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AWO Bezirksverband Württemberg e.V. 25.09.2018 1 Rechtliche Verbindlichkeit von Expertenstandards Pflegepraxis und Recht ein Spannungsfeld? Die Rolle der Expertenstandards für eine rechtssichere Pflegepraxis 1. Deutscher Pflege-Rechts-Tag (DPRT) – 19.09.2018 - Saarbrücken

Rechtliche Verbindlichkeit von Expertenstandards AWO ... · Ulrich Rommel - AWO Sozial gGmbh . AWO Bezirksverband Württemberg e.V. 25.09.2018 32 Haftungsrecht Folgende Anspruchsvoraussetzungen

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25.09.2018 1

Rechtliche Verbindlichkeit von Expertenstandards

Pflegepraxis und Recht ein Spannungsfeld?

Die Rolle der Expertenstandards für eine rechtssichere Pflegepraxis

1. Deutscher Pflege-Rechts-Tag (DPRT) – 19.09.2018 - Saarbrücken

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Zur Person

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Seniorenzentrum Weststadt

1. 84 stationäre Plätze

2. 4 Kurzzeitpflegeplätze

3. Interkulturelle Tagespflege mit 12 Plätzen

4. Interkultureller (ambulanter) Pflegedienst

5. Beratungsstelle (in Kooperation mit ulmer heimstätte eG)

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Agenda

1. Expertenstandards

2. Qualitätsbegriff

3. Expertenstandard - Berufsrecht

4. Expertenstandard - Strafrecht

5. Expertenstandard - Sozialrecht

6. Expertenstandard - Zivilrecht

7. Conclusio

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Keine Angst!

„Als Pflege(fach)kraft steht man schon mit einem Bein im Gefängnis.“

Aber:

In den letzten 20 Jahren gab es nur einige wenige Urteile in denen Pflegekräfte direkt betroffen waren /verurteilt wurden

Zumeist keine „Pflegefehler“, sondern schwere „Straftaten“

Botschaft:

Expertenstandards befreien von einer angstgetriebenen Pflege

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Expertenstandards und Recht

Zwei Fundstellen:

1. § 113a SGB XI Expertenstandards zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege (1) Die Vertragsparteien nach § 113 stellen die Entwicklung und Aktualisierung wissenschaftlich fundierter und fachlich abge-stimmter Expertenstandards zur Sicherung und Weiterentwick-lung der Qualität in der Pflege sicher. Expertenstandards tragen für ihren Themenbereich zur Konkretisierung des allgemein anerkannten Standes der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse bei.

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Expertenstandards und Recht

2. Prüfanleitung zum Erhebungsbogen zur Prüfung der Qualität nach den §§ 114 ff. SGB XI in der stationären Pflege (QPR)

Auch wenn die bisherigen Expertenstandards des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege keine direkte gesetzlich definierte Verbindlichkeit nach § 113a SGB XI für die Pflegekräfte und Pflegeeinrichtungen entfalten, können die Ex-pertenstandards dennoch als „vorweggenommene Sachver-ständigengutachten“ gewertet werden, die bei juristischen Auseinandersetzungen als Maßstab zur Beurteilung des aktu-ellen Standes der medizinisch-pflegewissenschaftlichen Er-kenntnisse herangezogen werden.

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Expertenstandards und Recht

Was gute bzw. rechtskonforme Pflege ist, kann aus juris-tischer Sicht nur fachwissenschaftlich und außerrechtlich erfolgen

Juristische Entscheidungen benötigen eine Pflegefach-liche vorrechtliche Definition als Grundlage

Der Rahmen für diese Definition wird durch die Gesetz-gebung festgelegt (Generalklausel)

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Expertenstandards Definitionen

WHO:

Ein Standard in der Pflege ist ein „vereinbartes Maß an für einen bestimmten Zweck benötigter pflegerischer Betreuung“.

(…) Expertenstandards stellen (…) ein professionell abgestimmtes Leistungsniveau dar, das dem Bedarf und den Bedürfnissen der damit angespro-chenen Bevölkerung angepasst ist und Kriterien zur Erfolgskontrolle dieser Pflege miteinschließt.

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Definitionen DNQP

Die nationalen Expertenstandards des DNQP sind evidenzbasierte, monodisziplinäre Instrumente, die den spezifischen Beitrag der Pflege für die gesundheitliche Versorgung von Patienten, Bewohnern und ihren Angehörigen aufzeigen und Grundlage für eine kontinuierliche Verbesserung der Pflegequalität in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen dienen.

Ihre Funktion besteht hauptsächlich darin, neben der Definition beruflicher Aufgaben und Verantwortung, eine evidenzbasierte Berufspraxis zu fördern und Innovation in Gang zu setzen. Darüber hinaus fördern sie – analog zu ärztlichen Leitlinien – die interprofessionelle Kooperation in den Gesundheitseinrichtungen

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Aufgabe der Expertenstandards

Qualitätssicherung:

Definierung beruflicher Aufgaben und Verantwortungen

Darstellung des aktuellen pflegerischen Wissens

Anpassung an die Bedürfnisse der betroffenen

Bevölkerungsgruppe

Zielsetzung und Kriterien zur Erfolgskontrolle der Pflege

Vorgabe von Handlungsspielräume und

Handlungsalternativen

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Aufgabe der Expertenstandards

Qualitätsentwicklung:

Innovationen in Gang zu setzen

Förderung einer evidenzbasierten Berufspraxis, beruflicher

Identität und Beweglichkeit

Grundlage für einen konstruktiven Dialog über

Qualitätsfragen mit anderen Gesundheitsberufen

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Formen von Expertenstandards

1. Expertenstandards des DNQP

2. Expertenstandards nach § 113a

Unterscheidung:

(1) Die Expertenstandards des DNQP sind monodisziplinäre Standards der Berufsgruppe der Pflegenden. Die Expertenstandards nach § 113a SGB XI sollen auch für weitere an der Pflege beteiligte Berufsgruppen gültig sein.

(2) Unterschiede im Verfahren von der Erarbeitung bis zur Gültigsetzung

Expertenstandards zur Sicherung und Weiterentwicklung in der Pflege nach § 113a SGB XI sind für zugelassene Pflegeeinrichtungen unmittel-bar verbindlich durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger.

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Expertenstandards

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Nationale Expertenstandards (DNQP)

Titel/Thema Erstellung 1.

Aktualisierung

2.

Aktualisierun

g

1. Dekubitusprophylaxe in der Pflege 2002 2010 2018

2. Entlassungsmanagement in der Pflege 2003 2009 In Arbeit 2018

Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten und

tumorbedingten chronischen Schmerzen in der Pflege

2004

3. Sturzprophylaxe in der Pflege 2005 2013

4. Förderung der Harnkontinenz 2006 2014

5. Pflege von Menschen mit chronischen Wunden 2007 2016

6. Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der

oralen Ernährung in der Pflege

2009 2017

7. Schmerzmanagement bei akuten Schmerzen in der Pflege 2011

8. Schmerzmanagement bei chronischen Schmerzen in der

Pflege

2015

9. Physiologische Geburt 2016

10. Erhaltung und Förderung der Mobilität 2017

11. Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit

Demenz

2018

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Verfahrensablauf

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Definition Pflege

„Die einzigartige Funktion der Pflege besteht darin, dem kranken oder auch gesunden Individuum bei der Verrichtung von Aktivitäten zu helfen, die seiner Gesundheit oder ihrer Wiederherstellung (oder auch einem friedlichen Sterben) förderlich sind und die es ohne Beistand selbst ausüben würde, wenn es über die dazu erforderliche Stärke, Willenskraft oder Kenntnis verfügte. Sie leistet ihre Hilfe auf eine Weise, dass es seine Selbständigkeit so rasch wie möglich wiedergewinnt“ (Henderson 1997)

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Häufigste Risiken und Pflegephänomene

1. Den Themengebieten des NBI zur Begutachtung der Pflegebe-dürftigkeit liegt die wissenschaftliche Analyse von (inter-) national bekannten Instrumenten zur Erfassung von Pflege- und Hilfebe-darf zugrunde.

2. Da die Risiken und Phänomene auf einem international breit ab-gesicherten Wissen zu bekannten Risikofaktoren bei Pflegebedürf-tigkeit basieren, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass ein Mensch mit Pflegebedarf in einem dieser Bereiche Probleme hat

3. Zu diesen Themenbereichen liegen von der Pflegewissenschaft entwickelte Expertenstandards vor, mit aktuellen Wissensbestän-den, als Quellen zur Orientierung für die pflegerische Praxis

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Häufigste Risiken und Pflegephänomene

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Expertenstandards und sonst nichts?

Lücken:

1. Selbstversorgung : u. a. Sich Kleiden und Stuhlkontinenz

2. Behandlungspflege

3. Teilhabe und Soziale Beziehungen

4. Psychiatrische Pflege

5. Hygiene/Nosokomiale Infektionen

6. Gesundheitsförderung

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Rechtsgebiete

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Rechtsgebiete

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Hierarchien der Rechtsnormen

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Generalklausel „arte-legis-Klausel“

§ 11 Abs. 1 SGB XI:

Die Pflegeeinrichtungen pflegen, versorgen und betreuen die Pflegebedürftigen, die ihre Leistun-gen in Anspruch nehmen, entsprechend dem all-gemein anerkannten Stand medizinisch-pflege-rischer Erkenntnisse.

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Expertenstandard vs. Berufsstandard

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Ein Berufsstandard stellt nur eine Moment-aufnahme dar, da Fachwissen der fortlaufen-den Veränderung unterworfen ist.

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Berufsrecht

§3 Berufsordnung für Pflegefachkräfte im Saarland

„Pflegefachkräfte sind verpflichtet, ihren Beruf entsprechend dem allgemein anerkannten Stand pflegewissenschaftlicher, medizinischer und weiterer bezugswissenschaftlicher Erkenntnisse auszuüben.“

Gleich: § 3 Abs. 1.1 Altenpflegegesetz und § 3 Abs. 1 Krankenpflegegesetz

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Berufsrecht

§6 Berufsordnung für Pflegefachkräfte im Saarland

„Fachkräfte sind verpflichtet Maßnahmen zur beruflichen Kompeten-zerhaltung zu ergreifen.“

1. Verpflichtung des Arbeitgebers dieses auf organisationaler Ebene zu gewährleisten, entbindet die einzelne Pflegfachperson nicht von ihrer individuellen Verpflichtung ihr Pflegefachwissen aktuell zu halten.

2. Die Schaffung einer verbindlichen Berufsordnung sollte in der Hand der Profession selbst liegen

3. Frage: Haften Gutachter, MDK-Prüfer oder begleitende Fachkräfte der Heimaufsicht, wenn sie gegen fachliche Standards verstoßen?

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Zivilrecht vs. Sozialrecht

Expertenstandards sind im Sozialrecht und Zivilrecht in gleicher Weise verbindlich, wenn sie die Voraussetzung für den Berufsstandard erfüllen.

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Sozialrecht

1. Generalklausel § 11 Abs.1, S.1 SGB XI

2. Expertenstandards nach § 113a SGB XI

3. Maßstäbe und Grundsätze (MuG) nach § 113 SGB XI

4. Rahmenverträge nach § 75 SGB XI auf Länderebene (z. B. Rahmenvertrag Saarland stationär §2 Abs. 2)

5. Versorgungsverträge nach § 72 SGB XI

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Zivilrecht

1. Heim-, Betreuungs- oder Behandlungsverträge zwischen Kunden und Leistungserbringer

2. Der Berufsstandard gilt als Zivilrechtlicher Standard indirekt über die Rahmenverträge und deren Verweis auf §§ 11 und 113 SGB XI oder direkt über Generalklausel im § 7 Abs.1 WBVG

§ 10 Rahmenvertrag Saarland (stationär):

…Der Vertrag nach dem WBVG gewährleistet, dass die in den Verträgen und Empfehlungen nach dem siebten und achten Kapitel des SGB XI zur Umsetzung des Sicherstellungsauftrages der Pflegekassen nach § 69 SGB XI getroffenen Regelungen nicht eingeschränkt werden.

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Leistung unterhalb des Standards

1. Ein Abweichen von den Expertenstandards „nach unten“ kann nur auf Wunsch des Bewohners/Klienten/Patienten und in Absprache mit ihm geschehen

2. Das Selbstbestimmungsrecht ist höher einzuschätzen, als die Anwendung und Umsetzung des Berufsstandards (Hierarchien der Rechtsnormen)

3. Aus Sicht des person-zentierten Ansatzes selbstverständlich, aus juristischer Sicht durchaus diskussionswürdig (z. B. Dekubitus, Zwangsernährung, etc.)

4. Aus rechtlicher Sicht ist dabei zu beachten: Der Entscheidungsprozess und die Beratung der Bewohnerin sind zu doku-mentieren und die Anzeichen für eine eventuelle Meinungsänderung müssen beobachtet werden

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Haftungsrecht

1. Im Haftungsrecht geht es selten um Haftungsansprüche gegen ein-zelne Pflegefachpersonen (deliktische Haftung), sondern zumeist um die Organisationshaftung (Haftung aus Vertrag oder deliktische Haftung).

2. Damit ein Schadensersatz geltend gemacht werden kann, müssen nach § 280 BGB Abs. 1 (Haftung aus Vertrag) durch den Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt werden und ein Schaden entstanden sein. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

3. Die deliktische Haftung einer Einzelperson ergibt sich aus § 823 BGB, für die deliktische Haftung eines Trägers (Organisationsverschulden) gilt § 831 BGB.

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Haftungsrecht

Folgende Anspruchsvoraussetzungen müssen gegeben sein, um Haftungs-

ansprüche geltend zu machen:

(1) Schaden – Es muss ein Schaden eingetreten sein

(2) Vertrag – Zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung muss ein Vertragsverhältnis zwischen Schuldner und Anspruchssteller bestanden haben

(3) Behandlungsfehler/Sorgfaltspflichtverletzung – Eine aus dem Vertrag resultierende Haupt- oder Nebenleistungspflicht muss durch den Schuldner verletzt worden sein

(4) Verschulden – Der Schuldner muss vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben

(5) Kausalität – Zwischen entstandenem Schaden und der Pflichtverletzung muss ein Ursachenzusammenhang bestehen

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Beweislasterleichterung und Beweislastumkehr

Prinzipiell gilt, dass der Anspruchssteller in der Beweispflicht ist, also tatsächlich beweisen muss, dass der Schaden tatsächlich vom Beschul-digten verursacht bzw. zu verantworten ist.

Unter bestimmten Voraussetzungen gilt aber Beweiserleichterung bzw. die Beweislastumkehr.

Gründe für eine Beweislastumkehr können folgende sein:

(1) Mangelhafte Dokumentation

(2) Einsatz nicht entsprechend qualifizierten Personals

(3) Der Schaden ist im voll beherrschbaren Herrschafts- und Organisationsbereich entstanden

(4) Grober Behandlungsfehler

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Beherrschbarer Herrschafts- und Organisationsbereich

Grundsätzlich haben Einrichtungen eine Obhuts- und eine Verkehrs-sicherungspflicht

Dazu gehören auch die Anwendung und Umsetzung von Experten-standards, sofern sie den zivilrechtlichen Standard abbilden

Schadensfall: Lag es im Einflussbereich der Einrichtung einen Schaden zu verhindern?

Wichtig im Ambulanten und teilstationären Bereich: Gab es für diesen Bereich einen Auftrag oder (Pflege-)Vertrag (Einflussbereich der Einrichtung)

grundlegenden Urteil zur Haftung bei einer Sturzverletzung des Bundesgerichtshof (BGH) aus dem Jahre 2005 (AZ: III ZR 399/04)

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Strafrecht

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Strafrecht

Wenn die Expertenstandards die Voraussetzungen als Berufsstandard erfüllen, gelten sie im Zivil- und Strafrecht als vorweggenommenes Expertengut-achten

Eine Nichtumsetzung oder Beachtung der Experten-standards stellt strafrechtlich eine Fahrlässigkeit und damit ein Verschulden dar

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Strafrecht

Das Strafrecht kommt im Bereich der Pflege nur in ganz geringem Umfang zum Tragen

Themen der Expertenstandards in Bezug zum Strafrecht:

Körperverletzung (z. B. Dekubitus, Wundbehandlung)

Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz

Freiheitseinschränkende Maßnahmen

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Remonstrationspflicht

Pflegefachkräfte haben die Pflicht Anordnungen von Ärzten oder auch

Vorgesetzten zu widersprechen, wenn diese Anordnungen dem aktuellen

Fachwissen widersprechen.

Beispiele:

1. Wundtherapie die nicht dem aktuellen Stand des Wissens entspricht

2. Kontraindizierte Hilfsmittel (z. B. Ringe oder Kunstfellschuhe zur Dekubitusprophylaxe)

3. Schmerzmedikation, die nicht dem WHO Stufenschema entspricht

4. erkennbare Über- oder Unterdosierung von Medikamenten

5. Verabreichung von Medikamenten, die kontrainzidiert sind oder Wechselwirkungen

haben

6. Trotz kontinuierlicher Gewichtsabnahme bei einer Ernährung über Sonde wird vom Arzt

weiterhin nur Nahrung mit 1000 kcal verordnet.

7. Gabe von Medikamenten durch Nicht-Fachkräften

8. Aufforderung/Anordnung von Vorgesetzten oder Angehörigen Freiheitseinschränkenden

Maßnahmen anzuwenden ohne dass eine richterliche Entscheidung vorliegt

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Andere Expertenstandards

1. Grundsatzstellungnahmen des MDS erfüllen nur teilweise die Bedingung für einen Experten-standard/Berufsstandard (fehlende Konsentierung/ allge-mein anerkannt, Aktualisierung)

2. Medizinische Leitlinien S3 Leitlinien können Bedingungen für einen Berufsstandard durchaus erfüllen, z. B. S3-Leitlinie „Schmerz Assessment bei älteren Menschen in der stationären Langzeitpflege“

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Conclusio

1. Expertenstandards repräsentieren über die Gültigkeit als Berufsstandard auch den jeweiligen juristischen Standard

2. Expertenstandards sind eine Momentaufnahme

3. Ein Abweichen/Unterschreiten des Niveaus der Expertenstandards bedarf einer spezifischen/individuellen Begründung

4. Expertenstandards müssen auf die individuellen Erfordernisse einer Einrichtung angepasst werden

5. Expertenstandards decken die Tätigkeiten innerhalb des Berufsfeldes der Pflege weitestgehend, aber nicht vollständig ab

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Literatur

1. Schiemann et al (2017): Qualitätsentwicklung in der

Pflege: Konzepte, Methoden und Instrumente

2. Hindrichs, Rommel (2018): Expertenstandards

praktisch anwenden: Im Kontext von Strukturmodell

und neuem Pflegebedürftigkeitsbegriff

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Vielen Dank für Ihre

Aufmerksamkeit

AWO Seniorenzentrum Weststadt Ulm

Magirusstraße 39

89077 Ulm

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