boomt, Wolkenkratzer und Shopping Center wuchern in schwindelerregende Höhe, abertausende Neon-leuchten tauchen den amerikanisch anmutenden Aufschwung in kalten Schein. Schadebergs fotografische Arbeit wird geprägt vom Apartheid-Regime und vom Kampf Südafrikas um seine eigene Identität. Schadberg verlässt Jozi Anfang der 1960er, um in Europa und Amerika zu arbeiten. Und Jozi? Die Stadt tauscht derweil unaufhaltsam ihr amerikanisches Outfit gegen ein eigenes afrikanisches. Es kommt zum so genannten Einsi-ckern farbiger Bevölkerung in bis dahin rein weiß gehaltene Wohngebiete. Nach massiven Unruhen Mitte der 1970er wer-den zaghaft Reformen eingeleitet. 1985 kehrt Schadeberg mit seiner Frau Claudia nach Südafrika zurück. Das Ehepaar dreht und produziert Dokumentationen über Kultur und Politik. Und plötzlich stecken Schadeberg und Jozi mittendrin im Ende der Apartheid. Tausende Schwarze aus umliegenden Townships kommen mit all ihren Hoffnungen, ziehen in die von Weißen verlassenen Ruinen der Skyscraper, leben isoliert im rechts-freien Raum. Die Wiederbelebung der Innenstadt bleibt eine der größten Herausforderungen der gegenwärtigen Regierung. Schadeberg: „Über 300 Hochhäuser sind besetzt. Die Familien hier sind oft ohne Arbeit. An der Universität gibt es ein De-partment, das mit diesen Leuten vor Gericht geht. Der Staat will sie rausschmeißen, bietet ihnen aber keine Alternative. Das Department hat mich beauftragt, Bilder zu machen, die sie mit zu Gericht nehmen können. Und da dachte ich, das ist doch ein Buch!“ Aus dieser Idee erwächst „Tales from Jozi“. Die Stadt treibt Schadeberg mit wachem Blick durch all ihre Facetten. Von dekadenten Modenschauen der Upper Class bis in Viertel, in denen die Armut zum Himmel stinkt – Schade-berg dokumentiert authentisch, unaufgeregt, fair. Mal richtet er seinen Fokus auf Einzelschicksale, mal verschwinden Indi-viduen in Glitzerglamour und Müll. Der Bildband erteilt auch einheimischen Künstlern und Autoren das Wort. Einer von ihnen schreibt: Unsere Stadt begrüßt viele seiner Einwohner mit unverhohlener Garstigkeit. Die Zeit ist gekommen, sich auf das zu besinnen, was Afrika am besten kann: Lächeln. Dann wird auch Jozi seine Menschen umarmen können.

„Tales from Jozi“ ist mehr als eine Dokumentation. Es ist ein gleichberechtigtes Gespräch zwischen dem Fotografen und seiner Stadt, ein ästhetisches Frage-und-Antwort-Spiel, eine beidseitige Liebeserklärung wie die eines alten Paares: umeinander wissend und einander erkennend, voller Leidenschaft, Respekt und Erin-nerungen an so viele gemeinsame bewegte Jahre. MAIKE BÖHM

Portfoliojürgen schadeberg

Tales from Jozi. Photographs by Jurgen Schadeberg: 160 Seiten, 27 x 27 cm, komplett vierfarbig, Protea Boekhuis, Menlopark/Südafrika, 2007

Die Stille einer Nacht in Jozi. In vielen Gegenden geht man nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße