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FORUM 2013 · 28:431–435 DOI 10.1007/s12312-013-1041-7 Online publiziert: 25. Oktober 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 K. Rhiem · R.K. Schmutzler Zentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs, Universitätsklinikum Köln, Köln Präventive Chirurgie  bei erblichem Brust-  und Eierstockkrebs In Deutschland erkranken jährlich et- wa 74.000 Frauen an Brustkrebs und 7500 Frauen an Eierstockkrebs [1]. Der überwiegende Anteil der Frauen trägt ein lebenslanges Erkrankungsrisiko von 13% für Brustkrebs und von 1,5% für Eier- stockkrebs. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 65 bzw. 69 Jahren. Bei einem ge- ringen Anteil von ca. 5% der Frauen liegt das lebenslange Erkrankungsrisiko mit bis zu 60% an Brust- und 40% an Eierstock- krebs sehr viel höher und das Ersterkran- kungsalter ist deutlich vorverlegt [2, 3]. Durch populationsbasierte Untersuchun- gen konnte gezeigt werden, dass bei et- wa jeder 500. Frau der Allgemeinbevöl- kerung eine erbliche Krebsbelastung mit Veränderungen in einem Hochrisiko-Gen (BRCA1 und BRCA2) vorliegt. Für Fami- lien mit einer erblichen Belastung wurde daher im Rahmen eines Verbundprojekts der Deutschen Krebshilfe von 1997 bis 2004 in 12 spezialisierten und interdiszi- plinär ausgerichteten Universitätszentren ein Betreuungskonzept etabliert. Seit 2005 wird dieses Konzept zur Identifikation, Beratung, genetischen Testung und Prä- vention für diese Hochrisikogruppe von den Krankenkassen im Rahmen speziali- sierter Verträge unterstützt (http://www. krebshilfe.de/wir-helfen/adressen/famili- aerer-krebs/brustkrebszentren.html; [4]). Grundlage der Beratung ist eine Stamm- baumanalyse, die erste Hinweise auf eine genetische Belastung in der Familie gibt. Wenn die Einschlusskriterien des Deut- schen Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs erfüllt sind [4], kann in einer nichtdirektiven Beratung die mo- lekulargenetische Analyse der Hochrisi- ko-Gene BRCA1 und BRCA2 angeboten werden. Dadurch lässt sich das Erkran- kungsrisiko für jedes Individuum kon- kretisieren. Prinzipiell stehen als präven- tive Maßnahmen die intensivierte Brust- krebsfrüherkennung, die beidseitige pro- phylaktische Salpingoophorektomie und die prophylaktische (beidseitige) Mast- ektomie zur Verfügung. Im Folgenden werden die genetischen und klinischen Grundlagen zu den risikoreduzierenden Operationen bei BRCA-Mutationsträge- rinnen diskutiert. Genetische Grundlagen mit klinischer Relevanz Sind die Einschlusskriterien des Deut- schen Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs erfüllt, werden im konsor- tiumsweiten Gesamtdurchschnitt in etwa 21% der beratenen Familien Mutationen in den „breast cancer genes“ BRCA1 oder BRCA2 detektiert [4]. Der BRCA1/2-asso- ziierte Brust- und Eierstockkrebs wird au- tosomal-dominant mit verminderter Pe- netranz statistisch gesehen an 50% der Nachkommen vererbt. Nach King et al. [5] beträgt das durchschnittliche kumula- tive Risiko für eine Erkrankung vor Voll- endung des 70. Lebensjahres für BRCA1- Mutationsträgerinnen 69% für Brustkrebs (BC) bzw. 46% für das Ovarialkarzinom (OC) und für BRCA2-Mutationsträgerin- nen 74% (BC) bzw. 12% (OC). Nach An- toniou et al. [6] liegen die entsprechen- den Erkrankungsrisiken für BRCA1-Mu- tationsträgerinnen bei etwa 60% (BC) bzw. 35% (OC) und für BRCA2-Mutati- onsträgerinnen bei etwa 50% (BC) bzw. 11% (OC). Hierbei ist jedoch zu beach- ten, dass die Penetranz der Erkrankung sowie das Erkrankungsalter in Abhän- gigkeit von der familiären Risikosituation beträchtlich schwanken können. Muta- tionsträgerinnen, die aus Hochrisikofa- milien mit mehreren und jung erkrankten Tab. 1Empfohlene Früherkennungsmaßnahmen für Frauen mit einer BRCA1/2-Mutation Verfahren Intervall Beginn (Jahre) Ende (Jahre) Magnetresonanzto- mographie Jährlich 25 a 70 b Mammasonographie Halbjährlich 25 a 70 b Mammographie Alle 1–2 Jahre 40 70 b a Wenn in der Familie Brustkrebs bereits vor dem 30. Lebensjahr aufgetreten ist, sollte mit der intensivierten Früh- erkennung 5 Jahre vor dem jüngsten Ersterkrankungsalter in der Familie begonnen werden. b Fortführung der intensivierten Früherkennung mindestens bis zur Vollendung des 50. und längstens des 70. Lebensjahres oder bis zu einer sehr guten mammographischen Beurteilbarkeit (ACR-Dichteindex 1). Z Autor Priv.-Doz. Dr. Kerstin Rhiem Zentrum für Familiären  Brust- und Eierstockkrebs,  Universitätsklinikum Köln 431 FORUM 6 · 2013| Fokus

Präventive Chirurgie bei erblichem Brust- und Eierstockkrebs; Prophylactic surgery in BRCA1/2 mutation carriers;

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Page 1: Präventive Chirurgie bei erblichem Brust- und Eierstockkrebs; Prophylactic surgery in BRCA1/2 mutation carriers;

FORUM 2013 · 28:431–435DOI 10.1007/s12312-013-1041-7Online publiziert: 25. Oktober 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

K. Rhiem · R.K. SchmutzlerZentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs, Universitätsklinikum Köln, Köln

Präventive Chirurgie bei erblichem Brust- und Eierstockkrebs

In Deutschland erkranken jährlich et-wa 74.000 Frauen an Brustkrebs und 7500 Frauen an Eierstockkrebs [1]. Der überwiegende Anteil der Frauen trägt ein lebenslanges Erkrankungsrisiko von 13% für Brustkrebs und von 1,5% für Eier-stockkrebs. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 65 bzw. 69 Jahren. Bei einem ge-ringen Anteil von ca. 5% der Frauen liegt das lebenslange Erkrankungsrisiko mit bis zu 60% an Brust- und 40% an Eierstock-krebs sehr viel höher und das Ersterkran-kungsalter ist deutlich vorverlegt [2, 3]. Durch populationsbasierte Untersuchun-gen konnte gezeigt werden, dass bei et-wa jeder 500. Frau der Allgemeinbevöl-kerung eine erbliche Krebsbelastung mit Veränderungen in einem Hochrisiko-Gen (BRCA1 und BRCA2) vorliegt. Für Fami-lien mit einer erblichen Belastung wurde daher im Rahmen eines Verbundprojekts der Deutschen Krebshilfe von 1997 bis 2004 in 12 spezialisierten und interdiszi-plinär ausgerichteten Universitätszentren ein Betreuungskonzept etabliert. Seit 2005 wird dieses Konzept zur Identifikation, Beratung, genetischen Testung und Prä-vention für diese Hochrisikogruppe von den Krankenkassen im Rahmen speziali-sierter Verträge unterstützt (http://www.krebshilfe.de/wir-helfen/adressen/famili-

aerer-krebs/brustkrebszentren.html; [4]). Grundlage der Beratung ist eine Stamm-baumanalyse, die erste Hinweise auf eine genetische Belastung in der Familie gibt. Wenn die Einschlusskriterien des Deut-schen Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs erfüllt sind [4], kann in einer nichtdirektiven Beratung die mo-lekulargenetische Analyse der Hochrisi-ko-Gene BRCA1 und BRCA2 angeboten werden. Dadurch lässt sich das Erkran-kungsrisiko für jedes Individuum kon-kretisieren. Prinzipiell stehen als präven-tive Maßnahmen die intensivierte Brust-krebsfrüherkennung, die beidseitige pro-phylaktische Salpingoophorektomie und die prophylaktische (beidseitige) Mast-ektomie zur Verfügung. Im Folgenden werden die genetischen und klinischen Grundlagen zu den risikoreduzierenden Operationen bei BRCA-Mutationsträge-rinnen diskutiert.

Genetische Grundlagen mit klinischer Relevanz

Sind die Einschlusskriterien des Deut-schen Konsortiums Familiärer Brust- und

Eierstockkrebs erfüllt, werden im konsor-tiumsweiten Gesamtdurchschnitt in etwa 21% der beratenen Familien Mutationen in den „breast cancer genes“ BRCA1 oder BRCA2 detektiert [4]. Der BRCA1/2-asso-ziierte Brust- und Eierstockkrebs wird au-tosomal-dominant mit verminderter Pe-netranz statistisch gesehen an 50% der Nachkommen vererbt. Nach King et al. [5] beträgt das durchschnittliche kumula-tive Risiko für eine Erkrankung vor Voll-endung des 70. Lebensjahres für BRCA1-Mutationsträgerinnen 69% für Brustkrebs (BC) bzw. 46% für das Ovarialkarzinom (OC) und für BRCA2-Mutationsträgerin-nen 74% (BC) bzw. 12% (OC). Nach An-toniou et al. [6] liegen die entsprechen-den Erkrankungsrisiken für BRCA1-Mu-tationsträgerinnen bei etwa 60% (BC) bzw. 35% (OC) und für BRCA2-Mutati-onsträgerinnen bei etwa 50% (BC) bzw. 11% (OC). Hierbei ist jedoch zu beach-ten, dass die Penetranz der Erkrankung sowie das Erkrankungsalter in Abhän-gigkeit von der familiären Risikosituation beträchtlich schwanken können. Muta-tionsträgerinnen, die aus Hochrisikofa-milien mit mehreren und jung erkrankten

Tab. 1  Empfohlene Früherkennungsmaßnahmen für Frauen mit einer BRCA1/2-Mutation

Verfahren Intervall Beginn (Jahre) Ende (Jahre)

Magnetresonanzto-mographie

Jährlich 25a 70b

Mammasonographie Halbjährlich 25a 70b

Mammographie Alle 1–2 Jahre 40 70b

aWenn in der Familie Brustkrebs bereits vor dem 30. Lebensjahr aufgetreten ist, sollte mit der intensivierten Früh-erkennung 5 Jahre vor dem jüngsten Ersterkrankungsalter in der Familie begonnen werden.bFortführung der intensivierten Früherkennung mindestens bis zur Vollendung des 50. und längstens des 70. Lebensjahres oder bis zu einer sehr guten mammographischen Beurteilbarkeit (ACR-Dichteindex 1).

Z AutorPriv.-Doz. Dr. Kerstin RhiemZentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs, Universitätsklinikum Köln

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F rauen stammen, haben ein im Vergleich zum Gesamtdurchschnitt höheres Er-krankungsrisiko [7, 8]. Dies ist ein Hin-weis auf weitere familiäre risikomodifizie-rende Faktoren, die teilweise bereits auf-geklärt wurden und zukünftig im Rah-men systemmedizinischer Ansätze zur individuellen Risikoidentifizierung nutz-bar werden könnten.

»  Der Erkrankungsbeginn wird durch Niedrigrisiko-varianten beeinflusst

In der Tat wurden durch umfangrei-che, international angelegte Assozia-tionsstudien häufig auftretende Varian-ten des „single nucleotide polymor-phism“ (SNP) identifiziert, die einen Ein-fluss auf den Erkrankungsbeginn für Brust- oder Eierstockskrebs bei BRCA1- und BRCA2-Mutationsträgerinnen ha-ben [9]. Das durchschnittliche Erkran-kungsalter einer BRCA2-Mutationsträge-rin wird z. B. durch einen SNP im FGFR2-

Gen beeinflusst (rs2981582). Das Glei-che gilt für einen SNP im MAP3K1-Gen (rs889312). Ein SNP im TOX3/TNRC9-Locus (rs3803662) ist sowohl mit einem erhöhten Risiko für BRCA1- als auch für BRCA2-Mutationsträgerinnen assoziiert. Obwohl sämtliche Niedrigrisikovarian-ten das durchschnittliche Erkrankungsri-siko nur geringfügig modifizieren, konn-te in den letzten Jahren eine multiplika-tive Interaktion von Niedrigrisikovarian-ten nachgewiesen werden, die kürzlich bei über 7400 BRCA2-Mutationsträgerinnen bestätigten werden konnte [10]. In dieser Kohorte lag das Risiko, bis zum 80. Le-bensjahr an Brustkrebs zu erkranken, bei 64%. Durch die Analyse von 7 SNP-Nie-drigrisikovarianten (rs2981582 in FGFR2, rs3803662 in TOX3/TNRC9, rs889312 in MAP3K1, rs3817198 in LSP1, rs13387042 in der 2q35-Region, rs4973768 in SLC4A7/NEK10 und rs10941679 in der 5p12-Re-gion) konnten die 5% der Mutations-trägerinnen, die mit einer Wahrschein-lichkeit von 10–13% bis zum 50. Lebens-jahr erkranken, und die 5% mit einer Er-

krankungswahrscheinlichkeit von 29–47% identifiziert werden [11]. Weitere As-soziationsstudien ergaben eine Korrela-tion zum „triple-negative“ Phänotyp, der für die BRCA1-assoziierten Mammakar-zinome typisch ist. Hier wird daher erst-mals eine mögliche klinische Bedeutung der Niedrigrisikovarianten für das klini-sche Management der BRCA-Mutations-trägerinnen diskutiert und gefolgert, dass insbesondere diese Patientinnen im Rah-men systemmedizinischer Untersuchun-gen von einem „profiling“ der Niedrigri-sikovarianten profitieren könnten.

Dies könnte möglicherweise einen Einfluss auf das individuelle Präventions-konzept haben. In die Entscheidung ge-sunder Frauen bezüglich der Inanspruch-nahme präventiver Maßnahmen könn-te neben der individuellen Risikokalku-lation auch der Phänotyp bzw. die Prog-nose des sich evtl. entwickelnden Tumors eingehen. Während eine Frau mit einer BRCA1-Mutation ein höheres Risiko hat, an einem rasch proliferierenden, entdif-ferenzierten (Grading 3), „triple-negati-ve“ Mammakarzinom zu erkranken, hat eine BRCA2-Mutationsträgerin hingegen in einem etwas späteren Lebensalter ein erhöhtes Risiko, an einem mäßig differen-zierten (Grading 2), überwiegend östro-genrezeptorpositiven Mammakarzinom zu erkranken. So könnte eine BRCA1-Mu-tationsträgerin eher von einer prophylak-tischen Mastektomie und die BRCA2-Mu-tationsträgerin eher von der intensivier-ten Brustkrebsfrüherkennung profitieren.

»  Es existieren weitere, bisher noch nicht identifizierte Hochrisiko-Gene

Die Tatsache, dass selbst in Familien mit vielen jung an Brust- und/oder Eier-stockkrebs Erkrankten nur in etwa 50% der Fälle eine BRCA1/2-Mutation nach-weisbar ist, gilt als Beweis für die Exis-tenz weiterer, bisher noch nicht identifi-zierter hoch- bzw. moderat penetranter Risiko-Gene. Neben BRCA1 und BRCA2 wurde eine Vielzahl weiterer Gene identi-fiziert, die bei Vorliegen einer Keimbahn-mutation das Risiko, an Brust- oder Ova-rialkarzinom zu erkranken, erhöhen kön-nen. Den Beweis für die Existenz zusätzli-

Tab. 2  Empfohlene Früherkennungsmaßnahmen für Frauen mit einem rechnerisch erhöh-ten Risiko (Heterozygotenrisiko 20%, lebenslanges Erkrankungsrisiko 30%)

Verfahren Intervall Beginn (Jahre) Ende (Jahre)

Magnetresonanzto-mographie

Jährlich 30a 50b

Mammasonographie Halbjährlich 30a 50b

Mammographie Alle 1–2 Jahre 40 50b

aWenn in der Familie Brustkrebs bereits vor dem 35. Lebensjahr aufgetreten ist, sollte mit der intensivierten Früh-erkennung 5 Jahre vor dem jüngsten Ersterkrankungsalter in der Familie begonnen werden. Bei bereits vor dem 30. Lebensjahr erkrankten Frauen erfolgt die Aufnahme in das Früherkennungsprogramm ab dem Erkrankungs-zeitpunkt.bAb einem Alter von 50 Jahren erfolgt eine Weiterbetreuung im Rahmen der Regelversorgung.

Tab. 3  Empfehlungen zu prophylaktischen Operationen bei gesunden und an einem uni-lateralen Mammakarzinom vorerkrankten Hochrisikopatientinnen mit und ohne Mutation in den Genen BRCA1 oder BRCA2. (Nach [1])

BRCA-Muta-tionsstatus

Eigen-anamnese

Prophylaktische Mastektomie Prophylaktische Salpin-goophorektomie

Positiv Gesund Indiziert auf Wunsch, ab dem 25. Lebensjahr

Indiziert und ausdrücklich empfohlen, um das 40. Le-bensjahr

Unilaterales Mammakarzi-nom

Möglich, insbesondere bei jungen Erkrankten in Abhängig-keit vom betroffenen Gen, dem Ersterkrankungsalter und der Prognose

In Abhängigkeit von der Prognose zu empfehlen

Negativ Unilaterales Mamma-karzinom

In Abhängigkeit von Prognose und individuellem Risiko nur im Einzelfall zu erwägen

Nur im Einzelfall bei Ova-rialkarzinom in der Familie zu erwägen

Gesund Nur im Einzelfall bei hohem statistischen Erkrankungsrisiko zu erwägen

Keine Indikation aus pro-phylaktischer Intention

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cher Hochrisiko-Gene führte das Konsor-tium im Jahr 2010 [12]. So erhöhen Muta-tionen im RAD51C-Gen das Ovarialkar-zinomrisiko etwa 6-fach (hochpenetrant) und nach aktueller Datenlage das durch-schnittliche Brustkrebsrisiko moderat. Entsprechend werden RAD15C-Mutatio-nen hauptsächlich in Familien mit Brust- und Ovarialkarzinom oder reinen Ova-rialkarzinomfamilien gefunden. Über Kandidaten-Gen-Strategien wurden wei-tere, nach der aktuellen Datenlage mo-derat penetrante Risiko-Gene mit eben-falls einer Funktion in der DNA-Doppel-strang-Reparatur identifiziert (CHEK2, PALB2, BRIP1, ATM, BARD1, MRE11A, RAD51D). Alle sind ebenso wie RAD51C im Unterschied zu BRCA1 und BRCA2 nur selten mutiert. Seltene Tumordis-positionserkrankungen mit jeweils cha-rakteristischen Verteilungsmustern sind ebenfalls mit einem erhöhten Brust- und/oder Eierstockkrebsrisiko assoziiert, dar-unter das Peutz-Jeghers-Syndrom (STK11/LKB1), das Li-Fraumeni-Syndrom (TP53), das Cowden-Syndrom (PTEN), das Lynch-Syndrom (MLH1, MSH2, MSH6, PMS2) und das hereditäre diffuse Magen-karzinom (CDH1; [9]).

Trotz der inzwischen beträchtlichen Anzahl derzeit bekannter Gene, die bei familiärem Mammakarzinom mutiert sind, gilt, dass dominant erbliche, mono-gene Komponenten nur in rund 30% der Hochrisikofamilien identifiziert wurden. Dies gab Anlass zu der Vermutung, dass die restlichen 70% dieser Familien entwe-der Mutationen in bisher nicht bekannten, selten mutierten, ebenfalls moderat oder hochpenetranten Genen zeigen (extreme genetische Heterogenität) oder Mutatio-nen in jeweils mehreren Genen aufweisen (oligogene/polygene Vererbung). Die wei-tere Aufklärung dieser „missing heritabi-lity“ des familiären Brust- und Eierstock-krebses sowie das Auffinden weiterer ge-netischer und nichtgenetischer risikomo-difizierender Faktoren ist die Zielsetzung aktueller Forschungsaktivitäten.

Präventive Optionen

Als präventive Maßnahmen stehen prin-zipiell die intensivierte Brustkrebsfrüh-erkennung und risikoreduzierende Ope-rationsverfahren für beide Mammae so-

wie Eierstöcke/Eileiter zur Verfügung. In-tensivierte Brustkrebsfrüherkennungs-untersuchungen werden erkrankten und gesunden BRCA-Mutationsträgerinnen und Frauen aus BRCA-negativ getesteten Familien angeboten, die ein erhöhtes ver-bleibendes statistisches Risiko für eine Er-krankung tragen [4]. Das risikoadaptierte Früherkennungsprogramm beginnt frü-her als das Mammographiescreening für Frauen der Allgemeinbevölkerung, mit engmaschigeren Screeningintervallen und unter Einbeziehung der Magnetreso-nanztomographie [13]. Gründe dafür sind das hohe Brustkrebsrisiko, das vorgezo-gene Ersterkrankungsalter, das typischer-weise dichte Brustdrüsengewebe und die hohe Proliferationskapazität der Karzi-nome. Die seit 2005 im Deutschen Kon-sortium Familiärer Brust- und Eierstock-krebs zentralisiert erfassten prospektiven Daten wurden aktuell ausgewertet und zeigen, dass mit diesem Programm Mam-makarzinome in über 80% der Fälle in einem frühen Stadium (Stadium 0 und 1) diagnostiziert werden können (. Tab. 1, 2; Publikation in Bearbeitung). Effiziente Früherkennungsuntersuchungen für das Ovarialkarzinom existieren nicht [14], weshalb BRCA1/2-Mutationsträgerinnen die prophylaktische beidseitige Salpingoo-phorektomie (PBSO) nach abgeschlosse-ner Familienplanung um das 40. Lebens-jahr herum empfohlen wird. Die PBSO reduziert das Ovarialkarzinomrisiko auf ein 2%iges Restrisiko, das Brustkrebsrisi-ko um 50% und das Risiko für ein kontra-laterales Zweitkarzinom der Brust um 30–50%. Neben der Senkung der krebsspezi-fischen Mortalität konnte außerdem eine 75%ige Reduktion der Gesamtmortalität nach PBSO gezeigt werden. Eine hormo-nelle Substitution wird bis zum Eintritt in die natürlichen Wechseljahre (ca. 50. Le-bensjahr) empfohlen. Die PBSO ist bisher der einzige prophylaktische Eingriff, für den zuverlässige Daten bezüglich der Ef-fektivität vorliegen [15].

Als weitere prophylaktische Operation stehen gesunden BRCA1/2-Mutationsträ-gerinnen die prophylaktische beidseitige Mastektomie (PBM) sowie die prophylak-tische kontralaterale Mastektomie (PCM) nach einseitigem Mammakarzinom zur Verfügung (. Tab. 3, [4]). Die PBM senkt das Risiko einer gesunden BRCA-Mutati-

onsträgerin für ein Mammakarzinom auf ca. 5%, wobei die vollständige Entfernung des Brustdrüsengewebes unter Mitnahme des Mamillen-Areola-Komplexes die der-zeit sicherste Maßnahme darstellt.

Die überwiegende Anzahl von Frauen, die aktuell eine prophylaktische Mastekto-mie durchführen lassen, ist bereits einsei-tig an Brustkrebs erkrankt. Hauptaspekt

Zusammenfassung · Abstract

FORUM 2013 · 28:431–435DOI 10.1007/s12312-013-1041-7© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

K. Rhiem · R.K. SchmutzlerPräventive Chirurgie bei erblichem Brust- und Eierstockkrebs

ZusammenfassungHintergrund.  Bei etwa jeder 500. Frau der Allgemeinbevölkerung liegt eine erbliche Krebsbelastung mit Veränderungen in einem Hochrisiko-Gen (BRCA1 und BRCA2) vor.Präventive Maßnahmen.  Als präventive Maßnahmen stehen für die Betroffenen die intensivierte Brustkrebsfrüherkennung, die beidseitige prophylaktische Salpingoopho-rektomie und die prophylaktische (beidsei-tige) Mastektomie zur Verfügung. Im vorlie-genden Beitrag werden die genetischen und klinischen Grundlagen zu den risikoreduzie-renden Operationen bei BRCA-Mutationsträ-gerinnen diskutiert.

SchlüsselwörterBRCA1-Gen · BRCA2-Gen · Salpingoophorektomie · Radikale Mastektomie · Präventivmaßnahmen

Prophylactic surgery in BRCA1/2 mutation carriers

AbstractBackground.  One in approximately every 500 women in the general population has an increased risk of cancer associated with mutations in a high-risk gene (BRCA1 and BRCA2).Preventative measures.  As preventative measures, structured breast cancer surveil-lance, the salpingo-oophorectomy and pro-phylactic (bilateral) mastectomy are available for the affected patients. In the present ar-ticle, the genetic and clinical fundamentals concerning risk-reducing operations in the case of BRCA mutation carriers are discussed.

KeywordsBRCA1 gene · BRCA2 gene · Salpingo-oophorectomy · Radical mastectomy · Preventive measures

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für die Entscheidung der Frauen ist dabei insbesondere, eine erneute systemische Behandlung zu vermeiden. In einer ersten Arbeit des Deutschen Konsortiums Fa-miliärer Brust- und Eierstockkrebs konn-te gezeigt werden, dass das Zweiterkran-kungsrisiko von Mutationsträgerinnen stark vom betroffenen Gen und vom Al-ter bei Ersterkrankung abhängt [16].

»  BRCA1/2 -Mutationsträgerinnen wird die Salpingoophorektomie empfohlen 

Zur Klärung des Zweitkarzinomrisikos von BRCA1/2-negativ getesteten erkrank-ten Frauen aus Risikofamilien konnte das Konsortium die aktuell größte retros-pektive Untersuchung zum Zweiterkran-kungsrisiken von Frauen aus Hochrisi-kofamilien vorlegen [17]. Demnach ent-spricht das Zweiterkrankungsrisiko der BRCA1/2-negativ getesteten Risikopatien-tinnen im Wesentlichen dem von Frauen mit sporadischem Brustkrebs. Die Be-rechnungen der konkurrierenden Risiken durch eine Metastasierung bzw. ein Rezi-div stehen noch aus und werden voraus-sichtlich zu einer weiteren Reduktion der Zweiterkrankungsrisiken führen.

Schlussfolgerungen

Die Entscheidung für bzw. gegen eine pro-phylaktische Operation muss auf einer in-dividuellen Risikoeinschätzung basieren. Diese muss von Experten durchgeführt werden und multidimensional die indi-viduelle Situation der Ratsuchenden be-rücksichtigen. Aus der zunehmenden Identifikation von Risiko-Genen sofort klinische Handlungsstrategien abzulei-ten, ist sicherlich nicht sinnvoll. Zunächst müssen die phänotypischen Charakte-ristika der Tumoren und mögliche ge-netische Interaktionen identifiziert wer-den sowie die Effektivität der zur Verfü-gung stehenden präventiven Maßnah-men in den genetisch definierten Subty-pen geklärt sein. Gemeinsam mit der Rat-suchenden sollte dann mittels „shared de-cision making“ eine Bewertung ihrer indi-viduellen Risiken und möglicher sinnvol-ler präventiver Optionen vorgenommen

werden. Nur so können die Ratsuchenden schließlich zu einer für sie langfristig trag-baren Entscheidung über die Inanspruch-nahme prophylaktischer Operationen ge-langen. Insbesondere angesichts der der-zeit stark ansteigenden Zahl prophylak-tischer Mastektomien, die am ehesten durch Unkenntnis der tatsächlichen Risi-ken sowie Angst der Betroffenen zu erklä-ren ist, hat sich das Konsortium zu einer vorrangigen Aufgabe gemacht, die vor-liegenden Daten zu kommunizieren und die individuellen Entscheidungsprozesse psychoonkologisch zu begleiten, um in-formierte Entscheidungen der Betroffe-nen zu gewährleisten.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. R.K. SchmutzlerZentrum für Familiären Brust- und  Eierstockkrebs, Universitätsklinikum KölnKerpener Str. 34, 50931 Kö[email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  K. Rhiem ist Ovarian Cancer Board Member Astra Zeneca, R.K. Schmutzler erhielt Vortragshonorar von Astra Zeneca und ist Ovarian Cancer Board Member Astra Zeneca.   Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

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  7.  Antoniou A, Pharoah PD, Narod S et al (2003) Ave-rage risks of breast and ovarian cancer associa-ted with BRCA1 or BRCA2 mutations detected in case Series unselected for family history: a com-bined analysis of 22 studies. Am J Hum Genet 72(5):1117–1130

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17.  Rhiem K, Engel C, Graeser M et al (2012) The risk of contralateral breast cancer in patients from BRCA1/2 negative high risk families as compared to patients from BRCA1 or BRCA2 positive families: a retrospective cohort study. Breast Cancer Res 14:R156

435FORUM 6 · 2013  |