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Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

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Autorengruppeunter Leitung von Professor Dr. Helfried Wehner

Radeberger Landunter dem Hakenkreuz

Fakten und Ereignisse aus unserer Stadtund umliegenden Ortenwährend des "Dritten Reiches"

Herausgeber: Bund der Antifaschisten, Region Dresden e.V.

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Zum Geleit

Mit diesem Buch wird eine Lücke in der Darstellung der Geschichteunserer Heimatstadt und ihrer Umgebung geschlossen.Heimatforscher unter der Leitung von Professor Dr. Helfried Wehnerberichten über das dunkelste Kapitel in der Geschichte von Radeberg.Das ist keine angenehme, aber notwendige Lektüre. In unserer näherenHeimat vollzog sich die gleiche Tragödie wie im gesamten “DrittenReich”.

Die antifaschistischen Kräfte fanden sich trotz vorhandenerAnsätze nicht zum gemeinsamen Handeln. Sie konnten deshalbder NSDAP den Weg zur Macht nicht versperren und dem eigenenVolk und den Völkern Europas die Nazibarbarei nicht ersparen.Die Mehrheit der Deutschen erlag der Demagogie der Hitlerclique,stützte die Machthaber und wurde zum Mittäter.Mit der Rückkehr des Krieges nach Deutschland wurden dieMittäter zu Opfern.

Es ist das Verdienst der Autoren, diese folgenschwere Entwicklung inunserer Heimat und ihrer näheren Umgebung mit Tatsachen zu bele-gen, lebendig zu machen, den Blick auch auf diesen Teil unsererVergangenheit zu öffnen und zu ehrlicher, sachlicher Diskussion darü-ber anzuregen.Sich dieser Diskussion zu stellen, an dieser Diskussion mitzuwirken,wäre eine wichtige Aufgabe der das Leben in unserer Stadt gestaltendenKräfte.Eine Meinungsbildung darüber ist ein Teil unseres Weges in das nächs-te Jahrhundert.

Holm Theinert Gerhard LemmVors. des Bundes des Antifaschisten, Bürgermeister der Stadt RadebergRegion Dresden e.V.

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Vorwort

Ziel unserer Arbeit war es, die Wahrheit über die NS-Barbarei in unserer Heimatstadt undim Radeberger Land so konkret wie möglich zu erforschen.Während unserer Arbeit wurde uns deutlich, daß für die Nachgeborenen vieleGeschehnisse in unserer engeren Heimat nur verständlich sind, wenn wir den Zusam-menhang zur Gesamtpolitik der NSDAP herstellen. Deshalb findet der Leser Abschnitte, indenen das geschieht.Eine Schwierigkeit behinderte unsere Forschungsarbeit substantiell: Fast alle amtlichenDokumente aus der Zeit des "Dritten Reiches" wurden von den damaligen Kommu-nalbehörden und von den NS-Größen vernichtet. Deshalb mußten wir uns vorwiegend aufAusschnitte von damaligen Zeitungen und auf die Darstellungen von Zeitzeugen stützen.Aus diesem Grund legen wir keine vollständige Geschichte von Radeberg und Umgebungunter dem Hakenkreuz vor, sondern berichten aus der Geschichte dieser Zeit in demRahmen, den die uns zugänglichen Quellen ermöglichten. Trotz dieser Schwierigkeit bemü-hen wir uns, das damalige Geschehen mit Quellen zu belegen.Alle Autoren leisteten die Forschungsarbeit in ihrer Freizeit und konzentrierten sich aufwesentliche Seiten der NS-Barbarei in unserer Heimat. Andere Aspekte, wie zum Beispieldie NS-Herrschaft das tägliche Leben der Menschen veränderte, konnten noch nicht detail-liert erforscht werden. Wir wären deshalb dankbar, wenn dieses Büchlein den Leser anregt,sich zu unseren Forschungsergebnissen auch kritisch zu äußern oder sie durch eigeneErfahrungen, möglicherweise sogar durch Dokumente aus dieser Zeit, zu ergänzen und zubereichern.Es ist uns ein Bedürfnis, allen zu danken, die uns bei unserer Forschungsarbeit begleitetund bei der Aufbereitung der Forschungsergebnisse unterstützt haben.In der Verbreitung der schrecklichen Wahrheit über den "gewöhnlichen" Faschismus inunserer engeren Heimat sehen wir eine wirksame Möglichkeit, neonazistischen und natio-nalistischen Aktivitäten, welcher Art auch immer, entgegenzuwirken.Besonders freuen wir uns, daß junge Menschen, Schüler des Humboldt-Gymnasiums inunserer Stadt, an unsere Seite treten und aus eigener Initiative und in eigener Verant-wortung das dunkelste Kapitel unserer Stadt weiter erforschen. Sie verdienen unser allerUnterstützung.

Die Erforschung der Vergangenheit sind wir den Opfern der "braunen Nacht überRadeberg", uns selbst und unseren Kindern schuldig.

Verdrängen? NeinVergessen? Nie!

Wir hoffen, dieses Büchlein findet viele Leser, führt zum Nachdenken, zu ehrlichem, tole-ranten Gedankenaustausch und mündet in eine nachdenkliche Diskussion im RadebergerLand.

Die Autoren

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Inhalt

I. Der Faschismus und seine extremste Erscheinungsform -der deutsche Nationalsozialismus

II. Der Terror gegen die Juden

Geleitwort

Vorwort

Zur Entstehung des Faschismus

Das Wiedererstarken der konservativen Kräfte in der Weimarer Republikund die NS-Bewegung in Radeberg

Auch in Radeberg verteidigten Antifaschisten die Weimarer Republik

Der Weg der NSDAP an die Macht

Radeberg in der Hand der Nationalsozialisten

Die Demagogie des NS-Systems

Terror gegen alle Andersdenkenden

Zum Antisemitismus in der NS-Rassenideologie

Der NS-Terror gegen die jüdischen Bürger beginnt

Die Vertreibung

Die NS-Kristallnacht

Die Endlösung

Bilder gegen das Vergessen12 grafische Blätter von Martin Lehnert, Radeberg

III. NS-Euthanasiemorde auch in unserer Heimat

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IV. Die Verbrechen im "Arbeitserziehungslager" der SachsenwerkLicht- und Kraft AG 1944/45 -das dunkelste Kapitel der Geschichte Radebergs

V. Vor dem Kriegsende: NS-Durchhaltepolitik in Wort und Tat -Verweigerung und antifaschistischer Widerstand

Anhang

Die Arbeitsgemeinschaft "Radeberg und Umgebung imNationalsozialismus"

Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in derKriegsproduktion

Die Errichtung des "Arbeitserziehungslagers" Radeberg

Hunger, Schläge, Krankheiten, Morde

Massenerschießungen

"Das haben wir nicht gewußt und nicht gewollt!"

Kampf bis zum Letzten...

Mobilisierung von Greisen und Jugendlichen für den Endsieg

"Ich habe es für das ganze Dorf getan!"

Verweigerung und Widerstand

Auch fünf Minuten vor 12 geht das Morden weiter

Sich der Verantwortung entziehen

Auch in Radeberg wurde gemordet

Unsere Forschungsarbeit

Vorbereitung für die Gedenkveranstaltung

Der 29. April 1998 auf dem Radeberger Marktplatz

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Sachsensieger im Wettbewerb um den GOLDENEN FLOH, einenFörderpreis für praktisches Lernen

Eine Ausstellung im Schloß Klippenstein

Eine Gedenktafel für Charlotte und Joseph Paulin

Pläne für die Zukunft

Einflußreiche Parteien und Organisationenwährend und nach der Weimarer Republik

Quellen- und Literaturangaben

Impressum

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I. Der Faschismus und seine extremste Erscheinungsform -der deutsche Nationalsozialismus

Zur Entstehung des Faschismus

Die Geschichte des Faschismus in Europa läßt sich bis in die Anfangsjahre unseresJahrhunderts zurückverfolgen. Die ideologischen Wurzeln des Faschismus sind inder Gedankenwelt bürgerlicher Eliten aus Politik, Wirtschaft, Geistes-wissenschaften und Klerus zu finden. Sie sahen ihren Anspruch als "Herren imHause" infolge der zunehmenden sozialen Spannungen innerhalb der Gesell-schaft im Ergebnis der Emanzipation der in Gewerkschaften und Parteienorganisierten Arbeiter gefährdet, und sie schätzten ein, sie seien bei der Auf-teilung der Weltressourcen schlecht weggekommen.Zur Durchsetzung ihrer Herrschaftsansprüche nach innen und außenentwickelten sie die Vorstellung vom "starken Staat", in dem alle Kräfte derGesellschaft, unter kapitalistischen Produktions- und Distributionsverhält-nissen gebündelt, die schrittweise "Neuordnung" in Europa durchsetzen sollten.

In den entstehenden faschistischen Staaten oder faschistischen Regimen bildetesich die gleiche Doppelstrategie heraus:

• Unterdrückung und Zerschlagung oppositioneller Kräfte im Inneren• Aggressive militärische Aktivitäten gegenüber anderen Staaten

zur Aufteilung der Welt in Interessensphären bis hin zur Auslösungdes Zweiten Weltkrieges

Die Bezeichnung Faschismus wurde von Mussolini für seine 1921 in Italiengegründete Partei gewählt. Das Symbol war das im antiken Rom den Konsulenvorangetragene Amtszeichen. Es stellte ein mit einem Lederriemen umschnürtesRutenbündel dar, mit einem aus dem Bündel herausragenden Beil. Das Bündelsollte kennzeichnen, daß es im Gegensatz zu einer einzelnen Rute nichtgebrochen werden kann. Das Beil stand für Wehrhaftigkeit und Gewalt.Zu den ersten faschistischen Diktaturen in Europa zählen Italien unter Mussolini,Ungarn unter Admiral Horthy, das Francoregime in Spanien, das Salazar-Regimein Portugal und das NS-Regime in Deutschland unter Hitler.Nach ihrer Niederlage in der Novemberrevolution 1918 und dem Ende des ErstenWeltkrieges mit seinen verheerenden Auswirkungen für das deutsche Volk(Kriegstote, Hunger, Massenarbeitslosigkeit, Wirtschaftskrisen...) orientierte sichdie konservative Elite auf die Wiedererlangung ihres schwer erschüttertenpolitischen und ökonomischen Machteinflusses.Der erstmals von den Pastoren Friedrich Naumann und Paul Göhre publizierteBegriff vom "Deutschnationalen Sozialismus" kann nicht zu den direktenVorläufern des Nationalsozialismus gezählt werden. Aus den Reihen dieser

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christlichen Bewegung sind sowohl Faschisten als auch Antifaschistenhervorgegangen. Dennoch haben beide Pastoren diesen Begriff und Vorstellungendazu in das Denken eingeführt und den rechten Kräften ein grundlegendesArgumentationsmuster geliefert.Die 1920 gegründete Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP)verknüpfte alle nationalistischen, chauvinistischen, rassistischen, milita-ristischen und deutsch- und heimattümelnden Komponenten zur "National-sozialistischen Weltanschauung". Mit ihrem demagogischen 25-Punkte-Programm führte sie rechtskonservative Gruppierungen wie den "AlldeutschenVerband", die "Deutsche Soziale Partei", den "Deutschvölkischen Germanen-orden", den "Germanenorden Walvater", die österreichische "Deutsche National-sozialistische Arbeiterpartei" u.a. aus ihrer sektenmäßig beschränktenMitgliederzahl zu einer breiteren Basis.Die NSDAP übernahm Tratitionen der Arbeiterbewegung wie den Begriff"sozialistisch" im Namen ihrer Partei, die Anrede "Parteigenosse", die Übernahmevon Arbeiterliedern mit NS-Text, den 1. Mai als "Feiertag der Arbeit" u.a. Zugleichübte die NSDAP verbale Kritik am Kapitalismus durch dessen Differenzierung in"Schaffendes Kapital" (Produktionsunternehmen) und "raffendes Kapital"(Banken, Warenhäuser, insbesondere in jüdischem Besitz). Mit dieser Demagogieerreichte sie deutliche populistische Erfolge.Die Ideologie des sogenannten Nationalsozialismus ist grob zu charakterisierenals antidemokratisch, macht- und gewaltanbetend, rassistisch, antisemitisch,antiliberal, antimarxistisch, diktatorisch, kriegsverherrlichend und proim-perialistisch.

Das Potential der NSDAP wuchs auf dem Boden und mit Unterstützung der in derWeimarer Republik wiedererstarkenden konservativen Kräfte in Staat, Wirtschaftund Militär, auf dem Boden eines reaktionären, autoritären Rechts- undBildungswesens und in hochgradig militarisierten Organisationen, Vereinen undVerbänden. Bis zum Jahre 1945 galten zum Beispiel die 1873 von einempreußischen Schulrat festgelegten Grundzüge der Volksschulerziehung: "Diedisziplinarischen Anordnungen dienen dazu, den Schüler zu gewöhnen, seinenWillen einem höheren und damit dem höchsten Willen unterzuordnen." Die"Erziehung" der Schüler zu "klostermäßigem Gehorsam" durch Leibesstrafen (u.a.Stockschläge) entwickelte autoritäre Charaktere und Gewaltakzeptanz von Kindan. Diese autoritäre Erziehung und die Glorifizierung des Krieges als höchsteTugend und legitimes Mittel zur "Landnahme" fremder Territorien förderten eineständige Gewaltbereitschaft gegen je nach Bedarf projizierte Feindbilder.Die völkerrechtlich festgestellte Alleinschuld des deutschen Kaiserreiches an der

Das Wiedererstarken der konservativen Kräfte in der Weimarer Republikund die NS-Bewegung in Radeberg

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Auslösung des Ersten Weltkrieges, die damit verbundenen Grenzkorrekturen undvölkerrechtlichen Auflagen, die Errichtung einer parlarmentarisch-bürgerlichenDemokratie mit einer verfassungsgebenden Volksvertretung im Ergebnis derNovemberrevolution, mit Volksbegehren und Volksentscheid, mit allgemeinemWahlrecht sowie die Einführung des 8-Stunden-Arbeitstages u.a. waren für diemonarchistisch-militaristischen Kräfte aus Grundbesitzern, Fabrikinhabern,Verwaltungen und dem Großkapital Anlaß, mit allen Mitteln auf die Wieder-herstellung ihrer Macht und ihres Einflusses hinzuarbeiten.Wie Industrielle dabei vorgingen, zeigt eine vertrauliche Einladung des VerbandesSächsischer Industrieller zu einer Versammlung in den Räumen der DeutschenVolkspartei:

.Beeinflussung der Arbeiterschaft im antimarxistisch und nationalsozialistischem Sinne durch alleRechtsparteien

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Am 22.6.1922 ermordeten zwei junge Nationalsozialisten den konservativ-liberalen jüdischen Reichsaußenminister Walter Rathenau. Kurz danach hob diePolizei im Richter´schen Sägewerk in Radeberg ein Waffenlager nationalistischerKräfte aus.Darüber berichtete die Radeberger Zeitung am 1.7.1922:

Trotz des vom Reichspräsidenten erlassenen "Republikschutzgesetzes" vom18.7.1922, des zeitweiligen Verbotes des "Stahlhelmes", des "AlldeutschenVerbandes" und anderer republikfeindlicher Organisationen wucherten dieseweiter.

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Ermittlung einesgeheimen Waffenlagers.

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Wie auch in Radeberg konservative Kräfte der Grundbesitzer, Fabrikanten undehemalige Offiziere der NSDAP den Weg ebneten, zeigte sich bereits 1925: NachWiederzulassung des "Stahlhelmes" marschierten anläßlich einer Fahnenweihe700 feldgrau uniformierte, mit Stahlspitzenstöcken ausgerüstete "Stahlhelmer"durch das Stadtzentrum zur ev.-luth. Stadtkirche. Die Radeberger Zeitungberichtete darüber u.a.:"Ernst und wuchtig marschierten die Stahlhelmmänner unter Glockengeläut zumGotteshaus auf ihre Plätze, ein Wald von Fahnen entstand im Altarraum... DieFahne Schwarz-Weiß-Rot sei das Panier. Die Reichsmarineflagge sei gehißt ausZorn, Trotz und Wut, weil diese Flagge zuerst in den Staub gerissen wurde...'Unser Kampf gilt bis aufs Messer allem, was undeutsch und international ist',führte u.a. ein Major a. D. namens Ritter als Hauptredner aus.Dann nahm Herr Freigutbesitzer Maschke (Lotzdorf) das Wort und überreichteihm ein namhaftes Geldgeschenk mit herzlichen Glückwünschen."Auch ein Radeberger Wahlplakat der Deutschnationalen Volkspartei zeigt, wiegroß deren Übereinstimmung mit den Zielen der NSDAP war:

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WahlplakatDuesterberg (Stahlhelm)

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Etwa bis zum Jahre 1933 blieb der Einfluß der Radeberger Verbände desStahlhelmes und des Kyffhäuserbundes relativ konstant. Das zeigen die Ergeb-nisse der diese Verbände ideologisch und organisatorisch tragenden Parteien, derDeutschen Volkspartei (DVP) und der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), beiden Radeberger Kommunalwahlen. Doch der antisemitische, antimarxistischeund chauvinistische Einfluß dieser militanten Wehrverbände auf Schützen- undSportvereine, Religionsgemeinschaften und die Öffentlichkeit der Stadt war nichtzu übersehen. Er hatte das Ziel, die bürgerlich-liberale Weimarer Republikverächtlich zu machen, ihre Ordnung zu untergraben und sie schließlich zustürzen.Rückblickend auf die "Kampfzeit", wiederum anläßlich einer Fahnenweihe -diesmal war das Radeberger Schützenhaus schon mit Hakenkreuzfahnen undWimpeln dekoriert - würdigte der Oberleutnant und Bezirksführer des Stahl-helmes, der langjährige Herausgeber der Radeberger Zeitung, Willi Hordler, inseiner Ansprache den Einsatz seiner Kameraden:"Der Aufstand undeutscher Elemente im November 1918, feiger Pazifismus,wollte die Erinnerung an die großen Taten von Heer und Marine austilgen. ImStaate von Weimar hatten diese keinen Platz mehr. Die Ideen, die krankhaft oderschwächlich waren, sind vergangen. Wir geloben unverbrüchliche Treue undGefolgschaft dem Volkskanzler und Kameraden Adolf Hitler... und unserengeweihten Fahnen. So ist der Bund ein Wegbereiter gewesen für die großeEntwicklung des Vaterlandes..."Weiter war in der Zeitung zu lesen: "Das niederländische Dankgebet mit seinemstarken Appell an den Höchsten 'Herr, mach uns frei!' klang auf und fand einenerhebenden Widerhall im Saale. Dabei grüßte es eindringlich 'Mit Gott für Volkund Vaterland' von der mit Hakenkreuzbanner, Schwarz-Weiß-Roten Draperienund umkränzten Bildnissen des greisen Reichspräsidenten und des genialenFührers der deutschen Geschichte von der Bühne herab."Schon vor der "Machtergreifung" der NSDAP, aber auch danach, unterstützteneinige Repräsentanten der ev.-luth. Kirche in Radeberg und Umgebung dieNSDAP. So berichtete die Radeberger Zeitung am 9.1.1933 und am 31.1.1934(Ausschnitte der Berichte auf Seite 13):

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Montag, den 9. Januar 1933 Mittwoch, den 31. Januar 1934

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Auch in Radeberg verteidigten Antifaschisten die Weimarer Republik

Der im Zuge der Novemberrevolution in Radeberg gewählte Arbeiter- undSoldatenrat setzte den bürgerlich-konservativen und kaisertreuen Stadtrat, derbis dahin mit Hilfe des völlig undemokratischen Drei-Steuerklassen-Wahlrechtesdie Stadt regiert hatte, außer Kraft. Bei den Wahlen zur Gründung derverfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung im Jahr 1919, auf die dieAusrufung der Deutschen Republik folgte, errangen die Kandidaten der Linkendie Mehrheit im Radeberger Stadtrat und behielten sie bis zur "Machtergreifung"der NSDAP. Das entsprach der sozialen Struktur der Industriestadt Radeberg.Zentren der politisch organisierten Arbeiterschaft befanden sich im Wahlbezirk 5,"Gasthof Klengel"; im Wahlbezirk 6, Pillnitzer Straße; "Deutsches Haus", Bahn-hofstraße und in den Wahlbezirken der Beschäftigten der 1929 zusammen-gebrochenen Glasindustrie Hirsch, Bedrich & Co.Der politische Einfluß der am 10.6.1924 gegründeten Radeberger Ortsgruppe derNSDAP blieb längere Zeit gering. Er beschränkte sich auf einige DutzendMitglieder, konnte jedoch in den ländlichen Gemeinden, besonders unter derBauernschaft, aufgewogen werden. Den Bauern versprach die Hitlerpartei dieEntschuldung ihrer Höfe und die Schaffung tausender Erbbauernhöfe zurNeubildung deutschen Bauerntums. So entstanden unter Mitwirkung derRadeberger NSDAP in rascher Folge Ortsgruppen in Großerkmannsdorf, Lange-brück, Arnsdorf, Ottendorf-Okrilla, Lausa, Pulsnitz und Kamenz.1920 hatten Linksparteien und Gewerkschaften durch ihr entschlossenesHandeln den Kapp-Putsch abgewehrt und die Weimarer Republik verteidigt. Am6.7.1922 berichtete die Radeberger Zeitung (siehe Faksimile Seite 15).Ein Jahr später löste die Entscheidung der Reichsregierung, den Einmarsch derReichswehr in Sachsen und Thüringen und die Absetzung der sozial-demokratisch-kommunistisch geführten Staatsregierung des Freistaates Sachsenunter Ministerpräsident Zeigner anzuordnen, bei Linken, Demokraten undGewerkschaftern tiefe Empörung aus.Die Verhaftungswelle der Reichswehr gegen Kommunisten in Radeberg, und ihrrücksichtsloser Schußwaffengebrauch gegen die Arbeiterdemonstration inFreiberg (29 Demonstranten wurden erschossen) waren ernüchternde Erlebnissefür viele Sozialisten im Hinblick auf das Wiedererstarken erzkonservativer Kräftein der Weimarer Republik.Treffend charakterisierte Herbert Wehner, langjähriger Vorsitzender der Fraktionder SPD im Deutschen Bundestag, rückblickend diese Situation:"Durch den Einmarsch der Reichswehr wurde damals alles ge- und zerstört. ImFrühjahr 1924 lernten wir dann zum ersten Mal Faschismus kennen. Aus Anlaßdes Geburtstages von Bismarck marschierten die ‘vaterländischen Verbände’ auf,die alles andere als vaterländisch waren, zum Beispiel die Brigade Erhardt, dieSA, NSDAP, der Stahlhelm u.a. Damals haben wir als Jugendgruppe(Sozialistische Arbeiterjugend) gegen die Kolonnen demonstriert und protestiert.

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Wir wurden zusammengeschlagen und haben uns wieder aufgerafft."Wehners folgender Austritt aus der Sozialistischen Arbeiterjugend und seinÜbergang zu einer anarchistischen Jugendgruppe sowie seine folgendeMitgliedschaft in der KPD (1927) waren Ausdruck der tiefen Enttäuschung des21jährigen. Er war auch ein Beispiel für die Wählerwanderung von der SPD,SAP und USPD zur KPD.

Die Übergriffe von Reichswehr, Polizei und militanten Krieger- und Schützen-vereinen, royalistischen Ex-Soldatenorganisationen und der NSDAP gegenKundgebungen und Demonstrationen der Arbeiterparteien und Gewerkschaften

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führten zur Bildung von unbewaffneten Schutzorganisationen der Linken, auchin Radeberg.Als einer der ersten trat im Freistaat Sachsen der "Proletarische Selbstschutz" inErscheinung. Partei- und gewerkschaftsübergreifend versuchte er, die Versamm-lungsfreiheit bei Versammlungen und Demonstrationen sicherzustellen.Kurz darauf folgte die Gründung der Schutzorganisation der SPD, "ReichsbannerSchwarz-Rot-Gold", der Schutzorganisation der KPD "Rotfrontkämpferbund" undmehrerer Unterorganisationen wie "Arbeitersamariter" und "Rote Hilfe". Wennauch die politischen Zielvorstellungen und die praktischen Wege auseinandergingen, gab es doch eine übereinstimmende Grundhaltung. Sie bestand in derAblehnung des Krieges als Mittel der Politik (Antimilitarismus, aktiverPazifismus) und in der politischen Bekämpfung des Nationalsozialismus undseiner "vaterländischen" Gehilfen.Diese Grundhaltung wurde auch von Vereinen getragen, die die Emanzipation derArbeiterbewegung unterstützten, wie dem Freidenkerverband mit seinerJugendweihe (1922), der Naturfreundebewegung, den Arbeitersportvereinen u.a.Die Aufführung des Antikriegsfilmes "Im Westen nichts Neues" im RadebergerKino mußte wegen des enormen Besucherandranges mehrfach verlängertwerden.Trotz der ständigen Arbeitslosigkeit von 2500 bis 3000 Personen im Arbeits-amtsbezirk Radeberg von 1922 bis 1933 und trotz einer anhaltendenWohnungsmisere gelang weder den Vaterlandsparteien und schon gar nicht derNSDAP ein nennenswerter Einbruch in die antifaschistische Grundhaltung derMehrheit der Radeberger Bevölkerung. Die entschlossene antifaschistischeHaltung wurde auch im Jahr 1931 deutlich. Eine von der NSDAP im Radeberger"Schützenhaus" durchgeführte Großveranstaltung mit vielen Teilnehmern ausganz Sachsen führte am 24.1.1931 zu einer tausendköpfigen Gegen-demonstration der Radeberger, die gemeinsam von den Gewerkschaften undlinken Parteien getragen wurde.In den dabei von SA-Leuten begonnenen tätlichen Auseinandersetzungenwurden vier Betriebsräte aus Radeberger Großbetrieben verletzt und mußten indas Stadtkrankenhaus eingeliefert werden. Der tags darauf von denGewerkschaften ausgerufene und von linken Parteien unterstützte dreistündigeGeneralstreik, an dem sich 12 Groß- und Mittelbetriebe beteiligten, war einer derersten politisch motivierten Generalstreiks in der Weimarer Republik. 4000Radeberger unterstützen ihn mit einer Demonstration gegen die Hitlerpartei aufdem Marktplatz.Folgerichtig konstituierte sich kurze Zeit später in Radeberg ein gewerkschafts-und parteiübergreifendes Abwehrkartell gegen den Faschismus.Die erzkonservativen Kräfte in Radeberg aus dem Stahlhelm, der DeutschenVolkspartei und der Deutschnationalen Partei schlossen sich zu der "BürgerlichenEinheitsliste" zusammen und führten den Wahlkampf für die Reichstagswahl am6.11.1932 gemeinsam mit der Radeberger NSDAP unter Oberlehrer Möckel.

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Diese Zusammenarbeit zeigt auch eine Großanzeige der "BürgerlichenEinheitsliste" (Liste 2) und der NSDAP (Liste 4) in der Radeberger Zeitungvom 16.11.1932:

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Die enge Verflechtung hatte keinen wesentlichen Einfluß auf die antifaschistischeEinstellung der Mehrzahl der Radeberger. Am 18.11.1932 teilte die RadebergerZeitung ihren Lesern auf der Titelseite folgendes Wahlergebnis mit:

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Der Weg der NSDAP an die Macht

Die Weltwirtschaftskrise erschütterte die letzten Jahre der Weimarer Republikschwer. In dieser Zeit kommt es zu immer stärkerer politischer Radikalisierung.Begünstigt durch die Schwierigkeiten, auf demokratische Weise Mehrheiten zubilden, verlagern sich die politischen Gewichte zunehmend von den Parteien unddem Parlament zum Reichspräsidenten und seinen konservativen Beratern. Dieso entstehende politische Krise führt zu einem schnellen Anwachsen der rechtenKräfte. Im Oktober 1931 verbünden sich Hitlers NSDAP, die DeutschnationaleVolkspartei und der Stahlhelm in der "Harzburger Front" zum Kampf gegen dieRegierung Brüning und die Republik.Am 5. Oktober 1931 findet zwischen Vertretern des deutschen Monopolkapitalsund dem Reichspräsidenten von Hindenburg eine Unterredung über dieUmbildung der Regierung Brüning statt. Die Regierungsumbildung erfolgt vom7. bis 9. Oktober 1931 und ist darauf gerichtet, die demokratische Staatsform zubeseitigen.Am 10. Oktober 1931 empfängt Reichspräsident von Hindenburg erstmalig Hitlerund Göring, um sich persönlich über die Ziele der NSDAP zu informieren.1932 entläßt Reichspräsident von Hindenburg die Regierung Brüning. In derFolge wird das Verbot der SA aufgehoben, der Reichstag aufgelöst und die von derSPD geführte preußische Landesregierung abgesetzt.Nun fordert Hitler kompromißlos die gesamte politische Macht in Deutschland.Am 12. und 13. August 1932 verhandeln von Hindenburg, von Papen undSchleicher, um Hitler für den Posten des Vizekanzlers zu gewinnen, doch Hitlerfordert den Posten des Reichskanzlers. Das wird ihm nicht zugebilligt. Darauflehnt die NSDAP ab, die inzwischen vom Reichspräsidenten berufene Regierungvon Papen zu tolerieren. Der Reichspräsident löst den Reichstag auf, und am6. November 1932 finden Reichstagswahlen statt.

Ergebnisse:

NSDAP 11,7 Mio. Stimmen 196 SitzeSozialdemokratische Partei 7,2 Mio. Stimmen 121 SitzeKommunistische Partei 6,0 Mio. Stimmen 100 SitzeZentrumspartei 4,2 Mio. Stimmen 70 SitzeDeutschnationale Volkspartei 3,0 Mio. Stimmen 52 SitzeBayrische Volkspartei 1,1 Mio. Stimmen 20 Sitze

Am 18. November 1932 erklärt Hitler dem Reichspräsidenten, seine Partei sei dereinzige "Damm gegen den Kommunismus" und fordert für die NSDAP dieRegierung und unbeschränkte Vollmachten. Am 24. November verweigert ihmvon Hindenburg das noch.Am 4. Januar 1933 treffen sich im Hause des Bankiers Schröder in Köln von Papen

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und Hitler. Es kommt zu der Übereinkunft, daß Hitler demnächst die Machtübernehmen und eine Regierung bilden soll, die im Gegenzug die Forderung derWirtschaft und der Großbanken erfüllt. Damit wird der Weg zur offenenfaschistischen Diktatur frei. Um dieses Ziel schnell zu erreichen, lehnen NSDAPund DNVP unter Hugenberg die Unterstützung der bestehenden RegierungSchleicher ab.Am 22. Januar 1933 findet im Hause von Ribbentrop eine Unterredung Hitlers mitvon Hindenburg, von Papen und Staatssekretär Otto Meißner mit dem Ergebnisstatt, Hitler in den nächsten Tagen zum Reichskanzler zu ernennen. Inzwischenwerden alle Aktivitäten des Reichskanzlers Schleicher abgelehnt, so daß er mitseiner Regierung am 28. Januar 1933 zurücktritt. Am 30. Januar 1933 ernenntReichspräsident von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler, der die“Machtergreifung“ der NSDAP proklamiert.Bereits am 1. Februar 1933 fand in Radeberg ein Fackelzug zu Ehren desReichskanzlers Adolf Hitler statt. Die Radeberger Zeitung berichtete:

Wie groß der Widerstand unter der Radeberger Bevölkerung gegen die NSDAP undder Wille zur antifaschistischen Einheitsfront war, ist einem Bericht derRadeberger Zeitung vom gleichen Tage zu entnehmen:

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In Ottendorf-Okrilla bemerkten antifaschistische Bürger am 25.2.1933 auf demSchornstein der stillgelegten Glashütte Brockwitz eine Hakenkreuzfahne. Siebeschlossen, diese Fahne zu entfernen. Der Ottendorfer Arbeiter Kurt Schwadevollbrachte diese Tat. Kurz darauf wehte auf dem Schornstein der damaligenFirma Scheffel eine rote Fahne. Unerkannt hatte der Schornsteinfeger Hermannim Auftrage von Sozialdemokraten, Kommunisten und parteilosen Anti-faschisten dieses Zeichen des Widerstandes gesetzt.

Mit der Machtergreifung begann die NSDAP, von konservativen Kräftenunterstützt, ihre Diktatur zu errichten. SA und Stahlhelmleute wurden alsHilfspolizei eingesetzt.Am 27. 2. 1933 wurde das Gebäude des Deutschen Reichstages in Brand gesetzt.Die Hitlerregierung verkündete, der Reichstagsbrand sei das Werk derKommunisten und das Signal für eine Verschwörung gegen das deutsche Volk. Siebenutzte dieses Verbrechen als Vorwand, eine Verordnung zum "Schutze von Volkund Staat" zu erlassen und damit der Hitlerregierung fast uneingeschränkteMachtbefugnisse einzuräumen. Reichspräsident von Hindenburg unterschrieb.Damit waren entscheidende verfassungsmäßige Rechte außer Kraft und derTerror gegen alle Andersdenkenden "legalisiert". Die ersten Opfer wurdeninnerhalb von 24 Stunden mehr als 10.000 Arbeiterfunktionäre, die meistendavon Kommunisten. Sie wurden verhaftet und in Internierungslagerverschleppt.

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Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reiches werden

bis auf weiteres außer Kraft gesetzt - das bedeutet die Liquidierung aller Grundrechte.

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Das entscheidende Ziel war, massiven Druck auf die Wähler auszuüben, damit siebei der Reichstagswahl am 5. März 1933 der NSDAP ihre Stimme geben und so dieGewaltherrschaft dieser Partei scheindemokratisch bemänteln sollten. Demdiente auch das Verbot der Zeitungen von SPD und KPD. Dazu ließ der BerlinerPolizeipräsident ein Flugblatt verbreiten:

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Die Radeberger Zeitung veröffentlichte das Ergebnis der Reichstagswahlen vom5. März 1933:

In Radeberg gaben 3 903 Bürger der NSDAP ihre Stimme. Das waren rund 36 % derWähler. Bis auf zwei Gemeinden erreichte die NSDAP nicht die gewünschteabsolute Mehrheit. In Radeberg, Ottendorf-Okrilla, Hermsdorf, Leppersdorf undLomnitz erzielten SPD und KPD einen höheren Anteil der Wählerstimmen als dieNSDAP.

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Radeberg in der Hand der Nationalsozialisten

Nachdem sie mit der Reichstagswahl am 5.3.1933 ihr Ziel nicht erreicht hatten,setzte die NSDAP alle Mittel ein, um ihre Machtpositionen zu stärken. Sie sah dasgrößte Hindernis in den linken Parteien, den Gewerkschaftsverbänden undanderen demokratischen Kräften, besonders auch deren Abgeordneten in denStadt- und Gemeindeparlamenten. Beim Ausbau ihrer Herrschaft in allenstaatlichen Ebenen traten die neuen Machthaber Recht und Gesetz mit Füßen.Am 7. März 1933, zwei Tage nach den Reichstagswahlen, findet auf demMarktplatz von Radeberg eine große Kundgebung der NSDAP statt. SS und Polizeisperren ab. Am Rathaus werden die Hakenkreuzfahne und die deutsch-nationaleFahne Schwarz-Weiß-Rot gehißt. NSDAP-Ortsgruppenleiter Erich Möckel klagt ineiner Rede an, daß er lange Jahre "unter dem Marxismus geseufzt hat". Sieg-Heil-Rufe der SA hallen über den Marktplatz.Von dieser Kundgebung veröffentlichte die Radeberger Zeitung am 8. März einFoto:

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Bereits zwei Tage nach der Reichstagswahl vom 5. 3. 1933 besetzten gegen 17.30 Uhr SS, SA,Stahlhelm und Polizei das Radeberger Rathaus und hißten die oben genannten Fahnen unterMißachtung des noch gültigen offiziellen Flaggengesetzes. Im Vordergrund der aufmarschierte“Stahlhelm” mit dem Kommandierenden Teichert, rechts (kaum erkennbar) die SA-Formation. Die “II.Revolution” des NSDAP-Ortsgruppenführers E. Möckel nahm ihren erfolgreichen Verlauf.

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Eine zweite Kundgebung am 9. März 1933 versetzte dem demokratischgewählten Stadtrat und der Stadtverwaltung den Todesstoß. Darüber berichtetedie Radeberger Zeitung am 10.3.1933 ausführlich:

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Fritz Weitzmann und weitere Radeberger

Antifaschisten wurden von den Nazis

gezwungen, die Wahlaufrufe der Arbeiter-

parteien zu den Reichstagswahlen

März 1933 von den Wänden abzuwaschen.

(Foto aus dem Nachlaß

von Fritz Weitzmann)

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Der Terror ging weiter. Bereits am 4. März 1933 hatte die SA den RadebergerStadtverordneten der KPD eine "Sonderbehandlung" zuteil werden lassen.Am 17. März 1933 holte die neue NS-Stadtverwaltung die Stadtverordneten derSPD in das Rathaus zur "Vernehmung". Danach mußten sie zusammen mitanderen Antifaschisten unter Aufsicht von SA-Leuten die Wahlplakate derArbeiterparteien für die Reichstagswahlen von den Wänden abwaschen.Am gleichen Tag beschloß der "gesäuberte" Stadtrat, daß Marxisten nicht mehr inleitenden Stellen beschäftigt werden dürfen. Dieser Beschluß wurde mit einerGegenstimme gefaßt.Zum weiteren Ausbau der Diktatur legte Hitler ein Ermächtigungsgesetz vor, dasam 24.3.1933 das Parlament mit Zweidrittelmehrheit passierte. Es schaltete denReichstag und seine Kontrollorgane faktisch aus.

Nun folgten die Proklamation des "Einheitsstaates" und die "Gleichschaltung".Damit wurden alle Parteien außer der NSDAP verboten, die Gewerkschaften unddie Länder entmachtet und der Reichsrat aufgehoben.Am 30.3.1933 fand die letzte Sitzung der Radeberger Stadtverordneten statt, zuder noch Abgeordnete der SPD zugelassen waren. Dazu schrieb die RadebergerZeitung:

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"Am früher gewohnten Platze hing wieder das Gemälde König Georgs, ihmgegenüber die Fahne Schwarz-Weiß-Rot, die Hakenkreuzfahne und die Grün-Weiße Fahne Sachsens. Die Plätze der Kommunisten waren leer, da diese nichteingeladen waren. Von den Sozialdemokraten waren nur vier anwesend, daeinige sich bereits in Schutzhaft befanden. Der NSDAP-Ortsgruppenführer undvorläufige Bürgermeister, Parteigenosse Möckel, stimmte ein kräftiges 'Sieg Heil'auf Hindenburg und den Führer an, wobei sich die Abgeordneten von den Plätzenerhoben, außer den vier Sozialdemokraten. Sie beteiligten sich auch nicht an derWahl des Präsidiums. Stadtverordneter Weitzmann (SPD) gab dazu eineentsprechende Erklärung ab."Einen Tag später erließ die Hitlerregierung das Länder- und Gemeinde-Gleichschaltungsgesetz. Damit war auch in Radeberg der Weg zu einemunglaublichen Wahlbetrug freigemacht.

Darüber informiert die Radeberger Zeitung:

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Über die so an die Macht geschobenen Radeberger Stadtverordneten der NSDAPund der Konservativen ("Gemeinsamer Wahlvorschlag") informierte dieRadeberger Zeitung:

Auch in allen Dörfern des Radeberger Landes wurden die Gemeindeparlamente"gleichgeschaltet". Die von der Bevölkerung gewählten Abgeordneten von SPDund KPD wurden aus den Gemeinderäten entfernt und ihre Mandate vonVertretern der NSDAP besetzt.Nun war die NSDAP in der Lage, ihre Diktatur ohne große Gegenwehr auszuüben.Einen Höhepunkt der "Nationalsozialistischen Machtergreifung" und der"Gleichschaltung" in Radeberg bildete die Stadtverordnetenversammlung am15. Mai 1933 mit der Wahl des NS-Bürgermeisters Dr. Rasch.

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Der Berichterstatter der Radeberger Zeitung schrieb:"Der mit dem Wahrzeichen der nationalen Bewegung geschmückte Sitzungssaalzeigt das Bild der Gleichschaltung, das braune Hemd beherrscht den Saal. Der bisdahin kommissarische Bürgermeister, Gewerbeoberlehrer Möckel, seit 1929Ortsgruppenleiter der NSDAP, gab die richtungweisende Orientierung. Er lobte dieAusschaltung der staatsfeindlichen Elemente."

Der Historiker Guido Knopp verweist in seiner Studie "Hitler, eine Bilanz" aufHubertus von Löwenstein. Anläßlich der Ernennung Hitlers zum Reichskanzlerwarnte er seine sozialdemokratischen Freunde: "Kameraden, habt ihr begriffen,daß heute der 2. Weltkrieg begonnen hat?"Der Vorsitzende der KPD, Ernst Thälmann, hatte diese tödliche Gefahr mit denWorten gekennzeichnet: "Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler. Wer Hitler wählt,wählt den Krieg!"Beide sollten recht behalten.

Um die Menschen zu gewinnen, nutzte die NS-Propaganda besonders die Sorgenaus, die viele Leute bewegten:

• Angst vor der Arbeitslosigkeit war eine depressive Grundstimmung,damit verbunden:

• Angst vor gesellschaftlicher Deklassierung

Gezielt und erfolgreich geschürt wurden:

• Angst vor dem Bolschewismus,

Die Demagogie des NS-Systems

• Angst vor und Haß gegenüber den Juden,• Angst vor Überfremdung

Die Propaganda der Nazis verkündete, nur einer könne der Bevölkerung dieseÄngste nehmen: Adolf Hitler mit seiner NSDAP.Und Hitler ließ an seinem Willen zur alleinigen Macht keinen Zweifel:"Nunmehr haben wir die Macht in der Hand, und ich als Kommissar des Reichesbin in meiner Person der Ausdruck hierfür. Deshalb befehle ich und kein anderer.Meine Befehle allein sind maßgebend, und ich allein trage die Verantwortung fürdas, was geschieht."

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Die Begeisterung bei NS-Propagandaveranstaltungen riß Zögernde mit. Um dieseStimmung auszubauen, ergriff die NSDAP weitere Maßnahmen:

1. Der 1. Mai wurde zum gesetzlichen "Tag der nationalen Arbeit" erklärt. Mit derSchaffung der Deutschen Arbeitsfront anstelle der verbotenenGewerkschaften sollten die Arbeiter an sozialen Forderungen gehindert undauf das "Führerprinzip" auch in den Betrieben eingeschworen werden. Fortangab es einen "Betriebsführer" und eine "Gefolgschaft".Der Beauftragte der "Deutschen Arbeitsfront", Felber, sagte in derGruppenstammversammlung 1/151 in Radeberg im Juli 1934:"Wir haben für das deutsche Arbeitertum eine Organisation geschaffen, dienicht nur Organisation ist, sondern ein ehernes Fundament unseres Staates...Es ist unbestreitbar, daß die nationalsozialistische Revolution den Schutt derdeutschen Arbeiterklasse weggeräumt und den edlen Kern freigelegt hat, daßes heute kaum einen willigeren und unbedingteren Staatsbejaher gibt, alsden deutschen Arbeiter."In diesem Sinne organisierten NSDAP und Arbeitsfront in Radeberg die Feiernzum 1. Mai. In Großveranstaltungen wurden die Leistungen und dieGefolgschaftstreue des "Arbeitsvolkes" hervorgehoben.Darüber berichtete die Radeberger Zeitung:"Bereits in der 8. Stunde des 1. Mai versammelten sich auf der PulsnitzerStraße "Arbeitsmenschen", die Belegschaften der Betriebe, Beamte, Lehrer,Gewerbetreibende, auch die arbeitslosen Volksgenossen usw. zum Marsch der8500 durch die Stadt. Schließlich hatten sich im "Horst-Wessel-Stadion"Zehntausend vereinigt.”

2. Mit riesigem propagandistischen Aufwand inszenierte die NS-Regierungihren demagogischen "Kampf um Arbeit und Brot".Am 1. Mai 1933 verkündete sie das Reichsautobahnprogramm, und an vielenStellen in Deutschland wurden Bauprojekte begonnen:

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Brennpunkteder deutschen Arbeitsschlacht.Die wichtigsten Stellen,an denen das Arbeitsprogrammin Angriff genommen wird.

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Mit der Einführung eines halbjährigen "Reichsarbeitsdienstes" wurden alle"wehrfähigen" jungen Männer an diesen Objekten zur Arbeit eingesetzt,anfangs freiwillig, später als "Reichsarbeitsdienstpflicht". Dort wurden siegleichzeitig halbmilitärisch ausgebildet. Sie arbeiteten faktisch ohne Lohn. IhrSold betrug 25 Reichspfennige pro Tag.Zur gleichen Zeit betrieb die NS-Regierung - anfangs geheim - eine enormeAufrüstung, gekoppelt mit der Forderung, das "Schanddiktat" des VersaillerFriedensvertrages zu annullieren. Die Aufrüstung brachte viele neueArbeitsplätze in der Rüstungsindustrie und beim Bau militärischer Anlagen.Die Autobahnen gehörten ebenso zur Aufrüstung wie das "Volkswagenwerk".Als die ersten Volkswagen produziert wurden, rollten sie auf HitlersAutobahnen für seine Annexionen.Mit Hilfe dieser Maßnahmen konnte Hitler bereits 1936 eine annäherndeVollbeschäftigung verkünden.

3. Am 29. September 1933 wurde das "Reichserbhofgesetz" verkündet: "Land-und forstwirtschaftlicher Besitz in der Größe von mindestens einerAckernahrung und von höchstens 125 Hektar ist ein Erbhof, wenn er einerbauernfähigen Person gehört".

4. Weiterhin förderte der Staat den Eigenheimbau. Das Angebot an Konsum-gütern wurde auch für Ärmere erschwinglich. Das Urlauberprogramm "Kraftdurch Freude" sollte den Menschen ein Gefühl sozialer Sicherheit vermitteln.

5. Die Deutsche Arbeitsfront lockte mit Bildungsangeboten und Sport und lenkteauch die Freizeit in die Zielrichtung der NSDAP. Mit einem weitgehendsorgenfreien Leben und einer auf das Heute gerichteten Sicht wurde die Masseder Bevölkerung zufriedengestellt.

6. Ungezügelt propagierte die NSDAP ihre pseudowissenschaftlich verbrämteRassentheorie. Sie redete den Menschen ein, die blauäugige, blonde"Nordische Rasse" verkörpere das Idealbild der Deutschen. Deshalb sei dasdeutsche Volk "von der Vorsehung ausersehen", über alle anderen Völker zuherrschen. Minderwertige Rassen, zu allererst die Juden, seien "nichtlebenswert".

7. Alle deutschen Rundfunkstationen wurden zum Reichsrundfunk vereint.Propagandaminister Goebbels baute den Reichsrundfunk neben Presse undFilm zu einem entscheidenden Instrument der NS-Propaganda aus. DiesemZiel diente auch die millionenfache Produktion des "Volksempfängers", einesKleinradios, das wegen seines niedrigen Preises zwischen 30 und 70Reichsmark in den meisten deutschen Haushalten angeschafft wurde.

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Antifaschisten gaben diesem Radio die drastische aber treffende Bezeichnung"Goebbelsschnauze".

8. Parallel zu der gigantischen militärischen Aufrüstung schürte die NSDAP mitallen Mitteln unter der Bevölkerung nationalistische und chauvinistischeStimmungen, verherrlichte den Krieg und erhob unter der Losung vom"Großdeutschen Reich" Gebietsansprüche an die Nachbarstaaten.Diese systematische Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges wurde mitheuchlerischen Friedensbeteuerungen getarnt. So gab die NSDAP ihremletzten Parteitag im August 1939, einen Monat vor dem Überfall auf Polen, mitdem sie den Zweiten Weltkrieg begann, den Namen "Parteitag des Friedens.”

9. Die NSDAP unternahm alles, um die Erinnerung an die Weimarer Republik zudiffamieren und aus dem Bewußtsein der Menschen zu verdrängen. Sowurden in Radeberg und allen umliegenden Gemeinden Straßen und Plätzenach NS-Größen umbenannt.In Radeberg gab es einen besonderen Höhepunkt dieser Kampagne: Von 1926bis 1928 hatten sich die Arbeitersportler des Turn- und Sportvereins"Vorwärts" trotz Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit aus eigenenMitteln und in freiwilliger Arbeit ihr Stadion erbaut. Sie gaben ihm den Namen"Vorwärts-Stadion". Unmittelbar nach der Machtergreifung gab die NSDAPdiesem Stadion den Namen des SA-"Helden" Horst Wessel, der angeblich einOpfer der Kommunisten war. In Wahrheit wurde er bei persönlichenStreitigkeiten erschossen, vom NS-Propagandaminister Goebbels jedoch zueinem deutschen Nationalhelden hochstilisiert. Das Horst-Wessel-Lied wurdeneben dem Deutschlandlied die Hymne der NSDAP.

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Gedenktafelim “Vorwärtsstadion”in Radeberg,Schillerstraße

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Dr. med. Albert Dietze

Auch dem ASB wurde seine volksverbundene Tätigkeit untersagt

Zu den verbotenen Organisationen gehörte auch der Arbeiter-Samariter-Bund,der in Radeberg von 1921 bis 1933 eine mitgliederstarke Ortsgruppe besaß.Seit ihrer Gründung gehörte ihr als betreuender und beratender Arzt Dr. med.Albert Dietze an. “Er war eine Freund der Alten und der Armen”, socharakterisierte der langjährige Ortschronist Rudolf Thomas den “VerdientenArzt des Volkes” und Ehrenbürger der Stadt Radeberg.Dr. Dietze verstarb im Alter von 94 Jahren. Ein Teil der Pirnaer Straße erhieltseinen Namen.

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Mehr als 120 Arbeiter, Sportler, Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen undeinzelne Bauern beteiligten sich an den Arbeitseinsätzen. Viele fleißige Hände, dietagsüber für den Kapitalisten schaffen mußten, hatten nach Feierabend und anWochenenden keine Ruhe, denn ihre Turnhalle sollte recht schnell fertig werden.Die Bausumme entsprach damals ohne Arbeitsleistungen etwa 80.000 Mark. DieArbeiter verfügten aber weder über Bauland noch über finanzielle Mittel. Deshalbhatte jedes Mitglied einen Pflichtanteil zu bringen, so kamen vorerst 13.000 Markzusammen. Diese Summe war die Grundlage für den Baubeginn.

In etwa zwei Jahren war das Bauwerk fertiggestellt. Im November 1928 wurdebereits der erste Kirmestanz durchgeführt. Das war nicht nur für die Erbauersondern für alle Bürger des Ortes und der umliegenden Gemeinden

.Am 1./2. Juni 1929 erfolgte die Einweihung der Turnhalle. Diese war mit einergroßen Demonstration verbunden und verdeutlichte die Einheit der Arbeiter-klasse. Sie bewies ihre Stärke und Leistungskraft.

ein großerkultureller Höhepunkt

VOLKSHEIM LOMNITZ -Von den Werktätigen erbaut und finanziert;von den Nazis geschändet

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Bauarbeiten 1927

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1927 hatte der Gastwirt Pietzsch die Arbeitersportler, die Reigenfahrer undArbeitersänger kurzerhand vor die Tür gesetzt. Bereits 1922 mußten sie aufgrundder Machenschaften des Herrn Pietzsch ihre Übungsstunden im NachbarortKleindittmannsdorf durchführen.

Das alles war nun mit der Errichtung des Volksheimes vorbei. Endlich hatten sieein eigenes Heim mit Gaststätte, die sie selbst verwalteten. Mit dem Machtantrittdes Faschismus überzogen auch finstere Wolken das von den Arbeiterngeschaffene Heim. Es wurde von Faschisten besetzt und für viele andere Zwecke,die gegen die Interessen der Arbeiterklasse gerichtet waren, genutzt.In Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg diente der Saal als Getreidelager. Inden letzten Kriegswochen wurden dort Wehrwölfe ausgebildet, und SS-Banditenzogen ein, die letztendlich das Volksheim sprengen wollten. Mutige und klassen-bewußte Bürger des Ortes verhinderten dieses Verbrechen.

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Volksheimweihe 1929

Volksheim 1999

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Terror gegen alle Andersdenkenden

Parallel zur demagogischen Gewinnung der Menschen für ihre Ziele terrorisiertendie NS-Machthaber alle Gegner immer brutaler nach ihrem Grundsatz: "Wer nichtfür uns ist, ist gegen uns, und wer gegen uns ist, wird vernichtet!"Die folgenden Angaben über Verfolgungen, Verhaftungen und Verurteilungen vonAntifaschisten sind unvollständig, weil sie nur die Ergebnisse unserer begrenztenForschungen enthalten. Dennoch geben sie einen weiteren Einblick in dasAusmaß des NS-Terrors in Radeberg und in den umliegenden Gemeinden.

• Im Radeberger Rathaus mißhandelten SA-Leute viele Hitlergegner. DerRadeberger Stadtverordnete der SPD, Fritz Weitzmann, schrieb in seinenErinnerungen: "Wir wissen, daß unsere Genossen so mißhandelt wurden, daßdie Wände des damaligen Bürgermeisterzimmers übertüncht werden mußten,weil sich die Blutspuren nicht abwaschen ließen.”

• Der aus dem Amt getriebene Radeberger Bürgermeister Otto Uhlig (SPD)erhielt Stadtverbot. Die Gestapo führte eine rote Karteikarte über ihn. EineRente wurde ihm verweigert. Der Radeberger NS-Polizeikommissar Stallingschrieb am 5. Juli 1933 an den Nazigauleiter von Sachsen, MartinMutschmann, "...daß man keinen Pfennig von den Steuergroschen desdeutschen Volkes für diesen Oberbonzen vergeuden darf. Er hat sich alsSchmarotzer am deutschen Volksvermögen erwiesen.”

• Den ebenfalls aus dem Amt vertriebenen Wohlfahrtsinspektor undStadtverordneten der SPD, Paul Brückner, verhaftete die Gestapo am 12. März1933. Seine Frau, seine Tochter und sein Sohn wurden ausgewiesen. Siefanden in Schönborn Zuflucht.Die Radeberger Zeitung berichtete am 13.3.1933: "Festgenommen wurden inder Nacht zum Sonntag und nach Dresden in Schutzhaft eingeliefert dersozialdemokratische Stadtrat Johannes Brückner, sein Bruder, der bisherigeWohlfahrtsinspektor Paul Brückner, der Führer des Reichsbanners,Konsumvereinsverwalter Schaar, die Funktionäre des AbwehrkartellsPankratz und Tamme und der sozialdemokratische Stadtverordnete undBevollmächtigte des Metallarbeiterverbandes Heinze. Außerdem wurde inDresden der Kommunistenführer von Radeberg, Wächtler, erkannt undfestgenommen.”In der Untersuchungshaftanstalt "Mathilde" in Dresden verhörtenGestapobeamte Paul Brückner. Es gelang ihnen nicht, ein Geständnis zuerpressen. Am 8. Juni 1933 wurde er trotzdem in das SchutzhaftlagerHohnstein eingeliefert. Das Ansinnen, eine Loyalitätserklärung gegenüberder NSDAP abzugeben, lehnte er ab.

• So wie in Radeberg wurden auch die Bürgermeister der umliegendenGemeinden, die nicht der NSDAP angehörten, aus ihren Ämtern gejagt. DieBevölkerung wurde aufgerufen, Andersdenkende zu denunzieren.

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• Bereits am 28.2.1933 nahm die Gestapo die Kommunisten Heinz und RudolfBöhm aus Ottendorf-Okrilla fest und inhaftierte sie nach einerUntersuchungshaft in dem Schutzhaftlager Hohnstein.

• Emil Fahrnländer aus Ullersdorf wurde am gleichen Tag verhaftet und wegenVorbereitung zum Hochverrat zu 10 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Kurznach seiner Entlassung wurde er erneut ein Jahr in Untersuchungshaftfestgehalten, mußte aber wegen Mangel an Beweisen freigesprochen werden.Im Juni 1941 wurde er erneut wegen staatsfeindlicher Äußerungen imZusammenhang mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunionverhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Im März 1933 folgt eine Verhaftungswelle:• Der Arbeiter Kurt Alschner aus Radeberg wird wegen Zugehörigkeit zur KPD

im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. Am 20.9.1935 wird er mit elfweiteren Antifaschisten in das KZ Sachsenburg eingeliefert.

• Der Handformer Alfred Franke, Radeberg, wird erst im SchutzhaftlagerKönigstein-Halbestadt und dann fünfzehn Monate im SchutzhaftlagerHohnstein inhaftiert.

• Der Schriftsetzer Kurt Hantzsche aus Radeberg wird wegen Vorbereitung zumHochverrat festgenommen, muß aber aus Mangel an Beweisen aus der Haftentlassen werden. Nach seiner erneuten Verhaftung am 18.9.1934 wird er fürlängere Zeit in Untersuchungshaft gehalten.

• Die Geheime Staatspolizei verhaftet den Maler Walter Förster aus Radeberg,Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend. Wegen Fortführung der Tätigkeitfür die KPD wird er drei Jahre und sechs Monate im Zuchthaus Waldheimgefangengehalten. Danach kommt er als "politisch unzuverlässig" in das KZSachsenhausen. Erst die vorrückenden sowjetischen Truppen befreien ihn1945.

• Nicht nur in Radeberg waren Hausdurchsuchungen, Verhaftungen undMißhandlungen an der Tagesordnung. Besonders brutal gingen SA-Schlägerin Orten vor, in denen viele Einwohner nicht für Hitler gestimmt hatten.Am 10. März 1933 umstellen SA-Leute Ottendorf-Okrilla und dringen vonallen Seiten in den Ort. Bei antifaschistisch eingestellten Bürgern führen sie"Haussuchungen" durch. Viele werden festgenommen und zum Gasthof"Schwarzes Roß" gebracht. Hier mißhandelt sie die SA mit Gummiknüppeln,Gewehrkolben und Reitpeitschen. Fast 70 Verletzte sind die Folge. Besondersbrutal mißhandeln sie den körperbehinderten Kommunisten JosefHannemann. SA-Leute fassen ihn an Armen und Beinen, wippen seinenKörper auf und nieder, werfen ihn in die Luft und lassen ihn dann auf die Erdefallen. Diese "Volksbelustigung" wiederholen sie solange, bis der Mißhandelteliegenbleibt. Josef Hannemann stirbt später im Krankenhaus an den Folgen.

• Wegen Widerstandes gegen die NS-Diktatur wird Johannes Kutzera ausRadeberg von Januar bis Mitte 1933 fünfmal verhaftet. Er wird in das

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Schutzhaftlager Hohnstein gebracht. Wegen Vorbereitung zum Hochverratmuß er für ein Jahr in die Gefängnisse in Leipzig und Zwickau. 1935 wird er zuzehn Jahren Zuchthaus verurteilt, die er im Zuchthaus Waldheim, später imKZ Mauthausen verbüßen muß. Vor dem Schlimmsten bewahrt ihn derVormarsch der US-Armee.

• Der Arbeiter Josef Pankratz aus Radeberg, Mitglied der SPD und Leiter desAbwehrkartells, wird verhaftet, im Polizeipräsidium Dresden vernommen unddann im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. Aus Mangel an Beweisenkommt es zu keiner Gerichtsverhandlung.

• In Arnsdorf wird der Melker Wolf vom Staatsgut der Landesanstalt wegenkommunistischer Umtriebe festgenommen.

• Der Arbeitersportler Martin Wagner, Leppersdorf, wird wegen der Verbreitungverbotener Zeitschriften verhaftet.

• Walter Thiem, Ullersdorf, wird wegen des Verdachtes, illegale Zeitschriftenverteilt zu haben, im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert.

• Else Sommer aus Hermsdorf wird am 31.3.1933 verhaftet und im Gefängnis"Münchner Platz" in Dresden über die Aktivitäten der Hitlergegner inOttendorf/Okrilla verhört. Sie bleibt standhaft und verrät nichts. Nochzweimal, im Oktober 1933 und im November 1934, verhaftet sie die Gestapo,wieder ergebnislos. Im März 1935 wird sie im Prozeß gegen "Wagner undGenossen" zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Am 21. Mai1940 schlägt die Gestapo endgültig zu. Else Sommer wird bis auf weiteres "zurUmschulung" im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück eingesperrt. Sieerhält die Häftlingsnummer 3944. Nur Dank der Solidarität ihrer Leidens-gefährtinnen, unter ihnen die Dresdner Jüdin und Kommunistin Rosa Menzer,die vergast wurde, überlebt Else Sommer.

• Am 6.5.1933 wird der Wallrodaer Bruno Mai verhaftet, und am 5.4.1934verurteilt ihn der "Volksgerichtshof" zu einem Jahr und sechs MonatenZuchthaus.

• Die Gestapo verhaftet am 25.5.1933 Otto Hegewald und inhaftiert ihn zweiJahre im KZ Sachsenburg.

• Der Glasarbeiter Kurt Lohse aus Radeberg wird im Schutzhaftlager Hohnsteinbis zu dessen Auflösung inhaftiert.

• Das Sondergericht für das Land Sachsen verurteilt Hermann Philipp und HansKoch aus Arnsdorf wegen angeblichen Sprengstoffverbrechens und Nicht-ablieferung von Waffen zu zwei Jahren und zehn Monaten Zuchthaus bzw.zehn Monaten Gefängnis.

• Die Gestapo verhaftet in Ottendorf-Okrilla den jugendlichen MetallarbeiterAdolf Neumann und andere Jugendliche. Das Sondergericht verurteilt sie zuhohen Freiheitsstrafen.

• Der Kellner Fritz Liebscher aus Ottendorf-Okrilla wird am 8.9.1933 verhaftet.Der "Volksgerichtshof" verurteilt ihn im Verfahren Nr. 15 J 490/33 wegenseiner Mitgliedschaft in der KPD, Vorbereitung zum Hochverrat, angeblichem

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Sprengstoffverbrechens und verbotenem Waffenbesitz zu drei JahrenZuchthaus. Nach Ablauf der Strafzeit bringt man ihn bis 15.6.1937 in das KZSachsenburg, dann bis 16.8.1937 in das KZ Sachsenhausen und schließlichbis zum 18.4.1939 in das KZ Buchenwald. Obwohl er "wehrunwürdig" ist,wird er 1942 zum Strafbataillon 999 eingezogen.

• Der Kommunist Alfred Leuthold aus Ottendorf-Okrilla wird verhaftet. Er wirdverdächtigt, den organisatorischen Zusammenhalt der Roten Wehr auf-rechterhalten und Waffen und Munition für diese Organisation aufbewahrt zuhaben. Das Gericht verurteilt ihn zu einem Jahr und zwei Monaten Zuchthaus.Danach wird er in ein Schutzhaftlager gebracht.

• Bei einer Razzia in Bischofswerda findet man im Portemonnaie einesFestgenommenen die Adresse des kommunistischen Stadtverordneten HugoJünger aus Radeberg. Daraufhin wird er verhaftet. Trotz Gegenüberstellungmit dem bei der Razzia Festgenommenen können ihm illegale Tätigkeit,Vertrieb von kommunistischen Zeitschriften und Zusammenarbeit mitanderen KPD-Mitgliedern nicht nachgewiesen werden. Trotzdem wird er bis1.5.1934 im Schutzhaftlager Hohnstein und danach bis 23.6.1936 im KZSachsenburg inhaftiert.

• Nach den Reichstagswahlen am 5. März 1933 besetzte die SA die JugendburgHohnstein und errichtete darin ein “Schutzhaftlager”, um politische Gegneraus dem ostsächsischen Raum festzusetzen und durch militärischen Drill,schwere körperliche Arbeit und anderen Drangsalierungen “umerziehen”.Mindestens 15 Antifaschisten aus dem Radeberger Gebiet wurden dort zeit-weise inhaftiert.

Häftlinge auf dem Wegzur Zwangsarbeit in Hohnstein

Fotosaus demMuseum

Hohnstein

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• In Schönborn und Umgebung findet eine groß angelegte Verhaftungsaktionstatt. Unter den verhafteten Antifaschisten befinden sich die SPD-MitgliederAlfred Görner, Arno Liesner, Erich Partsch, Alfred Steinert, die Mitglieder derKPD Fritz Gärtner, Max Görner, Rudi Görner, Rudolf Steinert und dieParteilosen Willi Heiche aus Seifersdorf und Richard Angermann aus Wachau.Alle werden in der Gaststätte "Anker" festgehalten, in das PolizeipräsidiumDresden eingeliefert und teils in der Untersuchungshaftanstalt "Mathilde",teils im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert.

• In Radeberg wird der Metallarbeiter Willy Schaarschmidt verhaftet, weil erMitglied der Roten Hilfe und des Abwehrkartells ist. Aus Mangel an Beweisenkommt es zu keiner Gerichtsverhandlung.

• Der 1. September 1933 ist ein schwarzer Tag für Wachau. Früh gegen 4.30 Uhrrücken Überfallwagen und Motorräder mit SA und Polizei in das Dorf ein.Häuser werden umstellt und durchsucht, Gärten durchwühlt und Hitlergegnerzusammengetrieben. Wer nicht zu Hause ist, wird am Arbeitsplatz verhaftet.Richard Angermann, ein Betroffener, berichtet:"Von zwei Polizisten wurde ich in Klotzsche auf der Baustelle verhaftet,nachdem sie bei mir zu Hause einen Kalender mit einem Spruch gegen diebraune Pest, mein blaues Arbeiterkartell-Hemd und den Schulterriemengefunden hatten. Ich wurde auf einen LKW gestoßen und von vier SA-Männern in die Mitte genommen. Schon während der Fahrt wurde ich vonihnen "verhört". Nachdem ich zugegeben hatte, diesen Spruch geschrieben zuhaben, versicherten mir meine Peiniger, daß sie mich aufhängen würden.Meiner Frau hatten sie ohnehin schon gesagt, daß sie mich nicht wiedersehenwürde. Hinter Langebrück bog der Wagen in eine Schneise ein. Sie hattenschon einen Baum ausgewählt, als sie nach einen Strick suchten. Nur demUmstand, daß sie in ihrer Kiste keinen fanden, habe ich es zu verdanken, daßsie mich nach Wachau brachten. Gegen 10 Uhr kamen wir im "Anker" an.Zuerst bekam ich einen Schlag, daß ich bewußtlos zusammenbrach. MitKübeln kalten Wassers brachten sie mich wieder zur Besinnung, um auf dieseWeise das "Verhör" fortzusetzen. Übel zugerichtet wurde ich auf die Kegelbahngetrieben, wo ich bis ans Ende laufen und meinen Namen und anderes rufenmußte. Nach diesen Quälereien kam ich in einen anderen Raum, wo ich wiedermit Schlägen empfangen wurde …Oswin Görner hatten die SA-Leute ein rotes Tuch, das von einer Streich-holzschachtel zusammengehalten wurde, um den Hals gelegt und einenHolzsäbel in die Hand gedrückt. Er mußte uns kommandieren. Das ging bis20 Uhr, dann wurden die meisten nach Hause gelassen. Erich Kriedel, RichardWittwer und ich wurden mit auf das Polizeipräsidium genommen. WährendRichard Wittwer nach einer Woche wieder entlassen wurde, mußte ich einVierteljahr dort bleiben und Erich Kriedel noch länger.”

• Am 10.1.1934 wird in Grünberg Otto Lehmann verhaftet. Das Gerichtverurteilt ihn wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einem Jahr und acht

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Monaten Zuchthaus. Nach Ausbruch des Krieges wird er zum Strafbataillon999 eingezogen.

• Am gleichen Tag verhaftet die Gestapo den Kommunisten Alfred Seifert undinhaftiert ihn im Schutzhaftlager Hohnstein. Bei der Auflösung des Lagerswird er in dem Dresdner Untersuchungsgefängnis "Mathilde" inhaftiert.

• Wegen des Verdachtes der illegalen Tätigkeit für die KPD wird Georg Wehner,Radeberg, in das Schutzhaftlager Hohnstein eingeliefert. Trotz vieler Verhörekann kein Beweis dafür erbracht werden. Auch nicht bei der erneutenFestnahme am 11.1.1937. Ein Gericht zu sechs JahrenZuchthaus. Im April 1945 befreien ihn die vorrückenden Truppen der US-Armee aus dem Zuchthaus Waldheim.

• Der Musiker Herbert Hache, Mitglied der KPD, wird in seiner Wohnung inFischbach verhaftet. Im Rathaus Radeberg vernimmt und mißhandelt ihn der"NS-Kriminalrat" Stalling. Herbert Hache wird im Schutzhaftlager Hohnsteininhaftiert.

• Das Sondergericht für das Land Sachsen verurteilt Mitglieder der SPD am6.3.1934 wegen des Versuches, ihre Parteiorganisation aufrecht zu erhalten:Johannes Brückner, Vorsitzender der SPD in Radeberg und Leiter der Ab-wehrorganisation "Eiserne Front", zu einem Jahr Zuchthaus,Karl Schaar, Vorsitzender des Reichsbanners in Radeberg, zu einem Jahr undsechs Monaten Gefängnis,

verurteilt ihn 1942

Im Schutzhaftlager Hohnstein - Bildmitte dritter von links: Georg Wehner

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Georg Völkel aus Schönborn zu einem Jahr Gefängnis und den JugendlichenHarry Brückner, Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend in Radeberg,wegen Verteilung des "Kleinen Vorwärts" zu acht Monaten Gefängnis.

• Der Hilfsarbeiter Emil Förster und der Arbeiter Stephan Schulz, beide ausRadeberg, werden am 7.3.1934 verhaftet und in das SchutzhaftlagerHohnstein eingeliefert. Wegen ergebnisloser Ermittlungen müssen siefreigelassen werden.

• Das Sondergericht des Landes Sachsen verurteilt Arno Liebscher ausOttendorf-Okrilla nach § 7 des Sprengstoffgesetzes zu einem Jahr und sechsMonaten Zuchthaus.

• In Radeberg wird der Glasmacher Max Hengst verhaftet und in das KZSachsenburg gebracht. Trotz ergebnisloser Ermittlungen kommt es zurAnklage.

• Die 12. Große Strafkammer verurteilt den Bürger Georg Kutzner zu neunMonaten Gefängnis. Ihm wird vorgeworfen, in Radeberg eine Wider-standsgruppe unterstützt und kommunistische Beitragsmarken undZeitungen gekauft zu haben.

• Der "Volksgerichtshof" verurteilt am 6.9.1934 Willy Goeder und 15 Kommu-nisten wegen Sprengstoffvergehens zu folgenden hohen Zuchthausstrafen:

Anstreicher Willy Goeder, Radeberg 15 JahreGlasmacher Franz Zelinka, Radeberg 2 JahreGlasarbeiter Paul Lehmann, Radeberg 2 JahreGlasmacher Bruno Hampel, Radeberg 2½ JahreKristallschleifer Walter Herrmann, Radeberg 2 JahreBauarbeiter Willi Noack, Ottendorf-Okrilla 2½ JahreSteinarbeiter Josef Einhellinger, Königsbrück 3½ JahreArbeiter Hans Wächtler, Radeberg 2½ JahreGlasmacher Friedrich Seifert, Radeberg 3 JahreBauarbeiter Oskar Costrau, Radeberg 3 JahreFärber Carl Vetters, Radeberg 2½ JahreMaschinenformer Walter Opitz, Ullersdorf 2 JahreOfenformer Paul Preller, Königsbrück 5 JahreArbeiter Bruno Mai, Wallroda 1½ JahreGlasarbeiter Wilhelm Magiera, Ottendorf-O. 2 Jahre

Der Glasarbeiter Friedrich Seifert stirbt am 18.3.1935 im Zusam-menhang mit den Verhören und den Haftbedingungen im Zucht-haus.

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Auszug aus dem Urteil

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• Das Oberlandesgericht verurteilt den Kommunisten Rudolf Steinert ausSchönborn zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus.

• Das Oberlandesgericht verurteilt am 9.11.1934 wegen Vorbereitung zumHochverrat, weil sie in Radeberg und Umgebung Widerstandsgruppenaufrecht erhalten und antifaschistische Druckschriften verteilt haben:

Arbeiter Josef Dziacka, GroßerkmannsdorfGlasmacherwitwe Helene Edelmann, RadebergArbeiter Edmund Gräubig, RadebergArbeiter Ewald Henker, GroßerkmannsdorfArbeiter Richard Henker, GroßerkmannsdorfHändler Erich Hochmuth, RadebergGlasschleifer Franz Kleinert, RadebergArbeiter Georg Kostirka, RadebergGlasarbeiter Alfred Lehmann, RadebergSchlosser Oskar Matulla, RadebergGlasbieger Erich Menschner, RadebergMaschinenschlosser Erich Meyer, GrünbergFormer Walter Pietsch, RadebergMetallschleifer Erich Schneider, RadebergWerkzeugmacher Walter Simmchen, WallrodaSchneidergehilfe Erwin Stein, LomnitzArbeiter Erich Steinert, Radeberg

Die Strafen liegen zwischen eineinhalb und drei Jahren Zuchthaus.

• Das Sondergericht für das Land Sachsen verurteilt nach § 7 des Spreng-stoffgesetzes aus Ottendorf-Okrilla Willi Oswald zu einem Jahr und sechsMonaten und Kurt Grafe zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus.

• Im Januar 1937 fällt im Kampf gegen das Franco-Regime der KommunistRudolf Hable aus Radeburg als Angehöriger der Internationalen Brigaden beiHueska in Spanien.

• Am 11.1.1937 verurteilt das Oberlandesgericht den Radeberger SchlosserAlbert Zumpe wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmenszu zwei Jahren und drei Monaten Zuchthaus. Nach Ablauf der Strafe wirder am 19.4.1939 auf Anordnung der Gestapo weiter im PolizeigefängnisDresden festgehalten. Schließlich wird er in das Strafbataillon 999 einge-zogen. Im Krieg wird er verwundet, er überlebt.

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Entlassungsschein von Albert Zumpe

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Bei ihren Machtansprüchen machte die NSDAP auch vor der Kirche nicht halt.Schon vor 1933 wurden die "Deutschen Christen" gegründet. In dieser NS-Vereinigung waren Angehörige verschiedener Konfessionen vertreten. Wichtigwar nur, daß sie dem Nationalsozialismus treu ergeben waren.Aus einer Chronik der Gemeinde Ottendorf-Okrilla ist zu erfahren, daß sich am 8.November 1933 eine Ortsgruppe der "Deutschen Christen" gebildet hatte. Weiterheißt es: "Nach Anordnung des im Jahre 1933 neu gebildeten Landes-kirchenamtes, dessen Mitglieder der nationalsozialistischen Partei angehörten,hatte die Mehrheit im Kirchenvorstand aus Nationalsozialisten zu bestehen."Für den 23. Juli 1933 verlangte Hitler Kirchenwahlen mit dem Ziel, dadurch denEinfluß der "Deutschen Christen" zu verstärken.Bekenntnistreue Pfarrer waren mit dieser Entwicklung nicht einverstanden undgründeten im November 1933 einen Notbund, der im Dezember 1933 die"Deutschen Christen" eindeutig ablehnte. Daraufhin kam es zu Verhaftungen vonbekennenden Pfarrern. Viele von ihnen gingen den Weg in Gefängnisse,Zuchthäuser oder Konzentrationslager..Am 8. März 1936 wurde in Leipzig der "Lutherische Rat" gegründet. Er hatte das

Ziel, mit dem Zusammenschluß aller bekennenden Kirchen eine Abwehrfrontgegen die "Deutschen Christen" zu bilden.

• Über das Schicksal eines bekennenden Pfarrers - des GroßerkmannsdorferPastors Kläss - berichtet der Ortschronist von Kleinwolmsdorf, Herr OttoWittich, u.a.: Im Januar 1938 erhielt der jung verheiratete Pastor ein Schreibendes Landeskirchenamtes der 'Deutschen Christen':

HerrnPastor Rudolf KlässGroßerkmannsdorf über Radeberg 27.1.1938

Nachdem Sie in dem von Ihnen unterzeichneten Schreiben vom 17. Januar1938 ausdrücklich erklärt haben, die von Herrn Reichs- und PreußischenMinister für kirchliche Angelegenheiten berufene und durch die 1. Verordnungzur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Evangelischen Kirche vom10. Dezember 1937 (Kirchl. GVBI. S. 151) bestätigte Kirchenleitung nichtanzuerkennen und Sie demzufolge auch der Aufforderung, zur IhrerVernehmung im Landeskirchenamt zu erscheinen, nicht Folge geleistet haben,sehe ich mich gezwungen, die Ihnen bereits mit Schreiben vom 12. Januar1938 angekündigte Maßnahme durchzuführen und Sie mit sofortigerWirkung aus dem landeskirchlichen Vorbereitungsdienst abzuberufen.Auf Ihre weitere Tätigkeit im Bereich der Evangelisch-lutherischenLandeskirche Sachsen wird solange verzichtet, als Sie die von Ihneneingenommene Haltung nicht aufgeben und die Weisungen der Kirchen-leitung befolgen.

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Die Räumung der Ihnen zur Verfügung gestellten Amtswohnung ist zubeschleunigen, auf einer sofortigen Räumung soll solange nicht bestandenwerden, als dadurch die Erledigung der Amtsgeschäfte durch die neueabzuordnende Hilfskraft nicht erschwert wird.

i.V. Liebschausgefertigt: Dresden, am 27. Januar 1938, gez. Thomann, K-Inspektor

Warum hatte sich der junge Pastor den Anordnungen der Kirchenleitungwidersetzt? Aus ihrer Erinnerung gab seine Frau dem Chronisten Auskunft:

Die 'Deutschen Christen', kurz DC genannt, brachten schon Mitte der 30erJahre eine nach den Maßstäben der NS-Ideologie "gereinigte Bibel" heraus. DasAlte Testament war als "Judenbuch" weggelassen, im Neuen TestamentChristus als arischer Heroe dargestellt. Superintendent Klotsche, als"Revolverklotsche" bekannt, kam in SA-Uniform und mit Pistole insLandeskirchenamt. Der DC-Landesbischof Friedrich Cohn hatte wahrlichkeinen guten Ruf.Anfang 1935 war es in der Landeskirche zu Verhaftungen bekenntnistreuerPfarrer gekommen, weil sie die Wahrheit gepredigt, sich für bedrängteMenschen eingesetzt hatten und sich als Seelsorger vieler Verhafteter undderen Angehörigen annahmen.Um äußerer Vorteile willen wollten Pfarrer Kläss und seine Frau ihren Glaubennicht verleugnen. Eine Laienabordnung unter Führung Hugo Schäfers wurdeim Landeskirchenamt vorstellig, um die Entlassung von Pfarrer Klässrückgängig zu machen. Doch sie erreichten nichts, obwohl die ganzeKirchgemeinde, das ganze Dorf, bis auf fünf fanatische NSDAP-Leute, hinterdem Pfarrer standen.Die Arbeit ging dennoch weiter als ob nichts geschehen sei: Unterricht,Besuche, Bibelstunden, Gottesdienst, Junge Gemeinde, Kasualien usw. BisHimmelfahrt ging das so, dann verschloß man ihnen die Kirchentür. Die Maul-und Klauenseuche solle nicht verbreitet werden, hieß es, aber alle anderenVeranstaltungen, wie Kino, Versammlungen oder Schule liefen ungehindertweiter.Wovon lebte Familie Kläss ohne Gehalt?Besucher der Bibelstunden oder des Frauendienstes drückten ihnen beimVerabschieden Geld in die Hand. Die Nudelfabrik schickte eine Tüte mit 10 Pfd.Nudeln, Bauern brachten Brote, Eier, Butter, Wurst, Speck oder auch vomSchlachtfest fertiges Mittagessen. Arme Leute brachten ein Glas selbst-gemachte Marmelade und ein 50-Pfennig-Stück darauf.Nachdem sich ein DC-Pfarrer gefunden hatte, mußte Familie Kläss dasPfarrhaus räumen. Also ging man mit dem acht Monate alten Kind ins "Exil",in das Auszugshaus des Bauern Arthur König in Kleinwolmsdorf Nr. 7. DieserAuszug wurde zu einem einzigen Bekenntnis. Jetzt, in der Heuernte, stellten

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die Großerkmannsdorfer Bauern Wagen und Gespanne, und Frauen vomFrauendienst halfen beim Packen und Verladen.Als der DC-Pfarrer seine Tätigkeit aufgenommen hatte und Pfarrer Kläss dasGotteshaus nicht mehr betreten durfte, beschränkte er sich zwangsläufig aufseine Wohnung. Hier war jeden Abend und auch sonntag nachmittags dieStube voll. Dorthin geschickte Spitzel hatten viel aufzuschreiben.Nun übertrug die Bekennende Kirche Pfarrer Kläss die Aufgabe, katechetischeKurse für Laien zu halten, anfangs in Dresden, dann auch in Radeberg.Überall mußte er einspringen, denn er hatte ein Motorrad.Mit Ausbruch des Krieges häuften sich die Vertretungen. Oft predigte er inGroßnaundorf und Lomnitz. Und hier, in fremden Orten, erkannte er oftBesucher aus seinen alten Gemeinden. Obwohl sie sonst nach Radeberg zumGottesdienst gingen, scheuten sie auch den weiteren Weg nicht.Zum Erntedankfest 1939 predigte Pfarrer Kläss in Radeberg. Auch amEwigkeitssonntag sollte er wieder hier predigen. Diese Niederlage wollten sichdie ‘Deutschen Christen’ nicht noch einmal einhandeln, und so wurde PastorKläss am Freitag zuvor zur Wehrmacht einberufen. Während des Rückzugesder Wehrmacht fiel Pastor Kläss am 7.2.1945 in Kroatien.

• Der "Volksgerichtshof" verurteilt am 17.11.1938 weitere meist RadebergerAntifaschisten:

Johannes Kutzera 10 Jahre ZuchthausHelmut Köbbel 5 Jahre ZuchthausMartin Hommel 1½ Jahre ZuchthausKarl Otto 1 Jahr GefängnisErich Gräfe 1 Jahr Gefängnis

• Die in diesem Prozeß ebenfalls Angeklagten Hustig und Weber konnten nichtverurteilt werden. Nach Angaben der Polizei hatten sie im GefängnisSelbstmord begangen.

• Der Kommunist Samuel Steinfeld aus Weixdorf war wegen seinerMitgliedschaft in der KPD 1933 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden.1940 wird er aus gleichem Grunde und wegen seiner jüdischen Abstammungerneut verhaftet. Über die Konzentrationslager Radom, Maidanek,Tschenstochau kommt er nach Buchenwald, wo er die Befreiung erlebt.

• Das Oberlandesgericht Dresden verurteilt den Kommunisten Paul Schmidt ausWeixdorf wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren und sechsMonaten Zuchthaus. Nach Ablauf dieser Strafzeit bleibt er weiter in denKonzentrationslagern Buchenwald, Natzweiler und Dachau. Dort befreien ihnam 27.4.1945 Truppen der Alliierten.

• Albin Lehmann aus Radeberg wird noch am 28. April 1944 wegen Abhörensdeutschsprachiger Nachrichten der Sender Moskau, London und Beromünsterzu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach dem Willen seiner Richter sollte ermindestens bis 31.1.1947 inhaftiert bleiben.

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Mitteilung in der Strafsache gegen Albin Lehmann vom Landrat zu Dresden an den Bürgermeister

von Radeberg

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• Der Oberreichsanwalt beim "Volksgerichtshof" klagt 1944 den DrehergehilfenWilli Burkhardt, den Maschinenarbeiter Friedrich Müller und den Dreher PaulSchölzel, alle aus Radeberg, an. Da beim Bombenangriff auf Dresden dasGerichtsgebäude stark beschädigt worden war und bis dahin noch keineGerichtsverhandlung stattgefunden hatte, kommt es bis zu ihrer Befreiung am8. Mai 1945 zu keiner Verhandlung mehr.

Die Motive dieser und vieler Menschen, die die NS-Politik ablehnten oder sich derNS-Politik widersetzten, waren ebenso unterschiedlich, wie ihre Lebens-erfahrungen, ihre Herkunft, ihre Weltanschauung, ihr Alter und ihrePersönlichkeitsstruktur.Sie dachten und handelten antifaschistisch, weil die Nationalsozialisten dieDemokratie mit Füßen traten, einen nie dagewesenen Terror ausübten und alleAndersdenkenden mit dem Tode bedrohten, Rassenhaß, Nationalismus undChauvinismus zur Staatspolitik erhoben, Gewalt verherrlichten und ausübten,den Krieg systematisch vorbereiteten und 1939 begannen. Für alle dieseMenschen war der deutsche Faschismus mit Redlichkeit, Moral, Anstand,Menschenwürde und Menschenrecht nicht zu vereinbaren.Sie sahen im Faschismus eine tödliche Gefahr für Deutschland und seineNachbarn. Deshalb handelten sie antifaschistisch.Es war ihre Tragödie, daß sie nicht zum gemeinsamen Handeln fanden. Das giltbesonders für die Antifaschisten in politischen Parteien.So fanden trotz der immer deutlicher heraufziehenden Gefahr einer NS-Diktaturin Deutschland und trotz partieller Zusammenarbeit an der Basis die starkenantifaschistischen Kräfte in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands undin der Kommunistischen Partei Deutschlands keinen Grundkonsens zur Abwehrdieser tödlichen Gefahr. Anstatt gemeinsam antifaschistisch zu handeln,betonten sie die Unterschiede in ihren Auffassungen und schwächten sich mitgegenseitigen Vorwürfen.

Der brutale Terror gegen alle Antifaschisten war die blutige Quittung dafür. DieVölker Europas, auch das deutsche Volk, mußten mit dem Zweiten Weltkriegund dem Holocaust das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichtedurchleben.

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I. Der Faschismus und seine extremste Erscheinungsform -der deutsche Nationalsozialismus

Zur Entstehung des Faschismus

Die Geschichte des Faschismus in Europa läßt sich bis in die Anfangsjahre unseresJahrhunderts zurückverfolgen. Die ideologischen Wurzeln des Faschismus sind inder Gedankenwelt bürgerlicher Eliten aus Politik, Wirtschaft, Geistes-wissenschaften und Klerus zu finden. Sie sahen ihren Anspruch als "Herren imHause" infolge der zunehmenden sozialen Spannungen innerhalb der Gesell-schaft im Ergebnis der Emanzipation der in Gewerkschaften und Parteienorganisierten Arbeiter gefährdet, und sie schätzten ein, sie seien bei der Auf-teilung der Weltressourcen schlecht weggekommen.Zur Durchsetzung ihrer Herrschaftsansprüche nach innen und außenentwickelten sie die Vorstellung vom "starken Staat", in dem alle Kräfte derGesellschaft, unter kapitalistischen Produktions- und Distributionsverhält-nissen gebündelt, die schrittweise "Neuordnung" in Europa durchsetzen sollten.

In den entstehenden faschistischen Staaten oder faschistischen Regimen bildetesich die gleiche Doppelstrategie heraus:

• Unterdrückung und Zerschlagung oppositioneller Kräfte im Inneren• Aggressive militärische Aktivitäten gegenüber anderen Staaten

zur Aufteilung der Welt in Interessensphären bis hin zur Auslösungdes Zweiten Weltkrieges

Die Bezeichnung Faschismus wurde von Mussolini für seine 1921 in Italiengegründete Partei gewählt. Das Symbol war das im antiken Rom den Konsulenvorangetragene Amtszeichen. Es stellte ein mit einem Lederriemen umschnürtesRutenbündel dar, mit einem aus dem Bündel herausragenden Beil. Das Bündelsollte kennzeichnen, daß es im Gegensatz zu einer einzelnen Rute nichtgebrochen werden kann. Das Beil stand für Wehrhaftigkeit und Gewalt.Zu den ersten faschistischen Diktaturen in Europa zählen Italien unter Mussolini,Ungarn unter Admiral Horthy, das Francoregime in Spanien, das Salazar-Regimein Portugal und das NS-Regime in Deutschland unter Hitler.Nach ihrer Niederlage in der Novemberrevolution 1918 und dem Ende des ErstenWeltkrieges mit seinen verheerenden Auswirkungen für das deutsche Volk(Kriegstote, Hunger, Massenarbeitslosigkeit, Wirtschaftskrisen...) orientierte sichdie konservative Elite auf die Wiedererlangung ihres schwer erschüttertenpolitischen und ökonomischen Machteinflusses.Der erstmals von den Pastoren Friedrich Naumann und Paul Göhre publizierteBegriff vom "Deutschnationalen Sozialismus" kann nicht zu den direktenVorläufern des Nationalsozialismus gezählt werden. Aus den Reihen dieser

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christlichen Bewegung sind sowohl Faschisten als auch Antifaschistenhervorgegangen. Dennoch haben beide Pastoren diesen Begriff und Vorstellungendazu in das Denken eingeführt und den rechten Kräften ein grundlegendesArgumentationsmuster geliefert.Die 1920 gegründete Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP)verknüpfte alle nationalistischen, chauvinistischen, rassistischen, milita-ristischen und deutsch- und heimattümelnden Komponenten zur "National-sozialistischen Weltanschauung". Mit ihrem demagogischen 25-Punkte-Programm führte sie rechtskonservative Gruppierungen wie den "AlldeutschenVerband", die "Deutsche Soziale Partei", den "Deutschvölkischen Germanen-orden", den "Germanenorden Walvater", die österreichische "Deutsche National-sozialistische Arbeiterpartei" u.a. aus ihrer sektenmäßig beschränktenMitgliederzahl zu einer breiteren Basis.Die NSDAP übernahm Tratitionen der Arbeiterbewegung wie den Begriff"sozialistisch" im Namen ihrer Partei, die Anrede "Parteigenosse", die Übernahmevon Arbeiterliedern mit NS-Text, den 1. Mai als "Feiertag der Arbeit" u.a. Zugleichübte die NSDAP verbale Kritik am Kapitalismus durch dessen Differenzierung in"Schaffendes Kapital" (Produktionsunternehmen) und "raffendes Kapital"(Banken, Warenhäuser, insbesondere in jüdischem Besitz). Mit dieser Demagogieerreichte sie deutliche populistische Erfolge.Die Ideologie des sogenannten Nationalsozialismus ist grob zu charakterisierenals antidemokratisch, macht- und gewaltanbetend, rassistisch, antisemitisch,antiliberal, antimarxistisch, diktatorisch, kriegsverherrlichend und proim-perialistisch.

Das Potential der NSDAP wuchs auf dem Boden und mit Unterstützung der in derWeimarer Republik wiedererstarkenden konservativen Kräfte in Staat, Wirtschaftund Militär, auf dem Boden eines reaktionären, autoritären Rechts- undBildungswesens und in hochgradig militarisierten Organisationen, Vereinen undVerbänden. Bis zum Jahre 1945 galten zum Beispiel die 1873 von einempreußischen Schulrat festgelegten Grundzüge der Volksschulerziehung: "Diedisziplinarischen Anordnungen dienen dazu, den Schüler zu gewöhnen, seinenWillen einem höheren und damit dem höchsten Willen unterzuordnen." Die"Erziehung" der Schüler zu "klostermäßigem Gehorsam" durch Leibesstrafen (u.a.Stockschläge) entwickelte autoritäre Charaktere und Gewaltakzeptanz von Kindan. Diese autoritäre Erziehung und die Glorifizierung des Krieges als höchsteTugend und legitimes Mittel zur "Landnahme" fremder Territorien förderten eineständige Gewaltbereitschaft gegen je nach Bedarf projizierte Feindbilder.Die völkerrechtlich festgestellte Alleinschuld des deutschen Kaiserreiches an der

Das Wiedererstarken der konservativen Kräfte in der Weimarer Republikund die NS-Bewegung in Radeberg

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Auslösung des Ersten Weltkrieges, die damit verbundenen Grenzkorrekturen undvölkerrechtlichen Auflagen, die Errichtung einer parlarmentarisch-bürgerlichenDemokratie mit einer verfassungsgebenden Volksvertretung im Ergebnis derNovemberrevolution, mit Volksbegehren und Volksentscheid, mit allgemeinemWahlrecht sowie die Einführung des 8-Stunden-Arbeitstages u.a. waren für diemonarchistisch-militaristischen Kräfte aus Grundbesitzern, Fabrikinhabern,Verwaltungen und dem Großkapital Anlaß, mit allen Mitteln auf die Wieder-herstellung ihrer Macht und ihres Einflusses hinzuarbeiten.Wie Industrielle dabei vorgingen, zeigt eine vertrauliche Einladung des VerbandesSächsischer Industrieller zu einer Versammlung in den Räumen der DeutschenVolkspartei:

.Beeinflussung der Arbeiterschaft im antimarxistisch und nationalsozialistischem Sinne durch alleRechtsparteien

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Am 22.6.1922 ermordeten zwei junge Nationalsozialisten den konservativ-liberalen jüdischen Reichsaußenminister Walter Rathenau. Kurz danach hob diePolizei im Richter´schen Sägewerk in Radeberg ein Waffenlager nationalistischerKräfte aus.Darüber berichtete die Radeberger Zeitung am 1.7.1922:

Trotz des vom Reichspräsidenten erlassenen "Republikschutzgesetzes" vom18.7.1922, des zeitweiligen Verbotes des "Stahlhelmes", des "AlldeutschenVerbandes" und anderer republikfeindlicher Organisationen wucherten dieseweiter.

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Ermittlung einesgeheimen Waffenlagers.

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Wie auch in Radeberg konservative Kräfte der Grundbesitzer, Fabrikanten undehemalige Offiziere der NSDAP den Weg ebneten, zeigte sich bereits 1925: NachWiederzulassung des "Stahlhelmes" marschierten anläßlich einer Fahnenweihe700 feldgrau uniformierte, mit Stahlspitzenstöcken ausgerüstete "Stahlhelmer"durch das Stadtzentrum zur ev.-luth. Stadtkirche. Die Radeberger Zeitungberichtete darüber u.a.:"Ernst und wuchtig marschierten die Stahlhelmmänner unter Glockengeläut zumGotteshaus auf ihre Plätze, ein Wald von Fahnen entstand im Altarraum... DieFahne Schwarz-Weiß-Rot sei das Panier. Die Reichsmarineflagge sei gehißt ausZorn, Trotz und Wut, weil diese Flagge zuerst in den Staub gerissen wurde...'Unser Kampf gilt bis aufs Messer allem, was undeutsch und international ist',führte u.a. ein Major a. D. namens Ritter als Hauptredner aus.Dann nahm Herr Freigutbesitzer Maschke (Lotzdorf) das Wort und überreichteihm ein namhaftes Geldgeschenk mit herzlichen Glückwünschen."Auch ein Radeberger Wahlplakat der Deutschnationalen Volkspartei zeigt, wiegroß deren Übereinstimmung mit den Zielen der NSDAP war:

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WahlplakatDuesterberg (Stahlhelm)

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Etwa bis zum Jahre 1933 blieb der Einfluß der Radeberger Verbände desStahlhelmes und des Kyffhäuserbundes relativ konstant. Das zeigen die Ergeb-nisse der diese Verbände ideologisch und organisatorisch tragenden Parteien, derDeutschen Volkspartei (DVP) und der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), beiden Radeberger Kommunalwahlen. Doch der antisemitische, antimarxistischeund chauvinistische Einfluß dieser militanten Wehrverbände auf Schützen- undSportvereine, Religionsgemeinschaften und die Öffentlichkeit der Stadt war nichtzu übersehen. Er hatte das Ziel, die bürgerlich-liberale Weimarer Republikverächtlich zu machen, ihre Ordnung zu untergraben und sie schließlich zustürzen.Rückblickend auf die "Kampfzeit", wiederum anläßlich einer Fahnenweihe -diesmal war das Radeberger Schützenhaus schon mit Hakenkreuzfahnen undWimpeln dekoriert - würdigte der Oberleutnant und Bezirksführer des Stahl-helmes, der langjährige Herausgeber der Radeberger Zeitung, Willi Hordler, inseiner Ansprache den Einsatz seiner Kameraden:"Der Aufstand undeutscher Elemente im November 1918, feiger Pazifismus,wollte die Erinnerung an die großen Taten von Heer und Marine austilgen. ImStaate von Weimar hatten diese keinen Platz mehr. Die Ideen, die krankhaft oderschwächlich waren, sind vergangen. Wir geloben unverbrüchliche Treue undGefolgschaft dem Volkskanzler und Kameraden Adolf Hitler... und unserengeweihten Fahnen. So ist der Bund ein Wegbereiter gewesen für die großeEntwicklung des Vaterlandes..."Weiter war in der Zeitung zu lesen: "Das niederländische Dankgebet mit seinemstarken Appell an den Höchsten 'Herr, mach uns frei!' klang auf und fand einenerhebenden Widerhall im Saale. Dabei grüßte es eindringlich 'Mit Gott für Volkund Vaterland' von der mit Hakenkreuzbanner, Schwarz-Weiß-Roten Draperienund umkränzten Bildnissen des greisen Reichspräsidenten und des genialenFührers der deutschen Geschichte von der Bühne herab."Schon vor der "Machtergreifung" der NSDAP, aber auch danach, unterstützteneinige Repräsentanten der ev.-luth. Kirche in Radeberg und Umgebung dieNSDAP. So berichtete die Radeberger Zeitung am 9.1.1933 und am 31.1.1934(Ausschnitte der Berichte auf Seite 13):

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Montag, den 9. Januar 1933 Mittwoch, den 31. Januar 1934

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Auch in Radeberg verteidigten Antifaschisten die Weimarer Republik

Der im Zuge der Novemberrevolution in Radeberg gewählte Arbeiter- undSoldatenrat setzte den bürgerlich-konservativen und kaisertreuen Stadtrat, derbis dahin mit Hilfe des völlig undemokratischen Drei-Steuerklassen-Wahlrechtesdie Stadt regiert hatte, außer Kraft. Bei den Wahlen zur Gründung derverfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung im Jahr 1919, auf die dieAusrufung der Deutschen Republik folgte, errangen die Kandidaten der Linkendie Mehrheit im Radeberger Stadtrat und behielten sie bis zur "Machtergreifung"der NSDAP. Das entsprach der sozialen Struktur der Industriestadt Radeberg.Zentren der politisch organisierten Arbeiterschaft befanden sich im Wahlbezirk 5,"Gasthof Klengel"; im Wahlbezirk 6, Pillnitzer Straße; "Deutsches Haus", Bahn-hofstraße und in den Wahlbezirken der Beschäftigten der 1929 zusammen-gebrochenen Glasindustrie Hirsch, Bedrich & Co.Der politische Einfluß der am 10.6.1924 gegründeten Radeberger Ortsgruppe derNSDAP blieb längere Zeit gering. Er beschränkte sich auf einige DutzendMitglieder, konnte jedoch in den ländlichen Gemeinden, besonders unter derBauernschaft, aufgewogen werden. Den Bauern versprach die Hitlerpartei dieEntschuldung ihrer Höfe und die Schaffung tausender Erbbauernhöfe zurNeubildung deutschen Bauerntums. So entstanden unter Mitwirkung derRadeberger NSDAP in rascher Folge Ortsgruppen in Großerkmannsdorf, Lange-brück, Arnsdorf, Ottendorf-Okrilla, Lausa, Pulsnitz und Kamenz.1920 hatten Linksparteien und Gewerkschaften durch ihr entschlossenesHandeln den Kapp-Putsch abgewehrt und die Weimarer Republik verteidigt. Am6.7.1922 berichtete die Radeberger Zeitung (siehe Faksimile Seite 15).Ein Jahr später löste die Entscheidung der Reichsregierung, den Einmarsch derReichswehr in Sachsen und Thüringen und die Absetzung der sozial-demokratisch-kommunistisch geführten Staatsregierung des Freistaates Sachsenunter Ministerpräsident Zeigner anzuordnen, bei Linken, Demokraten undGewerkschaftern tiefe Empörung aus.Die Verhaftungswelle der Reichswehr gegen Kommunisten in Radeberg, und ihrrücksichtsloser Schußwaffengebrauch gegen die Arbeiterdemonstration inFreiberg (29 Demonstranten wurden erschossen) waren ernüchternde Erlebnissefür viele Sozialisten im Hinblick auf das Wiedererstarken erzkonservativer Kräftein der Weimarer Republik.Treffend charakterisierte Herbert Wehner, langjähriger Vorsitzender der Fraktionder SPD im Deutschen Bundestag, rückblickend diese Situation:"Durch den Einmarsch der Reichswehr wurde damals alles ge- und zerstört. ImFrühjahr 1924 lernten wir dann zum ersten Mal Faschismus kennen. Aus Anlaßdes Geburtstages von Bismarck marschierten die ‘vaterländischen Verbände’ auf,die alles andere als vaterländisch waren, zum Beispiel die Brigade Erhardt, dieSA, NSDAP, der Stahlhelm u.a. Damals haben wir als Jugendgruppe(Sozialistische Arbeiterjugend) gegen die Kolonnen demonstriert und protestiert.

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Wir wurden zusammengeschlagen und haben uns wieder aufgerafft."Wehners folgender Austritt aus der Sozialistischen Arbeiterjugend und seinÜbergang zu einer anarchistischen Jugendgruppe sowie seine folgendeMitgliedschaft in der KPD (1927) waren Ausdruck der tiefen Enttäuschung des21jährigen. Er war auch ein Beispiel für die Wählerwanderung von der SPD,SAP und USPD zur KPD.

Die Übergriffe von Reichswehr, Polizei und militanten Krieger- und Schützen-vereinen, royalistischen Ex-Soldatenorganisationen und der NSDAP gegenKundgebungen und Demonstrationen der Arbeiterparteien und Gewerkschaften

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führten zur Bildung von unbewaffneten Schutzorganisationen der Linken, auchin Radeberg.Als einer der ersten trat im Freistaat Sachsen der "Proletarische Selbstschutz" inErscheinung. Partei- und gewerkschaftsübergreifend versuchte er, die Versamm-lungsfreiheit bei Versammlungen und Demonstrationen sicherzustellen.Kurz darauf folgte die Gründung der Schutzorganisation der SPD, "ReichsbannerSchwarz-Rot-Gold", der Schutzorganisation der KPD "Rotfrontkämpferbund" undmehrerer Unterorganisationen wie "Arbeitersamariter" und "Rote Hilfe". Wennauch die politischen Zielvorstellungen und die praktischen Wege auseinandergingen, gab es doch eine übereinstimmende Grundhaltung. Sie bestand in derAblehnung des Krieges als Mittel der Politik (Antimilitarismus, aktiverPazifismus) und in der politischen Bekämpfung des Nationalsozialismus undseiner "vaterländischen" Gehilfen.Diese Grundhaltung wurde auch von Vereinen getragen, die die Emanzipation derArbeiterbewegung unterstützten, wie dem Freidenkerverband mit seinerJugendweihe (1922), der Naturfreundebewegung, den Arbeitersportvereinen u.a.Die Aufführung des Antikriegsfilmes "Im Westen nichts Neues" im RadebergerKino mußte wegen des enormen Besucherandranges mehrfach verlängertwerden.Trotz der ständigen Arbeitslosigkeit von 2500 bis 3000 Personen im Arbeits-amtsbezirk Radeberg von 1922 bis 1933 und trotz einer anhaltendenWohnungsmisere gelang weder den Vaterlandsparteien und schon gar nicht derNSDAP ein nennenswerter Einbruch in die antifaschistische Grundhaltung derMehrheit der Radeberger Bevölkerung. Die entschlossene antifaschistischeHaltung wurde auch im Jahr 1931 deutlich. Eine von der NSDAP im Radeberger"Schützenhaus" durchgeführte Großveranstaltung mit vielen Teilnehmern ausganz Sachsen führte am 24.1.1931 zu einer tausendköpfigen Gegen-demonstration der Radeberger, die gemeinsam von den Gewerkschaften undlinken Parteien getragen wurde.In den dabei von SA-Leuten begonnenen tätlichen Auseinandersetzungenwurden vier Betriebsräte aus Radeberger Großbetrieben verletzt und mußten indas Stadtkrankenhaus eingeliefert werden. Der tags darauf von denGewerkschaften ausgerufene und von linken Parteien unterstützte dreistündigeGeneralstreik, an dem sich 12 Groß- und Mittelbetriebe beteiligten, war einer derersten politisch motivierten Generalstreiks in der Weimarer Republik. 4000Radeberger unterstützen ihn mit einer Demonstration gegen die Hitlerpartei aufdem Marktplatz.Folgerichtig konstituierte sich kurze Zeit später in Radeberg ein gewerkschafts-und parteiübergreifendes Abwehrkartell gegen den Faschismus.Die erzkonservativen Kräfte in Radeberg aus dem Stahlhelm, der DeutschenVolkspartei und der Deutschnationalen Partei schlossen sich zu der "BürgerlichenEinheitsliste" zusammen und führten den Wahlkampf für die Reichstagswahl am6.11.1932 gemeinsam mit der Radeberger NSDAP unter Oberlehrer Möckel.

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Diese Zusammenarbeit zeigt auch eine Großanzeige der "BürgerlichenEinheitsliste" (Liste 2) und der NSDAP (Liste 4) in der Radeberger Zeitungvom 16.11.1932:

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Die enge Verflechtung hatte keinen wesentlichen Einfluß auf die antifaschistischeEinstellung der Mehrzahl der Radeberger. Am 18.11.1932 teilte die RadebergerZeitung ihren Lesern auf der Titelseite folgendes Wahlergebnis mit:

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Der Weg der NSDAP an die Macht

Die Weltwirtschaftskrise erschütterte die letzten Jahre der Weimarer Republikschwer. In dieser Zeit kommt es zu immer stärkerer politischer Radikalisierung.Begünstigt durch die Schwierigkeiten, auf demokratische Weise Mehrheiten zubilden, verlagern sich die politischen Gewichte zunehmend von den Parteien unddem Parlament zum Reichspräsidenten und seinen konservativen Beratern. Dieso entstehende politische Krise führt zu einem schnellen Anwachsen der rechtenKräfte. Im Oktober 1931 verbünden sich Hitlers NSDAP, die DeutschnationaleVolkspartei und der Stahlhelm in der "Harzburger Front" zum Kampf gegen dieRegierung Brüning und die Republik.Am 5. Oktober 1931 findet zwischen Vertretern des deutschen Monopolkapitalsund dem Reichspräsidenten von Hindenburg eine Unterredung über dieUmbildung der Regierung Brüning statt. Die Regierungsumbildung erfolgt vom7. bis 9. Oktober 1931 und ist darauf gerichtet, die demokratische Staatsform zubeseitigen.Am 10. Oktober 1931 empfängt Reichspräsident von Hindenburg erstmalig Hitlerund Göring, um sich persönlich über die Ziele der NSDAP zu informieren.1932 entläßt Reichspräsident von Hindenburg die Regierung Brüning. In derFolge wird das Verbot der SA aufgehoben, der Reichstag aufgelöst und die von derSPD geführte preußische Landesregierung abgesetzt.Nun fordert Hitler kompromißlos die gesamte politische Macht in Deutschland.Am 12. und 13. August 1932 verhandeln von Hindenburg, von Papen undSchleicher, um Hitler für den Posten des Vizekanzlers zu gewinnen, doch Hitlerfordert den Posten des Reichskanzlers. Das wird ihm nicht zugebilligt. Darauflehnt die NSDAP ab, die inzwischen vom Reichspräsidenten berufene Regierungvon Papen zu tolerieren. Der Reichspräsident löst den Reichstag auf, und am6. November 1932 finden Reichstagswahlen statt.

Ergebnisse:

NSDAP 11,7 Mio. Stimmen 196 SitzeSozialdemokratische Partei 7,2 Mio. Stimmen 121 SitzeKommunistische Partei 6,0 Mio. Stimmen 100 SitzeZentrumspartei 4,2 Mio. Stimmen 70 SitzeDeutschnationale Volkspartei 3,0 Mio. Stimmen 52 SitzeBayrische Volkspartei 1,1 Mio. Stimmen 20 Sitze

Am 18. November 1932 erklärt Hitler dem Reichspräsidenten, seine Partei sei dereinzige "Damm gegen den Kommunismus" und fordert für die NSDAP dieRegierung und unbeschränkte Vollmachten. Am 24. November verweigert ihmvon Hindenburg das noch.Am 4. Januar 1933 treffen sich im Hause des Bankiers Schröder in Köln von Papen

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und Hitler. Es kommt zu der Übereinkunft, daß Hitler demnächst die Machtübernehmen und eine Regierung bilden soll, die im Gegenzug die Forderung derWirtschaft und der Großbanken erfüllt. Damit wird der Weg zur offenenfaschistischen Diktatur frei. Um dieses Ziel schnell zu erreichen, lehnen NSDAPund DNVP unter Hugenberg die Unterstützung der bestehenden RegierungSchleicher ab.Am 22. Januar 1933 findet im Hause von Ribbentrop eine Unterredung Hitlers mitvon Hindenburg, von Papen und Staatssekretär Otto Meißner mit dem Ergebnisstatt, Hitler in den nächsten Tagen zum Reichskanzler zu ernennen. Inzwischenwerden alle Aktivitäten des Reichskanzlers Schleicher abgelehnt, so daß er mitseiner Regierung am 28. Januar 1933 zurücktritt. Am 30. Januar 1933 ernenntReichspräsident von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler, der die“Machtergreifung“ der NSDAP proklamiert.Bereits am 1. Februar 1933 fand in Radeberg ein Fackelzug zu Ehren desReichskanzlers Adolf Hitler statt. Die Radeberger Zeitung berichtete:

Wie groß der Widerstand unter der Radeberger Bevölkerung gegen die NSDAP undder Wille zur antifaschistischen Einheitsfront war, ist einem Bericht derRadeberger Zeitung vom gleichen Tage zu entnehmen:

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In Ottendorf-Okrilla bemerkten antifaschistische Bürger am 25.2.1933 auf demSchornstein der stillgelegten Glashütte Brockwitz eine Hakenkreuzfahne. Siebeschlossen, diese Fahne zu entfernen. Der Ottendorfer Arbeiter Kurt Schwadevollbrachte diese Tat. Kurz darauf wehte auf dem Schornstein der damaligenFirma Scheffel eine rote Fahne. Unerkannt hatte der Schornsteinfeger Hermannim Auftrage von Sozialdemokraten, Kommunisten und parteilosen Anti-faschisten dieses Zeichen des Widerstandes gesetzt.

Mit der Machtergreifung begann die NSDAP, von konservativen Kräftenunterstützt, ihre Diktatur zu errichten. SA und Stahlhelmleute wurden alsHilfspolizei eingesetzt.Am 27. 2. 1933 wurde das Gebäude des Deutschen Reichstages in Brand gesetzt.Die Hitlerregierung verkündete, der Reichstagsbrand sei das Werk derKommunisten und das Signal für eine Verschwörung gegen das deutsche Volk. Siebenutzte dieses Verbrechen als Vorwand, eine Verordnung zum "Schutze von Volkund Staat" zu erlassen und damit der Hitlerregierung fast uneingeschränkteMachtbefugnisse einzuräumen. Reichspräsident von Hindenburg unterschrieb.Damit waren entscheidende verfassungsmäßige Rechte außer Kraft und derTerror gegen alle Andersdenkenden "legalisiert". Die ersten Opfer wurdeninnerhalb von 24 Stunden mehr als 10.000 Arbeiterfunktionäre, die meistendavon Kommunisten. Sie wurden verhaftet und in Internierungslagerverschleppt.

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Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reiches werden

bis auf weiteres außer Kraft gesetzt - das bedeutet die Liquidierung aller Grundrechte.

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Das entscheidende Ziel war, massiven Druck auf die Wähler auszuüben, damit siebei der Reichstagswahl am 5. März 1933 der NSDAP ihre Stimme geben und so dieGewaltherrschaft dieser Partei scheindemokratisch bemänteln sollten. Demdiente auch das Verbot der Zeitungen von SPD und KPD. Dazu ließ der BerlinerPolizeipräsident ein Flugblatt verbreiten:

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Die Radeberger Zeitung veröffentlichte das Ergebnis der Reichstagswahlen vom5. März 1933:

In Radeberg gaben 3 903 Bürger der NSDAP ihre Stimme. Das waren rund 36 % derWähler. Bis auf zwei Gemeinden erreichte die NSDAP nicht die gewünschteabsolute Mehrheit. In Radeberg, Ottendorf-Okrilla, Hermsdorf, Leppersdorf undLomnitz erzielten SPD und KPD einen höheren Anteil der Wählerstimmen als dieNSDAP.

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Radeberg in der Hand der Nationalsozialisten

Nachdem sie mit der Reichstagswahl am 5.3.1933 ihr Ziel nicht erreicht hatten,setzte die NSDAP alle Mittel ein, um ihre Machtpositionen zu stärken. Sie sah dasgrößte Hindernis in den linken Parteien, den Gewerkschaftsverbänden undanderen demokratischen Kräften, besonders auch deren Abgeordneten in denStadt- und Gemeindeparlamenten. Beim Ausbau ihrer Herrschaft in allenstaatlichen Ebenen traten die neuen Machthaber Recht und Gesetz mit Füßen.Am 7. März 1933, zwei Tage nach den Reichstagswahlen, findet auf demMarktplatz von Radeberg eine große Kundgebung der NSDAP statt. SS und Polizeisperren ab. Am Rathaus werden die Hakenkreuzfahne und die deutsch-nationaleFahne Schwarz-Weiß-Rot gehißt. NSDAP-Ortsgruppenleiter Erich Möckel klagt ineiner Rede an, daß er lange Jahre "unter dem Marxismus geseufzt hat". Sieg-Heil-Rufe der SA hallen über den Marktplatz.Von dieser Kundgebung veröffentlichte die Radeberger Zeitung am 8. März einFoto:

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Bereits zwei Tage nach der Reichstagswahl vom 5. 3. 1933 besetzten gegen 17.30 Uhr SS, SA,Stahlhelm und Polizei das Radeberger Rathaus und hißten die oben genannten Fahnen unterMißachtung des noch gültigen offiziellen Flaggengesetzes. Im Vordergrund der aufmarschierte“Stahlhelm” mit dem Kommandierenden Teichert, rechts (kaum erkennbar) die SA-Formation. Die “II.Revolution” des NSDAP-Ortsgruppenführers E. Möckel nahm ihren erfolgreichen Verlauf.

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Eine zweite Kundgebung am 9. März 1933 versetzte dem demokratischgewählten Stadtrat und der Stadtverwaltung den Todesstoß. Darüber berichtetedie Radeberger Zeitung am 10.3.1933 ausführlich:

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Fritz Weitzmann und weitere Radeberger

Antifaschisten wurden von den Nazis

gezwungen, die Wahlaufrufe der Arbeiter-

parteien zu den Reichstagswahlen

März 1933 von den Wänden abzuwaschen.

(Foto aus dem Nachlaß

von Fritz Weitzmann)

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Der Terror ging weiter. Bereits am 4. März 1933 hatte die SA den RadebergerStadtverordneten der KPD eine "Sonderbehandlung" zuteil werden lassen.Am 17. März 1933 holte die neue NS-Stadtverwaltung die Stadtverordneten derSPD in das Rathaus zur "Vernehmung". Danach mußten sie zusammen mitanderen Antifaschisten unter Aufsicht von SA-Leuten die Wahlplakate derArbeiterparteien für die Reichstagswahlen von den Wänden abwaschen.Am gleichen Tag beschloß der "gesäuberte" Stadtrat, daß Marxisten nicht mehr inleitenden Stellen beschäftigt werden dürfen. Dieser Beschluß wurde mit einerGegenstimme gefaßt.Zum weiteren Ausbau der Diktatur legte Hitler ein Ermächtigungsgesetz vor, dasam 24.3.1933 das Parlament mit Zweidrittelmehrheit passierte. Es schaltete denReichstag und seine Kontrollorgane faktisch aus.

Nun folgten die Proklamation des "Einheitsstaates" und die "Gleichschaltung".Damit wurden alle Parteien außer der NSDAP verboten, die Gewerkschaften unddie Länder entmachtet und der Reichsrat aufgehoben.Am 30.3.1933 fand die letzte Sitzung der Radeberger Stadtverordneten statt, zuder noch Abgeordnete der SPD zugelassen waren. Dazu schrieb die RadebergerZeitung:

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"Am früher gewohnten Platze hing wieder das Gemälde König Georgs, ihmgegenüber die Fahne Schwarz-Weiß-Rot, die Hakenkreuzfahne und die Grün-Weiße Fahne Sachsens. Die Plätze der Kommunisten waren leer, da diese nichteingeladen waren. Von den Sozialdemokraten waren nur vier anwesend, daeinige sich bereits in Schutzhaft befanden. Der NSDAP-Ortsgruppenführer undvorläufige Bürgermeister, Parteigenosse Möckel, stimmte ein kräftiges 'Sieg Heil'auf Hindenburg und den Führer an, wobei sich die Abgeordneten von den Plätzenerhoben, außer den vier Sozialdemokraten. Sie beteiligten sich auch nicht an derWahl des Präsidiums. Stadtverordneter Weitzmann (SPD) gab dazu eineentsprechende Erklärung ab."Einen Tag später erließ die Hitlerregierung das Länder- und Gemeinde-Gleichschaltungsgesetz. Damit war auch in Radeberg der Weg zu einemunglaublichen Wahlbetrug freigemacht.

Darüber informiert die Radeberger Zeitung:

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Über die so an die Macht geschobenen Radeberger Stadtverordneten der NSDAPund der Konservativen ("Gemeinsamer Wahlvorschlag") informierte dieRadeberger Zeitung:

Auch in allen Dörfern des Radeberger Landes wurden die Gemeindeparlamente"gleichgeschaltet". Die von der Bevölkerung gewählten Abgeordneten von SPDund KPD wurden aus den Gemeinderäten entfernt und ihre Mandate vonVertretern der NSDAP besetzt.Nun war die NSDAP in der Lage, ihre Diktatur ohne große Gegenwehr auszuüben.Einen Höhepunkt der "Nationalsozialistischen Machtergreifung" und der"Gleichschaltung" in Radeberg bildete die Stadtverordnetenversammlung am15. Mai 1933 mit der Wahl des NS-Bürgermeisters Dr. Rasch.

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Der Berichterstatter der Radeberger Zeitung schrieb:"Der mit dem Wahrzeichen der nationalen Bewegung geschmückte Sitzungssaalzeigt das Bild der Gleichschaltung, das braune Hemd beherrscht den Saal. Der bisdahin kommissarische Bürgermeister, Gewerbeoberlehrer Möckel, seit 1929Ortsgruppenleiter der NSDAP, gab die richtungweisende Orientierung. Er lobte dieAusschaltung der staatsfeindlichen Elemente."

Der Historiker Guido Knopp verweist in seiner Studie "Hitler, eine Bilanz" aufHubertus von Löwenstein. Anläßlich der Ernennung Hitlers zum Reichskanzlerwarnte er seine sozialdemokratischen Freunde: "Kameraden, habt ihr begriffen,daß heute der 2. Weltkrieg begonnen hat?"Der Vorsitzende der KPD, Ernst Thälmann, hatte diese tödliche Gefahr mit denWorten gekennzeichnet: "Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler. Wer Hitler wählt,wählt den Krieg!"Beide sollten recht behalten.

Um die Menschen zu gewinnen, nutzte die NS-Propaganda besonders die Sorgenaus, die viele Leute bewegten:

• Angst vor der Arbeitslosigkeit war eine depressive Grundstimmung,damit verbunden:

• Angst vor gesellschaftlicher Deklassierung

Gezielt und erfolgreich geschürt wurden:

• Angst vor dem Bolschewismus,

Die Demagogie des NS-Systems

• Angst vor und Haß gegenüber den Juden,• Angst vor Überfremdung

Die Propaganda der Nazis verkündete, nur einer könne der Bevölkerung dieseÄngste nehmen: Adolf Hitler mit seiner NSDAP.Und Hitler ließ an seinem Willen zur alleinigen Macht keinen Zweifel:"Nunmehr haben wir die Macht in der Hand, und ich als Kommissar des Reichesbin in meiner Person der Ausdruck hierfür. Deshalb befehle ich und kein anderer.Meine Befehle allein sind maßgebend, und ich allein trage die Verantwortung fürdas, was geschieht."

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Die Begeisterung bei NS-Propagandaveranstaltungen riß Zögernde mit. Um dieseStimmung auszubauen, ergriff die NSDAP weitere Maßnahmen:

1. Der 1. Mai wurde zum gesetzlichen "Tag der nationalen Arbeit" erklärt. Mit derSchaffung der Deutschen Arbeitsfront anstelle der verbotenenGewerkschaften sollten die Arbeiter an sozialen Forderungen gehindert undauf das "Führerprinzip" auch in den Betrieben eingeschworen werden. Fortangab es einen "Betriebsführer" und eine "Gefolgschaft".Der Beauftragte der "Deutschen Arbeitsfront", Felber, sagte in derGruppenstammversammlung 1/151 in Radeberg im Juli 1934:"Wir haben für das deutsche Arbeitertum eine Organisation geschaffen, dienicht nur Organisation ist, sondern ein ehernes Fundament unseres Staates...Es ist unbestreitbar, daß die nationalsozialistische Revolution den Schutt derdeutschen Arbeiterklasse weggeräumt und den edlen Kern freigelegt hat, daßes heute kaum einen willigeren und unbedingteren Staatsbejaher gibt, alsden deutschen Arbeiter."In diesem Sinne organisierten NSDAP und Arbeitsfront in Radeberg die Feiernzum 1. Mai. In Großveranstaltungen wurden die Leistungen und dieGefolgschaftstreue des "Arbeitsvolkes" hervorgehoben.Darüber berichtete die Radeberger Zeitung:"Bereits in der 8. Stunde des 1. Mai versammelten sich auf der PulsnitzerStraße "Arbeitsmenschen", die Belegschaften der Betriebe, Beamte, Lehrer,Gewerbetreibende, auch die arbeitslosen Volksgenossen usw. zum Marsch der8500 durch die Stadt. Schließlich hatten sich im "Horst-Wessel-Stadion"Zehntausend vereinigt.”

2. Mit riesigem propagandistischen Aufwand inszenierte die NS-Regierungihren demagogischen "Kampf um Arbeit und Brot".Am 1. Mai 1933 verkündete sie das Reichsautobahnprogramm, und an vielenStellen in Deutschland wurden Bauprojekte begonnen:

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Brennpunkteder deutschen Arbeitsschlacht.Die wichtigsten Stellen,an denen das Arbeitsprogrammin Angriff genommen wird.

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Mit der Einführung eines halbjährigen "Reichsarbeitsdienstes" wurden alle"wehrfähigen" jungen Männer an diesen Objekten zur Arbeit eingesetzt,anfangs freiwillig, später als "Reichsarbeitsdienstpflicht". Dort wurden siegleichzeitig halbmilitärisch ausgebildet. Sie arbeiteten faktisch ohne Lohn. IhrSold betrug 25 Reichspfennige pro Tag.Zur gleichen Zeit betrieb die NS-Regierung - anfangs geheim - eine enormeAufrüstung, gekoppelt mit der Forderung, das "Schanddiktat" des VersaillerFriedensvertrages zu annullieren. Die Aufrüstung brachte viele neueArbeitsplätze in der Rüstungsindustrie und beim Bau militärischer Anlagen.Die Autobahnen gehörten ebenso zur Aufrüstung wie das "Volkswagenwerk".Als die ersten Volkswagen produziert wurden, rollten sie auf HitlersAutobahnen für seine Annexionen.Mit Hilfe dieser Maßnahmen konnte Hitler bereits 1936 eine annäherndeVollbeschäftigung verkünden.

3. Am 29. September 1933 wurde das "Reichserbhofgesetz" verkündet: "Land-und forstwirtschaftlicher Besitz in der Größe von mindestens einerAckernahrung und von höchstens 125 Hektar ist ein Erbhof, wenn er einerbauernfähigen Person gehört".

4. Weiterhin förderte der Staat den Eigenheimbau. Das Angebot an Konsum-gütern wurde auch für Ärmere erschwinglich. Das Urlauberprogramm "Kraftdurch Freude" sollte den Menschen ein Gefühl sozialer Sicherheit vermitteln.

5. Die Deutsche Arbeitsfront lockte mit Bildungsangeboten und Sport und lenkteauch die Freizeit in die Zielrichtung der NSDAP. Mit einem weitgehendsorgenfreien Leben und einer auf das Heute gerichteten Sicht wurde die Masseder Bevölkerung zufriedengestellt.

6. Ungezügelt propagierte die NSDAP ihre pseudowissenschaftlich verbrämteRassentheorie. Sie redete den Menschen ein, die blauäugige, blonde"Nordische Rasse" verkörpere das Idealbild der Deutschen. Deshalb sei dasdeutsche Volk "von der Vorsehung ausersehen", über alle anderen Völker zuherrschen. Minderwertige Rassen, zu allererst die Juden, seien "nichtlebenswert".

7. Alle deutschen Rundfunkstationen wurden zum Reichsrundfunk vereint.Propagandaminister Goebbels baute den Reichsrundfunk neben Presse undFilm zu einem entscheidenden Instrument der NS-Propaganda aus. DiesemZiel diente auch die millionenfache Produktion des "Volksempfängers", einesKleinradios, das wegen seines niedrigen Preises zwischen 30 und 70Reichsmark in den meisten deutschen Haushalten angeschafft wurde.

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Antifaschisten gaben diesem Radio die drastische aber treffende Bezeichnung"Goebbelsschnauze".

8. Parallel zu der gigantischen militärischen Aufrüstung schürte die NSDAP mitallen Mitteln unter der Bevölkerung nationalistische und chauvinistischeStimmungen, verherrlichte den Krieg und erhob unter der Losung vom"Großdeutschen Reich" Gebietsansprüche an die Nachbarstaaten.Diese systematische Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges wurde mitheuchlerischen Friedensbeteuerungen getarnt. So gab die NSDAP ihremletzten Parteitag im August 1939, einen Monat vor dem Überfall auf Polen, mitdem sie den Zweiten Weltkrieg begann, den Namen "Parteitag des Friedens.”

9. Die NSDAP unternahm alles, um die Erinnerung an die Weimarer Republik zudiffamieren und aus dem Bewußtsein der Menschen zu verdrängen. Sowurden in Radeberg und allen umliegenden Gemeinden Straßen und Plätzenach NS-Größen umbenannt.In Radeberg gab es einen besonderen Höhepunkt dieser Kampagne: Von 1926bis 1928 hatten sich die Arbeitersportler des Turn- und Sportvereins"Vorwärts" trotz Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit aus eigenenMitteln und in freiwilliger Arbeit ihr Stadion erbaut. Sie gaben ihm den Namen"Vorwärts-Stadion". Unmittelbar nach der Machtergreifung gab die NSDAPdiesem Stadion den Namen des SA-"Helden" Horst Wessel, der angeblich einOpfer der Kommunisten war. In Wahrheit wurde er bei persönlichenStreitigkeiten erschossen, vom NS-Propagandaminister Goebbels jedoch zueinem deutschen Nationalhelden hochstilisiert. Das Horst-Wessel-Lied wurdeneben dem Deutschlandlied die Hymne der NSDAP.

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Gedenktafelim “Vorwärtsstadion”in Radeberg,Schillerstraße

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Dr. med. Albert Dietze

Auch dem ASB wurde seine volksverbundene Tätigkeit untersagt

Zu den verbotenen Organisationen gehörte auch der Arbeiter-Samariter-Bund,der in Radeberg von 1921 bis 1933 eine mitgliederstarke Ortsgruppe besaß.Seit ihrer Gründung gehörte ihr als betreuender und beratender Arzt Dr. med.Albert Dietze an. “Er war eine Freund der Alten und der Armen”, socharakterisierte der langjährige Ortschronist Rudolf Thomas den “VerdientenArzt des Volkes” und Ehrenbürger der Stadt Radeberg.Dr. Dietze verstarb im Alter von 94 Jahren. Ein Teil der Pirnaer Straße erhieltseinen Namen.

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Mehr als 120 Arbeiter, Sportler, Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen undeinzelne Bauern beteiligten sich an den Arbeitseinsätzen. Viele fleißige Hände, dietagsüber für den Kapitalisten schaffen mußten, hatten nach Feierabend und anWochenenden keine Ruhe, denn ihre Turnhalle sollte recht schnell fertig werden.Die Bausumme entsprach damals ohne Arbeitsleistungen etwa 80.000 Mark. DieArbeiter verfügten aber weder über Bauland noch über finanzielle Mittel. Deshalbhatte jedes Mitglied einen Pflichtanteil zu bringen, so kamen vorerst 13.000 Markzusammen. Diese Summe war die Grundlage für den Baubeginn.

In etwa zwei Jahren war das Bauwerk fertiggestellt. Im November 1928 wurdebereits der erste Kirmestanz durchgeführt. Das war nicht nur für die Erbauersondern für alle Bürger des Ortes und der umliegenden Gemeinden

.Am 1./2. Juni 1929 erfolgte die Einweihung der Turnhalle. Diese war mit einergroßen Demonstration verbunden und verdeutlichte die Einheit der Arbeiter-klasse. Sie bewies ihre Stärke und Leistungskraft.

ein großerkultureller Höhepunkt

VOLKSHEIM LOMNITZ -Von den Werktätigen erbaut und finanziert;von den Nazis geschändet

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Bauarbeiten 1927

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1927 hatte der Gastwirt Pietzsch die Arbeitersportler, die Reigenfahrer undArbeitersänger kurzerhand vor die Tür gesetzt. Bereits 1922 mußten sie aufgrundder Machenschaften des Herrn Pietzsch ihre Übungsstunden im NachbarortKleindittmannsdorf durchführen.

Das alles war nun mit der Errichtung des Volksheimes vorbei. Endlich hatten sieein eigenes Heim mit Gaststätte, die sie selbst verwalteten. Mit dem Machtantrittdes Faschismus überzogen auch finstere Wolken das von den Arbeiterngeschaffene Heim. Es wurde von Faschisten besetzt und für viele andere Zwecke,die gegen die Interessen der Arbeiterklasse gerichtet waren, genutzt.In Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg diente der Saal als Getreidelager. Inden letzten Kriegswochen wurden dort Wehrwölfe ausgebildet, und SS-Banditenzogen ein, die letztendlich das Volksheim sprengen wollten. Mutige und klassen-bewußte Bürger des Ortes verhinderten dieses Verbrechen.

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Volksheimweihe 1929

Volksheim 1999

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Terror gegen alle Andersdenkenden

Parallel zur demagogischen Gewinnung der Menschen für ihre Ziele terrorisiertendie NS-Machthaber alle Gegner immer brutaler nach ihrem Grundsatz: "Wer nichtfür uns ist, ist gegen uns, und wer gegen uns ist, wird vernichtet!"Die folgenden Angaben über Verfolgungen, Verhaftungen und Verurteilungen vonAntifaschisten sind unvollständig, weil sie nur die Ergebnisse unserer begrenztenForschungen enthalten. Dennoch geben sie einen weiteren Einblick in dasAusmaß des NS-Terrors in Radeberg und in den umliegenden Gemeinden.

• Im Radeberger Rathaus mißhandelten SA-Leute viele Hitlergegner. DerRadeberger Stadtverordnete der SPD, Fritz Weitzmann, schrieb in seinenErinnerungen: "Wir wissen, daß unsere Genossen so mißhandelt wurden, daßdie Wände des damaligen Bürgermeisterzimmers übertüncht werden mußten,weil sich die Blutspuren nicht abwaschen ließen.”

• Der aus dem Amt getriebene Radeberger Bürgermeister Otto Uhlig (SPD)erhielt Stadtverbot. Die Gestapo führte eine rote Karteikarte über ihn. EineRente wurde ihm verweigert. Der Radeberger NS-Polizeikommissar Stallingschrieb am 5. Juli 1933 an den Nazigauleiter von Sachsen, MartinMutschmann, "...daß man keinen Pfennig von den Steuergroschen desdeutschen Volkes für diesen Oberbonzen vergeuden darf. Er hat sich alsSchmarotzer am deutschen Volksvermögen erwiesen.”

• Den ebenfalls aus dem Amt vertriebenen Wohlfahrtsinspektor undStadtverordneten der SPD, Paul Brückner, verhaftete die Gestapo am 12. März1933. Seine Frau, seine Tochter und sein Sohn wurden ausgewiesen. Siefanden in Schönborn Zuflucht.Die Radeberger Zeitung berichtete am 13.3.1933: "Festgenommen wurden inder Nacht zum Sonntag und nach Dresden in Schutzhaft eingeliefert dersozialdemokratische Stadtrat Johannes Brückner, sein Bruder, der bisherigeWohlfahrtsinspektor Paul Brückner, der Führer des Reichsbanners,Konsumvereinsverwalter Schaar, die Funktionäre des AbwehrkartellsPankratz und Tamme und der sozialdemokratische Stadtverordnete undBevollmächtigte des Metallarbeiterverbandes Heinze. Außerdem wurde inDresden der Kommunistenführer von Radeberg, Wächtler, erkannt undfestgenommen.”In der Untersuchungshaftanstalt "Mathilde" in Dresden verhörtenGestapobeamte Paul Brückner. Es gelang ihnen nicht, ein Geständnis zuerpressen. Am 8. Juni 1933 wurde er trotzdem in das SchutzhaftlagerHohnstein eingeliefert. Das Ansinnen, eine Loyalitätserklärung gegenüberder NSDAP abzugeben, lehnte er ab.

• So wie in Radeberg wurden auch die Bürgermeister der umliegendenGemeinden, die nicht der NSDAP angehörten, aus ihren Ämtern gejagt. DieBevölkerung wurde aufgerufen, Andersdenkende zu denunzieren.

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• Bereits am 28.2.1933 nahm die Gestapo die Kommunisten Heinz und RudolfBöhm aus Ottendorf-Okrilla fest und inhaftierte sie nach einerUntersuchungshaft in dem Schutzhaftlager Hohnstein.

• Emil Fahrnländer aus Ullersdorf wurde am gleichen Tag verhaftet und wegenVorbereitung zum Hochverrat zu 10 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Kurznach seiner Entlassung wurde er erneut ein Jahr in Untersuchungshaftfestgehalten, mußte aber wegen Mangel an Beweisen freigesprochen werden.Im Juni 1941 wurde er erneut wegen staatsfeindlicher Äußerungen imZusammenhang mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunionverhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Im März 1933 folgt eine Verhaftungswelle:• Der Arbeiter Kurt Alschner aus Radeberg wird wegen Zugehörigkeit zur KPD

im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. Am 20.9.1935 wird er mit elfweiteren Antifaschisten in das KZ Sachsenburg eingeliefert.

• Der Handformer Alfred Franke, Radeberg, wird erst im SchutzhaftlagerKönigstein-Halbestadt und dann fünfzehn Monate im SchutzhaftlagerHohnstein inhaftiert.

• Der Schriftsetzer Kurt Hantzsche aus Radeberg wird wegen Vorbereitung zumHochverrat festgenommen, muß aber aus Mangel an Beweisen aus der Haftentlassen werden. Nach seiner erneuten Verhaftung am 18.9.1934 wird er fürlängere Zeit in Untersuchungshaft gehalten.

• Die Geheime Staatspolizei verhaftet den Maler Walter Förster aus Radeberg,Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend. Wegen Fortführung der Tätigkeitfür die KPD wird er drei Jahre und sechs Monate im Zuchthaus Waldheimgefangengehalten. Danach kommt er als "politisch unzuverlässig" in das KZSachsenhausen. Erst die vorrückenden sowjetischen Truppen befreien ihn1945.

• Nicht nur in Radeberg waren Hausdurchsuchungen, Verhaftungen undMißhandlungen an der Tagesordnung. Besonders brutal gingen SA-Schlägerin Orten vor, in denen viele Einwohner nicht für Hitler gestimmt hatten.Am 10. März 1933 umstellen SA-Leute Ottendorf-Okrilla und dringen vonallen Seiten in den Ort. Bei antifaschistisch eingestellten Bürgern führen sie"Haussuchungen" durch. Viele werden festgenommen und zum Gasthof"Schwarzes Roß" gebracht. Hier mißhandelt sie die SA mit Gummiknüppeln,Gewehrkolben und Reitpeitschen. Fast 70 Verletzte sind die Folge. Besondersbrutal mißhandeln sie den körperbehinderten Kommunisten JosefHannemann. SA-Leute fassen ihn an Armen und Beinen, wippen seinenKörper auf und nieder, werfen ihn in die Luft und lassen ihn dann auf die Erdefallen. Diese "Volksbelustigung" wiederholen sie solange, bis der Mißhandelteliegenbleibt. Josef Hannemann stirbt später im Krankenhaus an den Folgen.

• Wegen Widerstandes gegen die NS-Diktatur wird Johannes Kutzera ausRadeberg von Januar bis Mitte 1933 fünfmal verhaftet. Er wird in das

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Schutzhaftlager Hohnstein gebracht. Wegen Vorbereitung zum Hochverratmuß er für ein Jahr in die Gefängnisse in Leipzig und Zwickau. 1935 wird er zuzehn Jahren Zuchthaus verurteilt, die er im Zuchthaus Waldheim, später imKZ Mauthausen verbüßen muß. Vor dem Schlimmsten bewahrt ihn derVormarsch der US-Armee.

• Der Arbeiter Josef Pankratz aus Radeberg, Mitglied der SPD und Leiter desAbwehrkartells, wird verhaftet, im Polizeipräsidium Dresden vernommen unddann im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert. Aus Mangel an Beweisenkommt es zu keiner Gerichtsverhandlung.

• In Arnsdorf wird der Melker Wolf vom Staatsgut der Landesanstalt wegenkommunistischer Umtriebe festgenommen.

• Der Arbeitersportler Martin Wagner, Leppersdorf, wird wegen der Verbreitungverbotener Zeitschriften verhaftet.

• Walter Thiem, Ullersdorf, wird wegen des Verdachtes, illegale Zeitschriftenverteilt zu haben, im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert.

• Else Sommer aus Hermsdorf wird am 31.3.1933 verhaftet und im Gefängnis"Münchner Platz" in Dresden über die Aktivitäten der Hitlergegner inOttendorf/Okrilla verhört. Sie bleibt standhaft und verrät nichts. Nochzweimal, im Oktober 1933 und im November 1934, verhaftet sie die Gestapo,wieder ergebnislos. Im März 1935 wird sie im Prozeß gegen "Wagner undGenossen" zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Am 21. Mai1940 schlägt die Gestapo endgültig zu. Else Sommer wird bis auf weiteres "zurUmschulung" im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück eingesperrt. Sieerhält die Häftlingsnummer 3944. Nur Dank der Solidarität ihrer Leidens-gefährtinnen, unter ihnen die Dresdner Jüdin und Kommunistin Rosa Menzer,die vergast wurde, überlebt Else Sommer.

• Am 6.5.1933 wird der Wallrodaer Bruno Mai verhaftet, und am 5.4.1934verurteilt ihn der "Volksgerichtshof" zu einem Jahr und sechs MonatenZuchthaus.

• Die Gestapo verhaftet am 25.5.1933 Otto Hegewald und inhaftiert ihn zweiJahre im KZ Sachsenburg.

• Der Glasarbeiter Kurt Lohse aus Radeberg wird im Schutzhaftlager Hohnsteinbis zu dessen Auflösung inhaftiert.

• Das Sondergericht für das Land Sachsen verurteilt Hermann Philipp und HansKoch aus Arnsdorf wegen angeblichen Sprengstoffverbrechens und Nicht-ablieferung von Waffen zu zwei Jahren und zehn Monaten Zuchthaus bzw.zehn Monaten Gefängnis.

• Die Gestapo verhaftet in Ottendorf-Okrilla den jugendlichen MetallarbeiterAdolf Neumann und andere Jugendliche. Das Sondergericht verurteilt sie zuhohen Freiheitsstrafen.

• Der Kellner Fritz Liebscher aus Ottendorf-Okrilla wird am 8.9.1933 verhaftet.Der "Volksgerichtshof" verurteilt ihn im Verfahren Nr. 15 J 490/33 wegenseiner Mitgliedschaft in der KPD, Vorbereitung zum Hochverrat, angeblichem

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Sprengstoffverbrechens und verbotenem Waffenbesitz zu drei JahrenZuchthaus. Nach Ablauf der Strafzeit bringt man ihn bis 15.6.1937 in das KZSachsenburg, dann bis 16.8.1937 in das KZ Sachsenhausen und schließlichbis zum 18.4.1939 in das KZ Buchenwald. Obwohl er "wehrunwürdig" ist,wird er 1942 zum Strafbataillon 999 eingezogen.

• Der Kommunist Alfred Leuthold aus Ottendorf-Okrilla wird verhaftet. Er wirdverdächtigt, den organisatorischen Zusammenhalt der Roten Wehr auf-rechterhalten und Waffen und Munition für diese Organisation aufbewahrt zuhaben. Das Gericht verurteilt ihn zu einem Jahr und zwei Monaten Zuchthaus.Danach wird er in ein Schutzhaftlager gebracht.

• Bei einer Razzia in Bischofswerda findet man im Portemonnaie einesFestgenommenen die Adresse des kommunistischen Stadtverordneten HugoJünger aus Radeberg. Daraufhin wird er verhaftet. Trotz Gegenüberstellungmit dem bei der Razzia Festgenommenen können ihm illegale Tätigkeit,Vertrieb von kommunistischen Zeitschriften und Zusammenarbeit mitanderen KPD-Mitgliedern nicht nachgewiesen werden. Trotzdem wird er bis1.5.1934 im Schutzhaftlager Hohnstein und danach bis 23.6.1936 im KZSachsenburg inhaftiert.

• Nach den Reichstagswahlen am 5. März 1933 besetzte die SA die JugendburgHohnstein und errichtete darin ein “Schutzhaftlager”, um politische Gegneraus dem ostsächsischen Raum festzusetzen und durch militärischen Drill,schwere körperliche Arbeit und anderen Drangsalierungen “umerziehen”.Mindestens 15 Antifaschisten aus dem Radeberger Gebiet wurden dort zeit-weise inhaftiert.

Häftlinge auf dem Wegzur Zwangsarbeit in Hohnstein

Fotosaus demMuseum

Hohnstein

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• In Schönborn und Umgebung findet eine groß angelegte Verhaftungsaktionstatt. Unter den verhafteten Antifaschisten befinden sich die SPD-MitgliederAlfred Görner, Arno Liesner, Erich Partsch, Alfred Steinert, die Mitglieder derKPD Fritz Gärtner, Max Görner, Rudi Görner, Rudolf Steinert und dieParteilosen Willi Heiche aus Seifersdorf und Richard Angermann aus Wachau.Alle werden in der Gaststätte "Anker" festgehalten, in das PolizeipräsidiumDresden eingeliefert und teils in der Untersuchungshaftanstalt "Mathilde",teils im Schutzhaftlager Hohnstein inhaftiert.

• In Radeberg wird der Metallarbeiter Willy Schaarschmidt verhaftet, weil erMitglied der Roten Hilfe und des Abwehrkartells ist. Aus Mangel an Beweisenkommt es zu keiner Gerichtsverhandlung.

• Der 1. September 1933 ist ein schwarzer Tag für Wachau. Früh gegen 4.30 Uhrrücken Überfallwagen und Motorräder mit SA und Polizei in das Dorf ein.Häuser werden umstellt und durchsucht, Gärten durchwühlt und Hitlergegnerzusammengetrieben. Wer nicht zu Hause ist, wird am Arbeitsplatz verhaftet.Richard Angermann, ein Betroffener, berichtet:"Von zwei Polizisten wurde ich in Klotzsche auf der Baustelle verhaftet,nachdem sie bei mir zu Hause einen Kalender mit einem Spruch gegen diebraune Pest, mein blaues Arbeiterkartell-Hemd und den Schulterriemengefunden hatten. Ich wurde auf einen LKW gestoßen und von vier SA-Männern in die Mitte genommen. Schon während der Fahrt wurde ich vonihnen "verhört". Nachdem ich zugegeben hatte, diesen Spruch geschrieben zuhaben, versicherten mir meine Peiniger, daß sie mich aufhängen würden.Meiner Frau hatten sie ohnehin schon gesagt, daß sie mich nicht wiedersehenwürde. Hinter Langebrück bog der Wagen in eine Schneise ein. Sie hattenschon einen Baum ausgewählt, als sie nach einen Strick suchten. Nur demUmstand, daß sie in ihrer Kiste keinen fanden, habe ich es zu verdanken, daßsie mich nach Wachau brachten. Gegen 10 Uhr kamen wir im "Anker" an.Zuerst bekam ich einen Schlag, daß ich bewußtlos zusammenbrach. MitKübeln kalten Wassers brachten sie mich wieder zur Besinnung, um auf dieseWeise das "Verhör" fortzusetzen. Übel zugerichtet wurde ich auf die Kegelbahngetrieben, wo ich bis ans Ende laufen und meinen Namen und anderes rufenmußte. Nach diesen Quälereien kam ich in einen anderen Raum, wo ich wiedermit Schlägen empfangen wurde …Oswin Görner hatten die SA-Leute ein rotes Tuch, das von einer Streich-holzschachtel zusammengehalten wurde, um den Hals gelegt und einenHolzsäbel in die Hand gedrückt. Er mußte uns kommandieren. Das ging bis20 Uhr, dann wurden die meisten nach Hause gelassen. Erich Kriedel, RichardWittwer und ich wurden mit auf das Polizeipräsidium genommen. WährendRichard Wittwer nach einer Woche wieder entlassen wurde, mußte ich einVierteljahr dort bleiben und Erich Kriedel noch länger.”

• Am 10.1.1934 wird in Grünberg Otto Lehmann verhaftet. Das Gerichtverurteilt ihn wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einem Jahr und acht

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Monaten Zuchthaus. Nach Ausbruch des Krieges wird er zum Strafbataillon999 eingezogen.

• Am gleichen Tag verhaftet die Gestapo den Kommunisten Alfred Seifert undinhaftiert ihn im Schutzhaftlager Hohnstein. Bei der Auflösung des Lagerswird er in dem Dresdner Untersuchungsgefängnis "Mathilde" inhaftiert.

• Wegen des Verdachtes der illegalen Tätigkeit für die KPD wird Georg Wehner,Radeberg, in das Schutzhaftlager Hohnstein eingeliefert. Trotz vieler Verhörekann kein Beweis dafür erbracht werden. Auch nicht bei der erneutenFestnahme am 11.1.1937. Ein Gericht zu sechs JahrenZuchthaus. Im April 1945 befreien ihn die vorrückenden Truppen der US-Armee aus dem Zuchthaus Waldheim.

• Der Musiker Herbert Hache, Mitglied der KPD, wird in seiner Wohnung inFischbach verhaftet. Im Rathaus Radeberg vernimmt und mißhandelt ihn der"NS-Kriminalrat" Stalling. Herbert Hache wird im Schutzhaftlager Hohnsteininhaftiert.

• Das Sondergericht für das Land Sachsen verurteilt Mitglieder der SPD am6.3.1934 wegen des Versuches, ihre Parteiorganisation aufrecht zu erhalten:Johannes Brückner, Vorsitzender der SPD in Radeberg und Leiter der Ab-wehrorganisation "Eiserne Front", zu einem Jahr Zuchthaus,Karl Schaar, Vorsitzender des Reichsbanners in Radeberg, zu einem Jahr undsechs Monaten Gefängnis,

verurteilt ihn 1942

Im Schutzhaftlager Hohnstein - Bildmitte dritter von links: Georg Wehner

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Georg Völkel aus Schönborn zu einem Jahr Gefängnis und den JugendlichenHarry Brückner, Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend in Radeberg,wegen Verteilung des "Kleinen Vorwärts" zu acht Monaten Gefängnis.

• Der Hilfsarbeiter Emil Förster und der Arbeiter Stephan Schulz, beide ausRadeberg, werden am 7.3.1934 verhaftet und in das SchutzhaftlagerHohnstein eingeliefert. Wegen ergebnisloser Ermittlungen müssen siefreigelassen werden.

• Das Sondergericht des Landes Sachsen verurteilt Arno Liebscher ausOttendorf-Okrilla nach § 7 des Sprengstoffgesetzes zu einem Jahr und sechsMonaten Zuchthaus.

• In Radeberg wird der Glasmacher Max Hengst verhaftet und in das KZSachsenburg gebracht. Trotz ergebnisloser Ermittlungen kommt es zurAnklage.

• Die 12. Große Strafkammer verurteilt den Bürger Georg Kutzner zu neunMonaten Gefängnis. Ihm wird vorgeworfen, in Radeberg eine Wider-standsgruppe unterstützt und kommunistische Beitragsmarken undZeitungen gekauft zu haben.

• Der "Volksgerichtshof" verurteilt am 6.9.1934 Willy Goeder und 15 Kommu-nisten wegen Sprengstoffvergehens zu folgenden hohen Zuchthausstrafen:

Anstreicher Willy Goeder, Radeberg 15 JahreGlasmacher Franz Zelinka, Radeberg 2 JahreGlasarbeiter Paul Lehmann, Radeberg 2 JahreGlasmacher Bruno Hampel, Radeberg 2½ JahreKristallschleifer Walter Herrmann, Radeberg 2 JahreBauarbeiter Willi Noack, Ottendorf-Okrilla 2½ JahreSteinarbeiter Josef Einhellinger, Königsbrück 3½ JahreArbeiter Hans Wächtler, Radeberg 2½ JahreGlasmacher Friedrich Seifert, Radeberg 3 JahreBauarbeiter Oskar Costrau, Radeberg 3 JahreFärber Carl Vetters, Radeberg 2½ JahreMaschinenformer Walter Opitz, Ullersdorf 2 JahreOfenformer Paul Preller, Königsbrück 5 JahreArbeiter Bruno Mai, Wallroda 1½ JahreGlasarbeiter Wilhelm Magiera, Ottendorf-O. 2 Jahre

Der Glasarbeiter Friedrich Seifert stirbt am 18.3.1935 im Zusam-menhang mit den Verhören und den Haftbedingungen im Zucht-haus.

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Auszug aus dem Urteil

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• Das Oberlandesgericht verurteilt den Kommunisten Rudolf Steinert ausSchönborn zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus.

• Das Oberlandesgericht verurteilt am 9.11.1934 wegen Vorbereitung zumHochverrat, weil sie in Radeberg und Umgebung Widerstandsgruppenaufrecht erhalten und antifaschistische Druckschriften verteilt haben:

Arbeiter Josef Dziacka, GroßerkmannsdorfGlasmacherwitwe Helene Edelmann, RadebergArbeiter Edmund Gräubig, RadebergArbeiter Ewald Henker, GroßerkmannsdorfArbeiter Richard Henker, GroßerkmannsdorfHändler Erich Hochmuth, RadebergGlasschleifer Franz Kleinert, RadebergArbeiter Georg Kostirka, RadebergGlasarbeiter Alfred Lehmann, RadebergSchlosser Oskar Matulla, RadebergGlasbieger Erich Menschner, RadebergMaschinenschlosser Erich Meyer, GrünbergFormer Walter Pietsch, RadebergMetallschleifer Erich Schneider, RadebergWerkzeugmacher Walter Simmchen, WallrodaSchneidergehilfe Erwin Stein, LomnitzArbeiter Erich Steinert, Radeberg

Die Strafen liegen zwischen eineinhalb und drei Jahren Zuchthaus.

• Das Sondergericht für das Land Sachsen verurteilt nach § 7 des Spreng-stoffgesetzes aus Ottendorf-Okrilla Willi Oswald zu einem Jahr und sechsMonaten und Kurt Grafe zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus.

• Im Januar 1937 fällt im Kampf gegen das Franco-Regime der KommunistRudolf Hable aus Radeburg als Angehöriger der Internationalen Brigaden beiHueska in Spanien.

• Am 11.1.1937 verurteilt das Oberlandesgericht den Radeberger SchlosserAlbert Zumpe wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmenszu zwei Jahren und drei Monaten Zuchthaus. Nach Ablauf der Strafe wirder am 19.4.1939 auf Anordnung der Gestapo weiter im PolizeigefängnisDresden festgehalten. Schließlich wird er in das Strafbataillon 999 einge-zogen. Im Krieg wird er verwundet, er überlebt.

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Entlassungsschein von Albert Zumpe

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Bei ihren Machtansprüchen machte die NSDAP auch vor der Kirche nicht halt.Schon vor 1933 wurden die "Deutschen Christen" gegründet. In dieser NS-Vereinigung waren Angehörige verschiedener Konfessionen vertreten. Wichtigwar nur, daß sie dem Nationalsozialismus treu ergeben waren.Aus einer Chronik der Gemeinde Ottendorf-Okrilla ist zu erfahren, daß sich am 8.November 1933 eine Ortsgruppe der "Deutschen Christen" gebildet hatte. Weiterheißt es: "Nach Anordnung des im Jahre 1933 neu gebildeten Landes-kirchenamtes, dessen Mitglieder der nationalsozialistischen Partei angehörten,hatte die Mehrheit im Kirchenvorstand aus Nationalsozialisten zu bestehen."Für den 23. Juli 1933 verlangte Hitler Kirchenwahlen mit dem Ziel, dadurch denEinfluß der "Deutschen Christen" zu verstärken.Bekenntnistreue Pfarrer waren mit dieser Entwicklung nicht einverstanden undgründeten im November 1933 einen Notbund, der im Dezember 1933 die"Deutschen Christen" eindeutig ablehnte. Daraufhin kam es zu Verhaftungen vonbekennenden Pfarrern. Viele von ihnen gingen den Weg in Gefängnisse,Zuchthäuser oder Konzentrationslager..Am 8. März 1936 wurde in Leipzig der "Lutherische Rat" gegründet. Er hatte das

Ziel, mit dem Zusammenschluß aller bekennenden Kirchen eine Abwehrfrontgegen die "Deutschen Christen" zu bilden.

• Über das Schicksal eines bekennenden Pfarrers - des GroßerkmannsdorferPastors Kläss - berichtet der Ortschronist von Kleinwolmsdorf, Herr OttoWittich, u.a.: Im Januar 1938 erhielt der jung verheiratete Pastor ein Schreibendes Landeskirchenamtes der 'Deutschen Christen':

HerrnPastor Rudolf KlässGroßerkmannsdorf über Radeberg 27.1.1938

Nachdem Sie in dem von Ihnen unterzeichneten Schreiben vom 17. Januar1938 ausdrücklich erklärt haben, die von Herrn Reichs- und PreußischenMinister für kirchliche Angelegenheiten berufene und durch die 1. Verordnungzur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Evangelischen Kirche vom10. Dezember 1937 (Kirchl. GVBI. S. 151) bestätigte Kirchenleitung nichtanzuerkennen und Sie demzufolge auch der Aufforderung, zur IhrerVernehmung im Landeskirchenamt zu erscheinen, nicht Folge geleistet haben,sehe ich mich gezwungen, die Ihnen bereits mit Schreiben vom 12. Januar1938 angekündigte Maßnahme durchzuführen und Sie mit sofortigerWirkung aus dem landeskirchlichen Vorbereitungsdienst abzuberufen.Auf Ihre weitere Tätigkeit im Bereich der Evangelisch-lutherischenLandeskirche Sachsen wird solange verzichtet, als Sie die von Ihneneingenommene Haltung nicht aufgeben und die Weisungen der Kirchen-leitung befolgen.

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Die Räumung der Ihnen zur Verfügung gestellten Amtswohnung ist zubeschleunigen, auf einer sofortigen Räumung soll solange nicht bestandenwerden, als dadurch die Erledigung der Amtsgeschäfte durch die neueabzuordnende Hilfskraft nicht erschwert wird.

i.V. Liebschausgefertigt: Dresden, am 27. Januar 1938, gez. Thomann, K-Inspektor

Warum hatte sich der junge Pastor den Anordnungen der Kirchenleitungwidersetzt? Aus ihrer Erinnerung gab seine Frau dem Chronisten Auskunft:

Die 'Deutschen Christen', kurz DC genannt, brachten schon Mitte der 30erJahre eine nach den Maßstäben der NS-Ideologie "gereinigte Bibel" heraus. DasAlte Testament war als "Judenbuch" weggelassen, im Neuen TestamentChristus als arischer Heroe dargestellt. Superintendent Klotsche, als"Revolverklotsche" bekannt, kam in SA-Uniform und mit Pistole insLandeskirchenamt. Der DC-Landesbischof Friedrich Cohn hatte wahrlichkeinen guten Ruf.Anfang 1935 war es in der Landeskirche zu Verhaftungen bekenntnistreuerPfarrer gekommen, weil sie die Wahrheit gepredigt, sich für bedrängteMenschen eingesetzt hatten und sich als Seelsorger vieler Verhafteter undderen Angehörigen annahmen.Um äußerer Vorteile willen wollten Pfarrer Kläss und seine Frau ihren Glaubennicht verleugnen. Eine Laienabordnung unter Führung Hugo Schäfers wurdeim Landeskirchenamt vorstellig, um die Entlassung von Pfarrer Klässrückgängig zu machen. Doch sie erreichten nichts, obwohl die ganzeKirchgemeinde, das ganze Dorf, bis auf fünf fanatische NSDAP-Leute, hinterdem Pfarrer standen.Die Arbeit ging dennoch weiter als ob nichts geschehen sei: Unterricht,Besuche, Bibelstunden, Gottesdienst, Junge Gemeinde, Kasualien usw. BisHimmelfahrt ging das so, dann verschloß man ihnen die Kirchentür. Die Maul-und Klauenseuche solle nicht verbreitet werden, hieß es, aber alle anderenVeranstaltungen, wie Kino, Versammlungen oder Schule liefen ungehindertweiter.Wovon lebte Familie Kläss ohne Gehalt?Besucher der Bibelstunden oder des Frauendienstes drückten ihnen beimVerabschieden Geld in die Hand. Die Nudelfabrik schickte eine Tüte mit 10 Pfd.Nudeln, Bauern brachten Brote, Eier, Butter, Wurst, Speck oder auch vomSchlachtfest fertiges Mittagessen. Arme Leute brachten ein Glas selbst-gemachte Marmelade und ein 50-Pfennig-Stück darauf.Nachdem sich ein DC-Pfarrer gefunden hatte, mußte Familie Kläss dasPfarrhaus räumen. Also ging man mit dem acht Monate alten Kind ins "Exil",in das Auszugshaus des Bauern Arthur König in Kleinwolmsdorf Nr. 7. DieserAuszug wurde zu einem einzigen Bekenntnis. Jetzt, in der Heuernte, stellten

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die Großerkmannsdorfer Bauern Wagen und Gespanne, und Frauen vomFrauendienst halfen beim Packen und Verladen.Als der DC-Pfarrer seine Tätigkeit aufgenommen hatte und Pfarrer Kläss dasGotteshaus nicht mehr betreten durfte, beschränkte er sich zwangsläufig aufseine Wohnung. Hier war jeden Abend und auch sonntag nachmittags dieStube voll. Dorthin geschickte Spitzel hatten viel aufzuschreiben.Nun übertrug die Bekennende Kirche Pfarrer Kläss die Aufgabe, katechetischeKurse für Laien zu halten, anfangs in Dresden, dann auch in Radeberg.Überall mußte er einspringen, denn er hatte ein Motorrad.Mit Ausbruch des Krieges häuften sich die Vertretungen. Oft predigte er inGroßnaundorf und Lomnitz. Und hier, in fremden Orten, erkannte er oftBesucher aus seinen alten Gemeinden. Obwohl sie sonst nach Radeberg zumGottesdienst gingen, scheuten sie auch den weiteren Weg nicht.Zum Erntedankfest 1939 predigte Pfarrer Kläss in Radeberg. Auch amEwigkeitssonntag sollte er wieder hier predigen. Diese Niederlage wollten sichdie ‘Deutschen Christen’ nicht noch einmal einhandeln, und so wurde PastorKläss am Freitag zuvor zur Wehrmacht einberufen. Während des Rückzugesder Wehrmacht fiel Pastor Kläss am 7.2.1945 in Kroatien.

• Der "Volksgerichtshof" verurteilt am 17.11.1938 weitere meist RadebergerAntifaschisten:

Johannes Kutzera 10 Jahre ZuchthausHelmut Köbbel 5 Jahre ZuchthausMartin Hommel 1½ Jahre ZuchthausKarl Otto 1 Jahr GefängnisErich Gräfe 1 Jahr Gefängnis

• Die in diesem Prozeß ebenfalls Angeklagten Hustig und Weber konnten nichtverurteilt werden. Nach Angaben der Polizei hatten sie im GefängnisSelbstmord begangen.

• Der Kommunist Samuel Steinfeld aus Weixdorf war wegen seinerMitgliedschaft in der KPD 1933 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden.1940 wird er aus gleichem Grunde und wegen seiner jüdischen Abstammungerneut verhaftet. Über die Konzentrationslager Radom, Maidanek,Tschenstochau kommt er nach Buchenwald, wo er die Befreiung erlebt.

• Das Oberlandesgericht Dresden verurteilt den Kommunisten Paul Schmidt ausWeixdorf wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren und sechsMonaten Zuchthaus. Nach Ablauf dieser Strafzeit bleibt er weiter in denKonzentrationslagern Buchenwald, Natzweiler und Dachau. Dort befreien ihnam 27.4.1945 Truppen der Alliierten.

• Albin Lehmann aus Radeberg wird noch am 28. April 1944 wegen Abhörensdeutschsprachiger Nachrichten der Sender Moskau, London und Beromünsterzu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach dem Willen seiner Richter sollte ermindestens bis 31.1.1947 inhaftiert bleiben.

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Mitteilung in der Strafsache gegen Albin Lehmann vom Landrat zu Dresden an den Bürgermeister

von Radeberg

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• Der Oberreichsanwalt beim "Volksgerichtshof" klagt 1944 den DrehergehilfenWilli Burkhardt, den Maschinenarbeiter Friedrich Müller und den Dreher PaulSchölzel, alle aus Radeberg, an. Da beim Bombenangriff auf Dresden dasGerichtsgebäude stark beschädigt worden war und bis dahin noch keineGerichtsverhandlung stattgefunden hatte, kommt es bis zu ihrer Befreiung am8. Mai 1945 zu keiner Verhandlung mehr.

Die Motive dieser und vieler Menschen, die die NS-Politik ablehnten oder sich derNS-Politik widersetzten, waren ebenso unterschiedlich, wie ihre Lebens-erfahrungen, ihre Herkunft, ihre Weltanschauung, ihr Alter und ihrePersönlichkeitsstruktur.Sie dachten und handelten antifaschistisch, weil die Nationalsozialisten dieDemokratie mit Füßen traten, einen nie dagewesenen Terror ausübten und alleAndersdenkenden mit dem Tode bedrohten, Rassenhaß, Nationalismus undChauvinismus zur Staatspolitik erhoben, Gewalt verherrlichten und ausübten,den Krieg systematisch vorbereiteten und 1939 begannen. Für alle dieseMenschen war der deutsche Faschismus mit Redlichkeit, Moral, Anstand,Menschenwürde und Menschenrecht nicht zu vereinbaren.Sie sahen im Faschismus eine tödliche Gefahr für Deutschland und seineNachbarn. Deshalb handelten sie antifaschistisch.Es war ihre Tragödie, daß sie nicht zum gemeinsamen Handeln fanden. Das giltbesonders für die Antifaschisten in politischen Parteien.So fanden trotz der immer deutlicher heraufziehenden Gefahr einer NS-Diktaturin Deutschland und trotz partieller Zusammenarbeit an der Basis die starkenantifaschistischen Kräfte in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands undin der Kommunistischen Partei Deutschlands keinen Grundkonsens zur Abwehrdieser tödlichen Gefahr. Anstatt gemeinsam antifaschistisch zu handeln,betonten sie die Unterschiede in ihren Auffassungen und schwächten sich mitgegenseitigen Vorwürfen.

Der brutale Terror gegen alle Antifaschisten war die blutige Quittung dafür. DieVölker Europas, auch das deutsche Volk, mußten mit dem Zweiten Weltkriegund dem Holocaust das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichtedurchleben.

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II. Der Terror gegen die Juden

Zum Antisemitismus in der NS-Rassenideologie

Antisemitismus (Judenhaß und Judenverfolgung) existiert seit Jahrhunderten.Er war stets ein Mittel der Herrschenden, von den Ursachen politischer,wirtschaftlicher und sozialer Probleme abzulenken. Juden wurden zu "Sünden-böcken" abgestempelt, weil deren Vertreibung oder Auslöschung die Voraus-setzung für einen Wandel zum Besseren sei.Eine Welle des Antisemitismus entwickelte sich in Deutschland besonders nachder militärischen Niederlage des Kaiserreiches im 1. Weltkrieg 1918. Diepatriotisch-völkischen Rechten erfanden die "Dolchstoßlegende". Sie behaup-teten, die Novemberrevolution von 1918 sei eine jüdisch-sozialistische Ver-schwörung gewesen, die der siegreichen deutschen Armee in den Rücken gefallensei. Dieser angebliche Dolchstoß in den Rücken der tapferen deutschen Front-soldaten sei Ursache für die deutsche Niederlage. Der Antisemitismus verbandsich mit einer grundsätzlichen Ablehnung der Weimarer Republik, die alsJudenrepublik diffamiert wurde. Dadurch erhielt diese hemmungslose Judenhetzeihre politische Brisanz.Die 1920 gegründete NSDAP verdichtete den Antisemitismus der patriotisch-völkischen Kräfte, verbrämte ihn pseudowissenschaftlich mit ihrer Rassentheorieund radikalisierte ihn. Die NS-Ideologie reduzierte die weltpolitische Entwicklungauf einen immerwährenden Rassenkampf. Ihrem Idealtyp des Ariers stellte sieden Juden als Gegenrasse, als Negativtyp und unversöhnlichen Feind entgegen.Zur Untermauerung dieser Auffassungen verbreitete die NS-Propaganda dasgesamte antisemitische Schriftgut von Dr. Martin Luther, Hofprediger Stoecker,Friedrich Nietzsche, Richard Wagner u.a.Der Landesbischof der ev.luth.Kirche, Martin Sasse, publizierte eine Broschüremit dem Titel: "Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen" (Sturmheit-VerlagErfurt).NS-konform verhielt sich auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,Kardinal Adolf Bertram (Breslau), der besonders auf die Einhaltung des Artikels29 des Staatsvertrages zwischen dem Heiligen Stuhl (Vatikan) und der DeutschenReichsregierung (1933) Wert legte. Dieser Artikel klammerte eine Schutzfunktionder Katholiken für nicht "deutschblütige" Menschen (Juden, Sinti und Roma o.a.)aus.Kardinal Bertram setze sich übrigens auch für das "Gebet für den Führer" in denSchulen ein und erließ die Verordnung, daß es zulässig ist, zum Empfang derHeiligen Sakramente in der Uniform der Hitlerjugend zu erscheinen.

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Der NS-Terror gegen die jüdischen Bürger beginnt

Wenige Wochen nach der NS-Machtergreifung begann der Terror. Das geschahnahezu zeitgleich mit der Ausschaltung der Linksparteien, der InhaftierungZehntausender ihrer Mitglieder, der Zerschlagung und des Verbots derGewerkschaften und ihrer Unterorganisationen sowie der Aneignung derengesamten Eigentums.Am 28.3.1933 bildete die zentrale Leitung der NSDAP ein Zentralkomitee zurOrganisierung eines totalen Boykotts der Juden in Deutschland. "Zur Abwehr derjüdischen Greuelhetze gegen das neue Deutschland" - so wurde verlogenbehauptet - rief die NSDAP am 29.3.1933 in ihrem Zentralblatt "VölkischerBeobachter", an allen Litfaßsäulen und mit einer Flut von Flugblättern dieBevölkerung zum Boykott jüdischer Geschäfte, Warenhäuser, Ärzte und Rechts-anwälte auf.Ab 1. April 1933 postierten sich SA und HJ vor den jüdischen Geschäften undbeschmierten sie mit Parolen: "Kein Deutscher kauft bei Juden" oder "AchtungLebensgefahr" oder "Juda verrecke" oder einfach "Jude" und terrorisierten Kunden,Klienten oder Patienten.

Am 4.4.1933 wurde der Boykott zwar für beendet erklärt, es folgte aber eine Flutvon Gesetzen und Verordnungen, die nun die staatliche organisierte Verfolgungder Juden einleitete.Bereits im Gesetz über das Berufsbeamtentum vom 7.4.1933 tauchte ein"Arierparagraph" auf, der noch im gleichen Jahr Bestandteil weiterer Gesetze undVerordnungen wurde. Danach mußten Juden als Beamte, aus staatlichenEinrichtungen und Institutionen, einschließlich Hochschulen ausscheiden undwurden aus künstlerischen Einrichtungen, der Presse und dem Verlagswesenvertrieben.Der Reichsparteitag der NSDAP am 15.9.1935 in Nürnberg wurde mit den vonAdolf Hitler begründeten und vom Deutschen Reichstag einstimmig beschlos-senen Gesetzen zum "Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" unddem "Reichsbürgergesetz" abgeschlossen. (Nürnberger Gesetze, siehe Seite 53)Mit der ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935 und demdarauf folgenden Runderlaß des Reichsminister des Inneren vom 26.11.1935wurde definiert, wer als Jude oder Mischling 1. und 2. Grades zu gelten hatte. Daes objektiv keinen Unterschied zwischen "deutschem oder artverwandtem Blut"und der "jüdischen Rasse" gibt, griffen die Behörden entgegen der verlogenen NS-Rassenlehre auf die Zugehörigkeit zur mosaischen Religion bis zu den Großelternzurück, unabhängig davon, ob die Nachfahren einer anderen oder keinerReligionsgemeinschaft angehörten.Mit diesen Gesetzen wurden die deutschen Juden diffamiert und ihrerelementaren Bürgerrechte beraubt.

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Ein eigens zur Herabsetzung und Verleumdung der Juden geschaffenes Organ derNS-Rassenpropaganda war die von NSDAP-Gauleiter Julius Streicher heraus-gegebene Zeitung "Der Stürmer". Sie wurde überall in Schaukästen veröffentlichtund heizte den Haß gegen die "jüdischen Weltverschwörer" immer weiter an.

Die NS-Regierung hatte das Ziel, möglichst viele Juden aus Deutschland und deminzwischen annektierten Österreich zu vertreiben, ohne daß sie nennenswertesVermögen mitnehmen konnten. Diesem Zweck diente die "Verordnung über dieAnmeldung des Vermögens der Juden" vom 26.4.1938.

Die Vertreibung

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Als besonders infame Maßnahme zum Boykott jüdischer Gewerbetreibendersetzte die NSDAP-Ortsgruppe Radeberg den Fotoschaukasten am RadebergerRathaus als Pranger ein. Dazu schreibt der Radeberger Gottfried Beier in seinenErinnerungen: "Mit Hochachtung wollen wir der mutigen Frauen gedenken, dietrotz des Boykott-Aufrufes bis zur gewaltsamen Schließung jüdischer Läden dorteinkauften. Um diese Radebergerinnen zu ängstigen und zu demütigen, wurdensie fotografiert."Die gleiche Erfahrung machte Erich Förster aus Wachau: "Ich hatte geradeausgelernt und wollte mir einen Anzug kaufen. Im Wissen um den Aberglaubenjüdischer Geschäftsinhaber, den ersten Kunden Montag früh auch um den Preiseines finanziellen Verlustes nicht ohne Ware gehen zu lassen, ging ich zu Textil-Zeimann und kaufte dort. Am Nachmittag kam mein Lehrmeister und gab mireine schallende Ohrfeige mit der Bemerkung: 'Ich laß mir nicht von Dir dasGeschäft versauen'. Inzwischen hatte man ihm mein Foto im Schaukasten amRadeberger Rathaus gezeigt. Ein SA-Mann hatte mich fotografiert und diesesFoto unter der Überschrift 'Sie kauften beim Juden' ausgehängt" (Erlebnisbericht1985).

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In der Statistik des Deutschen Reiches wird unter der Überschrift "Die Glaubens-juden im Deutschen Reich" für den Amtsbezirk Radeberg die Zahl der religiösgebundenen jüdischen Mitbürger mit neun (drei männlich, sechs weiblich)angegeben.Mit der hemmungslosen Judenhetze und dem seit 1933 anhaltenden Boykottgegenüber den seit Jahrzehnten in Radeberg ansässigen jüdischen Gewerbe-treibenden, wie der Konfektionsfirma Lederer (Hauptstraße), Schuhhaus Baum(Hauptstraße), Trikotagen-Miederwaren Lingner (Hauptstraße), TextilgeschäftZeimann (Hauptstraße), trieben die NS-Machthaber diese Mitbürger finanziellund moralisch in den Ruin. Sie konnten dem Druck nicht mehr standhalten,gaben ihre Geschäfte und Immobilien auf und verließen die Stadt.Da die jüdische Firma Ikenberg dem Terror noch widerstand und die Stadt nichtverlassen wollte, demolierte der von SA-Leuten aufgeputschte Mob diesesjüdische Warenhaus in der Hauptstraße, Ecke Schulstraße. Das war auch für dieseFamilie das Ende in Radeberg.Am 13.8.1938 war in der "Radeberger Zeitung" folgende Großanzeige zu lesen:

Durch diesen gebündelten antisemitischen Terror war die Wirtschaft vonRadeberg nun "judenfrei".

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Die NS-Reichskristallnacht

Die Endlösung

Aus Protest gegen die Verfolgung der Juden und aus Verzweiflung über dieVertreibung seiner Verwandten aus Deutschland erschoß am 8.11.1938 der17jährige Herschel Grynszpan den deutschen Diplomaten E. vom Rath. Nunbegannen die Nationalsozialisten in ganz Deutschland staatlich organisierteJudenpogrome, bei denen sich die SA besonders hervortat. Diese sogenannte"Reichskristallnacht" dauerte bis zum 11. November 1938. Im gesamten Reichs-gebiet wurden 7.000 jüdische Warenhäuser und Einzelhandelsgeschäfte völligdemoliert und größtenteils ausgeplündert. Die Inhaber und deren Familienwurden mißhandelt und jeglicher menschlicher Würde beraubt. Nach offiziellenAngaben fanden dabei 91 jüdische Personen den Tod. 276 Synagogen undjüdische Bethäuser gingen in Flammen auf, darunter die von Gottfried Sempererrichtete Dresdner Synagoge. Auf Anweisung der Gestapo mußten dieFeuerwehren den Bränden tatenlos zusehen. Schon während dieser Pogromeverhafteten die Nationalsozialisten 22.000 jüdische Bürger und wiesen sie inKonzentrationslager ein. Die bis dahin in jüdischem Besitz verbliebenenGeschäfte und Immobilien wurden "arisiert", das heißt, Arier eigneten sich diesean.Dieses Schicksal widerfuhr auch der Familie Carl Schönwald in der benachbartenStadt Großröhrsdorf. Dr. E. Körner schreibt dazu: "In der Nacht vom 9. zum 10.November 1938 zogen einige Mitglieder der NSDAP vor die Schaufenster derSchönwalds, schlugen die Scheiben ein, demolierten Auslagen und Inventar undgrölten antisemitische Losungen. Eine Hauswand wurde derart beschmiert, daßdie Haßtiraden noch in den siebziger Jahren erkennbar waren. In diesen Stundentrieben die faschistischen Herrscher auch die Familie Schönwald in einfurchtbares Schicksal."Am 13. November 1938 hielt NS-Reichspropagandaminister Dr. Goebbels eineRede, in der er die schrecklichen Pogrome lobte und den Judenhaß weiteranheizte. Darüber berichtete die "Radeberger Zeitung und Tageblatt" am 14.11.38(siehe Seite 57).Gleichzeitig rechtfertigte Goebbels die am Vortage erlassenen Verordnungen derNS-Reichsregierung (siehe Seite 58) zur weiteren Terrorisierung und Entrechtungder Juden.

Schon vor den Pogromen von 1938 verschärfte die NSDAP den Terror gegen diejüdische Bevölkerung ständig. Juden wurde untersagt, ein Gewerbe oder einselbständiges Handwerk zu betreiben. Jüdische Kinder durften deutsche Schulennicht mehr besuchen, hilfsbedürftigen Juden wurde die öffentliche Für-sorgezahlung entzogen. Juden durften nur noch in bestimmten Häusern wohnen

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Bestandsaufnahme:Erst Hetze und Boykott,dann “arisiert”,dann Auschwitz.

“Radeberger Zeitung und Tageblatt”vom 14.11.1938

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und ihr Wohngebiet nur mit Erlaubnis der Polizei verlassen. Der Besuch jeglicherKultur- und Sportveranstaltungen und der Freibäder wurde ihnen verboten.Juden wurde untersagt, bestimmte Straßen, Plätze, Anlagen und Gebäude zubetreten und Haustiere zu halten. Ihre Führerscheine wurden eingezogen. MitBeginn des Zweiten Weltkrieges wurde über die Juden eine nächtliche Aus-gangssperre verhängt.

Vom Frühjahr 1941 an verschlechterte sich innerhalb weniger Monate dieSituation der völlig rechtlos gewordenen Juden dramatisch und wurde hoff-nungslos. Juden ab dem 6. Lebensjahr wurden gezwungen, an der Ober-bekleidung sichtbar den gelben Judenstern zu tragen. Wenig später mußten sieauch ihre Wohnungen mit dem Judenstern kennzeichnen. Zwischen dem20.7.1941 und dem 13.11.1944 wurden 108 neue Verordnungen und Erlasse zurTerrorisierung der deutschen Juden verhängt. Es ist unvorstellbar, wie der Alltagin den jüdischen Familien aussah, abgeschnitten von jeglicher Kommunikationund kaum noch das Allernotwendigste zum Leben zur Verfügung. Rucksack oderKoffer standen griffbereit. Sie warteten nur noch auf ihre Deportation. Die Zahlder Selbsttötungen stieg.Die NS-Regierung unterband nunmehr die Auswanderung von Juden ausDeutschland. Bald danach begannen die systematischen Deportationen injüdische Gettos in die von der deutschen Wehrmacht besetzten Ostgebiete, z.B. inLodz, Minsk, Riga, Lublin und Theresienstadt. Gettos waren von der Außenweltvöllig abgeriegelte Stadtteile, in die ausschließlich Juden eingesperrt wurden. Indas Getto in Lodz waren 170.000 Juden eingepfercht. Sie erhielten Hunger-rationen. Die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Alle Arbeitsfähigenmußten Aufträge der deutschen Wehrmacht erfüllen. Von Mai 1940 bis August1944 starben im Getto Lodz mehr als 43.000 Deportierte, die Mehrzahl ausDeutschland.

Im Januar 1942 fiel die Entscheidung über die "Endlösung" der Judenfragedurch ihre systematische physische Vernichtung. Nun rollten die Deporta-tionszüge auch von Dresden direkt in die Vernichtungslager Auschwitz oderTheresienstadt.Es ist schwer, Spuren der einstmals in Radeberg lebenden Juden zu finden. FrauBerta Lederer wanderte 1934 nach der CSR aus. 1935 folgte ihre SchwesterCharlotte Baum und deren Ehemann Ernst Baum. Sie lebten in Prag, konnten aberihrem Schicksal nicht entgehen. Frau Baum wurde 1941 in das Getto Lodzdeportiert, ihre Schwester Berta Lederer kam 1942 nach Theresienstadt. Inwelchem Lager sie umkam, ist unbekannt. Die Eheleute Ikenberg fanden nachihrer Vertreibung aus Radeberg Zuflucht in Dresden. Von dort wurden sie am1.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 27.9.1942 bzw. am 7.1.1943umkamen. Unbekannt ist das Schicksal der anderen ehemals in Radeberglebenden jüdischen Bürger.

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Die ehemalige österreichische Festungsstadt Theresienstadt war mit Erlaß desReichssicherungshauptamtes (RSHA) vom 21.5.1942 als “Altersghetto” für über65jährige Juden definiert. Mit Täuschung und Ausplünderung anhand dersogenannten “Heimeinkaufsverträge” wurde diesem Personenkreis “Betreuungund Pflege” versprochen.Insgesamt wurden 141.000 Juden nach Theresienstadt (Terezin) deportiert.Theresienstadt war eine Durchgangsstation für die Vernichtungslager imBaltikum, Polen und Weißrußland (insgesamt dorthin deportiert ca. 88.000Menschen). In Theresienstadt starben 33.500 Menschen.

Mit der Errichtung von Gettos und Vernichtungslagern im Machtbereich derdeutschen Wehrmacht praktizierten die Nationalsozialisten bis zu ihrerNiederwerfung 1945 die von Beginn an geplante Endlösung der Judenfrage. Indiesem in der Geschichte der Menschheit einmaligen Holocaust ermordete dasNS-Regime über sechs Millionen Juden. Unmittelbar war daran eine Minderheitder Deutschen beteiligt, aber die Mehrheit der Deutschen sah tatenlos zu.

Bundespräsident Roman Herzog am 9.11.1998:"Über 4000 Deutsche werden heute in YAD-VASHEM als Judenretter geehrt. Um somehr haben wir alle die tägliche Pflicht, für Verhältnisse in unserem Land zusorgen, in denen niemand ein Held sein muß, um ein guter, ein anständigerMensch zu sein."

Nach dem Ende des Krieges beschäftigte den Radeberger Maler und GrafikerMartin Lehnert aus seiner christlichen Verantwortung der millionenfache Mordan Juden in Hitlerdeutschland zutiefst.Nach intensiven Recherchen und tiefgehender geistiger und emotionalerAuseinandersetzung drückte er seine Haltung, seine Gedanken und seine Gefühlezum Holocaust in einem Zyklus von 12 Grafiken aus.Wir sind dankbar, daß wir diese Werke und die Gedanken des RadebergerKünstlers dazu mit seiner freundlichen Genehmigung der Öffentlichkeitvorstellen können.

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BILDER

GEGEN DAS

VERGESSEN

VERFOLGUNG DER JUDEN

1933-1945

12 grafische blätter

von martin lehnert,

radeberg

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Ihre Schreie verhallten im Nichts

Wie konnte es geschehen, daß 1938 die Synagogen brannten?

Weil man das Denken und das Moralempfinden anderen überließ.

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Wohin in dieser Welt?

Die Weltbevölkerung zu jener Zeit hat nicht begriffen, daß das Tragen des gelben Sterns

bereits ein Todeszeichen war.

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Hommage à David Rubinowicz

Zwei jüdische Kinder schreiben Tagebuch während der Verfolgungszeit:

Anne Frank und David Rubinowicz. David Rubinowicz kam in Treblinka um.

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Nacht über Babi Jar.

Bei Kiew wurden etwa 40.000 Juden erschossen und verscharrt.

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Sie nannten es Selektion.

Es gab in den Konzentrationslagern nur diese Möglichkeiten: Vernichtung durch Arbeit oder

Vernichtung durch Gas.

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Ein Traum: Psalm 55, 5-8

David wurde durch Saul verfolgt. Die Gefahr spiegelt sich im Psalm 55:

5. Mein Herz ängstet sich in meinem Leibe, und des Todes Furcht ist auf mich gefallen.

6. Furcht und Zittern ist mir angekommen und Grauen hat mich überfallen.

7. Ich sprach: O hätt ich Flügel wie Tauben, daß ich flöge und bliebe!

8. Siehe, so wollte ich ferne wegfliegen und in der Wüste bleiben.

Ob nicht vielen hinter Stacheldraht ähnliche Gedanken kamen?

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Im Getto.

Wie gehetzte Tiere kapitulierten die Opfer vor dem Vernichtungswahn.

Sie fanden keinen Ausweg.

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Wo sind die Schuldigen?

1945: Der furchtbare Terror war vorüber. Die Überlebenden und Geschundenen verlangten

nach Gerechtigkeit. Aber wo und wie?

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Hoffnung kommt und geht.

Das Bild zeigt Licht und Schatten. Gutes und Böses begegnen sich in unserer Welt.

Wir müssen uns entscheiden.

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Der Geist der Tiefe regt sich.

Das furchtbare Töten war zu Ende. Es hinterließ ein Meer von Tränen.

Müssen bald neue Tränen fließen?

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Mißgeburten der Unterwelt.

Wer steht nicht fassungslos vor den Vernichtungstaten, jeder soll sich fragen:

Was ist zu tun?

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Gefährlicher Dschungel.

Sind es wieder die gleichen Schreie wie damals: »Deutschland erwache!«?

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Holocaust

Als über Deutschland die Nacht der braunen Dämonie hereinbrach, be-

merkten viele Bürger jener Zeit die Finsternis viel zu spät.

Zerschlagene Fensterscheiben klirrten auf dem Bürgersteig, deutsche

Marschstiefel zertraten Menschen und Kulturen in Europa, der Würgegriff

saß fest und unlösbar an den Kehlen von Millionen Menschen,

In diesem Siegesrausch fühlten sich die "Weltverbesserer" sicher und tobten

sich in den heimischen und in den eroberten Regionen aus.

Damit begann das größte Trauerspiel aller Zeiten. Eine Gruppe von Men-

schen - wie Du und Ich - wurde gezwungen, den gelben Stern an der Kleidung

zu tragen. Was dann geschah, dafür gibt es keine Worte, um dieses sata-

nische Vernichtungswerk zu beschreiben.

Lies bitte die 43 Buchstaben noch einmal mit Bedacht!

Der Tag der Ernüchterung trat ein.

Die sieggewohnten Heilrufer mußten erkennen, daß sie die falschen Götter

angebetet hatten. Für diese chaotische Hinterlassenschaft wurden

Schuldige gesucht. Etwas Ungeheuerliches geschah, denn die größten

Verwandlungskünstler traten in Erscheinung. Viele mit beschmutzten Hän-

den und Geist kamen mit sauberer Weste ans Tageslicht. Über die Ver-

gangenheit wurde ein wurzelkräftiger Samen gestreut, ein neues Zeitalter

begann zu blühen.

Diese Zeilen und die grafischen Blätter sollen zum Nachdenken anregen

und uns mahnen, daß wir für die Vergangenheit und die Gegenwart Ver-

antwortung tragen, damit über Deutschland nicht noch einmal eine dunkle

Nacht hereinbricht.

Januar 1997

Martin Lehnert

es gab kein Entrinnen mehr.

Menschen wurden fabrikmäßig zu Asche verarbeitet.

Menschen wurden fabrikmäßig zu Asche verarbeitet.

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Gesichter der Juden in AuschwitzLili Meiers Album, Berin-Kreuzberg 1995

Ankunft eines Transportzuges.

Die Armstreifen kennzeichnen jüdische Ärzte im Lager.

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Links Tante Tuba,

die Schwester von

Lili Jacobs Vater,

mit vier ihrer fünf Kinder.

Alle umgekommen.

Noch einsatzfähige Männer.

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III. NS-Euthanasiemorde - auch in unserer Heimat

Euthanasie bedeutet im medizinischen Sinne die Pflicht des Arztes und seinerMitarbeiter, auch einem Sterbenden jede mögliche ärztliche Hilfe zu gewährenund so sein Sterben zu erleichtern.In der NS-Diktatur wurde dieser Begriff verbrecherisch mißbraucht, um die Mordean hilfsbedürftigen Menschen zu umschreiben, zu vollziehen und zu vertuschen.Die NSDAP berief sich dabei auf eine 1920 von dem Juristen Binding und demMediziner Hoche veröffentlichte Schrift: "Die Freigabe der Vernichtung lebens-unwerten Lebens."Mit dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" ordneten die NS-Barbaren, juristisch verbrämt, die zwangsweise Sterilisation Hunderttausenderan. Im Gesetz wurden zahlreiche medizinisch genau definierte angeborene unddurch Krankheit erworbene Folgezustände benannt, die zur zwangsweisenSterilisation der Betroffenen führten.Ein Schreiben aus Hitlers Büro sollte als "Führerbefehl" die zehntausendfacheErmordung Behinderter durch Gas, Medikamente oder fehlerhafte Pflegerechtfertigen. Am 1.9.1939 schrieb Hitler: "Reichsleiter Bouhler und Dr. med.Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zubestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheil-bar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankenzustandes der Gnadentodgewährt werden kann."In der Tiergartenstraße 4 in Berlin wurde ein Organisationsnetz etabliert, das denpraktischen Ablauf der Massenmorde bis in die kleinsten Details regelte.In den Heil- und Pflegeeinrichtungen begutachteten ausgewählte Ärzte dieBehinderten dreimal. Es geschah, was Historiker später als "Selektion" bezeich-neten. Ein farbig markiertes Kreuz hinter dem Namen bedeutete den Tod.Vorläufig am Leben bleiben durften nur Arbeitsfähige, deren Arbeitskraft bis zum"Endsieg" auszubeuten war.Auf dem "Sonnenstein" in Pirna, einer von vier in Deutschland betriebenenTötungsanstalten, wurden bis 1941 mindestens 15.000 Menschen als "lebens-unwertes Leben" mit Gas ermordet. In die Gaskammer auf dem "Sonnenstein" inPirna schickten die Nazis aber auch Juden, die völlig gesund waren.Aus der Landesheil- und Pflegeanstalt Arnsdorf wurden über 2.000 Patienten indie Vernichtungsanstalt Pirna-Sonnenstein gebracht. 770 Patienten kamen übereinen Zwischenaufenthalt in Waldheim dorthin. Aus Großschweidnitz verlegteman über 3.200 Patienten nach Pirna. Alle wurden in der Gaskammer mitKohlenmonoxyd getötet, ebenso der größte Teil der 1940/41 aus Zschadrasverlegten 3. 515 Patienten.In einer Denkschrift über die Heil- und Pflegeanstalt der Inneren Mission Sachsenin Kleinwachau ist zu lesen: "Es war an einem Sonntag im Mai 1943, als wir allezum letzten Mal in unserer Kapelle zusammenkamen. Die Abschiedsfeier... ging

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uns allen sehr nahe. Nach der Feierstunde ging es hinaus auf den Hof. Dortstanden schon die Autobusse..."Achtzig Kinder und viele Erwachsene wurden an diesem Tag nach derLandesheilanstalt Großschweidnitz gebracht - für die meisten ist es die letzteFahrt; nur ein Kind hat das Grauen von Großschweidnitz überlebt.Die Nachforschungen in Großschweidnitz und Sonnenstein haben bisherergeben, daß über 100 Euthanasieopfer aus Kleinwachau kamen.

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Struktur der TötungsanstaltPirna-Sonnenstein

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Damit den Angehörigen diese Morde möglichst lange verborgen bleiben sollten,erfolgte eine raffiniert ausgeklügelte Verschleierung. Die gemeinnützige Kran-kentransportgesellschaft "GEKRAT" transportierte die selektierten Opfer zunächstvon einer Pflegeeinrichtung in die andere, ehe sie auf den "Sonnenstein" gebrachtwurden. Der Transport erfolgte in Kleinbussen, deren Scheiben überstrichen oderdurch Vorhänge dem Einblick entzogen waren.Kommunalverwaltungen und Standesämter gaben den Hinterbliebenen derErmordeten Falschinformationen über die Todesursache und stellten Falsch-beurkundungen aus. Dafür zwei Beispiele:Fräulein Erna Kriegel aus Löbau wurde aus Liebeskummer vorübergehendverhaltensgestört. 1934 wurde sie in die Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitzeingeliefert und im gleichen Jahr gegen den Widerstand der Eltern in Ebersbachzwangsweise sterilisiert. Obwohl sich trotz dieser Tortour ihre psychischeFestigkeit wiederhergestellt hatte, wurde sie unter der Fehldiagnose"Schizophrenie" wieder nach Großschweidnitz überstellt, am 7.8.1940 nachPirna-Sonnenstein transportiert und zusammen mit 84 weiblichen und 8 männ-lichen Kranken in der Gaskammer umgebracht. Wochen später erhielt der Vater,Franz Kriegel, die Mitteilung, seine Tochter Erna sei in Hartheim bei Linz anLungenentzündung gestorben.In Kummer und Leid ist Anna Frieda Lohse-Wächtler aus Dresden, eine vielseitigbegabte Malerin und Textilgestalterin, die auch plastische Bildwerke schuf,erloschen. Sie hatte in der wirtschaftlich unsicheren Situation der Künstlerinfolge der Weltwirtschaftskrise eine schwierige materielle Lebenssituation.Konflikte mit ihrem sehr dominant-konservativen Vater, eine unglückliche Eheund später eine Verletzung brachten diese sensible Künstlerin in eine extremschwierige Lebenslage.In der Landesheil- und Pflegeanstalt Arnsdorf wurde eine angebliche Schizo-phrenie "diagnostiziert". Trotz des Widerstandes der Eltern und Angehörigenwurde im Dezember 1935 im Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt an der jungenFrau die zwangsweise operative Sterilisation vorgenommen. Diese schwere, auchpsychische Verletzung und die erbärmliche, weit unter dem Existenzminimumverabreichte Anstaltskost führten zum Schwund ihrer Kräfte.Am 31.7.1940, in ihrem 40. Lebensjahr, wurde Anna Frieda Lohse-Wächtler aufdem Sonnenstein Pirna im Gas umgebracht. Den Eltern wurde in einem amtlichenSchreiben mitgeteilt, die Patientin sei nach Brandenburg verlegt worden. MitDatum vom 12.8.1940 wurde den Eltern die gefälschte Sterbeurkunde (sieheSeite 80) mit der Todesursache "Lungenentzündung, Herzmuskelschwäche"zugestellt.Mutige Einzelpersonen und Geistliche versuchten gegen diese Verbrechenanzugehen.Pfarrer Paul Gerhard Braune aus Arnsdorf schickte eine Denkschrift an Hitler, inder er darauf aufmerksam machte, daß in Arnsdorf die Anzahl der in der dortigenLandesheil- und Pflegeanstalt Verstorbenen innerhalb kurzer Zeit (1938-1940)

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von 101 auf über 300 pro Jahr angestiegen war. Der Geistliche wurde verhaftet.Am 3.8.1941 nannte der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, ineiner Predigt die Euthanasiepraxis der Nationalsozialisten Mord. Nur weil er eineinternational bekannte Persönlichkeit war, scheuten sich die NS-Machthaber,gegen ihn vorzugehen.Wegen fortgesetzter Proteste ordnete Hitler 1941 an, das Töten der Krankendurch Gas vorübergehend einzustellen.Statt dessen wurde der "Dämmerschlaf" praktiziert. Die Ärzte in denpsychiatrischen Einrichtungen setzten nun Schlafmittel, auch Morphium undScopolamin ein, um unruhige Kranke in Dämmerschlaf zu versetzen. Den durch

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Mangel- und Fehlernährung ohnehin stark geschwächten Menschen wurdenhohe Dosen dieser Medikamente verabreicht. Dadurch wurden die Schutzreflexe,wie Abhusten, unterdrückt, so daß schon leichte Erkältungsinfekte zu Lungen-entzündung und damit zum "natürlichen" Tod führten. Dieses heimtückischeVorgehen wurde in unserer Heimat in den Einrichtungen Arnsdorf, Groß-schweidnitz und Waldheim praktiziert. Allein in Großschweidnitz starben bisKriegsende 5.700 Menschen an Überdosen von Medikamenten oder der"Vitaminkur" und an den katastrophalen hygienischen Zuständen.Nach der Befreiung Deutschlands von der NS-Barbarei wurden in der damaligensowjetischen Besetzungszone die Täter, derer Polizei und Justiz habhaft werdenkonnten, vor dem Landgericht Sachsen angeklagt. Der Hauptangeklagte, Prof.Hermann Paul Nitsche, ist nicht nur für die Vergasung von mindestens 13.720Menschen in der Tötungsanstalt Sonnenstein verantwortlich. Er trägt als Ober-gutachter und medizinischer Leiter der "Aktion T 4" in der EuthanasiezentraleBerlin auch die Verantwortung für den gesamten ab 1940 organisiertenMassenmord von fast 120.000 wehrlosen Menschen in den Gaskammern. Er, derArzt Dr. Leonhardt und die Pfleger Felfe und Gäbler wurden am 20.12.1947 zumTode verurteilt. Das Urteil wurde vollstreckt. Ein Krankenpfleger erhieltlebenslang Zuchthaus, weitere sieben Angeklagte Freiheitsstrafen zwischen3 und 20 Jahren.Im jetzigen Sächsischen Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Arnsdorferinnert eine Gedenktafel aus dem Jahre 1984 an die Opfer der faschistischenEuthanasieverbrechen.

Nach 1990 wurde in Pirna das Kuratorium "Gedenkstätte Sonnenstein e.V."gegründet und eine würdige Gedenkstätte errichtet. In mühseliger Kleinarbeitwerden alle noch erreichbaren Dokumente und Urkunden der Forschungzugänglich gemacht.Am 19.10.1995 wurde im Epilepsiezentrum Kleinwachau vor dem Brunnenhausein Denkmal eingeweiht, das an die Euthanasieopfer erinnert, geschaffen von derBildhauerin Una Klose.

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Im Gedenkblatt “Den Opfern der Euthanasie aus Kleinwachau” 1940-1942 wird dazu geschrieben: Nurallmählich erschließt sich in der Betrachtung des Werkes, daß es zwei Figuren sind, gebeugt die eine, in sichgekrümmt wie in hilfloser Abwehr die andere, doch untrennbar miteinander verhaftet und so dieschicksalhafte Knechtschaft der Erkrankten deutlich machend. Spannungsgeladen, fast widersprüchlichaufstrebend dazu die Haltung der Beine und Füße. Diese Gegensätzlichkeit läßt uns erahnen, wie DämonEpilepsie die Befallenen explosionsartig in eine uns verschlossene Aura reißt, ehe er sie nur wenig später mitungeheurer Wucht zu einer konvulsiven Körpermasse verkommen läßt.

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Frau Silke Teuerle, Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit im EpilepsiezentrumKleinwachau, schreibt dazu:"Unser Denkmal ist den Opfern der Euthanasie gewidmet. Es ist Menschengewidmet, die kürzere oder längere Zeit in Kleinwachau gelebt haben, derenSchicksal lange in Vergessenheit geriet. Doch solange sich niemand dieserMenschen erinnert, bleiben sie vergessen, gedemütigt und verstoßen. Wir möch-ten mit dem Denkmal ein Zeichen setzen und die Erinnerung nach Kleinwachauholen.Diese Bronzeplastik soll auch ein Mahnmal sein und unser Gewissen wachhaltengegenüber offensichtlichen oder versteckten geistigen und sozialen Tendenzen,die das Lebensrecht behinderter, alter, andersdenkender oder irgendwie hilfs-bedürftiger Menschen in Frage stellen."

IV. Die Verbrechen im "Arbeitserziehungslager" der Sachsen-werk Licht- und Kraft AG 1944 / 45 -das dunkelste Kapitel in der Geschichte von Radeberg

Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlingein der Kriegsproduktion

Am 13. Januar 1941 hatte Hitler die totale Mobilisierung aller materiellen undpersonellen Ressourcen für den Endsieg, den "totalen Krieg" ausgerufen. Damitbegann die uferlose Radikalisierung des Krieges und des Alltagslebens. Dazugehörte auch die verstärkte Verschleppung von Ausländern zur Zwangsarbeit inder Kriegsproduktion in Deutschland. Im Herbst 1944 arbeiteten rund 7,8Millionen ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene in der deutschenWirtschaft, darunter etwa 2 Millionen aus der Sowjetunion und 1,7 Millionen ausPolen. Wenn auch die Gesamtzahl der ausländischen Arbeiter und Kriegs-gefangenen in Radeberg, Arnsdorf, Ottendorf-Okrilla und anderen Orten desRadeberger Umlandes in der Landwirtschaft und in Industrie- und Hand-werksbetrieben nur geschätzt werden kann, so ist die Zahl von 4.000 bis 5.000nicht übertrieben.Ihre Einstufung erfolgte strikt nach rassistischen Gesichtspunkten. Ganz amEnde standen jüdische, sowjetische und polnische Frauen und Männer. Deshalbwurden sie auf ihrer Kleidung mit dem Judenstern mit "Ost" oder "P" speziellgekennzeichnet. In einer Polizeiordnung vom 2. Oktober 1943 "Über das Ver-halten der Zivilarbeiter und -arbeiterinnen des polnischen Volkstums" warfestgelegt: Es ist verboten• den Aufenthaltsort und die Unterkünfte in der Sperrzeit zu verlassen• öffentliche Verkehrsmittel über den Ortsbereich hinaus zu benutzen

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• öffentliche oder private Fernsprecher zu benutzenund Fotoapparate zu besitzen

• öffentliche Einrichtungen und Veranstaltungen sowie Gaststätten zu besuchen• jeder Umgang mit deutschen Volksgenossen,

soweit es nicht im Hinblick auf den Arbeitseinsatz erforderlich ist.Alle Deutschen waren verpflichtet, der Ortspolizei jede Übertretung dieser Verbotezu melden, sonst drohte ihnen Verhaftung. In dieser Art gab es eine Vielzahl vonVerbotsvorschriften für die Zwangsarbeiter.

Im Sommer 1942 verhaftete die Gestapo die Frau des Schmiedemeisters PaulBerndt aus Kleinwolmsdorf bei Radeberg. Sie hatte die beiden Schmiedegehilfen,einen Polen und einen Sowjetbürger, mit an ihrem Tisch essen lassen. Frau Berndtmußte bei der Gestapo eine Erklärung abgeben, daß dies nie wieder vorkommenwerde. "Ostarbeiter haben einen Platz im Hausflur zu bekommen" wurde siezurechtgewiesen. Doch sie blieb wie manche andere Deutsche mutig undmenschlich. Sie aß weiterhin mit ihren Zwangsarbeitern an einem Tisch, ver-schloß aber um die Mittagszeit die Haustür.In einer Anordnung für die Betriebe der Elektroindustrie - auch für dasSachsenwerk Radeberg gültig - hieß es: "Es ist strengstens verboten, denRussen irgendwelche Zuwendungen zukommen zu lassen (Geld, Kleidungs-stücke, Getränke, Lebensmittel, Tabakwaren usw.)".

Über Vorgänge in Wallroda berichtet Fritz Zinke, damals ein Schuljunge:"Schon sehr zeitig nach Kriegsbeginn wurde die Turnhalle in Wallroda zu einemKriegsgefangenenlager umfunktioniert. Später wurden die Inhaftierten unterBewachung in der Landwirtschaft eingesetzt. Im Verlaufe der Zeit wurde diesesLager wieder geräumt und die Inhaftierten, zuletzt vor allem polnischeZwangsarbeiter, direkt in den Bauernhöfen untergebracht. Das geschah unterstarker Kontrolle des Staates. Kontrollgänger waren ständig zu sehen. DieseKontrollen waren oft mit körperlicher Züchtigung verbunden. An nicht wenigenTagen hörte man während solcher Kontrollgänge schmerzhafte Aufschreie vonMännern. Wenn diese Schreie aufhörten, sah ich auf dem nahegelegenenBauerngehöft die zum Teil uniformierten Kontrollkräfte wieder aus demPferdestall kommen. Wenn ich die Mißhandlungen auch nicht augenscheinlichsah, so war für mich bereits als Kind eindeutig, was da abgelaufen war".

Der überwiegende Teil der Zwangsarbeiter in Deutschland war in größeren undkleineren Lagern untergebracht. Auf dem Gebiet des "Dritten Reiches" gab es mehrals 20.000 solcher Einrichtungen. Viele waren direkt den Rüstungsbetriebenangeschlossen.

Die Errichtung des "Arbeitserziehungslagers" Radeberg

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Im System dieser Zwangseinrichtungen spielten die Arbeitserziehungslager mitKZ-ähnlichen Haftbedingungen eine besondere Rolle. Es gab etwa 80. Sie wurdenvor allem in der zweiten Hälfte des Krieges eingerichtet, ein Lager davon inRadeberg. Die Einweisung erfolgte durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo).Durch härteste Arbeit und unmenschliche Haftbedingungen sollte zugleich einAbschreckungseffekt erreicht werden. Für "unverbesserliche" Häftlinge warentweder die Einweisung in größere Konzentrationslager oder die Todesstrafevorgesehen.Die "Sachsenwerk Licht- und Kraft-AG" war mit den beiden Konzernbetrieben inDresden-Niedersedlitz und in Radeberg völlig in die Kriegsproduktion integriert.Mit Stolz schrieb der "Betriebsführer" Gustav Wrede in seinem Geleitwort für dasJahr 1942: "Wir aber in der Heimat geloben der Front aufs Neue, ihr weiterhin diebesten Waffen zu schmieden, Waffen, an denen auch der letzte Feind zerbricht."Wrede wurde bereits 1938 zum Wehrwirtschaftsführer ernannt. Diese Aus-zeichnung erhielten Wirtschaftsmanager für herausragenden Einsatz in derRüstungsindustrie.

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Wrede verstarb 1943. Sein Nachfolger, Dr. Kunze, wurde noch im Dezember 1944mit dem Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.

Bereits vor der Errichtung des "Arbeitserziehungslagers" waren hunderte aus-ländische Zwangsarbeiter im Sachsenwerk eingesetzt. Im August 1943 waren esrund 800, davon 611 Sowjetbürger, weiterhin Tschechen, Franzosen und Belgier.Diese ausländischen Arbeitssklaven waren in Radeberg vornehmlich im soge-nannten "Freien Ostarbeiterlager" und in einzelnen anderen Baracken fürZwangsverschleppte aus westeuropäischen Ländern untergebracht. Daneben gabes das "Fürsorge-Erziehungslager" in der Sportplatzbaracke an der Schillerstraße.Dort wurden Minderjährige ebenso wie die Zwangsverschleppten zu schwererkörperlicher Arbeit mißbraucht.

Das dritte Lager, auf das nun näher einzugehen ist, war das "Arbeits-erziehungslager".Mit dem Übergang zum totalen Krieg stiegen die Anforderungen an dieRüstungsindustrie enorm. Zusätzliche Arbeitskräfte waren erforderlich. Deshalberhob die Leitung des Sachsenwerkes Radeberg eine entsprechende Forderung.Ende 1943 teilte das Arbeitsamt mit, daß bei der Gestapo in Dresden Häftlinge mitkurzzeitigem Freiheitsentzug für den Einsatz in Radeberg zur Verfügung stehenIn den ersten Monaten des Jahres 1944 wurden die Vorbereitungen für die

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Dr. Kunze - Auszeichnung mit dem Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse

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Aufnahme der Häftlinge getroffen. Dabei spielte der Altnazi Lindenkreuz, einführendes Mitglied der Werkleitung des Sachsenwerkes Radeberg, eine wichtigeRolle.Am 31. Juli 1944 befanden sich einschließlich der Wachmannschaften 110 Per-sonen im "Arbeitserziehungslager". Die Häftlinge waren Zwangsarbeiter, dergrößte Teil aus der Sowjetunion, Polen und der Tschechoslowakei, weiterhin ausBelgien, Bulgarien, Norwegen, Holland, Frankreich, Italien, Rumänien, Ungarnund Deutschland. Sie waren wegen politischer Vergehen, Arbeitsverweigerungund anderer angeblicher Verstöße gegen bestehende Verordnungen verurteilt.Unter den Häftlingen befand sich eine Gruppe bulgarischer Studenten. Am16. November 1944 hatte die Gestapo diese 18 bulgarischen Studenten an der THDresden verhaftet und nach intensiven Verhören in das "Arbeitserziehungslager"Radeberg eingewiesen. Der politische Hintergrund: Am 9. September 1944 hattein dem Balkanland ein Volksaufstand die monarcho-faschistische Regierunggestürzt. Daraufhin hatte sich eine Exilregierung mit dem Ziel gebildet, mitmilitärischen Mitteln in Bulgarien wieder ein hitlerhöriges Regime zu errichten.Auch diese 18 Studenten sollten sich an der "Befreiung" Bulgariens beteiligen.Weil sie dieses Ansinnen ablehnten, wurden sie verhaftet. Kojtscho Kojtschewund Wassil Ditschew starben an der brutalen Behandlung, an Hunger undEntkräftung im "Arbeitserziehungslager". Die überlebenden 16 Bulgaren wurdenAnfang März 1945 in das KZ Buchwald verschleppt. Nur sieben von ihnenerlebten die Befreiung am 16.4.1945.

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Fünf ehemalige bulgarische Häftlinge, die 1965 Radeberg besuchten.

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Unmittelbar nach dem Terrorangriff auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945kamen zunehmend auch deutsche Antifaschisten, die vorher in Konzen-trationslagern oder Zuchthäusern inhaftiert waren, in das Radeberger "Arbeits-erziehungslager". Zu ihnen gehörten der Dresdner Graphiker Herbert Gute, KurtZechel aus dem Kurort Hartha, Oskar Mai aus Dresden, Martha Bohne und BettiEngelbee aus Ottendorf-Okrilla.Die Häftlinge, Männer und Frauen unterschiedlicher nationaler und sozialerHerkunft, religiöser und politischer Überzeugung und Motive, vereinte ihreantifaschistische Gesinnung und ihr Widerstand gegen die NS-Barbarei.Die Leitung der Gestapo setzte im Lager als Aufseher SS-Schläger ein. In derAnklageschrift im Radeberger Prozeß, der 1945 gegen Mitglieder des Wach-personals durchgeführt wurde, wird der Lagerführer, Polizeirat und Sturm-bannführer Ullrich, als ein "vollkommen skrupelloser Mensch charakterisiert, derkeine Rücksicht kannte und lediglich auf sein Wohlergehen bedacht war".

An der Seite von Ullrich stand der Lagerkommandant, Kriminalsekretär undUntersturmführer Joch. Über ihn heißt es: "In Selbstsucht und Gemeinheit ist erseinem Vorgesetzten gleich."Mit Vollzugs- und Befehlsgewalt war Oberwachtmeister der Schutzpolizei ErnstSchneider, der "brutalste Peiniger im Lager", ausgestattet. Meist gaben die erstenbeiden die Befehle zu Bestrafung, Knechtung oder Ermordung der Häftlinge,Schneider war für die Ausführung verantwortlich.Neben der Gestapo-Abteilung und der Lagerverwaltung fungierte im Lager eineSchutzpolizeiabteilung (Schupo) von 10 12 Mann. Die Anklageschrift bezeichnetdie Schutzpolizisten Goldammer, Schelenz, Frings und zwei Volksdeutsche,"Friesen" genannt, als die brutalsten Mörder im Lager. Die SchutzpolizistenEpping, Härich und Teich stand ihnen nicht viel nach .

SS-Sturmbannführer UllrichSS-Untersturmbannführer Joch

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Als Lagerarzt fungierte der SS-Offizier Dr. Thieme. Dem Lagerarzt, einem Mörderim weißen Kittel, standen 40 deutsche Soldaten aus dem Strafgefängnis Torgau,die zu lebenslänglicher Haft verurteilt waren, für "medizinische Versuche" zurVerfügung. Mit ihrem Leben schaltete und waltete er, wie er wollte.

Die Hauptverantwortung für das Lager trug die Dresdner Geheime Staatspolizei(Gestapo). Seit Februar 1945 hatte sie im Sachsenwerk eine Außenstelleeingerichtet, die Kriminalsekretär Friedrich Beyerlein leitete. Lagerführer Ullrichund Lagerkommandant Joch standen mit der Gestapo ständig in Verbindung.Beyerlein und seine Mitarbeiter waren für das Lager und für die Stadt Radebergund ihre Umgebung zuständig.Das Lager (siehe Seite 90) bestand aus zwei Baracken von 40 m Länge und warmit Stacheldraht eingezäunt. Die Hälfte einer Baracke diente als Wachlokal,Verwaltung und Krankenabteilung.Anfänglich war das Lager für 300 Häftlinge gedacht, doch bald betrug dieBelegung zwischen 400 und 600, zuweilen bis 800 Häftlinge. Die dreistöckigenSchlafstellen reichten bei weitem nicht aus. Häufig mußten zwei Häftlinge dengleichen Schlafplatz benutzen. Am Anfang gab es zwei dünne Decken, später nureine. Viele zerschnitten diese zu zusätzlichen Kleidungsstücken, denn die ihnenzugeteilte "Kleidung", Hose, Rock, Mütze, Holzschuhe, war mehr als dürftig.Unterwäsche gab es nicht. Da im Winter 1944/1945 kaum Heizmaterialvorhanden war, mußten die Häftlinge Teile ihrer Schlafstellen und Schlafsäckeverheizen.Den Häftlingen stand wenig Wasser zum Waschen zur Verfügung. Seife undHandtücher gab es nicht. Bald strotzte die Unterkunft vor Schmutz undUngeziefer. Die Verpflegung war völlig unzureichend: morgens zwei dünneScheiben Brot mit etwas Marmelade, mittags ¾ Liter Suppe mit Kohlrüben,

SS-Offizier Dr. Thieme

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Kartoffeln oder Nudeln, abends wieder eine Doppelschnitte Brot, dünn mitMargarine beschmiert, dazu Tee oder eine Wassersuppe. Der allgemeineKörperzustand der Häftlinge verschlechterte sich zusehends, zumal viele ausanderen Lagern oder Gefängnissen schon ausgemergelt nach Radeberg gekom-men waren.

.

Die Gefangenen arbeiteten in Tages- und Nachtschichten vor allem imSachsenwerk, aber auch bei der Fa. Eschebach, auf Baustellen und in anderenBetrieben unter strenger Aufsicht des Wachpersonals. Die Arbeitszeit betrugWerktag wie Sonntag 10 bis 12 Stunden, dazu oft Überstunden. Der Stundenlohnwar zwar mit 42 Reichspfennigen festgelegt, wurde aber nie an die Häftlingeausgezahlt. Allein in 5 Monaten unterschlug die Gestapo ca. 300.000 Reichs-mark.

Hunger, Schläge, Krankheiten, Morde ..

Diese dargestellte Lagerskizze wurde 1965 von Eberhard Wehner und Wolfgang Behrens angefertigt.Sie ist nicht maßstabsgerecht. Zum Verständnis für den Leser: der rechte Teil der Juri-Gagarin-Str. istheute die Robert-Bosch-Str., die Wilhelm-Pieck-Str. (früher Fr.-Ebert-Str.) wurde in Heidestr.umbenannt. Auf dem Gelände des ehemaligen Sportplatzes ist nach 1945 eine Kleingartenanlageentstanden. Zwischen dem ehemaligen Sportplatz und dem damaligen AE-Lager führt heute dieAdolph-Kolping-Str. und zwischen Sportplatz und den damaligen Lagerbaracken 3, 4 und 5 dieFerdinand-Freiligrath-Str.

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Am Arbeitsplatz gab es häufig Mißhandlungen, dabei taten sich bestimmteVorarbeiter und Meister, oft Mitglieder der NSDAP, besonders hervor.Der Graphiker Herbert Gute schilderte aus eigenem Erleben. "Ein Schlag vonhinten trifft meine Schulter. Hiebe prasseln, dann spüre ich nichts mehr. Als ichwieder auf den Füßen stehe, schmecke ich Blut. Werkspolizisten, den Gummi-knüppel in der Hand, halten mich fest. Einer der Faschisten schreit nach demVorarbeiter. Der taucht hinter einer Maschine auf: 'Der Lump hier arbeitet ohnejede Pause bis heute abend, zu fressen kriegt er nichts mehr, verstanden!' DerVorarbeiter nickt. Der weiße Kittel mit dem Hakenkreuz rauscht ab samt seinerWerkspolizei."Wer das Arbeitspensum nicht schaffte - ob Mann oder Frau - wurde bestraft mitGummiknüppelschlägen, Essensentzug oder Zwangsarbeit in der Wohnbaracke.Meister oder Vorarbeiter gaben der Wachmannschaft einen Zettel mit der Nummerdes Häftlings, die dem betroffenen Häftling dann 10 oder mehr Schläge erteilte.

In einem Vernehmungsprotokoll vom 14. Juli 1945 ist festgehalten:"Wer in der Nachtschicht vor Hunger nicht mehr arbeiten konnte oder wem dieAugen zufielen, der wurde früh bei Arbeitsschluß mit einer Handschelle an dasFenstergitter gekettet. Das wurde selbst bei strenger Kälte durchgeführt, so daßder Häftling vollkommen durchgefroren und blau angelaufen war. Die Er-kältungen waren meist so schwer, daß der Betroffene nach wenigen Tagenverstarb."

Aus einem anderen Vernehmungsprotokoll ist zu erfahren:"Die Abteilungsleiter Rinnelt, Lippert und Gruhl haben sich durch fortgesetzteMißhandlungen der politischen Häftlinge sehr hervorgetan. Auftraggeber war derObermeister Karl Thor, der sehr ehrgeizig veranlagt war und von der Direktionsehr gelobt wurde." Thor war bereits 1940 mit dem Kriegsverdienstkreuzausgezeichnet worden.

Die außerhalb des Sachsenwerkes eingesetzten Häftlinge wurden mit Hand-fesseln an ihre Arbeitsstellen getrieben. Viele Häftlinge litten infolge dererbärmlichen Kost unter schwerem Durchfall und mußten öfter den Abortaufsuchen. Wer mehrere Male kam, erhielt Schläge, weil er zu faul zur Arbeit sei.Das Resultat waren 10 Tote.Am 19. Februar 1945 schrieben Mitglieder der Betriebsleitung der Eschebach-werke folgenden Brief an die Schutzpolizei Radeberg:"Der französische Zivilarbeiter Bray, Aimable, geboren am 1.1.1915 in Saint enGohette, wird in unserer Abteilung Dreherei als Revolverdreher beschäftigt.Genannter betreibt bewußt Sabotage, indem er zum Arbeitsbeginn früh laufend1 bis 1½ Stunden später erscheint und sich außerdem noch während derArbeitszeit stundenlang von seinem Arbeitsplatz entfernt. Trotz mehrmaligerVerwarnung durch den aufsichtsführenden Meister sowie durch die Betriebs-

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leitung und Lagerführung ändert Bray sein Verhalten nicht und bummelt weiter.Bei der letzten Verwarnung durch den Lagerführer nahm Bray sogar einedrohende Haltung gegen diesen ein. Zur Aufrechterhaltung der Arbeitsdisziplinunter den bei uns beschäftigten ausländischen Arbeitern bitten wir Sie, denGenannten dem Arbeitserziehungslager Radeberg zuzuführen, damit ihm vondortiger Stelle entsprechende Erziehung zuteil wird."Wie diese "entsprechende Erziehung" aussah, geht aus einem anderen Dokumenthervor. Dort ist registriert, daß am 2. März 1945 vier Häftlinge erschossen wordensind: Die drei Sowjetbürger Michail Kudritzki, Piotr Trotzko, Michail Lossa undder Franzose Aimable Bray.

Mißhandlungen der Lagerinsassen waren an der Tagesordnung. Die Wach-mannschaft war mit Gummiknüppeln und anderen Schlaginstrumenten aus-gestattet und schlug oftmals auf die Häftlinge ein, z.B. wenn einer später alsangeordnet zum Morgen- oder Abendappell kam. Nicht wenige Häftlinge holtensich bei diesen Zählappellen in Wind und Wetter den Rest, denn sie waren nurdürftig bekleidet und gesundheitlich stark angeschlagen. Abends veranstaltetenunbeschäftigte Wachleute zu ihrem Vergnügen regelrechte Prügelorgien. Häft-linge mußten sich über den Tisch oder einen Schemel legen, und der Wachmannverabreichte ihnen dann Schläge auf das Gesäß. Diese Zustände im Lager undwährend der Arbeitszeit führten zu einer immer rascheren Verschlechterung desGesundheitszustandes der Häftlinge und schließlich bei vielen zum Tode. In dennoch vorhandenen Totenlisten werden für die Monate Juli bis Dezember 1944 alsTodesursachen Herzschwäche, Pneumonie, Nephritis, Hirnblutung und andereKrankheitserscheinungen genannt. Doch diese und andere Todesursachen setzteder Lagerarzt oft ein, obwohl diese Häftlinge in Wirklichkeit erschossen wordenwaren. Zu keiner Zeit der Geschichte Radebergs wurden in wenigen Monaten soviele Menschen umgebracht, wie von August 1944 bis April 1945 im "Arbeits-erziehungslager" des Sachsenwerkes.Unmittelbar nach dem Ende der NS-Herrschaft wurde eine Kommission zuUntersuchung der Verbrechen in diesem Lager eingesetzt. Sie arbeitete unter derVerantwortung des Leiters der Kriminalpolizei Dresden, Franz Dobermann. DieKommission gibt 422 ermordete Häftlinge an, doch die genaue Zahl derumgekommenen Häftlinge ist kaum exakt zu ermitteln.Mit Sicherheit ist mehr als die Hälfte der Todesopfer durch Genick- und Kopf-schüsse umgebracht worden. Das beweisen die Freilegungen von 12 Massen-gräbern im Sachsenwerkgelände sowie an der Friedhofsmauer und die ärztlichenUntersuchungen der Leichen.Einige der 1945 exhumierten Leichen stammten nicht aus dem "Arbeits-erziehungslager". Diese Häftlinge waren von der Gestapo aus Dresden undanderen Orten zur Hinrichtung nach Radeberg gebracht worden. In den meistenFällen waren die Namen der Opfer von der Gestapozentrale in Dresden oder derenBeauftragten im Sachsenwerk, z.B. von Kriminalsekretär Beyerlein, vorgegeben

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Bilder des Grauens

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worden. In der Anklageschrift wird ausgewiesen, daß "meistens ein Motorrad-fahrer oder ein Personenkraftwagen mit einem Schreiben der Gestapo nachRadeberg kam".

Zum Erschießungskommando gehörten die Schutzpolizisten Goldammer,Schelenz, Frings u.a. Bei seiner Vernehmung im Jahr 1945 sagte derSchutzpolizist Frings aus, daß allein im März und April 1945 über 200 Häftlingeerschossen wurden. Der Schutzpolizist Schelenz gab an, bei den meistenErschießungen zugegen gewesen zu sein. Frings hat 22, Schelenz 28 Häftlingepersönlich erschossen. Die Erschießungen gingen in den meisten Fällen vonLagerführer Ullrich oder Lagerkommandant Joch aus. Sie bestellten dasErschießungskommando zu sich und gaben den Befehl, die ausgesuchtenHäftlinge außerhalb des Lagers umzubringen. Die betreffenden Gefangenenmußten auf dem Hof antreten. Je zwei oder drei wurden mit Handschellenaneinander gefesselt und in das naheliegende Wäldchen geführt. Manchmalerfolgte die Erschießung sogar im Lager. Die zur Hinrichtung geführten Häftlingewaren mitunter so schwach, daß sie nicht mehr allein gehen konnten.Die Erschießung erfolgte im Laufen hinterrücks, im Liegen oder in einer Grubedurch einen Schuß in den Hinterkopf. Unmenschlichste Brutalität zeigt folgenderVorfall: Während der Erschießung rief einer der Häftlinge: " Ich bin noch nicht tot".Er bekam einen zweiten Schuß. Das Wachpersonal verscharrte die Leichen in denvorbereiteten Gruben notdürftig. Anschließend wurden die Namen der Ermor-deten aus den Lohn- und Verpflegungslisten gestrichen.

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Erschüttert stehen die Angehörigen von Radeberger Betrieben vor den Opfern faschistischer Verbrechen.

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Auch in diesen Fällen setzte der Lagerarzt Dr. Thieme an Stelle der wahrenTodesursache oft "Tod infolge Herzschlag", "Lungenentzündung" oder andereTodesursachen ein. Die meisten Leichen hat er gar nicht begutachtet.

Beispiele aus der Liste der im "Arbeitserziehungslager" Radeberg umge-kommenen Häftlinge:51. Koranek, Jiri, geb. 1924 in Kürschau CSR, Todesursache "Herzschwäche”56. Ramsdonk, Pieter, geb. 1923 in Gouda, (Holland),

Todesursache "Lungenentzündung”148. Zechel, Kurt, geb. 1900 in Hartha/Sachsen, Todesursache "Herzschwäche”213. Romanowsky, Adam, geb. 1920 in Oschnjanka (Sowjetunion),

Todesursache "Herzschwäche”265. Spano, Espodito, geb. 1909 in Gallipolo (Italien), Tod durch Erschießen272. Bleijc, Hilda, geb. 1919 in Trifel (Tschechoslowakei), Tod durch Erschießen311. Szklarek, Adam, geb. 1926 in Kalisch (Polen), Tod durch Erschießen315. Dhon, Robert, geb. 1919 in Nanterre (Frankreich), Tod durch Erschießen329. Vanheske, Willi, geb. in Ostende (Belgien), Todesursache "Herzfehler",

Embolie linker Unterschenkel

Aus der Anklageschrift des "Radeberger Prozesses":"Mitte April 1945 sind 29 Häftlinge erschossen worden, davon hat Schelenz sechsumgelegt. Den Befehl dazu hatte der Obersturmführer Becher aus Dresden erteilt,der von der Gestapostelle ins Lager gekommen war, um Joch zu vertreten. Eshandelte sich durchweg um Polen, die erst einige Tage vorher aus einemauswärtigen Lager in das "Arbeitserziehungslager" gekommen waren. Gold-ammer kannte dieses Lager und auch einige der Leute.Schneider hatte angeordnet, daß einige Wachleute, unter ihnen Härich, einenKordon um das Wäldchen bilden sollten, weil er befürchtete, daß wiederGefangene ausreißen könnten. Er hatte deshalb die Waldränder mit Postenbesetzt. Die 29 Mann waren zu je drei gefesselt und mußten sich im Wäldchenangezogen hinlegen... Die ersten beiden Reihen wurden von Schelenz erschossen.Einige Tage später erteilte der Lagerkommandant Ullrich Befehl, in einer leerenBaracke 35 Häftlinge zu erschießen. Ullrich hatte Schelenz mit in die Barackegenommen, wo das übrige Erschießungskommando bereitstand. Die Gefangenenlagen schon gefesselt nebeneinander. Sie waren dermaßen schwach und elend,daß sie nicht mehr nach dem Wäldchen hätten gehen können. Ullrich gab denBefehl zur Erschießung, indem er sich in die Mitte der Baracke stellte undkommandierte: "Nun los!" Schelenz hat vier bis fünf Mann getroffen. Bei demLetzten will er daneben in die Wand geschossen haben, weil es ihm zuwiderwurde. Die Leichen wurden dann auf einen Anhänger geladen und in die

Massenerschießungen

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Sandgrube gefahren. Als der Anhänger dort ankam, kam ein von Schneidergeführter Pferdewagen, auf dem sich drei männliche und drei weibliche Häftlinge,wohl aus dem Bautzner Gefängnis, befanden. Goldammer ließ die Männer vondem Wagen heruntersteigen und tötete einen völlig erschöpften und offen-sichtlich kranken Mann durch Genickschuß. Die Mädchen wurden von Frings undGoldammer erschossen".

In seiner Vernehmung sagte der Schutzpolizist Schelenz über die Erschießungdieser 35 Häftlinge aus:"Ullrich kam zu mir: 'Los, rüber in die Baracke, die werden alle umgelegt'. Ich gingin die Baracke, traf Goldammer, Frings und zwei andere. Wahrscheinlich hatteGoldammer schon vorgearbeitet, denn die Häftlinge lagen der Reihe nach auf demErdboden. Auch hier wieder dasselbe Bild: Ein Weinen, Beten und Betteln umGnade... Wir hatten alle unsere Pistolen in der Hand... Ich habe fünf Häftlingeerschossen. Wir haben die Leichen auf den Anhänger verfrachtet. Darüber wurdeeine Plane gelegt... Der Wagen fuhr an die Grube, Goldammer warf die Leichenherunter, und wir haben sie dann zugescharrt".

Einige Tage zuvor wurden 18 Häftlinge erschossen, 15 Männer verschiedenerNationalität, eine Polin, eine Französin und eine Deutsche. Die drei Frauenwurden umgebracht, weil sie mit deutschen Soldaten Verkehr gehabt habensollen. Diese drei Soldaten hat der Lagerarzt Dr. Thieme persönlich erschossen.Die 15 Männer wurden zu dritt gefesselt, in das Wäldchen geführt. Schelenz,Frings, Goldammer und Schneider gingen hinter ihnen her. Sie mußten sichhinlegen und wurden von hinten erschossen. Schelenz hat vier getötet. Vor derErschießung hatten sich die männlichen Gefangenen, soweit sie noch brauchbareSachen hatten, nackt ausziehen müssen. Nachdem die Leichen in der Grube mitSand zugedeckt waren, mußten sich die drei Frauen an den Ecken der Grube aufdie Sandschicht legen, unter der die Leichen der soeben erschossenen Männerlagen. Schelenz will keines von den Mädchen erschossen und eine Ladehemmungvorgetäuscht haben. Eines der drei Mädchen hat Frings, die beiden anderenGoldammer erschossen.

Auszüge aus dem Vernehmungsprotokoll:Schelenz: "Wir sollten drei Mädel, eine Deutsche mit Namen Hansi, eine"Volksdeutsche" und eine Französin nach dem Wäldchen bringen, um sie zuerschießen... Goldammer gab Anweisung, daß sich die Mädchen ausziehensollten. Nach einigem Sträuben und Wehren haben sie sich ausgezogen.Goldammer riß der Hansi noch das Hemd vom Leibe. Er versuchte auch, uns zuverleiten, mit den Mädels vorher noch Dummheiten zu machen. Er selbst packtedie Hansi an den Brüsten... Das Mädel schrie und weinte: 'Ach bitte, laßt michdoch leben!' Aber Goldammer erledigte sie durch Genickschuß. Sie fiel, wie auchdie anderen zwei, auf die bereits vorher erschossenen Männer."

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Als letzte Daten werden in den Totenlisten der 24. und 25. April 1945 genannt. AlsTodesursache wurden "Schußverletzung", "Verblutung" und mehrfach "unbe-kannt" eingetragen. Die letzten Opfer waren Sowjetbürger namens W. Matwejew,E. Gontschar, M. Tolstona, K. Sidowrok und W. Jaruschuk.

Im Chaos der letzten Kriegstage Ende April bis zum 8. Mai 1945 lösten sich wieüberall auch in Radeberg und Umgebung die Fremdarbeiter- und Kriegs-gefangenenlager auf. Die Insassen versuchten, in Verstecken, auch mitUnterstützung deutscher Einwohner, die letzten Tage vor der Befreiung zuüberleben, oder sie begannen, sich in ihre Heimat durchzuschlagen. In denturbulenten Tagen des Kriegsendes mußten das einige noch mit ihrem Lebenbezahlen.Der Haß über die von Deutschen erlittenen Mißhandlungen führte manche Häft-linge in den Tagen nach ihrer Befreiung zu Gewalttaten gegenüber Deutschen.Ein Teil der Häftlinge des "Arbeitserziehungslager" Radeberg wurde nach Dresdentransportiert - ihr Schicksal ist unbekannt - manchen gelang es, zu fliehen.Lagerführer Ullrich und Lagerkommandant Joch sowie seine Komplizen Schnei-der und Goldammer flohen nach dem Westen Deutschlands.

Der ehemalige Häftling Herbert Gute schreibt:"Ich war 6½ Jahre in deutschen Zuchthäusern und Gefängnissen. DasSchlimmste, was ich erlebt habe, war das "Arbeitserziehungslager" Radeberg. DieZustände in Radeberg überstiegen alles, was wir durchgemacht hatten. Mankonnte sich ungefähr ausrechnen, wann und wie man zugrunde ging. EinHäftling, der mit mir eingeliefert worden war, verstarb nach zwei Tagen infolgeder schlechten Behandlung. Es gab weder Decken, Seife noch Handtücher, und imAbortraum lagen die Leichen, die Merkmale schwerer Mißhandlungen trugen.Wegen Kleinigkeiten wurden die Häftlinge geschlagen, wobei sie über einenSchemel gelegt und an Kopf und Händen festgehalten wurden. Dabei wurdenöfters 50, 60 und 75 Schläge ausgeteilt, so daß es vorkam, daß Häftlinge an denFolgen dieser Schläge binnen drei Tage gestorben waren.”

Das Schlimmste: Das "Arbeitserziehungslager" Radeberg

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Professor Herbert Gute weihte im Mai 1965 den Gedenkstein auf dem Gelände desehemaligen "Arbeitserziehungslagers" am Robert-Blum-Weg ein. Er bat die Ein-wohner von Radeberg, alles zu tun, damit der Frieden festen Fuß fassen kann.

Es ist kein Zufall, daß das "Arbeits- und Erziehungslager" Radeberg auf Antragder Sachsenwerk AG Radeberg, eines AEG-Betriebes, eingerichtet wurde. Derauch hier praktizierte Grundsatz: "Vernichtung durch Arbeit" kostete in ganzDeutschland Millionen Menschen das Leben. Neben den Riesengewinnen aus derenormen Kriegsproduktion, brachte er den Konzernen zusätzliche Profite, andenen das Blut der ermordeten Häftlinge klebt.Die Sachsenwerk AG hatte alles versucht, in der Öffentlichkeit die Existenz desLagers mit dem demagogischen Begriff "Arbeitserziehung" zu begründen und diemenschenunwürdigen Verhältnisse und die Verbrechen in diesem Lager vor derBevölkerung zu verheimlichen. Dennoch drang einiges nach außen, konnte aberwegen des Terrors der Nazis nur unter Lebensgefahr weitergetragen werden.Als am 8. Mai 1945 sowjetische Einheiten die Stadt und das Radeberger Landbefreit hatten, machten Arbeiter aus der Sachsenwerk AG und Radeberger Frauenund Männer die verantwortlichen Kräfte der Stadt darauf aufmerksam, daß auchin der Röderstadt ein Arbeitslager existiert haben mußte. Sie erzählten vonungewöhnlichen Leiterwagentransporten, die nicht selten Blutspuren hinter-lassen hatten und auf dem Wege zur Friedhofsmauer beobachtet worden waren.Mancher hatte Schreie und Schüsse im Gelände des Werkes gehört. VerschiedeneRadeberger hatten Häftlingen unter Einsatz ihres Lebens heimlich Lebensmittelzugesteckt. Die Möglichkeiten der Hilfe waren gering gewesen. Nunmehr unter-stützten diese Einwohner die Kommission der Kriminalpolizei bei ihren Ermitt-lungen über das Lager.

“Das haben wir nicht gewußt und nicht gewollt!"

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Der "Radeberger Prozeß" vom 25. September bis 2. Oktober 1945, der erste dieserArt in Deutschland, deckte diese Verbrechen auf. Das Bekanntwerden der NS-Verbrechen führte bei der Mehrheit der Bevölkerung zu Bestürzung undErschrecken. Viele sagten: "Das haben wir nicht gewußt!" und "Das haben wirnicht gewollt!".Aktivitäten der Radeberger Stadtverwaltung, der Ortsgruppen der KPD, der SPDund anderer Parteien, die Besichtigung der freigelegten Massengräber,Versammlungen, Berichte in der "Volkszeitung" und der "Volksstimme",Anteilnahme an der feierlichen Beisetzung der Opfer am 20. Juli 1945 an derPulsnitzer Straße trugen dazu bei, daß sich die Mehrzahl der Einwohner nicht nurvon den Verbrechen distanzierte, sondern sich der Forderung anschloß, denFaschismus in Deutschland mit der Wurzel auszurotten und eine anti-faschistische, demokratische Gesellschaft aufzubauen.

Es gab aber auch Stimmen wie: "Es waren ja nur Ausländer!" oder "Die kleinenVerbrecher sollen nicht so hart bestraft werden." Solche und ähnliche Auffas-sungen drückten nicht die allgemeine Meinung in Radeberg aus.

Feierliche Beisetzungder Opfer aus 12 Nationenam 20. Juli 1945 an derPulsnitzer Straße

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Gedenkstein - Ehrenhain Pulsnitzer Straße

Die Todeslisten weisen aus, daß die Särge der Widerstandskämpfer in dreiReihen, jeweils zwei übereinander (in den Todeslisten als 1. und 2. Tiefegekennzeichnet), eingeordnet sind.Zum Beispiel:Koitscheff, Kotscho und Ditscheff, Wassil jeweils 1. Tiefe, Reihe 1Bray, Aimable, 1. Tiefe, Reihe 2Zechel, Kurt, 1. Tiefe, Reihe 3Mai, Oskar, Gemeinschaftsgrab

Außerdem befindet sich auf dem Gelände des Ehrenhains ein größeres Gemein-schaftsgrab.Auf Bitten der Regierungen und antifaschistischer Verbände Frankreichs,Hollands und Belgiens wurden 29 Tote am 25. Mai 1949 aus diesen Ländernexhumiert und in ihre Heimat überführt.

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V. Vor dem Kriegsende:NS-Durchhaltepolitik in Wort und TatVerweigerung und antifaschistischer Widerstand

Kampf bis zum Letzten...

Am 18.2.1943 inszenierte Reichspropagandaminister Goebbels im BerlinerSportpalast eine Großkundgebung. Eine handverlesene Zuhörerschaft, die dasdeutsche Volk repräsentieren sollte, war geladen.Goebbels hielt eine Rede, die er von allen Sendern des Reichsrundfunksübertragen ließ. Seine Stimme ertönte auch aus tausenden Volksempfängern inRadeberg und in umliegenden Orten. Nach der Niederlage der deutschenWehrmacht in der Schlacht um Moskau und nach der Tragödie von Stalingrad,der Wende im 2. Weltkrieg, wollte Goebbels einen Stimmungsumschwung inDeutschland herbeiführen. Vor allem sollte diese Großkundgebung zu einer Art"Volksentscheid für den totalen Krieg" werden. Sie sollte die nun im Zeichen destotalen Krieges nun folgenden Verbrechen vorher legitimieren.Pathetisch-beschwörend stellte Goebbels an die Zuhörer sich ständig steigerndeFragen und forderte ihre Antwort:"Seid Ihr entschlossen, den Führer in Erkämpfung des Sieges durch dick und dünnund unter Aufnahme auch der schwersten persönlichen Belastungen zu folgen?""Seid Ihr bereit, wenn der Führer dies befielt, zehn, zwölf und wenn nötig,vierzehn und sechzehn Stunden täglich zu arbeiten und das Letzte herzugebenfür den Sieg?""Wollt Ihr den totalen Krieg? Wollt Ihr ihn, wenn nötig, noch totaler und radikaler,als wir ihn uns heute überhaupt vorstellen können?""Seid Ihr damit einverstanden, daß, wer sich am Kriege vergreift, den Kopfverliert?"Auf jede Frage antworteten die Teilnehmer der Kundgebung mit frenetischemBeifall, der nach jeder Frage immer stärker wurde. Auf die letzte, geradezuperverse Frage, folgte ein minutenlanger Sturm der Begeisterung.Mit dem frenetischen "Ja" im Berliner Sportpalast und mit der aktiven oderpassiven Zustimmung der meisten Deutschen war ihre Mitschuld an den nunfolgenden Verbrechen unübersehbar.In den letzten beiden, den schlimmsten und opfer- und zerstörungsreichstenKriegsjahren erfuhr dann jeder, was totaler Krieg bedeutete. Er erreichte in derAgonie des Dritten Reiches seinen Höhepunkt.Als der Krieg auf deutschen Boden zurückkehrte, verschärften die NS-Machthaberden Terror gegen alle, die das Ende des Völkermordens und den Friedenherbeisehnten. Im März 1945 erhielt die Polizei den Befehl, alle "asozialen undfeindlichen Elemente zu vernichten und die Spuren sorgfältig zu verwischen".

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Ein Blick in die Radeberger Zeitung macht deutlich, dieses NS-Propagandablattwollte bis zu seiner letzten Ausgabe die Wahrheit vertuschen und die Bevölkerungzu sinnlosem Widerstand bewegen. Typisch dafür ist der Kommentar zu HitlersGeburtstag in der Ausgabe vom 28./29. April 1945, neun Tage vor Kriegsende:"Die fanatische Kampfentschlossenheit unserer Truppen im Osten und Westen,die aufrechte Haltung und der Widerstandsgeist der Zivilbevölkerung in denfeindbesetzten Gebieten zeigen bereits ihre Folgen. Die Pläne des Feindes, derDeutschland vom Westen und Osten zu überrennen glaubte, sind durchkreuztworden. Er hat dadurch nur kostbare Zeit verloren, die er nicht wieder einholenkann." ... "Es ist nicht so, daß unser Ringen ausweglos wäre, im Gegenteil. Dieletzte und schwerste Probe, die uns das Schicksal gestellt hat, muß uns standhaftund von leidenschaftlichem Einsatzwillen beseelt finden."Am 16. April 1945 erließ der Sächsische Gauleiter und ReichsstatthalterMutschmann folgenden Aufruf:

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Lügen sollten helfen, den Widerstand der Bevölkerung gegen die heranrückendenSoldaten der Antihitlerkoalition zu stärken. Mit Großdruck stand in derRadeberger Zeitung:

In Wirklichkeit unterschrieb der "allgewaltige Führer" am 29. April 1945 um 4 Uhrsein "Politisches Testament", das auch die Unterschriften von Goebbels, Bormannund Grätz trug, in dem Hitler sich sogar anmaßte, Schwerpunkte für seineNachfolge zu setzen: "Von allen Deutschen, allen Nationalsozialisten, Männernund Frauen und allen Soldaten der Wehrmacht verlange ich, daß sie der neuenRegierung und ihrem Präsidenten treu und gehorsam bis in den Tod sind. Vorallem verpflichte ich die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur Einhaltungder Rassengesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen die Weltvergifter,das internationale Judentum."Stunden später entzog er sich feige der Verantwortung für seine Verbrechendurch Selbstmord. Die Lügenkette fortsetzend meldeten zentrale und regionaleZeitungen, darunter die Radeberger Zeitung, daß Hitler kämpfend gefallen sei.

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Auszüge aus einer Meldungvom 3. Mai 1945

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Mobilisierung von Greisen und Jugendlichen für den "Endsieg"

Die NS-Führung sah in den nicht zum Kriegsdienst eingezogenen Männern undin den 16- und 17jährigen Jugendlichen eine letzte Reserve gegen die bereits aufdeutschem Boden operierenden alliierten Truppen.Am 25. September 1944 ordnete Hitler die Bildung des "Volkssturmes" unterdirekter Leitung und Verantwortung der NSDAP an. Der Chef der Parteikanzlei,Martin Bormann und der Chef des Ersatzheeres, Heinrich Himmler, warenzuständig für die Aufstellung und Bewaffnung der "Volkssturmbataillone". DieAufstellung und Vereidigung erfolgte mit großer propagandistischer Auf-machung. Am 11. November 1944 waren Hunderte, vor allem Jugendliche undältere Männer auf dem Marktplatz in Radeberg zur Vereidigung angetreten.NSDAP-Ortsgruppenleiter Kotte gab die Losung aus: "Wer leben will, der kämpfealso, wer nicht kämpfen will, der verdient das Leben nicht!"In Arnsdorf leisteten 360 Volkssturmleute den Eid: "Ich schwöre bei Gott diesenheiligen Eid, daß ich dem Führer des Großdeutschen Reiches, Adolf Hitler,bedingungslos treu und gehorsam sein werde. Ich gelobe, daß ich für meineHeimat tapfer kämpfen und lieber sterben werde, als die Freiheit des Volkespreiszugeben... Der Herrgott hat meinen Eid gehört, möge er unseren Kampfsegnen." Die Volkssturmleute wurden zu Schanzarbeiten und zu Bewachungs-und Sicherungsaufgaben eingesetzt. Obwohl schlecht ausgerüstet und kaumausgebildet, kamen einige Einheiten dennoch, vor allem im Osten Deutschlands,zum Kampfeinsatz. Nach Schätzungen gelten etwa 175.000 von ihnen alsvermißt, der größte Teil von ihnen dürfte gefallen sein.Mit welchen Lügen und welcher Skrupelosigkeit hohe Militärs noch zwei Wochenvor Kriegsende der NS-Führung folgten und Tausende Menschen in den sicherenTod schickten, zeigt der Tagesbefehl (Die Stunde der Rache ist gekommen! - sieheSeite 104) des damals im Raum Radeberg operierenden Panzergenerals Gräser.

Die Röderstadt und ihr Umland gehörte zum "Festungsbereich Dresden". Sie warin die Befehlsgewalt zur Verteidigung der "Gauhauptstadt" Dresden einbezogen.So mußten in der anliegenden Dresdner Heide, im Seifersdorfer Tal, in denWaldgebieten um Ottendorf/Okrilla, Langebrück und Arnsdorf Schützengräben,MG-Stellungen und andere "Verteidigungsmaßnahmen" angelegt werden. Nochnach über 50 Jahren stoßen Waldbesucher auf Reste dieser Hinterlassenschaftendes Dritten Reiches. Auch Panzersperren wurden an den Ausfallstraßen vonRadeberg, Arnsdorf, Ottendorf/Okrilla, Wachau und Schönborn errichtet undFlak-Stellungen eiligst ausgehoben. Zu diesen Arbeiten wurden Männer desVolkssturmes, Hitlerjungen und ausländische Zwangsarbeiter herangezogen.Der Schulunterricht fiel häufig aus, dafür mußten die älteren Jungen Schanz-arbeiten, die Mädchen Hilfsdienste in den völlig überfüllten Notlazaretten inRadeberg und Arnsdorf verrichten. Der Radeberger HJ-Stammführer ließ keine

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Gelegenheit ungenutzt, um die 15- und 16jährigen mit Befehlen und Aufrufenanzuspornen. Als eine seiner letzten Amtshandlungen dekorierte Hitler denReichsjugendführer Axmann mit dem "Goldenen Kreuz des Deutschen Ordens"mit dem Worten:"Ohne Ihre Jungen wäre dieser Kampf nicht durchzuführen."Die Radeberger Zeitung kommentierte diesen Akt mit besonderer Anbiederung:"Mit dieser Auszeichnung ehrt der Führer die ganze deutsche Jugend, die mit Stolzseinen Namen trägt und sich in diesen schweren Tagen als treueste Gefolgschafterweist."Noch am 7. Mai 1945 trieb die SS alle männlichen Einwohner Radebergs, derensie habhaft werden konnte, zusammen und zwang sie, in der Nähe der Heide-mühle Tellerminen zu verlegen.Mit brutalsten Mitteln ging die Hitlerclique gegen Wehrmachtsdeserteure vor. AufAnweisung Hitlers wurden außerordentliche Feldgerichte der Wehrmacht undStandgerichte gebildet.

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Die Feldgerichte bestanden aus einem Kriegsrichter und zwei Offizieren, dieStandgerichte aus Offizieren und Zivilpersonen, in der Regel prominentenNSDAP-Mitgliedern aus dem jeweiligen Territorium. Außerdem konnte jederKommandant einer Stadt oder einer Truppeneinheit über das Leben der ihmunterstellten Soldaten und der Zivilbevölkerung verfügen. Die Urteile lautetenmeist auf Erschießen oder Erhängen und wurden sofort vollstreckt. Im DresdnerRaum und in Ostsachsen wurden damals schätzungsweise 300 Menschen vonStandgerichten ermordet.Zwei Wochen vor Kriegsende wurden in einer Görlitzer Kaserne mehr als50 Soldaten hingerichtet.Seit März 1945 wütete in Löbau ein Standgericht, das noch am 7. Mai 1945 achtSoldaten zum Tode verurteilte.In Bautzen weigerten sich im April 1945 zehn Soldaten, darunter zwei Offiziere,die "Festung" Bautzen zu verteidigen. Sie mußten sich ihr Grab selbst aushebenund wurden danach erschossen.In Königsbrück wurde einer von fünf erschossenen Soldaten öffentlich zur Schaugestellt, und Wehrmachtsangehörige mußten am Leichnam vorbeimarschieren.In Dippoldiswalde wurde ein 19jähriger Soldat umgebracht. Die Mörder hängtenihn ein Schild mit der Aufschrift um: "So ergeht es jedem, der die Waffenwegschmeißt!"In Göda bei Bautzen ließ ein Standgericht einen Volkssturmmann und einenHitlerjungen erhängen. Noch am Morgen des 8. Mai 1945 hingen beide Leichenam Ortseingang, jede mit dem Schild um den Hals: "Ich bin ein Deserteur"

Gegen Kriegsende wuchs der Wunsch in der Bevölkerung nach Frieden immerstärker. Hinter vorgehaltener Hand ging das Wort um: "Lieber ein Ende mitSchrecken, als ein Schrecken ohne Ende". Sogar NS-Reichsleiter Bormann mußtein einem Brief an den Chef des Reichssicherheitshauptamtes Kaltenbrunner am4. April 1945 eingestehen, die deutsche Bevölkerung dränge gewaltig auf diesofortige Einstellung des Krieges. Aber jeder Einwohner, der sich mit Wort oder Tatgegen das untergehende NS-Regimes stellte, mußte mit dem Tode rechnen.Ungeachtet aller Repressalien formierten sich in den letzten Kriegstagen neueKräfte des antifaschistischen Widerstandes. Oft traten spontan Menschen ausallen Bevölkerungsschichten an die Seite der Antifaschisten.So traf sich in Wachau Mitte April 1945 der Bürgermeister Bernhard Heinze,Mitglied der NSDAP, heimlich mit dem Bauern Ernst Kunath und dem Zimmer-mann Erich Wehner, vor 1933 Mitglied der SPD. Sie waren sich einig, daß dieKampfhandlungen möglichst vom Ort ferngehalten werden sollten. Die dreimutigen Männer sorgten dafür, daß im Ort, auch auf dem Kirchturm, weißeFahnen gehißt, die Panzersperren an den Ortseingängen geöffnet wurden und die

"Ich habe es für das ganze Dorf getan!"

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Volkssturmmänner dagegen keinen Widerstand leisteten. Diesen Familienvätern- jeder hatte mehrere Kinder - war bewußt, wenn sie in die Hände der SS fallen,werden sie ohne Gnade erschossen.Der Ortschronist von Wachau, Georg Habedank, führte nach Kriegsende mit derWitwe des Bauern Ernst Kunath ein ausführliches Gespräch, in dem Einzelheitenüber die mutige Tat der Wachauer Patrioten ans Tageslicht kamen: "Oft war meinMann in diesen Tagen beim Bürgermeister, der mein Cousin ist. Da wurde beraten,wie es weitergehen soll... Am Sonntag, dem 22. April sagte mein Mann zu mir, daßer sich um 11 Uhr von der Frau Pfarrer Wolf ein weißes Bettlaken habe gebenlassen und auf dem Kirchturm gehißt hat... Am Nachmittag, ich ging geradewieder zu Heinzes, sah ich, wie mein Cousin von drei Männern in Zivil abgeholtwird... Am Montag gegen 18 Uhr erscheinen drei Mann. Ich erkenne den wieder,der den Bürgermeister mit abgeholt hat. Mein Mann sagt: 'Jetzt verhaften siemich. Wenn ich erschossen werde, ich habe es ja nicht für mich, ich habe es für’sganze Dorf getan.'"Aus der Anklageschrift im Radeberger Prozeß von 1945 geht im Zusammenhangmit der Vernehmung des Radeberger Ofensetzers Heintze, der am 22. April 1945in das "Arbeitserziehungslager" eingewiesen worden war, folgendes hervor:Nach brutalen Verhören mit Androhung der Erschießung wurde OfensetzerHeintze in seine Zelle gebracht. Dort war auch Bürgermeister Heinze aus Wachaueingesperrt, ..."den man am nächsten Morgen herausholte und erschoß,weil er die weiße Fahne gezeigt hatte". Der im Prozeß Mitangeklagte Härich,Wachmann im "Arbeitserziehungslager", gab zu Protokoll: Nach den Kampf-handlungen am Stadtrand von Radeberg "wurde der Bürgermeister mit einemMann aus Wachau von einer unbekannten Militärperson gegen 6.30 Uhr frühgebracht und im Schießstand erschossen, von wem, ist mir nicht bekannt.Dieselben wurden von ihren Angehörigen geholt und dabei erfuhr ich, wer dieErschossenen waren."Nachdem sie sich mehrfach telefonisch in Radeberg erkundigt hatten, erhieltendie Ehefrauen von Bürgermeister Bernhard Heinze und dem Bauern Ernst Kunathdie Mitteilung, daß sie ihre Männer abholen könnten. Beide Familien nahmen an,die Verhöre seien beendet und die Verhafteten freigelassen worden. NichtsSchlimmes ahnend fuhr die Tochter des Bürgermeisters mit dem Pferdewagennach Radeberg. Im Gelände des Sachsenwerkes warf man ihr die beiden Leichenauf das Pferdegespann. Das Begräbnis der Ermordeten durfte nur im engstenFamilienkreis erfolgen.Der Zimmermann Erich Wehner konnte von einem Mitglied der Familie Heinzeüber die Verhaftung informiert werden. Sofort floh er mit einem Fahrrad auf derAutobahn in Richtung Bautzen. Unmittelbar danach erschienen in seinerWohnung SS-Offiziere und vernahmen seine Ehefrau. Das Gewehr auf EmmaWehner gerichtet, wollten sie von ihr Auskunft über den Verbleib des Ehemanneserpressen. Obwohl sie auf das Schlimmste gefaßt war, gab sie an, sie wisse esnicht. Bis Anfang 1946 galt Erich Wehner als vermißt. Dann traf bei der Frau des

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Wehrpaß von E. Wehner mit letztem Gruß an seine Familie und Brief von Bauer Mickel

Verschollenen ein Brief aus Camina bei Bautzen ein. Darin steckte der Wehrpaßvon Erich Wehner. Der Bauer Mickel hatte ihn auf dem Heuboden seiner Scheunegefunden. Auf Seite 6 stand mit Tintenstift geschrieben. "Wer ihn findet,schreiben sie es bitte meiner lieben Frau nach dem Kriege, Frau Emma Wehner,Wachau i. S. bei Radeberg." Und auf Seite 7 des Wehrpasses: "Liebe Emma undKinder! Ich muß einen unschuldigen Tod sterben. Unser Glück war schön. Deinherzensguter Erich und Euer lieber Papa!”

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Was war geschehen? Auf Grund der von Kriminalsekretär Beyerlein aus-geschriebenen Fahndung wurde Erich Wehner bei einer Kontrolle in Caminaerkannt und von der SS festgenommen. Man sperrte ihn zunächst in die Scheunedes Bauern Mickel. Hier konnte er, den Tod vor Augen, seine Abschiedsworteschreiben. Tags darauf erschossen ihn zwei SS-Offiziere in einem Schützen-graben. Sechs Einwohner bestätigten diese Ereignisse.In Gersdorf im Kreis Kamenz erschossen SS-Leute am 21. April 1945 denBürgermeister und den Pfarrer Talazko, weil sie ihre Einwohner veranlaßt hatten,weiße Flaggen und Tücher anzubringen.Den Bürgermeister, den Pfarrer, den Bauern und den Arbeiter vereinte derWunsch: Schluß mit dem Krieg, Frieden für die Menschen, Frieden für die Heimat.Dafür wurden sie ermordet.

An die letzten Kriegstage in Schönborn bei Radeberg erinnert sich Karl Pietzsch,SPD-Mitglied seit 1922:"Ende März, Anfang April 1945 sah ich im Geschäftszimmer des Gasthofes gegen22 Uhr noch Licht. Neugierig trat ich unter das Fenster und hörte ganz leise dasPausenzeichen des Londoner Senders. Ich war verblüfft, das hatte ich nichtvermutet. Einige Tage später sagte ich dem Gastwirt auf den Kopf zu, daß er denLondoner Sender höre. Ja, sagte er, ich höre auch den Moskauer Rundfunk. ImLaufe des Gespräches kamen wir uns politisch etwas näher, denn er ließdurchblicken, daß er den Krieg für Hitler als verloren ansehe und die Rote Armeebei uns einmarschieren würde. Daraufhin vereinbarten wir, mit zuverlässigenEinwohnern eine geheime Zusammenkunft im Gasthof durchzuführen. Wirwurden uns auch einig, wen wir einladen. Es betraf etwa fünf Mitglieder derverbotenen SPD und KPD und drei oder vier Bauern.Bei diesem illegalen Treff beschlossen wir:1. die in einer Bauernscheune lagernden Panzerfäuste im Steinbruch

(bis zu 30 m tief) zu versenken;2. die Panzerfäuste der Volkssturmleute, welche die im Dorf gebauten Panzer-

sperren bewachten, zu entschärfen;3. die Panzersperren bei günstiger Gelegenheit zu beseitigen;4. die Einwohner aufzuklären, daß sie von der Roten Armee nichts zu

befürchten hätten und sie zum Bleiben im Ort zu veranlassen.In unserem Dorf lagen zu dieser Zeit Offiziersschüler aus Dresden. Bei mir zuHause war eine weibliche Schreibkraft aus dem Geschäftszimmer einquartiert.Als die polnischen Truppen bis in die Gegend von Leppersdorf vorgedrungenwaren, wurden die Offiziersschüler nach Dresden zurückverlegt, kamen abernach einiger Zeit nach Schönborn zurück. Der

Verweigerung und Widerstand

Kommandeur der zurück-kehrenden Truppe vermißte die Panzerfäuste. Bauer Erich Wagner, der die

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Panzerfäuste entsprechend unserer Festlegungen im Steinbruch versenkt hatte,gab zur Antwort, daß die Panzerfäuste von einer durchziehenden Panzerdivisionmitgenommen worden wären. Die sofort vom Kommandeur der Offiziersschülereingeleitete Überprüfung ergab, daß dies nicht zutraf. Er forderte sofortigeAufklärung. Gastwirt Friedrich und Bauer Wagner erklärten geistesgegenwärtig,sie hätten aus Versehen den falschen Namen der Panzerdivision genannt.Daraufhin erklärte der Offizier, er werde sofort Verbindung zur letztgenanntenDivision aufnehmen. Sollte das Gesagte nicht stimmen, hätte das Dorf mitschärfsten Strafen zu rechnen.Zusammen mit einigen Einwohnern hatte ich es übernommen, die Panzersperrenam Ortseingang aus Richtung Seifersdorf zu beseitigen. Mitten in unserer Arbeitrollten plötzlich Wehrmachtstruppenteile aus Richtung Seifersdorf kommend an.Ein Offizier zog sofort seinen Revolver und fragte im Schnauzton, was das hier zubedeuten hätte. Ich erklärte, daß die Sperren beseitigt würden, damit seineTruppen eine schnellere und freie Durchfahrt haben sollten. Er gab sich damitzufrieden und befahl uns, Bauernwagen, mit Steinen beladen, aufzufahren.Viele Einwohner packten das Nötigste ein und wollten das Dorf verlassen.Soldaten der durchziehenden Waffen-SS riefen der Bevölkerung, vornehmlichden jungen Frauen und Mädchen zu, auf die Fahrzeuge zu steigen undmitzufahren: 'Wir sind die Letzten, nach uns kommen die Russen, da seid ihr alleverloren!'An einem dieser Tage, früh 6 Uhr, wurde ich von einer Einwohnerin gebeten, anden Gasthof zu kommen, wo sich eine große Menschenmenge versammelt hatte,die den Ort verlassen wollte. Gemeinsam mit einigen Bauern bemühten wir uns,die Leute aufzuhalten. Uns wurde aufgeregt entgegengerufen, die Russen hättenin Lomnitz Kinder an die Scheunentore genagelt. Wir versuchten, die erregtenEinwohnern zu beruhigen, doch die Aufregung legte sich nicht. Da rief ich denaufgeregten Menschen zu: 'Wer erklärt sich bereit, mit nach Lomnitz zu fahren?'Es meldete sich Bauer Wagner. Wir machten uns per Fahrrad auf den Weg. Als wirdurch Seifersdorf kamen, sahen wir das gleiche Bild. Aufgeregte Menschen-mengen. Mitten unter ihnen stand Fritz Weitzmann, Mitglied der verbotenen SPD,der von den Nazis der Stadt Radeberg verwiesen worden war. Auch er versuchte,die aufgeregten Menschenmengen zu beruhigen, die ihm ebenfalls vonVerbrechen der Roten Armee erzählten. Ich sagte ihm, daß wir nach Lomnitzwollten, um das zu klären. Wir fuhren weiter und suchten dort Eckhard Braunyauf, der mir seit den zwanziger Jahren gut bekannt war. Er sagte uns, daß allesLüge sei und nichts dergleichen im Ort geschehen ist. Auf der Rückfahrtinformierten wir in Seifersdorf Fritz Weitzmann und die Einwohner davon, daß inLomnitz alles ruhig ist. Ich war froh, daß der Bauer Erich Wagner dabei war, dennmir hätten manche Einwohner im Dorf nicht geglaubt, da ich ja als "Roter"bekannt war. Es gelang uns dann auch, den größten Teil der Einwohner von einerFlucht abzuhalten. Nur wenige verließen den Ort, kehrten aber bald nach dem8. Mai wieder zurück..."

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Auch in Ottendorf-Okrilla war der Befehl zur Räumung des Ortes gegeben. VieleEinwohner weigerten sich, diese Anweisung auszuführen. Es kam zu spontanemAufbegehren, an das sich zwei Frauen erinnern:"Wir waren alle sehr empört und aufgeregt und zogen zum Gasthof "Hirsch". DerHof und das Treppenhaus waren voller Menschen. Es mögen an die Hundertgewesen sein, vor allem Frauen, vereinzelt Männer. Wir verschafften unsgewaltsam Einlaß, die Bedrohung durch 16jährige Flakhelfer nicht achtend.Einige Frauen, darunter Martha Küttner, eine sonst ruhige und zurückhaltendeFrau, rückten auf den Ortsgruppenleiter Elble zu und brachten die Forderung zuGehör: 'Wir ziehen nicht ab, wir räumen unser Dorf nicht, macht die Panzer-sperren auf!' Elble drohte mit Verhaftung, einige Männer wollten beschwichtigen,aber die Naziführer wagten es angesichts unserer Haltung nicht, ihre Drohungwahrzumachen.Dann zogen wir zu den Panzersperren, zuerst an die Radeberger Straße. Wirräumten die schweren Stämme beiseite, die Volkssturmmänner hinderten unsnicht. Als wir an die Sperre auf der Dresdner Straße kamen, war diese von einigenanderen Gruppen von Frauen schon weggeräumt."In Lomnitz brachte Frau Liddy Thieme am Volksheim eine weiße Fahne an.Daraufhin drohten SS-Leute ihr und ihren Kindern mit Erschießung. Ein andererLomnitzer fuhr mit einem weißen Tuch in der Hand auf dem Fahrrad den ausRichtung Großnaundorf anrückenden Soldaten entgegen.Auch im Ostteil des Radeberger Landes setzten mutige Menschen in dieserturbulenten Zeit ihr Leben ein. Am 7. Mai 1945 sprengten gegen 20 Uhr deutscheTruppen Eisenbahnbrücken und Telegrafenleitungen im Raum Arnsdorf-Klein-röhrsdorf-Seeligstadt. Durch die Tat eines Antifaschisten gelang es, die Brückezwischen Arnsdorf und Kleinwolmsdorf vor der Vernichtung zu retten.In der Nacht vor dem Eintreffen der Sowjettruppen öffneten beherzte Männer inArnsdorf die Panzersperren.

Und in der Stadt Radeberg?Viele Antifaschisten der Stadt waren in den 12 Jahren der NS-HerrschaftVerfolgungen und Terror ausgesetzt. Alfred Lehmann, Hans Wächtler, PaulBrückner, Walter Eberhard, Emil Vetters und Kurt Hantzsche gehörten zu denen,die jahrelang eingesperrt gewesen waren. In den Apriltagen 1945 vereinbarten sieillegale Treffs. Zu ihnen stieß Georg Wehner, dreimal verhaftet, zuletzt für sechsJahre im Zuchthaus Waldheim. Er hielt sich seit dem 1. Mai 1945 illegal inRadeberg auf.Wie kann Radeberg der Roten Armee kampflos übergeben werden?Wie kann die Röderstadt vor der Zerstörung bewahrt und das Leben der Bürgererhalten werden?Dieses Problem stand im Mittelpunkt ihrer Überlegungen und Aktivitäten.Georg Wehner und Hans Wächtler sollten den Truppen der Sowjetarmeeentgegengehen und über die Lage in der Stadt berichten.

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Straßensperren mußten beseitigt werden, beginnend am Wiesental und an derPulsnitzer Straße. Dafür übernahm Emil Vetters die Verantwortung.Außerdem wurde festgelegt, Verbindung mit Antifaschisten der benachbartenOrte herzustellen, so mit Fritz Weitzmann (Seifersdorf) und Karl Pietzsch(Schönborn).Wie am 8. Mai 1945 die Begegnung mit sowjetischen Soldaten vor sich ging,berichtete Georg Wehner:"Es mag gegen 6 Uhr gewesen sein, als wir aus Richtung Wachau den Lärm einerMarschkolonne hörten. Gespannt harrten wir der Dinge. Wir beschlossen, so balddie Sowjetsoldaten sichtbar würden, unsere Deckung im Straßengraben zuverlassen und ihnen winkend entgegenzugehen. Als die sowjetische Einheit nochetwa 300 m entfernt war, gingen wir, uns an den Händen fassend, mitten auf derStraße auf die Rotarmisten zu. Als sie näher kamen, riefen wir: 'DeutscheKommunisten!...SS kaputt!’Als dann ein Dolmetscher eintraf, erklärten wir alles noch einmal: Wer wir seien,wie die Lage in unserer Stadt war und welche Vorbereitungen wir getroffenhatten. Nun verstanden sie alles, umarmten uns und nannten uns Towarischtschi(Genossen)."Andere Bürger setzten sich, ihrem Gewissen folgend, in diesen schwierigen Tagenspontan für die Rettung ihrer Heimatstadt ein: Als sich Emil Vetters mit FrauWalther und Herrn Hentschel auf den Weg machten, um wie vereinbart dieSperren im Wiesental zu beseitigen, waren bereits andere, ihnen Unbekannte,dabei, diese Hindernisse wegzuräumen.Wenn der Röderübergang am Ende von Lotzdorf auch nur eine kleine Brücke ist,so konnte sie für Truppenbewegungen von Bedeutung sein. Die zurückflutendenSS-Soldaten hatten Sprengstoff angebracht, um diese Brücke zu sprengen undden vorrückenden Soldaten der Sowjetarmee ein Hindernis in den Weg zu legen.Albert Zumpe, vor 1933 aktives Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei undwegen seiner antifaschistischen Gesinnung verhaftet, eingesperrt und danach inein Strafbataillon eingezogen, verwundet und im Lazarett auf Genesung hoffend,war einige Tage in Lotzdorf auf Urlaub. Das Lazarett war aufgelöst worden. Erhatte beobachtet, wie die Sprengladung angebracht worden war. Als die Brücken-wache zeitweilig ihren Posten verlassen hatte, entfernte er gemeinsam mit PaulFasold und Erich Franke den Zünder, holte die in die Erde eingebettete Spreng-leitung heraus und warf sie in den Garten. So blieb die Brücke erhalten.

In der "Enzyklopädie des Nationalsozialismus" wird unter dem Stichwort"Todesmärsche" gesagt: "Phänomen im Dritten Reich, vor allem gegen Ende desKrieges, als die Häftlinge etlicher KZ evakuiert, d.h. in großer Zahl gezwungenwurden, unter unerträglichen Bedingungen und brutalen Mißhandlungen über

Auch fünf Minuten vor 12 geht das Morden weiter

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weite Entfernungen zu marschieren, wobei ein großer Teil von ihnen von denBegleitmannschaften ermordet wurde."In den Monaten März und April 1945 erhöhte sich die Zahl der Todesmärschesprunghaft. Auch das Radeberger Land war von einem dieser Todesmärschebetroffen. Zwei damals 11jährige Jungen, ihre Eltern wohnten in Wallroda bzw.in Fischbach, haben, sich ihrer Kindheit erinnernd, 53 Jahre später nieder-geschrieben, was sie damals sahen. Im Gedächtnisprotokoll von Fritz Zinke istzu lesen:"Über die seichte Bergkuppe kam von Radeberg her eine Menschengruppe miteinem größeren Bauernhandwagen. Beim näheren Herankommen wurde unsdeutlich, es sind Menschen in Sträflingskleidung, die von bewaffneten Uniform-trägern bewacht wurden. Um sich herum mußten sie einen Stacheldrahtzauntragen. An der Bewegung der Gefangenen konnten wir erkennen, daß es denMenschen sichtlich schwer fiel, mit dem Wagen voranzukommen. Auf etwahalber Strecke der einsehbaren Straße fiel einer der Gefangenen um. Die anderenzogen und schoben den Wagen äußerlich scheinbar unberührt weiter. DerUmgefallene blieb liegen und war nun außerhalb des Drahtzaunes. Nach wenigenSchritten blieb der Troß stehen. Einer der Bewachungskräfte griff zum Feldspatenund schlug sehr kräftig und wiederholt auf den Kopf und den Oberkörper des amBoden Liegenden ein. Nach kurzer Zeit zog der Troß weiter. Wir Kinder wolltenjetzt sofort auf die Straße und dem liegenden Menschen helfen. Doch unser Vaterhielt uns energisch zurück...Die Männer haben sich dann mit dem liegengebliebenen Gefangen noch einkurzes Stück auf der Straße nach Kleinwolmsdorf bewegt. Neben der Straßewurde danach geschachtet... Wie sich später herausstellte, wurde an dieser Stellenicht nur ein Gefangener regelrecht verscharrt. Mehrere Wochen nach Kriegsendewurden diese Opfer wieder ausgegraben und auf dem Friedhof in Wallroda(Gedenkstein siehe Seite 115) an der Mauer zur Kirchgasse ordentlich bestattet."

Dr. Heinz Senenko schrieb über seine Erlebnisse als 11jähriger:"In der zweiten Aprilhälfte 1945 hatte uns der Frontenlärm um Kamenz Groß-röhrsdorf in die Keller vertrieben. 'Die Russen kommen!' rief man erschreckt. Aufder Landstraße in Richtung Dresden rollten tatsächlich Panzer heran, Einschlägedröhnten. Später sahen wir, Panzergranaten hatten im Oberdorf Häuser zerstört.'Am Chauseehaus', so bezeichneten wir das Fischbacher Kreuz, 'liegen die Toten',diese Botschaft ging wie ein Lauffeuer von Haus zu Haus. Wir machten uns aufden Weg dorthin. Niemals werde ich den Anblick vergessen. Im Bereich derKreuzung lagen mehrere Tote in gestreifter Kleidung. Damals war dort Heine-manns Sandgrube. In der Einfahrt lagen zerquetschte Körper, die offensichtlichnach der Erschießung von Panzern überrollt worden waren.Nach dem Kriege wurden sie auf dem Friedhof in Fischbach bestattet, wo derSeeligstädter Bürgermeister, Martin Burkhardt, selbst KZ-Überlebender, dieTrauerrede hielt."

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Gedenkstein in Wallroda

Gedenkstein in Fischbach

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Die "Sächsische Volkszeitung" berichtete in ihrer Radeberger Ausgabe vom15. Oktober 1945:"Auf Anordnung des Polizeileiters wurden im Oktober 1945 auf einer ihmgemeldeten Stelle auf der Flur zwischen Radeberg und Wallroda Nachgrabungennach dort versteckten Leichen von ehemaligen KZ-Häftlingen vorgenommen.Die Nachforschung ergab, daß rechts an der Straße, in etwa 3o m Entfernung vonder Landstraße, auf dem Kartoffelacker sich eine verdächtige Stelle befand.Nachgrabungen zeigten, daß man schon in etwa 50 cm Tiefe auf zwei männlicheLeichen stieß. Am 10. Oktober 1945 wurden die Nachgrabungen im Beisein vonWachtmeister Papperitz intensiver weitergeführt. Der Erfolg zeigte, daß man nachFreilegung einer geringen Erdschicht auf insgesamt sechs Leichen stieß.Dieselben waren wahllos in diese Grube hineingeworfen worden.Die Untersuchung der sechs Leichen ergab, daß bei zwei von ihnen der bekannteGenickschuß stattgefunden hatte. Dagegen war bei den vier anderen fest-zustellen, daß die Schädeldecken vermutlich durch schwere Schläge vollkommenzertrümmert waren. Auch sah man an den teilweise noch vorhandenenKleidungsstücken der Toten den ungeheuren Blutverlust. Die erste geborgeneLeiche zeigte an den noch vorhandenen Kleiderresten das gut bekannte roteErkennungszeichen der Kriegsgefangenen holländischer Nationalität mit derErkennungsnummer 91797 und unter diesem Zeichen ein rotes Dreieck. Toddurch Zertrümmerung der Schädeldecke. Die Leiche Nr. 2 war völlig unkenntlich.Tod durch Zertrümmerung der Schädeldecke. Die Leiche Nr. 3 war ebenfallsunkenntlich. An der Schädeldecke war deutlich ein handtellergroßes Loch erkenn-bar. Leiche Nr. 4 hatte Zivilsachen an und an der Schädeldecke ein geldstück-großes Loch, das vermutlich der Ausschuß war (Genickschuß). Leiche Nr. 5 hatteeinen blau-weiß-blauen Erkennungsstreifen aus Stoff an der Kleidung mit rotemDreieck, was auf belgische Nationalität schließen läßt. Tod durch Genickschuß.Leiche Nr. 6 hatte ein blau-weiß gestreiftes Hemd an. Der Kopf war völligzerschlagen. Des weiteren wurden in diesem Grabe ein Kaffeetopf aus Steingutsowie ein Eßlöffel gefunden. Nach Zeugenaussagen einer Frau sind dieseMenschen, die einem vorüberziehenden Zug von KZ-Häftlingen ange-hörten, inder Nähe der Grube von ihren Aufsehern erschlagen bzw. erschossen worden..."

Auch die Standgerichte wüteten weiter. Über einen grausamen Doppelmord neunTage vor Kriegsende berichtet die "Arbeitsgemeinschaft Radeberg und Umgebungim Nationalsozialismus" am Radeberger Humboldt-Gymnasium.Mit freundlicher Genehmigung der Verfasser veröffentlichen wir im Anhang denBericht über diese Schreckenstat und über die Entstehung, die Aktivitäten und dieweiteren Pläne dieser rührigen Arbeitsgemeinschaft.

In Ottendorf-Okrilla verurteilte ein Standgericht am 27. April 1945 die 18jährigeLydia Baibikowa zum Tod durch Erschießen. Das polnische Mädchen wollte ihrenVerlobten aufsuchen. Da sie ihn nicht antraf, hoffte sie, sich zur Roten Armee

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durchschlagen zu können. Einwohner denunzierten sie. Ein Bürger berichtete:"Es war am 27. April bei Einbruch der Dunkelheit. Ich befand mich auf demNachhauseweg in der Köhlerei an der Bergstraße. Da hörte ich vom altenSportplatz her eine Feuersalve. Ich ging hin und sah das Mädchen neben einer dergroßen Eichen an der Seite des Sportplatzes liegen".

Der verstorbene verdienstvolle Leiter des Heimatmuseums Radeberg, RudolfLimpach, verwies in einer Studie auf ein schreckliches Verbrechen am 6. Mai1945: Soldaten bemerkten in der Stadt zwei junge ausländische Mädchen,offensichtlich Zwangsarbeiterinnen, und nahmen sie fest. Einwohner hörtenSchüsse. Hinter den Scheunen der Otto-Uhlig-Straße war ein Doppelmordvollzogen worden.

Auch gegen die eigenen Leute wüteten die SS-Mörder: Weil der Oberleutnant derSchutzpolizei Unger die Verteidigung der Stadtrandsiedlung in Radeberg (21./22.April 1945) angeblich nicht genügend organisiert hatte, wurde der Polizeioffizierverhaftet und von einem Standgericht zum Tode verurteilt. Schließlich wurde dieTodesstrafe in eine langjährige Zuchthausstrafe umgewandelt.

Millionenfach verletzten die NS-Barbaren das internationale Kriegsrecht, beson-ders bezüglich der Behandlung der Kriegsgefangenen:Am Nachmittag des 7. Mai 1945 überflogen drei sowjetische Aufklärungs-flugzeuge die Röderstadt. Eine Maschine wurde von der am Heiderand stehendenHitlerjugend-Flak abgeschossen. Der Pilot konnte abspringen. Zwei SS-Leutenahmen ihn gefangen und brachten ihn um.

In den letzten Aprilwochen ergriffen die NS-Machthaber Maßnahmen, um dieSchuld für ihre blutigen Verbrechen zu vertuschen. Dazu gehörte die Anweisungan die kommunalen Behörden und an die Betriebe, alle Aktenbestände über dieNSDAP und ihre Gliederungen, über die Aktivitäten der verbotenen politischenParteien und Organisationen, über die Juden, Kriegsgefangenen und Zwangs-arbeiter umgehend und restlos zu vernichten. Zugleich mußten Personal-unterlagen, Geheimberichte, Kabel- und andere Pläne der Infrastruktur beseitigtwerden.Am 23. April 1945 meldete der Radeberger Bürgermeister, Dr. Hilbert, den Vollzugdieser Anweisung. Auch die umliegenden Gemeindeverwaltungen beseitigtendiese Unterlagen.

Die Radeberger Zeitung rief noch in ihrer letzten Ausgabe vom 5./6. Mai 1945 dieBevölkerung "zur letzten Bewährung" auf.

Sich der Verantwortung entziehen

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Zur gleichen Zeit versuchten viele Funktionäre der NSDAP sich durch Flucht ihrerVerantwortung zu entziehen. Das gelang den Hauptverantwortlichen für dieErmordung der Häftlinge des "Arbeitserziehungslagers", SS-SturmbannführerUllrich und SS-Untersturmführer Joch. Ebenso setzten sich "Betriebsführer"großer Betriebe, wie der Sachsenglas AG, der Exportbierbrauerei und derHutschenreuter AG nach dem Westen ab oder tauchten unter. Auch der Leiter derörtlichen Polizei, Senf, war zeitweise verschwunden. In einer Aufstellung aus derNachkriegszeit über Radeberger Aktivisten der NSDAP steht hinter vielen Namen:"Aufenthalt unbekannt".

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Sie alle ahmten ihren Gauleiter, Martin Mutschmann, nach, der kurz vor demEinmarsch der Sowjetarmee in Dresden die "Gauhauptstadt" mit seinem Gefolge,vollbepackt mit Lebensmitteln und anderen Reserven, verlassen hatte und sichim erzgebirgischen Tellerhäuser versteckt hielt. Schließlich verhafteten Mitgliederder antifaschistischen Polizei 10 Tage nach der Kapitulation den Ranghöchstender NSDAP in Sachsen. Während die Bevölkerung hungerte, wurden in seinemVersteck große Mengen an Lebensmitteln vorgefunden.

Auch das muß in Erinnerung gerufen werden:Unter dem Eindruck der jahrelangen national-chauvinistischen Hetze der NSDAP,teilweise gepaart mit Schuldgefühl, ergriff manche Menschen Ausweglosigkeitund Hysterie. Sie sahen keinen Ausweg und begingen Selbstmord. In Pulsnitzwaren es über 50 Menschen, in Moritzburg 18 und in Radeberg 30-40 Einwohner.Einige NS-Größen von Radeberg benutzten todbringende Zyankalikapseln, diekurz vor Kriegsende an die Funktionäre der NSDAP verteilt worden waren, sogarfür ihre Kinder.Im Juli 1945 konnte der untergetauchte SS-Sturmbannführer Senf festgenommenwerden. In seinem Schlips hatte er eine solche Ampulle verborgen und versuchte,sich während seiner Vernehmung zu vergiften. Einem Polizisten gelang es, ihmdie Ampulle vorher zu entreißen.

Am 8. Mai 1946 hielt Bürgermeister Paul Brückner Rückblick auf das ersteNachkriegsjahr:"Wo waren die Helden der Nazizeit, alle die, die im Gefühl ihrer Macht dieBevölkerung jahrelang terrorisieren konnten? Wo waren die bisherigenMachthaber, die so überheblich vom tausendjährigen Reich gesprochen haben,die stark waren, so lange sie von ihren Nachbetern, Schmeichlern und Mario-netten umgeben waren? Aller Heldenmut war vorbei. Feig waren sie geflohen undhaben die von ihnen jahrelang "Betreuten", aber auch Geknechteten im Stichgelassen, haben ein Trümmerfeld hinterlassen, nicht nur materiell, auch geistig,moralisch, politisch und seelisch".

In dem Maße, in dem nach der Befreiung Deutschlands von der Hitlertyrannei derganze Umfang der Verbrechen und der Barbarei im Dritten Reich aufgedecktwurde, wuchs die Abscheu der Bevölkerung. "Nie wieder Krieg!" war dereinhellige Wunsch. Dazu trugen die eigenen Erfahrungen bei, die fast alle Bürgermit dem Krieg gemacht hatten. Fast jede Familie beklagte Angehörige, die imKriege gefallen oder umgekommen waren. Allein im zweiten Halbjahr 1943erschienen in der Radeberger Zeitung 210 Todesanzeigen gefallener Soldaten.Das gleiche erschreckende Bild zeigt ein Blick in die Betriebszeitung desSachsenwerkes "Arbeit und Freizeit":

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“Arbeit + Freizeit”, Sachsenwerkchronik - Folge 16, Dez. 1939

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“Arbeit + Freizeit”, Sachsenwerkchronik - Folge 36, Dez. 1944

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Die Menschen erinnerten sich an das Versprechen, das Hitler 1933 dem deutschenVolk gegeben hatte und dem die meisten geglaubt hatten:"Gebt mir vier Jahre Zeit, und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen!"Deutschland war nicht wiederzuerkennen. Dresden, die Perle an der Elbe, eineinziges Trümmerfeld, äußerste Knappheit an Lebensmitteln und Kleidung,Hunger, Wohnungsnot, Krankheiten, Seuchengefahr...Besonders Hitlergegner und Antifaschisten machten den verzweifelten MenschenMut, zuzupacken und die Nachkriegsnot Schritt für Schritt gemeinsam zuüberwinden.Aus dem Beispiel dieser Antifaschisten und den eigenen Erfahrungen mitzwölf Jahren NS-Diktatur und sechs Jahren Krieg wuchs der Wille der Mehrheitder Bevölkerung, den Nazismus in unserem Lande mit der Wurzel auszurotten.Gemeinsam in Deutschland antifaschistische Verhältnisse zu entwickeln, lag imInteresse der deutschen Bevölkerung und entsprach zugleich den Beschlüssenaller Siegermächte über die Nachkriegsentwicklung in Deutschland.Wer von einem "verordneten" Antifaschismus in der sowjetischen Besatzungs-zone spricht, ignoriert die geschichtlichen Tatsachen. An dieser historischenWahrheit ändern auch die Fehler beim Aufbau einer antifaschistischenGesellschaft und die Versuche der DDR, sie mit antifaschistischen Grund-positionen zu rechtfertigen, nichts. Darüber und über die gesamte Nachkriegs-entwicklung in deutschen Staaten und deren Ursachen brauchen wir einevorurteilsfreie, sachliche, kritische und tolerante öffentliche Diskussion inunserem Lande.

Eine Erkenntnis aus unseren Forschungen über das Radeberger Land ist leidernoch heute aktuell:

Nie darf die NS-Barbarei vergessen werden!

Nie wieder Rassenhetze, Juden- und Ausländerhaß!

Wehret den Anfängen!

Dafür brauchen wir einen antifaschistischen Grundkonsens der Demokratenunserer Stadt und unseres Landes.

beiden

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Anhang

Die Arbeitsgemeinschaft "Radeberg und Umgebung im National-

sozialismus"

Seit ungefähr eineinhalb Jahren treffen wir, Schüler der Klassen 9-12 des

Radeberger Humboldt-Gymnasiums und unser Lehrer, Herr Mönch, uns, um uns

mit der Heimatgeschichte in der Zeit von 1933 bis 1945 zu beschäftigen. Anlaß

zur Gründung einer solchen Arbeitsgemeinschaft war zum einen die Anonymität,

von der unser Geschichtsunterricht oft geprägt ist. Zum anderen besteht vor allem

unter Jugendlichen ein großes Unwissen über diese Ereignisse. Der dritte und

wichtigste Grund für unsere Arbeit ist unsere Besorgnis angesichts der immer

stärker werdenden rechtsradikalen Tendenzen, besonders unter Jugendlichen.

Wir wollen vor allem jungen Menschen die schrecklichen Ausmaße des Natio-

nalsozialismus vor Augen führen, damit derartiges Gedankengut nie wieder Fuß

fassen kann und Demokratie als wertvolles, aber verletzliches Gut erfaßt wird,

welches immer wieder neu errungen und verteidigt werden muß, damit Huma-

nismus kein leeres Wort bleibt. Wir versuchen, Denkanstöße zu geben und Lehren

aus unserer Geschichte zu ziehen.

Um unsere Ziele zu verwirklichen, befragen wir Zeitzeugen und werten Doku-

mente aus. Dabei stießen wir im Herbst 1997 auf ein besonders grauenvolles

Verbrechen, den Doppelmord an Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel.

Charlotte Freche

Dieser Beitrag wurde von der

Arbeitsgemeinschaft Geschichte

“Radeberg und Umgebung im

Nationalsozialismus” des

Humboldt-Gymnasiums Radeberg

verfaßt.

Als Mentor wirkt der

Geschichtslehrer Bernd Mönch.

123

Page 169: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

Auch in Radeberg wurde gemordet

Am 29. April 1945 wurden Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel in Radeberg

erhängt.

Was war geschehen?

Das Radeberger Arbeitslager, in dem Joseph Paulin gearbeitet hatte, wurde

aufgelöst. Der junge Belgier wollte am nächsten Morgen die Stadt verlassen und

suchte nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Die Straßen waren voller Men-

schen. Charlotte, die mit einem im Felde stehenden SS-Mann verheiratet war,

hatte Joseph Paulin im Sachsenwerk kennengelernt. Sie bat eine Nachbarin,

ihn für eine Nacht mit zu sich zu nehmen. Da diese es ablehnte, ließ

Charlotte den jungen Belgier in ihrer Wohnung, Winkelwiese 14, übernachten.

Am nächsten Morgen, einem Sonntag, kam der Ehemann zufällig heim, weil die

Front immer näher rückte. Nachdem er beide gesehen hatte, verließ er ohne

weitere Erklärung das Haus. Kurz darauf gingen auch Charlotte und Joseph

Paulin. Der junge Mann mischte sich unter die Menschen auf der Straße. Charlotte

fuhr mit dem Fahrrad zu ihren Eltern nach Stolpen und gab ihre Papiere der

Mutter.

Am Nachmittag erschienen drei SS-Leute, die den Eltern versprachen, daß ihrer

Tochter nichts passieren würde; sie sollte nur zu einer kurzen Aussprache

kommen. In Begleitung einer ihrer Schwestern wurde Charlotte mit nach

Radeberg genommen.

Auch Joseph Paulin wurde gefangen. Er war von der SS mit Hunden in der Heide

aufgespürt worden. Offensichtlich hatte man ihn geschlagen, denn von seinen

Händen lief Blut.

Auf der Winkelwiese rief jemand: "Wann und wo ist mir egal, aber ihr holt sofort

den Bürgermeister! Wir brauchen den Bürgermeister!" Dieser mußte kommen, da

ein Standgericht einberufen worden war. Charlottes Ehemann war bei der

Verhandlung, die in der Küche stattfand, nicht anwesend.

Einer unserer Zeitzeugen, der damals als Kind im gleichen Haus wohnte, ist durch

das Treppenhaus geschlichen und hat zur Wohnungstür, die nur angelehnt war,

geguckt. Er sah einen Tisch mit einer Hakenkreuzfahne darüber. Scheinbar wurde

dort das Gericht abgehalten.

Vorher mußte die Schwester das Haus verlassen. Sie lief heim nach Stolpen.

Durch Autos, Soldaten und Gespräche der Erwachsenen neugierig geworden,

versuchten die Kinder aus der Nachbarschaft herauszufinden, was passiert war.

In einem Jeep, der auf der Straße geparkt war, entdeckten sie zwei große

Holzschilder. Sie gingen heran, um festzustellen, was darauf geschrieben stand.

Aber ein Soldat forderte sie auf, wegzugehen: "Das geht euch nichts an, das ist

nichts für euch!"

Draußen vor der Tür stand ein Wachposten. Er fragte eine Nachbarin, die aus

einen Fenster sah, nach einer Tasse Kaffee. Die Frau brachte ihm den Kaffee und

fragte: "Was macht ihr mit den beiden?" Sie bekam zur Antwort: "Weiß ich nicht.

124

Page 170: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

Geht mich nichts an, ich bin nur ein Wachposten." "Na, um Gottes Willen, ihr

werdet sie doch nicht etwa in ein KZ stecken?" "Nein, solche werden doch nicht

noch durchgefüttert." "Ihr werdet sie doch um Gottes Willen nicht erschießen?"

"Nein, eine Kugel ist zu schade, da haben wir keine übrig, wir haben Krieg."

Nach der Gerichtsverhandlung gingen die SS-Leute durch das Haus und fragten,

wer eine Wäscheleine hat, da kein Strang vorhanden war. Sie klingelten an jeder

Wohnungstür, aber keiner wollte eine haben. Der Wachposten verlangte den

Bodenschlüssel, und die Tür mußte aufgeschlossen werden. Jeder Mieter besaß

eine kleine Bodenkammer. In der ersten stand vorn ein Körbchen mit Klammern

und einer Wäscheleine. Nachdem der Wachtposten nach dem Besitzer gefragt

hatte, mußte dieser die Leine geben.

Ursprünglich sollten sie im Hof der Winkelwiese 14 an einer Teppichstange

"aufgeknüpft" werden. Doch die Frauen aus dem Haus haben dagegen opponiert:

"Das geht nicht. Wir haben Kinder hier." Die Bitte wurde gewährt. Dafür wurden

Charlotte und Joseph Paulin am damaligen Kaiserhof zentral in der Stadt

gehängt.

Als die Schwester gegen 22 Uhr zu Fuß ihr Elternhaus erreichte, wußte sie noch

nicht, daß Charlotte zu diesem Zeitpunkt bereits tot war.

Sie und der Belgier wurden sofort nach der Verhandlung zur Hauptstraße 61

gebracht, wo man das Urteil "Tod durch den Strang" gegen 19,30 Uhr vollstreckte.

Sie wurden mit Wäscheleinen um den Hals auf einen LKW gestellt. Charlotte

sprang herunter, noch bevor das Auto unter ihnen wegfuhr. Joseph Paulin lief mit,

solange es ging. Beide hatten ein Schild umhängen. Auf dem Schild der Frau war

zu lesen: "Mein Mann ist im Felde und ich habe mit einem Ausländer gehurt".

Das Schild des Belgiers trug folgende Aufschrift. "Ich bin Ausländer und habe

mich an einer deutschen Frau vergriffen".

Charlottes Ehemann brach zusammen, als er seine Frau hängen sah, haben

Augenzeugen berichtet.

Zur Abschreckung blieben die Leichen bis zum nächsten Morgen hängen. Nie-

mand kümmerte sich um die Toten. Charlotte wurde von ihrer Familie mit dem

Auto nach Stolpen geholt. Sie mußte unter einem Baum beerdigt werden, denn sie

durfte ihre letzte Ruhestätte nicht in den Reihen der anderen Gräber finden. Die

Grabrede hielt eine jüngere Schwester, da der Pfarrer sich weigerte. Aus Angst vor

den Nazis war außer der Familie niemand gekommen.

Der Vater schrieb ins Stammbuch, daß Charlotte "von SS-Banditen öffentlich

gehängt" worden ist, weil sie "einem mit ihr arbeitenden Belgier manchmal ein

Stück Brot gab."

Für die Nachbarschaft war dieses Urteil um so schlimmer, da sie Charlotte als eine

sympathische, aufgeschlossene junge Frau kennengelernt hatten.

Nach Kriegsende wurde Charlotte umgebettet, die auf Wunsch ihrer Eltern unter

ihrem Mädchennamen beerdigt worden war, da ihr Ehemann maßgeblich am

Mord der beiden mitgewirkt hatte.

Der Nachbar, der die Wäscheleine geben mußte, wurde nach Kriegsende verhaftet.

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Page 171: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

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Die Mörder verstanden sich als die besseren Deutschen. Doch offensichtlich nahmen sie es mit ihrer

Muttersprache nicht so genau. Vielleicht aber mußte auch alles sehr schnell gehen, zum Töten jedoch

hatten sie genug Zeit.

Page 172: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

Aber die Mitbewohner waren sich einig, daß jeder in so eine Situation hätte

kommen können. Da sie sich sehr für ihn einsetzten, kam dieser schnell wieder

frei.

Bei den ersten Treffen unserer AG hatte keiner von uns eine genauere Vorstellung,

wie wir an ein solches Projekt herangehen sollen.

Unser Lehrer, Herr Mönch, wies uns gleich darauf hin, daß unsere Arbeit nicht nur

auf Sympathie stoßen würde. Damals konnte das noch keiner von uns glauben,

da wir fest davon überzeugt waren, daß sich niemand gegen unser menschliches

Anliegen und die Suche nach geschichtlicher Wahrheit stellen könnte. Später

erkannten wir, wie naiv und idealistisch diese Vorstellungen waren.

Mit Hilfe eines Fragebogens, den wir zunächst zusammenstellten, verschafften

wir uns einen groben Überblick über die Ereignisse in Radeberg während der Zeit

des Nationalsozialismus. Wir versuchten, die Fragen so zu formulieren, daß

die Gefühle der Zeitzeugen nicht verletzt werden. Dies erwies sich als sehr

schwierig und erforderte viel Einfühlungsvermögen.

Bei der Auswertung dieser Befragungen wurden wir auf das Schicksal von

Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel aufmerksam. Um weitere Infor-

mationen über diese Ereignisse zu bekommen, wandten wir uns an andere

Hobbyhistoriker, die uns eine Kopie des Standgerichtsurteils zur Verfügung

stellten.

Die näheren Umstände aber erfuhren wir im Gespräch von der Schwester der

Ermordeten. Es fiel ihr schwer, darüber zu sprechen, zugleich war sie aber froh,

daß sich junge Menschen für den tragischen Tod ihrer Schwester und des Belgiers

interessieren. Sie empfand es als ein Stück Wiedergutmachung. Auch ehemalige

Nachbarn und weitere Zeitzeugen konnten wir befragen. So ergab sich ein

genaueres Bild der schrecklichen Ereignisse. Als wir erste Forschungsergebnisse

bei öffentlichen Diskussionen in der Stadt Radeberg vorstellten, kam es zu

kontroversen Debatten. Mehrfach stießen wir auf seltsame Auffassungen und

latente Ausländerfeindlichkeit. Dies spürten wir dadurch, daß manche abfällig

von der vermeintlichen Beziehung einer Deutschen mit einem Ausländer

sprachen, um das Urteil zumindest teilweise zu legitimieren. Andere versuchten

den Doppelmord als Familientragödie zu banalisieren. Und plötzlich begriffen

wir, wie schwer es wirklich ist, dennoch einen friedlichen und konstruktiven

Meinungsaustausch mit Leuten zustande zu bringen, die andere Auffassungen

haben. Schnell ertappten wir uns dann selbst, in leeren Phrasen zu denken,

anstatt nach möglichen Argumenten zu suchen, wie wir das schon bei vielen

unserer Kritiker erleben mußten.

Um das Verbrechen an Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel dauerhaft im

Gedächtnis der Menschen wach zu halten, brachten wir im Radeberger Stadtrat

Unsere Forschungsarbeit

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den Vorschlag ein, jeweils eine Straße nach den Ermordeten zu benennen. Wir

ahnten nicht, auf wieviel Widerstand unser Ansinnen stoßen würde. Wir erlebten

streitbare Demokratie und nahmen die Gelegenheit wahr, unsere eigenen

Vorstellungen mit einzubringen. Erfolg und Mißerfolg lagen nahe beieinander;

Zwar wurde unser Vorschlag der Straßenbenennung mehrheitlich abgelehnt, in

der nächsten Stadtratssitzung wurde unser Textvorschlag für eine Gedenktafel

mit wenigen Detailänderungen fraktionsübergreifend angenommen.

Die Inschrift lautet:

Langfristig bereiteten wir uns auf den 29. April 1998 vor. Der Tag sollte ein

würdiges und ehrendes Andenken für die beiden Opfer werden. Da es sehr viel zu

tun gab, wurden Arbeitsgruppen gebildet, Aufgaben verteilt und zusätzliche

Treffen an Wochenenden und in den Ferien notwendig.

Wir begannen, mit selbstverfaßten Zeitungsartikeln die Öffentlichkeit zu

informieren und zu sensibilisieren.

Um vor allem junge Menschen für unser Vorhaben zu gewinnen, wandten wir

uns mit der Bitte, unser Projekt vorstellen zu können, an Schulleitung und Lehrer.

In jeder Klasse unserer Schule gestalteten Mitglieder unserer AG eine Unter-

richtsstunde. Für viele Schüler der Sekundarstufe 1 und 2 stellte dieser lebendige

und anschauliche Geschichtsunterricht eine besondere Bereicherung des Schul-

alltags dar.

Einladungen für den 29. April verschickten wir sowohl an umliegende Schulen,

als auch an Vereine, Parteien und andere Organisationen. Persönlich besuchten

wir Junge Gemeinden und Kinder- und Jugendtreffs.

Zum Gedächtnis

Am 29. April 1945 wurden

an dieser Stelle

Charlotte Freche

und Joseph Paulin Michel

von der SS ermordet.

Diese Tat war brutale Konsequenz

einer verbrecherischen

Weltanschauung.

Die Würde des Menschen

ist (un)antastbar.

Vorbereitungen für die Gedenkveranstaltung

128

Page 174: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

Wir waren verwundert, wieviel Aufwand die Vorbereitung eine solche Veran-

staltung erfordert. So zum Beispiel mußten wir unsere Reden ausarbeiten, die

Musik auswählen, den genauen Ablaufplan zusammenstellen und technisch-

organisatorische Probleme bewältigen.

Der 29. April 1998 auf dem Radeberger Marktplatz

19.30 Uhr eröffnete die Saxophongruppe eines Mitschülers die Veranstaltung. In

der sich anschließenden ersten Rede klärten wir die Anwesenden über das

Schicksal von Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel, die am 29. April vor 53

Jahren in Radeberg erhängt worden sind, auf. Dabei zeigten sich viele Teilnehmer

sehr bewegt.

Mit unseren Kritikern setzen wir uns in der zweiten Rede auseinander. Wir

begründeten, weshalb wir uns ausgerechnet diesen Fall gewählt haben. Zitat:

"..., denn die wären doch selber schuld, das wäre doch Ehebruch oder eine

Familientragödie gewesen". Uns geht es aber um einen Staat, in dem Gesetze den

Mord an zwei Menschen legalisieren. Zudem haben wir weder behauptet, daß

zwischen den beiden keine Beziehung bestanden hat, noch könnte irgend jemand

beeiden, es hätte eine intime Freundschaft zwischen den Ermordeten gegeben.

Auch auf den Vorwurf, die zwei hätten doch gar nichts geleistet, seien keine

Widerstandskämpfer gewesen, gingen wir ein. Für uns sind Charlotte Freche und

Joseph Paulin Michel Opfer, deren geraubte Ehre wir ein Stück mit dieser

Veranstaltung wieder herstellen wollen.

In der dritten Rede wollten wir den Teilnehmern zeigen, wie wichtig es heute noch

ist, daß man sich mit dieser Geschichte, besonders in den Jahren von 1933-1945,

auseinandersetzt. Wir wiesen auf aktuelle Tendenzen hin, die verdeutlichen, daß

viele die Schreckenstaten der Nationalsozialisten wahrscheinlich schon wieder

vergessen haben.

Mit den Worten des Schriftstellers Erich Fried endete diese Rede:

“Morgen wird keiner von uns

leben bleiben,

wenn wir heute

wieder nichts tun."

Im Anschluß an diese Reden, die alle von Schülern unserer Arbeitsgemeinschaft

gehalten wurden, gingen wir an den Ort, an dem Charlotte und Joseph Paulin vor

53 Jahren erhängt worden waren. Der Trauermarsch wurde von monotonen

Trommelklängen bis zum Haus der Hauptstraße 61 begleitet. Dort angekommen,

legten die Anwesenden mitgebrachte Kerzen und Rosen nieder.

Anschließend wurde das Urteil verlesen und zu einer Schweigeminute für die

beiden Ermordeten aufgefordert.

"

129

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Zum Abschluß rezitierte ein Mitglied unserer Arbeitsgemeinschaft das Gedicht

"Überlegungen" von Martin Niemöller, welches den Leuten einen letzten Anstoß

zum Nachdenken geben sollte:

Musikalisch ließen wir die Gedenkveranstaltung ausklingen.

Ein größeres Polizeiaufgebot sicherte den reibungslosen Ablauf der Veran-

staltung, was uns angesichts einiger merkwürdiger Zaungäste durchaus ange-

bracht erschien.

Presse und Fernsehen berichteten. Viele Teilnehmer dankten uns für die

ergreifende Gedenkstunde. "Rote Rosen für Ermordete" (Sächsische Zeitung,

02./03. Mai 1998) und Kerzen zeugten noch tagelang von diesem Abend.

"Als die Nazis die Kommunisten holten,

habe ich geschwiegen .

Ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,

habe ich geschwiegen.

Ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Katholiken holten,

habe ich nicht protestiert,

ich war ja kein Katholik.

Als sie mich holten,

gab es keinen mehr,

der protestieren konnte."

130

Gedenken am Ort des Verbrechens,

Trauermarsch am 29. 4. 1998

Page 176: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

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Sachsensieger im Wettbewerb um den GOLDENEN FLOH, einem Förder-

preis für praktisches Lernen

Mitte Mai 1998 entdeckten wir in der Schule ein Plakat, auf dem zu einen

Wettbewerb aufgerufen wurde. Auf diesem war zu lesen:

"Ein Oscar, der Floh heißt:

Der GOLDENE FLOH ist ein Förderpreis für Praktisches Lernen der Jugend-

zeitschriften Flohkiste und Floh unter der Schirmherrschaft des sächsischen

Kultusministers Dr. Matthias Rößler, ausgeschrieben von FLOH Praktisches

Lernen e.V. und dem Verband Bildung und Erziehung Sachsen...

Ausgezeichnet werden Beispiele praktischen Lernens, in denen unsere Welt durch

Unterrichtsthemen und Projekte handelnd und sinnvoll erfahren und begriffen

werden kann...

Teilnahmebedingungen: Schicken Sie uns bitte Ihr Beispiel praktischen Lernens

aus Ihrem Unterricht, aus Arbeitsgemeinschaften, Projektwochen oder Projekten

aus Ihrem Schulleben, von Erkundungen, Aufführungen oder Ausstellungen.

Die Darstellungen können sich auf aktuell verwirklichte, laufende oder im

Ausschreibungszeitraum begonnene Vorhaben beziehen. Stellen Sie der Jury Ihr

Projekt zum praktischen Lernen in einem Bericht vor, der nicht mehr als zehn

Seiten umfaßt (DIN A4). Dieser kann durch Fotos, Videos, Dokumente usw.

ergänzt werden."

Wir beschlossen, daran teilzunehmen. Allerdings gab es ein Problem: Bis zum

Einsendeschluß blieben uns nur zwei Tage. In einer wahren "Nacht- und Nebel-

aktion" stellten wir aus Fotos, Zeitungsausschnitten und bereits vorhandenen

Texten eine Mappe über das Schicksal von Charlotte Freche und Joseph Paulin

Michel sowie über unsere Arbeit zusammen.

Ungefähr 150 Gruppen beteiligten sich an diesem Wettbewerb. Um so mehr

freuten wir uns, als wir einen Monat später erfuhren, daß wir zu den 20

Preisträgern gehörten, die ihr Projekt in Zittau präsentieren durften, damit die

endgültige Plazierung festgelegt werden konnte. Bis dahin arbeiteten wir an

unserem Ausstellungsmaterial, das wir mitnehmen wollten. So zum Beispiel

stellten wir Mappen mit Zeitungsausschnitten und Briefen zusammen. Ein rot-

schwarz-geflammter Modellgedenkstein, eine Fototafel über den 29. April und

das Video dieser Gedenkveranstaltung gehörten ebenfalls zu unserem Gepäck.

In der Zittauer Mittelschule am Burgteich stellten wir am 26. und 27. September

1998 der Jury und interessierten Besuchern unsere Ergebnisse vor. Viele Leute

ermunterten uns, nicht aufzugeben und uns für unsere Ziele einzusetzen. Einige

ältere Menschen erzählten von ihren Erlebnissen aus dem 2. Weltkrieg. Die

Atmosphäre an diesem Wochenende war sehr angenehm und wohltuend.

Grundschüler, Mittelschüler, Förderschüler, Behinderte und Gymnasiasten gingen

alle natürlich und verständnisvoll miteinander um.

Page 177: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

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Mit einer musikalisch umrahmten Auszeichnungsveranstaltung wurde die

Präsentation abgeschlossen. In der Kategorie Mittelschulen/Gymnasien wurden

wir Sachsensieger. Mit dem Preisgeld wollen wir einen Teil der Gedenktafel für

Charlotte Freche und Joseph Paulin Michel finanzieren.

Page 178: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

133

Eine Ausstellung im Schloß Klippenstein

Eine Gedenktafel für Charlotte und Joseph Paulin

Pläne für die Zukunft

Um unsere Ergebnisse für einen längeren Zeitraum der Öffentlichkeit zugänglich

zu machen, stellten wir eine kleine Dokumentation unserer Arbeit zusammen.

Zur Eröffnung am 16. November 1998 luden wir Zeitzeugen, mit denen wir im

Verlauf unserer Nachforschungen gesprochen hatten, verschiedene Organi-

sationen und Einzelpersonen, die uns unterstützt hatten und natürlich interes-

sierte Einwohner Radebergs ein. Schätzungsweise 50 Personen waren dieser

Einladung gefolgt.

Nachdem Frau Altmann als Museumsleiterin, der Bürgermeister, Herr Lemm, und

unser Lehrer, Herr Mönch, zu Wort gekommen waren, war es an uns, etwas zu

sagen. Wir bedankten uns noch einmal bei allen, die uns immer wieder unter-

stützt und ermutigt haben, nicht lockerzulassen und weiterzuforschen.

Anschließend rezitierten wir das Gedicht "Gespräch mit einem Überlebenden"

von Erich Fried, daß wir schon bei der Gedenkveranstaltung auszugsweise

einbezogen haben...

Leider war es uns nicht möglich, die Gedenktafel für Charlotte Freche und Joseph

Paulin Michel schon am 29. April 1998 zu enthüllen. Dazu fehlten uns die finan-

ziellen Mittel. Nach unserem Spendenaufruf, dem auch viele gefolgt sind, haben

sich nun neue Möglichkeiten eröffnet.

Die Firma Formguß Dresden GmbH ist bereit, die Produktions- und Materialkosten

für die Bronzeplatte zu übernehmen. Bei der Aufstellung eines Konzeptes für die

Gestaltung dieser Platte steht uns der Radeberger Künstler Detlef Herrmann mit

Rat und Tat zur Seite.

Wir hoffen so, die Gedenktafel am 29. April 1999 am Ort des Verbrechens, vor dem

Gebäude der Hauptstraße 61, enthüllen zu können.

Natürlich müssen wir erst diese Forschungsarbeit beenden, bevor wir uns neuen

Themen zuwenden können. So sind wir beispielsweise schon dabei, Kontakt mit

Belgien aufzunehmen, um Informationen über den Belgier und den Verbleib

dessen Leiche zu erhalten. Dazu haben wir uns an die belgische Botschaft und

verschiedene Suchdienste gewandt. Bisher leider ohne Erfolg.

Zudem haben wir unser Ziel, Straßen nach den Ermordeten zu benennen, noch

nicht aus den Augen verloren.

Wenn wir dieses Projekt abgeschlossen haben, wollen wir uns neuen Nach-

forschungen widmen. Anhaltspunkte dafür haben wir schon gesammelt.

Page 179: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

134

Einflußreiche Parteien und Organisationen

während und nach der Weimarer Republik

SPD - Sozialdemokratische Partei Deutschlands

SAP - Sozialistische Arbeiterpartei

KPD - Kommunistische Partei Deutschlands

KPD (O) - Kommunistische Partei Deutschlands (Opposition)

1875 vereinigten sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und der

Allgemeine Deutsche Arbeiterverein zur Sozialdemokratischen Partei

Deutschlands.

Mitgliederzahl: 1914 1 085 905 Mitglieder

1932 1 008 953 Mitglieder

Von 1924 bis Mitte 1932 stellte die SPD die stärkste Fraktion im Deutschen

Reichstag.

Als linke Opposition aus der SPD ausgetretene oder ausgeschlossene

Mitglieder gründeten am 2.10.1931 in Breslau die Sozialistische

Arbeiterpartei.

Unmittelbar nach Beginn des Zweiten Weltkrieges zerfiel die Auslandsleitung

der SAP. Damit hörte sie auf, als selbständige Partei zu bestehen.

Am 30.12.1918 von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründet, war sie

1932 die drittstärkste Partei in Deutschland. Zu ihren Fehlern gehörte die

Sozialfaschismusthese gegenüber der SPD und die Unterschätzung des NS-

Terrors. Im Widerstand gegen die NS-Diktatur erlitt die KPD die größte Zahl

an Opfern (unmittelbar nach dem Reichstagsbrand ca. 11.000 Verhaftete), pro-

zentual gefolgt von den Bibelforschern (Zeugen Jehovas).

Am 30.12.1928 von August Thalheimer und Heinrich Brandler gegründet. Mit

dem Programm des deutsch-nationalen Weges zum Sozialismus und scharfer

Kritik an der stalinistisch dominierten KPD und der kommunistischen Inter-

nationale wollte sich die KPD (O) gegenüber der KPD unter Ernst Thälmann

durchsetzen. Das gelang nicht.

Page 180: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

DNVP - Deutschnationale Volkspartei

DVP - Deutsche Volkspartei

Stahlhelm

NSDAP - Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

Gegründet am 22.1.1918 von Großunternehmern, Großgrundbesitzern und

An-gehörigen des ehemaligen monarchistischen Offizierskorps. Ziele:

Beseitigung der Weimarer Republik

Rückkehr Deutschlands zur Monarchie

Wiedererwerb der deutschen Kolonien

Kampf gegen jüdische Kreise

1928 hatte die DNVP 696.000 Mitglieder, die besonders im "Stahlhelm" aktiv

waren. Am 1.12.1931 schloß sich die DNVP mit der NSDAP und dem

"Stahlhelm" in Bad Harzburg zur nationalen Opposition, der "Harzburger

Front" zusammen.

Gegründet am 23.11.1918. Ende 1920 hatte sie 800 000 Mitglieder, die sich auf

den Boden der Weimarer Republik stellten, jedoch am Ende der Weimarer

Republik zunehmend für den Abbau der bürgerlich-parlamentarischen

Demokratie wirkten und den Faschisierungsprozeß unterstützen.

Nach der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz am 23.3.1933 löste sich die

DVP selbst auf.

Am 13.11.1918 von Fabrikbesitzer Franz Seldte (DVP) gegründeter paramili-

tärischer Wehrverband zur Niederschlagung der Novemberrevolution.

Zwischen 1924 und 1929 hatte der Stahlhelm 500.000 Mitglieder, die ab 1930

zunehmend zur NSDAP überwechselten. Seldte wurde am 30.1.1933

Arbeitsminister in der ersten Hitler-Regierung. Am 27.4.1933 unterstellte sich

der Stahlhelm der Hitlerregierung und wurde in die SA übernommen.

Die am 5.1.1919 in München gegründete Deutsche Arbeiterpartei entwickelte

sich mit Unterstützung des bayrischen Reichswehrkommandos und gab sich

am 24.2.1920 den Namen NSDAP.

Mitgliederzahl: 1925 27 000 Mitglieder

1929 176 000 Mitglieder

1930 806 000 Mitglieder

1933 3 900 000 Mitglieder

1945 9 600 000 Mitglieder

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Page 181: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

SA - Sturmabteilung

SS - Schutzstaffel

Waffen-SS

Von Hitler am 3.8.1921 als Kampftruppe gegründet, wurde die SA ab 1931 zu

einer halbmilitärischen Terrororganisation ausgebaut. 1932 hatte sie 300.000

Mitglieder.

Die SS war der Stoßtrupp Hitlers und gehörte anfangs organisatorisch der SA

an. Sie wurde jahrelang von der Reichswehr logistisch und mit Waffen

unterstützt. Von 400 Angehörigen im Jahr 1923 wuchs sie auf 52.000 im Jahr

1933 und 146.000 im Jahr 1944.

Sie wurde von Reichsminister Himmler am 18.5.1933 gebildet. Am 30.6.1944

hatte sie einen Bestand von 600.000 Mann, davon 350.000 Feldtruppen (35

Divisionen).

136

Page 182: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

Quellen und Literaturangaben

Stadtverwaltung Radeberg, Archiv-Nr.: 62, 177, 227, 403, 2073, 2074, 2180,

2189, 4000, 4100, 4151, 5046

Nr. 3489: Ortschronik der Stadt Radeberg 1945 bis 1989, Band 1, von Rudolf

Thomas

Nr. 3589: Chronik der Stadt Radeberg und Umgebung bis 1948 von Theodor

Arlt.

Archiv der Bezirksstaatsanwaltschaft Dresden

Landesnachrichtendienst, herausgegeben von der Landesverwaltung

Sachsen/ Landesnachrichtendienst, September/Oktober 1945

Radeberger Zeitung und Tageblatt (RZ), Jahrgänge 1922, 1931-1938, 1943,

1944 und einzelne Ausgaben 1945

Der Freiheitskampf, Amtliche Zeitung der NSDAP, Amtliches Blatt der

Behörden, Dresden, Januar bis 6. Mai 1945

Volkszeitung, Dresden, September/Oktober 1945

Volksstimme Dresden, September/Oktober 1945

Sächsische Zeitung vom 1.4.1964, 9.10.1991, 25.3.1992, 25.10.1994,

21.1.1998

Neues Deutschland vom 21.7.1998

Annaberger Tageblatt vom 17. Mai 1945

Die Radeberger Heimat, Heft 1 und 2, 1994 und 1995

Enzyklopädie des Nationalsozialismus, herausgegeben von Wolfgang Benz,

Hermann Graml und Hermann Weiß, Stuttgart, Klett-Cotta 1997

Deutscher Bundestag: Fragen an die deutsche Geschichte, Referat für Öffent-

lichkeitsarbeit, Bonn 1990

Chronik des antifaschistischen Widerstandes im Kreis Dresden-Land 1933-

1945, Dresden 1985

Chronik des VEB RAFENA-Werkes, 1915-1957

Ortschroniken von Wachau, Ottendorf-Okrilla, Arnsdorf, Lomnitz, Klein-

wolmsdorf, Schönborn, Langebrück

Lebenserinnerungen verdienter Partei- und Arbeiterveteranen des Kreises

Dresden-Land 1933-1945, Dresden 1985

Zeitzeugen und andere Berichte von Karl Pietzsch (Radeberg), Georg Wehner

(Dresden), Albert Zumpe (Radeberg), Franz Dobermann (Dresden), Arthur Hof-

mann (Dresden), Dr. Heinz Senenko (Sebnitz), Fritz Zinke (Radeberg), Otto

Wittich (Kleinwolmsdorf), Hans Thalheim (Lomnitz), jeweils im Besitz der

Verfasser

Privatarchive sowie Material- und Fotosammlungen zu einzelnen Sachge-

bieten von Herbert Böhm, Rosemarie Böttcher, Eberhard Wehner, Helfried

Wehner (alle Radeberg), Otto Wittich (Kleinwolmsdorf), Hans Thalheim

137

Page 183: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

Beier Gottfried: Unerschrockene Frauen gedemütigt, in:

Sächsische Zeitung vom 6.11.1997

Bergschicker Heinz: Deutsche Chronik 1933-1945, Berlin 1981

Böhm Boris: In Jammer und Schmerz ist sie erloschen, in

Nationalsozialistische Euthanasieverbrechen in Sachsen, Beiträge zu ihrer

Aufarbeitung,

Dresden-Pirna 1996

Ders.: Die Euthanasieanstalt Pirna-Sonnenstein 1940-1941, in: ebenda

Böhm Herbert: Der gelbe Stern, Gedanken zur Reichskristallnacht vor 50

Jahren, in: ROBOTRON, November 1988

Czok, Karl: Geschichte Sachsens, Weimar 1989

Forner, Willy: Kriminalsekretär Beyerleins letzter Fall in:

Dresdener Pitaval, Kriminalfälle aus vier Jahrhunderten

Gebauer, Hans-Werner: Biografische Anmerkungen zum Lebensweg

des Radeberger Bürgermeisters Otto Uhlig, Langebrück-Radeberg 1997

Goldenhagen, Daniel Jonah: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche

Deutsche und der Holocaust, 1996

Gute, Herbert: Partisanen ohne Gewehr, Berlin 1970

Knopp, Guido: Hitler - eine Bilanz, München 1997

Körner, Eberhard: Das Verbrechen an Familie Schönwald, in:

Sächsische Zeitung vom 9.10.91

Konev, I. S.: Das Jahr fünfundvierzig, Berlin 1969

Limpach, Rudolf: Kampfweg des Sieges - Tagebuch der Befreiung,

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Löwental, Richard, von zur Mühlen, Patrik (Hg): Widerstand und

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Marschner, Wolfgang: Verfolgt - Verschleppt - Verbrannt (Sächsische Hefte),

Vom Schicksal der Juden in Dresden, Dresden 1995

Naumann, F. : Die Hilfe, Gotteshilfe, Selbsthilfe, Staatshilfe, Bruderhilfe,

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Rosanow, German: Des Ende des dritten Reiches, Berlin 1965

Schmeitzner, Mike und Rudloff, Michael: Geschichte der Sozialdemokratie im

Sächsischen Landtag, Dresden 1997

Schröder, Nina: Hitlers beugsame Gegnerinnen, Der Frauenaufstand in der

Rosenstraße, Wilhelm Heyne-Verlag, München, 1997

Stephan, Klaus: Zur politischen Bedeutung des Dresdner Prozesses gegen die

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Stolle, Charlotte: Der "Radeberger Prozeß" - Erste demokratische Justizorgane

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Wehner, Herbert: Zeugnis persönliche Notizen 1929-1942, Halle-Leizig 1990

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in: Sächsische Heimatblätter, Heft 5 / 1975

Ders.: Verbrechen an Zwangsarbeitern in: Sächsische Zeitung vom 20.9.85

Ders.: Verjährung? Niemals?, eine aktuelle Dokumentation in:

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Wenske, Jürgen: In Gedenken der Opfer des 20. Juli (Kreisauer Kreis,

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Aliiertes Haftstättenverzeichnis "Cataloque of Camps und Prisons in

Germany": Arbeitserziehungslager Radeberg: working for the "Sachsenwerke"

in Radeberg, established summer 1944. Strength: 300 persons in september

44, later 400-600-800 persons. At liberation in May 1945 200 persons. In

january 1945 executions started, more than 150 prisoners lost their lives in

this manner (1949).

Gedenkblatt: Den Opfern der Euthanasie aus Kleinwachau 1940-1943

Die Mörder in Weiß - Das NS-Euthanasieprogramm,

Wettbewerbsarbeit von Berliner Schülerinnen in: ANTIFA, 1/1996

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Hohnstein und Umgebung, In der Nationalparkregion Sächsische Schweiz,

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Wehner, Helfried / Gräfe, Karl-Heinz: Die Befreiung unseres Volkes vom

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Umwälzung,

139

Page 185: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz - blogsport

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Impressum:

Herausgeber: Bund der Antifaschisten, Region Dresden e.V. -

Autorengruppe unter Leitung von Prof. Dr. Helfried Wehner

Fotoreproduktion der 12 graf. Blätter: Dieter Büttner, Radeberg

Satz, Gestaltung und Repros (Agfa-Scanner): PC-Satzstudio Förster, Zittau

Druck und Weiterverarbeitung: Graphische Werkstätten Zittau