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1 Programm Natur 2030 Für einen vielfältigen und vernetzten Lebensraum Aargau Handlungsfelder bis 2030 Ziele und Massnahmen der 1. Etappe 2021–2025 Departement Bau, Verkehr und Umwelt Beilage zur Botschaft 20.81

Programm Natur 2030 - Aargau · 2021. 2. 1. · Natur sowie auf einen Natur- und Landschaftsschutz zugunsten der Biodiversität und der Erholung. Mit dem vorliegenden Programm Natur

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    Programm Natur 2030Für einen vielfältigen und vernetzten Lebensraum Aargau

    Handlungsfelder bis 2030Ziele und Massnahmen der 1. Etappe 2021–2025

    DepartementBau, Verkehr und Umwelt

    Beilage zur Botschaft 20.81

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    HerausgeberDepartement Bau, Verkehr und Umwelt (BVU)Abteilung Landschaft und GewässerEntfelderstrasse 225001 Aarauwww.ag.ch

    Tel.: 062 835 34 50E-Mail: [email protected]: www.ag.ch/alg

    Copyright© 2020 Kanton Aargau

    Umschlagbild: Bienenfresser (Merops apiaster)

    Die UNO Agenda 2030 ist der globale Referenzrahmen für nachhaltige Entwicklung und der Bezugspunktfür die Nachhaltigkeitspolitik der Schweiz. Sie bündelt die nationalen und internationalen Anstrengungenfür gemeinsame Lösungen bei grossen Herausforderungen wie dem Ressourcenverbrauch, dem Verlustder Biodiversität oder dem Klimawandel.

    Kernbestandteil sind die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung.Das Programm Natur 2030 trägt namentlich zur Erfüllung derZiele 6, 11, 13 und 15 bei.

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    Vorwort

    Verantwortung für die kommenden Generationenübernehmen

    Natur und Landschaft sind von unschätzbarem Wert.Als Raum für Erholung und für Freizeitaktivitäten sindsie gerade im dichtbesiedelten Kanton Aargau wich-tige Standortfaktoren. Sie geniessen bei der Bevölke-rung einen hohen Stellenwert und machen den Aar-gau als Wohn- und Arbeitskanton attraktiver. Diese At-traktivität hat aber auch eine Kehrseite: Die Bevölke-rung wächst im Aargau überdurchschnittlich. Dadurchwird die Siedlungsfläche mit Wohn-, Gewerbe- undVerkehrsinfrastrukturen immer grösser – zum Nachteilder Landschaft. Der Boden für Grün- und Erholungs-gebiete kommt unter Druck und ist zum knappen Gutgeworden.

    Eine weitere Herausforderung ist der Klimawandel:Extreme wie Hitzewellen, Trockenperioden oderStarkniederschläge verursachen teilweise irreversibleVeränderungen in Landschaften und Lebensräumensowie in Bezug auf die Artenzusammensetzung. DerKanton Aargau hat daher einen neuen Entwicklungs-schwerpunkt "Klimaschutz und Klimaanpassung" ge-schaffen um auf diese Herausforderung zu reagieren.So auch im vorliegenden Mehrjahresprogramm Natur2030 mit der Wiedervernässung und Renaturierungehemaliger Moore und Feuchtgebiete.

    Der Kanton Aargau und insbesondere das Departe-ment Bau, Verkehr und Umwelt setzen sich für einenachhaltige Entwicklung, intakte Landschaften und dieErhaltung der Artenvielfalt ein. Das Thema ist auf derstrategischen Ebene in das Entwicklungsleitbild, denNachhaltigkeitsbericht und in verschiedene Fachstra-tegien eingeflossen. So heisst es im Entwicklungsleit-

    bild: "Natur und Landschaft werden geschützt und ge-pflegt und zielgerichtet aufgewertet. Die Schutz- undVernetzungsgebiete sowie die Gewässer werden zurSicherung der Biodiversität und für die naturbezogeneErholung gefördert." Ausserdem zielen zwei Stossrich-tungen aus der kantonalen Strategie umweltAARGAUauf bestmögliche Lebensbedingungen für Mensch undNatur sowie auf einen Natur- und Landschaftsschutzzugunsten der Biodiversität und der Erholung.

    Mit dem vorliegenden Programm Natur 2030 will derKanton Aargau einen wichtigen Beitrag leisten, umdiese umwelt- und klimapolitischen Ziele zu erreichen,und dem Verlust der Artenvielfalt entgegenzuwirken.Damit übernehmen wir die Verantwortung dafür, dasssich auch unsere Kinder und die nachfolgenden Ge-nerationen dereinst an intakten, vielfältigen Land-schaften mit hohen Naturwerten erfreuen und von denwertvollen und lebenswichtigen Leistungen der Naturprofitieren können.

    Regierungsrat Stephan AttigerVorsteher Departement Bau, Verkehr und Umwelt

    Stephan AttigerRegierungsrat

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    Inhalt

    Vorwort 3

    Zusammenfassung 7

    1 Ausgangslage 8

    2 Herausforderungen und Handlungsbedarf 92.1 Druck auf Natur und Landschaft 92.2 Entwicklung der Biodiversität 112.3 Klimawandel 14

    3 Nationale und kantonale Einbettung 173.1 NFA-Programmvereinbarung mit dem Bund 173.2 Schnittstellen auf Stufe Kanton 18

    4 Generelle Ausrichtung, Handlungsfelder und Ziele vonNatur 2030 194.1 Handlungsfeld I: Der Landschaft Sorge tragen 244.2 Handlungsfeld II: Kernlebensräume schützen,

    aufwerten und ergänzen 274.3 Handlungsfeld III: Die funktionale Vernetzung der

    Lebensräume sicherstellen 304.4 Handlungsfeld IV: Prioritäre und gefährdete Arten

    gezielt fördern 324.5 Handlungsfeld V: Kooperationen im Dialog mit

    Partnern stärken 344.6 Handlungsfeld VI: Menschen am Wert von Natur

    und Landschaft teilhaben lassen 36

    5 Kreditbedarf Programm Natur 2030, 1. Etappe (2021–2025) 39

    6 Anhang 416.1 Zwischenbilanz zum Programm Natur 2020 416.2 Abkürzungsverzeichnis 506.3 Glossar 516.4 Rechtsgrundlagen 55

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    Zusammenfassung

    Das Programm Natur 2030 ist ein Eckpfeiler der kan-tonalen Natur- und Landschaftsschutzpolitik. Esdient dem Vollzug von Aufgaben zum Schutz derLandschaft, zur Sicherung, Aufwertung und Vernet-zung von Lebensräumen und zur gezielten Förde-rung von Arten.

    Dabei handelt es sich um Verbundaufgaben vonBund, Kanton und Gemeinden, gestützt auf das Na-tur- und Heimatschutzgesetz (NHG) und die kanto-nale Gesetzgebung. Der Bund unterstützt entspre-chende Massnahmen der Kantone und Gemeindenfinanziell über Programmvereinbarungen im Rahmender Neugestaltung des Finanzausgleichs und derAufgabenteilung (NFA).

    Der vom Grossen Rat für die 2. Etappe (2016–2020)des Programms Natur 2020 bewilligte Kredit läuft am31. Dezember 2020 aus. Mit dem vorliegenden Be-richt zum "Programm Natur 2030 – Für einen vielfäl-tigen und vernetzten Lebensraum Aargau; 1. Etappe2021–2025" wird eine Zwischenbilanz des Pro-gramms Natur 2020 präsentiert und ein Kreditantragfür die 1. Etappe (2021–2025) des neuen Mehrjahre-sprogramms gestellt.

    Mit der weiterhin rasch wachsenden Bevölkerungnimmt auch die Beeinträchtigung der Aargauer Naturund Landschaft durch intensive Nutzungen, Verkehr,Lichtimmissionen, Naherholung und Freizeitaktivitä-ten weiter zu. Ausserdem führt der Klimawandel zuVeränderungen der Artenzusammensetzung. Hitze-und Trockenheitsereignisse wirken sich namentlichauf Feuchtlebensräume nachteilig aus und erforderngezielte Aufwertungsmassnahmen sowie Anpassun-gen in deren Pflege.

    Schweizweit ist heute jeder zweite natürliche Le-bensraum und jede dritte einheimische Art gefähr-det. Auch im Kanton Aargau bleibt der Handlungsbe-darf für die Aufwertung und bessere Vernetzung na-türlicher und naturnaher Lebensräume und die För-derung der Artenvielfalt hoch. Während weniger an-spruchsvolle Arten von den Fördermassnahmen der

    letzten Jahre profitierten, sind insbesondere viele ge-fährdete Arten, meist ausgesprochene Lebensraum-spezialisten, weiterhin in einem sehr kritischen Zu-stand.

    Die Umsetzung des Programms Natur 2030 soll mitfolgenden sechs Handlungsfeldern erfolgen:

    I. Der Landschaft Sorge tragenII. Kernlebensräume schützen, aufwerten und

    ergänzenIII. Die funktionale Vernetzung der Lebensräume

    sicherstellenIV. Prioritäre und gefährdete Arten gezielt fördernV. Kooperationen im Dialog mit Partnern stärkenVI. Menschen an Natur und Landschaft teilhaben

    lassen

    Die Schwerpunkte des Programms Natur 2030 ori-entieren sich einerseits an den Vorgaben und Priori-täten des Bundes im Rahmen der NFA-Programm-vereinbarung 2020–2024, andererseits enthalten sieUmsetzungsmassnahmen des kantonalen Entwick-lungsschwerpunkts "Klimaschutz und Klimaanpas-sung".

    Zentrales Anliegen des vorliegenden Programms istdie Realisierung und Optimierung einer funktionie-renden Ökologischen Infrastruktur zur langfristigenSicherung der Biodiversität und ihrer Ökosystemleis-tungen im Kanton Aargau. Dabei gilt es Schutz- undNutzinteressen abzustimmen, Massnahmen übereinzelne Sachbereiche hinweg zu koordinieren, Sy-nergien zu nutzen und die Menschen am Wert einervielfältigen und vernetzten Aargauer Landschaft teil-haben zu lassen.

    Für die 1. Etappe (2021–2025) des Programms Na-tur 2030 wird ein Verpflichtungskredit für einen ein-maligen Bruttoaufwand von 16,5 Millionen Frankenfür fünf Jahre beantragt.

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    1 Ausgangslage

    Die Biodiversität nimmt schweizweit ab. Ihre Entwick-lung ist trotz einzelner Teilerfolge besorgniserregend.Diesen Trend gilt es zu stoppen. Dazu braucht es zu-sätzliche grosse Anstrengungen. Nur so kann die Ar-tenvielfalt langfristig gesichert werden. Auch im Kan-ton Aargau ist der Handlungsbedarf hinsichtlich Auf-wertung und besserer Vernetzung natürlicher und na-turnaher Lebensräume zur Förderung der Artenvielfaltweiterhin hoch.

    Die Sicherung, Pflege, Aufwertung und Vernetzungvielfältiger Lebensräume sowie die gezielte Förderungeinheimischer Arten und der Schutz der Landschaftsind eine Verbundaufgabe von Bund, Kanton und Ge-meinden, gestützt auf das Natur- und Heimatschutz-gesetz (NHG) und die kantonale Gesetzgebung (sieheAnhang, Kapitel 6.4 Rechtsgrundlagen). Der Bund un-terstützt entsprechende Massnahmen der Kantoneund Gemeinden finanziell über die Programmverein-barungen mit dem Kanton im Rahmen der Neugestal-tung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung(NFA). Gestützt auf das Handbuch Programmverein-barungen im Umweltbereich1 werden die Prioritäten,der Umfang der Leistungen und die Bundesbeiträgezwischen Kanton und Bund ausgehandelt.

    Im intensiv genutzten Mittellandkanton Aargau mit sei-ner stetig wachsenden Bevölkerung stellt die engeräumliche Verflechtung von Schutz- und Nutzinteres-sen eine besondere Herausforderung dar. Der Klima-wandel und der anhaltende Verlust an Biodiversitätsind Risiken, welche die Lebensgrundlagen der Men-schen gefährden. Entsprechend hoch ist der Hand-lungsbedarf für Schutz und Förderung von Natur undLandschaft.

    Diese Risiken anerkennt der Regierungsrat in seinemEntwicklungsleitbild 2017–2026 wo er festhält, Naturund Landschaft seien zu schützen, zu pflegen undzielgerichtet aufzuwerten. Schutz- und Vernetzungs-gebiete sowie Gewässer sollen zur Sicherung der Bio-diversität und für die naturbezogene Erholung geför-dert werden. Ebenso will er im Rahmen des geplantenEntwicklungsschwerpunkts "Klimaschutz und Klimaan-passung" die notwendigen Massnahmen treffen.

    Mit Beschluss vom 4. September 2018 (GRB 2018-0833) hat der Grosse Rat das Postulat 18.37 derFraktion der Grünen vom 6. März 2018 betreffendMassnahmen gegen den Verlust der Biodiversität unddas Insektensterben2 an den Regierungsrat überwie-sen. Dieses hat der Regierungsrat mit Erklärung ent-gegengenommen und in Aussicht gestellt, dem Gros-sen Rat zur Fortsetzung der bisherigen Schutz- undFördermassnahmen für die Aargauer Natur und Land-schaft ein Mehrjahresprogramm zu unterbreiten und inentsprechenden Berichten den Handlungsbedarf, dieStossrichtungen und Massnahmen aufzuzeigen.

    Das Programm Natur 2030 mit dem Kreditantrag fürdie 1. Etappe (2021–2025) knüpft an das noch bisEnde 2020 laufende Programm Natur 2020 an, entwi-ckelt die bisher umgesetzten Instrumente und Mass-nahmen weiter und setzt neue Schwerpunkte. Es istBestandteil der mit dem Bund ausgehandelten Leis-tungen im Rahmen der NFA-Programmvereinbarung2020–2024.

    1 Handbuch Programmvereinbarungen im Umweltbereich 2020–2024

    2 Postulat 18.37

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    2 Herausforderungen und Handlungsbedarf

    Funktionierende Ökosysteme und intakte Landschaf-ten bilden unsere natürlichen Lebens- und Wirt-schaftsgrundlagen. Sie versorgen uns mit vielfältigenund unverzichtbaren Ökosystem- und Landschaftsleis-tungen und tragen viel zu unserer Wohlfahrt und un-serem Wohlbefinden bei.

    Das Programm Natur 2030 will einerseits die Men-schen im Aargau an der Natur und Landschaft teilha-ben lassen, gleichzeitig aber auch sensible Ökosys-teme sowie störungsempfindliche Arten schützen undfördern sowie die Folgen des Klimawandels antizipie-ren.

    Die nachfolgend ausgeführten Entwicklungen stellengrosse Herausforderungen für den Schutz von Naturund Landschaft im Kanton Aargau dar. An Hand eini-ger Beispiele werden namentlich auch die Auswirkun-gen und der Handlungsbedarf hinsichtlich der Bio-diversitätsförderung und der Anpassung an den Kli-mawandel aufgezeigt.

    2.1 Druck auf Natur undLandschaft

    Mit ihren natürlichen und kulturellen Werten ist dieLandschaft sowohl räumliche Grundlage der Vielfaltan Arten und Lebensräumen als auch Lebens-,Wohn-, Arbeits-, Erholungs-, Bewegungs-, Kultur- undWirtschaftsraum für den Menschen.

    Aufgrund des im schweizweiten Vergleich überdurch-schnittlichen Bevölkerungswachstums nimmt im Kan-ton Aargau der Druck auf Natur und Landschaft durchintensive Nutzungen, Verkehr, Lichtimmissionen, Nah-erholung und Freizeitaktivitäten weiter zu. Dabei sindinsbesondere ländliche Räume und Entwicklungsach-sen sehr dynamisch gewachsen3. Bis 2040 ist ein wei-teres Wachstum der Bevölkerung von rund 30 % prog-nostiziert.

    3 Raumbeobachtung 2017. Aktuelle Daten zur Raumentwick-lung. BVU (2018).

    Abbildung 1: Bevölkerungswachstum 1990–2017 bezogen aufRaumtypen; Indizierte Veränderung der Bevölkerung (Index: Ge-samtbevölkerung 1990 = 100)

    Die gesamte Siedlungsfläche im Aargau, bestehendaus Gebäuden, Industrie- und Gewerbearalen, Ver-kehrsflächen, Erholungs- und Grünanlagen sowiebesonderen Siedlungsflächen, beträgt 25'316 ha oder18,0 % der Kantonsfläche4. Der Anteil der Siedlungs-fläche im Aargau ist damit mehr als doppelt so grosswie im Landesdurchschnitt von 7,5 %. Bedeutsamsind die Verkehrsinfrastrukturen. Schweizweit liegenmehr als die Hälfte der Strassenverbindungen im dichtbesiedelten Mittelland. Die Verkehrswege durch-schneiden Lebensräume, üben so Druck auf die Bio-diversität aus und mindern die Landschaftsqualität.

    Zunahme der Lichtverschmutzung

    Die zunehmende Lichtverschmutzung beeinträchtigtdie Landschaft und kann langfristig weitreichendeKonsequenzen für die Biodiversität haben. For-schungsergebnisse der Universität Bern haben ge-zeigt, dass künstliches Licht nachtaktive Insektenbeim Bestäuben von Pflanzen stört und die Anzahlproduzierter Samen und Früchte reduziert. DieserVerlust der nächtlichen Bestäubungsleistung kannauch durch tagaktive Bestäuber nicht kompensiert

    4 Arealstatistik 2013/2018

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    werden5. Weiter kann die zunehmende Lichtver-schmutzung beispielsweise zur Desorientierung vonZugvögeln oder zur Entkoppelung von inneren undäusseren Taktgebern bei verschiedenen Tierarten füh-ren.

    Abbildung 2: Zunahme der Lichtverschmutzung im Aargau undangrenzenden Kantonen (Quelle: Bieri 2019 in Vorb.). Rote Um-randung: Jurapark Aargau

    Zu kleine, isolierte Reste naturnaher Lebensräume

    Bezogen auf die unbewaldete Kantonsfläche beträgtder Anteil an Siedlungsfläche 30 %. Im Vergleich dazuumfasst die Fläche der 350 Naturschutzgebiete vonkantonaler Bedeutung ausserhalb des Waldareals miteinem Gesamtumfang von etwas mehr als 1'100 hanicht einmal 1 % der unbewaldeten Kantonsfläche.Sie stellen letzte kostbare, aber meist zu kleine undoft auch isolierte Reste der früher ausgedehnten Vor-kommen artenreicher, trockener und feuchter Lebens-räume im Aargau dar.

    5 Knop E. et al., 2017: Artificial light at night as a new threat topollination.

    Gemäss Berechnungen, basierend auf den Daten-grundlagen von Lachat et al. (2010)6, haben zwischen1900 und 2010 im Kanton Aargau die wertvollen Tro-ckenstandorte, Moore und Auengebiete um insgesamtfast 90 % abgenommen (siehe Abbildung 3).

    Abbildung 3: Flächenverlust von Trockenstandorten, Moorenund Auen zwischen 1900 (unten links) und 2010 (oben) im Aar-gau

    Herausragende Bedeutung der Naturschutzge-biete

    National Prioritäre Arten des Naturschutzes7 werdenoft auch auf Biodiversitätsförderflächen ausserhalbvon Schutzgebieten nachgewiesen. Das zeigen Datender nationalen Datenzentren. Damit leisten auch Aar-gauer Landwirte einen sehr wertvollen Beitrag an dieErhaltung und Förderung der Biodiversität.

    Abbildung 4: Nachweise von prioritären Arten in Schutzgebietenund BFF-Flächen. Prozent der Nachweise im Vergleich zum Flä-chenanteil an der Kantonsfläche

    Gleichzeitig zeigt die Auswertung aber auch die her-ausragende Bedeutung der Schutzgebiete für die Er-haltung der Artenvielfalt. Bezogen auf die Fläche kom-men in Naturschutzgebieten von kantonaler Bedeu-tung (NkB) fast dreimal mehr prioritäre Arten vor als

    6 Lachat T. et al., 2010: Wandel der Biodiversität in der Schweizseit 1900.7 BAFU (2019). National Prioritäre Arten und Lebensräume

    1992–1994 1998–2000

    2005–2007 2010–2012

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    auf den Biodiversitätsförderflächen der Landwirtschaftausserhalb der Schutzgebiete. Entsprechend wichtigund lohnend sind Investitionen in Schutz, Aufwertung,Pufferung und Ergänzung der Schutzgebiete im Rah-men des Programms Natur 2030.

    Für die langfristige Erhaltung einer reichhaltigen Ar-tenvielfalt, die in der Lage ist, sich an Veränderungender Umwelt anzupassen braucht es beides: einerseitsmehr geschützte, ausreichend grosse und gegen Be-einträchtigungen (Nährstoffe, Pflanzenschutzmittel,Störungen) abgepufferte Kerngebiete sowie anderer-seits einen besseren Lebensraumverbund mit Tritt-steinbiotopen, Vernetzungskorridoren und Strukturele-menten.

    Nährstoffeinträge beeinträchtigen Schutzgebiete

    Eine Herausforderung im Hinblick auf die Verbesse-rung der Qualität von Schutzgebieten und Vernet-zungsflächen bilden die Nährstoffeinträge. 91 % derAmmoniakemissionen im Kanton Aargau stammenaus der Landwirtschaft. Dieses Ammoniak wird überdie Luft über weite Strecken verbreitet und schädigtempfindliche Lebensräume wie Trockenwiesen undFlachmoore8. In der Schweiz waren 2010 mehr als90 % aller Waldstandorte und 70 % (halb-)natürlicherÖkosysteme zu hohen Stickstoffeinträgen ausgesetzt.Die landwirtschaftlichen Emissionen von Stickstoff ausAmmoniak betrugen 2016 schweizweit rund 41'800 tN/Jahr. Das anzustrebende "Umweltziel Landwirt-schaft (UZL)9 beträgt jedoch 25'000 t N/Jahr.

    Der Stickstoffeintrag durch die Luft übersteigt heute inweiten Teilen des Kantons Aargau10 die Belastungs-grenzen (sogenannte Critical Loads) von 5–10 kgN/ha und Jahr für Hochmoore und artenreiche Wiesenbeziehungsweise 10–20 kg N/ha und Jahr für Waldflä-chen (siehe die nachfolgende Abbildung). Bei dennicht eingefärbten Flächen handelt es sich um Flä-chen ohne sensible Ökosysteme, für welche keine Cri-tical Loads (Kritische Eintragswerte) für Stickstoff undCritical Levels (Kritische Konzentrationswerte) für Am-moniak gelten (beispielsweise Siedlungsflächen undAgrarland).

    8 BAFU (2016). Critical Loads of Nitrogen and their Exceedances9 BAFU, BLW (2016). Umweltziele Landwirtschaft, Statusbericht

    Abbildung 5: Überschreitung der Critical Loads für Stickstoff imJahr 2015 im Kanton Aargau

    Problematisch sind auch Nährstoffeinträge in Schutz-gebiete über Oberbodenabfluss, seitlichen Wasserzu-strom oder über Drainagesysteme. Die betroffenenLebensräume verlieren bei zu hohem Nährstoffeintragschleichend an Qualität. Dominante Pflanzenartenwerden bevorteilt und verdrängen typische Pflanzennährstoffarmer Standorte. Dies wirkt sich in der Folgenegativ aus auf spezialisierte Insekten dieser Lebens-räume und die Insekten fressenden Vögel, Fleder-mäuse, Amphibien und Reptilien.

    Bis 2030 sollen deshalb im Rahmen des ProgrammsNatur 2030 die gesetzlich erforderlichen Puffer für dieFlachmoore und Trockenwiesen im Kanton Aargauumgesetzt werden.

    2.2 Entwicklung derBiodiversität

    Die Biodiversität umfasst die Arten (Artenvielfalt), dieVielfalt ihrer Gene (genetische Vielfalt), die Vielfalt derÖkosysteme (Lebensraumvielfalt) sowie die Wechsel-wirkungen innerhalb und zwischen diesen einzelnenEbenen.

    10 Gysi E. et al (2019). Verringerung von Ammoniak-Emissionen– eine Herausforderung für die Landwirtschaft.(UMWELT AARGAU)

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    Der Rückgang der Biodiversität wiegt nicht nur ausethischer, sondern auch aus gesellschaftlicher undwirtschaftlicher Sicht schwer. Denn die biologischeVielfalt ist Grundlage für vielfältige Ökosystemleistun-gen wie Versorgungsleistungen (Vielfalt an Sorten undRassen von Nutzpflanzen und -tieren, Trinkwasser,Holz etc.), Regulierungsleistungen (Speicherung vonCO2, Bestäubung, Schädlings- und Krankheitsregulie-rung etc.), kulturelle Leistungen (Erholung, Wohlbefin-den etc.) sowie unterstützende Leistungen (Boden-fruchtbarkeit, Nährstoffkreisläufe etc.).

    Aktuelle Berichte des Bundesamts für Umwelt (BAFU)zum Zustand der Umwelt11 und zur Situation der Bio-diversität in der Schweiz12 belegen den insgesamt be-sorgniserregenden Zustand und eine weiterhin kriti-sche Entwicklung der Vielfalt einheimischer Arten undihrer Lebensräume in der Schweiz. Gemäss der 2016erstmals publizierten Roten Liste der Lebensräume13sind von den 167 Lebensraumtypen der Schweizheute 48 % gefährdet. Besonders bedroht sind ge-mäss diesen schweizweiten Untersuchungen Uferzo-nen und Feuchtgebiete, deren Lebensräume zu fast85 % gefährdet sind.

    Von den in der Synthesepublikation Rote Listen desBAFU14 insgesamt bewerteten 10'350 Pflanzen, Tier-und Pilzarten werden 36 % als bedroht und weitere10 % als potenziell gefährdet eingestuft, 3 % sind be-reits ausgestorben.

    Entwicklung des Kessler-Index

    Der Kanton Aargau verfügt dank der "Langfristbe-obachtung der Artenvielfalt in der normal genutztenLandschaft des Kantons Aargau" (LANAG15) über gutabgestützte Ergebnisse zur generellen Entwicklungder Artenvielfalt seit 1996. Datengrundlage bilden dievon Pflanzen, Brutvögeln, Tagfaltern und Schneckenauf einer definierten Anzahl Flächen erhobenen Art-vorkommen, verteilt auf die Nutzungstypen Wald,Landwirtschaft, Siedlung. Jährlich wird ein Fünftel die-ser Untersuchungsflächen erhoben.

    Die genannten Artengruppen stehen als Indikatorenstellvertretend für den generellen Zustand und dieEntwicklung der Artenvielfalt. Der mittlere Artenreich-tum der erhobenen Flächen wird zusammenfassend inForm des Kessler-Index pro Nutzungstyp sowie überalle Nutzungen hinweg dargestellt.

    11 Schweizerischer Bundesrat (Hrsg.), 2018: Umwelt Schweiz201812 Bundesamt für Umwelt, 2017: Biodiversität in der Schweiz;Zustand und Entwicklung. Ergebnisse des Überwachungssys-tems im Bereich Biodiversität, Stand 201613 Delarze R., et al., 2016: Rote Liste der Lebensräume derSchweiz. Aktualisierte Kurzfassung zum technischen Bericht2013 im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (BAFU)

    Abbildung 6: Entwicklung des Kessler-Index zwischen 1996 und2018

    Die mittlere Artenvielfalt im Kanton Aargau ist aktuellin Wäldern am höchsten. Im Vergleich dazu liegt sie inlandwirtschaftlich genutzten Flächen rund 20 % und inSiedlungen 40 % tiefer.

    Der Kessler-Index der Artenvielfalt entwickelte sich inden vergangenen zwei Jahrzehnten in Wald- undLandwirtschaftsflächen insgesamt positiv – allerdingsmit grösseren Schwankungen – und liegt derzeit10–15 % über den Ausgangswerten von 1996. ImSiedlungsgebiet hingegen verharrt der Wert seit Be-ginn der Erhebungen auf tiefem Niveau.

    Bei der Interpretation der Daten gilt es zu beachten,dass der Kessler-Index vor allem auf dem Vorkommenhäufiger und mittelhäufiger Arten beruht. Über die Ent-wicklung sehr seltener, gefährdeter Arten lässt erkeine Schlüsse zu. Diese Arten kommen nur noch anwenigen Orten im Kanton vor und werden deshalb imRahmen von LANAG gar nicht erfasst oder tragen nurunmerklich zur Entwicklung des Kessler-Index bei.Schutz und Förderung gerade auch dieser Arten isteine vordringliche Aufgabe des Programms Natur2030.

    Detailauswertungen zeigen, dass die landwirtschaft-lich genutzten Flächen bei den Pflanzen und auch beiden Tagfaltern eine vergleichsweise hohe Artenzahlaufweisen. So hat die Artenvielfalt seit 1996 vor allembei den Pflanzen deutlich zugenommen. Dies dürfteunter anderem dem kantonalen Programm Labiola(Ansaat und angepasste Nutzung extensiver Wiesen)und den Leistungen der beteiligten Landwirte zu ver-danken sein. Zum positiven Verlauf des Kessler-Indexim Landwirtschaftsgebiet hat in den letzten Jahrenausserdem die Entwicklung bei vielen Tagfalterarten

    14 Cordillot F., Klaus G. (2011). Gefährdete Arten in der Schweiz.Synthese Rote Listen, Stand 2010. Bundesamt für Umwelt,Bern. Umwelt-Zustand Nr. 1120: 111 S.15 Kurzdokumentation LANAG, Abteilung Landschaft und Ge-wässer (BVU), 2018

  • 13

    beigetragen, weil sie von den ausnehmend warmenSommern profitierten (siehe Ausführungen zum Klima-wandel, Kapitel 2.3).

    Spezialisierte Arten weiter unter Druck

    Eine vertiefte Analyse der LANAG-Daten zu Tagfal-tern zeigt unterschiedliche Entwicklungen: Betrachtetman die Entwicklung der einzelnen Tagfalterartenüber die letzten zwei Jahrzehnte, zeigt sich bei 24 Ar-ten eine Zunahme der Anzahl Vorkommen pro Unter-suchungsstrecke, bei 23 Arten manifestiert sich eineAbnahme.

    Unter den Tagfaltern, die deutlich häufiger wurden,gibt es auffällig viele Arten, die wenig intensive Wie-sen bevorzugen, ökologisch (zum Beispiel bezüglichRaupen-Nahrungspflanze) jedoch eher wenig an-spruchsvoll sind. Beispiele hierfür sind das KleineWiesenvögelein (Coenonympha pamphilus) oder derHauhechel-Bläuling (Polyommatus icarus).

    Auf der anderen Seite sind gerade einige der an-spruchsvollsten Bewohner von Trockenwiesenund -weiden (TWW), zum Beispiel alle Blutströpfchen(Zygaena-Arten, siehe Abbildung 7), seltener gewor-den. Bei einzelnen Arten, wie dem Steinklee-Bläuling(Plebicula dorylas), ist sogar zu befürchten, dass sieim Aargau unterdessen ausgestorben sind.

    (© J.A. Gaspar)

    Abbildung 7: Bergkronenwicken-Widderchen, eine sehr speziali-sierte Art die beispielsweise dank gezielten Aufwertungen in Re-migen erfolgreich gefördert werden konnte

    Konkret haben spezialisierte Tagfalter, die auf eineoder wenige Pflanzenarten als Raupennahrung ange-wiesen sind in den letzten 20 Jahren um ca. 10 % ab-genommen, während die wenig Spezialisierten mit ei-ner breiten Palette an Frasspflanzen um 20 % zunah-men.

    Die Entwicklungstendenz, dass spezialisierte Artenbesonders gefährdet sind und die Artengemeinschaf-ten stets einheitlicher werden, wurde auch im Bio-diversitätsmonitoring Schweiz (BDM-CH) schon mehr-fach belegt16.

    16 Bühler, C., & Roth, T. (2011). Spread of common species re-sults in local-scale floristic homogenization in grassland of Swit-zerland. Diversity and Distributions, 17(6), 1089–1098.

    Abbildung 8: Nahrungs-Spezialisten unter den Tagfaltern neh-men im Aargau ab, nicht spezialisiert Arten nehmen zu

    Ein wesentlicher Grund ist, dass Nutzungen immerähnlicher beziehungsweise intensiver werden (grös-sere Bewirtschaftungseinheiten, Mechanisierung, Ra-tionalisierung). So gehen mit der Zeit diejenigen Ar-tengemeinschaften verloren, die einst typisch warenfür einzelne Landschaften und welche sehr spezifi-sche Lebensraumansprüche aufweisen. Gemäss ver-schiedenen Untersuchungen spielen auch die zu ho-hen Stickstoffeinträge (siehe Kapitel 2.1) eine zentraleRolle17, 18.

    Gezielte Artenförderung nötig

    Nebst dem Wald kommen den Trockenwiesen und -weiden (TWW) im Aargau eine überragende Bedeu-tung für den Erhalt der Tagfalter-Artenvielfalt zu (sieheAbbildung 9). Die Feuchtgebiete ihrerseits beherber-gen zwar nur wenige, dafür stark spezialisierte Tagfal-terarten, welche überdurchschnittlich gefährdet sind.

    Abbildung 9: Anzahl Tagfalterarten und Anteil der Rote-Liste-Ar-ten (gelbe, orange und rote Signatur) im Aargau in verschiede-nen Lebensraumtypen

    Stellvertretend für andere Artengruppen kann anhandder Tagfalter gezeigt werden, dass einer differenzier-ten Pflege und Aufwertung von Trocken- und Feucht-lebensräumen sowie der gezielten Förderung prioritä-rer und gefährdeter Arten im Rahmen des ProgrammsNatur 2030 weiterhin eine sehr hohe Bedeutung zu-kommt.

    17 Scnat (2019). Insektenschwund in der Schweiz und möglicheFolgen für Gesellschaft und Wirtschaft18 BAFU (2011). BDM Facts. Stickstoffeintrag

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    Dazu dient unter anderem weiterhin das Artenschutz-konzept Aargau. Es priorisiert Tier- und Pflanzenartenhinsichtlich notwendiger spezifischer Fördermassnah-men und wurde 2008 letztmals aktualisiert. Betrachtetwurden damals 1372 Pflanzenarten, die bis 1900nachweislich im Kanton Aargau vorkamen, ausge-nommen Neophyten. Zudem wurden die sieben natur-schützerisch wichtigsten Tiergruppen: Amphibien, Fle-dermäuse, Heuschrecken, Libellen, Reptilien, Tagfal-ter und Vögel berücksichtigt.

    Alleine aus dieser Priorisierung ergaben sich damals121 Arten (63 Pflanzen- und 58 Tierarten), für derenSchutz der Kanton Aargau eine besonders hohe Ver-antwortung hat und deren Förderung dringlich ist. DieAktualisierung des Artenschutzkonzepts ist aktuell imGang. Im Rahmen des Programms Natur 2030 sollendas Artenschutzkonzept aktualisiert, die Vorkommenweiterer Artengruppen erhoben und Fördermassnah-men umgesetzt werden.

    Handlungsbedarf bei Brutvögeln und Insekten

    Die Auswertung der LANAG-Daten bezüglich der Nut-zungstypen (Wald, Siedlung, Landwirtschaft) zeigt,dass im Landwirtschaftsgebiet die grösste Vielfalt anPflanzen und Tagfaltern zu finden ist, während dieVielfalt der Brutvögel dort am geringsten ist.

    Abbildung 10: Bedeutung der Hauptnutzungen für verschiedeneArtengruppen; wiedergegeben ist die mittlere Artenzahl proLANAG-Erhebungsfläche in den Jahren 2014–2018

    Sorge bereitet zudem, dass die Brutvögel rückläufigsind. Darunter sind namentlich die sogenannten Ziel-und Leitarten für die Umweltziele Landwirtschaft(UZL), auf welche die Biodiversitätsförderung imLandwirtschaftsgebiet besonders fokussiert.

    19 Knaus, P. S. Antoniazza, S. Wechsler, J. Guélat, M. Kéry, N.Strebel & T. Sattler (2018): Schweizer Brutvogelatlas2013–2016. Verbreitung und Bestandsentwicklung der Vögel inder Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein. SchweizerischeVogelwarte, Sempach. 648 S.

    Abbildung 11: Entwicklung UZL-Vogelarten seit 1996 im Aargauund der Schweiz gemäss den Erhebungen des Brutvogelatlasder Vogelwarte Sempach19

    Im Rahmen des Programms Natur 2030 sind Förder-massnahmen für Brutvögel des Kulturlands (beispiels-weise Kiebitz, Feldlerche, Steinkauz) vorgesehen, dieergänzend zu und koordiniert mit Massnahmen zurBiodiversitätsförderung und Vernetzung der Landwirt-schaft umgesetzt werden sollen.

    Das Siedlungsgebiet hingegen weist bei allen Arten-gruppen ausser bei den Brutvögeln die tiefste Arten-vielfalt auf. Vor allem fällt hier die tiefe Artenvielfalt beiden Tagfaltern auf. Dies erstaunt insofern, als Tagfal-ter im Siedlungsgebiet besonders von den dort herr-schenden höheren Temperaturen profitieren könnten.Mit einer zielgerichteten Pflege und Aufwertung beste-hender Grünflächen sowie Schaffung neuer insekten-freundlicher Flächen auf öffentlichem und privatemGrund könnte die Biodiversität auch im Siedlungsge-biet stärker gefördert werden.

    2.3 KlimawandelDer Klimawandel äussert sich in der Schweiz über-durchschnittlich stark. Die mittlere Jahrestemperaturist seit Messbeginn 1864 um 2°C gestiegen, gut dop-pelt so stark wie im globalen Mittel und wird weitersteigen20. Grösste Herausforderungen des Klimawan-dels sind Extreme wie Hitzewellen, Trockenperiodenoder Starkniederschläge sowie schleichende und teil-weise irreversible Veränderungen in Landschaften,Lebensräumen und bezüglich der Artenzusammenset-zung.

    20 NCCS (Hrsg.) 2018: CH2018 – Klimaszenarien für dieSchweiz. National Centre for Climate Services, Zürich. 24 S.

  • 15

    Artenzusammensetzung ändert sich

    Bereits heute verändert sich die Artenzusammenset-zung im Kanton Aargau aufgrund des Klimawandels.Besonders empfindlich reagieren Arten, die an kühle,feuchte oder nährstoffarme Lebensräume angepasstsind. Ausserdem solche, die sehr spezifische Bedin-gungen brauchen, sehr standorttreu und ausbrei-tungsschwach sind, lange Generationszeiten aufwei-sen oder in kleinen Gebieten und isolierten Populatio-nen leben21.

    Wärme- und trockenheitstolerante Arten profitierendagegen vom Klimawandel, sie werden künftig zuneh-men. Teilweise werden Arten neu im Aargau einwan-dern, während andere in höhere Lagen gedrängt wer-den. Diese Veränderungsprozesse werden bei der Ak-tualisierung des Artenschutzkonzepts, aber auch beimSchutzgebietsunterhalt und der Aufwertung von Le-bensräumen berücksichtigt.

    Mit den LANAG-Daten kann aufgrund der spezifischenZeigerwerte der einzelnen Arten hinsichtlich Wärmebei Tagfaltern eine Zunahme wärmeliebender Artenim Aargau festgestellt werden.

    Abbildung 12: Entwicklung des mittleren Zeigerwerts der im Rah-men von LANAG nachgewiesenen Tagfalter-Arten über die letz-ten zwei Jahrzehnte

    Nebst direkten Auswirkungen auf Lebensräume undArten sind auch indirekte Auswirkungen auf die Land-schaft und Biodiversität zu erwarten, indem sich Land-nutzungen verändern (Anbau anderer Kulturen, An-passung von Fruchtfolgen, häufigere Mahd) und Inte-ressenkonflikte beispielsweise mit dem Landschafts-schutz (Zunahme von Bauten und Anlagen für den ge-schützten Anbau) oder hinsichtlich der Aufwertungvon Feuchtgebieten anspruchsvoller werden (Wasser-bedarf und Installationen für Bewässerung, Erneue-rung von Drainagen zur Verminderung von Erosionbei Starkniederschlägen).

    21 Guntern, J., Forum Biodiversität (2016): Klimawandel und Bio-diversität

    Ökologische Infrastruktur optimieren als Klimaan-passung

    Eine zentrale Massnahme gegen den Verlust der Bio-diversität ist der Aufbau einer funktionierenden Ökolo-gischen Infrastruktur durch Aufwertung und Vernet-zung der Lebensräume (siehe Einleitung zum Kapitel4). Sie ermöglicht Artengemeinschaften, auf den Kli-mawandel zu reagieren. Andernfalls wird sich dasAussterberisiko erhöhen.

    Der hohen Verantwortung des Kantons im Bereich derfeuchten Lebensräume mit den entsprechenden spe-zialisierten Arten gilt es im Hinblick auf den Klimawan-del besonders Rechnung zu tragen. Beispielsweisedurch die Verbesserung des Wasserrückhalts in Moo-ren, die Wiedervernässung ehemaliger Feuchtstand-orte oder Anpassungen beim Bau von Amphi-bienlaichgewässern zur Steigerung der Lebensraum-qualität.

    Andererseits muss sichergestellt werden, dass auchwärme- und trockenheitsliebende Arten, die zuneh-men und neu in den Aargau einwandern werden, aus-reichend grosse und vernetzte Lebensräume von gu-ter Qualität vorfinden. Deshalb gilt es in den nächstenJahren namentlich auch die Trockenwiesen und -wei-den aufzuwerten sowie insektenfreundliche Flächeninnerhalb und ausserhalb des Siedlungsgebiets zuschaffen.

    Klimaanpassung im Siedlungsgebiet

    Durch den Klimawandel ist in Agglomerationen undstädtischen Gebieten mit einer erhöhten Hitzebelas-tung zu rechnen. Davon sind vor allem zentrale Lagenbetroffen, die dicht bebaut sind. Gebäude, Strassenund Plätze erwärmen sich stärker als Grün- und Frei-flächen, die Luftzirkulation ist durch Verbauungen ofteingeschränkt, und durch den Verkehr entsteht zu-sätzliche Abwärme. Es bilden sich sogenannte Hitz-einseln.

    © Kanton Aargau)

    Abbildung 13: Solche Steingärten sind kaum belebt und verstär-ken die Hitzebildung in der Siedlung

  • 16

    Mit der Siedlungsentwicklung nach innen ergibt sichdie Chance, Grün- und Freiräume nachhaltig zu entwi-ckeln und Synergien zu nutzen: Gut gestaltet und be-wirtschaftet, bieten sie der Bevölkerung attraktive Auf-enthaltsorte für Freizeitaktivitäten und Erholung, för-dern die Biodiversität und tragen zur Klimaanpassungbei.

    Die Abteilung Landschaft und Gewässer des Departe-ments Bau, Verkehr und Umwelt hat 2016 im Rahmendes Projekts "Anpassung an den Klimawandel im Be-reich Biodiversität im Kanton Aargau"22 an Hand vonFallbeispielen klimasensitiver Lebensräume (Nähr-

    22 Schlussbericht: Anpassung an den Klimawandel im BereichBiodiversität im Kanton Aargau

    stoffarme Feuchtgebiete im Reusstal, Orchideen-Föh-renwälder im Jurapark und Natur im Siedlungsraum inder Gemeinde Villmergen) untersucht, welche Auswir-kungen des Klimawandels zu erwarten sind und wiedarauf in der Praxis reagiert werden kann. Es wurdenein "Leitfaden Klimawandel-Check"23 sowie ein Merk-blatt "Natur im Siedlungsraum und Klimawandel" ent-wickelt. Aktuell laufen weitere Projekte, unter anderemzu "Hitzeangepasste Siedlungsentwicklung in Agglo-merationsgemeinden"24 sowie "Klimaoasen: Eine Sen-sibilisierungskampagne zum Klimawandel"25. An dieseGrundlagen kann das Programm Natur 2030 anknüp-fen.

    23 Klimawandel-Check für Gemeinden

  • 17

    3 Nationale und kantonale Einbettung

    3.1 NFA-Programmvereinba-rung mit dem Bund

    Aufgrund der grossen Herausforderungen zum Schutzder Biodiversität hat der Bundesrat in der StrategieBiodiversität Schweiz (SBS) vom 25. April 201224 zehnstrategische Ziele definiert und diese im AktionsplanSBS Biodiversität vom 6. September 201725 mit fol-gendem Oberziel konkretisiert: "Die Biodiversität istreichhaltig und gegenüber Veränderungen reaktions-fähig. Die Biodiversität und ihre Ökosystemleistungensind langfristig erhalten".

    Der Aktionsplan Strategie Biodiversität Schweiz (AP-SBS) sieht 26 Massnahmen in drei Aktionsbereichenvor: a) Langfristige direkte Förderung der Biodiversi-tät, b) Nachhaltige Nutzung und c) Sensibilisierungder Bevölkerung und Verbesserung des Wissens beirelevanten Akteuren.

    a) Langfristige direkte Förderung der Biodiversität

    Zentrale Massnahmen sind die Aufwertung gefährde-ter Lebensräume, die Realisierung und der langfristigeUnterhalt einer landesweiten Ökologischen Infrastruk-tur, sowie die gezielte Förderung National PrioritärerArten.

    Zur Erfüllung dieser Massnahmen verlangt der Bundvon den Kantonen im Rahmen der NFA-Programm-vereinbarung 2020–2024 eine kantonale Planung derÖkologischen Infrastruktur. Dabei handelt es sich umein Gesamtkonzept betreffend Schutz, Pflege, Sanie-rung, Aufwertung, Neuschaffung und Vernetzung vonBiotopen (und weiteren schutzwürdigen Lebensräu-men mit hoher Anzahl spezialisierter Arten) sowie be-züglich Artenförderungsmassnahmen.

    Ein Konzept zur Biodiversitätsförderung ist künftig Vo-raussetzung für die Gewährung von Bundesbeiträgenfür Lebensraumaufwertungen der Kantone. Analog istim NFA-Programmbereich "Landschaft" das Vorliegen

    24 Strategie Biodiversität Schweiz

    einer Landschaftskonzeption Grundlage für Bundes-beiträge an Massnahmen in Aggloprogrammen undan landschaftliche Aufwertungen.

    b) Nachhaltige Nutzung

    Die nachhaltige Nutzung zielt auf eine geschickte Ab-stimmung von Schutz- und Nutzungsinteressen. Auchhier spielt die kantonale Planung der ÖkologischenInfrastruktur eine wichtige Rolle, weil sie die Schutzin-teressen für die Biodiversität und die hierfür notwendi-gen Ziele und Massnahmen räumlich konkret ausweistund damit Grundlagen für Interessenabwägungen be-reitstellt.

    Anknüpfungspunkte für die kantonalen PlanungenÖkologische Infrastruktur sind von Seiten des Bundesausserdem bei der Überarbeitung des Landschafts-konzepts Schweiz (LKS) und bei der Weiterentwick-lung der Agrarpolitik (AP 22+) vorgesehen, hier insbe-sondere mit dem Instrument der Regionalen Landwirt-schaftlichen Strategien (RLS). Letztere sollen nebstden Vernetzungsprojekten und Massnahmen für einestandortangepasste Landwirtschaft auch die bisheri-gen Landschaftsqualitätsprojekte integrieren sowie dieKoordination mit der kantonalen Planung ÖkologischeInfrastruktur sicherstellen.

    c) Sensibilisierung der Bevölkerung und Verbesserungdes Wissens bei relevanten Akteuren

    Die Öffentlichkeit soll über den Rückgang der Arten-und Lebensraumvielfalt informiert und für den Nutzender Biodiversitätsförderung sensibilisiert werden. DasWissen über ökologische Zusammenhänge undKenntnisse zur Artenvielfalt sollen verstärkt in Aus-und Weiterbildungen einfliessen und bei praxisorien-tierten Forschungsprojekten berücksichtigt werden.Der AP-SBS ist Grundlage für die NFA-Programmver-einbarungen und damit auch für das Programm 2030richtungsweisend.

    25 Aktionsplan zur Strategie Biodiversität Schweiz

  • 18

    3.2 Schnittstellen auf StufeKanton

    Das Programm Natur 2030 ist ein Eckpfeiler der Na-turschutzpolitik des Kantons Aargau. Es ist mit rele-vanten Programmen und Projekten abgestimmt. Wich-tige kantonale Schnittstellen sind insbesondere derNaturschutzunterhalt, das Programm Labiola (Bio-diversitätsförderung, Vernetzung und Landschaftsqua-lität), das Waldnaturschutzprogramm, die Sanierungvon Wildtierkorridoren, der Auenschutzpark, die Ge-wässerrevitalisierung, der Gewässerunterhalt, dieRaumplanung und die Agglomerationsprogramme.Synergien werden laufend geprüft und die Abstim-mung wurde über die Jahre optimiert.

    Abbildung 14: Natur 2030 ist abgestimmt auf andere Programmeund Projekte des Kantons Aargau

    Zu einem vielfältigen und vernetzten Lebensraum Aar-gau tragen wesentlich auch Projekte und Massnah-men von Naturschutzorganisationen, Gemeinden,Landschaftskommissionen und Regionalplanungsver-bänden bei.

    Wichtige Umsetzungspartner des Programms Natur2030 sind ausserdem das Naturama, die StiftungReusstal, der Verein Jurapark Aargau und verschie-dene Verbände.

    Wertvolle Synergien ergeben sich zudem aus der Zu-sammenarbeit und dem Erfahrungsaustausch zwi-schen den Kantonen. Die Konferenz der Beauftragtenfür Natur und Landschaft (KBNL) ist dazu eine wich-tige Plattform. Mit einzelnen Kantonen bestehen the-menspezifische Kooperationen, beispielsweise die Ko-operation Artenförderung Mittelland sowie das Innova-tionsprojekt Ökologische Infrastruktur im Mittelland ge-meinsam mit den Kantonen Bern und Zürich.

    Aufgabe des Programms Natur 2030 ist es auch, Lö-sungen für aktuelle Herausforderungen zu entwickeln,die Instrumente des Naturschutzes immer wieder zuüberprüfen und zu verbessern sowie die Erkenntnissein beispielhaften Projekten umzusetzen. Dazu ist dieZusammenarbeit mit Forschungs- und Umweltbil-dungsinstitutionen unerlässlich.

  • 19

    4 Generelle Ausrichtung, Handlungsfelderund Ziele von Natur 2030

    Das Programm Natur 2030 knüpft an Instrumente undLeistungen des noch bis Ende 2020 laufenden Pro-gramms Natur 2020 an und entwickelt diese weiter.Es soll den aktuellen Entwicklungen und Herausforde-rungen wie auch den Bedürfnissen der Aargauer Be-völkerung bezüglich Natur und Landschaft Rechnungtragen, wie es die Vision zum Ausdruck bringt (sieheInfo-Box).

    Schwerpunkt Ökologische Infrastruktur

    Kernstück des Programms Natur 2030 bildet die Rea-lisierung und Optimierung einer funktionierenden Öko-logischen Infrastruktur zur langfristigen Sicherung derBiodiversität und ihrer Ökosystemleistungen im Kan-ton Aargau. Entsprechende Ziele und Massnahmenfinden sich vorwiegend in den Handlungsfeldern ll, lllund V (siehe Kapitel 4.2, 4.3 und 4.5).

    Dem Konzept der Ökologischen Infrastruktur liegt eineinfacher Gedanke zugrunde: Ein intaktes funktionel-les Netz aus ökologisch wertvollen Lebensräumen bil-det die Grundlage für den langfristigen Erhalt der Viel-falt unserer einheimischen Pflanzen- und Tierarten.

    Es erlaubt den Artengemeinschaften, sich an verän-derte Bedingungen (z. B. Klimawandel) anzupassenund sichert die Ökosystemleistungen der Natur zu-gunsten der Menschen. Die Ökologische Infrastrukturist somit für die Wohlfahrt des Kantons genauso un-verzichtbar wie die technische Infrastruktur (Strassen,Eisenbahnlinien, Strom-, Gas- und Wasserleitungenetc.).

    Die Ökologische Infrastruktur ist ein Netzwerk natürli-cher und naturnaher Flächen mit unterschiedlicherAusstattung. Sie wird auf nationaler, regionaler und lo-kaler Ebene strategisch geplant. Dies mit dem Ziel,alle charakteristischen und bedeutenden Arten undLebensräume langfristig zu sichern und ihre Funkti-ons- und Regenerationsfähigkeit zu stärken. Bei derAusscheidung dieser Gebiete werden die verschiede-nen biogeografischen Räume berücksichtigt und eswird auf ausreichende Quantität, Qualität und Vernet-zung der Lebensräume geachtet. Die Ökologische Inf-rastruktur soll die Grundlage bilden, damit die Arten-vielfalt langfristig erhalten bleibt und die Ökosystemeihre Biodiversitätsleistungen erbringen können.

    Vision für einen vielfältigen und vernetzten Lebensraum Aargau 2030

    "Die typischen Aargauer Landschaften bieten attraktives Wohnen, inspirierende Erholung in der Natur und einehohe Standortqualität für ein reges wirtschaftliches und kulturelles Leben.

    Die Menschen im Aargau fühlen sich mit der Region verbunden. Sie schätzen die vielfältigen und vernetzten,natürlichen und naturnahen Lebensräume mit ihrem Reichtum an Pflanzen und Tieren und tragen ihnen Sorge.

    Dank dem wachsenden Umweltverständnis gehen Kanton, Gemeinden und Private die Herausforderung desBiodiversitätsverlustes aktiv, mit hoher Priorität und gemeinsam an.

    Neue, kooperative und integrierende Lösungen ergänzen die bisherigen Schutz- und Fördermassnahmen underlauben, trotz wachsender Raumkonkurrenz das natürliche Kapital für kommende Generationen zu bewahren."

  • 20

    Die Ökologische Infrastruktur besteht aus:

    · Kerngebieten (Schutzgebiete mit ökologisch aus-reichenden Pufferflächen),

    · Vernetzungsgebieten (Trittsteinbiotope, Vernet-zungskorridore, natürliche Strukturelemente),

    · wo nötig ergänzt mit künstlichen Verbindungsele-menten (z. B. Amphibienzugstellen, Kleintierdurch-lässe).

    Die heutigen Schutzgebiete sind oft zu klein und zuisoliert, um als Kerngebiete der Ökologischen Infra-struktur den Populationen einheimischer Arten daslangfristige Überleben zu sichern. Deshalb sollen dortwo Lücken und Defizite bestehen, die Schutzgebietegezielt aufgewertet, mit ökologisch ausreichendenPufferflächen versehen, arrondiert und ergänzt wer-den (siehe Handlungsfeld II, Kapitel 4.2).

    Zudem muss die Wanderung zwischen geschütztenKerngebieten und der Austausch einzelner Populatio-nen gewährleistet sein. Je kleiner und isolierter dieeinzelnen geschützten Kerngebiete sind, desto wichti-ger ist es, mit Vernetzungsgebieten den funktionieren-den Lebensraumverbund zu verbessern. Dazubraucht es in der Landschaft für die jeweiligen Arten-gruppen (z. B. Arten trockener oder feuchter Lebens-räume, hochmobile Arten) qualitativ passende Tritt-steinbiotope, Vernetzungskorridore und Struk-turelemente (siehe Handlungsfeld III, Kapitel 4.3).Punktuell müssen diese Ausbreitungskorridore mitkünstlichen Bauwerken (z. B. Amphibien- und Klein-tierdurchlässen, Wildtierbrücken) ergänzt werden.

    Abbildung 15: Die Ökologische Infrastruktur als funktioneller Le-bensraumverbund

    Je nachhaltiger die generelle Bewirtschaftung land-wirtschaftlicher Nutzflächen, des Waldes und der Un-terhalt von Verkehrsbegleit- oder Grünflächen sindund je besser es gelingt, biodiversitätsschädigendeImmissionen (zum Beispiel Lichtimmissionen, Einträgevon Luftstickstoff oder Pflanzenschutzmitteln) zu redu-zieren, desto besser wirken auch spezifische Schutz-und Vernetzungsmassnahmen zugunsten der Ökolo-gischen Infrastruktur.

    26 Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität in derSchweiz. Scnat. 2013

    Grosser Handlungsbedarf für die ÖkologischeInfrastruktur

    In seiner Antwort auf die (19.280) Interpellation Dr. Lu-kas Pfisterer, FDP, Aarau, vom 18. Dezember 2019weist der Regierungsrat den Handlungsbedarf betref-fend die erforderlichen Flächen und Qualität für einefunktionierende Ökologische Infrastruktur und dieSchutzgebiete im Kanton Aargau aus.

    Pro Region wurde hierfür im Rahmen des ProjektsÖkologische Infrastruktur Aargau (ÖIAG) fachlich her-geleitet, wie gross der Flächenbedarf an verschiede-nen Typen natürlicher und naturnaher Flächen (zumBeispiel Feuchtgebiete, aufgewertete Fliessgewässer,naturnahe Flächen im Siedlungsgebiet, artenreicheWiesen, Biodiversitätsförderflächen (BFF) im Acker-baugebiet, Naturschutzvorrangflächen im Wald usw.)ist, damit eine reichhaltige Biodiversität langfristig er-halten werden kann.

    Der ausgewiesene Gesamtbedarf an natürlichen undnaturnahen Flächen, die mehr oder weniger stark zurErhaltung der Biodiversität beitragen, entspricht ge-mäss den vorliegenden Modellrechnungen insgesamt29 % der Kantonsfläche. Flächen im Wald, im Offen-land, in der Siedlung, entlang von Verkehrsinfrastruk-turen sowie in und entlang von Gewässern sind darineingeschlossen.

    18 % der Kantonsfläche müssten Kerngebiete (eigent-liche Schutzgebiete, ergänzt mit anderweitig erhalte-nen BFF von hoher ökologischer Qualität) und 11 %als Vernetzungsgebiete ausgewiesen werden. 2020beträgt der Anteil Kerngebiete lediglich rund 11 %, je-ner der Vernetzungsgebiete rund 6 % der Kantonsflä-che. Der Handlungsbedarf ist entsprechend hoch.

    Die ausgewiesenen Grössenordnungen decken sichweitgehend mit anderen Untersuchungen.26 Insbeson-dere entspricht der für die landwirtschaftliche Nutzflä-che (LN) im Kanton Aargau hergeleitete Handlungsbe-darf der Grössenordnung, welche die UmweltzieleLandwirtschaft (UZL) der Agrarpolitik vorgeben: der imProjekt ÖIAG ermittelte Zielwert an Flächen mit UZL-Qualität beträgt gut 13 % der LN; der Bericht zur Ope-rationalisierung der Umweltziele Landwirtschaft27 gibtfür das Mittelland und die tieferen Lagen des Jura ei-nen Zielwert an Flächen mit UZL-Qualität von 10–14% der LN vor.

    Der Regierungsrat geht davon aus, dass rund dieHälfte, des in den Modellrechnungen ausgewiesenenHandlungsbedarfs für die Ökologische Infrastrukturüber eine Verbesserung der ökologischen Qualität(Sanierung, Aufwertung, gezielte Pflege) von bereitsheute für die Biodiversitätsförderung ausgeschiede-nen Flächen erreicht werden kann. Solche Flächenmit Aufwertungspotenzial sind beispielsweise BFF mitQualitätsstufe (QS) 1 in der Landwirtschaft, Grünflä-

    27 Operationalisierung der Umweltziele Landwirtschaft. Bundes-amt für Umwelt und Bundesamt für Landwirtschaft 2013

  • 21

    chen im Siedlungsgebiet, Flächen innerhalb des Ge-wässerraums oder etwa Bahn- und Strassenbegleitflä-chen.

    Vor allem im Siedlungsgebiet und hinsichtlich artenrei-cher Wiesen gibt es ein namhaftes Potenzial, mit einerökologischen Wertsteigerung schon bestehender Flä-chen einen Beitrag an die Ökologische Infrastruktur zuleisten. Hier sind vor allem auch die Gemeinden, Un-ternehmen und Private gefordert.

    Handlungsbedarf zur Ergänzung der ÖkologischenInfrastruktur mit zusätzlich für die Biodiversität ausge-schiedenen Flächen besteht vor allem bei den Feucht-gebieten (Wiederherstellung ehemaliger Feuchtflä-chen, Erstellung von Amphibienlaichgewässern), beiStrukturen (Pflanzung von Bäumen und Hecken, Wie-derherstellen von Trockensteinmauern, Erstellen vonKleinstrukturen), in Ackerbaugebieten (zum BeispielBuntbrachen) sowie beim strukturreichen Grünland.

    Würde das Potenzial zur qualitativen Aufwertung undbiodiversitätsfreundlichen Pflege bereits bestehenderFlächen voll ausgeschöpft, beliefe sich der zusätzlicheFlächenbedarf für die Ökologische Infrastruktur imKanton Aargau immer noch auf rund 3 % der Kantons-fläche für zusätzliche Kerngebiete und rund 3 % derKantonsfläche für zusätzliche Vernetzungsgebiete.

    Sowohl bei der Aufwertung bestehender Flächen wiebei der Ausscheidung und Aufwertung zusätzlicherFlächen für die Ökologische Infrastruktur ist demnachein grosser Effort notwendig, damit eine reichhaltigeBiodiversität im Kanton Aargau langfristig erhaltenwerden kann.

    Koordiniertes Vorgehen der verschiedenen Sach-bereiche und Akteure

    Die beschriebenen Erkenntnisse sind im Grundsatznicht neu. Bereits um die Jahrtausendwende wurdenim Kanton Aargau mit dem Landschaftsentwicklungs-programm (LEP) beziehungsweise den RegionalenLandschaftsentwicklungskonzepten (LEK) guteGrundlagen für Lebensraumverbunde, insbesonderean der Schnittstelle zwischen Natur- und Landschafts-schutz und der Landwirtschaft geschaffen28.

    Der Ansatz der Ökologischen Infrastruktur ist jedochumfassender. Er betrifft verschiedene Aufgabenberei-che und Akteure und bezieht weitere Räume mit Be-deutung für die Artenvielfalt mit ein.

    Auf kantonaler Ebene zu erwähnen sind insbesonderedie Schnittstellen zum Wald, zum Hochwasserschutz,zu Gewässerrevitalisierung und -unterhalt, zu denVerkehrsbegleitflächen und zum Siedlungsgebiet. ImSiedlungsgebiet sind primär die Gemeinden gefordert.Das Programm Natur 2030 kann sie in ihrer Rolle un-terstützen.

    Die vorgesehenen Massnahmen im Rahmen des Pro-gramms Natur 2030 leisten namentlich bezogen aufdie Qualität der Kern- und Vernetzungsgebiete unddie gezielte Artenförderung einen wichtigen Beitrag.

    Bezogen auf den mit der Beantwortung der (19.280)Interpellation Dr. Lukas Pfisterer, FDP, Aarau, ausge-wiesenen Flächenbedarf an Kern- und Vernetzungs-gebieten für die Ökologische Infrastruktur bewegt sichder Beitrag des Programms Natur 2030 im tiefen ein-stelligen Prozentbereich der Flächen, die zusätzlichfür die langfristige Erhaltung der Biodiversität ausge-schieden beziehungsweise aufgewertet werden müss-ten.

    Die räumliche Gesamtsicht der Ökologischen Infra-struktur bedingt ein koordiniertes Vorgehen. Die Um-setzung dieser Massnahmen wird deshalb mit rele-vanten anderen kantonalen Aufgabenbereichen undProgrammen sowie den verschiedenen Akteuren (Ge-meinden, Unternehmen, Organisationen, Private) opti-mal abgestimmt und ergänzt deren Aktivitäten.

    Basierend auf den vorhandenen Daten zu Artvorkom-men und Lebensräumen, aktuellen wissenschaftlicheKenntnissen der Populationsdynamik (erforderlicheMinimumareale, Ausbreitungsdistanzen und Lebens-raumansprüche einzelner Arten) und mittels GIS-ba-sierter Modellierung konnte im Rahmen des Pro-gramms Natur 2020 der Raumbedarf für die Ökologi-sche Infrastruktur fachlich bereits hergeleitet werden.Diese Fachgrundlage umfasst sämtliche charakteristi-schen und bedeutenden Arten und Lebensräume undermöglicht den Einbezug aller relevanten Sachberei-che und Akteure. Darauf kann bei der Umsetzung vonMassnahmen im Rahmen des Programms Natur 2030aufgebaut werden.

    Gestützt auf diesen umfassenden Ansatz sollen diebestehenden Grundlagen der LEP/LEK im Rahmendes Programms Natur 2030 aktualisiert und ergänztwerden.

    28 Pfister P (2002). Das regionale Landschaftsentwicklungspro-gramm (LEP). (UMWELT AARGAU)

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    Übersicht über die sechs Handlungsfelder

    Das vorliegende Programm Natur 2030 besteht aussechs Handlungsfeldern mit entsprechenden Zielenund Massnahmen für die 1. Etappe (2021–2025), dieim Folgenden erläutert werden.

    Insbesondere enthält es auch Massnahmen im Sinndes kantonalen Entwicklungsschwerpunkts "Klima-schutz und Klimaanpassung". Ausserdem ist es mitden Prioritäten des Bundes gemäss NFA-Programm-vereinbarung 2020–2024 abgestimmt.

    Abbildung 16: Die sechs Handlungsfelder des Programms Natur 2030 im Überblick

  • 23

  • 24

    4.1 Handlungsfeld I: Der Landschaft Sorge tragenHerausforderungen· Weiter anhaltendes, starkes Bevölkerungs-

    wachstum im Kanton Aargau

    · Steigender Druck auf die Landschaft durchBauten, Verkehrsinfrastrukturen, Erholungs-und Freizeitaktivitäten, etc.

    · Bündeln und lenken der Erholung in Hotspot-Räumen

    · Optimale Standortwahl und landschaftlicherEinpassung von Bauten ausserhalb derBauzone

    · Entwicklung konsistenter Fachgrundlagen erfor-derlich für nachvollziehbaren und konsistentenVollzug

    Kontext und Schnittstellen· Revision BLN-Inventar, Inkrafttreten BLNV

    2017

    · Revision Landschaftskonzept Schweiz (LKS)

    · Kantonaler Richtplan, Kapitel R 1 Raumkon-zept Aargau und Kapitel L 1.1. Landschaft all-gemein L 2.3 LkB, L 2.4. BLN, L 2.7 Freizeit-und Sportanlagen ausserhalb des Siedlungs-gebiets sowie (Teil-)Revisionen von Land-schaftsschutzdekreten

    · Jurapark Aargau, NFA-PV 2020–2024

    · Agglomerationsprogramme

    · 2. Etappe der Teilrevision RPG, Planungs-und Kompensationsansatz

    · Agrarpolitik AP 22+, Förderung der Land-schaftsqualität im Rahmen von RLS

    4.1.1 Ziele und Massnahmen Programm Natur 2030, 1. Etappe (2021–2025)

    · Erstellen einer kantonalen Landschaftskonzeption, gestützt auf die kantonale Landschaftstypologie, alsBasis für Schutz- und Aufwertungsmassnahmen und mit dem Ziel, die Kohärenz von Landschaftsquali-tätszielen auf kantonaler und kommunaler Ebene zu verbessern.

    · Erarbeiten einer Fachgrundlage Kantonale Erholungsplanung mit spezieller Berücksichtigung der Ag-glomerationspärke, abgestimmt mit der Erholungsplanung des Jurapark Aargau und unter Berücksich-tigung von Schutz- und Nutzungsbedürfnissen.

    · Erarbeiten von Entwicklungszielen für die BLN-Inventarobjekte, gestützt auf die im Rahmen des Pro-gramms Natur 2020 konkretisierten Schutz- und Entwicklungsziele der LkB und die kantonale Land-schaftstypologie.

    · Realisierung beziehungsweise finanzielle Unterstützung von 2 Projekten mit Vorbildcharakter für land-schaftliche Aufwertungen grösserer zusammenhängender Landschaftskammern, in Naherholungsräu-men und weiteren ausgewählten Schwerpunktgebieten. Die Planung und Umsetzung erfolgt in Zusam-menarbeit mit Gemeinden und/oder regionalen Trägerschaften, in Verbindung mit laufenden Land-schaftsqualitätsprojekten oder unter Nutzung von Synergien mit anderen Vorhaben (z. B. Gewässerre-naturierungen, Rekultivierung von Abbaustellen, Sanierung von Wildtierkorridoren, Meliorationen etc.).

    · Bereitstellen von Fach- und Planungsgrundlagen, Richtlinien und Vollzugshilfen sowie Beratungsleis-tungen zu Themenbereichen, die in Bezug auf die Landschaftsqualität Konflikt- oder Synergiepotenzialaufweisen (z. B. Massnahmen zur Vermeidung von Lichtimmissionen, landschaftsverträgliches Bauenausserhalb der Bauzone etc.).

    · Bei 25 besonders landschaftswirksamen Bauvorhaben ausserhalb Bauzone wird mittels Beratung undBegleitung durch Standortevaluationen oder andere geeignete Instrumente die landschaftliche Einpas-sung deutlich verbessert, wovon 5 Fälle vertieft bearbeitet werden.

    · Erarbeiten einer Fachgrundlage sowie Begleitung und Unterstützung von mindestens 3 Vorhaben fürden Rückbau von landschaftsbelastenden und nicht mehr benötigten Bauten und Anlagen beziehungs-weise für die Sanierung oder die Kompensation von Landschaftseingriffen.

    Aufwand für die 1. Etappe (2021–2025): Fr. 975'000.–

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    4.1.2 Erläuterungen Handlungsfeld I

    Die Landschaft bildet den Gesamtkontext für eineVielfalt an Arten und Lebensräumen, die es zu be-wahren gilt. Die Landschaft ist aber auch Lebens-,Wohn-, Arbeits-, Erholungs-, Bewegungs-, Kultur-und Wirtschaftsraum für den Menschen. Grundanlie-gen des Landschaftsschutzes sind die Freihaltungder Landschaft vor Überbauung und die landschafts-verträgliche Lenkung und Bündelung von Nutzun-gen. Dies dient gleichzeitig der Schonung des Kul-turlands. Darauf aufbauend können die charakteristi-schen landschaftlichen Qualitäten gezielt gefördertwerden.

    Landschaftskonzeption und Landschaftsentwick-lung

    Im Rahmen der NFA-Programmvereinbarung 2020–2024 verlangt der Bund von den Kantonen die Erar-beitung einer kantonalen Landschaftskonzeption.Gestützt darauf können konkrete Massnahmen zurErhaltung und Aufwertung der Landschaft durch denBund finanziell unterstützt werden. Erstmals ist diesauch möglich für Massnahmen zugunsten der Bio-diversität und Landschaftsqualität im Rahmen derAgglomerationsprogramme, die durch das Pro-gramm Natur 2030 unterstützt werden sollen.

    Im Zuge der Revision des BLN-Inventars trat 2017die geänderte BLN-Verordnung in Kraft. Die Kantonesind aufgerufen, in ihren Richtplänen aufzeigen, wiesich die BLN-Gebiete räumlich entwickeln sollen;auch hierfür bedarf es einer konsistenten Land-schaftskonzeption. Im Rahmen der 2. Etappe desProgramms Natur 2020 konnte bereits eine Land-schaftstypologie sowie eine Konkretisierung derSchutz- und Entwicklungsziele für die Landschaftenkantonaler Bedeutung (LkB) erarbeitet werden. Ge-stützt hierauf sollen im Rahmen des Programms Na-tur 2030 Entwicklungsziele für die Gebiete des Bun-desinventars der Landschaften und Naturdenkmälervon nationaler Bedeutung (BLN-Gebiete) erarbeitetwerden.

    Im Zusammenhang mit der Agrarpolitik ab 2022schlägt das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) dieEinführung Regionaler Landwirtschaftlicher Strate-gien (RLS) ab 2025 vor, die nebst den Vernetzungs-projekten und Massnahmen für eine standortange-passte Landwirtschaft auch die bisherigen Land-schaftsqualitätsprojekte integrieren sowie die Koordi-nation mit den kantonalen Planungen für die Ökolo-gische Infrastruktur sicherstellen sollen. Hierzu giltes gegebenenfalls Fach- und Planungsgrundlagenzu erarbeiten.

    Erholungsplanung und Landschaftsaufwertun-gen

    Das Bevölkerungswachstum im Kanton Aargau setztsich fort. Mit der Begrenzung des Siedlungsgebietswird die Innenentwicklung forciert. Die Landschaft

    wird künftig noch verstärkt Ausgleichs- und Erho-lungsfunktionen zu gewährleisten haben. Gleichzei-tig ändern sich durch die Individualisierung der Ge-sellschaft, die Veränderung der Alterspyramide undaufgrund technischer Entwicklungen auch die Be-dürfnisse und Formen von Freizeitaktivitäten in derNatur. Beispiele sind Geocaching, Einsatz von Droh-nen, Kitesurfen, Fluss-Surfen, Standup-Padelling,E-Bikes oder spontan organisierte Partys in der Na-tur.

    Für die Naherholung werden die Landschaftsräumeinnerhalb der Städte oder direkt angrenzend angrössere Siedlungsgebiete zunehmend wichtig. Ge-mäss Richtplan sollen attraktive, gut erreichbare Er-holungsräume gesichert und aufgewertet werden(Kapitel L 1.1., Beschlüsse, Planungsgrundsatz D).Dabei gilt es die erwähnten Bedürfnisse und Ent-wicklungen zu berücksichtigen, aber auch sinnvoll zulenken und zu bündeln.

    Zur Erhaltung und Aufwertung von Erscheinungsbildund Erholungsqualität der Landschaft sind entspre-chende Massnahmen planlich zu bezeichnen undumzusetzen (Kapitel L 1.1., Planungsanweisungen1.1). Als Grundlage hierfür gilt es, eine kantonaleGesamtsicht zu erstellen und anschliessend, fokus-siert auf Hotspots der Naherholung, regionale Erho-lungsplanungen zu erarbeiten. Diese müssen nebstden Bedürfnissen der Erholung und Freizeitnutzunginsbesondere auch dem Schutz empfindlicher Natur-räume und Landschaften Rechnung tragen.

    Fach- und Planungsgrundlagen

    Ebenfalls im Zusammenhang mit dem Bevölkerungs-wachstum, aber auch aufgrund des Mobilitätsverhal-tens ist mit weiteren Ausbauten der Verkehrsinfra-struktur in der Aargauer Landschaft zu rechnen.Ohne Gegenmassnahmen drohen die Zerschnei-dung der Landschaft und verkehrsbedingte Emissio-nen weiter zu steigen, sich ausweitende Lichtimmis-sionen belasten sowohl die Landschaft wie auchempfindliche Arten und Lebensräume. Gleichzeitigbietet sich bei der Realisierung von Infrastruktur-bauten die Chance, mit optimaler Planung und Aus-führung bestehende Landschaftsqualitäten zu scho-nen und zu stärken oder mit Kompensationsmass-nahmen Landschaftsschäden zu sanieren.

    Die rege Bautätigkeit als Folge des Bevölkerungs-wachstums äussert sich zudem auch in der Er-schliessung von Materialabbaustellen und der Suchenach möglichen Deponiestandorten für nicht ver-schmutzten Aushub.

    Der Klimawandel, Konsumtrends wie die Nachfragenach möglichst ganzjährig verfügbaren frischen Le-bensmitteln aus der Region, neue Produktionsanfor-derungen und der Rationalisierungsdruck in derLandwirtschaft tragen dazu bei, dass vermehrt mo-derne und meist grosse Bauten und Infrastrukturen

  • 26

    zur witterungsunabhängigen Produktion und Aufbe-reitung pflanzlicher und tierischer Produkte gebautund entsprechende Spezialzonen für die intensiveLandwirtschaft ausgeschieden werden.

    Die erwähnten Entwicklungen führen dazu, dass sichdie Interessenkonflikte zwischen Schutz- und Nutzin-teressen in Bezug auf Natur und Landschaft ver-schärfen. Die erwähnten Nutzungsintensivierungenund der Ausbau der Infrastrukturen finden oft in den-selben Räumen statt, wo auch der Bedarf für dieNaherholung steigt.

    Im Zusammenhang mit der geplanten 2. Revisiondes Raumplanungsgesetzes sind Weichenstellungenvorgesehen, wie mit Bauten ausserhalb der Bauzone

    künftig planerisch umgegangen werden soll. Hierbeiist unter anderem ein Planungs- und Kompensati-onsansatz vorgesehen.

    Zur Unterstützung von Standortevaluationen, für dieraumplanerische Interessenabwägung und einefachlich fundierte und konsistente Beurteilung vonProjekten sowie die Bemessung von Kompensati-onsmassnahmen sollen im Rahmen des ProgrammsNatur 2030 entsprechende Fach- und Planungs-grundlagen, Praxishilfen für Regionen und Gemein-den und Beratungen aus landschaftlicher Sicht erar-beitet werden.

  • 27

    4.2 Handlungsfeld II: Kernlebensräume schützen, aufwerten undergänzen

    Herausforderungen· Landschaftszerschneidung, zu kleiner Gesamt-

    umfang, Verinselung der Schutzgebiete, Beein-trächtigung ihrer Funktionsfähigkeit

    · Gesetzlich geforderte, ökologisch ausreichendePuffer um Schutzgebiete erst zu 1/3 umgesetzt

    · Hitze und Trockenheit beeinträchtigen feuchteLebensräume und Amphibienlaichgewässer

    · Verschiebungen der Artenzusammensetzungaufgrund des Klimawandels beim Schutzge-bietsmanagement berücksichtigen

    · Interessenabwägung zwischen Schutz- undNutzinteressen (z. B. Bodennutzung, Wasser-verfügbarkeit)

    Kontext· Kantonaler Richtplan: Kapitel L 2.5 NkB

    · Koordination mit kantonalen Programmen:Waldnaturschutz, Auenschutzpark

    · Koordination mit Jurapark Aargau, Lebens-raumförderung im Parkperimeter

    · Nutzung von Synergien mit Projekten Dritter

    · Branchenvereinbarung mit dem Verband derKies- und Betonproduzenten Aargau

    · Ökologischer Ausgleich und Ersatz, Möglich-keit von Pool-Lösungen

    4.2.1 Ziele und Massnahmen Programm Natur 2030, 1. Etappe (2021–2025)

    · Sanierung, Aufwertung und Arrondierung von mindestens 15 ha Trockenwiesen und -weiden (TWW),Wiederherstellung und Bau von Trockenmauern, Freiholzen/Entbuschen, Schaffung von Strukturele-menten.

    · Sanierung, Aufwertung und Arrondierung von mindestens 10 ha Amphibienlaichgebieten (IANB,KASK), bautechnische Optimierung von Amphibienlaichgewässern, Schaffung neuer Amphibienlaich-gewässer.

    · Kleinere Massnahmen zur Aufwertung von NkB und Optimierung des Wasserhaushalts bei Hoch-und Flachmooren auf einer Fläche von insgesamt 3 ha.

    · Umsetzung von 50 % der noch fehlenden gesetzlich erforderlichen, ökologisch ausreichenden Pufferfür Flachmoore sowie Trockenwiesen und -weiden gemäss Bundesvorgaben, punktuelle Arrondie-rung und Ergänzung ausgewählter NkB.

    · Erarbeiten der Grundlagen zur Sicherung und Aufwertung ausgewählter, drainierter ehemaligerFeuchtgebiete: Ausscheidung von Potenzialflächen, Erhebung von Bodeninformationen, Interessen-abwägung, räumliche Sicherung von Vorrangflächen hinsichtlich Moor-Regeneration, Wiedervernäs-sung oder extensive Nutzung.

    · Unterstützen der Aufwertung kommunaler Naturschutzzonen mit hoher Priorität für die Optimierungder Ökologischen Infrastruktur.

    Aufwand für die 1. Etappe (2021–2025): Fr. 4'925'000.–

  • 28

    4.2.2 Erläuterung Handlungsfeld II

    Die Naturschutzgebiete von kantonaler Bedeutung(NkB gemäss Richtplan), welche namentlich auchdie Umsetzung der nationalen Biotopinventarobjekte(HM, FM, TWW und IANB) miteinschliessen, bildenzusammen mit den Auengebieten nebst den Wald-naturschutzflächen den Kernbestand hochwertigerund für die Artenvielfalt zentraler Lebensräume imAargau. Sie müssen das langfristige Überleben star-ker Kernpopulationen der für die einzelnen Lebens-raumtypen charakteristischen Arten sicherstellen.

    Ihr umfassender Schutz, die Pufferung vor Beein-trächtigungen (Nährstoffe, Pflanzenschutzmittel,Wasserhaushalt, Störungen) wie auch Investitionenin die Lebensraumaufwertung, die Arrondierung unddie Ergänzung mit weiteren Flächen gehören zumKernauftrag des Naturschutzes und haben im Rah-men des Programms Natur 2030 nebst der funktio-nellen Vernetzung natürlicher und naturnaher Le-bensräume in den nächsten Jahren höchste Priorität.

    Dies umso mehr, als es sich bei den heute noch vor-handenen Kernlebensräumen um kleine Reste deshistorischen Bestands handelt, die oft zu klein undzu isoliert sind um ein langfristiges Überleben derdort vorkommenden Populationen gefährdeter Artenzu gewährleisten. Der Druck auf diese Top-Lebens-räume steigt nach wie vor. Beeinträchtigt werden dieKernlebensräume namentlich durch Nährstoffein-träge aus der Landwirtschaft, Auswirkungen des Kli-mawandels (Austrocknen von Mooren und Amphi-bienlaichgewässern), das Aufkommen von Neobiota,das Verbuschen und Einwachsen entlang von Wald-rändern und Hecken sowie durch Störungen von Er-holungssuchende und Freizeitaktivitäten.

    Anforderungen hinsichtlich Naturerlebnis, Besucher-information und -lenkung werden bei den baulichenMassnahmen im Rahmen von Aufwertungsprojektenberücksichtigt. Ebenso gehört zu solchen Bauprojek-ten die Bekämpfung invasiver Neobiota auf neu re-naturierten Flächen, bevor diese in den ordentlichenUnterhalt übergehen.

    29 Art. 14 Abs. 2 lit. d der Natur und Heimatschutzverordnung(NHV) sowie § 9 Abs. 1 der kantonalen Naturschutzverord-nung (NSV)

    Einrichtung von Pufferzonen

    Im Rahmen des Handlungsfelds II des ProgrammsNatur 2030 soll weiterhin in die Aufwertung der NkBsinvestiert werden. Ein zentraler Schwerpunkt bildetin den nächsten Jahren die grundeigentümerverbind-liche Umsetzung ökologisch ausreichender Puffer fürFlachmoore und Trockenwiesen. Obwohl eine klaregesetzliche Verpflichtung29 seit Jahren besteht,konnte bisher erst rund ein Drittel der erforderlichenPuffer gesichert werden. Die Umsetzung erfolgt inder Regel im Rahmen kommunaler Nutzungsplanun-gen beziehungsweise der kantonalen Nutzungspläne(Dekrete), ergänzt mit Bewirtschaftungsverträgen.Fallweise, wenn andere Instrumente nicht ausrei-chen, kann zur Pufferung, Arrondierung oder Ergän-zung bestehender und Schaffung neuer Kernlebens-räume in kleinerem Umfang der Landabtausch oderLanderwerb zum Zug kommen.

    Aufwertung von Trocken- und Feuchtlebensräu-men

    Ein zweiter Fokus liegt bei der Aufwertung von Tro-ckenwiesen-Lebensräumen, vorrangig im Jura undan Hanglagen der Südtäler. Vorrangige Massnah-men sind dabei nebst dem Zurückdrängen der Ver-buschung und des Einwachsens entlang von Wald-rändern und Hecken vor allem die Sanierung undpunktuelle Neuerstellung von Trockenmauern sowiedie Aufwertung landschaftlicher Kleinstrukturen wieWegsäume und Böschungen in und angrenzend andie NkBs.

    Diese Massnahmen verbessern insbesondere dieLebensgrundlage der Insekten und der von ihnen inder Nahrungskette abhängigen Insektenfresser so-wie weiterer Lebensraumspezialisten in und um dieAargauer Top-Naturschutzgebiete wie Brutvögel,Fledermäuse, Amphibien, Reptilien oder Kleinsäu-ger, die auf Strukturen in der Landschaft angewiesensind. Gleichzeitig können insbesondere Trocken-mauern einen Beitrag zur Aufwertung des Land-schaftsbilds leisten.

    Bei den Hoch- und Flachmooren sind die vordring-lichsten baulichen Aufwertungsarbeiten mit dem Pro-gramm Natur 2020 vorderhand abgeschlossen, hiersollen nur noch kleinere Optimierungsmassnahmenrealisiert werden. Bei den Amphibienlaichgebietenhingegen führt der Klimawandel zu erhöhtem Auf-wand für die periodische Sanierung von Laichgewäs-sern. Gleichzeitig wird die bauliche Ausführung sol-cher Stillgewässer an neue Anforderungen und Er-kenntnisse angepasst (z. B. regulierbare Laichge-wässer für Pionieramphibien, kombinierte Folien-Lehm-Tümpel).

    Hinweis: Die Massnahmen zur Schutzgebiets-pflege, Besucherlenkung, Information und Ge-bietsaufsicht werden ausserhalb des Pro-gramms Natur 2030 erbracht (laufender Be-trieb, Globalbudget), zu einem grossen Teilauch durch Landwirte im Rahmen des Pro-gramms Labiola. Das Programm Natur 2030unterstützt hierbei mit Fach- und Planungs-grundlagen (z. B. Inventare, Pflegepläne),Richtlinien und Vollzugshilfen sowie Beratungs-und Ausbildungsangeboten.

  • 29

    Die Bestände der Amphibien, für die der Kanton Aar-gau eine besonders hohe Verantwortung hat, sindmit einzelnen Ausnahmen nach wie vor auf tiefemNiveau stabil, teilweise kritisch (Kreuzkröte, Geburts-helferkröte). Hier sind nebst der Aufwertung derKerngebiete auch Massnahmen zur Vernetzung derPopulationen dringlich (siehe dazu auch die Erstel-lung von Amphibienlaichgewässern als Vernetzungs-massnahme im Rahmen des Handlungsfelds III).

    Grundlagen für Wiedervernässungen

    Schweizweit sind heute nur noch etwa 10 % derfrüheren Feuchtgebiete vorhanden, der Rest wurdegrösstenteils der intensiven landwirtschaftlichen Nut-zung zugeführt. Ab Ende des 19. Jahrhunderts bisMitte des 20. Jahrhunderts wurden im grossen Stillandwirtschaftliche Meliorationen durchgeführt undFeuchtgebiete mittels Drainagen entwässert.

    Viele dieser Anlagen erreichen heute das Ende ihrerLebensdauer. Schweizweit wird der Wiederbeschaf-fungswert der Drainagesysteme für die gesamtedrainierte Fläche von gut 190'000 ha auf rund 4,8Milliarden Franken beziffert30. Gemäss einer vorsich-tigen Schätzung des Bundesamts für Landwirtschaft(BLW) dürften die für den Unterhalt der Drainagesys-teme nötigen Investitionen im Vergleich mit vor 2010mindestens doppelt so hoch ausfallen31.

    30 Zorn Alexander: Grundlagen der Wirtschaftlichkeit vonFeucht-(Acker-)Flächen. Agroscope Science Nr. 75, 2018.

    Demgegenüber würde die Wiederherstellung vonFeuchtgebieten gleichzeitig den Wasserrückhalt inder Landschaft verbessern (Abfluss-Spitzen beiStarkniederschlägen dämpfen, Bäche über längereZeit mit Frischwasser speisen) und damit zur Anpas-sung an den Klimawandel beitragen. Angesichts deskritischen Zustands der Artenvielfalt und des Klima-wandels sowie der hohen Wiederbeschaffungskos-ten der Drainagen gilt es eine Interessenabwägungund Priorisierung zwischen Schutz- und Nutzungsin-teressen vorzunehmen.

    Im Rahmen eines Innovationsprojekts in Zusammen-arbeit mit den Kantonen Bern und Zürich hat die Ab-teilung Landschaft und Gewässer des DepartementBau, Verkehr und Umwelt das Potenzial von drai-nierten Flächen für die Wiederherstellung vonFeuchtgebieten hergeleitet. Ausgehend von histo-risch vorhandenen Feuchtgebieten und den seit ca.1890 entwässerten landwirtschaftlichen Flächenwurde eine erste Priorisierung der Flächen mit demhöchsten Regenerationspotenzial und dem grösstenNutzen zur Verbesserung der Ökologischen Infra-struktur vorgenommen. Gestützt auf diese Fach-grundlage sollen im Rahmen des Programms Natur2030 Grundlagen zur Sicherung und Aufwertung sol-cher Flächen für den Naturschutz erarbeitet werden.

    31 Béguin J., Smola S. (2010). Stand der Drainagen in derSchweiz

  • 30

    4.3 Handlungsfeld III: Die funktionale Vernetzung der Lebensräumesicherstellen

    Herausforderungen· Enge Verflechtung der Natur- und Land-

    schaftswerte mit intensiv genutzten Räumen,Abstimmung von Schutz- und Nutzinteressen

    · Zerschneidung der Landschaft durch Ausbauder Verkehrsinfrastruktur, Lichtverschmut-zung

    · Koordination der verschiedenen Akteure, Pro-gramme und Massnahmen, Synergien zu-gunsten der Biodiversität nutzen

    · Berücksichtigung von Potenzialen und Anfor-derungen der Ökologischen Infrastruktur beiPlanungen

    Kontext und Schnittstellen· Kantonaler Richtplan: Kapitel L 2.6. Wild-

    tierkorridore, L 3.3 Strukturverbesserungenund L 3.4 Beitrags- und Aufwertungsge-biete

    · Ökologischer Ausgleich und Ersatz

    · Koordination mit kantonalen Programmen:Labiola (Vernetzung), Waldnaturschutz, Sa-nierung Wildtierkorridore, Gewässerrevitali-sierung

    · Aktualisierung und Ergänzung Landschafts-entwicklungsprogramm/-Konzepte(LEP/LEK)

    · Jurapark Aargau, Ökologische Infrastruktur

    · Koordination mit Nachbarkantonen und -ländern bei der Optimierung ÖkologischeInfrastruktur

    · Weiterentwicklung der Agrarpolitik, Regio-nale Landwirtschaftliche Strategien (RLS)

    4.3.1 Ziele und Massnahmen Programm Natur 2030, 1. Etappe (2021–2025)

    · Realisieren und Unterstützen der Neuschaffung und Aufwertung von Trittsteinbiotopen, Vernet-zungskorridoren und Strukturelementen in ausgewählten Vorrangräumen ausserhalb der Schutzge-biete im Umfang von je 15 ha für trockene Lebensräume (Wegborde, Trockensteinmauern etc.)und feuchte Lebensräume (kleine Feuchtgebiete vor allem im Jura, Quell-Lebensräume, Gewäs-serraum).

    · Erstellen von mindestens 20 kleineren (bis 5 Aren) und 5 grossen (bis 20 Aren) neuen Stillgewäs-sern zur Vernetzung bestehender Amphibienlaichgebiete.

    · Aufwerten von 15 ha Verkehrsbegleitflächen und weiteren Potenzialflächen ausserhalb der land-wirtschaftlichen Nutzfläche (innerhalb oder ausserhalb des Siedlungsgebiets) zu Trittsteinbiotopenund Vernetzungskorridoren.

    · Sanieren von mindestens 5 Amphibienzugstellen und 2 Kleintierdurchlässen.

    · Realisierung beziehungsweise finanzielle Unterstützung von 2 Projekten mit Vorbildcharakter fürdie Vernetzung grösserer zusammenhängender Landschaftskammern in ausgewählten Schwer-punktgebieten. Die Planung und Umsetzung erfolgt in Zusammenarbeit mit Gemeinden und/oderregionalen Trägerschaften, in Verbindung mit laufenden Vernetzungsprojekten oder unter Nutzungvon Synergien mit anderen Vorhaben (z. B. Gewässer-Renaturierungen, Rekultivierung von Ab-baustellen, Sanierung von Wildtierkorridoren, Meliorationen etc.).

    · Aktualisierung und Ergänzung der Landschaftsentwicklungsprogramme und -konzepte (LEP/LEK)in Zusammenarbeit mit den Regionen und Gemeinden.

    · Bereitstellen von Fach- und Planungsgrundlagen zuhanden von Regionen, Gemeinden und Orga-nisationen für die Realisierung von Massnahmen zugunsten der Ökologischen Infrastruktur.

    Aufwand für die 1. Etappe (2021–2025): Fr. 1'925'000.–

  • 31

    4.3.2 Erläuterungen Handlungsfeld III

    Nebst Massnahmen zur Erhöhung der Lebensraum-qualität zum Beispiel über die Verbesserung desWasserrückhalts in Feuchtgebieten und baulichenAnpassungen an Stillgewässern ist das Anlegen vonTrittsteinbiotopen, Vernetzungskorridoren und Struk-turelementen essentiell. Diese sollen die Ökologi-sche Infrastruktur als Biotopverbund so weit stärken,dass Artengemeinschaften sich an veränderte Be-dingungen anpassen und Populationen sich austau-schen können. Andernfalls könnte insbesondere derKlimawandel zu einem beschleunigten Aussterbenvon Arten führen.

    Vielfältige und vernetzte Landschaften sind aberauch attraktiv für die naturbezogene Erholung derMenschen. Sie wirken sich positiv aus auf die Frei-raumqualität im und angrenzend an das Siedlungs-gebiet. So bereichern beispielsweise Kleingewässeroder Baum- und Heckenpflanzungen die Landschaftund helfen insbesondere mit, durch Beschattung undVerdunstung die negativen Auswirkungen der Hitzeauf die Menschen zu dämpfen.

    Der Fokus des Programms Natur 2030 liegt in dennächsten Jahren bei der Erstellung und Aufwertungvon Trittsteinbiotopen und Vernetzungskorridoren inForm von Feuchtwiesen und Amphibienlaichgewäs-sern (für Feuchtlebensraum-Arten) sowie Trocken-wiesen- und Ruderalflächen (für Trockenlebens-raum-Arten), ergänzt mit Strukturelementen (für sehrmobile Arten, zum Beispiel Fledermäuse).

    Konkret geht es beispielsweise um Entbuschung, In-standstellung und Neuschaffung von Trockenmau-ern, die Erstellung von Kleingewässern, die gezielteAufwertung und Ergänzung von Flächen und Gelän-destrukturen wie kleine Feuchtgebiete, Hohlwegeoder Wegborde sowie um die Neuerstellung von He-cken, Gebüschgruppen, Totholz- oder Steinstruktu-ren im Umfeld bestehender Schutzgebiete (Abstim-mung mit den räumlichen Schwerpunkten des Hand-lungsfelds II). Gelegenheiten bieten sich auch durchdie Aufwertung von Verkehrsbegleitflächen, von öf-fentlichen Grün- und Restflächen sowie des Gewäs-serraums innerhalb und ausserhalb des Siedlungs-gebiets.

    Koordinierte Planung der Ökologischen Infra-struktur

    Die Realisierung erfolgt koordiniert mit Massnahmenzugunsten angrenzender Waldnaturschutzflächenund Waldrandaufwertungen des Naturschutzpro-gramms Wald sowie mit Biodiversitätsförderflächenund Vernetzungsmassnahmen der Landwirtschaft imRahmen des Programms Labiola. Vernetzungsflä-chen und Strukturelemente lassen sich oft gut mit

    verschiedenen Nutzungen kombinieren. Auch be-züglich der langfristigen räumlichen Sicherung dieserFlächen besteht mehr Flexibilität als bei den Kernge-bieten.

    Damit sich die Massnahmen verschiedener Sachbe-reiche, Programme und Akteure sinnvoll ergänzenund Synergien optimal genutzt werden, soll die Rea-lisierung der Ökologischen Infrastruktur im Rahmeneines koordinierten Massnahmenplans erfolgen. DerBund verlangt eine kantonale Planung für die Ökolo-gische Infrastruktur im Rahmen der NFA-Programm-vereinbarung32. Sie ist Voraussetzung für die Ge-währung von Beiträgen an Aufwertungsprojekte.Hierbei kann an bestehende kantonale Konzepte an-geknüpft werden (z. B. Kantonales Vernetzungskon-zept Labiola, Gesamtkonzept Sanierung Wildtierkor-ridore, Strategische Planung Revitalisierung Gewäs-ser).

    Teilweise drängt sich eine Aktualisierung von Kon-zepten und Planungsgrundlagen auf (LEP/LEK inZusammenarbeit mit den Regionalplanungsverbän-den und Gemeinden, Richtplan). Die gesetzlicheBauherrenpflicht zur Leistung von ökologischemAusgleich oder Ersatz soll noch gezielter als bisherfür die Verbesserung der Ökologischen Infrastrukturgenutzt werden Hierzu sollen auch Möglichkeitenvon Pool-Lösungen geprüft werden, bei denen Aus-gleichs- oder Ersatzmassnahmen mehrerer Vorha-ben gebündelt werden und eine bessere Wirkung er-zielt werden kann.

    Ökologischer Ausgleich ist gemäss den Bestimmun-gen des Natur- und Heimatschutzgesetzes (NHGArt. 18 b Abs. 2) auch eine staatliche Aufgabe. Fürsolche staatlichen Aufgaben kann bei gegebenerNotwendigkeit und unter Wahrung der Verhältnis-mässigkeit auch das Enteignungsrecht beanspruchtwerden gemäss den kantonalen baugesetzlichenBestimmungen (BauG §§ 131 und 132 Abs. 2). DasVerhältnismässigkeitsgebot verpflichtet den Staat,mildere Massnahmen zu ergreifen, soweit dies mög-lich und zielführend ist, wie a) vertragliche Sicherungund Abgeltung oder b) Ausscheidung von geschütz-ten Gebieten in kommunalen oder kantonalen Nut-zungsplänen mit entsprechend einschränkendenVorschriften.

    Im Rahmen der Weiterentwicklung der Agrarpolitik33ab 2022 sieht der Bund vor, dass die Kantone alsVoraussetzung für die Gewährung eines neuen Bei-trags für Standortangepasste Landwirtschaft (der diebisherigen Vernetzungs- und Landschaftsqualitäts-beiträge ablösen und mit Beiträgen für einen nach-haltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen ergän-zen soll) Regionale Landwirtschaftliche Strategien(RLS) entwickeln. Diese sollen ausdrücklich mit denkantonalen Planungen für die Realisierung der Öko-logischen Infrastruktur abgestimmt werden.

    32 Handbuch NFA 33 Agrarpolitik ab 2022 (AP22+)

  • 32

    4.4 Handlungsfeld IV: Prioritäre und gefährdete Arten gezielt för-dern

    Herausforderungen· Entwicklung vieler spezialisierter, gefährdeter

    Arten (Rote Liste) weiterhin kritisch

    · Artenvielfalt im Siedlungsgebiet verharrt auftiefem Niveau

    · Abnahme von Brutvögeln namentlich des Kul-turlands, v.a. auch der Umwelt Ziel- und Leit-arten

    · Artenförderungsmassnahmen entwickeln undumsetzen, welche Synergien mit landwirt-schaftlichen Produktionssystemen nutzen

    · Daten zu Artvorkommen teils lückenhaft, wei-tere Inventare erstellen bzw. aktualisieren

    · Risiken und Chancen des Klimawandels fürdie Entwicklung der Artenvielfalt berücksichti-gen

    · Neobiota verdrängen einheimische Arten

    Kontext und Schnittstellen· Kantonaler Richtplan: Kapitel V 2.1 Materi-

    alabbau

    · Konzept Artenförderung Schweiz, BAFU2012

    · Rote Listen, BAFU

    · kantonale Programme: Labiola (Biodiversi-tätsförderung und Vernetzung), Waldnatur-schutzprogramm (Artenförderung im Wald),Artenförderung der Jagd und Fischerei (z.B. Feldhase), Auenschutzpark, Gewässer-revitalisierung

    · Jurapark Aargau, Arten- und Lebensraum-förderung im Parkperimeter

    · Artenförderungsprojekte von Naturschutz-organisationen

    · Kooperation in der Artenförderung mit Mit-tellandkantonen

    4.4.1 Ziele und Massnahmen Programm Natur 2030, 1. Etappe (2021–2025)

    · Aktualisieren und Ergänzen des kantonalen Artenschutzkonzepts, Erarbeiten der Fachgrundlagenfür 2 Artengruppen (z. B. Widderchen, Trockenwiesen-Schnecken), Berechnen der Artwerte, Her-leiten von Handlungsprioritäten.

    · Erarbeiten von 1 neuen kantonsweiten Inventar zum Vorkommen einer für den Artenschutz prioritä-ren Artengruppe (z. B. Heuschreckenarten), Ergänzung bestehender Datengrundlagen und Inven-tare (z. B. Waldfledermäuse).

    · Erarbeiten und Umsetzen von 5 neuen Arten-Förderprogrammen und 10 neuen Aktionsplänen, na-mentlich für Brutvögel (u.a. Kiebitz und Feldlerche), Amphibien, Insekten und Pflanzen.

    · Weiterführung der bisherigen Artenförderprogramme für Amphibien, Reptilien, Fledermäuse, Ge-bäudebrüter und weitere Arten.

    · Entwickeln und umsetzen eines Artenförderprogramms für das Siedlungsgebiet (namentlich Pflan-zen und Insekten).

    · Gezielte Aufwertungen und Differenzierung von Pflegemassnahmen hinsichtlich einzelner Arten-gruppen in Schutzgebieten, abgestimmt mit dem generellen Schutzgebietsunterhalt.

    · Massnahmen zum Schutz von Vorkommen prioritärer, gefährdeter Arten ausserhalb von Schutzge-bieten in Zusammenarbeit mit den Grundeigentümern (beispielsweise vertraglich mit Abgeltung o-der mittels Ersatz- oder Umsiedlungsmassnahmen).

    · Unterstützen von Artenförderungsprojekten Dritter (Uferschwalbe, Steinkauz und weitere).

    · Durchführen von mindestens 25 Wirkungskontrollen.

    Aufwand für die 1. Etappe (2021–2025): Fr. 4'575'000.–

  • 33

    4.4.2 Erläuterungen Handlungsfeld IV

    Wenn zielkonformer Unterhalt, Aufwertungsmass-nahmen, flächenmässige Ergänzung und bessereVernetzung natürlicher und naturnaher Lebens-räume zur langfristigen Erhaltung von prioritären undgefährdeten einheimischen Arten nicht ausreichen,braucht es ergänzend gezielte Artenförderungs-Massnahmen.

    Artenförderung innerhalb und ausserhalb derSchutzgebiete

    Die Priorisierung jener Arten, die spezifische Arten-förderungs-Massnahmen benötigen, stützt sich aufdas Artenschutzkonzept Aargau34 und die Prioritätendes BAFU im Rahmen der NFA-Programmvereinba-rung. Das Artenschutzkonzept Aargau wurde zuletzt2008 aktualisiert und soll aufgrund neuster Erkennt-nisse (z. B. aktualisierte Rote Listen) überarbeitetund ergänzt werden. Eine wichtige Grundlage fürden Naturschutz bilden ausserdem Inventare, dieperiodisch beziehungsweise bei Bedarf aktualisiertund ergänzt werden.

    Für die priorisierten Arten gemäss Artenschutzkon-zept werden Artenförderprogramme und Aktions-pläne ausgearbeitet und entsprechende Fördermas-snahmen innerhalb und ausserhalb von Schutzge-bieten umgesetzt. Artenfördermassnahmen inner-halb von Schutzgebieten oder an der Schnittstelle

    zum Programm Labiola (vertraglich gesicherten Bio-diversitätsförderflächen, Vernetzungsmassnahmen)sind beispielsweise der Bau von Reptilienstrukturenoder Amphibienlaichgewässern, die Entbuschungvon Wiesenstandorten, Oberbodenabtrag oder bei-spielsweise die Schüttung von Sandhaufen für Ufer-schwalben. Oft können auch Anpassungen von Un-terhalts- und Pflegemassnahmen im Sinn einer diffe-renzierteren Bewirtschaftung zum Erfolg führen.Weiter werden auch Massnahmen zur Verzahnungvon Lebensräumen des Offenlandes mit angrenzen-den Waldnaturschutzflächen an der Schnittstellezum Waldnaturschutzprogramm umgesetzt.

    Kommen National Prioritäre Arten ausserhalb vonSchutzgebieten vor, wird versucht, Massnahmen inZusammenarbeit mit den Grundeigentümern umzu-setzen, beispielsweise vertraglich mit Abgeltungoder mittels Ersatz- oder Umsi