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Prof. Dr. Franz PorzsoltKlinische Ökonomik, Universitätsklinikum Ulm, 89075 Ulm

Vorlesung GesundheitsökonomieUniversität UlmWS 2007/2008

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Konzept des Nutzens in der Medizin

Einführung in die Problematik: Verwendung der QALYs zur Allokationsentscheidung

Unterschiede zwischen Gesundheitsökonomie und Klinischer Ökonomik?

Theoretische Aspekte der Nutzenbewertung Konzepte und Messmethoden Alltagsprobleme Patientennutzen und „Intangibler Nutzen“ Modelle zur praktischen Umsetzung I + II Perspektiven des Modells

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Einführung in die Problematik

Sie haben zwei Gruppen von Patienten zu versorgen.Die erste Gruppe (n = 150) leidet an Oligomanie.Die zweite Gruppe (n = 40) leidet an Necessitis.

Der Behandlungserfolg (Nutzen) wird bei beiden Erkrankungen in Quality Adjusted Life Years (QALYs) gemessen, wobei gilt: 1 QALY = 1 QALY = 1 QALY

Die Oligomanie kann durch Oligin® bei einem Patienten zum Preis von 0,5 € um 1 QALY verbessert werden.Die Necessitis kann durch Necessin® zum Preis von 1 € um 1 QALY verbessert werden.

Ihr Budget ist zu klein, um bei allen Patienten eine Ver-besserung um 1 QALY zu erzielen. Es stehen 100 € für die Therapie beider Erkrankungen zur Verfügung.

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Quality Adjusted Life Years (QALYs)

Oligomanie(n = 150)

Necessitis(n = 40)

Verbesserung um 1 QALY

durch Oligin®Kostet 0,5 €

durch Necessin®Kostet 1 €

Verfügbar 100 €

Frage:Hat jeder Patient, der in Not ist, das gleiche Recht auf Behandlung oder sind die Mittel effizient einzusetzen, d.h. anhand des optimalen Verhältnisses von Kosten und Nutzen?

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Quality Adjusted Life Years (QALYs)

Lösung 1: Prinzip der Allokativen Effizienz: Alle, die in Not sind, haben zunächst das gleiche Recht auf Behandlung!

Sie behandeln jeweils einen Patienten mit Oligomanie + einen Patienten mit Necessitis zum Preis von 0,5 + 1 € = 1,50 € bis alle Patienten einer der beiden Krank-heitsgruppen behandelt sind. Die Restmittel werden für die Behandlung der verbleibenden Patienten verwendet.

Mit 40 x 1,50 € = 60 € können alle 40 Necessitis Pa-tienten und 40 Oligomanie-Patienten versorgt werden; zusätzlich verbleiben 40 € zur Versorgung weiterer 80 Oligomanie-Patienten.

Nach Behandlung der 40 Necessitis Patienten und von 40 + 80 Oligomanie-Patienten, sind die Mittel aufge-braucht. Es verbleiben 30 Oligomanie-Patienten ohne Versorgung.

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Lösung 1: Jeder hat das gleiche Recht auf Behandlung

Oligomanie(n = 150)

Necessitis(n = 40)

Verbesserung um 1 QALY

durch Oligin®Kostet € 0,5

durch Necessin®Kostet € 1.-

Für die ersten 40 Patienten

40 Patienten€ 20.-

40 Patienten€ 40.-

Von € 100.- verbleiben € 40.-

Mit € 40,-können weitere 80 Oligo-Pat versorgt werden. 30 Oligo-Pat bleiben unversorgt

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Quality Adjusted Life Years (QALYs)

Lösung 2:Prinzip der technischen Effizienz: Die Mittel sind effizient einzusetzen (d.h. der maximale Nutzen ist mit dem geringst möglichen Aufwand zu erreichen).

Dazu müssen die Mittel primär für die effizienteste Therapie verwendet werden. D.h. es sind zunächst alle Patienten zu behandeln, bei welchen ein vergleichbarer Nutzen (hier 1 QALY) durch Verwendung der geringst möglichen Mittel erreicht werden kann.

Das bedeutet, dass primär alle Patienten mit Oligoma-nie (150 x 0,5 € = 75 €) behandelt werden. Die verblei-benden Mittel (25 €) werden für die Finanzierung weniger effizienter Therapien verwendet.

Damit können 25 Necessitis-Patienten behandelt werden; 15 Necessitis Patienten bleiben unversorgt.

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Lösung 2: Effiziente Verwendung der Mittel

Oligomanie(n = 150)

Necessitis(n = 40)

Verbesserung um 1 QALY

durch Oligin®Kostet 0,5 €

durch Necessin®Kostet 1 €

Erst Oligom. dann Necess.

Versorg. aller Oligos € 75,-

Verbl. € 25,- für Therapie Necess

Von € 100,- verbleiben € 25,-

Mit € 25,- können 25 Nec-Pat versorgt werden. 15 Nec-Pat

bleiben unversorgt

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Quality Adjusted Life Years (QALYs)

Diskussion der Lösungen Bietet dieses Beispiel eine Strategie, die im klini-

schen Alltag anwendbar ist? Können Sie sich anhand dieses Modells eine

Entscheidung treffen oder benötigen Sie konkrete Angaben zu den Patienten, Erkrankungen und zu Langzeit-Effekten der Therapie?

Gibt es neben QALYs und Kosten weitere Kriterien, die Ihre Entscheidung beeinflussen?

Wenden alle Ärzte in vergleichbaren Situationen ähnliche Kriterien für ihre Entscheidung an?

Ist es besser, zusätzliche (individuell gewählte) Entscheidungskriterien einzubeziehen oder sollen diese zusätzlichen Kriterien vermieden werden?

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Quality Adjusted Life Years (QALYs)

„Hintergrundinformationen“Würde Ihre Entscheidung anders ausfallen wenn … Oligomanie und Necessitis betreffen

unterschiedliche Alters- und Berufs-gruppen mit unterschiedlichen Risiko-faktoren.

Die Risiken eines Rezidivs unterscheiden sich bei beiden Erkrankungen erheblich.

Die Rate der beruflichen Wiedereingliede-rung ist für beide Erkrankungen unterschiedlich.

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Unterschiede zwischen Gesundheits-ökonomie und Klinischer Ökonomik

Diskussion jener, die Entscheidungen am Schreibtisch (Tischler) und am Krankenbett (Bettler) treffen

Unterschiedliche Sozialisation Unterschiedliche Sichtweisen Unterschiedliche Werte

Porzsolt F, Stengel D, Sigle J, Eisemann M. Von „Tischlern“ und „Bettlern“: Sie sollten von einander lernen.Dtsch Med Wochenschr 2007;132:1000-1003

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Unterschiede zwischen Gesundheits-ökonomie und Klinischer Ökonomik

Gesundheitsökonomie Klinische Ökonomik

Ziel Primäre Zielparameter Erforderliche Ausbildung Arbeitsfeld Methoden

Vergleich von Kosten und Konsequenzen alternat. Handlungsmöglichkeiten Monetäre Kosten (Ökonomie) Wirtschaftswissenschaft in Theorie oder Praxis Hypothetisches Modell (i.d.R. nicht falsifizierbar) CMA, CEA, CUA, (CBA)

Darstellung des erzielten Wertes für den Patienten u. die Solidargemeinschaft Quantität und Qualität des Lebens (Medizin) Klinische Epidemiologie u. Facharzt für Teilgebiet Klinische Studie (mit falsifi-zierbarer Hypothese) NNT, LR, HRQL, QWB

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Theoretische Aspekte der Nutzenbewertung

Nutzen Generell angewandtes Prinzip Das Streben nach Maximierung garantiert Wohlfahrt

Psychologie Subjektives Glück und Wohlbefinden wird durch

Persönlichkeitsmerkmale, soziodemographische und kontextabhängige Faktoren beeinflusst

Wirtschaftswissenschaften Historische Entwicklung

Klassisch: Kardinaler Nutzenbegriff, messbar in objektiven Einheiten

Neoklassisch: Ordinal, subjektiv: individuelle Präfe-renzhierarchien anstatt objektiv messbarem Nutzen

Aktuell: Messbar an Wohlbefinden / Zufriedenheit

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Theoretische Aspekte der Nutzenbewertung

Wirtschaftswissenschaften (Forts.) Konzept

Aus aggregiertem Nutzenkalkül der Individuen entsteht gesamt-wirtschaftliche Nachfrage. Nur nachgefragte Güter werden produziert.

Definition Maß für die Fähigkeit eines Gutes oder Gegenstandes, die

Bedürfnisse eines wirtschaftlichen Akteurs zu befriedigen.Nutzen = Beitrag zur Bedürfnisbefriedigung

Im Gesundheitswesen entspricht dieses Maß der Sicherheit, mit der die Bedrohung von Gesundheit und Leben abgewandt werden kann.Nutzen = Beitrag zur Garantie von Sicherheit

Fazit:Unterschiedliche Definitionen des Nutzens in Wirtschaft, Psychologie und Gesundheitswesen.

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Konzepte und Messmethoden(Anatomie und Physiologie der Nutzenbewertung)

Nutzen als ein- oder mehrdimensionales Aggregat („Lebensqualität“, Sicht von Individuen) Visuelle Analogskala (VAS) Gesundheitsbezogene Lebensqualität (hrQoL)

Nutzen als Präferenz oder Verhalten(Erfragte Präferenz, Sicht von Individuen) Standard Gamble (Präferenz) Time-Trade-Off (Präferenz) Conjoint- / Discrete Choice Analyse (Präf oder Verhalten)

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Konzepte und Messmethoden(Anatomie und Physiologie der Nutzenbewertung)

Nutzen als 2-dimensionales Produkt(Lebensqualität x Lebenszeit, Sicht der Gesellschaft) Qualitätsbezogene Lebensjahre (QALY)

Nutzen als Quotient

(Aufwand/Ertrag;Grenznutzen, Sicht der Gesellschaft) Inkrementelle Kosten Effektivitäts (ICE) Analyse

Nutzen als 3-dimensionales Produkt(Validität, Absolute Risikoreduktion, Typ der Erwarteten Effektivität, Sicht von Individuen und der Gesellschaft) Wert

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Konzepte und Messmethoden

Visuelle Analog Skala

Trifft immer zu

Trifft nie-mals zu

Sehr gut

Sehr schlecht

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Konzepte und Messmethoden

Gesundheitsbezogene LebensqualitäthrQoL

• Fragebogen oder Interviews• Selbst- oder fremd-bewertet• Generisch oder spezifisch• Mehrere Dimensionen

•körperlich, seelisch, sozial• Beschreibung als Profil oder Index

•Nottingham Health Profile, SF-36•EuroQol, QWB-Scale

• Validierung!

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Konzepte und Messmethoden

p: vollst. Gesundheit

1-p: Tod

GegenwärtigerGesundheitszustand

Standard Gamble:Gesucht wird der Punkt der Unentschlossenheitbei zwei alternativen Handlungsmöglichkeiten

Welcher Wahrscheinlichkeit (p) – zwischen vollständiger Gesundheit (p)und dem Tod (1-p) – entspricht Ihr derzeitiger Gesundheitszustand?

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Konzepte und Messmethoden

Time-Trade-OffWie viele Jahre Ihres jetzigen Lebens sind Sie aufzugeben bereit,um einen Zustand in optimaler Lebensqualität zu erreichen ?

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Konzepte und Messmethoden

Conjoint und Discrete Choice Analysen

Die Conjoint Analyse erstellt aus verschiedenen variablenanhand geäußerter Präferenzen eine gewichtete Reihe vonNutzwerten.

Wenn zusätzlich eine konkrete Entscheidung zur Akzeptanzgetroffen wird, kann daraus eine Bewertung des Nutzens ab-geleitet werden.

Beide Analysen können die (theoretische) Präferenz [meist]oder [seltener] das (reale) Verhalten abbilden.

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Konzepte und Messmethoden

QOL

0.8

0.4

Time

QALY-Konzept

3 6

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Konzepte und Messmethoden Nachteile der QALY Berechung

Messung der Lebensqualität nicht mit krankheitsspezifischen sondern nur mit generischen Instrumenten möglich, weil die An-wendbarkeit des Instruments bei verschiedenen Erkrankungen gegeben sein muss (auf Kosten der Sensitivität/Spezifität).

Die Anwendbarkeit auf verschiedene Erkrankungen erfordert eine Fremdbewertung unterschiedlicher Gesundheitszustände. Fremd- und Selbstbewertung messen unterschiedliche Konstrukte, werden aber beide zur QALY-Berechung verwendet.

Die Sensitivität und Spezifität generischer Instrumente ist meist zu gering, um den Mehrwert einer Therapie zu erfassen.

Instrument und Zustand müssen sich zur Indexbildung eignen, d.h. Beschreibung der LQ mit einer einzelnen Zahl. Mittelwerte aus wenig spezifischen Daten werden häufig ähnlich sein.

Lineare Skalierung bewertet kleine, sehr nützliche Effekte nahe am Minimum der LQ identisch wie kleine, wenig nützliche Effek-te am Maximum der LQ

QALY-Berechung bei sehr wenig effektiven oder kosteninten-siven Maßnahmen nicht erforderlich (weil geringer Nutzen auch ohne Berechung der QALYs erkennbar ist)

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Konzepte und Messmethoden Nachteile der QALY Berechung

(Zusammenfassung) Berechung der QALYs ist komplex und beruht auf

mehreren unbestätigten Annahmen Berechneten Werte sind unscharf, weil Instrumente

mit geringer Sensitivität uns Spezifität sowie Selbst- und Fremdbewertungen der Lebensqualität ange-wandt werden

In Extrembereichen sind QALY-Berechungen nicht erforderlich, weil der vorhandene oder fehlende Nutzen am günstigen Verhältnis von Effektivität und Kosten erkennbar ist. Im Grenzbereich sind die Daten zu wenig verlässlich

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Konzepte und Messmethoden

Der abnehmende Grenznutzen Der abnehmende Grenznutzen (Incremental Cost Effectiveness; ICE)(Incremental Cost Effectiveness; ICE)

Effektivität

Kosten (€)

1.

3.

2.

1.Glas / Operation

2.Glas / Adjuvante Chemo-/Hormontherapie

3.Glas / Immuntherapie

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Konzepte und Messmethoden

Wert (value)Um den Wert einer Gesundheitsleistung abschätzen zu können,sollten drei Informationen verfügbar sein:

• Validität der vorliegenden wissenschaftlichen Daten• Absolute Reduktion des bestehenden Risikos• Biologische Bedeutung [Verhinderung eines Todesfalls oder einer Befindlichkeitsstörung] und deren Eintrittswahrschein- lichkeit unter Alltagsbedingungen (= Typ der erwarteten Effektivität)

Diese drei Variablen werden als Produkt dargestellt, das einenErrechneten Wert zwischen 100 (maximal) und 0,5 (minimal)annehmen kann. Diese „Werte“ ermöglichen Vergleiche ver-schiedener Gesundheitsleistungen.

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Alltagsprobleme I

Brustkrebsbestätigt

BrustkrebsNicht bestätigt

Total

Entdeckt durchMammographie

23 219 242

Nicht entd. durch Mammographie

10 748 758

Gesamt mit Mammographie

33 967 1000

Gesamt ohne Mammograpie

20 13 Fälle weniger

980 1000

Barratt et al, BMJ 2005

Traditionelle Sicht des Brustkrebs-Screenings

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Alltagsprobleme I

Neue Sicht des Brustkrebs-ScreeningsPrinzip der „Gefühlten Sicherheit“

Brustkrebsbestätigt

BrustkrebsNicht bestätigt

Total

Entdeckt durchMammographie

23 219 242

Nicht entd. durch Mammographie

10 748 758

Gesamt mit Mammographie

33 967 1000Tod wegenBrustkrebs4 von 1000

Gesamt ohne Mammograpie

20 13 Fälle weniger13 zusätzl.Fälle?

980 1000 Tod wegen Brustkrebs5 von 1000

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Alltagsprobleme II

Behandlung eines intrakraniellen Aneurysma Coiling

Durch das Einbringen eines „Drahtgeflechts“ in ein Aneurysma entsteht eine lokale Thrombose

Der Eingriff kann teilweise ambulant durchgeführt werden Das Entgelt für das ambulante Coiling beträgt € 310.-

Clipping Die operative Entfernung des Aneurysmas Der Eingriff wird mit einer stationären Liegezeit von 22

Tagen durchgeführt Das Entgelt für das stationäre Clipping beträgt € 11705.-

Coiling oder Clipping Indikation vom klinischen Risiko abhängig Erfolgsraten beider Verfahren sind miteinander

vergleichbar

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Alltagsprobleme II Behandlung eines intrakraniellen Aneurysmas

Risiko ohne Behandlung (geschätzt) 5-10 Blutungen / 100.000 / Jahr

d.h. ca. 6000 Blutungen jährlich in Deutschland 1,75 Mio. Betroffene in Deutschland Blutungsrisiko eines Betroffenen liegt demnach bei

etwa 6000/1.75 Mio = 0.33 % jährlich (Lethalität der Blutung ca. 50%)

Wenn bei Diagnose eine Lebenserwartung von 25 Jahren besteht, beträgt die Gesamtmorbidität/-mortalität ~ 8%/4%

Risiko mit Behandlung (Dtsch. Ges. Neuroradiologie) Gesamtmorbidität/-mortalität ~ 8%/4%

Sinnvolle Konsequenz Präoperative Bewertung des Risikos Behandlung nur bei hohem Risiko Rechtfertigung hoher Behandlungskosten ist erforderlich

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Vorschlag zur Definition des Patienten-nutzens und des „Intangiblen Nutzens“

Entscheidungsrelevanter Nutzen entspricht nicht dem „realen“ sondern dem subjektiv empfundenen Nutzen.

Der empfundene Nutzen ist von der erhaltenen Information abhängig.

Stellvertretend für den von Patienten empfundenen Nutzen kann der „intangible Nutzen“ von einem repräsentativen Gremium anhand dreier Kriterien geschätzt werden Validität Absolute Risiko Reduktion Typ der erwarteten (Alltags-)Effektivität

Porzsolt F, Ackermann M, Amelung V. Konzept zur Bewertung des intangiblen Nutzens von Gesundheitsleistungen. Gesundh ökon Qual manag 2006;11:353-364

Porzsolt F, Ackermann M, Amelung V. The value of health care – a matter of discussion in Germany. BMC Health Services Research 2007,7:1

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Vorschlag zur Definition des Patienten-nutzens und des „Intangiblen Nutzens“

Patientennutzen Der Patientennutzen entspricht dem Mehr-

wert, der durch eine neue Leistung im Ver-gleich zu einer bestehenden Versorgungs-möglichkeit von den Patienten empfunden wird.

„Intangibler Nutzen“ Als Surrogat des Patientennutzens kann

der „Intangible Nutzen“ von einem re-präsentativen Gremium als Produkt aus Validität, Absoluter Risiko Reduktion und dem Typ der erwarteten (Alltags-)Effek-tivität berechnet werden.

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Modell zur praktischen Umsetzung I(Intangibler Nutzen wird höher bewertet als die Kosten!)

2 Handlungs-möglichkeiten

Intangibler Nutzenbeider Option ähnlich

Intangibler Nutzen beiderOptionen verschieden

Entscheidung ab-hängig von Kosten

Entscheidung ab-hängig vom Nutzen

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Perspektiven des Modells (1)

Geänderten Bedürfnisse der Gesellschaft können abgebildete werden (Demographischer Wandel, Wertewandel). Das Bewertungssystem kann Grundlage für die Erstellung von Ranglisten zur Definition der Grundversorgung sein. Längs- und Querschnittsvergleiche werden ermöglicht.

Schritte des Entscheidungsprozesses werden transparent und überprüfbar. Die Varianz und Fairness der Entscheidungen wird messbar. Die Diskussion wird versachlicht.

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Perspektiven des Modells (2)

Demokratischer Aspekt der Entscheidung legitimiert die nachfolgenden Entscheidungen.

Die bisher geführte Diskussion war zwangs-läufig auf Kosten begrenzt, weil keine quan-titativen Aussagen zu den Werten gemacht werden konnten.

Das vorgestellte Modell erfüllt drei Kriterien erfolgreicher politischer Entscheidungen inhaltlich „richtig“ mehrheitsfähig kommunizierbar

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Vorlesungsmanuskript unter:www.uniklinik-ulm.de/clinecs