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Problemorientierte Schülerexperimente
Martin HopfÖsterr. Kompetenzzentrum für Didaktik der Physik Universität Wien
Überblick
• Hintergrund• Problemorientierte Schülerexperimente• Beispiele• Erfahrungen• Zusammenfassung und Ausblick
Überblick
• Hintergrund• Problemorientierte Schülerexperimente• Beispiele• Erfahrungen• Zusammenfassung und Ausblick
(PISA 2006)
Ausgangssituation
(PISA-I-PLUS, 2006)
„Für die physikalische Ausbildung der Schüler sind planmäßig geordnete Übungen im eigenen Beobachten und Experimentieren erforderlich.“
Meraner Konferenz 1905
Experimente planen und durchführenEs wird erwartet, dass die Schülerinnen und Schüler• Experimente zur Klärung konkreter physikalischer
Fragestellungen planen können; • Experimente nach Experimentieranleitung oder
eigener Planung aufbauen und durchführen können; • vollständige und übersichtliche Versuchsprotokolle
anfertigen können; • Messdaten in geeigneten Koordinatensystemen
darstellen können; • mit Experimentiergeräten sachgerecht und unter
Beachtung der Sicherheitsbestimmungen umgehen können.
Anteil von Schülerexperimenten
8%
Merzyn 1994
Empirische Ergebnisse
• Wenige empirische Untersuchungen(z.B. Lapointe 1992; Stohr-Hunt 1996; Horstendahl, Fischer, Rolf 2000)
• Keine eindeutigen Ergebnisse zur Wirksamkeit von Schülerexperimenten bei
Wissenserwerb
Motivation und Interesse
Fazit
Eigenständiges Experimentieren• gilt als wesentliche Arbeitsmethode im Physikunterricht• ist seit langer Zeit in Lehrplänen• wird für ein Qualitätsmerkmal guten Unterrichts gehalten• gilt als Allheilmittel zu dessen Verbesserung
Aber:• Schülerexperimente sind nicht so verbreitet wie erwartet • Sie führen nicht automatisch zu einer Verbesserung des
Unterrichts• Viele KollegInnen sind unzufrieden mit Schülerexperimenten• Manche setzen sie praktisch nie ein
Gründe
• Hoher Ressourcen-Aufwand
• Experimentieren ohne zu Denken („very busy getting nowhere“)
• wenig Lernzuwachs durch Experimentieren• Ziele, die die Schüler/innen wahrnehmen, sind andere als
die der Lehrkraft
Ziele des Experimentierens
• Enhancing mastery of subject matter• Developing scientific reasoning• Understanding the complexity and ambiguity of empirical
work• Developing practical skills• Understanding of the nature of science• Cultivating interest in science and interest in learning
science• Developing teamwork abilities
(America‘s Lab Report, 2006)
Stand der Dinge
• Stark vorgegebener Verlauf („Kochbuchartig“)
• So choreografiert, dass möglichst wenig schief gehen kann („Die Gesetze der Physik sind so mächtig, dass die Lehrkraft zur Demonstration nicht einmal selbst beteiligt sein muss“)
• Wenig eingebettet in den Unterricht• Kaum Alltagsbezug
Überblick
• Hintergrund• Problemorientierte Schülerexperimente• Beispiele• Erfahrungen• Zusammenfassung und Ausblick
Hypothese war:
Schülerexperimente können lernwirksamer gestaltet werden durch: • Problemorientierung• Offenheit• Interessante Kontexte• Anwendung physikalischen Wissens nach Unterricht zum entsprechenden Inhaltsgebiet
• (Re-)aktivierung und Nutzung gelernter Konzepte in alltäglichen Kontexten
• Verbindung mit Erfolgserlebnissen
Überblick
• Hintergrund• Problemorientierte Schülerexperimente• Beispiele• Erfahrungen• Zusammenfassung und Ausblick
Konzeption
Neugestaltung bewährter Inhalte unter Beachtung von:
• Problemorientierung• Lebensweltbezug und persönliche Relevanz
Beispiele
Grüner TeeDu möchtest Dir zum Aufwärmen grünen Tee zubereiten. Dieser darf jedoch nur mit Wasser einer bestimmten Temperatur zubereitet werden.Finde heraus, wie viel Eiswasser du mit kochendem Wasser mischen musst, um grünen Tee zu machen, auch wenn du die Endtemperatur noch nicht weißt.
Die AusstellungDu und zwei deiner Freunde seidfür morgen zu einer Geburtstagsfeier eingeladen worden. Ihr freut euch schon sehr, da ihr auch ins Kino gehen werdet. Es taucht jedoch ein Problem auf. Euer Kunstlehrer hat für morgen, zur Finanzierung eines großen Schulfestes, eine kleine Gemäldeausstellung mit anschließendem Verkauf angesetzt. Damit den Ausstellungsstücken nichts passiert, werden für jeden der drei Räume jeweils zwei Schüler zur Bewachung eingeteilt und ihr seid darunter. Da ihr jedoch unbedingt zu der Party eures Freundes gehen möchtet, bittet ihr euren Lehrer euch frei zu geben. Er erklärt euch, dass ihr euch frei nehmen könnt, wenn ihr ihm beweist, dass es einem Schüler pro Raum gelingen kann, von einem Platz aus alle Bilder im Auge zu behalten.
HandyDu hast dir deine Sommerferien so schön vorgestellt: eine Kreuzfahrt in der Karibik auf einer wunderschönen Segelyacht –wenn da nur nicht dieser Sturm aufge-kommen wäre. Jetzt sitzt du mit deinen Eltern auf einer verlassenen Insel festund würdest wirklich gerne gerettet werden.
Gott sei Dank habt ihr einige Geräte aus dem Segelschiff retten können, bevor es unterging: Das Satellitenhandy, eine große Batterie und viel Kleinkram (darunter verschiedene Kabel, Stifte, Büroklammern, Alufolie und ein kleines Messgerät).Es gibt da nur ein kleines Problem: Man muss das Satellitenhandy mit genau der Spannung versorgen, die auf dem Typenschild steht. Ist die Spannung zu hoch, geht das Gerät kaputt. Ebenfalls ist es schlimm, eine zu niedrige Spannung anzulegen: das Gerät funktioniert dann scheinbar, aber es sendet keinen Notruf.Die Spannung der Batterie ist aber zu hoch für das Handy.Deine Eltern haben zwar keine Ahnung von Physik aber Angst um das Gerät. Deswegen wollen sie es dir erst dann aushändigen, wenn du sie überzeugen kannst, dass du das Gerät sicher betreiben kannst.Deine Aufgabe ist es, das zu bewerkstelligen.
WalkmanDu bist übers Wochenende mit deinen Elternin eine Ferienwohnung gefahren. Dort gibt esweder einen Internetanschluss noch einen Fernseher. Damit es nicht so langweilig wird, hast du deinen kleinen Kassettenrekorder mitgenommen. Als du das Gerät benutzen willst, stellst du fest, dass die Batterien noch auf deinem Schreibtisch zu Hause liegen. Aber es gibt da ja noch eine Solarzelle in der Ferienwohnung. Während du versuchst, deinen Walkman an die Solarzelle (deren Spannung du nicht kennst) anzuschließen, kommen dir Bedenken: vielleicht wäre es doch besser, eine Sicherung einzubauen, die dein Gerät schützt. Dazu wirst du jetzt ein Modellexperiment durchführen.
Bevor du mit dem Experimentieren beginnst, überlege dir, was genau die Sicherung leisten muss.Bei deiner Suche nach Experimentiermaterial findest du neben verschiedenen Drähten auch ein Stromstärkemessgerät.
Neugestaltung bewährter Inhalte unter Beachtung von:
• Problemorientierung• Lebensweltbezug und persönliche Relevanz• Verhinderung von Trial-and-Error-Verhalten der
Schülerinnen und Schüler
Konzeption
Verhinderung von Trial-and-Error
Jeweils ein wichtiger Parameter wird den Schülerinnen und Schüler vorenthalten.
• Wärmelehre: Endtemperatur• E-Lehre: Nur ein Versuch mit dem Handy
Neugestaltung bewährter Inhalte unter Beachtung von:
• Problemorientierung• Lebensweltbezug und persönliche Relevanz• Verhinderung von Trial-and-Error-Verhalten der
Schülerinnen und Schüler• Differenzierung
Konzeption
Differenzierung durch Hilfekarten
Walkman Hilfekarte 2
In einer Schmelzsicherung ist ein dünner Draht, der bei einer bestimmten Stromstärke schmilzt und dadurch den Stromkreis unterbricht.
Welcher Draht ist besonders gut zur Verwendung in einer Sicherung geeignet ?
Wie kann man herausfinden, für welche maximale Stromstärke der Walkman ausgelegt ist ?
und Zusatzaufgaben
Weitere Beispiele
• Bergsteigerflaschenzug• Schiefe Ebene
• Bimetall• Boyle-Mariotte• Wärmeleitung
Weitere Beispiele
• Fernrohr• Fehlsichtigkeiten• Farbmischung
• Elektrisches Thermometer• Boxenkabel • Messbereichserweiterung• Kalibrierung eines Messgerätes
Alle Materialien sind online erhältlich unter:
www.didaktik.physik.uni-muenchen.de-> Materialien
Überblick
• Hintergrund• Problemorientierte Schülerexperimente• Beispiele• Erfahrungen• Zusammenfassung und Ausblick
Ergebnisse
• Ungewohnte Unterrichtsmethode• Die meisten Jugendlichen beteiligen sich aktiv am
Experimentieren• Experimente aus der Optik bereiten erheblich größere
Schwierigkeiten als solche aus der E-Lehre• Positives Feedback bei Lehrkräften, Schülerinnen und
Schülern mögen die Experimente, bewerten sie aber als sehr schwer
Prozessdaten: Handlungen
0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
O 3.PP LG PP MA ME CL BO 3.PT
Problemorientiert
Klassisch Andere O
Interaktion mit Tutor 3.PT
Interaktion mit Mitschülern 3.PP
Versuchsanleitung LG
Stift und Papier PP
Manipulation der Apparatur MA
Messung ME
Berechnung CL
Schulbuch, Schulheft BO
Prozessdaten: Sprache
0
0,05
0,1
0,15
0,2
0,25
0,3
0,35
0,4
0,45
0,5
O KT KTPT KM NV
ProblemorientiertKlassisch
Andere O
Technisches Wissen KT
Technisches und physikalisches Wissen
KTPT
Mathematisches Wissen KM
keine Äußerungen NV
Details:
0%10%20%30%40%50%60%70%
O Sprache O Kontext MA KPTP
Schwache Schüler bei den klassischen Experimenten (Vorwissen wenig - mittel)
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
O Sprache O Kontext MA KPTP
Schwache Schüler bei den problemorientierten Experimenten (Vorwissen wenig - mittel)
Wissensentwicklung Optik: Standarditems
0
2
4
6
8
10
12
14
16
Prä Post
Treatmentgruppe
Kontrollgruppe
Jungen Mädchen
0
2
4
6
8
10
12
14
16
Prä Post
Treatmentgruppe
Kontrollgruppe
0
2
4
6
8
10
12
14
16
Prä Post
Treatmentgruppe
Kontrollgruppe
Treatmentbezogene Items
0
0,5
1
1,5
2
2,5
3
3,5
4
Prä Post
Treatmentgruppe
Kontrollgruppe
Selbstwirksamkeitserwartung
1
1,5
2
2,5
3
3,5
4
4,5
5
Prä Post
Treatmentgruppe
Kontrollgruppe
Interessantheit von Experimenten
1
1,5
2
2,5
3
3,5
4
4,5
5
Prä Post
Treatmentgruppe
Kontrollgruppe
Ergebnisse Elehre: Standarditems
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
Prä Post
TreatmentgruppeKontrollgruppe
Interessantheit von Experimentieren
1
1,5
2
2,5
3
3,5
4
4,5
5
Prä Post
Treatmentgruppe
Kontrollgruppe
Überblick
• Hintergrund• Problemorientierte Schülerexperimente• Beispiele• Erfahrungen• Zusammenfassung und Ausblick
Fazit
• Problemorientierte Experimente „funktionieren“:– Es wird über Physik geredet
– Die Schüler/innen arbeiten intensiv
– Lehrkräfte und Schüler/innen bewerten sie positiv• Die Unterstützung des Wissenserwerbs gelingt kaum.• Nicht-kognitive Merkmale werden leicht positiv
beeinflusst.
Folgerungen (?)
• Experimentieren ist und bleibt ein wesentlicher Aspekt des Physikunterrichts
• Zu viele Ziele gleichzeitig zu erreichen gelingt auch mit Schülerexperimenten nicht
• „Schülerexperiment oder nicht?“ ist vermutlich die falsche Frage
• Stattdessen: „Welches Angebot unterstützt Schüler/innen am besten im Lernprozess?“
• Der Einfluss der Sachstruktur ist erheblich größer als der des Methodeneinsatzes
Vielen Dank an …
• Alle beteiligten Schülerinnen und Schüler,• Alle Lehrkräfte,• Nico Broksch, Andrea Koslow, Roswitha Ebner, Eva
Ruffing, Stefanie Grandl, Florian Wagner, Stefan Baumgartner
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Prof. Dr. Martin Hopf
Österreichisches Kompetenzzentrum für Didaktik der PhysikUniversität WienWähringer Str. 17, 1090 Wien
www.univie.ac.at/[email protected]