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Realitätscheck für den Klimaschutz Herausgeber Steffen Hentrich Holger Krahmer Globale Klimapolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Realitätscheck für den Klimaschutz298/20113/SH_Realitätscheck... · in einer Welt voller Unsicherheiten Ross McKitrick ... Eine derartige Abgabe zeichnet sich nicht nur durch

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Realitätscheckfür denKlimaschutz

Herausgeber

Steffen HentrichHolger Krahmer

Globale Klimapolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Realitätscheck für den Klimaschutz

Realitätscheck für den Klimaschutz

Herausgeber

Steffen HentrichHolger Krahmer

Globale Klimapolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektivManuel Frondel

Eine vernünftige Klimapolitik in einer Welt voller UnsicherheitenRoss McKitrick

© 2011

Die Autoren und Herausgeber

Herausgeber

Steffen Hentrich

Holger Krahmer

Autoren

Ross McKitrick

Manuel Frondel

Titelgestaltung, Layout, Satz

RAUM II

Agentur für visuelle Kommunikation

Christoph Jahn | Frank Ekelmann

www.raum-zwei.com

Übersetzung aus dem Englischen

Tanja Felder

www.sprachfelder.de

Lektorat

Ewald Oetzel

Druck

Förster & Borries GmbH & Co. KG

www.foebo.de

Papier

Inhalt: Profibulk 1.3, 115 g/m²

Bezug: Profisilk, 140 g/m²

Steffen Hentrich

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Liberales Institut

Referent | Senior Research Fellow

Karl-Marx-Straße 2

14482 Potsdam

Telefon +49 331 7019129

[email protected]

www.freiheit.org

Holger Krahmer

Mitglied des Europäischen Parlaments

Abgeordnetenbüro ‘krahmerladen’

Nonnenmühlgasse 1

04109 Leipzig

Telefon +49 341 2535580

[email protected]

www.holger-krahmer.de

Erste Auflage

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk oder Teile des Werkes dürfen

nicht ohne die schriftliche Genehmigung der

Herausgeber vervielfältigt, in Datenbanken

gespeichert oder in irgendeiner Form

übertragen werden.

ISBN 978-3-00-036040-4 | Print

ISBN 978-3-00-03604 1- 1 | eBook

Printed in Germany

Inhalt

Vorwort 7

Eine vernünftige globale Klimapolitik 13in einer Welt voller UnsicherheitenRoss McKitrick

1. Einleitung 15

2. Theoretische Grundlagen der Klimapolitik 29

3. Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens 47

4. Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse 79

bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise

5. Schlussfolgerungen 91

Literatur 95

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv 103

Manuel Frondel

1. Einleitung 105

2. Der geringe Effekt der 109

Treibhausgasminderungspolitik der EU

3. Kontraproduktive internationale Rückwirkungen 119

4. Mangelnde Kosteneffizienz der 123

Treibhausgasminderungspolitik der EU

5. Schlechte Chancen für ein globales 135

Klimaabkommen zur Treibhausgasminderung

6. Erfolgsträchtigere Alternativen 141

7. Anpassung an die globale Erwärmung 149

8. Zusammenfassung und Schlussfolgerung 155

Literatur 159

Die Autoren und Herausgeber 167

Vorwort

Vorwort

Steffen Hentrich | Holger Krahmer

Die derzeitige klimapolitische Diskussion geht von der Prämisse aus,

dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das globale Klima und

den darauf wirkenden Einfluss des Menschen hinreichend sind, um da-

raus schon heute klare Handlungsempfehlungen für eine langfristige

Klimapolitik ableiten zu können. Ebenso vorherrschend ist der Glaube,

dass internationale Abkommen möglich und derzeit praktizierte und

geplante Klimaschutzmaßnahmen wirksam sind. Bei näherer Betrach-

tung wird jedoch die Realitätsferne dieser Annahmen offensichtlich.

Tatsächlich gehen die Einschätzungen über die Validität der herrschen-

den wissenschaftlichen Lehre über die Ursachen und das Ausmaß des

Klimawandels unter den Experten der unterschiedlichsten wissen-

schaftlichen Disziplinen weit auseinander. Um Klimamodelle und Kli-

madaten gibt es einen intensiven wissenschaftlichen Disput.

Doch nicht nur die naturwissenschaftliche Dimension des Klima-

wandels ist heiß umstritten, sondern auch die Frage nach einer ange-

messenen Reaktion auf die globalen Klimaveränderungen und die ge-

eignete Implementierung klimapolitischer Maßnahmen. Obwohl sich

Klimawissenschaftler ebenso wie Umweltpolitiker der herrschenden

Unsicherheiten bewusst sein sollten, werden die damit verbundenen

Herausforderungen für die menschliche Handlungsfähigkeit in der

internationalen Klimapolitikarena selten zugegeben. Hinter dieser

Kulisse der Sicherheit sind die unterschiedlichsten Interessengruppen

schon längst dabei, die Löcher der wissenschaftlichen Erkenntnis mit

7

den notwendigen Zutaten für die Durchsetzung ihrer eigenen Interes-

sen zu stopfen. Kein Wunder, dass es dem Sammelsurium der derzei-

tig praktizierten Klimaschutzinstrumente an Effektivität und Effizienz

fehlt. Selbst in der heilen Welt des Klimakonsenses kommt man nicht

umhin, die Risse in der Fassade der wackligen Konstruktion internati-

onaler Vereinbarungen anzuerkennen. Wo politische Entscheidungslo-

gik, Lobbyismus und der Glaube an eine ökologisch motivierte Wirt-

schaftslenkung geprägte Ideologie regiert, ist wenig Platz für Rationali-

tät und wirtschaftliche Freiheit.

Rationale Klimapolitik muss sich der Herausforderung der natur-

wissenschaftlichen und sozioökonomischen Unsicherheiten stellen,

nicht nur um den derzeitigen Stillstand der internationalen Klimaver-

handlungen zu beenden. Der Wohlstand der Menschen in der entwi-

ckelten Welt steht ebenso auf dem Spiel wie die Entwicklungsoptio-

nen in den ärmsten Regionen unseres Planeten. Unter den gegebenen

technologischen Bedingungen ist die künstliche Verknappung von

reichlich vorhandenen und kostengünstig nutzbaren fossilen Energie-

trägern ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis für Produktivitäts-

fortschritte, die notwendig sind, Millionen Menschen auf der Erde an-

gemessen zu ernähren sowie menschenwürdige Lebensbedingungen

und realistische Entwicklungschancen zu ermöglichen. Wir wissen bis

heute nicht, ob eine Konzentration auf die Vermeidung von Treibhaus-

gasemissionen in der Klimapolitik ein wirksamer Weg zur Verhinde-

rung der befürchteten Folgen eines globalen Klimawandels ist. Unter

den Bedingungen ungenauer Kenntnis der Zusammenhänge zwischen

klimatischen Veränderungen und wirtschaftlichen Aktivitäten und

den hohen Unsicherheiten über die Dynamik der wirtschaftlichen Ent-

wicklung ist ein verantwortlicher Umgang mit knappen Ressourcen

unumgänglich, will eine Gesellschaft Hemmnisse für ihre zukünftigen

Entwicklung möglichst gering halten. Mehr Wohlstand und weniger

Umweltverschmutzung sind gemeinsam nur zu erreichen, wenn wir

mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln so effizient wie möglich

8

Steffen Hentrich | Holger Krahmer

Vorwort

umgehen. Wenn nicht, riskieren wir wertvolle Entwicklungsoptionen

für die heute lebenden Menschen und zukünftige Generationen.

Doch nicht nur die sozioökonomischen Folgen des herrschenden

klimapolitischen Paradigmas geben Anlass zur Sorge, auch die im

Namen des Klimaschutzes immer stärker um sich greifende Erosion

bürgerlicher Freiheiten ist alarmierend. Grundlegende Menschen-

rechte stehen ebenso auf dem Spiel wie Entwicklung und Fortschritt.

Auch aus diesem Grund ist eine flexiblere und effiziente Klimapoli-

tik unumgänglich, eine Klimapolitik, die sich statt an starren Zielen

am sich wandelnden Wissen orientiert und sich auf Maßnahmen be-

schränkt, die nachweislich die Belastungen für die Bürger minimie-

ren. Das bedeutet eine Kombination eines maßvollen Einsatzes effi-

zienter Instrumente zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen

und von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, die mit

einem Minimum an Eingriffen in Märkte und die individuellen Rech-

te der Bürger auskommen.

Dieses Buch versucht die Lücke zwischen dem Allmachtsanspruch

der Klimapolitik und dem nach menschlichem Ermessen sinnvollen

Beitrag zur Vorsorge in einer Welt unsicherer zukünftiger Entwicklun-

gen zu schließen, offensichtliche Schwächen der Klimapolitik aufzude-

cken und Alternativen zu beschreiben.

Ross McKitrick analysiert hierzu die wohlfahrtsökonomischen Vo-

raussetzungen der Klimapolitik unter naturwissenschaftlichen und

sozioökonomischen Unsicherheiten, zeigt diese anhand jüngster Er-

gebnisse der empirischen und modellorientierten Klimaforschung auf

und zieht daraus Schlussfolgerungen für die praktische Klimapolitik.

Kern seiner Empfehlung ist eine Emissionsabgabe, deren Höhe entspre-

chend einer transparent nachvollziehbaren Entscheidungsregel flexibel

an beobachtbare Temperaturentwicklungen angepasst werden kann.

Ein derartiges Klimaschutzinstrument vermeidet die Gefahr politischer

Überreaktionen oder systematischer Fehleinschätzungen des notwen-

digen Umfangs von Vermeidungsmaßnahmen und veranlasst die be-

9

troffenen Akteure eigene Prognosen klimatischer Veränderungen ohne

interessengeleitete Manipulation der Ergebnisse zur Verfügung zu stel-

len. Eine derartige Abgabe zeichnet sich nicht nur durch ökonomische

Vorteile gegenüber der heutigen Mengensteuerung in der Klimapolitik

aus, sondern vermag auch der sich immer weiter verschärfenden Politi-

sierung der Klimawissenschaft entgegenzuwirken.

Manuel Frondel arbeitet sich durch die Defizite der Klimapolitik

der Europäischen Union und zeigt die Ursachen für ihren Mangel an

Wirksamkeit und Effizienz auf. Wirtschaftswissenschaftliche Überle-

gungen und praktische Beobachtungen zeigen dabei eindrucksvoll, wel-

che gefährlichen Folgen der Glaube an eine europäische Vorreiterrolle

in der Klimapolitik haben kann. Klimapolitischer Pragmatismus würde

dahingegen viel stärker auf sich evolutionär entwickelnde Strategien

setzen, die sich auf regional wirksame Anpassungsmaßnahmen und die

Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich emissionsredu-

zierender Energieumwandlungstechnologien konzentrieren.

Rationale Klimapolitik kann ohne Opfer an Wohlstand und Frei-

heit auskommen. Doch für den dazu notwendigen Politikwandel ist

eine offene Debatte über Ursachen und Lösungsalternativen der Pro-

bleme des Klimawandels unumgänglich. Dieser Herausforderung will

sich dieses Buch stellen.

Steffen Hentrich | Potsdam

Holger Krahmer | Leipzig

Juli 2011

10

Steffen Hentrich | Holger Krahmer

Mit besonderem Dank der Herausgeber an die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Eine vernünftige Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Ross McKitrick

1.

Einleitung

Zwanzig Jahre Misserfolg

„Wir müssen der unschönen Wahrheit ins Auge blicken und erkennen, dass der klimapolitische Prozess am Ende ist. 2012 läuft das einzige Abkommen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen – das Kyoto-Protokoll – aus. Die Hoffnung auf den Abschluss eines Nachfolgeabkommens vor diesem Zeitpunkt ist nicht realistisch: Über das bestehende Abkommen wurde fünf lange Jahre verhandelt; acht weitere gingen ins Land, bevor es schließlich in Kraft trat. Hinsichtlich einer echten Hoffnung auf globales Handeln gegen den Klimawandel liegen wir heute weit hinter dem Stand von 1997 oder sogar 1992 zurück. Und dabei geht es nicht nur darum, dass wir 18 wertvolle Jahre verloren haben. In der Zeit der guten Absichten und großen Worte haben wir letztlich sogar Rückschritte gemacht. |...| Wie sollen wir mit der Tatsache umgehen, die wir zu verdrängen suchten, nämlich dass in 18 Jahren vollmundiger Versprechungen und großer Töne nichts geschehen ist?“

George MonbiotGuardian Newspaper | 20. September 2010

In diesem Beitrag geht es um die Gestaltung einer Politik zur Bekämp-

fung der globalen Erwärmung durch eine Reduzierung von Treibhaus-

gasemissionen (THG), insbesondere Kohlendioxid (CO2). Mit dem Erd-

gipfel der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro im Jahr 1992 erlangte

das Thema große politische Aufmerksamkeit. Doch trotz zwanzig

Jahre intensiver Arbeit, die durch ein annähernd globales Einverneh-

men der politischen und gesellschaftlichen Eliten darüber geprägt

war, dass es sich bei der globalen Erwärmung um eine Krise handelt,

die ein unverzügliches und weit reichendes Eingreifen erfordert, so-

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

15

wie wiederholter Äußerungen von Spitzenpolitikern, entschlossen

handeln zu wollen, wurden letztlich kaum kohärente politische Maß-

nahmen auf den Weg gebracht. Im Gegenteil: Die Staaten scheiterten

mehrfach in dem Versuch, sich auf Abkommen oder andere Koordi-

nierungsmechanismen zu einigen, und auch darüber, was in abseh-

barer Zukunft getan werden könnte oder sollte, scheint nur wenig Ei-

nigkeit zu herrschen.

Dieser Umstand ist meiner Meinung nach im Wesentlichen darauf

zurückzuführen, dass es in der Vergangenheit nicht gelungen ist, die

Klimapolitik auf eine ökonomisch vernünftige Grundlage zu stellen.

Ein Großteil der populärsten klimapolitischen Ideen ist aus ökonomi-

scher Sicht nicht durchführbar und alle dahingehenden Bestrebungen

legen letztlich nur das Fundament für ihr späteres Scheitern. Ein zu-

friedenstellender Fortschritt in der Klimapolitik ist daher nicht abseh-

bar, solange wir uns nicht eingestehen, dass die bestehenden globalen

Initiativen auf tönernen Füßen stehen und eine grundlegend andere

Richtung eingeschlagen wird.

In diesem Beitrag möchte ich zunächst die meines Erachtens

bestehenden vier grundlegenden Mängel der aktuellen Klimapolitik

darlegen: Erstens haben weder die Bürokratie noch die Politik erkannt,

dass es sich bei CO2 um einen Sonderfall handelt, der nicht in eine Rei-

he mit den vorherrschenden Umweltthemen der 1970er und 1980er

Jahre wie Schwefeldioxid-Emissionen (SO2) und Fluorchlorkohlenwas-

serstoff-Emissionen (FCKW) gestellt werden kann, zu deren wirksamer

Bekämpfung konventionelle Institutionen ausreichend waren. Die

Verhandlungsmechanismen und politischen Initiativen zur Lösung

dieser Probleme wurden einfach auf die CO2-Problematik übertragen,

ohne für diese jedoch passende Lösungen bieten zu können.

Zweitens ist es der Politik nicht gelungen, mit dem Anstieg der in

der Ökonomie als Grenzvermeidungskostenkurve (GVK) bezeichneten

Kostenfunktion der Klimapolitik angemessen umzugehen, d. h. zu ver-

stehen, in welchem Maße die Kosten für die Optionen zur Vermeidung

16

Einleitung

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

von CO2 bei Ausweitung der Ziele zur Emissionsreduzierung steigen.

Das führt dazu, dass politische Ziele verfolgt werden, die höhere Kos-

ten verursachen, als die Öffentlichkeit zu akzeptieren bereit ist. Einige

Verfechter dieses politischen Vorgehens versuchten zu zeigen, dass die

Politik zur Reduzierung von Treibhausgasen ökonomische Vorteile mit

sich bringen kann. Tatsächlich fußt ein Großteil der Rhetorik der jüngs-

ten Vergangenheit in Bezug auf eine „grüne Ökonomie“ auf dieser irri-

gen Behauptung. In Wahrheit verhält es sich jedoch so, dass politische

Maßnahmen, die ausreichen würden, um die allgemein vorgebrachten

Ziele zur Emissionsreduzierung zu erreichen, mit den aktuell existie-

renden Technologien deutlich höhere Kosten verursachen würden, als

die Öffentlichkeit zu tragen bereit ist, und auch deutlich höhere Kos-

ten, als die Politiker, die diesen Weg verfechten, sich vor Augen zu füh-

ren scheinen. Die Art der von der Politik regelmäßig vereinbarten Ziele

entbehrt folglich, angesichts des dabei ausbleibenden Erfolgs, diese zu

erreichen, jeglicher demokratischen Legitimation.

Drittens zeigt eine ökonomische Analyse, dass die Politik zur Re-

duzierung der Treibhausgase Emissionspreise anstelle von Emissions-

grenzen festsetzen sollte. Die Regulierungsbehörden haben die Wahl,

ob sie einen Preis für Emissionen fixieren und den Markt über die

Menge entscheiden lassen oder ob sie es bevorzugen, ein Emissionsziel

vorzuschreiben und den Markt den Preis bestimmen zu lassen – bei-

des zugleich geht nicht. Aus technischen Gründen wissenschaftlicher

und ökonomischer Natur sind Preismechanismen geeigneter als eine

Strategie zur Regulierung von Treibhausgasen. Alle bis heute durchge-

führten größeren globalen Initiativen, einschließlich des Kyoto-Proto-

kolls und ähnlicher Instrumente, legten ihren Schwerpunkt dennoch

auf Mengenbegrenzungen. Eine Begrenzung der Emissionsmengen

oder, noch schlimmer, indirekte regulatorische Maßnahmen zur Ver-

änderung des Energieverbrauchsverhaltens sind kostenintensiv, intru-

siv und häufig nutzlos. Eine große Herausforderung, beim Versuch, die

globale Klimapolitik auf eine vernünftige Grundlage zu stellen, liegt

17

also darin, die Diskussion auf die Wahl einer Preis- statt einer Mengen-

steuerung umzulenken. Richtet sich das Augenmerk hingegen weiter

auf Mengenbegrenzungen, steht fest, dass die kommenden zwanzig

Jahre ein ebenso kostenintensiver Misserfolg sein werden wie die ver-

gangenen.

Schließlich ergibt sich für die Politik aus den großen Unsicher-

heiten, den langen Planungshorizonten sowie der Erwartung, dass in

den kommenden Jahren einschlägige neue Informationen über das

Ausmaß der Umweltschädigung durch Treibhausgasemissionen und

die Kosten zu deren Vermeidung vorliegen werden, die Notwendigkeit,

sich primär auf zustandsabhängige (bzw. anpassungsfähige) Preisrege-

lungen anstatt auf starre, langfristige Verpflichtungen zur Emissions-

begrenzung zu konzentrieren.

Ziel dieses Beitrags ist es, die konventionelle Auffassung von der

globalen Klimapolitik grundlegend in Frage zu stellen. Wer sich dem

aktuellen politischen Handlungsrahmen stark verbunden fühlt und

eine solch umfassende Neubewertung ablehnt oder diese für nachtei-

lig erachtet, sollte versuchen, seine Zweifel über Bord zu werfen und

sich offen auf die Argumente einzulassen. Wer sich ernsthaft eine ver-

nünftige und wirksame Klimapolitik wünscht, kann mit den letzten

zwei Jahrzehnten nicht zufrieden sein. Die Zeit ist reif für eine tiefgrei-

fende Neugestaltung.

Emissionsvermeidungspolitik vs. ‘Klimapolitik’

Ich möchte diesen Beitrag ungeachtet des Titels damit beginnen,

zunächst Kritik an dem unpassenden Begriff der „Klimapolitik“ an-

zubringen, die meines Erachtens besser als Treibhausgas-Emissions-

vermeidungspolitik bezeichnet würde. Diese Unterscheidung ist von

großer Bedeutung. Politiker können zwar langfristig betrachtet den

Emissionsverlauf der Wirtschaft beeinflussen; das Klima zu verändern,

ist hingegen niemand in der Lage.

18

Einleitung

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Die diesbezügliche Verwirrung führt bisweilen zu einer eigen-

artigen Rhetorik. In einer Rede vor dem Toronto Economic Club am

30. Mai 2007 rühmte sich der damalige kalifornische Gouverneur Ar-

nold Schwarzenegger der starken Begrenzung der Treibhausgasemis-

sionen, zu der sich sein Bundesstaat verpflichtet hatte (Erreichen der

Ziele von 1990 bis 2020); er sagte: „Ich bin überzeugt, dass wir das Kli-

ma dieses Planeten reparieren können.“ Dieser Ausspruch fand sich

am 31. Mai 2007 auf dem Titel der National Post wieder.

Die Aussage, staatliche Politik könne das Klima des Planeten „re-

parieren“, ist grotesk. Es ist vielleicht möglich, das Erscheinungsbild

eines Stuhls oder eines Paars Schuhe zu verändern, wobei auch in

diesen Fällen versucht wird, ein ursprüngliches Erscheinungsbild neu

nachzubilden. Doch welches sind die ursprünglichen Bedingungen für

das Erdklima, wenn es denn tatsächlich möglich sein sollte, diese zu

erreichen? Gemessen an einer geologischen Zeitskala wären als Ziel

tropische Bedingungen an den Polen oder eine globale Eiszeit vor-

stellbar – oder auch irgendetwas dazwischen. Und selbst wenn das Ziel

lautete, zu den klimatischen Bedingungen des vergangenen Jahrhun-

derts zurückzugelangen, bleibt unklar, wonach genau wir streben. Eine

Entscheidung bspw. für den Status quo der 1930er, 1950er oder 1970er

Jahre würde voraussetzen, man sitze dem Irrtum auf, es gäbe einen op-

timalen Klimazustand und jegliches Abweichen von diesem, in welch

geringem Maße auch immer, käme einer Katastrophe gleich.

Was Gouverneur Schwarzenegger offenkundig meinte war, dass

die von ihm vorgeschlagenen Treibhausgasemissionsziele seiner An-

sicht nach erreichbar wären. Das mag richtig sein, ist jedoch mit ho-

hem Kostenaufwand verbunden. In weiten Teilen seiner Rede lobte

Schwarzenegger die Marktchancen für neue Technologien (wie Elekt-

roautos und Solarzellen), deren Einsatz in Kalifornien er fördern woll-

te. Doch zeigt seine eigene Politik, dass zu ihrer Umsetzung höhere

Subventionen und strenge gesetzliche Vorgaben vonnöten wären, und

zwar aus dem einfachen Grund, dass sie nicht profitabel bzw. ganz ein-

19

fach teuer sind. Das Erreichen dieser Ziele erfordert mehr als einige

kleinere Verbesserungen bei der Energieeffizienz und optimistische

Rhetorik; um diese Ziele zu erreichen, müssen die Menschen bereit

sein, enorme Kosten zu tragen.

Ein weitaus gravierenderes Problem in der Denkweise von Arnold

Schwarzenegger (und vielen anderen Spitzenpolitikern auf dieser Welt)

liegt darin, dass die tatsächliche Emissionsreduzierung im Rahmen ei-

nes jeden Ziels, das vernünftigerweise als bezahlbar erachtet werden

kann, so gering ausfällt, dass die Folgen für das Klimasystem nahezu

unbemerkt bleiben. In diesem Sinne gibt es so etwas wie „Klimapolitik“

nicht. Niemand kann das Klima direkt beeinflussen. Wenn diejenigen

also, die spezifische Maßnahmen vorschlagen, von „Klimapolitik“ spre-

chen, erwecken sie den Eindruck, ihre Ideen hätten direkten, vorhersag-

baren und unmittelbaren Einfluss auf das globale Klima. Im Ergebnis

werden die möglichen Kosten des globalen Klimawandels bisweilen mit

den Kosten der jeweiligen lokalen Politikmaßnahmen zur Emissions-

kontrolle verglichen und, wenn letztere gegenüber ersteren gering aus-

fallen, von den Urhebern dieser Politik als Beleg dafür herangezogen,

dass diese umgesetzt werden sollte. Diese Argumentation lässt sich

jedoch nicht aufrechterhalten, da die lokale Politik zur Emissionskon-

trolle im Allgemeinen geringen bzw. überhaupt keinen Einfluss auf die

künftige Entwicklung des globalen Klimas hat. Selbst wenn multilate-

rale Abkommen wie das Kyoto-Protokoll umgesetzt würden, so wäre

der Nutzen für das Klima äußerst gering. Belegt wird dies in komplexen

Modellsimulationen (z. B. Wigley et al. 1998), doch ist die dem zugrun-

deliegende Argumentation leicht nachvollziehbar.

> Der Einfluss von Treibhausgasen auf die Veränderung des Klimas ist

von der in der Atmosphäre vorhandenen Menge dieser Gase abhän-

gig, nicht von den jährlichen Emissionen.

> Aktuell befinden sich etwa 750 Gigatonnen CO2 (in Kohlenstoffäqui-

valent) in der Atmosphäre (Houghton 1997).

20

Einleitung

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

> Die weltweiten jährlichen Emissionen liegen bei 8,4 Gigatonnen, von

denen etwa 3 auf natürliche Weise sequestriert werden (Marland et

al. 2010).

> Von den etwa 5,4 Gigatonnen Nettoemissionen stammt die Hälfte

aus den Industriestaaten.

> Diese 2,7 Gigatonnen an Emissionen sollten laut Kyoto-Protokoll auf

etwa 5 % unter das Emissionsniveau von 1990 bzw. um etwa 0,7 Giga-

tonnen ausgehend vom heutigen Stand reduziert werden.

> Es wird erwartet, dass auch wenn die Teilnehmer des Kyoto-Protokolls

ihre Pflichten vollständig erfüllen, ein Teil dieser Emissionen durch

das Phänomen der Carbon Leakage – das Entstehen höherer Emis-

sionen andernorts durch die Verlagerung von Produktionsprozessen

in Länder ohne Emissionsbeschränkungen – aufgewogen wird. Ver-

öffentlichte Schätzungen dieser Leckrate reichen je nach angenom-

menen Marktstrukturen und Merkmalen der Brennstoffbeschaffung

von Null bis über 100 %. Wenn wir von einer Leckrate von 20 % aus-

gehen, entspräche dies einer Reduzierung des Emissionsvolumens

durch das Kyoto-Protokoll um etwa 0,6 Gigatonnen und damit einer

Reduzierung des in der Atmosphäre gespeicherten Kohlenstoffs um

etwa 0,08 %.

Selbst wenn also die Vorgaben des Kyoto-Protokolls eingehalten wür-

den, hätte dies nur geringe Emissionsreduzierungen mit minimalen

Auswirkungen auf die globale Kohlendioxidkonzentration zur Folge.

Und für die meisten Länder erwies sich die Umsetzung des Kyoto-Pro-

tokolls als zu kostspielig und schwierig. Ich wiederhole noch einmal:

Ziele zur Emissionsreduzierung, die hinreichend weit angelegt sind,

um spürbare Auswirkungen zu zeitigen, sind in ihrer Umsetzung zu

teuer. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass nichts getan werden

sollte; doch es bedeutet sehr wohl, dass die gesetzten Ziele und Fristen

sich an der Realität orientieren müssen und nicht bloße Rhetorik oder

Wunschdenken sein sollten.

21

Es ist falsch, auf die potenziellen Kosten des globalen Klimawan-

dels zu verweisen und diese mit den potenziellen Kosten lokaler poli-

tischer Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen zu vergleichen.

Richtig wäre es hingegen, die Kosten der lokalen politischen Maßnah-

men zur Emissionsreduzierung zu ermitteln und diese mit den Vortei-

len der anzunehmenden Veränderungen einer potenziellen künftigen

Entwicklung des globalen Klimas zu vergleichen. Erzielt eine Politik

zur Emissionsreduzierung solch geringe Auswirkungen auf die globale

Atmosphäre, dass ein Land daraus in der Zukunft keinen Einfluss auf

das Klima erwarten kann, liegt der Nutzen einer solchen Politik in Be-

zug auf die Verringerung klimabedingter Schäden bei null.

Die besonderen Herausforderungen der Kontrolle von CO2-Emissionen

Es mag allzu pessimistisch erscheinen zu sagen, dass die finanzierbaren

Ziele zur Emissionsreduzierung nicht weit genug reichen, um spürbare

Auswirkungen auf das Klima zu zeitigen. Doch spiegelt diese Aussage

die Wirklichkeit für Kohlendioxid – im Gegensatz zu anderen Formen

der Luftverschmutzung – wider. So ist es in Nordamerika und Europa

beispielsweise gelungen, die Schwefeldioxid-Problematik erfolgreich in

den Griff zu bekommen. Politische Maßnahmen, die sowohl auf loka-

ler als auch auf nationaler Ebene umgesetzt wurden, führten seit den

1970er Jahren zu einer umfangreichen Reduzierung der SO2-Emissio-

nen und -Konzentrationen zu durchaus erschwinglichen Kosten. Vor

diesem Hintergrund könnte man der Versuchung erliegen zu glauben,

auch für CO2 ließen sich zu geringen Kosten Programme zur Reduzie-

rung der Emissionen mit ähnlich überzeugenden Ergebnissen auflegen.

Doch dieses Argument hinkt, da es für CO2 im Vergleich zu SO2 nur sehr

wenige Möglichkeiten gibt, die Emissionen zu reduzieren.

Tabelle 1 zeigt die wesentlichen Optionen zur Emissionsreduzierung

sowie deren Verfügbarkeit in Bezug auf CO2 und SO2.

22

Einleitung

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Die vier verfügbaren Vermeidungsoptionen sind: Installation von

Abluftwäschern auf Schornsteinen, Umstieg auf eine sauberere Ver-

sion desselben Brennstoffs (z. B. von stark schwefelhaltiger Kohle auf

schwach schwefelhaltige Kohle), Umstieg auf einen anderen Brenn-

stoff (z. B. von Kohle auf Erdgas) und Einschränkung des Umfangs der

produktiven Tätigkeit. Die beiden ersten sind die billigsten Optionen.

Im Falle der Erfüllung der Clean Air Act Amendments von 1990 (US-

Luftreinhaltungsgesetze), in deren Rahmen die Schwefelemissionen in

den USA um etwa 40 % gesenkt wurden, nahmen die Installation von

Abluftwäschern sowie der Umstieg auf andere Kohlearten 45 bzw. 55 %

der gesamten in Phase I erzielten Emissionssenkungen, insbesondere

des starken Emissionsrückgangs zwischen 1994 und 1996, ein (Schma-

lensee et al. 1998). Doch stehen alle genannten Optionen, auf die da-

mals zur Senkung der SO2-Emissionen zurückgegriffen wurde, für die

CO2-Kontrolle nicht zur Verfügung:

> Schwach schwefelhaltige Kohle existiert, schwach kohlenstoffhaltige

Kohle dagegen nicht.

> Für CO2 gibt es keine Abluftwäscher.

Der zweite Punkt ist den Kraftwerksbetreibern wohlbekannt. In einer

Studie über die Optionen zur Vermeidung luftverschmutzender Emis-

VERMEIDUNGSOPTIONEN UND -KOSTEN

Vermeidungsoption Verfügbarkeit Relative Kosten SO2 CO2

Schornsteine mit Abluftwäscher Niedrig Ja Nein

Umstieg auf sauberere Version Niedrig Ja Neindesselben Brennstoffs

Umstieg auf anderen Brennstoff Hoch Ja Ja

Gesamtverbrauch senken Hoch Ja Ja

23

sionen kam die Ontario Power Authority (2007) zu dem Schluss, dass

simulierte CO2-Emissionsveränderungen vollständig durch geschätzte

Veränderungen der Ausstoßniveaus verursacht wurden:

„[Geplante] Reduzierungen der CO2-Emissionen zwischen 2010 und 2014 wurden viel mehr durch Reduzierungen der kohle[-befeuerten Elektrizitäts-]Produktion erzielt als durch Emissionskontrollen. Es gibt derzeit keine realisierbare Kontrolltechnologie zur Reduzierung der CO2-Emissionen aus Kohlekraftwerken. Die CO2-Reduzierungen sind daher bei allen Alternativen identisch.“

OPA | 2007 | Seite 5

Ausgehend davon sind die einzigen Möglichkeiten, die CO2-Emissio-

nen einzudämmen, die kostenintensiveren Optionen des Umstiegs

auf andere Brennstoffe und der Senkung des Verbrauchs. Kraftwerke

können Kessel durch gasbefeuerte Anlagen ersetzen oder den Gesamt-

brennstoffverbrauch senken, was im Allgemeinen eine Reduzierung

der gesamten Energieproduktion erfordert.

Der Umstieg von Kohle auf andere Brennstoffe ist nicht nur auf-

grund der Kapitalkosten teuer, sondern auch wegen des langfristigen

Anstiegs der Erdöl- und Gaspreise gegenüber Kohle. Abbildung 1 zeigt

die (inflationsbereinigten) jeweils auf den Wert 100 indexierten Real-

preise der drei zentralen fossilen Energiequellen auf dem US-Markt

zwischen 1949 und 2009. Die Kohlepreise haben sich danach kaum

verändert, wohingegen der Gaspreis nach seinem jüngsten, um das

18-Fache höheren Spitzenwert achtmal höher liegt. Der Ölpreis hat sich

nach einem um das Fünffache höher liegenden Spitzenwert gegenüber

Kohle verdoppelt. Bezogen auf die relativen Kosten und die preisliche

Volatilität ist Kohle damit nach wie vor die beste Energiequelle.

24

Einleitung

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Quelle: US Energy Information Administration | http://www.eia.doe.gov/overview_hd.html(Daten für 2009, vorläufig [P])

Europa vs. USA: andere Rhetorik, gleiches Ergebnis

Die Europäische Union unterzeichnete und ratifizierte das Kyoto-

Protokoll 2002 mit dem Versprechen, die Treibhausgasemissionen

bis 2008 gegenüber dem Stand von 1990 um 8 % zu senken. Die USA

haben dies nicht getan und sich auf keine verbindlichen Ziele zur Sen-

kung der Emissionen eingelassen. Stattdessen kündigte der damalige

Präsident George W. Bush 2002 das unverbindliche Ziel an, die Emis-

sionsintensität (Treibhausgase je Dollar BIP) bis 2012 um 18 % gegen-

über dem Stand von 2002 zu senken – was allein durch Beibehaltung

des nach den 1980er Jahren eingeschlagenen Entwicklungstrends der

Emissionen erreicht werden konnte. Die beiden genannten großen

2.000

1.800

1.600

1.400

1.200

1.000

800

600

400

200

0

1949 1954 1959 1964 1969 1974 1979 1984 1989 1994 1999 2004 2009P

Kohle Erdgas Erdöl

Abbildung 1Reale Preise von Kohle, Erdgas und Erdöl 1949 – 2009,indexiert auf 1949 = 100

25

Akteure haben somit nahezu das gesamte vergangene Jahrzehnt zwei

völlig unterschiedliche Ziele verfolgt: Business as usual in den USA,

tiefgreifende Emissionseinschnitte in der EU.

Ein Blick auf die Daten zeigt jedoch, dass beide Regionen hinsicht-

lich der Emissionsintensität nicht allzu unterschiedlich abgeschnitten

haben. Zwischen 1995 und 2007 ging die Treibhausgasemissionsinten-

sität in der gesamten EU (einschließlich Deutschland) um etwa 32 %

zurück (Marland et al. 2010). In den USA sank die Emissionsintensität

innerhalb desselben Zeitraums um 23 %. Ohne es überhaupt zu ver-

suchen, ist es den USA gelungen, die Emissionsintensität ihrer Pro-

duktion annähernd so weit zu senken wie in Europa. Wie Abbildung 2

zeigt, besteht der einzige Unterschied zwischen den USA und Europa

hinsichtlich der Emissionsintensität ausschließlich in der Geschwin-

digkeit, nicht in der Richtung.

Quelle: EU http://epp.eurostat.ec.europa.eu | USA http://www.gpoaccess.gov/eop/tables10.html und http://cdiac.ornl.gov/trends/emis/usa.html | Berechnungen des Verfassers

120,0

100,0

80,0

60,0

40,0

20,0

0,0

1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

USAEU

Abbildung 2Treibhausgasemissionsintensität in den USA und Europa (EU-25)

100,0 100,0 96,5 86,5 81,1 78,5 73,4 70,590,6 83,4 81,2 76,9 71,9 67,898,4 92,9 89,1 85,9 82,4 77,396,8 89,8 86,4 83,7 80,5 76,7

26

Einleitung

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Wie oben erwähnt, setzt eine Senkung der CO2-Emissionen eine

Senkung des Energieverbrauchs voraus. Was bedeutet das für das Wirt-

schaftswachstum? Zentrale Frage hierbei ist, ob ein höherer Energie-

verbrauch einen Anstieg des BIP bedingt oder durch einen Anstieg

des BIP bedingt wird. Diese Unterscheidung ist von großer Bedeu-

tung. Ist ein höherer Energieverbrauch eine bloße Nebenerscheinung

von Wachstum, könnte er gedeckelt und ohne Beeinträchtigung des

Wirtschaftswachstums gesenkt werden. Wirkt ein höherer Energiever-

brauch hingegen wachstumsfördernd, ist eine Abkoppelung des einen

vom anderen nicht ohne weiteres möglich.

Um in Zeitreihendaten eine Kausalitätsrichtung (bzw. „Granger-

Kausalität“, wie sie in der Ökonomie fachsprachlich bezeichnet wird)

erkennen zu können, sind statistische Techniken wie die so genannte

Kointegrationsanalyse und die Vektorautoregression erforderlich. Mit-

hilfe dieser Techniken wurden Daten aus den USA (Stern 2000), Kana-

da (Ghali und El-Sakka 2004) und anderen Ländern ausgewertet. Die

Ergebnisse zeigen, dass der Energieverbrauch das Wirtschaftswachs-

tum bedingt und die Kausalität in einzelnen Fällen in beide Richtun-

gen verläuft. Das Magazin Stern zieht daraus folgenden Schluss:

„Die multivariate Analyse zeigt, dass die Energie das BIP wie in dem ersten der drei untersuchten Modelle entweder einseitig oder möglicherweise in einer wechselseitig kausalen Beziehung im Sinne der Granger-Kausalität bedingt. |...| Die in diesem Beitrag vorgestellten Ergebnisse stärken meinen früheren Schluss, dass Energie ein das Wirtschaftswachstum begrenzender Faktor ist. Auf die Energieversorgung einwirkende Schocks werden die Produktion daher eher einschränken.“

Stern | 2000 | Seite 281

Der Satz „Energie ist ein das Wirtschaftswachstum begrenzender Fak-

tor“ ist dabei besonders wichtig. Der Energieverbrauch ist keine bloße

Nebenerscheinung, die vom BIP-Wachstum abgekoppelt werden kann.

Eine bewusste Senkung des Energieverbrauchs wird das Wirtschafts-

27

wachstum voraussichtlich ausbremsen und dabei die negativen Fol-

gen für Politiker steigern, die versuchen, entsprechende politische

Maßnahmen umzusetzen.

Ferner wirken die steigenden Elektrizitätspreise regressiv, sodass

die Kostenlast Haushalte mit geringerem Einkommen im Verhältnis

stärker trifft als Haushalte mit höherem Einkommen. Einige Untersu-

chungen über Kohlenstoffsteuern (Jorgensen et al. 1992) haben sich

mit der Frage der Regressivität befasst und herausgefunden, dass die

Tatsache, ob eine Kohlenstoffsteuer regressiv wirkt oder nicht, davon

abhängt, wie sie umgesetzt (und wie Ungleichheit gemessen) wird.

Dinan und Rogers (2002) zeigten, dass die Einführung eines Cap-

and-Trade-Systems mit gratis zu vergebenden Genehmigungen für

die gesamte US-Wirtschaft höchst regressiv wirken würde, wobei die

ärmsten Haushalte jährlich 500 USD verlieren, die reichsten dagegen

jährlich 1.000 USD gewinnen würden. Der finanzielle Vorteil für die

Haushalte mit höherem Einkommen ergäbe sich dabei daraus, dass ih-

nen die Unternehmen, die die wertvollen Genehmigungen entgeltlos

erhielten, gehören.

28

Einleitung

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

2.

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik

Grenzschäden und Grenzvermeidungskosten

Um das Versagen der Klimapolitik in vollem Umfang verstehen zu

können, muss man zunächst einige der Anreizmechanismen verste-

hen, welche die Volkswirtschaften mit der Umwelt verbinden. Treiben-

de Kraft der wirtschaftlichen Entwicklung ist in erster Linie die Inter-

aktion zwischen „Konsumentenpräferenzen und Technologie“, anders

gesagt, der beständige Fluss von Signalen zwischen den Präferenzen

der Verbraucher und den Kapazitäten der Produzenten. Verbraucher

verlangen nach Waren und Dienstleistungen, die ihre Wünsche und

Bedürfnisse erfüllen. Unternehmen entwerfen Produktionspläne, um

ihren Gewinn zu maximieren. Diese Kräfte von Angebot und Nachfra-

ge bilden die Grundlage des preisbasierten Marktsystems.

Die ökonomische Umweltanalyse betrachtet Umweltverschmut-

zung als ein „Versagen des Marktes“. Unternehmen können ihre Ge-

winne durch eine stärkere Verursachung von Umweltverschmutzung

(anders formuliert: dadurch, dass sie kein Geld für die Vermeidung von

Verschmutzung ausgeben) steigern, während Verbraucher weniger Ver-

schmutzung bevorzugen. Da den Verbrauchern kein Mechanismus zur

Verfügung steht, Unternehmen für ihre Verschmutzung bezahlen zu

lassen, gibt es keine Preissignale und es kommt zu einer übermäßigen

Verschmutzung. Dieses Standardargument für ein Eingreifen des Staa-

tes bietet jedoch keine Begründung für ein unbegrenztes Eingreifen. Vor

29

allen Dingen rechtfertigt die ökonomische Analyse von Umweltproble-

men keine Politiken, die mehr kosten als nutzen. Der Staat ist vielmehr

angehalten ein deutliches Preissignal zu setzen oder die Umweltver-

schmutzung auf ein Niveau zu regulieren, das bei Vorliegen eines an-

gemessenen Marktpreissignals erreicht worden wäre. Um eine Aussage

über die optimale Form politischen Eingreifens treffen zu können, müs-

sen wir verstehen, auf welche Weise der Markt ein Preissignal für Um-

weltschäden aussenden würde, wenn die Mechanismen von Angebot

und Nachfrage tatsächlich greifen würden.

Die Analyse von Angebot und Nachfrage beruht auf der Unter-

suchung schrittweiser Veränderungen, da es immer einen Ausgangs-

punkt gibt, von dem aus der Weg in eine bestimmte Richtung führt.

Hinsichtlich der Verschmutzung geht es für die Regulierer für gewöhn-

lich darum, ob die zulässigen Grenzwerte gegenüber dem aktuellen

Stand erhöht oder gesenkt werden sollten. Es wird daher unterschieden

zwischen Grenzschäden, d. h. den zusätzlichen Kosten einer geringfügig

höheren Verschmutzung für die Gesellschaft, und Grenzvermeidungs-

kosten, also dem Kostenzuwachs (aus Sicht der Gesellschaft), der eine

geringfügige Reduzierung der Verschmutzung mit sich bringt.

Beide Konzepte sind in Abbildung 3 grafisch dargestellt, Emissio-

nen (e) auf der horizontalen, der Wert in Dollar (bzw. Euro) je Emissi-

onseinheit auf der vertikalen Achse. Die ansteigende Grenzschaden-

kurve (GS) gibt an, dass mit steigenden Emissionen die gesellschaftli-

chen Kosten für jede weitere höhere Verschmutzungseinheit ebenfalls

zunehmen. Die Grenzvermeidungskostenkurve (GVK) fällt von links

nach rechts betrachtet ab. Von rechts nach links gesehen ist diese Kur-

ve ansteigend und gibt an, dass mit sinkenden Emissionen die Grenz-

kosten weiterer Emissionsreduzierungen ansteigen.

30

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Beide Kurven können in Abhängigkeit vom Emissionsniveau je-

weils als aufsteigend bzw. als abfallend gelesen werden. Formal be-

trachtet entspricht die GS-Kurve nicht den Kosten für die Beseitigung

der Schäden der Verschmutzung, sondern einer auf mikroökonomi-

schen Modellen öffentlicher Güter beruhenden konzeptuellen Größe.

In aufsteigender Richtung betrachtet lautet die ökonomische Definiti-

on von Grenzschäden, dass diese der Höhe des zusätzlichen Einkom-

mens entsprechen, das die von der Verschmutzung betroffenen Per-

sonen erhalten müssten, um mit den zusätzlichen Emissionen ebenso

gut dazustehen wie ohne sie. Mit anderen Worten handelt es sich hier-

bei um eine Kompensationsmaßnahme, und der Bereich unterhalb

der GS-Kurve innerhalb eines bestimmten Intervalls gibt an, welche

Kompensation angesichts des Umfangs steigender Emissionen, wie

ihn das Intervall darstellt, erforderlich wäre.

Vergleichen wir beispielsweise den Anfangspunkt der Kurve mit

dem Emissionsniveau e*, gibt das Feld a an, welche Kompensation

für die dargestellte Gesellschaft insgesamt erforderlich wäre, um mit

USD pro Tonne

GrenzvermeidungskostenGVK

GrenzschädenGS

e

a

P*

b

c

e* Emissionen

Abbildung 3Grenzschaden, Grenzvermeidungskosten und optimales Emissionsniveau

31

Emissionen e* ebenso gut dazustehen wie ohne. Steigen die Emissio-

nen um eine Einheit, gibt die Höhe der Grenzschadenskurve an, wel-

che zusätzliche Kompensation, in diesem Falle P*, erforderlich ist. Stei-

gen die Emissionen auf e, müsste die zusätzliche Kompensation b+c

betragen.

Liest man die GVK-Kurve von links nach rechts, gibt sie den Grenz-

nutzen an, der sich für den Verursacher (üblicherweise ein Unterneh-

men oder Industriebetrieb) aus der Erlaubnis ergibt, seine Emissionen

um eine Einheit zu erhöhen. Für aktuelle Emissionen im Umfang von

e* ergeben sich für das Unternehmen aus der Notwendigkeit, seine

Emissionen um eine Einheit zu senken, die Kosten P*; umgekehrt be-

läuft sich der Nutzen für das Unternehmen durch die Erlaubnis, eine

Einheit mehr auszustoßen, auf P*. Nutzen bzw. Kosten bezeichnen

hierbei nicht nur die Aufwendungen, die für die Anschaffung von Aus-

rüstungen zur Emissionsvermeidung anfallen, sondern die Verände-

rung des Unternehmensgewinns insgesamt. Diese Veränderung ergibt

sich teilweise aus der Anschaffung von Ausrüstungen zur Emissions-

vermeidung, umfasst jedoch auch die Folgen der Anpassung des Inves-

titions- bzw. Produktionsniveaus.

Die Veränderung des Unternehmensgewinns ist aus zwei Grün-

den ein Hinweis auf die gesellschaftlichen Kosten eines Wechsels in

der Umweltpolitik: Zum einen steigen die Gewinne eines Unterneh-

mens immer dann, wenn seine Produktion mehr einbringt, als es da-

für an Produktionsfaktoren aufwenden muss. Der Markt sendet so das

Signal aus, dass das Unternehmen den Haushalten einen Nettonutzen

verschafft. In diesem Sinne sind Gewinne kein Signal dafür, dass Un-

ternehmen der Gesellschaft Wohlstand entziehen – im Gegenteil: es

zeigt, dass die Unternehmen den von ihnen genutzten Produktions-

faktoren einen Mehrwert hinzufügen. Eine Drosselung der Tätigkeit,

die einen Mehrwert schafft, kommt für eine Gesellschaft allgemein

einem Verlust gleich. Zum anderen werden Gewinne als Einkünfte an

Anteilseigner, wie etwa Investoren oder Beziehern von Firmenrenten,

32

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

weitergegeben. Sinkende Gewinne sind demnach in Form geringerer

Einkünfte für Anteilseigner spürbar.

Angenommen, ein Verschmutzung verursachendes Unterneh-

men wird zunächst verpflichtet, seine Emissionen auf das Niveau e* zu

beschränken, und anschließend werden alle Emissionsbeschränkun-

gen aufgehoben. Das Unternehmen wird beginnen, seine Emissionen

zu steigern, da der Grenznutzen einer solchen Maßnahme positiv ist,

nämlich P*. Die Emissionen werden daraufhin so lange weiter steigen,

bis der Grenznutzen den Wert null erreicht, also bis zu dem Punkt, an

dem die GVK-Kurve die horizontale Achse bei e schneidet. Der Gesamt-

nutzen, der sich für das Unternehmen aus der Erlaubnis ergibt, seine

Emissionen von e* auf e zu steigern, beläuft sich auf den zwischen

diesen beiden Punkten liegenden Bereich b unterhalb der GVK-Kurve.

Müsste das Unternehmen hingegen seine Emissionen von e auf e* sen-

ken, lägen die Grenzvermeidungskosten insgesamt bei b.

Bei einem Emissionsniveau von e, also einem Emissionsniveau

ohne Regulierung, sind die Grenzschäden gegenüber den Grenzver-

meidungskosten vergleichsweise hoch. Folglich ist es gesellschaftlich

erstrebenswert, die Emissionen zu senken. Dies bleibt so bis zum Errei-

chen des Emissionswerts e*. An diesem Punkt belaufen sich die Grenz-

vermeidungskosten der letzten Einheit der Emissionsreduzierung auf

P* und entsprechen damit der Reduzierung des Grenzschadens. Wer-

den die Emissionen unter diesen Punkt reduziert, würden die dafür

entstehenden Grenzvermeidungskosten den Nutzen (der Reduzierung

des Grenzschadens) übersteigen. Das gesellschaftlich optimale Emissi-

onsreduzierungsziel in diesem Fall ist folglich e*.

Liegen die Emissionen hingegen anfänglich bei null, ist es rat-

sam, eine Zunahme der Emissionen zu gestatten, da die Grenzvermei-

dungskosten über dem Grenzschaden liegen bzw., anders gesagt, der

Grenznutzen der Emissionen höher ist als der Grenzschaden. Eine sol-

che Emissionssteigerung ist bis zu e* ratsam, da an diesem Punkt der

Grenznutzen der Emissionen genau mit den Grenzkosten P* zusam-

33

menfällt. Über diesem Punkt verursachen zusätzliche Emissionen ei-

nen Grenzschaden, der über dem entsprechenden Nutzen (GVK) liegt,

sodass eine weitere Zunahme nicht empfehlenswert ist.

Nehmen wir e* als optimales Emissionsniveau an. Es handelt sich

dabei um das Niveau, bei dem die Nettogewinne der verschmutzen-

den Tätigkeit bzw. der Nettonutzen der Verschmutzungsreduzierung

ihren Höchststand erreichen.

Jedem Punkt auf der GS- und der GVK-Kurve ist ein Preis zugeord-

net. Dies ist eine der wichtigsten prinzipiellen Unterscheidungen der

ökonomischen Analyse von Umweltverschmutzungen und der Um-

weltschutzanalyse in den Umwelt-, Rechts- oder Politikwissenschaften.

Die ökonomische Analyse der Umweltverschmutzung geht bei der Wahl

eines bestimmten Emissionsniveaus e von einem entsprechenden Preis

entsprechend der Position auf der GS- und der GVK-Kurve aus.

Die Antwort eines Emittenten auf umweltpolitische Maßnahmen

wird durch die Kurve der Grenzvermeidungskosten (GVK) bestimmt.

Angesichts einer Emissionssteuer in Höhe von P* würden Unterneh-

men bis zum Punkt e*, jedoch nicht darüber hinaus Emissionen aus-

stoßen. Andernfalls würde der Grenznutzen für die Unternehmen

– abzulesen an der GVK-Kurve – unter den Betrag P* je Emissionsein-

heit fallen, den sie an Steuern auf die zusätzlichen Emissionen zahlen

müssten. Mit anderen Worten: Sie könnten Vermeidungsstrategien

anwenden, die weniger kosten als die Steuern, und einen finanziellen

Vorteil aus der Senkung der Emissionen ziehen. Statt eine Emissions-

steuer von bspw. 50 USD/Tonne zu bezahlen, werden Unternehmen es

vorziehen, Vermeidungsoptionen zu wählen, solange diese weniger als

50 USD/Tonne kosten.

Der Emissionssteuersatz gibt folglich den zusätzlichen Wert an, der

sich für ein Unternehmen aus der Möglichkeit, seine Emissionen um

eine weitere Einheit erhöhen zu dürfen, ergibt. So gesehen entspricht

die GVK-Kurve im Grunde einer Nachfragekurve für Emissionen, wie

sie in jedem volkswirtschaftlichen Einführungswerk zu finden ist.

34

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Das der GS-Kurve entsprechende Preisniveau gibt den Geldbetrag

an, der als Kompensation für eine weitere Einheit Verschmutzung er-

forderlich wäre. In dieser Hinsicht entspricht die GS-Kurve einer kon-

ventionellen Angebotskurve, die den Betrag angibt, der bezahlt werden

müsste, damit die Menschen bereit wären, eine Erlaubnis für eine wei-

tere Verschmutzungseinheit „anzubieten“.

Durch die Kombination aus Preis- und Mengenachse sieht Abbil-

dung 3 wie ein herkömmliches Angebots- und Nachfragemodell aus

jedem Wirtschaftslehrbuch aus. Wie bereits angedeutet, ist diese Ähn-

lichkeit nicht dem bloßen Zufall geschuldet. Die ansteigende GS-Kurve

gleicht einer Angebotskurve, die abfallende GVK-Kurve einer Nach-

fragekurve. Der Unterschied gegenüber gewöhnlichen Angebots- und

Nachfragekurven besteht darin, dass in einem regulären Markt Pro-

duktions- und Verbrauchsentscheidungen durch das Preissignal hin zu

dem Punkt geführt werden, an dem sich die Kurven schneiden. Im Falle

von Schadstoffemissionen hingegen wird kein Preissignal ausgesendet,

sodass eine Koordinierung der Emissionsniveaus nicht möglich ist.

Die Politik sollte daher nach Möglichkeit darauf abzielen, das Ver-

sagen des Marktes durch die Einführung eines Preismechanismus zu

korrigieren, der den Menschen ermöglicht ihre eigenen Reaktionen

auf die Preissignale zu finden. Eine auf Grundlage von marktwirt-

schaftlichen Prinzipien gestaltete Politik wird sich im Ergebnis dem

optimalen Emissionsniveau e* annähern. Etwas komplexer wird die

Angelegenheit, wenn, wie in Abschnitt 4 erläutert, darüber hinaus Un-

sicherheit, Dynamik und ähnliche Faktoren berücksichtigt werden. Als

Grundgedanke der ökonomischen Betrachtung umweltpolitischer Fra-

gen gilt, dass die Lösung für das Verschmutzungsproblem entweder in

der Einrichtung geeigneter Preissignale oder in der Festlegung einer

Emissionsmenge liegt, die sich aus der Existenz eines Marktpreissig-

nals ergeben hätte.

35

Preisregulierung vs. Mengenregulierung

Ein Preissignal kann entweder durch die Festlegung eines Emissions-

preises (mit Hilfe einer Schadstoffsteuer bzw. -abgabe) oder durch die

Begrenzung der Emissionsmenge ausgesendet werden. Dies erfolgt

über eine Emissionssteuer bzw. die Ausgabe einer fixen Anzahl von Ge-

nehmigungen, für die sich anschließend durch einen Handel auf dem

Markt ein Preis herausbildet. Anders ausgedrückt: Der Regulierer kann

einen Preis bestimmen und den Markt die Menge festlegen lassen oder

umgekehrt eine Menge bestimmen und dem Markt die Preisfindung

überlassen. Beides gleichzeitig ist nicht möglich.

Wie bereits erwähnt, werden Unternehmen im Falle der Festset-

zung einer Emissionssteuer in Höhe P* maximal eine Menge e* emit-

tieren. Werden demgegenüber Emissionsgenehmigungen bis zu einer

Menge e* ausgegeben, werden die Unternehmen für diese bereit sein

auf dem Markt den Gleichgewichtspreis P* zu bieten. Mehr als diesen

Preis werden sie nicht zu bezahlen bereit sein, da sie ihre Emissionen

auch unter Aufwendung von Grenzkosten in Höhe von P* selbst ver-

meiden könnten, anstatt zu einem höheren Preis eine weitere Emissi-

onsgenehmigung zu erwerben. Andererseits wird auf dem Markt auch

kein niedrigerer Preis Bestand haben, da die Unternehmen eher die

günstigere Genehmigung kaufen würden, als Grenzvermeidungskos-

ten in Höhe von P* einzugehen. Liegt die Menge der Genehmigungen

bei e*, beträgt der sich daraus ergebende Marktpreis P*.

Da die vorliegende Argumentation genau derjenigen einer belie-

bigen anderen Nachfragekurve entspricht, kann die GVK-Kurve als die

„Nachfragekurve für Emissionen“ bezeichnet werden.

Aufgrund der bestehenden Unsicherheiten ist es jedoch wichtig,

sich vor Augen zu führen, über welche Informationen ein Regulierer bei

der Wahl des geeigneten Umweltschutzinstruments realistischerweise

verfügen kann. In den meisten Umweltfragen kann der Regulierer sich

bestenfalls einiger weniger wichtiger Details sicher sein. Es sind dies:

36

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

A die aktuelle Emissionsmenge,

B die ungefähre Steigung der Grenzvermeidungskostenkurve bei

sinkenden Emissionen,

C die annähernde Steigung der Grenzschadenskurve bei steigenden

Emissionen.

Der erste Punkt wird durch einfache Beobachtung ermittelt. Der zwei-

te Punkt kann anhand technischer bzw. ökonomischer Analysen oder

auf Grundlage von Informationen von Unternehmen, die mit einer

möglichen Regulierung konfrontiert sind, geschätzt werden. Biswei-

len, jedoch nicht in jedem Fall, können Unternehmen versucht sein,

ihre Vermeidungskosten zu übertreiben.1 Der dritte Punkt kann durch

Analysen ermittelt werden, die ökologische Informationen mit ökono-

mischen Daten kombinieren, z. B. durch die so genannte kontingente

Bewertungsmethode oder andere empirische Modellversuche.

Die Regulierer können typischerweise keine präzisen Informati-

onen bezüglich der Werte auf der vertikalen Achse der dargestellten

Diagramme erhalten. So ist zwar möglicherweise bekannt, dass die GS-

Kurve im Rahmen des zu regulierenden Emissionsintervalls eher flach

verläuft. Eine genauere Aussage über die Höhe des Wertes ist jedoch

nicht möglich, sodass sich lediglich eine Spannweite, die zwischen 10

und 30 USD/Tonne liegen dürfte, angeben lässt.

Nichtsdestoweniger sind die unter a bis c genannten Parameter

ausreichend, um zu entscheiden, ob eine Regulierung des Emissions-

preises oder der Emissionsmenge vorzuziehen ist. Der Ökonom, der

dies zuerst formulierte, war Martin Weitzman (1974), und seine Analy-

se wurde seither umfassend rezipiert. Sein Ansatz ist folgender:

1 Dies ist von der Art der Politik abhängig, die Unternehmen erwarten. Siehe McKitrick (2010a), Kapitel 5.1.

37

Angenommen, die Situation stellt sich wie in Abbildung 4 dar, in

welcher die Steigung der GS-Kurve gegenüber dem Anstieg der GVK-

Kurve über dem für den Regulierer relevanten Emissionsbereich als

verhältnismäßig flach angenommen wird. Das optimale Emissionsni-

veau liegt bei e*; wo genau sich dieses Niveau befindet, ist jedoch un-

bekannt. Unternimmt man den Versuch, die richtige Emissionsmenge

zu erraten, führen geringfügige Fehler im Umfeld von e* (horizontaler

Pfeil) zu groben Fehlern in Bezug auf den optimalen Preis (vertikaler

Pfeil), d. h. den entsprechenden Preisbereich auf der GVK- bzw. Emis-

sionsnachfragekurve. Das große Ausmaß dieser Fehler schlägt sich

in unerwartet hohen Risiken für emittierende Unternehmen und die

Wirtschaft allgemein nieder. Der durch die Pfeile abgegrenzte Bereich

spiegelt den Bereich wider, in dem sich die Emissionspolitik als stö-

rend, kostspielig und chaotisch für die Wirtschaft erweist.

Im Gegensatz dazu führen Fehler auf der Preisachse jedoch bei

einem beliebig gewählten Preis lediglich zu relativ geringfügigen Feh-

lern auf der Mengenachse. Ist die Festlegung des optimalen Preises

für Emissionen fehlerbehaftet (Abweichung nach oben oder unten),

kommt das Ergebnis dem optimalen Emissionsniveau gleichwohl recht

nah und die Gefahr einer unerwartet hohen Volatilität ist relativ gering.

Es ist daher besser zu versuchen, den Preis möglichst genau zu schätzen

und den Markt die Menge bestimmen zu lassen, als umgekehrt.

Verläuft die GVK-Kurve relativ flach, geht die Argumentation in

die andere Richtung, d. h., es wäre besser zu versuchen, die optimale

Emissionsmenge zu ermitteln und den Markt den Preis bestimmen zu

lassen, anstatt einen Preis festzulegen und möglicherweise starke und

teure Ausschläge auf der Mengenachse in Kauf zu nehmen.

38

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

In Abbildung 4 ist die Situation für CO2 schematisch dargestellt.

> Die GS-Kurve verläuft relativ flach, da es sich bei CO2 um ein globales

Gas handelt, d. h. das Klima wird nicht durch örtliche Emissionen in

Mitleidenschaft gezogen, sondern durch den global vorhandenen Be-

stand. Hinsichtlich der Emissionen einer einzelnen Nation wird der

Grenzschaden der ersten Emissionseinheit derjenigen der letzten

Einheit entsprechen, da sich die global vorhandene Treibhausgas-

menge infolge der jährlichen Emissionen eines Landes, wenn über-

haupt, nur unwesentlich verändert.

> Die GVK-Kurve verläuft sehr steil, da, wie oben erläutert, nur sehr

wenige Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Kurzfristig be-

steht für Haushalte und Unternehmen der einzige Weg, ihre Emis-

sionen zu senken, darin, ihren Energieverbrauch zu senken. Län-

gerfristig wird die Reduzierung der Emissionen angesichts teurerer

USD pro Tonne

GrenzvermeidungskostenGVK

GrenzschädenGS

e

P*

e* Emissionen

Abbildung 4Wahlmöglichkeiten der Politik angesichts bestehender Unsicherheiten

39

Brennstoffe oder alternativer Energien höhere Kapitalinvestitionen

erforderlich machen. Zwei Indikatoren legen eine steile GVK-Kurve

nahe. Erstens hat der europäische Emissionsmarkt angesichts einer

vergleichsweise geringen Mengenvolatilität eine recht hohe Preisvo-

latilität gezeigt (Ellerman und Joskow 2008), wobei dies jedoch teil-

weise darauf zurückzuführen war, dass in der ersten Phase des eu-

ropäischen Programms keine Genehmigungen auf spätere Handels-

perioden übertragen werden konnten. Und zweitens haben sich die

europäischen Emissionen trotz jahrelanger Bemühungen kaum ver-

ändert. Dieser Umstand wird durch den Zusammenbruch der DDR

und anderer Übergangswirtschaften sowie durch die Umstellung der

Energiewirtschaft Großbritanniens von Kohle auf Gas in den frühen

1990er Jahren verschleiert, wodurch die CO2-Emissionen eine ein-

malige Reduzierung erfuhren. Diakoulaki und Madaraka (2007) ha-

ben die steigenden CO2-Emissionswerte aus 14 EU-Ländern im Zeit-

raum 1990 bis 2003 unter Berücksichtigung der von allen Ländern

außer Spanien umgesetzten politischen Maßnahmen untersucht.

In allen Ländern, außer Großbritannien und Deutschland, wo sich

alle fertigungsbedingten Reduzierungen vor 1997 vollzogen und an-

schließend ein Anstieg zu verzeichnen war, wurden gleichbleibende

oder steigende Emissionen verzeichnet. Die Autoren kamen zu dem

Schluss, „dass keine systematischen Anzeichen dafür vorliegen, das

sich das Verhalten der untersuchten Länder in der Zeit vor und nach

Kyoto unterscheidet“ (Seite 655).

Angesichts der Tatsache, dass Emissionspolitik unter unsicheren Be-

dingungen gemacht wird, wäre es folglich besser, statt einer Menge ei-

nen Preis festzulegen. Für eine Preissteuerung der Emissionen anstelle

einer Emissionsgrenze sprechen zudem zwei weitere Gründe.

Erstens gestaltet sich die Verwaltung eines Systems handelbarer

Genehmigungen deutlich schwieriger, da der Regulierer zunächst eine

40

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Erstzuweisung (mittels einer Auktion, einer Bestandsregelung oder einer

anderen Methode) vornehmen und die für den Handel mit diesen Ge-

nehmigungen entstehenden Märkte einer Prüfung unterziehen muss.

Zweitens haben Regierungen die Genehmigungen in der Praxis für ge-

wöhnlich kostenlos ausgegeben, anstatt eine Auktion durchzuführen,

was sowohl im Falle des US-Marktes für Schwefeldioxidgenehmigun-

gen als auch im Falle des neuen EU-Marktes für Kohlenstoff-Emissions-

zertifikate so geschah. Die heute übliche Vorstellung einer „doppelten

Dividende“ beruht darauf, dass die durch die Verschmutzungspolitik

erhöhten Einnahmen des Staates darauf verwendet werden können,

die Steuerlast an anderer Stelle zu reduzieren. Ein System handelbarer

Genehmigungen jedoch, in dem Genehmigungen kostenlos an die Ver-

ursacher von Verschmutzung ausgegeben werden, steht dem im Wege,

sodass keine steuerliche Verrechnung möglich ist. Empirische Arbeiten

in Bezug auf die USA haben verdeutlicht, dass nicht auf dem Wege einer

Auktion vergebene CO2-Emissionsquoten die gesellschaftlichen Kosten

der Politik drastisch erhöhen (Parry 2003, 2004). Die Quoten schaffen

ähnlich wie bei Marketing-Gesellschaften für landwirtschaftliche Er-

zeugnisse und städtischen Vergabesystemen für Taxilizenzen Kartell-

einkünfte für die Empfänger und erhöhen im Grunde die finanzielle

Belastung der Haushalte durch die Förderung von Marktlagengewinnen

(sogenannte „Windfall Profits“) für Emittenten.

Fünf Grundsätze rationaler Klimapolitik

Die obige Analyse führt uns zu fünf wesentlichen ökonomischen

Grundsätzen einer rationalen Klimapolitik:

1 PREISGESTALTUNG: Eine Politik zur Senkung der Treibhausgasemis-

sionen ist weniger marktverzerrend und kostspielig, wenn sie auf

einem festgelegten Emissionspreis anstatt auf einem festgelegten

Ziel zur Emissionsreduzierung beruht.

41

2 REALISMUS: Da die GVK-Kurve aktuell sehr steil verläuft, liegt das

optimale Emissionsniveau derzeit nicht weit unter dem unregu-

lierten Emissionsniveau. Jedes Mal, wenn die Politik neue Pläne

offenlegt, die Emissionsgrenzen zu verschärfen, steigen die ökono-

mischen Kosten der Vermeidung rasant an und führen zu heftigen

Reaktionen auf jeden Versuch, über das optimale Ziel der Emissi-

onsreduzierung hinauszugehen. Es wäre demnach besser, den An-

stieg der GVK-Kurve durch die Beobachtung der Mengenanpassung

als Reaktion auf ein bestimmtes Preissignal zu ermitteln, anstatt

tiefgreifende Emissionseinschnitte vorzuschreiben und angesichts

einer irrational hohen Kostenexplosion sehenden Auges in eine un-

vermeidbare Krise zu schlittern.

3 REDUNDANZVERMEIDUNG: Marktmechanismen sollten anstelle

von regulatorischen Mechanismen zum Einsatz kommen, nicht

ergänzend dazu. Nach der Festlegung eines Emissionspreises (bzw.

einer Emissionsmenge) durch die Politik, sollte von weiteren über-

flüssigen technischen Regulierungen und Verhaltenskontrollen

zur Überwachung der Einhaltung der bestehenden politischen

Maßnahmen Abstand genommen werden. Wird Kraftwerken bei-

spielsweise der Erwerb von Emissionszertifikaten vorgeschrieben,

so reicht diese Maßnahme aus, ihre Emissionen zu regulieren. Da-

rüber hinaus weitere Vorschriften zu erlassen, in denen Haushal-

ten vorgeschrieben wird, welche Glühbirnen oder Haushaltsgeräte

sie verwenden dürfen, oder Kraftwerksbetreibern vorzuschreiben,

dass sie einen bestimmten Anteil ihrer Energie über den Ankauf

von Windenergie abdecken müssen, ist redundant. Das einzige, was

dadurch erreicht wird, sind höhere Kosten und eine verständliche

Ablehnung des gesamten Konzepts der Klimapolitik durch die Be-

völkerung.

42

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

4 KOSTENEFFIZIENZ: Um die mögliche Vermeidung mithilfe der be-

grenzten Ressourcen, die eine Gesellschaft dafür zu geben bereit ist,

zu maximieren, müssen die Vermeidungsoptionen ohne Wenn und

Aber dahingehend überprüft werden, ob die Grenzkosten die bes-

ten Schätzungen der Grenzschäden übersteigen. Bei Vorliegen eines

Preisgestaltungsinstruments erfolgt dies automatisch in umfassen-

der Weise. Angesichts der aktuellen technologischen Vermeidungs-

möglichkeiten ergibt sich daraus eine vermutlich eher geringe

Vermeidung; doch mit zunehmender technologischer Entwicklung

und Abflachung der GVK-Kurve wird auch das Emissionsniveau au-

tomatisch sinken.

5 ZIELAUSRICHTUNG: Politische Maßnahmen einschließlich von

Preisgestaltungsinstrumenten sollten an der jeweiligen Zielvariablen

ausgerichtet werden, in diesem Zusammenhang, an den CO2-Emissi-

onen. Allzu häufig wenden Politiker Regeln auf andere Variablen (z. B.

Kraftstoffverbrauchsregeln, Größe von Haushaltsgeräten, Art der zu

verwendenden Glühbirnen usw.) an, die nur indirekt mit dem eigent-

lichen Umweltproblem verbunden sind. Die Emissionsreduzierung

wird dadurch nur unnötig verteuert und verliert an Effizienz.

Die Irrationalität der ‘grünen Ökonomie’

Dank obiger Analyse können wir nun das Problem der weit verbreiteten

Vorstellung einer „grünen Ökonomie“ verstehen. Der Begriff der „grü-

nen Ökonomie“ bezeichnet Tendenzen zahlreicher Länder auf der gan-

zen Welt – vor allem der Industrienationen –, sich spezieller Vorschriften

und Subventionen zu bedienen, um den Übergang von konventionellen

Energieträgern auf alternative Quellen wie Wind- und Solarenergie zu

fördern und auf kleinerer Ebene den Elektrizitäts- und Brennstoffver-

brauch der Haushalte durch detaillierte Beschränkungen der zulässigen

Geräte, Fahrzeuge und anderen Bedarfsartikel vorzuschreiben.

43

Die Motivation für diese Art von Politik ist nicht ganz klar. Manch-

mal wird behauptet, das Ziel sei die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die

Behauptung, dass durch Subventionen oder Vorschriften Arbeitsplät-

ze in einer bestimmten Branche geschaffen werden könnten, ist alt

und stößt immer wieder auf dieselben Schwierigkeiten. Arbeitet die

Industrie profitabel, braucht sie keine Subventionen oder speziellen

Vorschriften, um zu wachsen. Ist sie nicht profitabel, sollte sie vom

Staat nicht subventioniert oder begünstigt werden. Unter normalen

Umständen zeigt ein Unternehmen dadurch, dass es kontinuierlich

Geld verliert, dass seine Erzeugnisse weniger wert sind als die Mittel,

die es in seinen Produktionsprozess investiert hat. Zwingt die Politik

die Industrie nun, dennoch zu wachsen, muss dies zwangsläufig zu ei-

ner Zerstörung von Wohlstand in der Wirtschaft führen. Berücksichtigt

man diesen Wohlstandsverlust sowie die Kosten, die den Steuerzahlern

aufgebürdet werden, das Subventionsprogramm zu finanzieren, zeigt

sich in der Regel, dass durch derlei Maßnahmen mehr Arbeitsplätze

verloren gehen, als neue geschaffen werden. Wenn die subventions-

bzw. regulierungsgesteuerte Ausweitung einer Branche tatsächlich ein

verlässlicher Mechanismus zur Schaffung von Arbeitsplätzen wäre,

dürfte es angesichts der häufigen Versuche vieler Regierungen schon

längst keine Arbeitslosigkeit mehr geben.

Bisweilen geben Politiker vor, die „grüne Ökonomie“ ziele darauf

ab, die Vorteile revolutionärer neuer Technologien zu nutzen, um

nicht Gefahr zu laufen, im Wettbewerb um deren Einführung „ins

Hintertreffen zu geraten“. Gelegentlich treten tatsächlich echte neue

Technologien auf den Plan – wie beispielsweise das Internet oder der

Verbrennungsmotor oder tragbare Computer. Doch die Produktion

und Nutzung solcher Güter findet allein aufgrund der Tatsache welt-

weite Verbreitung, dass die Menschen diese kaufen wollen und Unter-

nehmer davon profitieren, in Unternehmen zu investieren, die diese

anbieten können. Zu einer Verbreitung neuer Technologien kommt es

für gewöhnlich nicht, weil der entsprechende Industriezweig von der

44

Theoretische Grundlagen der Klimapolitik

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Regierung gefördert wird. Handelt es sich um echte brauchbare Inno-

vationen, regeln Angebot und Nachfrage den Markt von selbst. Anders

gesagt: echte brauchbare Technologien finden den Weg zu den geeig-

neten Nutzern über den Markt. Gelingt es der Technologie nicht, sich

allein durchzusetzen, steht zu vermuten, dass es sich entweder tech-

nologisch oder wirtschaftlich – oder aus beiderlei Hinsicht – nicht um

eine brauchbare Technologie handelt.

Schließlich wird die „grüne Ökonomie“ häufig als eine Form der

Umweltpolitik angepriesen, deren Ziel in der Regel die Reduzierung

der Treibhausgasemissionen ist. In diesem Fall jedoch verdeutlicht die

Tatsache, dass sie den oben genannten fünf Grundsätzen zuwiderläuft,

dass es sich um ein für den gewünschten Zweck im Grunde äußerst un-

wirksames Instrument handelt. Die Subventionierungen industrieller

Windkraftanlagen und riesiger Solarparks sind indirekte Maßnahmen

zur Umsetzung willkürlicher Mengenziele (wie bspw. die Forderung,

10 % der Elektrizität müssten aus Windenergie stammen), die unge-

achtet dessen verfolgt werden, ob die Grenzkosten den Grenznutzen

übersteigen und sie angesichts anderer Maßnahmen zur direkten

Emissionsbegrenzung redundant sind. Geht es der Politik tatsächlich

um Treibhausgasemissionen, sollte sie eine auf Treibhausgasemissio-

nen ausgerichtete Preispolitik gestalten. Maßnahmen im Rahmen ei-

ner „grünen Ökonomie“ sind bestenfalls überflüssig, schlimmstenfalls

verschwenderisch und wirtschaftsschädigend.

45

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

3.

Unsicherheit bezüglich des GrenzschadensWenden wir uns nun einer genaueren Diskussion der Grenzschadens-

kurve (GS-Kurve) zu. Angenommen, die optimale Politik besteht in

einer Emissionssteuer, so stehen wir dennoch vor der großen Heraus-

forderung, uns nicht nur darüber zu einigen, auf welchem Niveau die-

se Steuer einsetzen, sondern auch wie sie sich mit der Zeit entwickeln

sollte. Um diese Fragen beantworten zu können, ist eine Betrachtung

der potenziellen Schäden erforderlich, die durch CO2-Emissionen ver-

ursacht werden können. Dieses Kapitel befasst sich mit der allgemei-

nen Frage, ob CO2-Emissionen als extreme Gefahr, die ein drastisches

Eingreifen erfordert, als triviale Erscheinung, die ignoriert werden

kann, oder als irgendetwas dazwischen betrachtet werden sollten. Ich

argumentiere wie folgt:

1 Es gibt genügend Anlass, CO2-Emissionen als Besorgnis erregend zu

betrachten, auch wenn nicht feststeht, in welchem Maße.

2 Die Auswirkungen der CO2-Emissionen (und anderer Treibhaus-

gase) auf die Umwelt sind von komplexen natürlichen Rückkopp-

lungen abhängig, deren Ausmaß nicht einfach anhand bekannter

physikalischer Grundprinzipien ermittelt werden kann und damit

zwangsläufig auf Modellannahmen beruht.

47

3 Modellannahmen sind für sich genommen kein Beweis für das Aus-

maß der gesamten ökologischen Auswirkungen von CO2 und müs-

sen anhand konkreter Daten überprüft werden.

4 Die verfügbaren Daten variieren in Bezug auf Qualität und Zeit-

raum ihrer Verfügbarkeit. Die längsten Datenreihen sind für ge-

wöhnlich von geringerer Qualität und umgekehrt. Einige der hoch-

wertigsten Datenreihen sind inzwischen allerdings ausreichend

lang, um eine aussagekräftige Überprüfung von Modellannahmen

zu ermöglichen.

5 Zwischen den Klimamodellprognosen und den Beobachtungen

bestehen signifikante statistische (und klimatologische) Diskrepan-

zen, die darauf hinweisen, dass die Rückkopplungen geringer aus-

fallen als in den Klimamodellen angenommen.

6 Die derzeit existierenden Überwachungssysteme werden innerhalb

des nächsten Jahrzehnts ausreichend Daten hoher Qualität bieten,

um die bestehenden Fragen bezüglich der Auswirkungen von CO2

auf das globale Klima zu beantworten.

In den folgenden Abschnitten werden die genannten Fragen genauer

erörtert.

CO2-bedingte Erwärmung und Rückkopplungen

Die Energie der Sonne erwärmt die Erd- und die Meeresoberfläche.

Um das energetische Gleichgewicht zu wahren, muss die Erde dieselbe

Menge Energie wieder abgeben, die sie von der Sonne erhält. Die Erd-

und Meeresoberflächen der Erde geben auf zweierlei Arten Energie ab:

durch Radiation und durch Konvektion. Bei Radiation handelt es sich

um die Emission von Infrarotenergie in die Atmosphäre. Konvektion

48

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

entsteht durch den Austausch von Warmluft nahe der Erdoberfläche

und Kaltluft aus den oberen Schichten der Atmosphäre, wodurch Luft-

strömungsmuster, Windsysteme, Wolken und Stürme sowie andere

Wettererscheinungen entstehen (Held und Soden 2000, Houghton

1997, Essex 1991).

CO2-Emissionen und andere Treibhausgase lassen die Luft für

Infrarotstrahlen undurchlässiger werden, wodurch die Effizienz der

Atmosphäre bei der Abgabe von Energie an den Weltraum gemindert

wird. Eine Aufrechterhaltung der Emissionsintensität verursacht einen

Anstieg der atmosphärischen Temperatur und Veränderungen der kon-

vektiven Aktivität. Während die Temperaturveränderung für gewöhn-

lich als relativ vorhersagbar gilt, ergeben sich aus den Veränderungen

der konvektiven und zirkulativen Aktivität Turbulenzprobleme, die

anhand der bekannten Grundprinzipien der Atmosphärenphysik nicht

vorhergesagt werden können. Aus diesem Grund kommen numerische

Klimamodelle oder allgemeine Zirkulationsmodelle (General Circulati-

on Models, GCM) zum Einsatz. Das auch den Modellen des IPCC-Berichts

von 2007 zugrundeliegende aktuelle Schema geht davon aus, dass eine

Verdoppelung der in der Atmosphäre vorhandenen CO2-Menge einen

relativ geringen Anstieg der Durchschnittstemperatur um etwa 1 °C

(siehe Held und Soden 2000) nach sich ziehen würde. Das wiederum

führt zu einer Erhöhung des Wasserdampfgehalts der Atmosphäre und

nach Berücksichtigung der Rückkopplungsprozesse, insbesondere eben

dieser Ansammlung von Wasserdampf in der Atmosphäre, zu einer

mindestens doppelt so hohen Erwärmung von zwei bis vier Grad. Ein

Großteil der Sorgen in der Politik bezüglich der CO2-Emissionen ist auf

das Ausmaß der potenziellen Rückkopplungsprozesse zurückzuführen

und weniger auf die Folgen von CO2 selbst.

Klimamodelle rechnen nicht einfach auf Grundlage der zugrun-

deliegenden physikalisch-theoretischen Formeln, da die Bewegungs-

gleichungen zwar auf lokaler Ebene wie bspw. in Bezug auf ideale Gase

oder isolierte Volumina Gültigkeit haben, nicht jedoch in bekannter

49

Form auf globaler Ebene anwendbar sind. Die Modelle beruhen daher

immer auf vereinfachten Darstellungen, so genannten „Parametrisie-

rungen“, die einfache Näherungswerte unter Verwendung von empi-

rischen oder auf Grundlage von Näherungsprozessen hergeleiteten

Koeffizienten heranziehen (Knutti 2008).

Wolken beispielsweise entstehen durch Tröpfchenbildung auf

molekularer Ebene. Da die Gleichungen, anhand derer die Tröpf-

chenbildung beschrieben wird, nicht für allgemeingültige Aussagen

bezüglich der durchschnittlichen Wolkendecke herangezogen werden

können, müssen empirische Näherungsmodelle entwickelt werden,

die von anderen in der Atmosphäre über einer bestimmten Region

herrschenden Bedingungen wie Temperatur, Windmuster, Atmosphä-

renchemie usw. ausgehen, um die durchschnittliche Wolkendecke

über großen Regionen und lange Zeiträume vorherzusagen. Schwan-

kungen in der modellhaften Darstellung des Wolkenverhaltens sind

die Ursache für einige der größten Abweichungen von einem Modell

zum anderen (Kiehl 2007, CCSP 2008, Seite 41). Bereits geringfügige

Schwankungen beim Ausmaß der Rückkopplungsprozesse können zu

großen Abweichungen bei der simulierten Klimasensitivität gegen-

über Treibhausgasen führen.

Da viele der Prozesse, die für das Ausmaß der Rückkopplung

grundlegend sind, auf empirischen Näherungswerten beruhen, ist

eine Prüfung der GCM-Ergebnisse in Bezug auf Daten aus Beobach-

tungen für die Bestätigung oder Ablehnung der den GCM in Form von

Parametrisierungen zugrundeliegenden Annahmen von wesentlicher

Bedeutung. Weder können Modellversuche als Prüfung für die Gültig-

keit von Modellen dienen, noch kann die Ähnlichkeit von Modellversu-

chen in verschiedenen Modellgruppen als Nachweis für die Gültigkeit

von Modellen dienen, da allen dieselben Fehler zugrundeliegen kön-

nen. Modelle müssen daher immer in Bezug auf aus Beobachtungen

gewonnenen Daten geprüft werden.

50

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Klimadaten

Um überhaupt eine Aussage über potenzielle Schäden treffen zu kön-

nen, die auf die globale Erwärmung zurückzuführen sind, ist eine Mes-

sung der Klimaveränderungen erforderlich. Nachfolgend werden die

im Allgemeinen herangezogenen Datenquellen untersucht.2

Daten in Bezug auf die Erdoberfläche

Bezüglich der Erdoberfläche gibt es drei zentrale globale Temperatur-

datenreihen. Das Institut für Klimaforschung der Universität von East

Anglia (Climate Research Unit, CRU) veröffentlicht die CRUTEM-Daten,

die in Jones et al. (1999) beschrieben sind, sowie die aktualisierten Fas-

sungen CRUTEM2 (Jones und Moberg 2003) und CRUTEM3 (Brohan et

al. 2006). Die abweichungsbereinigte Fassung ist unter der Bezeich-

nung CRUTEM3v bekannt. Eine weitere Datenreihe stammt vom God-

dard Institute of Space Studies (GISS) der NASA, eine dritte von der US-

amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration

(NOAA). Alle drei Datenreihen greifen auf das als GHCN – Global Histo-

rical Climatology Network – bekannte Wetterdatenarchiv zurück.3

2 Dieser Abschnitt greift auf zuvor in McKitrick (2010d) veröffentlichte Daten zurück.

3 Die Internetadresse des GHCN lautet http://www.ncdc.noaa.gov/oa/climate/ghcn-monthly/index.php. Eine Liste der Quellen findet sich unter http://www.ncdc.noaa.gov/oa/climate/ghcn-monthly/source-table1.html.

51

Datenquelle: GHCN | Für detailierte Berechnungen vgl. McKitrick (2010d)

Abbildung 5GHCN-Zahlung der Wetterstationen

1910 1950 19901910 1950 1990 1910 1950 1990

6.000

4.500

3.000

1.500

0

6.000

4.500

3.000

1.500

0

6.000

4.500

3.000

1.500

0

Unbereinigte GHCN-DatenUm fehlende Daten und Mehrfachzählungen bereinigte GHCN-Daten

Global Nördliche Hemisphäre

Südliche Hemisphäre

52

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Das GHCN wurde in den frühen 1990er Jahren als Kooperations-

projekt des Carbon Dioxide Information and Analysis Center (CDIAC)

und des National Climatic Data Center (NCDC) ins Leben gerufen. Ziel

war der Aufbau eines gegenüber den damals über das CRU oder andere

Forschungsinstitute erhältlichen Daten umfassenderen Temperatur-

datenarchivs. Die erste Version wurde im Jahr 1992 (Vose et al. 1992)

auf Grundlage von Bestandsdaten ohne Korrektur von Inhomogeni-

täten veröffentlicht4. Die zweite Version (GHCN v2) erschien im Jahr

1997 und ist in Peterson und Vose (1997) beschrieben. Erläuterungen

zu den Methoden der Qualitätssicherung finden sich in Peterson et al.

(1998). Während der Vorbereitung von GHCN v2 nahmen die Autoren

einige Korrekturen von Inhomogenitäten vor und ergänzten die Da-

ten der Messstationen im Hinblick auf ein besseres Verständnis der

Quellenqualität durch die Nutzer um Metadaten wie die umliegende

Bevölkerung sowie um genaue Informationen zu den Standorten der

einzelnen Messstationen.

Wie Abbildung 5 zeigt, stehen für die nördliche Hemisphäre fünf-

mal mehr Wetteraufzeichnungen zur Verfügung als für die südliche

Hemisphäre. Die Gesamtanzahl der Wetteraufzeichnungen des GHCN

erreichte in den 1960er und 1970er Jahren einen Höhepunkt und

nahm seitdem in beiden Hemisphären deutlich ab. Dieser Trend setz-

te sich nach 1989 fort, bis schließlich im Jahr 2005 ein schwerer Ein-

bruch zu verzeichnen war. Der mittlere bzw. linke Teil der Abbildung

4 Der Begriff „Inhomogenitäten“ ist in Bezug auf Temperaturdaten eher untechnisch definiert und bezeichnet ursprünglich eine durch Veränderungen der Gerätschaften, Veränderungen der Beobachtungszeit, die Verlegung einer Wetterstation o. Ä. hervorgerufene Messdiskontinuität. Einige Autoren verwenden den Begriff auch, um Messabweichungen aufgrund von Urbanisierung, Veränderungen der Landnutzung und anderen nichtklimatischen Einflüssen abzubilden, auch wenn hierfür viele Autoren auf eine unterschiedliche Begrifflichkeit zurückgreifen. Wenn also in Bezug auf ein Archiv wie dem GHCN von einer „Korrektur von Inhomogenitäten“ die Rede ist, kann dies daher als „Korrektur von Messdiskontinuitäten“, nicht notwendigerweise jedoch als „Korrektur von durch lokale, nichtklimatische Einflüsse hervorgerufenen Messabweichungen“ ausgelegt werden.

53

zeigt die nördliche bzw. südliche Hemisphäre und belegt, dass es sich

bei der sinkenden Anzahl von Wetterstationen um ein globales Phä-

nomen handelte. Der Messumfang ist von seinem Höhepunkt Anfang

der 1970er Jahre um etwa 75 % auf den tiefsten Wert seit dem Ende des

neunzehnten Jahrhunderts gesunken. Aktuell erfasst das GHCN weni-

ger Temperaturdaten als zu Ende des Ersten Weltkrieges.

Während GHCN v2 zumindest über Daten aus nahezu allen Ge-

genden der Welt verfügt, liegen für das gesamte 20. Jahrhundert wei-

testgehend auf die USA, Südkanada, Europa und einige wenige andere

Standorte beschränkte Daten vor. Die globale Abdeckung mit voll-

ständigen täglichen Aufzeichnungen (einschließlich der Ablesung der

Höchst- und Tiefstwerte sowie von Durchschnittswerten) ist seit 1900

äußerst unvollständig. Abgesehen von den USA, Südkanada und den

australischen Küstenregionen liegen nur wenige entsprechende Auf-

zeichnungen, für das Landesinnere ganzer Teile von Südamerika, Af-

rika, Europa und Asien überhaupt keine Beobachtungen vor (Peterson

und Vose 1997, Abbildungen 3 und 4).

Von den 31 für das GHCN herangezogenen Datenquellen sind nur

für drei regelmäßige monatliche Aktualisierungen erhältlich. Bei zwei-

en davon handelt es sich um US-Netzwerke, bei dem dritten um ein

aus 1.500 Stationen bestehendes Netzwerk, das über das so genannte

CLIMAT-Netzwerk automatisch Wetterdaten übermittelt.

Die Veränderung der verwendeten Datenquellen erfolgte in Bezug

auf die Art der Quellen nicht einheitlich. So haben sich die Messungen

beispielsweise hin zu Flughafenstandorten verlagert, die dem Problem

unterworfen sind, dass sie sich häufig an urbanen oder suburbanen

Standorten befinden, die in den vergangenen Jahrzehnten errichtet

wurden. Zudem hat der zunehmende globale Luftverkehr zu einer

Erwärmung durch Faktoren wie Verkehr, Straßenwege, Gebäude und

Abfall geführt, die ausnahmslos nur schwer aus den Temperaturauf-

zeichnungen herausgenommen werden können. Wie Abbildung 6 zu

entnehmen ist, kam es infolge der oben gezeigten Stationsverluste

54

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

zu einer Zunahme der Beobachtungen von Flughafenstandorten. Die

meisten Regionen wiesen hier mit 40 % oder mehr im Jahr 1980 be-

reits zu Beginn hohe Werte auf. Gegenüber knapp über 20 % in den

späten 1920er Jahren stammt heute mindestens die Hälfte der regio-

nalen Messungen von Flughäfen.

Die CRUTEM-Daten beruhen fast vollständig auf dem GHCN. In-

folge eines 2007 gestellten Antrags gemäß dem Freedom of Informa-

tion Act5 , der allen US-Bürgern freien Zugang zu den Akten, Unterla-

gen und Informationen der Verwaltung gewährt, gab das CRU offiziell

an, dass die von ihm verwendeten Stationsdaten aus zwei Quellen

stammten: dem GHCN und dem US-amerikanischen National Cen-

ter for Atmospheric Research (NCAR) in Form der Datensätze ds540.0

und ds570.0. Auf der NCAR-Website entspricht ds540.0 im Wesentli-

chen dem GHCN v2 (http://dss.ucar.edu/datasets/ds564.0/). Bei dem

Datensatz ds570.0 handelt es sich um die World Monthly Surface Sta-

tion Climatology (http://dss.ucar.edu/datasets/ds570.0/), die größte

Einzelkomponente des GHCN-v2-Archivs (Peterson und Vose (1997),

Tabelle 1). In einer weiteren Darstellung gab das CRU den Anteil der aus

diesen Quellen stammenden Daten mit etwa 98 % an.

5 Das Korrespondenzarchiv findet sich im Internet unter http://climateaudit.files.wordpress.com/2008/05/cru.correspondence.pdf.

55

Quelle: GHCN | Für detaillierte Berechnungen siehe McKitrick (2010d)

Die globalen Temperaturdaten des Goddard Institute of Space Stu-

dies der NASA gehen auf drei Ausgangsarchive zurück: GHCN v2 für

die gesamte Welt mit Ausnahme der USA und der Antarktis, das US

Historical Climatology Network (USHCN, ebenfalls ein NCDC-Produkt)

sowie ein Archiv der Antarktisstationen des Scientific Committee on

Antarctic Research6. Der größte Teil der von den USA in das GHCN ein-

gespeisten Daten stammt aus dem USHCN, das jedoch auch seine eige-

nen Anpassungen zur Qualitätssicherung vornimmt.

6 http://data.giss.nasa.gov/gistemp/sources/gistemp.html

Abbildung 6Anzahl GHCN-Stationen an Flughäfen in Prozent im Zeitraum 1890 – 2009

1890 1930 1970 2010 1890 1930 1970 2010 1890 1930 1970 2010

80

60

40

20

0

80

60

40

20

0

80

60

40

20

0

Global Nördliche Hemisphäre

Südliche Hemisphäre

56

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Die NOAA veröffentlicht monatlich eine Übersicht über globale

Temperaturanomalien (http://www.ncdc.noaa.gov/cmb-faq/anomali-

es.html). Auf der NOAA-Website findet sich der Hinweis, dass die Land-

aufzeichnungen aus dem GHCN-Archiv stammen. Weitere Quellen

sind nicht aufgeführt. Die drei zentralen Rasterdatensätze in Bezug

auf globale Temperaturanomalien beruhen daher ausschließlich bzw.

nahezu ausschließlich auf Daten aus dem GHCN-Archiv. Die Proble-

me des GHCN wie Messdiskontinuitäten und Verunreinigungen durch

Urbanisierung und andere Formen veränderter Landnutzung wirken

sich daher auch auf die Daten des CRU, des GISS und der NOAA aus.

Die mit der Zeit abnehmende Qualität der GHCN-Daten führt damit

zu einer ebenfalls abnehmenden Qualität der Datensätze des CRU, des

GISS und der NOAA sowie zu einem stärkeren Einfluss durch Datenan-

passungen zum Ausgleich von Messabweichungen.

Daten in Bezug auf die Meeresoberfläche

Alle historischen Daten bezüglich der Meeresoberflächentemperatur

(Sea Surface Temperature, SST) sind dem International Comprehensi-

ve Ocean-Atmosphere Data Set (ICOADS, http://icoads.noaa.gov/) oder

einem seiner Vorgängerarchive entnommen. Das ICOADS kombiniert

etwa 125 Millionen SST-Datensätze aus Schiffsaufzeichnungen sowie

weitere 60 Millionen Werte aus Bojen und anderen Quellen (Woodruff

et al. 2005). Das ICOADS stützt sich auf eine große Sammlung von Ein-

gangsdaten, wobei jedoch darauf hingewiesen werden sollte, dass sich

bspw. aufgrund von Veränderungen der räumlichen Abdeckung, der

Beobachtungsinstrumente und der Messzeiten sowie der Größe und

Geschwindigkeit des Schiffes gravierende Schwierigkeiten ergeben. Im

Grunde handelt es sich bei den ICOADS-Datensätzen um eine große

Ansammlung problematischer Daten.

57

Das britische Hadley Centre erstellt hinsichtlich der Meeresoberflä-

chentemperatur zwei gerasterte Datensatzsammlungen: HADSST2

und HADISST (Beschreibungen finden sich unter www.hadobs.org).

Die in der Sammlung HADSST2 verzeichneten Datensätze werden

mit den CRUTEM-Daten für die Erdoberfläche zu dem so genannten

globalen HADCRU-Datensatz kombiniert. Die HADSST2 zugrundelie-

genden Methoden sind in Rayner et al. (2006) dargestellt. Bis 1997

verwendete HADSST2 die ICOADS-Daten, 1998 erfolgte die Umstel-

lung auf ein ICOADS-Teilsystem namens Near Real-Time (NRT) Mari-

ne Observations (http://icoads.noaa.gov/nrt.html). Das ICOADS weist

darauf hin, dass beide nicht vollständig konsistent sind (siehe http://

icoads.noaa.gov/products.html). Ende 2010 läuft das NRT-System

aus, da das ICOADS-System nunmehr hinreichend automatisiert ist,

um kontinuierlich aktualisiert werden zu können; das Hadley Centre

wird in der Folge vermutlich wieder auf die ICOADS-Daten als Quelle

zurückgreifen.

Die HADSST2-Datensatzsammlung weist Lücken und spärliche

Daten in der Oberflächenabdeckung auf. Die HADISST-Datensatz-

sammlung bietet unter Verwendung von Interpolationsmethoden

eine „vollständige“ globale Abdeckung bzw. anders ausgedrückt Zah-

len für jede Rasterzelle. Wichtigste Datenquelle ist die britische Met

Office’s Marine Data Bank, die bis 1995 durch ICOADS-Daten aufgefüllt

wurde. Fehlende Rasterzellen werden durch eine auf Hauptkomponen-

tenanalysen beruhende numerische Methode ergänzt. Nach 1982 flos-

sen Satellitendaten in den Interpolationsalgorithmus ein.

Die NOAA verwendet zur Ermittlung der so genannten Extended

Reconstruction Sea Surface Temperature (ERSST) ICOADS-Daten. Seit

1985 griff die NOAA zur Abdeckung in den Polargebieten auf Satelliten-

beobachtungen des Advanced Very High Resolution Radiometer (AV-

HRR) zurück, stellte dabei jedoch einen leichten Rückgang des Trends

fest und führte diesen Effekt auf systematisch zu niedrig gemessene

Temperaturen (Cold Bias) zurück, sodass die Satellitendaten in der

58

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Folge entfernt wurden (siehe http://www.ncdc.noaa.gov/oa/climate/

research/sst/ersstv3.php).

Das GISS verwendet andere NOAA-Daten, nämlich die Optimal In-

terpolation Version 2 (OI.v2) Datenbank von Reynolds et al. (2008), die

bis 1998 auf ICOADS-Daten beruhte. Anschließend erfolgte wie beim

Hadley Centre eine Umstellung auf ein kontinuierlich aktualisiertes

Teilsystem, wodurch mit einem Mal etwa 20 % der Messungen verloren

gingen. Das aktualisierte Teilsystem wird durch Bojendaten ergänzt, da

viele Schiffsaufzeichnungen nur als Hardcopy vorgelegt werden. Die

OI.v2-Datenbank greift zudem auf AVHRR-Satellitendaten zurück, um

die Interpolation für Regionen, in denen keine Messungen stattfinden,

zu verbessern. Im Gegensatz zum ERSST-Datensatz finden die Satelli-

tendaten in den OI.v2-Datensatz nach wie vor Eingang.

Bis in die 1930er Jahre beschränkte sich die Meeresdatenerfassung

auf die Gebiete, in denen Schiffsverkehr herrschte. In den meisten Re-

gionen des Südpazifik, in etwa in dem Bereich südlich einer Linie von

der Halbinsel Baja California bis zur Südspitze Afrikas, wurden inner-

halb eines Jahrzehnts weniger als 99, in vielen Gebieten überhaupt kei-

ne Messungen durchgeführt. In den 1970er Jahren war die Abdeckung

mit Ausnahme von Südaustralien, Südamerika und Afrika nahezu

komplett. Heute fehlen auf der Karte nur noch einige Polargebiete

(Woodruff et al. 2008, Abbildung 5).

Die Daten für die Zeit vor 1978 stammen nahezu vollständig aus

Schiffsaufzeichnungen. Seit 1978 erfolgt die Datenerfassung haupt-

sächlich mittels Treib- und Mooringbojen (Woodruff et al. 2008). Mes-

sungen auf Schiffen und Bojen werden als In-Situ-Messungen bezeich-

net. Eine weitere Datenquelle, die in den vergangenen Jahrzehnten an

Bedeutung gewann, sind Satellitenbeobachtungen der Meeresoberflä-

che, die dazu dienen, die Abdeckung auch auf Gebiete außerhalb der

In-Situ-Gebiete auszuweiten. Rayner et al. (2003) weisen jedoch dar-

auf hin, dass auch Satellitensysteme mit Schwierigkeiten verbunden

sind. Satellitenmessungen der Meeresoberflächentemperatur weisen

59

Ungenauigkeiten auf, sobald eine Wolkendecke vorhanden ist und es

zu Schwankungen hinsichtlich des Staubs und der Aerosole in der At-

mosphäre kommt. Infrarotdaten aus dem AVHRR-System können die

SST zwar exakt messen, müssen jedoch gegenüber den bestehenden

SST-Datensätzen kalibriert werden, um Messgeräteabweichungen zu

vermeiden. Bei tief hängenden Wolkendecken und hoher Aerosolbela-

stung sind die Messungen unzuverlässig. Neue Satellitenplattformen

wie die Tropical Rainfall Measuring Mission (TRMM) und das Advan-

ced Microwave Scanning Radiometer (AMSR-E) haben in den vergan-

genen Jahren die Möglichkeiten der Datenerfassung bei Vorliegen von

Wolken und Aerosolen deutlich verbessert.

Schiffsdaten werden aufgrund der Vermischung von zwei unter-

schiedlichen Messtypen skeptisch beäugt. Früher wurde zur Messung

der SST ein Eimer Wasser von der Meeresoberfläche an Deck eines

Schiffes gezogen und die Temperatur des Wassers mit einem Ther-

mometer gemessen. Je nachdem, was für ein Eimer dafür verwendet

wurde – bspw. ein Holzeimer oder ein vom Wetteramt ausgegebener

Segeltucheimer –, wurden verschiedene Messergebnisse erzielt, die in

Bezug auf die tatsächliche Temperatur häufig nach unten abwichen

(Thompson et al. 2008). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgten die

Messungen angesichts der Ablösung von Segelschiffen durch Motor-

schiffe zunehmend über Sensoren, welche die Temperatur des in das

Motorkühlsystem eingesaugten Wassers überwachten. Diese Daten

weichen gegenüber der tatsächlichen SST für gewöhnlich nach oben

ab (Thompson et al. 2008). Insgesamt wird davon ausgegangen, dass

US-amerikanische Schiffe recht schnell auf diese motorgetriebenen

Ansaugsysteme umgestellt haben, wohingegen britische Schiffe ihre

Messungen deutlich länger mithilfe der Eimermethode durchführten.

In jüngerer Zeit wurden von einigen Schiffen über Rumpfsensoren er-

mittelte Messdaten übermittelt, und durch veränderte Schiffsgrößen

fanden zudem künstliche Trends Eingang in die ICOADS-Datensätze

(Kent et al. 2007).

60

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Bis vor kurzem ging man davon aus, dass der Übergang von un-

isolierten bzw. teilisolierten Eimern hin zu Ansaugsystemen plötzlich

im Dezember 1941 mit Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg er-

folgte (Folland und Parker 1995). Das Hadley Centre korrigierte dar-

aufhin seine SST-Daten aus der Zeit vor 1941 aufgrund der Annahme,

die Eimermessung sei zu diesem Zeitpunkt eingestellt worden, nach

oben. Als Kent et al. (2007) jedoch kürzlich Schiffsmetadaten zusam-

mentrugen, stießen sie darauf, dass in den von Schiffen stammenden

ICOADS-Daten im Jahr 1980 nach wie vor etwa die Hälfte aus solchen

Eimermessungen stammte.

Bei der Verwendung der Kent-Daten legten Thompson et al. (2008)

ein weiteres Problem im Zusammenhang mit den SST-Daten in den

Jahren 1945 und 1946 offen: zwischen 1940 und 1945 war der Anteil

der von US-Schiffen stammenden Daten explosionsartig auf mehr als

80 % der Proben angestiegen; mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

hingegen stieg der Anteil der Daten aus Großbritannien innerhalb

eines Jahres von etwa 0 % auf etwa 50 % der Gesamtdaten an, wohin-

gegen die USA weniger Daten lieferten als zuvor. Gleichzeitig fiel der

ICOADS-Durchschnitt um etwa 0,5 °C, was einer starken Verfälschung

gleichkommt, die in den veröffentlichten globalen Temperaturreihen

sichtbar wird. Thompson et al. weisen darauf hin, dass die Auswirkun-

gen der Korrektur dieses Temperaturknicks in der Mitte des Jahrhun-

derts erheblich sein können. Wird diese Diskontinuität zur Anpas-

sung an die vor 1945 erfassten Datenreihen durch Erhöhung der nach

1945 erhobenen Daten gelöst, flachen die Reihen ab und lassen für

den Zeitraum von etwa 1940 bis in die späten 1990er Jahre keinerlei

Rückschlüsse auf eine Erwärmung zu. Das im 20. Jahrhundert vorherr-

schende Verständnis der Erderwärmung wird dadurch drastisch verän-

dert. Wird die Diskontinuität hingegen gelöst, indem die nach 1945 er-

fassten Datenreihen durch eine Verringerung der vor 1945 erhobenen

Daten harmonisiert werden, führt dies zu einem deutlich längeren

und über das gesamte 20. Jahrhundert anhaltenden Erwärmungstrend

61

als angenommen. In beiden Fällen wird die wie auch immer geartete

Entscheidung über die Beseitigung dieser kürzlich entdeckten schwer

identifizierbaren Diskontinuität in den SST-Datenreihen eine weit ge-

fasste Überprüfung des aktuellen Verständnisses der globalen Erwär-

mung zur Folge haben.

Eine weitere Schwierigkeit zeigt sich, ähnlich wie bei den Erdober-

flächendaten, in einem beständigen Rückgang der Anzahl von Schif-

fen, die sich in den vergangenen Jahren bereit erklärt haben, Daten für

das ICOADS zu liefern. Die neue weltweite ARGO-Flotte (www.argo.net)

deckt seit 2003 für die gesamten Weltmeere bis in eine Tiefe von 2.000

Metern die Messungen von Temperatur, Salzgehalt und Strömungen

ab. Einen vollständigen Ausgleich der immer weniger werdenden

Schiffsdaten kann diese Flotte jedoch nicht leisten, da sie keine direk-

ten Messungen der SST vornimmt. Stattdessen beginnt ihr Profiling in

einer Tiefe von 10 Metern unter dem Meeresspiegel, wohingegen ihre

Ansaugpumpen in einer Tiefe von 8 Metern unter dem Meeresspiegel

automatisch abschalten.

Eine weitere Herausforderung stellt das Meereis dar. Die Schiff-

fahrt in eisbedeckten Regionen ist gefährlich, sodass aus der Zeit vor

dem Einsatz von Satelliten (etwa ab 1978) nur spärliche Daten vor-

liegen. Für die Zeit zwischen 1901 und 1995 liegen zwar Diagramme

über die Meereiskonzentration in der nördlichen Hemisphäre vor,

doch können nur die Ränder beobachtet werden und die darüber hin-

ausgehende Abdeckung ist als einheitlich anzunehmen (Rayner et al.

2003). Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass für die Herbst-

und Wintermonate (September bis März) überhaupt keine Daten

vorliegen, sodass die Meereiskonzentration in den Randgebieten auf

Grundlage der Daten aus den Sommermonaten geschätzt werden

muss. Daten über das in der Antarktis vorhandene Meereis wurden

erst ab 1973 mit Beginn der Satellitenbeobachtungen verfügbar. Aus

früheren Jahren liegen nur einige Beobachtungen von Forschungsex-

peditionen vor. Die HADISST-Datenreihe des Hadley Centre greift für

62

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

die Jahre zwischen 1929 und 1939 auf Daten aus Deutschland zurück

und rechnet auf deren Grundlage zurück bis in das Jahr 1871. Für den

Zeitraum 1947 – 1962 dienen russische Forschungsdaten als Grundla-

ge, Daten für andere Jahre wurden bis zu den ersten Satellitenmessun-

gen durch Interpolation gewonnen.

Für die Erstellung globaler Datensätze wird die SST in der Annah-

me mit den GHCN-Daten für die Erdoberfläche kombiniert, beide zu-

sammen ergeben einen Durchschnittswert für die oberflächennahe

Lufttemperatur. Aufzeichnungen der Meereslufttemperatur (Marine

Air Temperature [MAT] im Gegensatz zur SST) gibt es nur sehr weni-

ge, die zudem durch die im Verlaufe des Jahrhunderts zunehmende

Schiffshöhe beeinträchtigt wurden und daher im Zeitverlauf, außer in

den Fällen, in denen die Messung auf gleicher Höhe erfolgt ist, nicht

streng vergleichbar sind. Die Übereinstimmung zwischen SST- und

Lufttemperaturtrends wurde in einigen wenigen Fällen untersucht.

Christy et. al. (2001) konzentrierten sich dabei auf Standorte, an denen

sie die Luft- und die SST-Messungen an ein und demselben Ort direkt

miteinander vergleichen konnten. Die Untersuchung umfasste von

Schiffen erfasste Daten bezüglich der Meereslufttemperatur sowie Da-

ten von Wettersatelliten, Wetterballons und einer Reihe von Bojen im

tropischen Pazifik. Die Daten aus dem Bojennetz sind dabei besonders

hilfreich, da diese an ein und demselben Ort sowohl die Temperatur

einen Meter unter der Oberfläche als auch drei Meter über der Oberflä-

che messen. Bei allen Vergleichen der SST mit der Lufttemperatur trat

zutage, dass das Meer sich gegenüber der Luft erwärmt hat, was darauf

hindeutet, dass die SST gegenüber den Lufttemperaturtrends zu hoch

angegeben wurde. Darüber hinaus weisen drei der Lufttemperatur-Da-

tensätze (Satellit, Ballon und Reanalyse) darauf hin, dass sich die Mee-

reslufttemperatur direkt über der Meeresoberfläche in den Tropen seit

1979 alle zehn Jahre um durchschnittlich 0,01 bis 0,06 °C abgekühlt

hat, während die SST-Daten auf eine Erwärmung schließen ließen. Die

Autoren berechneten daher die globalen Durchschnittstemperaturen

63

für den Zeitraum von 1979 bis 1999 für Zeiträume, für die Lufttem-

peraturdaten anstelle von SST-Daten vorlagen, neu, woraus sich eine

Reduzierung des globalen Trends um 0,05 °C pro Jahrzehnt ergab.

Messungen der Lufttemperatur per Satellit

Eine Alternative zu Oberflächendaten eröffnete sich, als Spencer und

Christy (1990) neue Klimadatenreihen veröffentlichten, die auf einer

Auswertung von Daten der von der National Oceanographic and At-

mospheric Administration (NOAA) der USA 1979 ins All geschickten

Wettersatelliten Tiros-N geliefert worden waren. Diese Satelliten sind

mit so genannten Microwave Sounding Units (MSU) ausgestattet, die

die von Sauerstoffmolekülen in verschiedenen Schichten der Atmo-

sphäre abgegebene Strahlung messen und so täglich eine nahezu voll-

ständige Übersicht über die gesamte Tropos- und Stratosphäre liefern.

Jede Messung kann dabei stellvertretend für den Gesamtdurchschnitt

der Lufttemperatur betrachtet werden.

Der Vorteil der MSU-Reihe besteht darin, dass Spencer und Chri-

sty durch die Kalibrierung der MSU-Daten gegenüber Messungen der

Lufttemperatur aus einem globalen Radiosondennetz7 in der Lage wa-

ren, die erste auf einer konsistenten Probenmethode beruhende glo-

bale Durchschnittstemperaturreihe für die gesamte Atmosphäre und

vor allem die besonders wichtige Troposphäre vorzulegen. Allerdings

zeigten sich unter anderem auch folgende Nachteile:

7 Bei Radiosonden handelt es sich um auf Wetterballons montierte Thermometer, die aus unterschiedlicher Höhe Temperaturmessdaten an am Boden befindliche Monitore übermitteln. Ein Netzwerk meteorologischer Stationen wird so mit globalen Daten gespeist.

64

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

> Die Messdatenreihen reichen nur bis 1979 zurück. Auch wenn auf

diesem Wege also inzwischen Messdaten aus den 30 Jahren vorlie-

gen, in denen die Erdoberfläche sich am stärksten erwärmt hat, kön-

nen daraus keine Schlüsse bezüglich der Erwärmungsmuster in der

Mitte des 20. Jahrhunderts gezogen werden.

> An verschiedenen Punkten der Reihen wurden Satelliten ausge-

tauscht, sodass der Trend durch die Messpunktkalibrierung beein-

flusst worden sein kann.

Die Daten von Spencer und Christy werden üblicherweise nach den

Initialen der Universität von Alabama in Huntsville, an der die beiden

Forscher tätig sind, als UAH-Reihe bezeichnet. Ein unabhängiger Al-

gorithmus zur Auswertung der MSU-Daten wurde von dem kaliforni-

schen Forschungsunternehmen Remote Sensing Systems (RSS) entwi-

ckelt (Mears et al 2003). Beide existierenden Versionen ähneln sich au-

ßerhalb der Tropen stark, wohingegen die RSS-Reihen über den Tropen

einen deutlich höheren Trend aufweisen, was mit einem stufenartigen

Anstieg um 1992 zusammenzuhängen scheint, der sich zeitgleich mit

einem Satellitenaustausch ereignete (Christy et al. 2010). Aus den

RSS-Daten lässt sich für die Zeit nach 1993 relativ zu Wetterballonda-

ten (Randall und Herman 2008) und Reanalysedaten8 (Bengtsson und

Hod ges 2010) sowie im Vergleich zu einigen anderen regionalen Da-

tensätzen (Christy et al. 2010) eine Erwärmung ablesen.

Durch das RSS-Team wurde als Problem erkannt, dass es aufgrund

eines Höhenverlustes durch veränderte Satellitenbahnen mit der Zeit zu

verfälschten Abkühlungstrends kommen könnte. Sowohl die UAH- als

8 Reanalysedaten werden auf Grundlage von Wetterprognosen für die nächsten 6 und 12 Stunden gewonnen. Die Wettermodelle werden auf Grundlage von Beobachtungen definiert und liefern vollständige räumliche Daten für unterschiedliche Atmosphäreschichten. Da kurzfristige Prognosen die höchste Zuverlässigkeit aufweisen, stellen diese eine gute Datenquelle zum Vergleich mit direkten Beobachtungen dar.

65

auch die RSS-Forscher haben als Ausgleich für diesen Effekt historische

Korrekturen entwickelt. Nach 2002 begann das UAH-Team mit der Inte-

gration von MSU-Daten aus dem so genannten AQUA-Satellitensystem,

das dank eines eigenen Antriebssystems auf konstanter Höhe gehalten

werden kann. Von RSS werden keine AQUA-Daten verwendet.

Abschließende Bemerkungen

Mein Eindruck der verschiedenen zur Messung des globalen Klima-

wandels zur Verfügung stehenden Datensammlungen ist, dass die

längsten Datenreihen, d. h. die Datenreihen in Bezug auf die Erd- und

die Meeresoberfläche, gravierende Probleme hinsichtlich ihrer Erhe-

bung, Kontinuität und Qualität aufweisen, sodass eine langfristige

Kontinuität der Daten illusorisch ist. Die Schwierigkeiten im Zusam-

menhang mit der Erhebung von Daten für die Erdoberfläche haben

sich in den vergangenen Jahrzehnten ausgeweitet. Ferner kann der

Aussage, der Abgleich der drei globalen Datenreihen untereinander

komme einer Qualitätsprüfung gleich, nicht zugestimmt werden, da

alle auf denselben Archiven basieren und damit eine nur unzurei-

chende Unabhängigkeit aufweisen. Die MSU-Satellitendatenreihe ist

kürzer, verfügt jedoch hinsichtlich von Konsistenz und Vollständigkeit

der Datenerfassung, der Qualität der Geräteausstattung sowie der Va-

lidierung gegenüber unabhängigen Beobachtungsplattformen über

klare Vorteile. Für Zwecke der politischen Entscheidungsfindung halte

ich die MSU-Daten für das am meisten geeignete System.

Vergleich von Modelldaten

Parametrisierungen sind in Modellen unvermeidbar. Daher ist es

umso wichtiger, dass die verschiedenen Klimamodelle zur Beurtei-

lung der Qualität der empirischen Näherungswerte konkreten Daten

gegenübergestellt werden. Einfache eindimensionale Vergleiche der

66

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

anhand von Modellen generierten globalen Durchschnittstempe-

ratur mit auf Beobachtungen basierenden globalen Durchschnitts-

werten finden sich im 20. Jahrhundert vielfach (z. B. Knutson et al.

2006, CCSP 2008). Der globale Durchschnitt wird jedoch von einem

langsamen und stetigen Aufwärtstrend beherrscht; die Entwicklung

eines Modells, das einen einfachen Aufwärtstrend aufweist, ist nicht

schwierig. Angesichts der großen Zahl widersprüchlicher Hypothe-

sen, die zu einer solchen Form führen können, ist die Feststellung

einer Übereinstimmung zwischen Beobachtungen und Modellen des

globalen Durchschnitts allein als Beweis nicht ausreichend. Knutti

(2008), CCSP (2008, Seite 44), Knutti und Hegerl (2008), Kiehl (2007),

Hegerl et al. (2007, Seite 678), Schwartz et al. (2007) und andere haben

darauf verwiesen, dass der beobachtete globale Durchschnittstrend

gleichermaßen konsistent mit stärkeren und schwächeren Annah-

men bezüglich der Sensitivität gegenüber einer durch Treibhausga-

se verursachten Erwärmung sein kann, wenn er mit ausgleichenden

Annahmen bezüglich einer aerosolbedingten Abkühlung, einer Wär-

meaufnahme durch die Weltmeere oder anderen Mechanismen in

Verbindung gebracht wird. In der Praxis weisen Modelle, die von einer

stärkeren Sensitivität gegenüber Treibhausgasen ausgehen, in einem

Maße eine Tendenz zu einem stärken Ausgleich durch Abkühlungs-

mechanismen auf, das nicht zufällig erscheint (Kiehl 2007).

Die GCM-Auswertung gemäß Kapitel 8 des vierten Berichts des

Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) (Ran-

dall et al. 2007) besteht vorrangig aus statischen Reproduktionstests,

die Aussagen über die Verteilung der Durchschnittstemperatur und

der Niederschlagshöhen ermöglichen, jedoch keine weltweiten Trends

reproduzieren, und a priori-Kontrollen, um festzustellen, ob bekann-

te meteorologische Prozesse in die Modelle Eingang gefunden haben.

Der IPCC weist darauf hin, dass relativ wenige Studien die Frage auf-

geworfen haben, ob die empirische Treue zwischen den Modellsimu-

lationen der Vergangenheit und den dazugehörigen Beobachtungsda-

67

ten die Genauigkeit von Klimatrendprognosen verbessern (Randall et

al. 2007, Seite 594). Daher sind Methoden zur Bewertung der Modelle

entsprechend ihrer Fähigkeit, verschiedene räumliche Trendmuster zu

erfassen, erforderlich. Berk et al. (2001) verwiesen diesbezüglich darauf,

dass nur wenige quantitative Vergleiche von Modellergebnissen und

mit aus Beobachtungen gewonnenen Daten vorlägen, die sich zudem

noch „extrem auf subjektive Bewertungen stützen“ (Berk et al., Seite

126). Die Situation hat sich seit 2001 kaum verändert. Weder die Über-

prüfung der GCM durch das US-amerikanische Climate Change Science

Program (CCSP 2008) noch der jüngste Bericht des IPCC liefern statis-

tische Untersuchungen darüber, wie gut Klimamodelle das räumliche

Temperaturtrendmuster der vergangenen Jahrzehnte reproduzieren.

Stattdessen verlassen sie sich auf subjektive Bewertungen. In Kapitel 9

des IPCC-Berichts (Hegerl et al. 2007) finden sich die Diskussion eines

Diagramms (Abbildung 9.6, Seite 684 – 686) über die durchschnittli-

chen Ergebnisse aus 58 GCM-Simulationen und das besondere Tempe-

raturmuster von Trends an der Erdoberfläche zwischen 1979 und 2005,

wobei Modellsimulationen, die von der Annahme ausgehen, das Klima

würde durch Treibhausgase nicht erwärmt, Modellsimulationen gegen-

übergestellt werden, die auf der Annahme beruhen, dass dies sehr wohl

der Fall sei. In diesem Zusammenhang wird behauptet, letztere An-

nahme passe besser zu den Beobachtungsdaten; ein quantitativer Be-

leg wird jedoch nicht erbracht. Der CCSP-Bericht (2008) enthält einen

visuellen Vergleich hinsichtlich der Übereinstimmung der zwischen

1979 und 2003 beobachteten und den von der GISS in ihrem Modell

ausgearbeiteten Trendmustern. Auch diese Diskussion ist rein quali-

tativ – dem Leser wird noch nicht einmal ein Korrelationskoeffizient,

geschweige denn eine Reihe von Signifikanztests vorgelegt.

Einer der zentralen Tests für die Qualität von GCM ist es, zu prüfen,

ob sie geeignet sind, das Verhalten der riesigen tropischen Region kor-

rekt dazustellen. Die allgemeine atmosphärische Zirkulation entsteht

im Wesentlichen durch die unterschiedlich starke Erwärmung der Erde

68

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

am Äquator und an den Polen.9 Durch die starke Sonneneinstrahlung

und die damit verbundene Erwärmung am Äquator steigt heiße und

feuchte Luft auf, die sich in der Höhe abkühlt und um etwa 30 Breiten-

grade in Richtung der Pole strömt. Dort sinkt sie wieder ab und strömt

in Bodennähe zurück zum Äquator. Ein Teil der absteigenden Luft wird

abgelenkt und vermischt sich mit einer Luftströmung in Richtung der

Pole, die in verschiedenen, an den Polen endenden Zirkulationen ver-

läuft. Globale Atmosphärenmodelle müssen diese Prozesse auf einer

rotierenden Kugel unter Berücksichtigung geeigneter Verteilungen hin-

sichtlich von Feuchtigkeit, Impuls und Energie abbilden. Im Rahmen

von auf diesen Modellen beruhenden Experimenten wurde regelmäßig

gezeigt, dass die stärkste Erwärmung aufgrund der Konzentrationserhö-

hung von Treibhausgasen in der tropischen Troposphäre erfolgt. Held

und Soden (2000, Seite 464) beschreiben, dass Modelle etwa 60 % der

globalen atmosphärischen Wasserdampfrückkopplung der oberen Tro-

posphäre über den Tropen in einem Gebiet zwischen 30 Grad nördli-

cher Breite und 30 Grad südlicher Breite zuordnen, während nur 40 %

der Rückkopplung auf die übrigen Breiten entfallen.10

Alle Klimamodelle sagen eine außergewöhnlich starke und

schnelle durch Treibhausgase verursachte Erwärmung der Tropo-

sphäre (d. h. in einer Höhe von 1 – 16 km) über den Tropen vorher.

Dieses Phänomen ist in Abbildung 10.7 des Berichts der IPCC-Ar-

beitsgruppe I, die im Internet unter http://www.ipcc.ch/graphics/

ar4-wg1/jpg/fig-10-7.jpg erhältlich ist, dargestellt. Ursprünglich wur-

den vom IPCC zwölf Klimamodellprognosen für den vierten IPCC-

9 Eine einfache schematische Beschreibung der allgemeinen Zirkulation findet sich bei Lockwood (1979), Kapitel 4.

10 Dieses Verhältnis bezieht sich auf die „freie Atmosphäre“ bzw. Troposphäre oberhalb der Grenzschicht (d. h. der unteren 1 – 2 km). 10 % des globalen Effekts schlagen sich in dieser Grenzschicht nieder, sodass sich für die Troposphäre ein Verhältnis von 55 % Tropen und 35 % Nicht-Tropen ergibt.

69

Sachstandsbericht archiviert, die entsprechende Internetseite wurde

zwischenzeitlich jedoch entfernt.11 Diese Modellexperimente folgen

dem A1B-Emissionsszenario, das für die Emissionsentwicklung bis

2100 einen mittleren Pfad beschreitet. Die durchschnittliche globale

Oberflächenerwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts beträgt laut

GISS-Modell etwa 2,3 °C.12 Der troposphärische Durchschnitt liegt mit

5 °C in etwa doppelt so hoch, und das fokale Muster in der tropischen

Troposphäre tritt zu Beginn des Prognosezeitraums auf. Das Muster

war in allen für den IPCC-Bericht von 2007 erstellten 12 Klimamodell-

simulationen klar zu erkennen.

Abbildung 9.113 des IPCC-Berichts von 2007 enthält ferner einen

Modelltest (sogenannter „Hindcast“), in dem modellbasierte Klima-

muster für den Zeitraum von 1890 bis 1999 mit Hilfe historischer

Klimadaten überprüft werden. Hierbei zeigt sich dasselbe Muster, das

von einem bereits in Gang befindlichen starken, gegenüber allen übri-

gen Antrieben vorherrschenden, Erwärmungstrend in der tropischen

Troposphäre ausgeht.

Ein identisches Muster ist auch in einem modellbasierten Modell-

test dargestellt, der die klimatischen Veränderungen zwischen 1958

und 1999 unter der Annahme einer starken THG-Erwärmung simuliert

und für den Bericht des US-amerikanischen Climate Change Science

Program (CCSP 2006) angefertigt wurde; siehe Seite 25, Abbildung 1.3 A

und F, im Internet abrufbar unter http://www.climatescience.gov/Lib-

rary/sap/sap1-1/finalreport/default.htm. Auch in dieser Darstellung ist

die helle Scheibe als Temperaturindikator der tropischen Troposphäre

besonders dominant.

11 Eine unvollständige Archivversion findet sich unter http://web.archive.org/web/20070925231825/http://ipcc-wg1.ucar.edu/wg1/Report/suppl/Ch10/Ch10_indiv-maps.html.

12 Vierter IPCC-Sachstandsbericht (Arbeitsgruppe I), Kapitel 10, Abbildung 10.5

13 Online unter http://www.ipcc.ch/graphics/ar4-wg1/jpg/fig-9-1.jpg

70

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Quelle: McKitrick, McIntyre und Herman (2010)

Insgesamt betrachtet stimmen alle Modelle darin überein, dass

bereits heute ein Muster einer starken Erwärmung der tropischen Tro-

posphäre zu beobachten sein müsste, wenn die durch THG verursach-

te Erwärmung tatsächlich der vorherrschende, langfristig auf unser

Klima einwirkende Effekt wäre und auch die künftigen Klimaverände-

rungen dominiert. Einig sind sich die Modelle weiterhin darüber, dass

die Erwärmung der oberen Troposphäre in den Tropen stärker als in

der übrigen Troposphäre und in der Höhe stärker als an der Oberfläche

ausfallen wird.

Dessen ungeachtet lässt sich das erwartete Muster für die tropi-

sche Troposphäre in den Daten nicht beobachten. Dies führt zu zwei-

erlei Diskrepanzen:

Abbildung 7Vergleich beobachteter und modellierter Temperaturtrends von 1979 – 2009 in der tropischen Troposphäre

0,30

0,20

0,10

0,00

-0,10

°C Untere Troposphäre Mittlere Troposphäre

Modelle

Modelle

Modelle

BeobachtungenRSS

Satelliten

UAH

Radiosonden

71

> Auf Ebene der unteren und der mittleren Troposphäre über den Tro-

pen sagen die Klimamodelle eine zwei- bis viermal so hohe Erwär-

mung voraus, als zwischen 1979 und 2009 beobachtet wurde (siehe

Abbildung 7). Während bis 1999 laufende frühere Untersuchungen

von Messungen davon ausgingen, dass zwar die Erwärmung in den

Modellen zu hoch prognostiziert würde, Modelle und Beobachtun-

gen jedoch aufgrund breiter Konfidenzintervalle vereinbar seien, ge-

lang es McKitrick et al. (2010) anhand von bis Ende 2009 reichenden

Daten aufzuzeigen, dass die Erwärmung in den Modellen deutlich

zu hoch prognostiziert wird. Zudem ließ sich unter Einsatz zuver-

lässiger parametrischer und nichtparametrischer Tests nachweisen,

dass sich Modelle und Daten bei einem Signifikanzniveau von 99 %

statistisch signifikant voneinander unterscheiden. Grundlage dafür

waren multivariate Vergleiche unter Einbeziehung aller verfügbaren

Klimamodelle sowie der gesamten von Satelliten- und Wetterballons

ermittelten Datensätze.

> In den Modellen wird weiterhin eine stärkere Erwärmung der oberen

Troposphäre als in Oberflächennähe prognostiziert, wobei das Ver-

hältnis der Trends dabei mit etwa 1,4:1 angegeben wird. Christy et al.

(2010) ist jedoch anhand umfassender Beobachtungsdatensätze der

Nachweis gelungen, dass die in den Tropen in der Höhe beobachtete

Erwärmung in Wirklichkeit geringer ausfällt als an der Oberfläche,

wobei das beobachtete Verhältnis mit etwa 0,8 angegeben wird. Die-

ses Ergebnis lässt auf eine deutliche Inkonsistenz zwischen Modellen

und Daten schließen.

Anders ausgedrückt: Für die Tropen prognostizieren alle Modelle in

der Höhe einheitlich eine stärkere Erwärmung und einen stärkeren

Vervielfachungsfaktor, als beobachtet wird.

Dieses Problem wurde im Jahr 2006 vom US Climate Change Sci-

ence Program (CCSP 2006) erkannt. Die Modelle sagen für die tropi-

sche Troposphäre ein vertikales Muster vorher, das den Ergebnissen

72

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

aus 7 von 8 im Rahmen des CCSP14 untersuchten Vergleichen (der

achte Vergleich ließ keine Schlussfolgerungen zu) widersprach. Ferner

ergab sich aus keiner der verfügbaren troposphärischen Datenreihen

eine statistisch signifikante Erwärmung der Troposphäre. Bezogen auf

die Äquatorregion zwischen dem 20. Grad nördlicher Breite und dem

20. Grad südlicher Breite, enthält der Bericht zusammenfassend fol-

gende Aussage:

Auch wenn die Mehrheit der Beobachtungsdatensätze auf eine an der

Oberfläche gegenüber der Troposphäre höhere Erwärmung schließen

lässt, zeigen einige Beobachtungsdatensätze ein gegenteiliges Verhal-

ten. Nahezu alle Modellsimulationen weisen auf eine stärkere Erwär-

mung in der Troposphäre als an der Oberfläche hin. Diese Diskrepanz

zwischen Modellen und Beobachtungen ist möglicherweise auf Fehler

in allen Modellen, auf Fehler in den Beobachtungsdatensätzen oder

auf eine Kombination der beiden genannten Alternativen zurückzu-

führen. Die zweite Erklärung erscheint plausibler, die Frage ist aller-

dings noch offen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Klimamodelle, die den Treib-

hauseffekt auf die Annahme einer starken positiven Rückkopplung

stützen, unisono einen in der tropischen Troposphäre zu beobachten-

den starken Erwärmungstrend von mindestens 0,2 Grad/Jahrzehnt

prognostizieren. Die Temperaturen in diesem Bereich der Atmosphäre

werden von Wettersatelliten und Wetterballons überwacht. Nachweise

für eine solche Prognose gibt es nicht. Der von der RSS-Satellitenreihe

gezeigte deutliche Erwärmungstrend ist möglicherweise auf eine Ab-

weichung nach oben aufgrund von Schwierigkeiten bei der Satelli-

tenkalibrierung zurückzuführen. Die übrigen Datenreihen (UAH und

14 Siehe Bericht, Seite 111, Abbildung 5.4 G

73

Radiosonden) stimmen in ihren in den meisten Fällen unerheblichen

Trends von 0,1 °C/Jahrzehnt oder weniger überein. Das erwartete ver-

tikale Muster wird nicht beobachtet: die Erwärmung in der Höhe ist

gegenüber der Oberflächenerwärmung nicht erhöht. Insgesamt kön-

nen wir den aktuellen Daten daher entnehmen, dass die CO2-bedingte

Erderwärmung im unteren Bereich der getroffenen Prognosen liegen

dürfte. Daraus folgt, dass sich die auf CO2 zurückzuführenden Umwelt-

schäden sehr wahrscheinlich im unteren Bereich der veröffentlichten

Schätzungen bewegen werden.

Ökonomische Grenzschadenmodelle

Über die von Treibhausgasen verursachten Grenzschäden gibt es

zahlreiche Studien, die auf Grundlage der Annahme berechnet wur-

den, dass die Ergebnisse der Klimamodellprognosen als realistische

Schätzungen akzeptiert werden können. Tol (2005) untersuchte

mehr als 100 dieser Berechnungen. Während hinsichtlich der Metho-

den und Annahmen große Vielfalt herrschte, nahmen alle Studien

einheitlich Klimaprognosen als Grundlage und wiesen den globalen

Auswirkungen von Emissionen bestimmte Dollarwerte zu. Der ein-

zige Unterschied bestand in der Art und Weise der Bewertung dieser

Auswirkungen, die Ergebnisse insgesamt wiesen überraschende Ähn-

lichkeit auf.

Eine starke Modalwertkonzentration zeigte sich zwischen 0 und

10 USD/Tonne Kohlenstoff.15 Der Modus lag bei 2 USD/Tonne Kohlen-

15 An dieser Stelle ist eine begriffliche Klärung erforderlich: Schäden aufgrund von Erwärmung sind auf Kohlendioxid im Gegensatz zu „Kohlenstoff“ (einem Begriff, der Rußpartikel und Aerosole beinhalten kann) zurückzuführen. Emissionen und Kosten werden hingegen für gewöhnlich in Tonnen Kohlenstoff, nicht in Tonnen Kohlendioxid angegeben. Das Verhältnis zwischen Kohlenstoff und Kohlendioxid beträgt 11:3, d. h., eine Tonne Kohlenstoff entspricht 3,67 Tonnen CO2. Eine Steuer in Höhe von 37 USD/Tonne Kohlenstoff entspräche folglich in etwa einer Steuer in Höhe von 10 USD/Tonne Kohlendioxid.

74

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

stoff, der Median bei 14 USD/Tonne und das arithmetische Mittel bei 93

USD/Tonne (25 USD/Tonne CO2). Tol schloss in seine Untersuchungen

zunächst auch graue Literatur mit Schätzungen bis zu 800 USD/Ton-

ne ein. Bei ausschließlicher Berücksichtigung von Fachliteratur fallen

der Mittelwert auf 43 USD/Tonne und der Modus auf 1,50 USD/Tonne,

wobei Tol die letzte Zahl für eine verlässliche Angabe im Hinblick auf

viele Qualitätsgewichtungskonfigurationen hält. Werden Aufsätze, die

ausschließlich eine Zeitpräferenzrate von unter 3 % anwenden, nicht

berücksichtigt, fällt der Median auf etwa 6 USD/Tonne (Tol, 2005, Abbil-

dung 5). Die Hälfte der in der Fachliteratur veröffentlichten Studien, die

auf eine konventionelle Diskontierung zurückgreifen, setzt die Kosten

damit auf 6 USD/Tonne oder weniger fest.

2007 legte Tol eine aktualisierte Untersuchung vor, in der mehr

als 200 Studien über die gesellschaftlichen Kosten von CO2-Emissio-

nen (in Kohlenstoffäquivalenten) berücksichtigt wurden. Die durch-

schnittliche Schätzung der Grenzschäden aller Studien aus Fachli-

teratur und grauer Literatur gleichermaßen lag bei 127 USD/Tonne

Kohlenstoff (35 USD/Tonne CO2). Bei den Fachstudien beliefen sich

das Mittel bzw. der Modus auf 71 bzw. 20 USD/Tonne. Die Studien, die

eine reine Zeitpräferenz von 3 % anwendeten, kamen zu einem Mittel

von 24 USD/Tonne und einem Modus von 14 USD/Tonne. Tol stellte

weiterhin fest, dass der durchschnittlich geschätzte Schaden mit der

Zeit abgenommen hat und der Mittelwert der nach 2001 durchge-

führten Studien weniger als die Hälfte der vor 1996 veröffentlichen

Studien beträgt.

Selbst wenn wir also die grundlegende Unsicherheit bezüglich der

Auswirkungen von CO2 auf das Klima ignorieren, besteht nur wenig

Unsicherheit hinsichtlich der Grenzschäden von Kohlenstoff. Die ge-

sellschaftlichen Kosten von Kohlenstoff auf globaler Ebene liegen mit

an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unter 50 USD/Tonne

und vermutlich sogar unter 20 USD/Tonne. Ein Preis von circa 15 USD/

Tonne Kohlenstoff (rund 4 USD/Tonne CO2) wäre somit angesichts der

75

aktuellen Schadenschätzungen ein vernünftiger Ausgangspunkt für

eine Kohlenstoffsteuer, sofern CO2 tatsächlich ursächlich für die glo-

bale Erwärmung verantwortlich ist.

Zusammenfassung der Herausforderungen

Nehmen wir die aktuellen Klimamodelle für bare Münze, können wir

eine niedrige Kohlenstoffsteuer auf der Grundlage rechtfertigen, dass

die Emissionen dadurch nur unwesentlich gesenkt werden könnten

und die Steuer stattdessen einzig der Internalisierung externer Kos-

ten dienen würde. Angesichts dessen, dass die Emissionen kaum ge-

senkt würden, könnte man berechtigterweise die Frage stellen, wozu

eine solche Steuer überhaupt erforderlich sein sollte. Es herrscht noch

immer die Angst, dass das Problem der globalen Erwärmung zu einer

Beschleunigung der Schäden in der Zukunft führen oder unerwartet

gravierende Folgen haben könnte, die heute noch nicht vorhergesehen

werden können. Diese Möglichkeit ist der Grund für die anhaltenden

Rufe nach einer deutlichen Reduzierung der Emissionen. Da es sich je-

doch um nicht mehr als eine Vermutung handelt, die noch dazu von

den aktuell vorliegenden Daten nicht gestützt wird, bildet diese Be-

gründung keine überzeugende Grundlage für die hohen Kosten einer

groß angelegten Reduzierung der CO2-Emissionen.

All das bedeutet nicht, dass in den nächsten Jahren nicht mög-

licherweise neue Informationen in Form besserer Klimadaten oder

neuer technologischer Innovationen vorliegen werden, die für eine

Reduzierung der Emissionen sprechen. Aus diesem Grund ist ein po-

litischer Mechanismus erforderlich, der neue Informationen automa-

tisch berücksichtigt, sobald diese verfügbar sind, und die Klimapolitik

je nachdem verschärft oder lockert. Die aktuelle Politik ergeht sich in

wiederholten Ankündigungen von weit in der Zukunft liegenden fes-

ten Emissionszielen. Abgesehen davon, dass solche Ziele selten einge-

halten werden, besteht das Problem dabei darin, dass die Ankündigung

76

Unsicherheit bezüglich des Grenzschadens

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

eines festen Ziels für einen Zeitpunkt in zehn oder zwanzig Jahren da-

von ausgeht, dass wir in der Zwischenzeit keine neuen Erkenntnisse

gewinnen, die für die Festlegung des optimalen politischen Weges rele-

vant wären. Das ist jedoch nicht zutreffend. Denn einer Sache können

wir trotz aller klimatischer Unsicherheiten sicher sein: Es gibt viel zu

lernen und in den kommenden Monaten und Jahren werden mit Si-

cherheit relevante neue Informationen verfügbar sein.

Abschließend möchte ich mich nun noch mit der Frage beschäfti-

gen, inwiefern die Aussicht auf neue Informationen bei der Festlegung

der Klimapolitik berücksichtigt werden sollte. 77

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

4.

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise Integrierte Bewertungsmodelle und pseudooptimale Lösungen

Dem Problem der dynamischen Unsicherheit bei der Gestaltung der

Klimapolitik wurde mit vielerlei Lösungsansätzen beizukommen ver-

sucht.16 Der Ansatz eines integrierten Bewertungsmodelles (Integra-

ted Assessment Model, IAM) nach Nordhaus et al. (2007) geht von der

Kenntnis von zentralen Parametern in den Funktionen zur Beschrei-

bung von Wirtschaft und Klima aus, auf deren Grundlage eine sanfte

politische „Rampe“ in Form einer im Zeitverlauf ansteigenden Besteu-

erung von CO2-Emissionen eingerichtet werden solle. Diese Lösung

kann nur unter der Annahme korrekter Modellparameter als optimal

gelten, die jedoch starken Unsicherheiten unterworfen sind. Die sug-

gerierte politische Rampe ist daher dahingehend nur pseudooptimal,

dass sie nur unter strengen Annahmen bezüglich zentraler funktiona-

ler Formen und Parameter gültig ist, die bei Einführung einer solchen

Politik keinen Prüfungen unterzogen werden.

16 Dieser Abschnitt greift auf in McKitrick (2010b) vorgestellte Materialien zurück.

79

Bayes’sche Lernmodelle

Kelly und Kolstad (1999) sowie Leach (2007) näherten sich dem Pro-

blem auf andere Weise, indem sie die Möglichkeit der Beobachtung

der Reaktion des Klimas auf politische Maßnahmen untersuchten

und die aus dieser Untersuchung gewonnenen Informationen in eine

Bayes’sche Lernroutine einfügten. Ziel des Analysemodells des poli-

tischen Systems ist es, genügend Informationen zu sammeln, um

den politischen Entscheidungsträgern die Möglichkeit zu bieten, die

Hypothese, dass die richtige Politik verfolgt wird, mit 95-prozentiger

statistischer Sicherheit zu überprüfen. In Anwendung auf den Klima-

wandel fanden sie heraus, dass bereits die Unsicherheit bezüglich ei-

nes oder zweier zentraler struktureller Parameter ausreicht, um die

Ermittlung eines als optimal erwarteten Politikpfades um Hunderte

von Jahren zu verzögern. Leach (2007) legte ein demjenigen von Nord-

haus ähnliches Modell vor, in dem die politischen Entscheidungsträ-

ger alle neuen Informationen hinsichtlich der Reaktionen des Klimas

auf politisch motivierte Emissionsveränderungen nutzen. Die gestell-

te Frage lautete, wie lange es (unter Annahme verschiedener Voraus-

setzungen) dauern würde, bis genügend Informationen vorlägen, um

mit 95-prozentiger Signifikanz eine falsche Nullhypothese über die

Bedeutung des zugrundeliegenden Problems zu widerlegen. Unterlie-

gen nur zwei Modellparameter Unsicherheiten, variiert die Lernzeit

je nach Emissionszunahme im Basisfall von mehreren Hundert bis

mehreren Tausend Jahren.

Eine erweiterte Version des Modells, die eine einfache Produk-

tionsfunktion und eine zeitübergreifende Kapitalanlagestruktur

modelliert, führt nicht nur zu einer in Jahrhunderten gemessenen

Lernzeit, selbst wenn die meisten Modellparameter als bekannt vor-

ausgesetzt werden und nur entsprechend den verschiedenen Klima-

datensätzen variieren, sondern sogar dazu, dass der eingeschlagene

politische Weg nie das richtige Ziel erreicht.

80

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Dieses Ergebnis mag übermäßig pessimistisch erscheinen, da die

politischen Entscheidungsträger Jahrhunderte warten müssen, um he-

rauszufinden, ob der eingeschlagene Weg der richtige war. Die Antwort

kommt zu spät, um relevant zu sein. Jedoch verhält es sich nicht so,

dass das IAM oder der pseudooptimale Ansatz besser wären. Der wahre

Unterschied besteht darin, dass der Bayes’sche Ansatz zumindest die

Möglichkeit bietet, irgendwann zu erkennen, ob der eingeschlagene

Weg falsch ist, was bei Verwendung des IAM nicht möglich ist.

Versicherung und Fat Tails

Martin L. Weitzman (2009) näherte sich dem Problem der Wahl ei-

ner Politik gegen die globale Erwärmung, indem er versuchte, einen

Preis für einen Versicherungsvertrag festzulegen, wenn eine ernst zu

nehmende Wahrscheinlichkeit extremer Schäden besteht. Unter be-

stimmten Bedingungen ist es unmöglich, einen begrenzten Wert für

einen Vollversicherungsvertrag festzulegen. Das Modell von Weitzman

beruht auf einer Reihe spezifischer Annahmen, von denen einige recht

konventionell sind und andere nicht. Eine übliche Annahme lautet,

dass die Möglichkeit einer unendlichen (positiven oder negativen) Kli-

masensitivität besteht oder dass die Möglichkeit eines extremen Kli-

mawandels (zwanzig Grad oder mehr) zwar gering ist, jedoch, gleich

in welchem Umfang, nicht vollständig ausgeschlossen werden kann.

Darüber hinaus beinhaltet die Theorie beispielsweise Annahmen da-

rüber, wie Veränderungen der Temperatur die Einkommen beeinflus-

sen. Beruhend auf diesem Aufbau führt Weitzman eine Finanzanalyse

durch, um daraus die Kosten für eine vollständige Absicherung gegen

das Risiko einer Klimakatastrophe abzuleiten. Das Ergebnis deckt sich

zufällig mit einer Gleichung aus der mathematischen Statistik, der so

genannten momenterzeugenden Funktion einer Verteilung t. Statisti-

sche Lehrbücher warnen, dass diese Gleichung zu keinem endlichen

Ergebnis führe. Weitzman interpretiert dies so, als sei das Ergebnis un-

81

endlich, was bedeutet, dass die heutige Gesellschaft bereit sein sollte,

ihr gesamtes aktuelles Einkommen darauf zu verwenden, sich gegen

eine möglicherweise in der Zukunft eintretende Katastrophe zu ver-

sichern. Um diese unrealistische Konsequenz zu umgehen, muss die

Verteilung der möglichen Klimasensitivitätswerte im Rahmen dieses

Modells als begrenzt angenommen bzw. davon ausgegangen werden,

dass sie „Thin Tails“ aufweist. Weitzman gibt jedoch zu bedenken, dass

das bedeute, dass die optimale Versicherungspolitik von Annahmen

bezüglich der Verteilung möglicher Klimaänderungen in Regionen

abhängig sei, für die zu wenige Beobachtungen vorliegen, um siche-

re Aussagen treffen zu können. So wie die Dinge derzeit liegen, ver-

ordnet das „Dismal Theorem“ von Weitzman weniger eine unendlich

hohe Versicherungsprämie, sondern verweist vielmehr darauf, dass

die Kosten-Nutzen-Analyse laut IAM nur pseudooptimal ist und sich

unter den annahmegemäß ausgeschlossenen Unsicherheiten auch

diejenigen befinden, die für eine Versicherungslösung gegen extreme

Ereignisse sprechen.

Der zustandsabhängige Ansatz

Angesichts des Scheiterns früherer Methoden im Hinblick darauf, eine

plausible Lösung für das Problem der langfristigen Preisfestsetzung

für THG-Emissionen zu finden, habe ich einen neuen Ansatz vorge-

schlagen, der anstelle einer statischen langfristigen Emissionsbegren-

zung die Entwicklung einer dynamischen Preisgestaltung vorsieht.

Im Rahmen des üblichen ökonomischen Modells (gemäß Abschnitt 2

oben) werden aktuelle Schäden als direkte Folge aktueller Emissionen

betrachtet:

82

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

In Bezug auf THG gestaltet sich die Situation angesichts zweier

weiterer Komplexitäten jedoch anders: Emissionen können verzögerte

Auswirkungen haben und die Dauer der Verzögerung ist möglicher-

weise unbekannt. Wir müssen uns also nicht nur um die unmittelba-

ren Folgen aktueller Emissionen Gedanken machen, sondern auch um

ihre möglichen zukünftigen Folgen. Anders betrachtet erleben wir ak-

tuell nicht nur die Folgen der heutigen Emissionen, sondern auch von

Emissionen, die weit in der Vergangenheit entstanden sind.

Erschwerend kommt hinzu, dass Emissionen Schäden nicht direkt

verursachen, sondern Einfluss auf bestimmte Umweltaspekte (wie die

durchschnittliche Lufttemperatur) nehmen, die dann wiederum Schä-

den verursachen. CO2-Emissionen sind an und für sich nicht schäd-

lich. Mögliche Schäden entstehen aus der Veränderung des Klimazu-

stands. Mit anderen Worten: Emissionen beeinflussen eine messbare

Zustandsvariable und Veränderungen der Zustandsvariablen verur-

sachen Schäden. Oben stehende Darstellung muss demnach wie folgt

angepasst werden.

AktuelleEmissionen

Aktuelle undvergangeneEmissionen

Zustands-variable

Aktuelle Schäden

AktuelleSchäden

83

Der Einfluss aktueller und vergangener Emissionen auf die Zu-

standsvariable ist komplex und von Unsicherheit geprägt. Dieser

Umstand erschwert nicht nur die Entscheidung darüber, wie aktuelle

Emissionen preislich zu behandeln sind, sondern führt uns zudem vor

Augen, dass die Zustandsvariable Informationen über die zeitlichen

Folgen von Emissionen beinhaltet, die zur Verringerung der Unsicher-

heit herangezogen werden können.

Angenommen, CO2-Emissionen werden in Höhe eines veränderli-

chen Betrages besteuert und dieser Betrag ist an Bewegungen einer be-

obachtbaren Zustandsvariablen, z. B. eine Messung der Lufttemperatur,

gekoppelt. Wenn aktuelle und vergangene Emissionen nahezu keine

Auswirkungen auf die Zustandsvariable haben, bleibt der Emissions-

preis unverändert. Zeigen sich hingegen starke Auswirkungen und eine

steigende Temperatur, so steigt auch der Emissionspreis. In McKitrick

(2010b) habe ich aufgezeigt, dass es möglich ist, mithilfe einer einfa-

chen Formel, die sich obige Beobachtungen hinsichtlich von Zustands-

variablen und Emissionsdaten zunutze macht, der auf der zeitüber-

greifenden Grenzschadenfunktion beruhenden, nicht beobachtbaren

optimalen dynamischen Emissionssteuer sehr nahe zu kommen. Diese

Formel für eine zustandsabhängige Steuer t lautet:

Dabei bezeichnen y eine Konstante, e die aktuellen Emissionen, e

den gleitenden Durchschnitt aus aktuellen und vergangenen Emissio-

nen (wobei so weit in die Vergangenheit zurückgegangen werden kann,

wie eine Beeinflussung des aktuellen Zustands durch die Emissionen

angenommen wird) und s die aktuelle Beobachtung der Zustandsva-

riablen. In diesem Ansatz ist y frei wählbar, sodass der Steuersatz t bei

einem dem politischen Entscheidungsträger aktuell sinnvoll erschei-

t = y x – x see

84

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

nenden Wert beginnt. Anschließend wird die Entwicklung der Steuer

vorrangig durch die Entwicklung von s gesteuert.

Um den aktuellen Wert der Emissionssteuer zu berechnen, sind

einzig Daten bezüglich aktueller und vergangener Emissionen sowie

der aktuelle Wert der Zustandsvariablen erforderlich. Im Falle von THG

stehen Emissionsdaten auf nationaler und globaler Ebene fertig zur

Verfügung. Europäische Daten sind über Eurostat (http://epp.euro-

stat.ec.europa.eu), Daten für alle übrigen Länder (mit einigen Jahren

Rückstand) über das US-amerikanische Oak Ridge National Lab (Mar-

land et al. 2010; im Internet abrufbar unter http://cdiac.ornl.gov/

trends/emis/tre_regn.html) erhältlich.

Bei der Wahl der Zustandsvariablen s sind das zugrunde liegende

wissenschaftliche Vorgehen sowie die verschiedenen Qualitätsproble-

me klimatischer Daten zu berücksichtigen. Wie oben in Abschnitt 3

aufgezeigt wurde, weisen die Daten für die Erd- und Meeresoberfläche

ernsthafte Qualitätsprobleme auf, sodass es nicht angeraten ist, sie für

politische Zwecke heranzuziehen. Satellitensysteme, vor allem dieje-

nigen, die sich zur Beibehaltung einer konstanten Höhe des AMSU-

Systems bedienen, bieten verlässlichere Messergebnisse bezüglich der

Lufttemperaturen. Zur Ermittlung einer passenden Zustandsvariablen

lege ich die Verwendung der mittleren Temperatur in der unteren bzw.

mittleren tropischen Troposphäre nahe, da es sich bei dieser um einen

kontinuierlich überwachten Indikator handelt, der gegenüber Treib-

hausgasen eine besondere Sensitivität aufzuweisen scheint.

Da zur Ermittlung der Steuer t keine Informationen bezüglich der

Vermeidungskosten verwendet werden, mag es so erscheinen, als kön-

ne es sich nicht um ein umfassendes politisches Modell handeln. Bei

den aus integrierten Bewertungsmodellen abgeleiteten steuerlichen

Entscheidungen handelt es sich um Lösungen für ein zweiseitiges

Optimierungsproblem, bei denen zeitübergreifende Schäden gegen

zeitübergreifende Vermeidungskosten aufgerechnet werden. Dabei

darf jedoch nicht vergessen werden, dass die oben genannte Formel

85

keinen politischen Weg vorschreibt, sondern eine Regel beinhaltet,

die Steuersatz und Umweltzustand aneinander bindet. Die tatsächli-

che Höhe der Steuer im Zeitlauf wird durch die Entwicklung der Zu-

standsvariablen bestimmt. Die Höhe der Vermeidung wird daraufhin

von den Emittenten festgelegt, die entsprechend ihren aktuellen und

künftigen Grenzvermeidungskosten auf die aktuellen und erwarteten

künftigen Steuersätze reagieren. Verfügen die Unternehmen über va-

riables Kapital, werden sie auf Emissionssteuersätze ähnlich reagieren

wie auf alle anderen veränderlichen Kosten. Ist das Kapital gebunden

und nimmt der Aufbau neuen Kapitals viel Zeit in Anspruch, werden

Unternehmen Prognosen hinsichtlich der künftigen Höhe des Steuer-

satzes erstellen müssen, die wiederum von den künftigen Werten der

Temperaturvariablen abhängig sind. Die Einführung der zustandsab-

hängigen Emissionssteuer schafft damit einen Markt für genaue Pro-

gnosen der Umweltzustandsvariablen. Ein derartiger Markt existiert

derzeit nicht, da verschiedene Parteien einen Nutzen darin zu sehen

scheinen, die Prognosen bezüglich der globalen Erwärmung je nach

der Politik, die sie beeinflussen wollen, bzw. je nach Aufmerksamkeit,

die sie für ihre Arbeit erhalten möchten, über- bzw. unterzubewerten.

Unternehmen jedoch, die versuchen, den konkreten künftigen Steu-

ersatz zu prognostizieren, haben nichts davon, dafür auf unzutreffen-

de Prognosen zurückzugreifen, sondern sind ganz im Gegenteil be-

sonders daran interessiert, möglichst genaue Prognosen für die künf-

tige Entwicklung von s zugrundezulegen. Dieser Markt wird schlechte

Klimamodelle auf diese Weise aussondern und den Weg für genauere

Klimamodelle frei machen.

86

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Quelle: McKitrick (2010d)

Ein interessantes Merkmal der zustandsabhängigen Steuer ist ihre

potenzielle Fähigkeit, bei einer breiten Interessengemeinschaft auf

Zuspruch zu stoßen. Menschen mit widersprüchlichen Annahmen

hinsichtlich der künftigen Entwicklung der Zustandsvariablen werden

nichtsdestoweniger alle erwarten, dass der von ihnen bevorzugte po-

litische Weg verfolgt wird. Diejenigen, die der Ansicht sind, dass Emis-

sionen keine Auswirkungen auf das Klima haben, werden in Zukunft

überwiegend niedrige Emissionssteuern erwarten, diejenigen, die Kli-

maveränderungen in starkem Maße auf Emissionen zurückführen,

werden eher von einer schnell steigenden Steuer ausgehen. Die Tatsa-

che, dass jeder mit dem von ihm bevorzugten Ergebnis rechnet, kann

die Zustimmung zur Einführung einer Steuer erleichtern. Eine der Her-

ausforderungen der Klimapolitik besteht darin, auf globaler Ebene eine

Abbildung 8Wert der zustandsabhängigen Steuer auf Treibhausgasemissionen seit 1979

40

20

0

–20

–40

1980 1990 2000 2010

Emis

sion

sste

uer

USD

pro

Ton

ne

Steuer Durchschnittlicher 3-Jahres-Steuersatz

87

Einigung zu erzielen. Verschiedene Regionen haben verschiedene An-

sichten über die Dringlichkeit des Problems sowie seiner Auswirkungen

auf ihre jeweiligen volkswirtschaftlichen Prioritäten, was eine Einigung

über die Emissionsziele ebenso wie die Einhaltung früherer Vereinba-

rungen praktisch unmöglich macht. Einfacher könnte es hingegen sein,

politische Entscheidungsträger auf der ganzen Welt dazu zu bringen,

sich auf eine zustandsabhängige Steuer zu einigen. Die Steuereinkünf-

te würden in den einzelnen Ländern verbleiben und das Ungleichge-

wicht zwischen den verschiedenen Nationen verringern. Während der

Verhandlungen gäbe es für Länder mit konträren Ansichten hinsicht-

lich der wahrscheinlichen künftigen Temperaturentwicklung, keinen

Grund, auch bezüglich der Frage, ob die Steuer erstrebenswert ist oder

nicht, konträre Ansichten zu vertreten, da jede Partei im Endeffekt das

erhielte, was sie für das „richtige“ Ergebnis erachtet.

Wie hätte eine solche Steuer ausgesehen, wenn sie früher einge-

führt worden wäre? In McKitrick (2010b) habe ich zur Berechnung hy-

pothetischer Werte für eine an die mittlere Temperatur der tropischen

Troposphäre gekoppelte Kohlenstoffsteuer sowohl auf UAH- als auch

auf RSS-Daten sowie auf globale CO2-Emissionsreihen zurückgegriffen.

Das Ergebnis für den Zeitraum zwischen 1979 und 2009 ist in Abbil-

dung 8 dargestellt. Der Wert für y ist so gewählt, dass der Steuersatz für

das Jahr 2002 – also etwa den Zeitpunkt der Ratifizierung des Kyoto-

Protokolls – bei 15 USD/Tonne Kohlenstoff liegt. Die Entwicklung der

Steuer zeigt einen Aufwärtstrend von etwa fünf Dollar pro Jahrzehnt,

was knapp unter dem von Nordhaus ermittelten Wert von etwa acht

Dollar pro Jahrzehnt liegt. Der Unterschied gegenüber dem Ansatz von

Nordhaus, der eine Verpflichtung zu einer bestimmten Preisentwick-

lung für viele Jahrzehnte enthält, besteht darin, dass der zustandsab-

hängige Ansatz einzig eine Verpflichtung dahingehend erfordert, jähr-

lich oder, falls gewünscht, monatlich einen neuen Satz festzulegen.

Steigen die Temperaturen schneller als erwartet, steigt auch die Steuer;

steigt die Temperatur langsam, so gilt dies auch für die Steuer.

88

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

Zwischen dem zustandsabhängigen Ansatz zur Emissionspreisge-

staltung und den in der Währungspolitik angewandten Mechanismen

besteht eine gewisse Ähnlichkeit. Die Zentralbanken gehen keine lang-

fristigen Verpflichtungen zur Festlegung von Zinssätzen oder bezüg-

lich des Geldmengenwachstums ein. Stattdessen verpflichten sie sich

zur Einhaltung allgemeiner Regeln, die die aktuellen wirtschaftlichen

Bedingungen in aktuelle Werte dieser politischen Ziele übertragen.

Mit einer Verpflichtung der Zentralbanken zu auf zehn oder zwanzig

Jahre festgelegten Zinssätzen wäre niemand einverstanden, da in der

Zukunft neue Informationen auftauchen werden, die Einfluss auf die

Wahl des jeweils geeigneten Zinssatzes nehmen. Ebenso ist es für die

Politik unsinnig, langfristige Verpflichtungen bezüglich der CO2-Emis-

sionspreise einzugehen, da auch hier in der Zukunft neue Informatio-

nen über die Auswirkungen von Treibhausgasen und die Entwicklung

der Lufttemperaturen zur Verfügung stehen werden. Heute Pläne zu

machen, die davon ausgehen, dass wir in Zukunft nichts darüber er-

fahren werden, ob diese Pläne geeignet sind oder nicht, ist ganz ein-

fach unrealistisch.

Die Anwendung eines zustandsabhängigen Preisgestaltungsin-

struments bedeutet nicht, dass Emissionen mit einem bestimmten

Preis belegt werden, nachdem der Schaden bereits erfolgt ist. Unter-

nehmen sind zukunftsgerichtet. Ihre Investitionspläne werden im-

mer auf möglichst genauen Prognosen bezüglich der Auswirkungen

von Emissionen auf den künftigen Klimawandel beruhen. Mit der Zeit

werden diese Prognosen weiter verbessert und aktualisiert. Unterneh-

men, die die künftige Entwicklung einer Emissionssteuer unterschät-

zen, werden gegenüber Unternehmen, die ihre Planung auf genauen

Prognosen aufgebaut haben, einen Wettbewerbsnachteil erfahren. Die

Entwicklung der Emissionssteuer zu über- oder unterschätzen, wird

keinen Vorteil bringen. Die optimale Strategie für Unternehmen wird

daher darin bestehen, korrekte Schätzungen anzustellen. Steht uns

eine Zeit der schnellen, treibhausgasbedingten Klimaerwärmung be-

89

vor und sind wir in der Lage, verlässlich vorherzusagen, dass uns eine

solche Zeit bevorsteht, wird die Industrie wissen, dass mit einem stark

steigenden Emissionspreis zu rechnen ist. Das wiederum wird zu ei-

ner Reduzierung der Emissionen und zu Investitionen in Technologien

führen, durch die tiefere Emissionseinschnitte verkraftbar sind. Kann

der Nachweis dafür, dass uns eine solche Klimaerwärmung bevorsteht,

hingegen nicht glaubhaft erbracht werden, investieren Unternehmen

nur geringfügig in Vermeidungsoptionen und warten ab, bis bessere

Informationen vorliegen. Das sind die richtigen Antworten auf die dy-

namischen Unsicherheiten, denen die Welt heute gegenübersteht. 90

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bei der Gestaltung künftiger Emissionspreise

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

5.

SchlussfolgerungenEs gibt vermutlich keinen anderen politischen Bereich, in den über die

vergangenen zwanzig Jahre so viele Anstrengungen und so viele Res-

sourcen investiert wurden und der so konsequent gescheitert ist wie

die Klimapolitik. Ich bin der Ansicht, dass dies darauf zurückzuführen

ist, dass die Klimapolitik seit langem auf einer falschen ökonomischen

Grundlage steht. Schlecht durchdachte Politik führt immer zum Schei-

tern. Um zufriedenstellende Fortschritte bei der Ausarbeitung einer

erfolgreichen Klimapolitik erzielen zu können, ist daher ein grundle-

gendes Umdenken erforderlich.

Ich habe in diesem Beitrag zunächst die meines Erachtens beste-

henden vier grundlegenden Mängel der aktuellen Klimapolitik darge-

legt. Zunächst erkannten weder die Bürokratie noch die Politik, dass es

sich beim Treibhausgas CO2 um einen Sonderfall handelt, der insbeson-

dere nicht mit Schwefeldioxid- (SO2) oder Fluorchlorkohlenwasserstoff-

Emissionen (FCKW) vergleichbar ist. In den beiden genannten Fällen ist

es den Parteien auf dem Verhandlungswege gelungen, sich auf Strate-

gien zu verständigen, da die Gefahren offenkundiger und die Lösungen

wirtschaftlich deutlich günstiger waren. Die Verhandlungsmechanis-

men und politischen Initiativen, die in diesen Fällen Wirksamkeit be-

wiesen, wurden einfach auf die CO2-Problematik übertragen, für welche

sie jedoch ungeeignet und weitestgehend nutzlos sind.

Zweitens ist es der Politik nicht gelungen, mit dem Anstieg der

Grenzvermeidungskostenkurve (GVK) angemessen umzugehen, d. h.

zu verstehen, in welchem Maße die Kosten für die Vermeidungsopti-

onen bei Ausweitung der Ziele zur Emissionsreduzierung steigen, was

91

in direktem Zusammenhang mit dem oben genannten ersten Punkt

steht. Das führt dazu, dass politische Ziele verfolgt werden, die ohne

höhere Kosten, als die Öffentlichkeit zu akzeptieren bereit ist, nicht er-

reicht werden können. Nun verhält es sich aber so, dass politische Maß-

nahmen, die moderat genug sind, um finanzierbar zu sein, angesichts

der aktuell existierenden Technologien solch geringe Auswirkungen

auf das Klima zeitigen, dass sie nutzlos sind. Politische Maßnahmen,

die streng genug wären, um die allgemein vorgebrachten Ziele zur Re-

duzierung der Emissionen zu erreichen, würden deutlich höhere Kos-

ten verursachen, als die Öffentlichkeit zu tragen bereit ist, und auch

deutlich höhere Kosten, als die Politiker, die diesen Weg verfechten,

sich vor Augen zu führen scheinen. Das starre Festhalten an der Illu-

sion, Subventionen und Vorschriften könnte eine erfolgreiche „grüne

Ökonomie“ hervorbringen, hat einzig und allein dazu geführt, die Kos-

ten der Klimapolitik in die Höhe zu treiben – bedeutende Fortschritte

im Umweltschutz wurden dadurch nicht erzielt.

Drittens zeigt eine ökonomische Analyse, dass die Politik zur Re-

duzierung der Treibhausgase Emissionen mit Kosten belegen und kei-

ne Emissionsgrenzen festsetzen sollte. Alle bisherigen größeren glo-

balen Initiativen, einschließlich des Kyoto-Protokolls und ähnlicher

Instrumente, legten ihren Fokus jedoch auf Mengenbegrenzungen

oder, was noch schlimmer ist, auf indirekte regulatorische Maßnah-

men dahingehend, das Energieverbrauchsverhalten zu verändern.

Eine solche Politik ist kostenintensiv, intrusiv und häufig nutzlos. Die

einzig große Herausforderung dahingehend, die globale Klimapolitik

auf eine vernünftige Grundlage zu stellen, liegt also darin, die Diskus-

sion in Richtung auf Preismechanismen umzulenken. Diese Heraus-

forderung ist von grundlegender Bedeutung, wenn in den nächsten

zwanzig Jahren die teuren Fehler der vergangenen zwanzig Jahre ver-

mieden werden sollen.

Schließlich ergibt sich für die Politik aus den großen Unsicher-

heiten, den langen Planungshorizonten sowie der Erwartung, dass in

92

Schlussfolgerungen

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

den kommenden Jahren einschlägige neue Informationen über das

Ausmaß der Umweltschädigung durch Treibhausgasemissionen und

die Kosten zu deren Vermeidung vorliegen werden, die Notwendigkeit,

sich primär auf zustandsabhängige (bzw. anpassungsfähige) Preisrege-

lungen anstatt auf starre, langfristige Verpflichtungen zur Emissions-

begrenzung zu konzentrieren.

93

Eine vernünftige globale Klimapolitik in einer Welt voller Unsicherheiten

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100

Literatur

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

Manuel Frondel

Für wissenschaftliche Vorarbeiten bin ich Nolan Ritter und Ralf Koßmann besonderen Dank schuldig.

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

1.

Einleitung

Die sogenannte Klimaerwärmung ist seit geraumer Zeit eines der

weltweit meistdiskutierten Themen. Unter Klimaerwärmung wird

allgemein die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur ver-

standen. In der Tat ist die Durchschnittstemperatur der Erde im Laufe

der vergangenen hundert Jahre um etwa 0,8 Grad Celsius angestiegen

(IPCC 2008). Ein guter Teil dieses Anstiegs vollzog sich in den beiden

letzten Dekaden des vergangenen Jahrhunderts.

Für die Klimaerwärmung mit verantwortlich gemacht wird der

anthropogen bedingte Ausstoß von Treibhausgasen, allen voran von

Kohlendioxid (CO2). Dieses Treibhausgas entsteht größtenteils durch

die Verbrennung von fossilen Brennstoffen. In welchem Ausmaß dies

zur Klimaerwärmung beiträgt, ist nach wie vor umstritten, ebenso

wie die Stärke der Bedrohung durch den damit einhergehenden soge-

nannten Klimawandel. So umfasst das Spektrum der Positionen zum

Klimawandel sowohl Einschätzungen, nach denen der Beitrag des an-

thropogen generierten CO2 zur globalen Erwärmung vernachlässig-

bar klein und unbedeutend ist (Lüdecke 2008:163), als auch Aussagen,

dass die globale Erwärmung größere Schäden anrichtet als irgendein

Krieg dies vermag (Stiglitz 2006:1). Damit einhergehen könnten bei-

spielsweise ein substantieller Anstieg des Meeresspiegels, eine Zu-

nahme der Häufigkeit und der Intensität von Stürmen oder auch die

Ausdehnung von Wüsten.

Ohne dass eine Einmischung in diese Diskussion erforderlich

wäre, beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit der Effektivität und

105

der Kosteneffizienz der Klimaschutzpolitik der Europäischen Kommis-

sion, die sich weitgehend auf die Verringerung des Treibhausgasaus-

stoßes konzentriert, bislang vor allem auf die Verringerung von CO2,

während Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, wie etwa

die Verstärkung und Erhöhung von Deichen zum Schutz vor einem

Anstieg des Meeresspiegels, eher im Hintergrund stehen.

Der folgende Abschnitt 2 erläutert die treibende Rolle, welche die

Europäische Kommission beim Zustandekommen des unter dem Na-

men Kyoto-Protokoll weltbekannten internationalen Klimaschutzab-

kommens gespielt hat und die sie mit der Bekanntgabe eines unkondi-

tionierten und ambitionierten Treibhausgasminderungsziels für das

Jahr 2020 noch deutlich untermauert hat. Dabei ist das Ziel unabhän-

gig davon, ob andere bedeutende Emittentenländer wie China oder die

USA ebenfalls Minderungsanstrengungen unternehmen. Die bishe-

rigen Treibhausgasreduktionsbemühungen der Europäischen Union

(EU) und ihrer Mitgliedstaaten werden daher in Abschnitt 2 mit denen

anderer führender Industrie- und Schwellenländer verglichen.

Abschnitt 3 erläutert die kontraproduktiven internationalen Rück-

wirkungen der ambitionierten, aber einseitigen Bemühungen der

Kommission zur Treibhausgasminderung. Der vierte Abschnitt stellt

die Frage nach der Kosteneffizienz der einseitigen EU-Politik, an der

sich aus vielfältigen Gründen zweifeln lässt. Abschnitt 5 erläutert die

Gründe dafür, dass die Chancen für das Zustandekommen eines glo-

balen Klimaabkommens zur Treibhausgasminderung schlecht stehen,

obwohl ein solches höchst wünschenswert wäre, da Teilkooperationen

oder gar Alleingänge eher nutzlos verpuffen, wenn nicht gar kontra-

produktiv sind.

Abschnitt 6 diskutiert aussichtsreichere Politikalternativen zur

Auferlegung von Emissionsrestriktionen, bei denen die einzelnen

Länder in erster Linie selbst von den zu ergreifenden Maßnahmen

profitieren und daher ein hohes Eigeninteresse an deren Umsetzung

haben. So hätte ein weltweites Abkommen über eine sukzessive Er-

106

Einleitung

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

höhung der Ausgaben für die Forschung und Entwicklung (F&E) von

Energieumwandlungs- und -speichertechnologien, mit dem man zwar

nicht unmittelbar, aber doch innerhalb einiger Jahrzehnte Treibhaus-

gasminderungen erzielen könnte, eine realistische Chance auf ein Zu-

standekommen.

Abschnitt 7 setzt sich mit den Vorteilen von Maßnahmen zur An-

passung an die globale Erwärmung auseinander, zu denen unter an-

derem die gezielte Preisgabe von Land gehören könnte sowie die Um-

siedelung der Bevölkerung in weniger gefährdete Landstriche. Einer

Strategie zur Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen kommt ins-

besondere deshalb eine hohe Bedeutung zu, weil Anstrengungen zur

globalen Emissionsminderung letztendlich wenig Aussicht auf Erfolg

haben dürften. Der abschließende Abschnitt präsentiert ein Fazit zur

eingeschlagenen Klimapolitikstrategie der Kommission und schlägt

als Schlussfolgerung einen gravierenden Strategiewechsel vor.

107

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

2.

Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungs-politik der EU

Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich die Europäische Kommission − im

Folgenden kurz (EU-)Kommission genannt − aktiv für Maßnahmen zur

Minderung von Treibhausgasen auf internationaler Ebene eingesetzt

(Abbildung 1). Bei der Ratifizierung und Implementierung des Kyoto-

Protokolls übernahm die Kommission sogar eine führende Rolle: Ohne

explizite und vergleichsweise hohe Minderungsziele seitens der EU

wäre das Kyoto-Protokoll wohl kaum 1997 verabschiedet worden und

ohne das strategische Geschick der Kommission wäre nach der US-ame-

rikanischen Ablehnung des Protokolls im Jahr 2001 der Kyoto-Prozess

vermutlich gescheitert (Böhringer 2010:60). Erst mit der Ratifizierung

des Kyoto-Protokolls durch Russland, dem Land, dem als Zünglein an

der Waage die besondere diplomatische Aufmerksamkeit sowie zahlrei-

che Zugeständnisse der Kommission zuteil wurden (Requate 2010:1),

konnte das Protokoll als völkerrechtlich bindender Vertrag 2005 in

Kraft treten. Sanktionen bei Nichteinhaltung der im Protokoll verein-

barten Ziele sind damit allerdings nicht verbunden.

109

Mit der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls hat sich die EU ver-

pflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Treibhausgasausstoß der Jahre

2008 – 2012 im Schnitt um 8 % niedriger liegt als im Jahr 1990. Zur Er-

reichung dieses für die gesamte EU geltenden Ziels wurde mit dem so-

genannten EU-Burden-Sharing-Agreement von 1998 festgelegt, welche

Lasten die einzelnen Mitgliedstaaten zu schultern haben. Mit dem Ziel,

die Treib hausgasemissionen um 21 % gegenüber 1990 zu verringern

(Abbil dung 2), trägt Deutschland mit Abstand die höchste Minderungs-

last: Die Reduktionsverpflichtung Deutschlands macht rund drei Viertel

der im Kyoto-Protokoll festgelegten Minderungsleistung der EU aus.

Mit einer Verringerung der Treibhausgasemissionen um 6,5 % ge-

genüber 1990 waren die EU-15-Staaten im Jahr 2008 ihrem Kyoto-Ziel

einer Minderung um 8 % nahe, auch wenn sich bei einigen Ländern

Abbildung 1Wichtige Eckpunkte der Klimapolitik seit 1990

110

Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU

1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

Klimarahmenkonvention der vereinten Nationenbeschlossen und von derUSA ratifiziert

Berliner Mandat fordert Emissionsziele für dieIndustriestaaten

Die USA lehnen eine Umsetzung des Kyoto-Protokolls ab

Kyoto-Protokoll wird beschlossen

Das Kyoto-Protokoll tritt in Kraft

Russland ratifiziert das Kyoto-Protokoll

Klimakonferenzin Kopenhagen

Aktionsplan von Bali: parallele Verhandlungen, Kyoto-Protokoll und Klimarahmenkonvention

Klimakonferenzin Cancún

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

wie Dänemark, Österreich, Luxemburg, Italien oder Spanien erhebli-

che Schwierigkeiten bei der Zielerreichung andeuten (Abbildung 2).

Andere Mitgliedsländer wie Frankreich, Schweden, das Vereinigte Kö-

nigreich oder Deutschland haben hingegen ihre Minderungsziele be-

reits erreicht.

Die Einhaltung der eigenen Kyoto-Verpflichtungen stellt selbstre-

dend eine Grundvoraussetzung für die Glaubwürdigkeit der einseiti-

gen und ambitionierten Minderungsziele dar, die sich die Kommission

für das Jahr 2020 gesetzt hat. So wurde im Energie- und Klimapaket

der Kommission Anfang 2009 festgelegt, die EU-weiten Treibhausgas-

emissionen bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 % gegenüber dem

Niveau von 1990 zu senken − bei vergleichbaren Anstrengungen be-

deutender anderer Industrienationen ist sogar ein Minderungsziel

von 30 % vorgesehen. Damit hat die Europäische Union endgültig die

Vorreiterrolle bei der Bekämpfung des Treibhausgasausstoßes über-

nommen. Andere Staaten haben sich keine derartig anspruchsvollen

Ziele für die Zeit nach der Kyoto-Erfüllungsperiode von 2008 – 2012

gesetzt, für die es bislang kein dem Kyoto-Protokoll vergleichbares in-

ternationales Klimaschutzabkommen gibt.

Zur besseren Einschätzung des Klimaschutzehrgeizes der Kom-

mission sollte bedacht werden, dass die bisherigen Minderungserfol-

ge weniger einer stringenten Politik, sondern zu erheblichen Teilen

einmaligen historischen Ereignissen zu verdanken sind. Dazu zählen

der wirtschaftliche Zusammenbruch der ehemaligen Ostblockstaa-

ten infolge politischer Umwälzungen, die ökonomische Erneuerung

der ostdeutschen Länder nach der deutschen Wiedervereinigung so-

wie die tiefgreifende Rezession nach der Banken- und Finanzmarkt-

krise am Ende der ersten Dekade dieses Jahrtausends. Laut einer

2009 vom Europäischen Parlament in Auftrag gegebenen Studie ist

lediglich etwa die Hälfte der Emissionsminderungen in der EU seit

1990 auf einschlägige umweltpolitische Maßnahmen zurückzufüh-

ren (Böhringer 2010:63).

111

Abbildung 2EU-Burdensharing und Veränderung des Treibhausgasausstoßes von 1990 – 2008

EU-BurdensharingVeränderung des Treibhausgasausstoßes

Spanien

Portugal

Irland

Griechenland

Österreich

Italien

Finnland

Niederlande

Luxembourg

Frankreich

EU (EU-15)

Belgien

Dänemark

Schweden

Großbritannien

Deutschland

–30% –20% –10% 0% 10% 20% 30% 40% 50%

27 %

32,3 %

– 6,5 %4,7 %

4 %– 11,7 %

– 6,1 %0 %

25 %

22,8 %

– 6 %– 2,4 %

– 21 %

– 22,2 %

– 7,5 %

– 7,1 %

13 %

23 %

– 0,3 %0 %

– 12,5 %

– 18,5 %

– 8 %

– 6,5 %

15 %

42,3 %

– 13 %10,8 %

– 21 %– 7,3 %

– 28 %– 4,8 %

112

Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

Darüber hinaus darf die Kommission nicht darüber hinwegsehen,

dass neben einigen europäischen Ländern zahlreiche andere Industrie-

länder, die das Kyoto-Protokoll unterzeichnet und gar ratifiziert haben,

von ihren Kyoto-Zielen sehr weit entfernt sind (Abbildung 3). So ist

Australien mit einer Emissionssteigerung um 38 % zwischen 1990 und

2008 unerreichbar weit von seinem Kyoto-Ziel entfernt. In den USA,

Kanada und Japan sind die Emissionen ebenfalls angestiegen, wohin-

gegen die Kyoto-Verpflichtungen dieser Länder Emissionssenkungen

vorsehen, die kaum mehr erreichbar scheinen, vor allem für Kanada.

Bereits eine Umkehr der bislang steigenden Emissionstrends wäre für

diese Länder als ein Erfolg anzusehen, an eine Einhaltung der Kyoto-

Ziele ist hingegen kaum zu denken.

Quelle Abbildung 2: UNFCCC (2010) | GHG Total Emissions including LULUCF (land-use, land-use change and forestry) | United Nations Framework Convention on Climate ChangeQuelle Abbildungen 3/4: Cerina (2010) | Weltweite CO2-Emissionen: Länderranking 2009

Abbildung 3Veränderung des CO2-Ausstoßes bedeutender Emittenten von 1990 – 2009

Kyoto-ZieleVeränderungen der aktuellen Emissionen (2009) zum Basisjahr (1990)

China

Indien

Australien

Alle Länder

Kanada

USA

Japan

EU (EU-15)

Deutschland

–50% 0% 50% 100% 150% 200% 250%

0 %202,9 %

0 %144,2 %

8 %38 %

– 5,2 %27,1 %

– 6 %24,9 %

– 7 %9 %

– 6 %3,9 %

– 8 %– 3,2 %

– 21 %– 22,5 %

113

Dies dürfte zusammen mit den substantiellen Kosten, die für

den Klimaschutz aufzubringen sind, wesentlicher Grund dafür gewe-

sen sein, dass selbst Staaten wie Kanada, die durch das Kyoto-Proto-

koll vertraglich gebunden sind, davon Abstand nehmen (Böhringer,

Rutherford 2010). Dies ist wohl auch auf das Fehlen von wirksamen

Sanktionen zurückzuführen (Böhringer 2010:60). Insgesamt sind die

weltweiten CO2-Emissionen trotz der erfolgreichen Minderungsan-

strengungen der Europäischen Union zwischen 1990 und 2008 um

rund 37 % gestiegen (Abbildung 3), anstatt um 5,2 % zu sinken, wie im

Kyoto-Protokoll vorgesehen ist.

Allem Eifer der Kommission sind aber nicht zuletzt auch da-

durch Grenzen gesetzt, dass der Anteil der EU-15 an den weltweiten

CO2-Emissionen relativ gering ist und im Jahr 2008 knapp 12 % be-

trug (Abbildung 4). Ohne ein Mitwirken Chinas und der USA, der bei-

den bedeutendsten Emittentenländer, deren Anteile an den globalen

CO2-Emissionen 2008 bei 21,4 % und 19,1 % lagen, können die globalen

Emissionen in keinem Fall gesenkt werden, wie die Vergangenheit klar

gezeigt hat.

114

Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

Abbildung 4CO2-Emissionen der bedeutendsten Emittentenländer im Jahr 2009

Alle Länder

China

USA

EU (EU-15)

Russland

Indien

Japan

Deutschland

Südkorea

Kanada

Saudi Arabien

Iran

Großbritannien

Südafrika

Mexiko

Italien

Brasilien

Frankreich

Indonesien

Australien

Spanien

Ukraine

0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000

7.426

1.529

606

463

403

3.381

797

544

438

385

5.951

1.225

544

441

390

1.534

664

531

415

342

279

31.098

115

Tatsächlich lautet die unbequeme Wahrheit, dass der Treibhausgas-

minderung in der Europäischen Union im globalen Kontext lediglich

eine sehr untergeordnete Bedeutung zukommt (Böhringer 2010:56).

So haben sich die CO2-Emissionen in China zwischen 1990 und 2009

mehr als verdreifacht (Abbildung 3) und stiegen von 2,45 auf 7,43 Mrd.

Tonnen, wohingegen die CO2-Emissionen der EU-15-Staaten um 3,2 %

gesunken sind (Abbildung 3), von 3,49 auf 3,38 Mrd. Tonnen (Cerina

2010). Der Minderung der EU-15-Staaten um 0,11 Mrd. Tonnen stand so-

mit ein Zuwachs an Emissionen in China von knapp 5 Mrd. Tonnen ge-

genüber. Auch im Vergleich zu den zu erwartenden Emissionsanstiegen

in Entwicklungs- und Schwellenländern wie China, Russland oder Indi-

en wird die Emissionsentwicklung in der EU oder anderen Industrie-

ländern weiterhin eine untergeordnete Rolle spielen, wie die folgende

Abbildung 5 zeigt.

Würde der CO2-Ausstoß in den OECD-Ländern bis 2050 tatsäch-

lich um 83 % gesenkt werden, wie es der nach den US-Kongressab-

geordneten Waxman und Markey benannte Plan vorsieht, könnte

der künftige Anstieg der globalen Emissionen allenfalls moderat

gedämpft werden, wie Abbildung 5 zeigt. Der Emissionspfad ohne

Minderungen der OECD-Länder, wie sie der Waxman-Markey-Plan

vorsieht, entspricht dabei dem wirtschaftsorientierten A1-Szenario

des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC 2010), das

eine zunehmende Globalisierung unterstellt. Gemäß dem A1-Szena-

rio dreht sich der Trend zu höheren weltweiten Emissionen erst im

Jahr 2070 um. Hauptursache dafür ist der unterstellte Rückgang der

Weltbevölkerung.

Kurzum: Selbst wenn die EU zusammen mit allen anderen OECD-

Ländern ihre CO2-Emissionen im Laufe der nächsten Jahrzehnte auf

Null zurückführen würde, hätte dies auf den globalen CO2-Ausstoß le-

diglich eine sehr beschränkte Wirkung. Im Klartext: Ohne drastische

Einschränkungen der künftigen Pro-Kopf-Emissionen in den prospe-

rierenden Schwellenländern, welche bislang noch relativ niedrig aus-

116

Der geringe Effekt der Treibhausgasminderungspolitik der EU

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

fallen, ist der Anstieg der weltweiten Emissionen in Zukunft kaum zu

dämpfen, geschweige denn, dass der globale Treibhausgasausstoß ge-

genüber dem heutigen Niveau gesenkt werden kann.

Quelle: Authors Calculations and IPCC (2001) | Special Report on Emissions Scenarios, Intergovernmental Panel on Climate Change.

Abbildung 5Künftiger CO2-Ausstoß im A1-Szenario des IPCC (2010) und bei Umsetzung des Waxman-Markey-Plans

80

70

60

50

40

30

20

10

0

1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 2060 2070 2080 2090

Mrd

. Ton

nen

CO2

(Gt C

O 2)

Globale Emissionen A1 IPCC Globale Emissionsreduktionen Waxman-MarkeyOECD-1990 Emissionen A1 IPCC OECD-1990 Emissionsreduktionen Waxman-Markey

117

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

3.

Kontraproduktive internationale Rückwirkungen

Die einseitigen Bemühungen der Kommission zur Treibhausgasminde-

rung können nicht zuletzt auch deshalb wenig zur Dämpfung des welt-

weiten Emissionsanstiegs beitragen, weil sie kontraproduktive interna-

tionale Rückwirkungen haben können (Böhringer 2010:58). So könnten

Länder ihre Minderungsanstrengungen nach den Erkenntnissen der

umweltökonomischen Literatur zurücknehmen, wenn sich eine Nation

oder eine Staatengemeinschaft wie die Europäische Union weithin er-

kennbar und mit hoher Glaubwürdigkeit auf verstärkte Anstrengungen

zur Emissionsvermeidung festlegt (Beirat BMF 2010:14).

Denn: Je stärker eine Staatengemeinschaft wie die EU zur Dämp-

fung des Anstiegs oder gar Senkung der weltweiten Emissionen bei-

trägt, desto kleiner werden die Vorteile eines anderen Staates aus

dessen eigenen Minderungsanstrengungen (Beirat BMF 2010:16). In

anderen Worten: Der Grenznutzen der Vermeidungsmaßnahmen der

übrigen Staaten nimmt mit den zunehmenden EU-Bemühungen ab.

Bei sinkendem Grenznutzen ist es folglich für die Nicht-EU-Staaten

reizvoll, ihre eigenen Anstrengungen infolge der EU-Ambitionen ein-

zuschränken.

Andere Länder profitieren daher in doppelter Hinsicht von den

Anstrengungen der EU. Zum einen steigt deren Wohlfahrt in unmit-

telbarer Weise durch die verstärkten Emissionsminderungen der EU-

119

Länder, falls diese überhaupt einen positiven Effekt auf das Weltklima

haben. Zum anderen sinken infolge der verstärkten Vermeidungsan-

strengungen der EU die Klimaschutzkosten der übrigen Staaten, wenn

diese ihre Emissionsminderungsmaßnahmen entsprechend zurück-

schrauben.

Kurzum: Die Änderung in ihrem Kosten-Nutzen-Kalkül führt

dazu, dass die Nicht-EU-Länder ihre Treibhausgasminderungspolitik

tendenziell weniger restriktiv bzw. ambitioniert ausgestalten könn-

ten als ohne die EU-Anstrengungen, sodass die Nicht-EU-Länder ihre

Treibhausgasvermeidungskosten reduzieren könnten (Hoel 1991,

Warr 1993). Die Wirkung der Selbstverpflichtung, die sich die Kom-

mission durch die Verkündung des 20-%-Ziels auferlegt hat, besteht

somit in einer als Crowding-Out bezeichneten Verdrängung der Ver-

meidungsanstrengungen anderer Länder. Unter sehr plausiblen An-

nahmen kann dies zu einem teilweisen oder gar nahezu gänzlichen

Ausgleich der durch die EU bewirkten Emissionsreduktionen führen

(Beirat BMF 2010:14).

Wenn folglich die Kommission eine einseitige Selbstverpflich-

tung zu hohen Emissionsminderungen eingeht, mag sie darauf hof-

fen, damit ein positives Beispiel zu setzen, dem andere Länder folgen.

In einer realen Welt, in der die Emissionen aller Länder durch deren

individuelles Kosten-Nutzen-Kalkül bestimmt sind, ist dies jedoch

eine fromme Hoffnung (Beirat BMF 2010:14). Es besteht vielmehr die

große Gefahr, dass andere Länder durch die starke Vorreiterrolle der

EU nicht mehr, sondern weniger Anstrengungen zur Verringerung der

globalen Emissionen unternehmen werden. Die kurzfristigen Wohl-

fahrtswirkungen einer solchen Vorreiterpolitik sind eindeutig: Die

Wohlfahrt in der sich selbst verpflichtenden EU sinkt, während sich

die Wohlfahrt aller anderen Länder – zumindest auf kurze Sicht – er-

höht (Beirat BMF 2010:14).

Bei einer unilateralen Minderungspolitik der EU kommt es insbe-

sondere zu Verlagerungen der Emissionen in Länder ohne Emissions-

120

Kontraproduktive internationale Rückwirkungen

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

beschränkungen (Hoel 1991, Felder, Rutherford 1993), ein Effekt, der

unter dem Begriff Emissions oder Carbon Leakage bekannt ist. Darun-

ter versteht man das Phänomen, dass die einseitige Belastung der ener-

gieintensiven europäischen Industrie zu Erhöhungen der Emissionen

in Länder außerhalb der EU führen, in denen keine vergleichbaren Kli-

maschutzkosten anfallen. Dadurch stehen den Emissionssenkungen in

Europa erhöhte Emissionen im Nicht-EU-Ausland gegenüber (Oliveira-

Martins et al. 1992).

Dafür gibt es drei Gründe: Erstens kann es zu Standortverlagerun-

gen umwelt- und energieintensiver Industrien ins Nicht-EU-Ausland

kommen. Kritiker halten dem entgegen, dass Umweltregulierung nur

einer von vielen Standortfaktoren wäre, räumen die Möglichkeit der

Standortverlagerung jedoch ein (Hentrich, Matschoss 2006:51). Zwei-

tens können Importe umweltintensiver Güter die Produktion in Euro-

pa verdrängen. Dies dürfte nach den Ergebnissen einer empirischen

Studie von Demailly und Quirion (2006) beispielsweise bei Zement

in nicht unerheblichem Maße der Fall sein. Drittens könnte ein sub-

stantieller Nachfragerückgang in Ländern mit starken Emissionsmin-

derungen zu weltweit geringeren Energiepreisen führen, sodass post-

wendend die Nachfrage nach fossilen Energierohstoffen in den übri-

gen Ländern steigt (Böhringer 2010:58).

Um diese kontraproduktiven Rückwirkungen abzuschwächen,

kann es sinnvoll sein, energie- und handelsintensive Industrien

weniger stark zu belasten, konstatieren Böhringer und Schwager

(2003:213), so wie dies etwa im Zusammenhang mit der Erhebung der

Stromsteuer in Deutschland bislang geschieht. Auch die Kommission

hat die Relevanz des Leakage-Effekts erkannt und wird die Unterneh-

men der handels- und zugleich energieintensiven Industriesektoren

von der Verpflichtung der Ersteigerung der von ihnen benötigten

Zertifikate ab dem Jahr 2013 teilweise ausnehmen. Unter die Ausnah-

menregelungen fallen diejenigen Sektoren, bei denen die durch den

Emissionshandel verursachten zusätzlichen Energiekosten mindes-

121

tens 5 % der Bruttowertschöpfung betragen und deren Handelsinten-

sität17 zugleich über 10 % liegt. Als vom Carbon Leakage besonders

betroffen − und deshalb ebenfalls ausgenommen − gelten sodann

diejenigen Sektoren, für die bereits eines dieser beiden Kriterien bei

über 30 % liegt.

Bei diesen Ausnahmeregelungen ist allerdings zu beachten, dass

sie die so identifizierten Unternehmen nicht vollständig von den

CO2-Kosten entlasten. Vielmehr erhalten die energieintensiven Unter-

nehmen, die sich erwiesenermaßen im internationalen Wettbewerb

behaupten müssen, in der kommenden Handelsperiode (2013 – 2020)

eine Gratiszuteilung der Zertifikate lediglich in einer Höhe, die sich

nach einem sektorspezifischen Benchmark bemisst (BMU 2008). Zur

Festlegung der EU-einheitlichen Benchmarks werden jeweils die effi-

zientesten 10 % der Anlagen einer Branche in der EU betrachtet. Jene

Unternehmen aber, die bei weitem nicht zu den 10 % der effizientes-

ten ihrer Branche gehören, könnten trotz Gratiszuteilung in Höhe des

Benchmarks mit erheblichen Kosten infolge des Erwerbs der darüber

hinaus benötigten Zertifikate konfrontiert sein.

Eine allzu ambitionierte unilaterale Klimapolitik, die in Zukunft

immer strengere Klimaschutzziele verfolgt, kann schließlich auch

dazu führen, dass fossile Energieressourcen schneller gefördert wer-

den, weil die Rohstoffanbieter befürchten könnten, dass infolge künf-

tig verstärkter Klimaschutzbemühungen die Nachfrage und damit die

Preise nach Energierohstoffen fallen. Nach dem „grünen Paradoxon“

von Sinn (2008:140) könnte so der weltweite Ausstoß an Treibhaus-

gasen paradoxerweise sogar höher ausfallen als ohne Klimaschutzbe-

mühungen.

17 Die Handelsintensität ist die Summe aus Importen und Exporten dividiert durch die Summe aus dem in der EU erzielten Umsatz und den Importen (BMU 2008).

122

Kontraproduktive internationale Rückwirkungen

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

4.

Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungs-politik der EUAuch wenn die Klimapolitik der Kommission nach den vorangehen-

den Erläuterungen im weltweiten Maßstab wenig oder gar Kontra-

produktives bewirkt, stellt sich die Frage nach der Kosteneffizienz

der einseitigen EU-Politik. An der Kosteneffizienz lässt sich aber vor

allem aus folgenden Gründen zweifeln (Böhringer 2010:63): Erstens

sind Mehrkosten dadurch vorprogrammiert, dass neben dem im Jahr

2005 eigens zum Zwecke der Treibhausgasminderung etablierten Kli-

maschutzinstrument des Handels von CO2-Emissionszertifikaten eine

Vielzahl von sich überlagernden Regulierungsinstrumenten in der EU

zum Einsatz kommen, obwohl laut umweltökonomischer Literatur die

Minderung von Treibhausgasen mit dem Emissionshandel auf kurze

Sicht zu den geringsten gesamtwirtschaftlichen Kosten erreicht wer-

den kann: Durch dieses Klimaschutzinstrument können Emissions-

minderungsziele nicht nur ökologisch treffsicher, sondern – zumin-

dest in statischer bzw. kurzfristiger Betrachtungsweise – auch ökono-

misch effizient realisiert werden (Bonus 1998:7).

Zweitens entstehen auch dadurch erhebliche Mehrkosten, dass

der Emissionshandel bislang auf die Europäische Union begrenzt ist

(Nordhaus 2009:50). Eine Ausweitung des EU-Emissionshandelssys-

tems auf weitere Regionen, welche insbesondere die größten Emitten-

123

ten wie die USA und China einschließen, würde die Vermeidung ein

und derselben Emissionsmenge zu günstigeren Kosten erlauben, da

mit Hilfe dieses Instrumentes die Emissionen dort gemindert werden,

wo es am kostengünstigsten ist (Böhringer 2010:64). Mit einer inter-

nationalen Ausweitung des Emissionshandels sollte sich die Anzahl

an zur Verfügung stehenden kostengünstigen Vermeidungsoptionen

vergrößern. Im Ergebnis führt dies zu einer Senkung der Kosten für die

Erreichung einer bestimmten Emissionsminderung.

Zu einer Ausweitung des EU-Emissionshandelssystem auf einen

weltweiten Handel besteht aber wenig Hoffnung, da dies ein weltum-

spannendes klimapolitisches Abkommen voraussetzt. Die Aussichten

auf den Abschluss eines wirkungsvollen internationalen Klimaabkom-

mens mit völkerrechtlich bindenden Minderungszielen der bedeu-

tendsten Emittenten sind allerdings sehr schlecht (Beirat BMF 2010:7),

wie im nächsten Abschnitt erläutert wird. Ein Hauptgrund dafür ist,

dass es keine Weltregierung gibt und es wenig wahrscheinlich ist, dass

es eine solche jemals geben wird.

Drittens ist die Europäische Union trotz der als positiv hervor-

zuhebenden Etablierung und Weiterentwicklung des Emissionshan-

dels noch weit von einer kohärenten Klimapolitik entfernt (Böhrin-

ger 2010:66). Dies ist vorwiegend dem Umstand geschuldet, dass in

den Emissionshandel bislang nur der Stromerzeugungssektor und

die energieintensiven Produktionsbetriebe einbezogen sind, welche

zusammen für etwa 40 % der EU-weiten CO2-Emissionen verantwort-

lich sind. Andere Bereiche wie der Verkehrssektor oder die Sektoren

der privaten Haushalte oder der Gewerbe-, Handels- und Dienstleis-

tungsunternehmen sind hingegen nicht in den Emissionshandel

integriert. Anstatt den Emissionshandel auf andere Bereiche auszu-

weiten, besteht in der Europäischen Union die Tendenz, jeden Sek-

tor spezifisch zu regulieren, um so das EU-weite Minderungsziel zu

erreichen. Dies hat erhebliche Effizienzverluste zur Folge (Böhringer

et al. 2005).

124

Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

So ist im Bereich des privaten Pkw-Verkehrs künftig ein spezifi-

scher Emissionsstandard das von der Kommission präferierte Regu-

lierungsinstrument (Frondel, Schmidt 2008:330). Mit der EU-Verord-

nung 443/2009 ist ab 2012 für Neuwagen ein zulässiges Höchstmaß an

spezifischen CO2-Emissionen je Kilometer vorgeschrieben, das mit der

Masse des Fahrzeugs ansteigen darf (Frondel, Schmidt 2009:179). Mit

dieser Art der Regulierung sind CO2-Vermeidungskosten verbunden,

die zwischen 475 und 950 Euro je Tonne CO2 liegen können (Frondel,

Schmidt, Vance 2010), während der CO2-Zertifikat-Preis im Rahmen

des Emissionshandels bislang noch nicht über 30 Euro je Tonne hin-

ausging. Die hohen Vermeidungskosten, die mit dieser Regulierung

verbunden sein können, gehen bei einer zwar weitgehend unbekann-

ten, aber definitiv endlichen Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung

für Klima- bzw. Umweltschutz unmittelbar zu Lasten anderer, kosten-

günstigerer Treibhausgasvermeidungsmaßnahmen.

Der Existenz des Emissionshandels zum Trotz gibt es zusätzlich

dazu eine Vielzahl von Maßnahmen und Politikinstrumente, zu de-

ren Rechtfertigung die Kommission die Verringerung des Treibhaus-

gasausstoßes zumindest als eines von mehreren Motiven angibt. An

erster Stelle sind dabei Richtlinien zur Steigerung der Energieeffizienz

sowie zum Ausbau des Einsatzes von erneuerbaren Energietechnolo-

gien zu nennen. Damit sollen die im Energie- und Klimaschutzpaket

genannten 20-20-20-Ziele erreicht werden. Dabei stellt die Minde-

rung der Treibhausgasemissionen um 20 % gegenüber 1990 eines der

Ziele für das Jahr 2020 dar, während die Ausweitung des Beitrags der

erneuerbaren Energietechnologien zur Deckung des Primärenergie-

verbrauchs in der EU auf 20 % bis 2020 sowie die Steigerung der Ener-

gieeffizienz um 20 % gegenüber dem Weiter-wie-Bisher die übrigen

Zielmarken sind.

Zu dem Bündel an Regulierungen zur Erreichung dieser Ziele zählt

nicht zuletzt auch das am 1. September 2009 erlassene sukzessive Ver-

bot des Verkaufs herkömmlicher Glühbirnen, das bis spätestens 31. Au-

125

gust 2012 den Verkauf sämtlicher Arten von Glühbirnen in der EU ver-

bietet (EU-Verordnung 244/2009) und daher unter dem Begriff „Glüh-

birnenverbot“ firmiert. Dieses Verbot wird von der Kommission vor

allem mit zwei Argumenten gerechtfertigt (Frondel, Lohmann 2010).

Erstens würden energieeffiziente Energiesparlampen den privaten

Haushalten und übrigen Stromverbrauchern helfen, Strom und damit

Kosten zu sparen, sodass deren Stromrechnungen signifikant sinken.

Frondel, Lohmann (2010) halten dem entgegen, dass die Verwendung

von Energiesparlampen zwar bei häufiger Nutzung große Kostenvor-

teile aufweist. Bei sehr geringen Nutzungszeiten, wie dies etwa bei der

Keller- und Dachbodenbeleuchtung der Fall ist, erleiden die Verbrau-

cher durch dieses Verbot aber wirtschaftlichen Schaden. Allein aus

diesem Grund ist das generelle Glühbirnenverbot der EU-Kommission

unangebracht und sollte wieder zurückgenommen werden.

Mit den Einsparungen an Strom infolge des Glühbirnenverbots

kann nach Auffassung der Kommission zweitens der Ausstoß an Treib-

hausgasen verringert werden, der mit der konventionellen Erzeugung

von Strom auf Basis fossiler Brennstoffe wie Kohle oder Gas verbun-

den ist. Tatsächlich aber ist der Nettoeffekt dieses Verbotes bei einer

Koexistenz mit dem 2005 etablierten Emissionshandel gleich Null,

ebenso wie bei allen anderen Maßnahmen, die auf eine Absenkung

des Stromverbrauchs und des damit verbundenen CO2-Ausstoßes

abzielen: Da der Emissionshandel eine bindende Obergrenze für die

CO2-Emissionen vorgibt, können mit Maßnahmen wie etwa dem Er-

neuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zur Förderung alternativer Stromer-

zeugungstechnologien in Deutschland keinerlei weitere Einsparungen

erzielt werden (Frondel, Ritter, Schmidt 2008:4201).

Die via EEG geförderte Stromerzeugung sorgt zwar für geringere

Emissionen im deutschen Stromsektor, weshalb die Zertifikatpreise

niedriger ausfallen als ohne EEG. Dadurch werden jedoch Vermei-

dungsmaßnahmen in anderen am Emissionshandel beteiligten Sekto-

ren nicht ergriffen, weil es kostengünstiger ist, stattdessen Zertifikate

126

Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

zu kaufen. Andere Stromerzeugungssektoren in der EU sowie die In-

dustriesektoren, die in den Emissionshandel eingebunden sind, wei-

sen folglich höhere Emissionen auf und gleichen so die Emissionsein-

sparungen, die im deutschen Stromerzeugungssektor durch das EEG

ausgelöst werden, gänzlich aus.

Im Ergebnis ergibt sich lediglich eine Emissionsverlagerung,

der durch das EEG bewirkte CO2-Einspareffekt ist aber de facto Null

(BMWA 2004:8, Morthorst 2003). So kann es sich bei einem starken

Ausbau der erneuerbaren Energien in der EU und den damit verbun-

denen signifikanten den CO2-Preis senkenden Wirkungen gerade für

die Betreiber alter Kohlekraftwerke eher lohnen, ihre wenig effizienten,

emis sionsintensiven Anlagen weiterzubetreiben, als den Anteil der Er-

neuerbaren weiter zu steigern. Durch die Regulierungsüberlagerung

kommt es somit sogar zu paradoxen Folgen (Böhringer 2010:69).

Letztlich werden vergleichsweise kostengünstige Maßnahmen

nicht ergriffen, die in der kontrafaktischen Situation ohne ein deut-

sches EEG und mit den in den übrigen EU-Staaten existierenden In-

strumenten zur Förderung erneuerbarer Energietechnologien um-

gesetzt worden wären. Stattdessen wird gerade mit der Solarstrom-

produktion die teuerste aller derzeit in der Diskussion befindlichen

Technologien zur Vermeidung von CO2-Emissionen umgesetzt (Ab-

bildung 6). So taxieren Frondel, Ritter, Schmidt, Vance (2010a:119) die

mit der Förderung der Photovoltaik in Deutschland einhergehenden

Vermeidungskosten auf mehr als 600 Euro je Tonne CO2. Die Interna-

tionale Energieagentur geht sogar von einem höheren Wert von rund

1.000 Euro je Tonne aus (IEA 2007:74).

127

Quelle: Fahl (2006)

Als Folge davon summieren sich die realen Nettokosten für alle

zwischen 2000 und 2009 in Deutschland installierten Photovolta-

ikmodule auf rund 52,3 Mrd. Euro (Frondel, Ritter, Schmidt, Vance

2010b:4051). Dies konterkariert das Prinzip des Emissionshandels, den

Treibhausgasausstoß dort zu verringern, wo es am kostengünstigsten

ist, bzw. die Treibhausgase mit den kosteneffizientesten Technologien

zu reduzieren.

Diese theoretische Argumentation wird durch die numerische

Analyse von Traber und Kemfert (2009) für Deutschland untermau-

ert. Danach ändert sich der CO2-Ausstoß auf europäischer Ebene

Abbildung 6Emissionsvermeidungskosten verschiedener technologischer Maßnahmen

700

600

500

400

300

200

100

0

–100

–200

Euro

pro

Ton

ne C

O2

Kernenergie (EPR)

Erdgas-G

uD-Kraftwerk

Solartherm

ie

Windkraftwerk

Effizie

nte Diesel-Pkw

Wärmedämmung EF

H

Effizie

nte Benzin-Pkw

Geothermie

Biokraftstoffe

Photovoltaik

734

29

75 91

37

254

326

415

540585

611

420

215190

102

52

–5 –21

–113

128

Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

kaum, obwohl die Emissionen im deutschen Stromerzeugungssektor

durch das EEG um 11 % reduziert werden. Der Grund dafür ist, dass die

Stromerzeugung auf Basis erneuerbarer Technologien in Deutschland

die Dringlichkeit der Emissionsreduktion in den übrigen EU-Ländern

verringert, indem die EU-weit geltenden Preise für CO2-Zertifikate ge-

genüber einer Situation ohne ein deutsches EEG um 15 % niedriger aus-

fallen (Traber, Kemfert 2009:169).

Nun wird häufig argumentiert, man könne die ökologische Un-

wirksamkeit des EEG bzw. des EU-weiten Ausbaus der Erneuerbaren

dadurch beheben, dass das Emissionsbudget beim Emissionshandel

um die zu erwartenden CO2-Minderungsbeiträge infolge des Ausbaus

der regenerativen Stromerzeugung reduziert wird (Diekmann, Kem-

fert 2005; Kemfert, Diekmann 2009). So sei in der EU-weit geltenden

Emissionsobergrenze für 2020 der CO2-senkende Einfluss des Zubaus

regenerativer Stromerzeugungstechnologien berücksichtigt worden

(COM 2008) und der Ausbau erneuerbarer Energien hätte daher sehr

wohl eine CO2-senkende Wirkung. Diese Argumentation ist unzutref-

fend, da es allein das Instrument des Emissionshandels ist, das die Ein-

haltung der Emissionsobergrenze (Cap) garantiert. Diese Obergrenze

würde auch dann eingehalten, wenn auf den weiteren Ausbau der er-

neuerbaren Energien in sämtlichen EU-Ländern verzichtet würde − zu-

gegeben eine wenig wahrscheinliche Entwicklung.

Dennoch verdeutlicht diese Überlegung, dass es allein das Inst-

rument des Emissionshandels ist, das eine Senkung der Treibhaus-

gasemissionen bewirkt (Häder 2010:14). Dieser kaum bestreitbaren

Tatsache wird häufig entgegengehalten, dass es gerade die Förderung

der erneuerbaren Energien ist, die weit niedrigere zukünftige Ober-

grenzen im EU-Emissionshandel erlauben würde als andernfalls.

Dieses Argument ist wenig stichhaltig, da die EU-Länder sich mit

weitaus weniger Subventionen, als die Förderung der erneuerbaren

Energien verschlingt, in die Lage versetzen könnten, niedrige künfti-

ge Emissionsobergrenzen einzuhalten.

129

Der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke in Deutschland, die nach

geltendem Gesetz bereits nach 32 Jahren Laufzeit abgeschaltet werden

sollen, obwohl die technische Lebensdauer bei 60 Jahren und mehr

liegt, wäre nur eines von vielen Beispielen, wie man auf kostengüns-

tige Weise strengere Emissionsgrenzen anstreben könnte. In diesem

Beispiel wären die volkswirtschaftlichen Kosten sogar negativ: Die

Wohlfahrt in der EU und vor allem in Deutschland würde zweifellos

gesteigert (Energieprognose 2009). Konträr dazu erweisen sich zusätz-

liche Politiken zur Förderung erneuerbarer Energien als besonders teu-

er: Böhringer et al. (2009a) wiesen darauf hin, dass sich die Kosten für

die Treibhausgasminderung in der Europäischen Union durch solche

Politikmaßnahmen sogar verdoppeln können.

Ein weiteres Beispiel für ein ebenfalls den Emissionshandel be-

rührendes Instrument sind Stromsteuern. Eine solche wurde in

Deutschland unter dem Begriff Ökosteuer im Jahr 1999 eingeführt.

Unternehmen, die sowohl Stromsteuern bezahlen als auch dem

Emissionshandel unterliegen, vermeiden ineffizient viel (Böhringer

2010:68). Dadurch subventionieren sie indirekt die Unternehmen sol-

cher EU-Länder, die ebenfalls in den Emissionshandel eingebunden

sind, aber nicht einer Stromsteuer unterworfen sind. Auch hier gilt:

Da die Gesamtemissionen im EU-Emissionshandel gedeckelt sind,

haben zusätzliche Strom- oder CO2-Steuern keinen CO2-senkenden

Effekt (Böhringer 2010:68).18

Dies gilt ebenso für alle weiteren Instrumente, die auf eine Sen-

kung des Stromverbrauchs in den EU-Ländern abzielen. Dazu gehören

in Deutschland etwa das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz,

das den Kauf energieeffizienter Stromgeräte stärkt, die Förderung der

18 Dementsprechend sind die Vermeidungskosten je eingesparter Tonne CO2 im Prinzip unendlich hoch, da ungeachtet der Höhe der Kosten, die durch die einzelnen Maßnahmen den Verbrauchern auferlegt wird, der CO2-Einspareffekt Null ist und bei der Berechnung der spezifischen Vermeidungskosten je Tonne CO2 durch Null dividiert werden müsste.

130

Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) via KWK-Gesetz oder das Energiebetrie-

bene-Produkte-Gesetz, das ineffiziente Geräte vom Markt ausschließt.

Infolge der gleichzeitigen Existenz des Emissionshandels sind diese

Gesetze ebenso nutzlos im Hinblick auf Treibhausgaseinsparungen

(Häder 2010:17) wie der in Italien und Großbritannien etablierte Han-

del mit sogenannten weißen Zertifikaten, mit dem Stromeinsparun-

gen erreicht werden sollen.

Aber selbst wenn es keinen CO2-Emissionshandel gäbe, wären Wei-

ße-Zertifikate-Systeme nicht das Instrument 1. Wahl: Jede Politik, die

pauschal an der Nachfrage nach Energie ansetzt, um Umweltexternali-

täten zu verringern, ohne dabei den mit dem jeweiligen Energieträger

verbundenen spezifischen Umwelteffekten Rechnung zu tragen, ist

ineffizient (Mennel, Sturm 2009:27).

Tatsächlich sind solche auf den Emissionshandel aufgesattelten In-

strumente wie auch technologie-spezifische Förderungen, allen voran

die Subventionierung der Erneuerbaren, nicht nur ineffektiv bzw. öko-

logisch überflüssig. Sie sind aus ökonomischer Sicht sogar kontrapro-

duktiv, da Klimaschutz damit unnötig teuer wird (Häder 2010:15). Die

Förderung alternativer Technologien zur Produktion „grünen“ Stroms,

welche in Europa mit vielen Milliarden Euro im Jahr unterstützt wird −

allein in Deutschland betrugen die Einspeisevergütungen für „grünen“

Strom im Jahr 2009 rund 10 Mrd. Euro (Schiffer 2010:83) –, muss sich

daher aus anderen Gründen rechtfertigen.

Bedauerlicherweise darf man wegen der massiven finanziellen

Belastungen durch die Erneuerbaren-Politik der Kommission keine

positive Auswirkungen auf Beschäftigung erwarten (Frondel, Ritter,

Schmidt, Vance 2010b:4055). So gehen mit den höheren Stromprei-

sen infolge der Förderung der erneuerbaren Energien, etwa durch das

deutsche Erneuerbaren-Energie-Gesetz (EEG), Kaufkraftverluste von

privaten Haushalten einher. Zusammen mit dem Entzug von Inves-

titionskapital bei den industriellen Stromverbrauchern bewirkt dies

negative Arbeitsplatzeffekte in anderen Sektoren. Indem die Budgets

131

der industriellen Verbraucher durch höhere Strompreise geschmälert

werden, stehen vor allem weniger Mittel für alternative und profitable-

re Investitionen zur Verfügung. Daher ist zu bezweifeln, ob die Arbeits-

platzeffekte des deutschen EEG im Saldo tatsächlich positiv ausfallen

können (Frondel, Ritter, Schmidt, Vance 2010a:123).

Demnach ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich in der Ver-

gangenheit zahlreiche Studien skeptisch in Bezug auf positive Nettobe-

schäftigungseffekte der Förderung erneuerbarer Energien in Deutsch-

land äußerten. So konstatiert das Institut für Wirtschaftsforschung in

Halle, dass bei Berücksichtigung der Investitionskosten bzw. der Ver-

drängung der privaten Verwendung der Investitionsmittel „praktisch

keine Beschäftigungseffekte mehr festgestellt werden könnten“ (IWH

2004:72). Ähnlich äußerten sich Fahl, Küster und Ellersdorfer (2005),

Pfaffenberger (2006) und das RWI (2004) bzw. Hillebrand et al. (2006).

In jedem Falle sind die durch die Förderung erneuerbarer Energi-

en geschaffenen Bruttoarbeitsplätze teuer erkauft. So erforderte die

Schaffung von 50.000 „grünen Jobs“ in Spanien Ausgaben von 28,7

Mrd. Euro (Álvarez et al. 2009:24). Pro Arbeitsplatz sind das 574.000

Euro. Ähnlich hohe Subventionen werden in Deutschland für jeden Ar-

beitsplatz in der Photovoltaikbranche bezahlt. Auf Basis der Nettokos-

ten von rund 17,4 Mrd. Euro für alle im Jahr 2009 installierten Anlagen

(Frondel, Ritter, Schmidt, Vance 2010b:4051) lägen die Subventionen

pro Kopf bei rund 290.000 Euro, wenn man von 60.000 Beschäftigten

im deutschen Photovoltaiksektor ausgeht (BSW 2009).

Diese Ergebnisse sind nicht weiter überraschend, schließlich ist

der komparative Vorteil der Politik nicht unbedingt in der unmit-

telbaren Schaffung von Arbeitsplätzen zu vermuten. So würde man

eher dem Markt, welcher die wettbewerbsfähigen konventionellen

Stromerzeugungstechnologien begünstigen würde, als der Politik,

die sich als Förderer ineffizienter „grüner“ Technologien betätigt, zu-

trauen, für insgesamt mehr Beschäftigung und somit eine größere

Wohlfahrt zu sorgen.

132

Mangelnde Kosteneffizienz der Treibhausgasminderungspolitik der EU

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

Tatsächlich sollte der Handlungsschwerpunkt der Politik nicht in

der Schaffung von Arbeitsplätzen liegen, sondern in der Gestaltung

günstiger Rahmenbedingungen, welche die möglichst kostengünstige

Produktion von Gütern und Dienstleistungen erlauben. Zu diesen Rah-

menbedingungen gehört die allgemeine Förderung der Erforschung

und Entwicklung neuer Produktionsmethoden, bei denen weniger

Ressourcen an Energie, Umwelt, Kapital oder auch an Arbeit eingesetzt

werden, um denselben Output zu erzeugen wie mit den bestehenden

Technologien. Indem die frei werdenden Ressourcen für andere Zwe-

cke verwendet werden können, kann so der Lebensstandard der Bevöl-

kerung gesteigert werden. Die von der Kommission mit der Steigerung

des Anteils der Erneuerbaren am Energiemix beabsichtigte Technolo-

gieförderung ist in dieser Hinsicht allerdings wenig erfolgreich, wie in

Abschnitt 7 dargestellt wird.

133

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

5.

Schlechte Chancen für ein globales Klimaabkommen zur TreibhausgasminderungNationale Klimapolitiken zur Senkung von Treibhausgasen sehen sich

einem fundamentalen Dilemma ausgesetzt19: Die Bürger eines einzel-

nen Landes, welche von dessen Regierung die vollen Kosten einer ein-

seitigen Minderungspolitik aufgebürdet bekommen, profitieren nur

zu einem geringen Teil von dieser Klimapolitik, falls denn diese Min-

derung der Treibhausgase überhaupt die globale Erwärmung signifi-

kant beeinflussen kann. Der weit überwiegende Nutzen einer solchen

Politik fällt im Ausland an (Beirat BMF 2010:8).

Aus diesem Grund haben einzelne Länder in der Regel nur geringe

Anreize20, erhebliche Kosten für Treibhausgasminderungen aufzuwen-

den, da diese wegen der weltweiten Auswirkungen des Ausstoßes von

Treibhausgasen allen zu Gute kommen, aber im weltweiten Maßstab

19 Das Dilemma wurde von Hardin (1968) als Tragedy of Commons bezeichnet. Damit gemeint ist die Tragik der Allmende- bzw. öffentlichen Güter, die allen zur Verfügung stehen, dadurch keinen Preis haben und daher unter Übernutzung leiden.

20 Nur wenige Länder beteiligen sich freiwillig an der Vermeidung von Emissionen (Beirat BMF 2010:11). Dass ein Land zu dieser Gruppe gehört, ist umso wahrscheinlicher, je größer und bevölkerungsreicher das Land ist, je wohlhabender das Land ist, je niedriger die Kosten der Emissionsvermeidung für dieses Land sind, je dramatischer die Veränderung des Klimas für das Land negativ zu Buche schlägt und je bedeutender und politisch einflussreicher die Ökologiebewegung in einem Land ist.

135

wenig bewirken (Abschnitt 2). Im Gegenteil: Ein einzelnes Land hat

vielmehr den Anreiz, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten (Weimann

1994:73) und nichts zu tun, um ohne eigenen Kostenaufwand von den

Anstrengungen der anderen Länder zu profitieren.

Die zentrale Herausforderung ist daher, einen Weg zu finden, mit

dem es gelingen kann, Staaten vom Trittbrettfahrerverhalten abzubrin-

gen und die Chancen für das Zustandekommen eines Klimaabkom-

mens auf globaler Ebene, mit dem sich nahezu alle Staaten oder zumin-

dest sämtliche bedeutenden Emittenten, Treibhausgasrestriktionen

auferlegen, zu erhöhen. Aufgrund des Fehlens einer Weltregierung, die

ein Trittbrettfahrerverhalten wirksam sanktionieren könnte (Weimann

1994:73), welche es aber mit Sicherheit niemals geben wird, besteht in-

ternationale Klimapolitik allerdings allein aus freiwilligem Engagement.

Dabei stellt sich die Frage, welche Rolle Kooperationen einzelner Länder

spielen können, um die Teilnahmebereitschaft der übrigen Länder an

einem globalen Klimaabkommen zu beeinflussen.

Kooperationen einer Teilgruppe von Ländern, etwa der 27 EU-Mit-

gliedstaaten, können für die einzelnen Teilnehmerstaaten durchaus

attraktiv und ökonomisch rational sein, wie an dem folgenden Beispiel

erläutert werden soll. Nehmen wir vereinfachend an, dass sich die 27 EU-

Staaten dazu verpflichten, jeweils dieselbe Emissionsmenge zu vermei-

den. Diese Verpflichtung lohnt sich für ein einzelnes EU-Mitglied genau

dann, wenn seine Emissionsminderungskosten geringer sind als der Nut-

zen, den die 27-mal so hohe Emissionsminderung, zu der sich die Part-

nerländer via Vertrag verpflichtet haben, stiftet.21 Man würde meinen,

dass die Teilnahme eines Landes an einem solchen Kooperationsvertrag

21 Die vereinfachende Annahme, dass alle Länder sich zur selben Minderungsmenge verpflichten, ist irrelevant. Tatsächlich spielt es für das Kosten-Nutzen-Kalkül eines Landes, das sich zu einer bestimmten Emissionsminderung verpflichtet, offenkundig keine Rolle, wie die Verteilung der Minderungsverpflichtungen auf die übrigen Länder ausfällt, solange die gesamte Minderungsmenge dieselbe bleibt.

136

Schlechte Chancen für ein globales Klimaabkommen zur Treibhausgasminderung

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

umso attraktiver ist, je mehr Kooperationspartner sich zu Minderungsan-

strengungen verpflichten, da die eigenen Anstrengungen mit dem ent-

sprechenden Vielfachen an Emissionsminderung belohnt werden.

Auf den ersten Blick würde man folglich erwarten, dass eine solche

Kooperation einer Teilgruppe von Ländern die Chancen für das Zustan-

dekommen eines globalen Abkommens erhöht, da man sich von dieser

Kooperation eine förderliche Signalwirkung erhoffen könnte und die mit

der Kooperation übernommene Vorreiterrolle sich positiv auf die Erwei-

terung des Teilabkommens zu einem globalen Abkommen auswirkt.

Die Antwort der umweltökonomischen Literatur auf die Frage nach

der Bedeutung von Teilkooperationen für die Chancen eines weltwei-

ten Klimaabkommens ist jedoch höchst ernüchternd: Aus genau den-

selben Gründen, die in Abschnitt 3 dargestellt wurden und die dazu

führen, dass das übermäßige Engagement eines einzelnen Landes oder

einer Staatengruppe wie der Europäischen Union die Bereitschaft der

übrigen Länder zur Emissionsminderung verringert, kann die Koope-

rationsbereitschaft der übrigen Länder durch eine Kooperation einer

Teilgruppe von Staaten reduziert und so das Zustandekommen eines

weltweiten Klimaabkommens sogar erschwert werden (Beirat BMF

2010:16), anstatt die Chancen auf ein solches zu verbessern.

Denn: Je mehr ein Land oder eine Staatengruppe bereit ist zu tun

und dies in einem Kooperationsvertrag zu manifestieren, desto attrak-

tiver wird es für die übrigen Länder, selbst weniger zu vermeiden und

einem zu erheblichen Anstrengungen verpflichtenden Abkommen

fernzubleiben, da der Grenznutzen der eigenen Anstrengungen mit

den Bemühungen der Vorreiterländer sinkt22.

22 In der ökonomischen Literatur überwiegt das rationale Kosten-Nutzen-Kalkül als Basis für individuelle Entscheidungen. In anderen Sozialwissenschaften wie auch in Teilbereichen der Ökonomik werden dagegen häufig Entscheidungen mit unvollständiger Information oder beschränkter Rationalität betrachtet. >>

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137

Das Abkommen einer Teilgruppe von Staaten, wie etwa die Selbst-

verpflichtung der EU-Staaten auf eine 20-%-Reduktion der Treibhaus-

gase gegenüber 1990, kann somit die Dynamik zukünftiger Verhand-

lungen über ein weltweites Klimaabkommen negativ beeinflussen

(Beirat BMF 2010:17): „Das Vorwegmaschieren einer Teilgruppe von

Ländern und die Einigung auf hohe Emissionsminderungsziele mar-

kieren in der Politik vielleicht einen herausragenden moralischen

Sieg. Wenn es darum geht, das Weltklima im Rahmen eines globalen

Umweltabkommens zu retten, ist diese Form des moralischen Han-

delns jedoch eher verfehlt. Sie kann eine effiziente Lösung, die ohne

ein Vorwegmarschieren im Bereich des Möglichen gewesen wäre, so-

gar verhindern.“

Die Zusammenarbeit einer Teilgruppe von Ländern ist jedoch

nicht nur wenig hilfreich für das Zustandekommen eines globalen Kli-

maabkommens. Nach der umweltökonomischen Literatur birgt dies

sogar das Risiko einer erheblichen Umverteilung der Kosten zulasten

der Länder, die sich zur Kooperation bereit erklärt haben (Buchholz,

Haslbeck, Sandler 1998, Konrad 2003). Die Kommission sollte daher

diese Zusammenhänge und Wirkungsmechanismen bedenken, wenn

es um die Frage geht, ob die Klimapolitik in den Händen der einzel-

nen EU-Länder bleiben oder zentral von Brüssel aus koordiniert wer-

den sollte. Während selbst eine koordinierte EU-Klimapolitik nur einen

kleinen Beitrag zur globalen Emissionsminderung leisten kann (Ab-

schnitt 2), werden die Chancen für eine weltweit koordinierte Klimapo-

litik verringert, aber die Lasten für die Emissionsminderung eher den

Abweichungen in dieser Richtung per se lassen allerdings die Ineffizienz noch nicht verschwinden. Wenn beispielsweise die Länder ihre Vermeidungsanstrengungen in einem evolutionären Prozess – statt über vollständig rationale Wohlfahrtsmaximierung – bestimmen, bleiben Vorleistungen einzelner Länder ebenfalls wirkungslos. Länder imitieren in einem evolutionären Prozess erfolgreiche Strategien anderer Länder; und erfolgreicher sind auch hier die Länder, die nur geringe Vermeidungsanstrengungen leisten. Auch im evolutionären Prozess setzt sich die ineffizient niedrige Vermeidung durch (Beirat BMF 2010:10).

>>

138

Schlechte Chancen für ein globales Klimaabkommen zur Treibhausgasminderung

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

Mitgliedsstaaten aufgebürdet, wohingegen die übrigen OECD-Staaten

tendenziell eher entlastet werden (Beirat BMF 2010:14).

Abgesehen davon, dass die Klimapolitik der Kommission eher kon-

traproduktiv wirkt, stehen die Chancen für ein globales Klimaabkom-

men, das zu einer nennenswerten Verringerung der globalen Emissio-

nen führt oder zumindest zu einer weitgehenden Stagnation, ohnehin

denkbar schlecht, falls dieses Abkommen auf die Beschränkung des

Treibhausgasausstoßes der Staaten mit dem umfangreichsten Treib-

hausgasausstoß abzielt. So wird sich der weltweit größte Treibhaus-

gasemittent China mit Sicherheit keinerlei Emissionsbeschränkung

unterwerfen wollen, wenn diese zulasten der wachsenden Prosperität

dieses Landes gehen würde.

Zu Recht würde China stattdessen zuerst von denjenigen Ländern

ihren substantiellen Tribut verlangen, die in der Vergangenheit vor-

wiegend für den Anstieg der Treibhausgaskonzentration maßgeblich

verantwortlich waren. Mit dem ebenso berechtigten Hinweis auf die

geringe Effektivität verweigert der zweitgrößte Emittent, die USA, be-

reits heute einschneidende Vermeidungsmaßnahmen, falls Schwel-

lenländer wie China oder Indien sich nicht ebenfalls zu Minderungsan-

strengungen verpflichten, die den künftigen Anstieg ihrer Emissionen

deutlich dämpfen. Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma, der

nicht unmittelbar bei der Vermeidung von Emissionen ansetzt, prä-

sentiert der folgende Abschnitt.

139

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

6.

Erfolgsträchtigere AlternativenAussichtsreichere Alternativen zur Auferlegung von Emissionsrestrik-

tionen bestehen in solchen Strategien und Politiken, bei denen die

einzelnen Länder in erster Linie selbst von den zu ergreifenden Maß-

nahmen profitieren und daher ein hohes Eigeninteresse an deren Um-

setzung haben. Dazu gehören Anpassungsmaßnahmen an den Klima-

wandel, die wie der Bau von Deichen zum Schutz vor einem Anstieg

des Meeresspiegels darauf abzielen, die Folgekosten der globalen Erwär-

mung zu reduzieren, und damit unmittelbar der Bevölkerung desjeni-

gen Landes zugute kommen, das diese Maßnahmen durchführt.

Zusätzlich zu einer solchen Politik, deren Umsetzungsgrad vor al-

lem im Ermessen des einzelnen Landes liegt, könnten sich Länder in

einem weltweiten Abkommen zu einer sukzessiven Erhöhung ihrer

Ausgaben für die Forschung und Entwicklung (F&E) von Energieum-

wandlungs- und -speichertechnologien verpflichten.23 Mit derartigen

F&E-Maßnahmen werden zwar nicht unmittelbar Treibhausgasmin-

derungen erzielt. Über Zeiträume von einigen Jahrzehnten hinweg

23 Weil davon auszugehen ist, dass von den Früchten der F&E-Investitionen zum großen oder gar überwiegenden Teil die investierenden Länder selbst profitieren, sollte das Trittbrettfahrerverhalten in Form von nicht investierenden Ländern geringer sein als bei Aktivitäten zur Treibhausgasvermeidung. Allerdings ist zu konzedieren, dass einzelne Länder deshalb zu wenig in F&E investieren könnten, weil Kosten und Nutzen dieser Investitionen zeitlich weit auseinander fallen können und der eigene Nutzen der F&E-Investitionen nicht korrekt bzw. zu niedrig eingeschätzt wird.

141

können F&E-Investitionen in revolutionäre Technologien nichtsdesto-

trotz zu sehr hohen Treibhausgasminderungserfolgen führen.

Ein Beispiel für eine solche Technologie ist die Kernfusion. Diese

stellt eine CO2-freie Technologie zur Stromerzeugung dar, der ein gro-

ßes Potential attestiert wird, langfristig in großem Umfang zu einer

sauberen, versorgungssicheren und gefahrlosen Stromversorgung

beizutragen (DPG 2010:122). Im Gegensatz zu Kernkraftwerken würde

der Betrieb von Fusionskraftwerken keine radioaktiven Abfälle hin-

terlassen. Im Erfolgsfall des praktischen Einsatzes, den die Deutsche

Physikalische Gesellschaft bei der derzeitigen vergleichsweise gerin-

gen Forschungsförderung für die Mitte dieses Jahrhunderts erwartet

(DPG 2010:122), könnte die europäische Stromerzeugung bis 2100 al-

lein auf Basis dieser Technologie wohl gänzlich emissionsfrei erfolgen.

In Kombination mit den erneuerbaren Energietechnologien sowie mit

der Kernkraft könnte so bereits ab der Mitte dieses Jahrhunderts eine

weitgehende Dekarbonisierung des Stromerzeugungssektors Realität

werden, so wie dies von Deutschland heute bereits angepeilt wird, al-

lerdings allein auf Basis von erneuerbaren Energietechnologien.

Das Beispiel des experimentellen Reaktors ITER, dessen Bau in Süd-

frankreich in weltweiter Zusammenarbeit begonnen wurde, zeigt, dass

ein globales Abkommen über Verpflichtungen der Länder zu wachsen-

den F&E-Anteilen am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt im Bereich des

Möglichen liegt. Mit einem derartigen Abkommen über Quoten zu F&E-

Förderausgaben für Energieumwandlungs- und -speichertechnologien

können auf lange Sicht negative externe Umwelteffekte verringert, aber

auch die typischen positiven Spill-Over-Effekte von F&E-Aktivitäten er-

zielt werden (Jaffe, Newell, Stavins 2002). Somit haben F&E-Ausgaben

eine doppelte Dividende, eine Umwelt- und eine Technologiedividende,

die zwar allen Ländern, aber in hohem Maße auch demjenigen Land zu-

gutekommen, das diese Ausgaben finanziert. Im Erfolgsfall einer weit-

reichenden Diffusion einer Technologie profitieren davon insbesonde-

re diejenigen Unternehmen, die diese Technologien vertreiben.

142

Erfolgsträchtigere Alternativen

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

Darüber hinaus kann ein Land mit einer sukzessiven Steigerung

seiner F&E-Ausgabenanteile ein chronisches Manko beseitigen. So fällt

die von privaten Marktakteuren finanzierte Forschungsleistung ten-

denziell zu gering aus (Nelson 1959). Dabei liegt aus volkswirtschaft-

licher Sicht ein Zuwenig an Forschung vor, wenn die Ausgaben gerin-

ger ausfallen als die daraus zu erwartenden Erträge. Vor allem an der

Finanzierung von Grundlagenforschung dürften private Akteure ein

sehr geringes Interesse zeigen, da bei dieser die Wahrscheinlichkeit für

die unmittelbare marktwirtschaftliche Nutzung von Forschungserfol-

gen relativ klein ist und die Erfolge in der Regel allen zugutekommen.

In diesem Falle von Marktversagen ist es Aufgabe des Staates, die For-

schungs- und Technologieförderung voranzutreiben.

Die staatliche Forschungs- und Technologieförderung sollte aller-

dings ungezielt betrieben werden, da die Politik die zukünftig erfolg-

reichen Technologien nicht Jahrzehnte im Voraus identifizieren kann

(Karl, Wink 2006:275-276). Von Hayek (1978) führt dies vor allem auf

das Informationsdefizit des Staates zurück, der in der Regel nicht über

die notwendigen Informationen verfügt. Demnach sollte der Staat vie-

le verschiedene Technologien gleichermaßen fördern, nicht zuletzt

auch deshalb, weil eine Bevorzugung einer Technologie, etwa aus in-

dustriepolitischen Motiven, zugleich immer auch eine Diskriminie-

rung anderer technologischer Entwicklungen bedeutet (Kronberger

Kreis 2009:34).

Mit der höchst privilegierten EEG-Förderung der Photovoltaik, die in

Deutschland mit Abermilliarden Euro in exorbitantem Ausmaße geför-

dert wird, geschieht indessen das Gegenteil: Der Staat maßt sich mit der

drastischen Überförderung der Photovoltaik nicht vorhandenes Wissen

an. Die Photovoltaik erhält im Vergleich zum damit erzielten Stromout-

put mit Abstand die meisten Subventionen (Frondel, Ritter, Schmidt,

Vance 2010a:116): Für alle zwischen 2000 und 2010 in Deutschland in-

stallierten Photovoltaikmodule belaufen sich die Nettokosten real auf

rund 81,5 Mrd. Euro (Frondel, Ritter, aus dem Moore, Schmidt 2011)).

143

Mit ihrer Erneuerbaren-Politik verstößt auch die Kommission ge-

gen das Prinzip der Technologieoffenheit einer guten F&E-Förderung

in eklatanter Weise. Mittels symbolischer Ziele, deren Zielwerte nicht

das Resultat rationaler Optimierungsüberlegungen sind, sondern of-

fenkundig mit dem Zieljahr zusammenhängen, wie dies etwa beim

20-%-Anteil der Erneuerbaren für das Jahr 2020 der Fall ist, soll der

Ausbau der erneuerbaren Energietechnologien vorangetrieben wer-

den, obwohl diese Privilegierung der Erneuerbaren bei einer Koexis-

tenz mit dem Emissionshandel nicht durch die Beseitigung negativer

externer Klimaschutzeffekte gerechtfertigt werden kann.

Wenn die Kommission mit ihrem Erneuerbaren-Ziel für 2020

eine Technologieförderung im Sinn hat, so sollte außerdem die

Wahl des Förderinstruments nicht den Mitgliedsländern überlassen

bleiben. Besonders ineffektiv ist diesbezüglich das in Deutschland

verwendete Einspeisevergütungssystem, bei dem die Forschung

und Entwicklung (F&E) lediglich auf indirekte Art gefördert wird. In

Deutschland hat dies in der Praxis nicht zu hohen Forschungsauf-

wendungen der durch das EEG begünstigten Unternehmen geführt:

Obwohl sich die EEG-Vergütungen zwischen 2000 und 2009 mehr

als verzehnfacht haben und von etwa 0,9 auf rund 10 Mrd. Euro ge-

stiegen sind (BDEW 2001, 2009), waren die Ausgaben der Privatwirt-

schaft für die Energieforschung in Deutschland allgemein rückläufig.

Investierte die Wirtschaft im Jahr 1991 noch etwa 503 Mio. Euro in

die Energieforschung, so waren es im Jahr 2007 nur noch 139 Mio.

Euro (BMWi 2010). Im Vergleich zu den Vergütungen für erneuerbare

Energien von 7,6 Mrd. Euro im Jahr 2007 sind 139 Mio. Euro ein gerin-

ger Betrag, welcher nicht einmal der Erforschung regenerativer Tech-

nologien allein diente, sondern der Forschungsförderung sämtlicher

Energietechnologien.

Dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Bereich

erneuerbare Energien sowohl in absoluter Höhe wie auch in Relation

zu den erzielten Umsätzen gering ausfallen, wird durch Zahlen zu den

144

Erfolgsträchtigere Alternativen

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

Forschungsausgaben von Photovoltaikunternehmen bestätigt. Die

beiden größten deutschen Solarunternehmen, Q-Cells und Solarworld,

gaben im Jahr 2009 mit 26,5 Mio. Euro bzw. 12,0 Mio. Euro lediglich

rund 1,2% bzw. 3,3% ihres Umsatzes für Forschung aus (Breyer 2010).

Damit liegen diese noch vergleichsweise jungen Unternehmen weit

hinter den F&E-Ausgaben traditioneller Firmen zurück. Siemens etwa

investierte im Jahr 2008 mit 3,8 Mrd. Euro etwa 4,9% des Umsatzes in

Forschung und Entwicklung, während Unternehmen aus dem Gesund-

heitsbereich üblicherweise sehr hohe Forschungsausgaben tätigen. So

investierte Roche 5,6 Mrd. Euro bzw. bis zu 19,4% ihres Umsatzes des

Jahres 2008 in F&E (Booz & Company 2009).

Auch die Deutsche Physikalische Gesellschaft kritisiert in ihrer

Studie vom Juni 2010, dass trotz des massiv über das EEG unterstütz-

ten Marktes die F&E-Intensität der Photovoltaikindustrie in den ver-

gangenen Jahren von 2 % auf unter 1,5 % des Umsatzes gesunken ist,

wohingegen forschungsintensive Unternehmen wie große Pharmaun-

ternehmen eine Forschungsintensität von 15 – 20 % aufweisen; Firmen

der Computerbranche wie Intel oder Microsoft haben entsprechende

F&E-Quoten von 15,2 % bzw. 13,8%. Zudem konzentrierten sich die ge-

ringen F&E-Aktivitäten der Solarbranche vorwiegend auf fertigungs-

nahe Aspekte (DPG 2010:102).

Anstatt zur Technologieförderung, zu der die Finanzierung von

Prototypen genügt (Kronberger Kreis 2009:34), wurden die Förder-

gelder für Erneuerbare folglich in weit überwiegendem Maße zur flä-

chendeckenden Verbreitung von Anlagen benutzt. Von der so geför-

derten Verbreitung von Anlagen profitieren neben den heimischen

auch ausländische Unternehmen. So stieg das 2001 gegründete chi-

nesische Unternehmen Suntech Power vor allem aufgrund der deut-

schen Einspeisevergütungen in die Weltspitze der Photovoltaikmo-

dulhersteller auf, während es in China bislang keine nennenswerte

Förderung gab. Einspeisevergütungssysteme wie das EEG verschaffen

der Konkurrenz offenkundig genau dieselben Chancen auf technolo-

145

gische Entwicklung und Export wie den heimischen Unternehmen.

Wenngleich dies unter Wohlfahrtsgesichtspunkten nicht negativ be-

wertet werden muss, entspricht dies nicht unbedingt der Zielsetzung

der Förderung.

Um die Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen zu verbessern,

wäre folglich jeder Staat gut beraten, wenn er direkt auf F&E-Förde-

rung setzen würde, anstatt auf die gießkannenartige und indirekte

Förderung mittels Einspeisevergütungen, von der ausländische Unter-

nehmen ebenso profitieren können und die nicht notwendigerweise

zu hohen Forschungsaufwendungen privater Unternehmen führen.

Entscheidend für die Erlangung tatsächlicher Wettbewerbsvorteile ist,

dass gezielte Anreize geboten werden, die zur Entwicklung besserer

Technologien führen. In dieser Hinsicht versagt ein Einspeisevergü-

tungssystem nahezu auf ganzer Linie, da es die Anreize für Innovatio-

nen weitgehend dadurch erstickt, dass jede Technologie Subventionen

entsprechend ihres Wettbewerbsdefizits erhält.24

Die Internationale Energieagentur (IEA 2007:74,77) schlägt daher

in ihrem Länderbericht zur Energiepolitik Deutschlands vor, andere

24 Auch mit dem immer wieder angeführten Argument des First-Mover-Vorteils von Ländern, die im weltweiten Markt frühzeitig Fuß fassen und sich so vermeintlich langfristige Vorteile verschaffen könnten, ist es nicht weit her. Dass dieses Argument wenig haltbar ist, zeigt aktuell das Beispiel Deutschlands, das die Photovoltaiktechnologie nun seit einer Dekade mittels Einspeisevergütungen fördert − seit 2005 in extrem steigendem Maße − und dennoch zunehmend mit der Dominanz der asiatischen Hersteller − vor allem aus China − auf dem Weltmarkt zu kämpfen hat. Obwohl die chinesischen Firmen sich keiner so exorbitanten nationalen Förderung erfreuen durften wie die deutschen Hersteller, konnten sich diese keinen entscheidenden Vorteil gegenüber den asiatischen Herstellern sichern. Im Gegenteil: Es ist wahrscheinlich, dass die hohen EEG-Vergütungen für Solarstrom eine Mitschuld an den Effizienznachteilen deutscher Unternehmen tragen, da die Anreize zu entsprechenden Effizienzanstrengungen gefehlt haben. Bei dem Argument des First-Mover-Vorteils sollte zudem bedacht werden, dass die Förderung der erneuerbaren Energietechnologien immer auch zu Lasten anderer Sektoren geht, die diese Vorreiterrolle mit zu finanzieren haben. Im Saldo betrachtet sind negative makroökonomische Effekte sehr wahrscheinlich, da produktive, wettbewerbsfähige Sektoren zugunsten der ansonsten nicht wettbewerbsfähigen Erneuerbaren-Branche geschwächt werden. Um ein Bild zu verwenden: Es ist wenig wahrscheinlich, dass Deutschland im ökonomischen Wettlauf um die höchsten Wachstumsraten unter den besten Ländern sein wird, wenn es seine schnellsten Läufer dazu verpflichtet, ihr Tempo zugunsten seiner weniger konkurrenzfähigen Läufer zu drosseln, um diesen als Wasserträger zu dienen.

146

Erfolgsträchtigere Alternativen

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

Instrumente als Einspeisevergütungen zur Förderung der Photovol-

taik zu benutzen, welche vorwiegend die Forschung und Entwicklung

dieser Technologie fördern und nicht deren flächendeckende Verbrei-

tung. Diesem Ratschlag sollte die Kommission folgen und zu einer

F&E-Förderung sämtlicher Energieumwandlungs- und -speichertech-

nologien übergehen, anstatt durch die Vorgabe symbolischer Ziele für

den Anteil der Erneuerbaren am Energiemix allein die Verbreitung

von erneuerbaren Energietechnologienanlagen zu forcieren. Dies

verhilft diesen Technologien nicht zu den entscheidenden internati-

onalen Wettbewerbsvorteilen, wie das Negativbeispiel der deutschen

Photovoltaikförderung zeigt.

Erfolgversprechender sollte ein Weg sein, bei dem die Kommissi-

on den Mitgliedsländern zur Energietechnologieförderung F&E-Aus-

gaben-Quoten in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) vorgibt.

Damit kann eine sehr viel stärkere Forschungsförderung erfolgen als

mit der Vorgabe von Erneuerbaren-Energien-Anteilen. Der Weg der

sukzessiven Steigerung der F&E-Ausgabenanteile für Energietechno-

logien dürfte wegen der damit verbundenen Spill-Over-Effekte gleich-

zeitig auch umso effektiver für die langfristige Senkung der globalen

Treibhausgasemissionen sein, je mehr Nachahmung das Beispiel welt-

weit findet. Der Weg zu einem globalen Abkommen mit Energiefor-

schungsförderungszielen dürfte dann nicht mehr weit sein.

147

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

7.

Anpassung an die globale ErwärmungZusätzlich zur Vermeidung von Emissionen gibt es die Möglichkeit,

den Folgen der Klimaerwärmung durch Anpassung zu begegnen. Be-

stehen die Folgen etwa in einer Zunahme der Häufigkeit und Intensität

von Stürmen, wofür es bislang allerdings keinen wissenschaftlichen

Beweis gibt (Bouwer 2010), kann eine Anpassungsreaktion seitens des

Staates in baurechtlichen, städtebaulichen und land- oder forstwirt-

schaftliche Maßnahmen bestehen.

Zu den Anpassungsprozessen können viele andere Maßnahmen

gehören, wie die Gewinnung neuer Anbauflächen und Siedlungsge-

biete in derzeit noch zu kalten Regionen, falls diese durch die globale

Erwärmung weniger unwirtlich werden, Änderungen in der landwirt-

schaftlichen Produktion, die Umsiedelung der Bevölkerung von Inseln,

die durch einen Meeresspiegelanstieg bedroht sind, oder eine Verbes-

serung der Malariaprävention.

Emissionsvermeidung und Anpassung sind selbstverständlich

keine Substitute hinsichtlich der Senkung von Emissionen.25 Wohl aber

25 Zwischen der Vermeidungs- und Anpassungsstrategie gibt es einen Zusammenhang, der bisher in der politischen Debatte wie auch in der ökonomischen Literatur wenig Beachtung gefunden hat (Tol 2005): Setzt ein Land verstärkt auf Anpassungsmaßnahmen und reduziert demzufolge seine Minderungsanstrengungen, könnte dies in Umkehrung der Argumentation von Abschnitt 3 dazu führen, dass die übrigen Länder höhere Vermeidungsbemühungen unternehmen und so höhere Kosten übernehmen. >>

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149

sind beide Strategien substitutiv, wenn es darum geht, die Folgekosten

der globalen Erwärmung zu minimieren. Denn man kann die Folge-

kosten entweder dadurch verringern, dass man weniger CO2 emittiert

oder dass man sich auf die mit dem CO2-Ausstoß verbundenen Folgen

besser einstellt (Beirat BMF 2010:26).

Die Anpassungsstrategie wurde bereits zu Beginn der Klimadebat-

te von Autoren wie William Nordhaus (1994) sehr ernsthaft diskutiert.

Wenngleich diese Strategie in der aktuellen Klimadebatte etwas im

Hintergrund steht, hat Deutschland erste wichtige Schritte in Rich-

tung einer umfassenderen Anpassungsstrategie übernommen (Beirat

BMF 2010:25). So wurden in der im Dezember 2008 beschlossenen

„Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel“ zahlreiche Be-

reiche wie die Landwirtschaft oder das Gebiet der Gesundheit identifi-

ziert, für die Bund und Länder bis 2011 einen detaillierten Aktionsplan

vorlegen sollen.

Der Grund ist, dass je nach Anpassungsmaßnahme diese ver-

nünftigerweise auf einer von vielen unterschiedlichen Ebenen ange-

siedelt sein sollte, entweder auf internationaler, nationaler, Länder-,

kommunaler oder gar individueller Ebene. So könnte es allein Sache

der Hauseigentümer sein, ihr Wohneigentum durch bauliche Maß-

nahmen individuell gegen Sturmschäden zu wappnen. Alternativ

oder ergänzend könnten entsprechende Versicherungen abgeschlos-

sen werden. Dieses Beispiel zeigt: Bei vielen Anpassungsmaßnahmen

kann davon ausgegangen werden, dass die individuellen Anpassungs-

entscheidungen auch sozial optimal sind und ein Staatseingriff nicht

Eine solche Strategie kann in Umkehrung der Argumentation von Abschnitt 5 ferner dazu führen, dass sich die Chancen für das Zustandekommen eines weltweiten Klimaabkommens verbessern: „Sollte es auf der Seite der weniger entwickelten und armen Länder unrealistisch hohe oder übertriebene Erwartungen hinsichtlich der tatsächlichen Opferbereitschaft der Industrieländer geben, kann eine sichtbare und konsequent verfolgte Anpassungsstrategie seitens der entwickelten Industrienationen diese Erwartungen korrigieren helfen und so zu einer internationalen Konsensfindung beitragen“ (Beirat BMF 2010:27).

>>

150

Anpassung an die globale Erwärmung

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

notwendig ist, da individuelle und kollektive Kosten-Nutzen-Kalküle

übereinstimmen.

„Wer sein Haus gegen vermehrt drohende Sturmschäden absi-

chert, berücksichtigt im Wesentlichen alle relevanten Vor- und Nach-

teile einer solchen Anpassungsmaßnahme. Hier muss und soll der

Staat in die individuellen Anpassungsmaßnahmen nicht eingreifen.

Lediglich wenn das individuelle vom kollektiven Kosten-Nutzen-Kal-

kül abweicht, ist der Staat in der Pflicht“ (Beirat BMF 2010:28). Dies ist

etwa bei der Erhöhung von Deichen zum Schutz aller Einwohner einer

Region vor den Folgen von Stürmen der Fall.

Im Vergleich zu Anstrengungen zur Emissionsminderung haben

Anpassungsmaßnahmen einige Vorteile. Erstens: Derjenige, der die

Kosten der Anpassungsmaßnahme zu tragen hat, wie etwa ein Haus-

besitzer, der die Dachbedeckung sturmtauglicher macht, hat den allei-

nigen oder zumindest den überwiegenden Nutzen davon. Im Gegen-

satz dazu trägt derjenige, der Minderungsmaßnahmen durchführt, die

vollen Kosten dafür, profitiert aber, wenn überhaupt, nur geringfügig

davon, während der Hauptnutzen auf alle diejenigen entfällt, die un-

ter der globalen Erwärmung etwas weniger zu leiden haben, falls diese

Maßnahme sich als effektiv erweist.

Es gibt daher ein Übergewicht an potentiellen Nutznießern von

Minderungsmaßnahmen, während nur einige wenige die Kosten da-

für zu tragen haben. Der Anreiz zu Minderungsanstrengungen dürfte

demnach ungleich geringer sein als zur Durchführung von Anpas-

sungsmaßnahmen. Das fundamentale Dilemma des Trittbrettfahrer-

verhaltens, das die Chancen auf eine effektive Verringerung der globa-

len Treibhausgase gegen Null gehen lässt, tritt folglich bei einer Strate-

gie, die auf Anpassungsmaßnahmen setzt, nicht auf.

Zweitens: Bei Minderungsanstrengungen gibt es eine große zeit-

liche Divergenz von Kosten und potentiellem Nutzen: Während der

Nutzen dieser Maßnahmen sich erst sehr viel später zeigen wird, mög-

licherweise erst in Jahrzehnten, fallen die Kosten dafür unmittelbar

151

an, wenn sie heute ergriffen werden. Es ist eine höchst strittige gesell-

schaftliche Frage der Diskontierung, wie ein erst Jahrzehnte später an-

fallender Nutzen im Vergleich zu dem bereits heute anfallenden Kos-

tenaufwand zu bewerten ist (Nordhaus 2007, Weitzman 2007, Stern

2007). Ökonomisch zweifelsfrei ist lediglich, dass Aufwendungen von

einer Milliarde Euro für Treibhausgasreduktionen heute höhere Kos-

ten darstellen als eine Milliarde Euro für Anpassungsmaßnahmen in

20 Jahren.

Bei Anpassungsnahmen ist die zeitliche Diskrepanz zwischen Kos-

ten und Nutzen in der Regel weit geringer. So wird man Maßnahmen

zur Erhöhung von Deichen erst dann treffen, wenn absehbar ist, dass

bei einem weiteren Meeresspiegelanstieg die bestehende Deichhöhe

eventuell nicht mehr ausreicht. Ein wichtiger Vorteil der Anpassungs-

strategie ist folglich, dass kein jahrzehntelanger Vorlauf benötigt wird,

wie bei der Vermeidungspolitik (Beirat BMF 2010:30). Vielmehr kön-

nen Anpassungsmaßnahmen relativ zeitnah und als Reaktion auf sich

in ihrem Umfang vergleichsweise klar abzeichnende Umweltverände-

rungen ergriffen werden.

Drittens: Der Umfang der mit der globalen Erwärmung einher-

gehenden Schäden ist gegenwärtig noch mit einer sehr hohen Unsi-

cherheit behaftet. Wegen der potentiell irreversiblen Folgen des CO2-

Ausstoßes müsste die Politik im Prinzip möglichst früh reagieren und

Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen ergreifen. Denn: Lässt

man ein zu hohes Emissionsniveau zu, wobei derzeit höchst unklar ist,

was zu hoch bedeutet, könnten eventuelle gravierende Folgeschäden

nicht mehr vermieden werden. Daher könnte die Politik geneigt sein,

frühzeitig relativ hohe Vermeidungsanstrengungen zu unternehmen.

Dies könnte sich als Fehler herausstellen, wenn die Folgeschä-

den weitaus kleiner als erwartet ausfielen. Zu warten, bis sich die Un-

sicherheit über die Folgeschäden reduziert hat, wäre in diesem Fall

kostensparend gewesen. Aus Sicht der Politik könnte es sich folglich

lohnen, klimapolitische Maßnahmen in die Zukunft zu verschieben,

152

Anpassung an die globale Erwärmung

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

falls die Unsicherheit über die Folgeschäden durch weitere Forschung

nach und nach verringert werden könnte. Diese Strategie des Abwar-

tens könnte die Gesellschaft aber im schlimmsten Fall teuer zu stehen

kommen.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma stellt die Anpassungsstrategie

dar, die es zumindest teilweise gestattet, die Kosten sparende Option

zu ergreifen, mit Gegenmaßnahmen zu warten, da man durch Anpas-

sungsmaßnahmen schwerwiegende Folgen auch noch in Zukunft ver-

ringern kann (Beirat BMF 2010:29). Diese Option spart deshalb Kosten,

weil sie der Politik erlaubt, heute auf teure Vermeidungsmaßnahmen

zu verzichten, um im Eventualfall hohe künftige Folgeschäden durch

entsprechend umfangreiche Anpassungsmaßnahmen zu bekämpfen.

Viertens: Es besteht in der Wissenschaft Einigkeit darüber, dass

die globale Erwärmung Verlierer, aber auch Gewinner hervorbringt

(Tol 2010). Anpassungsmaßnahmen werden indessen nur diejenigen

ergreifen, die von der globalen Erwärmung negativ betroffen sind.

Denjenigen Regionen, die von der globalen Erwärmung profitieren,

bleiben bei einer Anpassungsstrategie die Vorteile erhalten. Im Ge-

gensatz dazu werden durch Minderungsanstrengungen eventuell die

negativen, aber auch die positiven Auswirkungen einer globalen Er-

wärmung verringert.

Während es nichtsdestoweniger unklar ist, ob es am Ende nicht we-

sentlich teurer kommt, allein auf Anpassungsmaßnahmen zu setzen,

als im Falle, dass ausschließlich Anstrengungen zur Emissionsminde-

rung ergriffen werden, würde sich die reine Anpassungsstrategie letzt-

lich in zwei Fällen als überlegen erweisen: Falls es sich herausstellen

sollte, dass Treibhausgase und die anthropogene Beeinflussung ihrer

Konzentration in der Atmosphäre entgegen den jetzigen, nicht gesi-

cherten Erkenntnissen nur einen geringfügigen Einfluss auf die globa-

le Erwärmung haben und diese weitgehend durch nicht-anthropogene

Ursachen gesteuert wird, könnte es zum einen sein, dass es zu weit

geringeren Auswirkungen auf das Klima kommt, als die heutigen Kli-

153

mamodelle vorhersagen. In diesem Falle würden kaum oder gar keine

Anpassungsmaßnahmen erforderlich sein und die Kosten dafür ent-

sprechend gering sein oder gar nicht anfallen. Zum anderen könnten

die nicht-anthropogenen Ursachen zu ähnlichen oder gar noch gravie-

renderen Auswirkungen führen als von den heutigen Klimamodellen

vorhergesagt wird. Dann sind Anpassungsmaßnahmen die adäquatere

Antwort, wohingegen Minderungsmaßnahmen in diesem Fall weitge-

hend nutzlos und im ersten Fall sogar überflüssig wären.

154

Anpassung an die globale Erwärmung

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

8.

Zusammenfassung und SchlussfolgerungKlimapolitik ist eindeutig eine ökonomische Angelegenheit: Böhrin-

ger et al. (2010) schätzen, dass die Klimapolitik der Kommission die

EU-Staaten im Jahr 2020 zwischen 1 und 4 % an Wohlfahrt kosten

könnte. Eine gute Klimapolitik orientiert sich grundsätzlich am Prin-

zip des rationalen Mitteleinsatzes. Demnach sollte ein Ziel wie die

Vermeidung der negativen Folgen der globalen Erwärmung mit mög-

lichst geringen volkswirtschaftlichen Kosten umgesetzt werden. In der

Regel wird diesem Prinzip am ehesten ein Mix an kosteneffizienten

Maßnahmen gerecht, der sich sowohl aus Anstrengungen zur Treib-

hausgasminderung zusammensetzt, die bis zu einem gewissen Maße

durchgeführt werden, als auch aus Maßnahmen zur Anpassung an die

globale Erwärmung.

Übermäßige Anstrengungen zur Vermeidung von Treibhausga-

sen sollten sich hingegen als ineffizient erweisen, vor allem, wenn nur

ein Teil der bedeutendsten Staaten sich dazu verpflichtet (Nordhaus

2009:51): Kosten-Nutzen-Analysen von Maßnahmen zur Treibhaus-

gassenkung zeigen in der Tat, dass diese lediglich in einem begrenz-

ten Umfang umgesetzt werden sollten (Tol 2010). So argumentiert

etwa Nordhaus (1993), dass die optimale Emissionsreduktionsrate

gegenüber einem Szenario ohne eine jegliche globale Klimapolitik

bei 10 – 15 % liegt. Demnach wäre die Klimapolitik der EU-Kommission

nicht optimal, da sie den Staaten der Europäischen Union bis zum Jahr

2020 eine Emissionsreduktion um 20 % gegenüber 1990 als Ziel ge-

155

setzt hat. Falls andere bedeutende Industrieländer sich zu ähnlichen

substantiellen Anstrengungen verpflichten, würde die Kommission

das Reduktionsziel für das Jahr 2020 sogar auf 30 % erhöhen.

Eine solche Vorreiterrolle der Kommission bei Treibhausgasmin-

derungsmaßnahmen wäre indessen nicht nur ineffizient, sie wäre so-

gar kontraproduktiv: Erstens werden West- bzw. Osteuropa von zahl-

reichen Studien als die Gewinnerregionen der globalen Erwärmung

angesehen (Tol 2010:16). So schätzt Maddison (2003), dass sich als Fol-

ge das BIP Westeuropas um 2,5 % erhöhen könnte.

Zweitens können die hohen selbst gesetzten Emissionsminde-

rungsziele dazu führen, dass andere Länder in ihren klimapolitischen

Anstrengungen nachlassen, statt diese zu erhöhen. Denn: Je mehr die

Europäische Union bereit ist zu tun, desto attraktiver wird es für die

übrigen Länder, selbst weniger zu vermeiden, da der Grenznutzen der

eigenen Anstrengungen mit den Bemühungen der EU sinkt. Eine kli-

mapolitische Vorreiterrolle der EU führt deshalb tendenziell zu hohen

Kosten, ohne dass eine entscheidende Reduzierung des globalen Emis-

sionsniveaus sichergestellt werden kann.

Drittens können die besonderen Anstrengungen der EU die

Chancen für das Zustandekommen eines globalen Abkommens ver-

schlechtern, da die Verringerung des verbleibenden Vorteils aus ei-

nem globalen Klimaabkommen dessen Zustandekommen unwahr-

scheinlicher machen. Klimaabkommen müssen aber darauf gerich-

tet sein, möglichst alle Länder mit einzuschließen. Teilabkommen

zwischen Ländern wie den EU-Mitgliedsstaaten führen hingegen aus

denselben Gründen wie besondere Anstrengungen einer Staaten-

gruppe wie der EU zu einem Nachlassen der Anstrengungen der üb-

rigen Länder. Wenn wichtige Länder sich nicht beteiligen, kann es da-

her sinnvoll sein, auf ein Abkommen zu verzichten, selbst wenn eine

Teilgruppe von Ländern sich einig sein sollte (Beirat BMF 2010:16), so

wie dies bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union weitgehend

der Fall ist.

156

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

All diese Argumente sprechen gegen einen Alleingang der Europä-

ischen Union, aber keinesfalls gegen Verhandlungen über ein effektives

weltweites Abkommen. Für ein globales Abkommen über Treibhaus-

gasrestriktionen stehen die Chancen allerdings denkbar schlecht. So

wird sich der weltweit größte Treibhausgasemittent China mit Sicher-

heit keinerlei Emissionsbeschränkung unterwerfen wollen, wenn diese

zulasten der wachsenden Prosperität dieses Landes gehen würde.

Zu Recht würde China stattdessen zuerst von denjenigen Ländern

ihren substantiellen Tribut verlangen, die in der Vergangenheit vor-

wiegend für den Anstieg der Treibhausgaskonzentration maßgeblich

verantwortlich waren. Mit dem ebenso berechtigten Hinweis auf die

geringe Effektivität verweigert der zweitgrößte Emittent, die USA, be-

reits heute einschneidende Vermeidungsmaßnahmen, falls Schwel-

lenländer wie China oder Indien sich nicht ebenfalls zu Minderungsan-

strengungen verpflichten, die den künftigen Anstieg ihrer Emissionen

deutlich dämpfen.

Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma besteht in Politik-

alternativen zur Auferlegung von Emissionsrestriktionen (The Hart-

well Paper 2010), bei denen die einzelnen Länder in erster Linie selbst

von den zu ergreifenden Maßnahmen profitieren und daher ein hohes

Eigeninteresse an deren Umsetzung haben. So dürfte ein weltweites

Abkommen über eine sukzessive Erhöhung der Ausgaben für die For-

schung und Entwicklung (F&E) von Energieumwandlungs- und -spei-

chertechnologien eine realistische Chance auf ein Zustandekommen

haben. Damit könnte man zwar nicht unmittelbar, so doch innerhalb

einiger Jahrzehnte Treibhausgasminderungen erzielen − möglicherwei-

se in massiver Weise, wie das Beispiel der Fusionstechnologie zeigt.

Auch bei Anpassungsmaßnahmen an die globale Erwärmung, wie

dem Bau oder der Erhöhung von Deichen, profitieren im Idealfall in

erster Linie diejenigen davon, welche die Kosten dafür zu tragen ha-

ben. Einer Strategie zur Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen

kommt eine besonders hohe Bedeutung zu, weil zum einen Anstren-

157

gungen zur Emissionsminderung letztendlich wenig Aussicht auf

Erfolg haben dürften und diese Strategie zum anderen zumindest

teilweise gestattet, die Kosten sparende Option zu ergreifen, mit Ver-

meidungsmaßnahmen zu warten und stattdessen auf die F&E-Förder-

strategie zu setzen. Denn: Durch Anpassungsmaßnahmen kann man

die schwerwiegendsten Folgen auch noch in Zukunft verringern. Diese

Option spart deshalb Kosten, weil sie der Politik erlaubt, heute auf teu-

re Vermeidungsmaßnahmen zu verzichten, um im Eventualfall hohe

künftige Folgeschäden durch Anpassungsmaßnahmen zu bekämpfen,

deren Umfang sich vergleichsweise genau an den sich abzeichnenden

Folgen orientieren kann.

In dasselbe Horn stößt Goklany (2009:35), der zeigt, dass eine fo-

kussierte Anpassungsstrategie, bei der etwa Malaria direkt bekämpft

wird, anstatt mit Vermeidungsmaßnahmen den Klimawandel und so-

mit indirekt die damit verbundene Verbreitung von Malaria mildern

zu wollen, bei weitem einen größeren Nutzen haben würde als gar die

intensivste Vermeidungsstrategie − und dies zu weitaus geringeren

Kosten von lediglich einem Fünftel der Belastungen, die durch die Um-

setzung des ineffektiven Kyoto--Protokolls zustande kommen (Goklany

2009:30). Während der Nutzen von Vermeidungsmaßnahmen wegen

der Unsicherheit der Wirkungen, die mit dem Klimawandel verbunden

sind, ebenfalls höchst ungewiss ist und sich erst nach Jahrzehnten he-

rausstellen wird, gibt es keinen Zweifel, dass fokussierte Anpassungs-

maßnahmen zur Bekämpfung sehr drängender aktueller und schwer-

wiegender Probleme wie Malaria, Hungersnöte und Überschwemmun-

gen ganzer Küstenregionen in kürzester Zeit und mit großer Sicherheit

einen weitaus größeren Nutzen stiften (Goklany 2009:25), da diese

Geißeln der Menschheit derzeit ungleich höhere Schäden verursa-

chen als der häufig in unzutreffender Weise als höchst gravierend dar-

gestellte Klimawandel.

158

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Die EU-Klimapolitik: Teuer und ineffektiv

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Ross McKitrickManuel Frondel

Steffen HentrichHolger Krahmer

Die Autoren

Die Herausgeber

Die Autoren und Herausgeber

Ross McKitrickRoss McKitrick ist Professor der Wirtschaftswissenschaften (Umwelt-

ökonomie) an der University of Guelph in Ontario. Außerdem ist

er Senior Fellow des Fraser Institute in Vancouver, ein Mitglied des

Academic Advisory Boards des John Deutsch Institute in Kingston,

Ontario und der Global Warming Policy Foundation in London, Groß-

britannien.

Seine Forschungsinteressen erstrecken sich auf das Modellieren

des Verhältnisses zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Schad-

stoffemissionen, das Design von Regulierungsmechanismen sowie

auf verschiedene Aspekte der Wissenschaft und der Politik der glo-

balen Erwärmung. Seine Forschungsergebnisse wurden in führen-

den wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht, wie dem Journal

of Environmental Economics and Management, Energy Economics,

Economic Modeling, dem Canadian Journal of Economics, Empirical

Economics, dem Energy Journal sowie Environmental and Resource

Economics. Seine physikalischen Forschungsergebnisse erschienen in

Zeitschriften wie dem Journal of Geophysical Research, den Geophysi-

cal Research Letters, den Atmospheric Science Letters, dem Journal of

Non-Equilibrium Thermodynamics and den Proceedings of the Natio-

nal Academy of Sciences.

Er ist Autor des Lehrbuchs „Economic Analysis of Environmental

Policy” (University of Toronto Press 2010) und veröffentlichte 2002 zu-

sammen mit Christopher Essex von der University of Western Ontario

das Buch „Taken by Storm: The Troubled Science, Policy and Politics of

Global Warming” (2. überarbeitete Auflage 2008), ausgezeichnet mit

dem Donner Prize for the Best Book on Canadian Public Policy.

169

Manuel FrondelProf. Dr. Manuel Frondel ist Diplom-Physiker und Diplom-Wirtschafts-

ingenieur und führt seit 2003 die Forschungsabteilung für Umwelt

und Ressourcen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschafts-

forschung (RWI). Seit 2009 ist er Professor für Energieökonomik und

angewandte Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum. Von 2001

bis 2003 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Euro-

päische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim und Professor in

Teilzeit an der Hochschule Heilbronn. Er hat an der wirtschaftswissen-

schaftlichen Fakultät der Universität Heidelberg promoviert.

Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Umwelt-, Res-

sourcen- und Energieökonomik. Prof. Frondel hat in führenden Zeit-

schriften, wie der Review of Economics and Statistics und den Econo-

mic Letters, Beiträge veröffentlicht.

170

Die Autoren und Herausgeber

Die Autoren und Herausgeber

Steffen HentrichSteffen Hentrich ist Referent am Liberalen Institut der Friedrich-

Naumann-Stiftung für die Freiheit in Potsdam. Nach seinem Studium

der Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Universität Berlin

war er Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsforschung in Halle und

arbeitete für mehrere Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim

Sachverständigenrat für Umweltfragen. Er hat sich auf Umwelt- und

Ressourcenfragen spezialisiert.

171

Holger KrahmerHolger Krahmer wurde 1970 in Leipzig geboren. Nach der Schulzeit

und einer Berufsausbildung zum Instandhaltungsmechaniker be-

gann er 1990 seine berufliche Laufbahn als Bankkaufmann bei der

Commerzbank AG. Seit 1993 ist er Mitglied der FDP und seit 2004 Vor-

stand der GANOS Kaffee-Kontor & Rösterei AG in Leipzig.

Im Juni 2004 wurde er erstmals in das Europäische Parlament ge-

wählt. Er ist Mitglied des Parlamentsausschusses für Umwelt, Volksge-

sundheit und Lebensmittelsicherheit und stellvertretendes Mitglied

im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie. Als Berichterstat-

ter des Parlaments bzw. der liberal-demokratischen Fraktion ALDE war

er federführend an EU-Gesetzgebungen unter anderem zur Luftrein-

haltung, zur Minderung von CO2-Emissionen und der Arzneimittel-

zulassung beteiligt. So arbeitete er an den EU-Richtlinien für Luftqua-

lität, Industrieemissionen, an Luftschadstoffnormen für Pkw, leichte

Nutzfahrzeuge sowie schwere Lkw und Busse. Auch an der Richtlinie

zur Einbeziehung des Luftverkehrs in den CO2-Emissionshandel und

der Verordnung zur Vermeidung von Arzneimittelfälschungen war er

federführend beteiligt.

Im Jahr 2010 veröffentlichte er die viel diskutierte Schrift „Unbe-

queme Wahrheiten über die Klimapolitik und ihre wissenschaftlichen

Grundlagen“.

172

Die Autoren und Herausgeber

ISBN 978-3-00-036040-4 | Print

ISBN 978-3-00-036041-1 | eBook

Wissenschaftler, Medien und Politiker scheinen sich einig: Der Klimawandel ist Realität und der Mensch ist schuld daran. Es muss etwas geschehen – koste es, was es wolle. Doch der Schein trügt: Noch steckt die Klimaforschung in den Kinderschuhen, kämpft mit ungenauen Daten und einer Natur, die sich auch mit den komplexesten Modellen nicht zufriedenstellend beschrei-ben lässt. Zukunftsprognosen bleiben Kaffeesatzleserei.

Angesichts dieser Unsicherheiten zerbrechen sich die Experten den Kopf, wie dem Problem Herr zu werden ist. Für die einen steht das Klima und damit die Zukunft von Natur und Mensch-heit auf dem Spiel, die anderen sehen in klimapolitischem Ak-tionismus eine Gefahr für Wohlstand und Entwicklung. Folglich wird auf dem Basar der internationalen Klimapolitik von der Be-schleunigung des grünen Wachstumsmotors bis zum kräftigen Tritt auf die Klimaschutzbremse alles feilgeboten. Kein Wunder, dass die Verhandlungen feststecken.

Nur ein Realitätscheck kann die Situation noch retten. Die Wirt-schaftswissenschaftler Ross McKitrick und Manuel Frondel decken unangenehme Wahrheiten auf und weisen einen Weg aus der Sackgasse der Klimapolitik.