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Rechtsanwälte Paintner PartG mbB Erbrecht anschaulich erklärt mit Bildern und Beispielen von Rechtsanwältin Dr. Beate Paintner Rechtsanwälte Paintner PartG mbB

Rechtsanwälte Paintner PartG mbB · 2019-06-27 · Rechtsanwälte Paintner PartG mbB Erbrechtanschaulicherklärt mit Bildern und Beispielen von Rechtsanwältin Dr. Beate Paintner

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RechtsanwältePaintner PartG mbB

Erbrecht anschaulich erklärtmit Bildern und Beispielen

von

Rechtsanwältin Dr. Beate PaintnerRechtsanwälte Paintner PartG mbB

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Rechtsanwälte Paintner PartGmbBBischof-Sailer-Platz 42084028 Landshut

Sitz der Gesellschaft ist Landshut.Registernummer im Partnerschaftsrechister des AG Landshut: PR 52.

Dr. Beate und Florian Paintner sind in Deutschland zugelassene Rechtsan-wälte.

http://www.ra-paintner.de/Impressum.phpTel: +49-871-9311142

Zuständige Aufsichtsbehörde:Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München

©2017 Beate Paintner

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Vorwort

„Wenn ich tot bin, bekommt ja alles meine Ehefrau.“ Diesen Satzhören wir Anwälte oft. Meistens stimmt er jedoch nicht; jedenfalls dannnicht, wenn Sie kein Testament gemacht haben oder wenn Sie wederKinder, noch Eltern, Großeltern oder Geschwister hinterlassen. Ohneein Testament vererben Sie Ihr Vermögen nach dem Gesetz, namentlichdem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und dieses sogenannte gesetzlicheErbrecht ist komplexer als man meint.

Das gesetzliche Erbrecht ist so konzipiert, dass grundsätzlich die nächstenAngehörigen den Nachlass erhalten. Wenn man die Grundprinzipienverstanden hat, erschließt sich einem das System recht schnell. Allerdingslauern Fallstricke etwa wenn die Familienverhältnisse kompliziert sind.Auch spielt der Güterstand, in dem Eheleute gelebt haben, eine ent-scheidende Rolle, schnell wird da ein zusätzlicher Erbteil übersehen. DerTeufel steckt wie immer im Detail.

„Na dann mache ich halt ein Testament!“ mag da so mancher einwenden.Das ist prinzipiell eine gute Idee, aber auch hier lauern Fallstricke. Das vor-liegende Handbuch soll Ihnen deshalb einen Überblick über das Erben undVererben in Deutschland geben und Ihnen anschaulich erklären, worauf eszu achten gilt, egal ob Sie ein Testament verfassen oder die gesetzlicheErbfolge eintreten lassen. Auch für Erben und Pflichtteilsberechtigte solldas Buch erste Hilfe und Ratgeber sein. In diesem Heft sind nur einfacheKonstellationen dargestellt worden, um das System möglichst verständlichzu erläutern. Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie im Zweifel einen Rechts-anwalt um Rat, denn zumeist ist es besser, sich beraten zu lassen, bevores Streit gibt.

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Inhaltsübersicht

Erster Teil: Gesetzliches Erbrecht 1

§ 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

§ 2 Die gesetzliche Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Zweiter Teil: Testamentsrecht 26

§ 3 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

§ 4 Voraussetzungen für die Errichtung eines Testaments . . . . 28

§ 5 Formvorschriften für Testamente . . . . . . . . . . . . . . . 32

§ 6 Widerruf eines Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

§ 7 Die Auslegung von Testamenten . . . . . . . . . . . . . . . 42

§ 8 Die Anfechtung von Testamenten . . . . . . . . . . . . . . 44

§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments . . . . . . . . . . . . . . 46

§ 10 Das gemeinschaftliche Testament . . . . . . . . . . . . . . 60

§ 11 Nachfolgeplanung in besonderen Lebenssituationen . . . . . 66

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Inhaltsübersicht

§ 12 Aufbewahrung von Testamenten . . . . . . . . . . . . . . . 72

§ 13 Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

Dritter Teil: Vorweggenommene Erbfolge 75

§ 14 Schenkungen zu Lebzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

§ 15 Errichtung einer Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Vierter Teil: Pflichtteilsrecht 79

§ 16 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

§ 17 Pflichtteilsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

§ 18 Höhe des Pflichtteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

§ 19 Pflichtteilsergänzungsanspruch und Zusatzpflichtteil . . . . 86

Fünfter Teil: Nach dem Erbfall 92

§ 20 Die Erbauseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

§ 21 Ausschlagung der Erbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

§ 22 Haftung der Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

§ 23 Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis . . . . . . . . 100

VII

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Inhaltsverzeichnis

Erster Teil: Gesetzliches Erbrecht 1

§ 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2I. Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2II. Wer kann vererben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3III. Wer kann erben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

§ 2 Die gesetzliche Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5II. Verwandtenerbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

1. Erben erster Ordnung, § 1924 BGB . . . . . . . . 82. Erben zweiter Ordnung, § 1925 BGB . . . . . . . . 103. Erben dritter Ordnung, § 1926 BGB . . . . . . . . 124. Erbschaft bei mehrfacher Verwandtschaft, § 1927

BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145. Erben vierter und fernerer Ordnung, §§ 1928,

1929 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14III. Erbrecht des Ehegatten, § 1931 BGB . . . . . . . . . 17

1. Erbrecht bei Zugewinngemeinschaft . . . . . . . . 17a) Erbrecht neben Verwandten erster Ordnung . . . 18b) Erbrecht neben Verwandten zweiter Ordnung

oder Großeltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19c) Erbrecht neben sonstigen Verwandten . . . . . . 20d) Voraus des Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . 20

2. Erbrecht bei Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . 21

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Inhaltsverzeichnis

a) Erbrecht des Ehegatten neben Erben ersterOrdnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

b) Erbrecht des Ehegatten neben Erben zweiterOrdnung oder Großeltern . . . . . . . . . . . . . 21

c) Erbrecht des Ehegatten neben Großeltern undAbkömmlingen von Großeltern . . . . . . . . . . 22

3. Erbrecht bei Gütertrennung . . . . . . . . . . . . . 234. Deutsch-französische Wahlzugewinngemein-

schaft § 1519 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Zweiter Teil: Testamentsrecht 26

§ 3 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

§ 4 Voraussetzungen für die Errichtung eines Testaments . 28

§ 5 Formvorschriften für Testamente . . . . . . . . . . . . . 32I. Das eigenhändige Testament . . . . . . . . . . . . . . 32

1. Handschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332. Unterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343. Vorteile des eigenhändigen Testaments . . . . . . . 354. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

II. Das öffentliche Testament . . . . . . . . . . . . . . . 361. Niederschrift des Notars . . . . . . . . . . . . . . . 362. Übergabe einer Schrift . . . . . . . . . . . . . . . 363. Aufgaben des Notars . . . . . . . . . . . . . . . . 374. Vorteile des notariellen Testaments . . . . . . . . . 37

III. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37IV. Nottestamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

§ 6 Widerruf eines Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . 40I. Widerruf durch Testament . . . . . . . . . . . . . . . 40II. Widerruf durch Vernichtung oder Veränderung . . . . 41III. Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung . . . . . . . 41

§ 7 Die Auslegung von Testamenten . . . . . . . . . . . . . 42

§ 8 Die Anfechtung von Testamenten . . . . . . . . . . . . 44

IX

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Inhaltsverzeichnis

§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments . . . . . . . . . . . . 46I. Erbeinsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

1. Bestimmung eines oder mehrerer Erben . . . . . . 472. Bestimmung eines Ersatzerben . . . . . . . . . . . 483. Vor- und Nacherbschaft . . . . . . . . . . . . . . . 49

a) Zeitliche Begrenzung . . . . . . . . . . . . . . . 50b) Rechtsstellung des Nacherben . . . . . . . . . . 50c) Rechtsstellung des Vorerben . . . . . . . . . . . 51

II. Vermächtnis, Teilungsanordnung und Auflage . . . . . 521. Vermächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522. Teilungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 553. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

III. Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . 57IV. Ausschluss von der Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . 58

1. Enterbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582. Erbunwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583. Erbverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

§ 10 Das gemeinschaftliche Testament . . . . . . . . . . . . . 60I. Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60II. Möglicher Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61III. Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62IV. Das „Berliner Testament“ . . . . . . . . . . . . . . . . 62V. Wiederverheiratungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . 63VI. Pflichtteilsstrafklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

§ 11 Nachfolgeplanung in besonderen Lebenssituationen . . 66I. Der Lebensgefährte im Erbrecht . . . . . . . . . . . . 66II. Minderjährige als Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . 67III. Behinderte als Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67IV. Bedürftige oder Verschuldete als Erben . . . . . . . . 69V. Geschiedenentestament . . . . . . . . . . . . . . . . . 69VI. Unternehmensnachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . 69VII. Erbfälle mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . 71

§ 12 Aufbewahrung von Testamenten . . . . . . . . . . . . . 72

§ 13 Erbvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

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Inhaltsverzeichnis

Dritter Teil: Vorweggenommene Erbfolge 75

§ 14 Schenkungen zu Lebzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

§ 15 Errichtung einer Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Vierter Teil: Pflichtteilsrecht 79

§ 16 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

§ 17 Pflichtteilsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

§ 18 Höhe des Pflichtteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

§ 19 Pflichtteilsergänzungsanspruch und Zusatzpflichtteil . . 86I. Pflichteilsergänzungsanpruch . . . . . . . . . . . . . . 86II. Zusatzpflichteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88III. Ausschluss des Pflichtteilsrechts . . . . . . . . . . . . 89IV. Pflichtteil vermeiden oder reduzieren . . . . . . . . . . 90

Fünfter Teil: Nach dem Erbfall 92

§ 20 Die Erbauseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . 93

§ 21 Ausschlagung der Erbschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 96

§ 22 Haftung der Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

§ 23 Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis . . . . . . 100I. Erbschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100II. Europäisches Nachlasszeugnis . . . . . . . . . . . . . . 101

XI

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Erster Teil:

Gesetzliches Erbrecht

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§ 1 Einführung

I. GrundbegriffeWenn ein Mensch stirbt gibt es immer „Vermögen“, das er hinterlässt, 1denn auch wenn er Schulden hat, sind diese Vermögen – eben negativesVermögen. Das deutsche Recht lässt es nicht zu, dass Vermögen nie-mandem zugeordnet werden kann. Es muss daher für jeden Menscheneinen „Nachfolger“ geben, der in die Rechte und auch die Pflichten(!) des Verstorbenen eintritt. Dieser sogenannte Rechtsnachfolger,erhält sämtliche Rechte und Pflichten des Verstorbenen automatisch imAugenblick des Todes. Dies nennt man Gesamtrechtsnachfolge oder auchUniversalsukzession. Geregelt ist die Gesamtrechtsnachfolge in §1922Abs. 1 BGB.

In §1922 Abs. 1 BGB sind auch einige grundlegende Begriffe des Erbrechts 2gesetzlich definiert. In Gesetzen sind solche Definitionen immer dadurchgekennzeichnet, dass der definierte Begriff in Klammern gesetzt wird. Soheißt es in §1922 Abs. 1 BGB:

Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen(Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen(Erben) über.

Den Verstorbenen nennen Juristen „Erblasser“. Wenn Sie sich diesenBegriff schlecht merken können, hilft Ihnen vielleicht folgende etwasmakabere Eselsbrücke: Betonen Sie den Begriffe nicht Erb-lasser sondernEr-blasser. In den folgenden Skizzen sind daher auch die Köpfe vonErblasser und bereits vor dem Erblasser verstorbenen Personen blass.

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§ 1 Einführung

Sobald also ein Mensch stirbt, gibt es einen Erbfall und sobald es einen 3solchen Erbfall gibt, gibt es auch einen Erben. Wenn der Erblasser keinTestament gemacht hat und auch von den im Gesetz genannten Erbenniemand mehr vorhanden ist, erbt der Staat (§1936 Abs. 1, Satz 1 BGB).

Für das Erbrecht ist nicht geregelt, wann genau ein Mensch tot ist. In der 4Regel wird man von Herz- und Kreislaufstillstand ausgehen und für denFall einer künstlichen Beatmung und künstlicher Aufrechterhaltung desKreislaufs vom sogenannten Hirntod.1 Aus dem Blickwinkel des Gesetzessteht es diesem medizinisch feststellbaren Tod gleich, wenn eine formelleTodeserklärung erstellt wird. Dann wird vermutet, dass die betreffendePerson zu dem in der Erklärung angegebenen Zeitpunkt verstorben ist.

II. Wer kann vererben?Vererben können nur Menschen, denn Voraussetzung für das Vererben ist 5das Sterben. Juristische Personen (Bsp. GmbH) oder handelsrechtlichePersonengesellschaften (Bsp. OHG) können nicht sterben und daher auchnicht vererben. Die Rechtsnachfolge nach ihnen richtet sich daher nachdem Vereins- und Gesellschaftsrecht.

III. Wer kann erben?Juristische Personen können aber Erbe sein. Zwar heißt es in §1923 6Abs. 1, dass Erbe sein kann, wer zur Zeit des Erbfalles „lebt“; maßgeblichist jedoch dass die Person (juristische oder natürliche Person) rechtsfähigist. Erbe kann übrigens auch sein, wer zum Zeitpunkt des Todes schongezeugt aber noch nicht geboren war. Voraussetzung ist lediglich, dass erspäter lebend geboren wird (§1923 Abs. 2 BGB). Ihr ungeborenes Kind,

1 Der Begriff des Hirntodes ist nicht ganz unumstritten. Eine medizinisch und juristischkonkrete und unangreifbare Definition des Todeszeitpunktes ist jedoch wohl einfach nichtmöglich.

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§ 1 Einführung

ist also erbberechtigt!

Selbstverständlich kann niemand erben, der selbst bereits verstor- 7ben ist. Problematisch kann dies werden, wenn Erblasser und Erbescheinbar gleichzeitig versterben. Hier kommt es auf den exakten To-deszeitpunkt beider an. Wenn nicht festgestellt werden kann, wer zuerstverstorben ist, wird angenommen, dass beide gleichzeitig verstorben sind.2

Gesetzliche Erben können nur Verwandte des Erblasser und dessen 8Ehegatte sein (und der Staat, falls Verwandte und Ehegatte fehlen).Ein eingetragener gleichgeschlechtlicher Lebenspartner steht einemEhegatten erbrechtlich gleich. Ebenso gibt es heute keinen Unterschiedmehr zwischen ehelichen und unehelichen Kindern.

Erben mehrere Personen, so bilden sie eine Erbengemeinschaft nach §2032 9Abs. 1 BGB. Die Erbschaft wird gemeinsames Vermögen aller Erben. Erstwenn diese Gemeinschaft auseinandergesetzt wird, erhält jeder den ihmzustehenden Anteil.

2 Tatsächlich ist dies zwar kaum möglich, das Gesetz (§11 Verschollenheitsgesetz) fingierthier jedoch den Todeszeitpunkt, da die Situation ansonsten erbrechtlich nicht zu regelnwäre.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

I. EinführungDie gesetzliche Erbfolge tritt ein, wenn der Erblasser kein Testament 10gemacht hat. Das Vermögen einer Person soll nach ihrem Tod nicht„herrenlos“ sein, deshalb muss es gesetzliche Regelungen geben, aufwen die Erbschaft übergehen soll, wenn der Erblasser dies nicht selbstbestimmt hat.

Mögliche Erben eines Menschen werden im deutschen Erbrecht in 11Ordnungen und Stämme unterteilt. Die Verwandten des Erblasserswerden zunächst in verschiedene Ordnungen unterteilt. Ein Verwandtereiner vorrangigen Ordnung schließt alle Verwandten einer nachrangigenOrdnung aus (§1930 BGB). In den ersten drei Ordnungen gilt das Prinzipder Erbfolge nach Stämmen.

Für die Erben erster Ordnung gilt nach §1924 Abs. 3 BGB, dass zu 12einem Stamm jeweils die Abkömmlinge eines Erblassers zusammengefasstwerden, die durch ein und denselben Abkömmling mit dem Erblasserverwandt sind. Jedes Kind des Erblassers bildet daher mit seinenAbkömmlingen einen Stamm. Jeder Stamm ist zum gleichen Teil zurErbfolge berufen, egal wie viele Personen im Stamm vorhanden sind.Jeder Stamm wird von dem mit dem Erblasser am nächsten verwandtenAbkömmling vertreten. Dieser schließt seine Abkömmlinge von derErbschaft aus (Repräsentationsprinzip). Erst wenn dieser Repräsentantverstorben ist, treten seine jeweils nächsten Abkömmlinge in die Erbfolgeein (Eintrittsprinzip). Für die Erbschaft in der zweiten und drittenOrdnung gelten dieselben Prinzipien entsprechend. Jede erbberechtigte

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

Person bildet also mit ihren Abkömmlingen einen Stamm und schließtdiese von der Erbfolge aus. Erst wenn der Repräsentant verstorben ist,treten die jeweils nächsten Abkömmlinge in die Erbfolge ein.

Erben Eltern oder Großeltern so erben sie nach Linien, das heißt, es 13wird zwischen der väterlichen und der mütterlichen Linie unterschieden.Innerhalb der Linien gilt wiederum das Erbrecht nach Stämmen (§§1925,1926 BGB).

Dieses auf den ersten Blick vielleicht etwas verwirrende System wird im 14Folgenden bildlich dargestellt und dadurch hoffentlich etwas klarer. ZurVeranschaulichung werden folgende Figuren verwendet:

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

Erblasser

Ehefrau

Erben erster Ordnung

Erben zweiter Ordnung

Erben dritter Ordnung

Erben vierter und fernerer Ordnung

nicht Erbberechtigte

vorverstorbene Verwandte

erbberechtigtes Ungeborenes

testamentarische Erben

Pflichtteilsberechtigte

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

II. VerwandtenerbrechtAls Erben in Betracht kommen zunächst die Verwandten des Erblassers. 15Wir beginnen mit einem Erblasser; nennen wir ihn

Um die Grundprinzipien der gesetzlichen Erbfolge darzustellen, gehen wirzunächst davon aus, dass Erwin nicht verheiratet ist.

1. Erben erster Ordnung, § 1924 BGBErwin hat zwei Kinder – Ki- 16lian und Kira. In dieser Kon-stellation ist es unerheblich, obbeim Tod des Erwin noch El-tern, Geschwister, Großelternoder sonstige Verwandte leben.Seine Kinder sind Erben ersterOrdnung und schließen daheralle Erben anderer Ordnungenaus. Da Kinder zu gleichen Tei-len erben (§1924 Abs. 4 BGB),bekommen Kilian und Kira je1/2 des Nachlasses.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

Wenn nun Kilian oder Ki-ra ihrerseits Kinder haben,sind diese von der Erbfol-ge ausgeschlossen (Erbfol-ge nach Stämmen). Neh-men wir nun an, Kira hatzwei Kinder, ist aber be-reits vor Erwin verstorbenund Kilian hat ein Kind undlebt zur Zeit des Erbfallesnoch. Dann erbt Kilian 1/2,da er sein Kind von derErbfolge ausschließt. DieKinder von Kira erben dieandere Hälfte, bekommenalso je 1/4.

Angenommen Erwin hat vor seinem Tod ein weiteres Kind gezeugt, das 17nach seinem Tod lebend geboren wird, dann erbt auch dieses Kind – wirnennen es Nadja – neben Kilian und Kira. Alle drei Kinder bekommen also1/3.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

Hat Erwin ein Adoptivkind, so erbt auch dieses neben Kilian, Kira und 18Nadja wie ein leibliches Kind.

2. Erben zweiter Ordnung, § 1925 BGBHat Erwin keine Kinder, 19so sind die Erben zweiterOrdnung an der Reihe. Diessind die Eltern und deren Ab-kömmlinge, also Geschwister,Nichten und Neffen von Erwin.Leben beim Tod von Erwinbeide Eltern noch, erben beidezu gleichen Teilen. In unseremBeispiel erben also die ElternEleonore und Elmar je 1/2.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

Ist beispielsweise der Vater 20von Erwin schon verstor-ben, so treten an seineStelle seine Kinder, alsodie Geschwister oder gege-benenfalls Halbgeschwistervon Erwin in die Erbfolgeein. Die Mutter von Erwinbekommt dann 1/2, diezweite Hälfte entfällt aufErwins Geschwister zugleichen Teilen (§ 1925Abs. 3 Satz 1 BGB). Die Schwestern Gerda und Gesche bekommen alsoje 1/4.

Hat Erwin keine Geschwister, so erbt seine Mutter nach § 1925 Abs. 3 21Satz 2 BGB allein.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

3. Erben dritter Ordnung, § 1926 BGBWenn beim Tod von Er- 22win, weder Abkömmlinge,noch Eltern oder derenAbkömmlinge vorhandensind (also weder Erben derersten noch der zweitenOrdnung vorhanden sind),so erben die Großeltern undderen Abkömmlinge. Sindnur Großeltern als Erbenvorhanden, so erben sie al-lein und zu gleichen Teilen.Die Großeltern von ErwinGimbald, Gracia, Gregorund Grete erben also je 1/4.

Leben von einem Groß- 23elternpaar der Großvateroder die Großmutter nichtmehr, so treten an dessenStelle dessen Abkömmlin-ge. In unserem Beispieltritt, wenn die Großmut-ter Grete nicht mehr lebt,an ihre Stelle ihre Toch-ter – die Tante von ErwinTanja (§ 1926 Abs. 3 Satz1 BGB). Die noch leben-den Großeltern Grimbald,Gracia und Gregor erben je1/4.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

Sind keine weiteren Kinder des Großelternteils vorhanden, so fällt der An- 24teil an den anderen Großelternteil. In unserem Beispiel erhält der GroßvaterGregor den Anteil seiner verstorbenen Frau Grete, wenn diese keine Kinderhat.

Wenn von einem Großelternpaar niemand mehr lebt – in unserem 25Beispiel also Gregor und Grete bereits verstorben sind – und dies keineAbkömmlinge hat, so fällt der Anteil an das andere Großelternpaar. Indiesem Fall erhalten Grimbald und Gracia je 1/2.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

4. Erbschaft bei mehrfacher Verwandtschaft, § 1927 BGBBei weitverzweigten Familien ist es denkbar, dass jemand verschiedenen 26Stämmen angehört und somit mehrere Erbteile erhält. Gehört er derersten, zweiten oder dritten Ordnung an, so erhält er jeden ihm ausunterschiedlichen Stämmen anfallenden Anteil als separaten Erbteil(§1927 BGB).

Beispiel: 27

Erwin hat eine Cousine vä-terlicherseits und eine Cousi-ne mütterlicherseits. Eine Cou-sine (Charlotte) hat ein Kind –Conrad; die andere (Carmen)hat drei Kinder – Carla, Ca-simir und Carsten. Carla undCarsten haben ein gemeinsa-mes Kind – Melinda. Wennnun Eltern, Großeltern, Onkelbzw. Tante sowie Cousin undCousine vor Erwin verstorbensind und auch die Eltern vonMelinda nicht mehr leben, be-kommt Melinda aus der väter-lichen Linie von Erwin und ausder mütterlichen Linie von Er-win jeweils einen Erbteil. In un-serem Beispiel bekommt Me-linda aus der mütterlichen Li-nie von Erwin 1/2 und aus derväterlichen Linie von Erwin 1/6, da die Brüder ihrer Mutter Casimir undCarsten ebenfalls noch leben und daher neben ihr erben.

5. Erben vierter und fernerer Ordnung, §§ 1928, 1929BGB

Gesetzliche Erben der vierten Ordnung sind die Urgroßeltern des 28

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

Erblassers und deren Abkömmlinge (§1928 Abs. 1 BGB). Das Folgendegilt auch für die Erben fernerer Ordnungen (alle entfernteren Verwandtendes Erblassers und deren Abkömmlinge), da die erbrechtlichen Folgenfür Erben vierter und fernerer Ordnungen gleich sind (§1929 Abs. 2 BGB).

Ab der vierten Ordnung wird die Erbfolge nach Linien aufgegeben, 29entscheidend ist nun der Grad der Verwandtschaft (§1928 Abs. 2, 3,§1929 Abs. 2 BGB). Urgroßeltern (und fernere Voreltern) erben also zugleichen Teilen, unabhängig davon, welcher Linie sie angehören.

Leben beispielsweise 30beim Tod von Erwinnurmehr fünf seineracht Urgroßeltern,so erben sie jeweils1/5. Ginge es nachden Vorschriften überdie Erbfolge in denOrdnungen 1–3, soteilte sich der Nachlassin die mütterliche unddie väterliche Linie,so dass beide Linienje 1/2 bekämen. Ursund Ursulina bekämendann je 1/4, die dreilebenden Urgroßelternder mütterlichen Linieteilten sich dann die

andere Hälfte, bekämen also je 1/6.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

Lebt zur Zeit des Erbfalles von den Urgroßeltern niemand mehr, erbt 31von deren Abkömmlingen derjenige, der mit dem Erblasser dem Gradenach am nächsten verwandt ist. Entscheidend sind dann die Vorschriftenüber Verwandtschaft aus dem Familienrecht (§1589 BGB). Der Grad derVerwandtschaft bestimmt sich gem. §1589 Abs. 1 Satz 2 BGB nach „derZahl der sie vermittelnden Geburten“.

Im folgenden Beispiel sind also ausgehend vom Erblasser Erwin als erste 32Geburt, die weiteren Geburten zu zählen: Mutter Eleonore (2), ebensoVater Elmar (2), Großmutter Grete mütterlicherseits (3) und GroßvaterGrimbald väterlicherseits (3), Schwester der Großmutter Grete – Vera (4)sowie Schwester des Großvaters Grimbald – Viola (4). Die Söhne von Veraund Viola sind jeweils die fünfte Geburt. Da Veit bereits verstorben ist,tritt an seine Stelle seine Tochter Valentina. Da sie aber die sechste Geburtin Bezug auf Erwin ist, erhält Victor (fünfte Geburt) die ganze Erbschaft.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

III. Erbrecht des Ehegatten, § 1931 BGBDas Erbrecht des Ehegatten ist im Wesentlichen in §1931 BGB geregelt. 33Zunächst ist zu prüfen, in welchem Güterstand die Eheleute gelebt haben.Im Folgenden wird das Ehegattenerbrecht daher jeweils gesondert für dieverschiedenen Güterstände dargestellt.

1. Erbrecht bei ZugewinngemeinschaftGehen wir zunächst vom gesetzlichen Normalfall – der Zugewinngemein- 34schaft aus. Sofern die Eheleute nicht in einem Ehevertrag etwas anderesgeregelt haben, oder in einem ausländischen Güterstand leben, gilt dieserGüterstand. Zugewinngemeinschaft bedeutet, dass die Eheleute währendder Dauer der Ehe jeweils eigenes Vermögen haben bzw. erwirtschaften.Erst am Ende der Ehe (z.B- durch Tod oder Scheidung) wird einWertausgleich vorgenommen – der Zugewinnausgleich. Das heißt derEhegatte, der während der Ehe mehr Vermögen aufgebaut hat, muss demanderen die Hälfte des Überschusses auszahlen. Beispiel:

Erwin ist verheiratet mit Frauke. 35Bei der Heirat haben beide je-weils ein Vermögen von ¤1.000,00(Anfangsvermögen). Die Ehe wirdnach zehn Jahren geschieden.Während der Ehe hat Frauke¤20.000,00 zu ihren anfängli-chen ¤1.000,00 hinzugewonnen;sie hat also ein Endvermögenvon ¤21.000,00 und einen Zu-gewinn von ¤20.000,00. Erwinhat ¤10.000,00 hinzugewonnenund somit ein Endvermögen von¤11.000,00 und einen Zugewinnvon ¤10.000,00. Beim Ende derEhe hat Frauke also ¤10.000,00mehr als Erwin hinzugewonnen.Diesen größeren Zugewinn musssie ihm ausgleichen, also ¤5.000,00 an Erwin zahlen (§1378 BGB). Hätte

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

einer von beiden ein größeres Anfangsvermögen als die ¤1.000,00 gehabt,so würde dies keine Rolle spielen, da lediglich der Zugewinn (also der Be-trag um den das Endvermögen das Anfangsvermögen übersteigt §1373BGB) ausgeglichen werden muss.

a) Erbrecht neben Verwandten erster Ordnung

Das Erbrecht des Ehegatten nach §1931 BGB ist zunächst unabhängig 36vom Zugewinnausgleich. Endet die Ehe durch Tod eines Ehegatten, sobekommt der andere Ehegatte nach den erbrechtlichen Regelungen einengewissen Anteil am Nachlass.

Neben Verwandten der ersten Ord- 37nung erhält der Ehegatte 1/4. Zu-sätzlich ist aber auch – da die Ehebeendet worden ist – der Zuge-winnausgleich zu zahlen. Der Ein-fachheit halber ist der Zugewinn-ausgleich für den Fall der Beendi-gung der Ehe durch Tod in §1371Abs. 1 BGB pauschaliert worden.So muss man im Falle des To-des eines Ehepartners nicht denZugewinn konkret berechnen. Da-nach erhält der überlebende Ehe-gatte zusätzlich zu seinem Erbteilnach §1931 Abs. 1 BGB ein weite-res Viertel des Nachlasses, also insgesamt 1/2.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

b) Erbrecht neben Verwandten zweiter Ordnung oder Großeltern

Neben Verwandten der zweiten Ordnung (Eltern und deren Abkömmlinge) 38oder neben Großeltern erbt der Ehegatte nach §1931 Abs. 1 BGB 1/2.Auch dieser Erbteil wird selbstverständlich nach §1371 Abs. 1 BGB um1/4 als pauschalierter Zugewinnausgleich erhöht.

Einen Sonderfall regelt §1931 39Abs. 1 Satz 2 BGB. Treffen mitGroßeltern Abkömmlinge vonGroßeltern zusammen, so erhältder Ehegatte zusätzlich zu derHälfte noch den Anteil, der denAbkömmlingen nach den Vor-schriften über die Erben dritterOrdnung zufallen würde. Lebenaußer der Ehefrau Frauke alsonoch die Großeltern väterlicher-seits (Grimbald und Gracia) sowieder Großvater mütterlicherseits(Gregor) und eine Tante von Erwin(Tanja), so bekommt Frauke denAnteil, der eigentlich Tanja alsNachfolgerin ihrer Mutter Grete (Großmutter mütterlicherseits) zustehenwürde.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

c) Erbrecht neben sonstigen Verwandten

Sind außer dem Ehepartner weder Verwandte der ersten oder zweiten 40Ordnung noch Großeltern vorhanden, so bekommt der Ehegatte die ganzeErbschaft.

d) Voraus des Ehegatten

Zusätzlich zu seinem Erbteil erhält der Ehegatte nach §1932 BGB neben 41Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern (also nichtneben Kindern des Erblassers!) den sogenannten Voraus – alle zumehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände (soweit nicht Zubehör einesGrundstücks) und die Hochzeitsgeschenke. Neben Erben erster Ordnung(Kindern und deren Abkömmlinge) bekommt er diese Gegenstände nurdann, wenn er sie zur Führung eines angemessenen Haushalts benötigt.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

2. Erbrecht bei GütergemeinschaftHaben die Ehegatten in einem Ehevertrag einen anderen Güterstand ver- 42einbart als die gesetzlich vorgesehene Zugewinngemeinschaft (Gütertren-nung oder Gütergemeinschaft) so entfällt natürlich der pauschalierte Zuge-winnausgleich nach §1371 Abs. 1 BGB. Entsprechend sind die Erbteile deranderen Erben höher. Vereinbaren die Ehegatten Gütergemeinschaft, wirddas Vermögen beider mit Ausnahme von Sondergut1 und Vorbehaltsgut2

gemeinsames Vermögen der Ehegatten. Im Erbfall ergibt sich Folgendes:

a) Erbrecht des Ehegatten neben Erben erster Ordnung

Lebten in unserem Beispiel Erwin und Frauke in Gütergemeinschaft, so 43erhält Frauke nach § 1931 Abs. 1, Satz 1 BGB neben den gemeinsamenKindern Kilian und Kira 1/4. Die verbleibenden 3/4 bekommen die Kinderzu gleichen Teilen (§ 1924 Abs. 4 BGB). Jedes der Kinder erhält also 3/8.

b) Erbrecht des Ehegatten neben Erben zweiter Ordnung oder Groß-eltern

Neben Erben zweiter Ordnung oder Großeltern, erhält die Ehefrau Frauke 44nach § 1931 Abs. 1, Satz 1 BGB 1/2. Die Erben zweiter Ordnung erhaltendie andere Hälfte; in unserem Beispiel also die Eltern je 1/4.

1 Gegenstände, die nicht durch Rechtsgeschäft übertragen werden können, § 1417 BGB.2 Vor allem im Ehevertrag bestimmtes Gut, Ererbtes, § 1418 BGB.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

c) Erbrecht des Ehegatten neben Großeltern und Abkömmlingen vonGroßeltern

Erben die Großeltern und ein 45Abkömmling von Großeltern,weil ein Großelternteil bereitsverstorben ist, so erhält derEhepartner auch den Anteildes Abkömmlings. Der Unter-schied zur Erbschaft bei Zuge-winngemeinschaft ist auch hiernur, dass der pauschalierte Zu-gewinn nicht hinzukommt. Istdie Großmutter Grete bereitsvorverstorben und tritt an ih-re Stelle ihre Tochter Tanja er-geben sich daher folgende Erb-quoten: Die Ehefrau erhält 1/2,die noch lebenden Großelternerhalten je 1/8. Das 1/8, das ei-gentlich auf die Tochter Tanja entfiele, erhält die Ehefrau zusätzlich.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

3. Erbrecht bei GütertrennungFür die Gütertrennung (§ 1414 BGB) ergibt sich nur für eine Konstellationeine Besonderheit.

Erbt der Ehegatte neben 46einem oder zwei Kindern,so erben der Ehegatte unddas Kind bzw. die Kinderzu gleichen Teilen (§1931Abs. 4 BGB). In unseremBeispiel erben die EhefrauFrauke und die KinderKilian und Kira je 1/3.

Hinterlässt der Erblasser 47drei Kinder, so ergebensich rechnerisch automa-tisch gleiche Erbteile, dadie Ehefrau 1/4 erhält und

die drei Kinder sich die restlichen 3/4 teilen und somit jeder 1/4 erhält.

Ab dem vierten Kind wird der Ehegatte gegenüber den Kindern begünstigt. 48Frauke bekommt neben vier Kindern von Erwin 1/4. Die vier Kinder teilensich die übrigen 3/4, erhalten also je 3/16.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

Neben Erben der zweiten Ordnung oder Großeltern ergeben sich keine 49Besonderheiten. Der Ehegatte erhält nach § 1931 Abs. 1, Satz 1 BGB 1/2;die zweite Hälfte teilen sich die Erben zweiter Ordnung.

Und auch wenn mit dem Ehegatten Großeltern und Abkömmlinge von 50Großeltern zusammentreffen, ergibt sich im Falle der Gütertrennungnichts anderes als bei der Gütergemeinschaft. Zusätzlich zu ihrem Erbteilvon 1/2 nach § 1931 Abs. 1, Satz 1 BGB erhält die Ehefrau auch denAnteil des Abkömmlings der Großeltern – hier den von Tanja.

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§ 2 Die gesetzliche Erbfolge

4. Deutsch-französische Wahlzugewinngemeinschaft §1519 BGB

Seit 1. Mai 2013 haben Ehepaare die Möglichkeit, die deutsch-französische 51Wahlzugewinngemeinschaft zu wählen. Gedacht ist dieser Güterstandvor allem für binationale Ehen, er steht aber auch Paaren offen,bei denen beide Partner dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen. Diedeutsch-französische Wahlzugewinngemeinschaft ist im Wesentlicheneine Zugewinngemeinschaft nach deutschem Vorbild mit französischemEinschlag. Bis zum Ende der Ehe bleibt das Vermögen der Ehegattengetrennt, erst bei Scheidung oder Tod eines Ehepartners wird dererwirtschaftete Zugewinn ausgeglichen. Jedoch werden anders als beider deutschen Zugewinngemeinschaft zufällige Wertsteigerungen (z.B.Ländereien werden zu Bauland) nicht berücksichtigt.

Bei Tod eines Ehepartners wird der Zugewinnausgleich kraft Gesetzes 52durchgeführt, daneben erhält der überlebende Ehegatte 1/4 des Nachlas-ses, sofern Erben erster Ordnung vorhanden sind. Neben Eltern erhält derEhegatte die Hälfte des Nachlasses.

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Zweiter Teil:

Testamentsrecht

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§ 3 Einführung

Wenn Sie die oben dargestellte gesetzliche Erbfolge nicht eintreten 53lassen möchten – etwa weil dann Verwandte erben, denen Sie nichtszukommen lassen möchten, oder Sie jemanden besonders begünstigenwollen – müssen Sie die Erbfolge selbst gestalten. Dies kann in ersterLinie durch die Errichtung eines Testaments geschehen. Darüber hinauskönnen Sie einen Erbvertrag schließen, oder durch Schenkungen IhrVermögen bereits zu Lebzeiten übertragen. Einen Überblick über dieMöglichkeiten geben Ihnen die folgenden Kapitel. Auch hier gilt, dassnur die Grundzüge dargestellt werden können. Den konkreten Einzelfallsollte man immer genau betrachten. Pauschale Ratschläge sind geradebei der Testamentsgestaltung zu vermeiden, denn jeder Fall ist einzigartig.

Wenn Sie testamentarisch wirksam über Ihr Vermögen verfügt haben, geht 54Ihr Wille der gesetzlichen Erbfolge vor. Ihr Wille steht damit sozusagenüber dem Gesetz! Dies gilt jedoch nur, wenn Ihr Testament wirksam errich-tet ist, weshalb Sie beim Verfassen des Testaments besonders sorgfältigsein sollten. Übrigens besteht aber auch die Möglichkeit nur über einenTeil des Vermögens zu verfügen und bezüglich des Restes gesetzliche Erb-folge eintreten zu lassen. Das wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn derIhnen aus dem ersten Teil bekannte Erblasser Erwin ein Unternehmenbetreibt, das etwa die Hälfte seines Vermögens ausmacht und er diesestestamentarisch seinem Neffen Nepomuk vererbt, den er bereits als Nach-folger in der Firma eingeführt hat. Die andere Hälfte seines Vermögens –über die er nicht verfügt hat – erhalten dann seine Kinder Kilian und Kiraals gesetzliche Erben (§ 1924 Abs. 1 BGB) zu je 1/2.

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§ 4 Voraussetzungen für die Er-richtung eines Testaments

Um ein Testament wirksam errichten zu können, muss man testierfähig 55sein, das heißt, man muss geistig in der Lage sein, die Bedeutung dessen,was man tut zu erfassen und einen entsprechenden Willen zu bilden.Die Testierfähigkeit ist nicht gleichbedeutend mit der Geschäftsfähigkeit.Die Testierfähigkeit deckt sich nur insofern mit der Geschäftsfähigkeit,als dass jemand, der geschäftsfähig ist auch testierfähig ist. Aber nichtjeder, der testierfähig ist, ist auch voll geschäftsfähig. Grundsätzlich gilt,dass man mit Vollendung des 16. Lebensjahres ein Testament errichtendarf (§ 2229 Abs. 1 BGB); dies auch ohne Zustimmung des gesetzlichenVertreters (in der Regel sind das die Eltern). Ein Minderjähriger kannallerdings trotz Testierfähigkeit kein eigenhändiges handschriftlichesTestament errichten. Er hat nur die Möglichkeit durch notariellesTestament seinen letzten Willen auszudrücken. Ist man aufgrund einerGeistesstörung, einer Krankheit oder einer Bewusstseinsstörung nicht inder Lage, die Bedeutung der Erklärung eines letzten Willens einzusehenund entsprechend zu handeln, so kann man kein Testament errichten(§ 2229 Abs. 4 BGB).

Es ist nicht immer einfach zu beurteilen, ob jemand testierfähig ist. 56Insbesondere in Grenzfällen, etwa wenn jemand wieder kurzzeitig imVollbesitz seiner geistigen Kräfte ist. Diese Unsicherheit lässt sich jedochleider nicht vermeiden. Das Gesetz kann hier keine zweifelsfreie Regelungschaffen, denn manchmal ist eben das Leben zu komplex, als dass manes in einfache und klare gesetzliche Regeln gießen könnte. Es ist daheranzuraten, ein Testament möglichst frühzeitig zu errichten und zu einem

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§ 4 Voraussetzungen für die Errichtung eines Testaments

Zeitpunkt an dem niemand ernsthaft Zweifel an der Testierfähigkeiterheben kann.

Neben der Testierfähigkeit ist weitere Voraussetzung, dass das Testament 57persönlich errichtet wird (§ 2064 BGB). Es ist damit ausgeschlossen, dassein Stellvertreter die Errichtung des Testaments für Sie übernimmt. Dar-über hinaus ist eine „Bestimmung durch Dritte“ ausgeschlossen (§ 2065BGB). Eine Bestimmung durch Dritte liegt vor, wenn der Erblasser zwarsein Testament selbst verfasst, darin aber bestimmt, dass jemand anderesentscheiden soll, ob es gelten soll oder nicht oder wer Erbe wird.

Beispiel: 58

Erwin verfasst ein Testament in dem es heißt:

Dieses Testament ist ungültig, da hier die Ehefrau darüber entscheidensoll, ob die Erbeinsetzung der Kinder überhaupt gelten soll und einenalternativen Erben benennen darf.

Umstritten ist allerdings, ob ein Testament gültig ist, mit dem der Erblas- 59ser zwar die Entscheidung, wer Erbe werden soll einem Dritten überlässt,ihm jedoch sachliche Kriterien vorgibt, nach denen er entscheiden soll.

Beispiel:

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§ 4 Voraussetzungen für die Errichtung eines Testaments

Erwin führt ein Unternehmen, das seine Kinder weiterführen sollen. ZumZeitpunkt der Testamentserrichtung sind jedoch alle noch minderjährigund es ist für ihn nicht vorherzusehen, welches seiner Kinder nachseinen Neigungen und nach seiner Ausbildung am geeignetsten für dieÜbernahme des Unternehmens sein wird. Er schreibt deshalb:

Bei seinem Tod hat der Sohn Kilian gerade seine Banklehre abgeschlossen,die Tochter Kira studiert im dritten Semester Betriebswirtschaftlehre unddie Tochter Kim besucht noch das Gymnasium.

Der Rechtsprechung zufolge soll eine Bestimmung durch Dritte zulässig 60sein, wenn der Personenkreis eng umrissen ist und sachliche Kriteriendie Auswahl des Erben ermöglichen. Dies ist wie gesagt jedoch nichtunumstritten. Man möchte in diesem Beispiel wohl auch nicht in derHaut desjenigen stecken, der die Auswahl treffen soll. Ist nun derSohn besser geeignet, der seine Ausbildung bereits abgeschlossen hatund als Bankkaufmann wohl auch eine gewisse Sachkenntnis für dasFühren eines Unternehmens hat oder doch eher die Tochter, die Be-triebswirtschafstlehre studiert, aber noch weit vom Abschluss entfernt ist?

Problematisch in diesem Beispiel ist zudem, dass Erwin niemanden 61bestimmt hat, der die Auswahl des Erben treffen soll. Für die Wirk-samkeit des Testaments ist das jedoch zwingende Voraussetzung.1 DieRechtsprechung lässt eine solche Bestimmung durch Dritte also imEinzelfall dann zu, wenn der Dritte aus einem begrenzten Personenkreisnach sachlichen Kriterien den Erben auswählen kann ohne, dass ihm

1 Der Bundesgerichtshof hat dies in einem Fall entschieden, bei dem es um eine Hoferbschaftging und derjenige Erbe werden sollte, der „am besten für die Landwirtschaft geeignet ist“.Da niemand genannt war, der den Erben anhand dieses Kriteriums auswählen sollte, wardas Testament ungültig. BGH, Beschluss vom 14.07.1965 - V BLw 11/65, abgedruckt in:NJW 1965, S. 2201.

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§ 4 Voraussetzungen für die Errichtung eines Testaments

Raum für Willkür bleibt. Die Angaben des Erblassers müssen so genausein, dass jede sachkundige Person objektiv den Erben bezeichnen kann.2

Schon bei den einfachsten Grundvoraussetzungen für die Errichtung ei- 62nes Testaments bietet sich also viel Auslegungsspielraum. Generell ist esempfehlenswert ein Testament so klar und einfach wie möglich zu formu-lieren. Bestehen Zweifel an der Testierfähigkeit sollte man versuchen dieseauszuräumen (etwa durch ein ärztliches Gutachten).

2 BGHZ 15,199.

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§ 5 Formvorschriften für Testa-mente

Die Errichtung eines Testaments unterliegt strengen Formvorschriften, die 63gewährleisten sollen, dass der wirkliche Wille des Erblassers zum Ausdruckkommt. Unklarheiten aber auch Manipulationsmöglichkeiten sollen weitge-hend ausgeschlossen sein. Die Formvorschriften richten sich nach der Artdes Testaments. Im Gesetz wird unterschieden zwischen den ordentlichenTestamenten (öffentliches Testament vor einem Notar und eigenhändigesTestament), sowie den Nottestamenten (Testamen vor dem Bürgermeis-ter, Testament vor drei Zeugen, Testament auf See). Entgegen der Rei-henfolge im Gesetz beginnen wir hier mit den Formvorschriften für daseigenhändige Testament, da dies die am häufigsten gewählte Form desTestaments in Deutschland ist.

I. Das eigenhändige TestamentIn § 2247 Abs. 1 BGB heißt es: 64

„Der Erblasser kann ein Testament durch eine eigenhändig geschriebeneund unterschriebene Erklärung errichten.“

Für die Errichtung eines eigenhändigen Testaments ist es daher erforder-lich, dass der Erblasser den vollständigen (!) Text mit der Hand schreibtund unterschreibt.

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§ 5 Formvorschriften für Testamente

1. HandschriftDie Handschrift dient in erster Linie dazu, dass (notfalls durch Gut- 65achten) festgestellt werden kann, dass der Text tatsächlich von demErblasser verfasst worden ist. Nicht zulässig ist es daher, wenn je-mand anderer dem Erblasser die Hand führt, oder der Erblasser dasTestament mit dem Computer schreibt und lediglich unterschreibt. Zu-lässig ist es dagegen, wenn dem Erblasser die Hand lediglich gestützt wird.

Auch eine Bezugnahme auf einen maschinengeschriebenen Text reicht 66nicht aus, wenn sich der handschriftliche Teil in der Bezugnahmeerschöpft.

Beispiel:Erwin schreibt am Computer folgenden Text:

„TestamentIch setze hiermit meine Tochter Kira zu meiner alleinigen Erbin ein.

Ersatzweise sollen ihre Kinder, Enno und Enid zu gleichen Teilen erben.

Handschriftlich fügt er hinzu:

Dieses Testament ist unwirksam und kann auch durch Auslegung nicht 67„gerettet“ werden. Selbst wenn niemand Zweifel daran hat, dass diesesTestament von Erwin verfasst worden ist, ist es ungültig, denn aus demhandschriftlichen Teil ergibt sich der letzte Wille von Erwin nicht. DieFormvorschriften sind streng einzuhalten. Eine Frage der Auslegung istes im Einzelfall, wenn sowohl in dem handschriftlichen als auch in demmaschinengeschriebenen Teil Verfügungen enthalten sind. Lässt sich demhandschriftlichen Teil eine klare Erbeinsetzung entnehmen, so ist dieserTeil ein wirksames Testament. Um Unklarheiten zu vermeiden, sollte injedem Falle der gesamte Text mit der Hand geschrieben werden.

Für die Wirksamkeit des Testaments ist es unerheblich, mit welchem 68

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§ 5 Formvorschriften für Testamente

Schreibmaterial die Erklärung verfasst ist. Es ist nicht erforderlich, dasstatsächlich mit der Hand geschrieben wird, auch Schreiben mit Mund, Fußoder einer Prothese ist zulässig. Denn wenn dies – etwa aufgrund einerBehinderung – die für den Erblasser übliche Art zu schreiben ist, kannman auch anhand dieses Textes die Identität nachweisen. Darüber hinausist die Sprache egal. Entscheidend ist, dass der Erblasser ihrer mächtig istund der Sinn des Textes später auch von anderen ermittelt werden kann.

2. UnterschriftDie Unterschrift des Erblassers muss aus zwei Gründen enthalten sein. 69Zum einen soll sie die Identität des Erblassers dokumentieren, zumanderen soll sie das Testament räumlich abschließen. Die Unterschrift sollden Vor- und Nachnamen des Erblassers enthalten. Diese Vorschrift istjedoch nicht zwingend. Wenn durch außerhalb des Testaments liegendeUmstände klar ist, dass der Text von diesem Erblasser stammt, genügtauch der Vorname, ein Kose- oder Künstlername.

Beispiele: 70Frauke und Erwin sprechen einander liebevoll mit Bärchen und Hasian. Freunden und Verwandten ist dies auch bekannt. Erwin setzt inseinem handschriftlichen Testament Frauke zur alleinigen Erbin ein undunterschreibt mit „Dein Bärchen“.Erwin, der von seinen Kindern Kilian und Kira sets mit Vati angesprochenwird, setzt diese zu Erben ein und unterschreibt das handschriftlicheTestament mit „Euer Vati“.Erwin ist erfolgreicher Alleinunterhalter und tritt unter dem Namen „DerStimmungsmacher“ auf. Mit diesem Künstlernamen unterschreibt er seinTestament.

In allen drei Fällen ist das Testament wirksam, da die Identität des 71Erblassers aus den Umständen zweifelsfrei festzustellen ist und keineAnhaltspunkte dafür bestehen, dass es sich nicht um ein ernstgemeintesTestament handelt. Umstritten ist jedoch, ob die Initialien ausreichendsind. In jedem Falle muss klar sein, dass es sich um ein ernsthaftesTestament handelt und nicht um einen bloßen Entwurf oder eine Scherz-erklärung.

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§ 5 Formvorschriften für Testamente

Die Unterschrift muss das Testament räumlich abgrenzen, das heißt sie 72muss den Text abschließen. Eine „Oberschrift“ ist nicht zulässig. EineUnterschrift, die aus Platzgründen an den Rand geschrieben wird, kannjedoch im Einzelfall ausreichend sein. Zulässig kann es im Einzelfallauch sein, wenn das Testament in einem fest verschlossenen Umschlagaufbewahrt wird und dieser eine Aufschrift, die auf den Inhalt hindeutet(„Mein Testament“, „Mein letzter Wille“, o.ä.) und die Unterschrift desErblassers trägt.

Besteht das Testament aus mehreren Seiten, so genügt die Unterschrift 73auf der letzten Seite sofern die Zusammengehörigkeit der einzelnen Seiten(durch fortlaufenden Text, Seitenangaben, etc.) feststeht.

Die Angabe von Zeit und Ort der Errichtung des Testaments ist keine 74zwingende Formvorschrift mehr, empfiehlt sich jedoch um etwa dieTestierfähigkeit beurteilen zu können oder wenn es mehrere Testamentegibt, das zeitlich letzte ausfindig zu machen.

Da die Unterschrift das Testament räumlich abschließen soll, sind auch 75keine Ergänzungen oder P.S.-Zusätze unterhalb der Unterschrift erlaubt.Solche Zusätze machen das Testament zwar nicht insgesamt ungültig,jedoch wird der Zusatz nicht beachtet.

3. Vorteile des eigenhändigen TestamentsEin eigenhändiges Testament lässt sich jederzeit ohne die Hilfe anderer an 76jedem Ort errichten. Die Formvorschriften sind auch für juristische Laieneinfach verständlich und leicht zu beachten. Darüber hinaus verursachtdiese Form des Testaments keine Kosten.

4. ZusammenfassungDie Formvorschriften für das eigenhändige Testament sind eigentlich 77leicht zu beachten. Handschrift und Unterschrift sind hier die wesentli-chen Schlagworte. Dennoch zeigen mitunter recht kuriose Urteile, dassdie Formvorschriften oft nicht so genau genommen werden. Testamen-te werden mit Diagrammen versehen, auf Zeitungsränder gekritzelt,durchgestrichen und korrigiert, mit Zusätzen versehen, etc. Sind die

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§ 5 Formvorschriften für Testamente

Formvorschriften nicht ganz eindeutig erfüllt, ist es immer eine Fragedes Einzelfalles und letztlich von der Rechtsprechung abhängig, ob dasTestament gültig ist oder nicht.

Auch wenn es je nach Umfang des letzten Willens Mühe macht: Nehmen 78Sie ein sauberes Blatt Papier und einen Stift und schreiben mit Über-schrift, Datums- und Ortsangabe Ihren letzten Willen idealerweise auf eineinziges Blatt. Unterschreiben Sie den Text unten und fügen Sie keine Er-gänzungen, P.S.-Zusätze oder ähnliches hinzu. So können Sie sicher sein,dass Ihr letzter Wille auch tatsächlich ausgeführt wird.

II. Das öffentliche TestamentFür das öffentliche oder auch notarielle Testament gibt es zwei Formen 79(§ 2232 BGB). Zum einen kann man dem Notar seinen letzten Willenerklären. Der Notar schreibt die Erklärung nieder. Diese Niederschriftwird dem Erblasser in Gegenwart des Notars vorgelesen. Der Erblassermuss die Erklärung genehmigen und unterschreiben und auch der Notarmuss die Erklärung unterschreiben.

Zum anderen besteht die Möglichkeit das schriftliche Testament (offen 80oder verschlossen) dem Notar zu übergeben.

1. Niederschrift des NotarsDer Erblasser muss seinen Willen nicht als vollständig formulierte Erklä- 81rung mitteilen. Es genügt, wenn im Beratungsgespräch mit dem Notar derletzte Wille zum Ausdruck kommt und der Notar diesen im Urkundstextzusammenfasst. Auch ausreichend ist es, wenn der Notar eine fertige Er-klärung verliest und der Erblasser bestätigt, dass dies sein letzter Wille ist.

2. Übergabe einer SchriftEine weitere Möglichkeit ist die Übergabe einer Schrift mit der Erklärung, 82dass die Schrift den letzten Willen enthält. Die Schrift kann offen oderverschlossen übergeben werden. Auch hierbei ist entscheidend, dass die

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§ 5 Formvorschriften für Testamente

Erklärung, dass dies das Testament ist, mündlich erfolgt. Ein solchesTestament muss nicht eigenhändig geschrieben sein. Es ist unerheblich,in welcher Form (maschinengeschrieben, handschriftlich, Blindenschrift)oder Sprache das Testament verfasst ist. Wird das Testament offenübergeben, soll der Notar vom Inhalt Kenntnis nehmen.

3. Aufgaben des NotarsBei der Errichtung eines notariellen Testaments treffen den Notar be- 83stimmte Prüfungs- und Belehrungspflichten. So soll er den Willen des Erb-lassers erforschen, den Sachverhalt klären und den Erblasser über die Trag-weite seiner Erklärung belehren. Bei der Übergabe einer offenen Schrift sollder Notar auf mögliche Bedenken aufmerksam machen. Der Notar soll dasTestament unverzüglich in öffentliche Verwahrung geben.1

4. Vorteile des notariellen TestamentsZweifel an der Echtheit des Testaments können bei einem notariellen Tes- 84tament nicht entstehen. Darüber hinaus ist durch die amtliche Verwahrungsichergestellt, dass das Testament auch eröffnet wird. Durch die Mitwir-kung des Notars wird das Testament in der Regel den Formvorschriftenentsprechen.

III. SonderfälleEin minderjähriger Erblasser kann nach § 2233 Abs. 1 BGB ein Testament 85nur durch Erklärung gegenüber dem Notar oder durch Übergabe eineroffenen Schrift errichten.

Kann der Erblasser nicht lesen, so kann er nach § 2233 Abs. 2 BGB ein Tes- 86tament nur durch Erklärung gegenüber dem Notar errichten. Für Sprach-,Hör-, oder Sehbehinderte gibt es in §§ 22-26 des Beurkundungsgesetzes

1 Siehe dazu das Kapitel über die Aufbewahrung von Testamenten

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§ 5 Formvorschriften für Testamente

gesonderte Regelungen. Der Notar muss die Behinderung in der Nie-derschrift vermerken und sich gegebenenfalls Hilfspersonen (z.B. Gebär-dendolmetscher) bedienen. Für die Beurkundung soll ein Zeuge oder einzweiter Notar hinzugezogen werden, es sei denn, die Beteiligten verzichtendarauf.

IV. NottestamenteDa die Errichtung eines eigenhändigen Testaments auch in Notfällen 87relativ leicht zu bewerkstelligen ist, ist die praktische Bedeutung derNottestamente gering. Die Möglichkeiten werden daher hier nur inGrundzügen dargestellt.

Besteht die Gefahr, dass der Erblasser stirbt oder dauerhaft testierunfähig 88wird, bevor er vor einem Notar ein Testament errichten kann, so kanner das Testament zur Niederschrift des Bürgermeisters der Gemeinde,in der er sich aufhält errichten (§ 2249 BGB). Für die Form gelten imWesentlichen dieselben Regelungen wie für ein notarielles Testament. Istder Ort, an dem sich der Erblasser aufhält, derart abgesperrt, dass er keineMöglichkeit hat, ein notarielles Testament zu errichten, oder befindetsich der Erblasser in so naher Todesgefahr, dass auch eine Errichtungzur Niederschrift des Bürgermeisters nicht möglich ist, so kann auch einTestament vor drei Zeugen errichtet werden (§ 2250 BGB). Die dreiZeugen müssen gleichzeitig anwesend sein. Das Testament des Erblassersmuss mündlich erklärt werden und anschließend niedergeschriebenwerden. Die Niederschrift muss anschließend vorgelesen, von dem Erb-lasser genehmigt und von ihm und den drei Zeugen unterschrieben werden.

Befindet sich der Erblasser an Bord eines deutschen Schiffes außerhalb 89eines inländischen Hafens, so kann er ebenfalls ein Testament durchmündliche Erklärung vor drei Zeugen errichten (§ 2251 BGB). Hierfürgelten dieselben Vorschriften wie für das Dreizeugentestament.

Nach § 2252 BGB haben alle Nottestamente nur eine begrenzte Gültig- 90keitsdauer. Lebt der Erblasser drei Monate nach der Errichtung des Nottes-taments noch, wird das Testament wirkungslos. Die drei Monate könnensich um die Zeit verlängern in der der Erblasser nicht in der Lage war, ein

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§ 5 Formvorschriften für Testamente

Testament vor einem Notar zu errichten (etwa weil er testierunfähig ist,oder die Möglichkeit einen Notar zu erreichen längerfristig nicht gegebenist).

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§ 6 Widerruf eines Testaments

Soll das von Ihnen verfasste Testament nicht mehr gelten, so haben Sie 91die Möglichkeit, dieses zu widerrufen. Auch hierbei sind jedoch einige Vor-schriften zu beachten.

I. Widerruf durch TestamentEin Testament kann widerrufen werden, indem der Erblasser ein neues 92Testament errichtet (§§ 2254, 2258 BGB). Das neue Testament mussnicht in derselben Form errichtet werden, wie dasjenige, das widerrufenwerden soll. Sie können also ein notarielles Testament widerrufen, indemSie ein neues handschriftliches errichten.1

Möglich ist ein reines Widerrufstestament, also ein Testament, in dem 93Sie lediglich zum Ausdruck bringen, dass das frühere Testament nichtmehr gelten soll.

Sie können ein Testament aber auch widerrufen, indem Sie ein neues Tes- 94tament errichten, das mit dem Früheren in Widerspruch steht. Mit einerneuen anderen Verfügung haben Sie indirekt zum Ausdruck gebracht, dassdas alte Testament nicht mehr gelten soll.

1 Sie sollten in dem Falle jedoch in besonderer Weise sicherstellen, dass das handschriftlicheTestament auch nach Ihrem Tod gefunden wird.

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§ 6 Widerruf eines Testaments

II. Widerruf durch Vernichtung oder Verände-rung

Ein Testament kann auch durch Vernichtung oder Veränderung wider- 95rufen werden (§ 2255 BGB). Sie können also das Testament zerreißen,zerschneiden oder verbrennen. Sie können etwas durchstreichen, ein-klammern oder unlesbar machen (ausradieren, schwärzen). Auch könnenSie einzelne Verfügungen im Testament durch Herausschneiden oderDurchstreichen unwirksam machen. Auch ein Vermerk „ungültig“ oderähnliches genügt in der Regel.

Dies alles müssen Sie in der Absicht tun, das Testament oder die einzelne 96Verfügung zu widerrufen. Wird das Testament unbeabsichtigt vernichtetoder verändert, so bleibt es vollumfänglich gültig. Die Erben haben abergegebenenfalls ein Problem nachzuweisen, dass dieses Testament einmalexistiert hat und unbeabsichtigt zerstört oder verändert worden ist. Esempfiehlt sich daher bei unbeabsichtigter Vernichtung oder Veränderungein neues Testament zu errichten.

III. Rücknahme aus der amtlichen VerwahrungHandelt es sich um ein öffentliches Testament, so können Sie dies auch 97einfach durch die Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung widerrufen(§ 2256 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Testament darf nur Ihnen persönlichausgehändigt werden, einem Stellvertreter würde das Testament dahernicht übergeben werden. Für die Rücknahme aus der Verwahrung müssenSie zudem testierfähig sein.

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§ 7 Die Auslegung von Testa-menten

Bestehen Unklarheiten über den tatsächlich gewollten Inhalt eines 98Testaments (was leider bei Testamenten, die ohne rechtliche Beratungerrichtet worden sind, oft der Fall ist), so muss das Testament ausgelegtwerden. Darüber hinaus stellt sich bei Testamenten, die lange vor demErbfall errichtet worden sind die Frage, ob sie auch unter den verändertenLebensumständen noch in der Form gewollt sind.

Im Mittelpunkt der Auslegung steht die Frage, was der Erblasser mit dem 99Testament tatsächlich sagen wollte. Ausgangspunkt für die Auslegung istimmer der Wortlaut des Testaments. Dabei sollte man sich nicht sturan den Buchstaben festhalten, sondern das Testament auch im Zusam-menhang lesen. Mitunter ergibt sich nämlich aus dem Zusammenhangeine andere Bedeutung einzelner Wörter als zunächst angenommen.Grundsätzlich sind Testamente wohlwollend auszulegen, das heißt derWille des Erblassers steht im Mittelpunkt.

Haben sich zwischen der Errichtung des Testaments und dem Tod des 100Erblassers die Lebensumstände geändert, so kann auch dies bei der Aus-legung berücksichtigt werden. Es muss dann der mutmaßliche Wille desErblassers ermittelt werden. Das ist der Wille, den er gehabt hätte, wenner zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments von den Veränderun-gen gewusst hätte. Man muss sich also in den Erblasser zum Zeitpunktder Testamentserrichtung hineinversetzen und sich fragen, wie seine Auf-fassung zu den veränderten Verhältnissen gewesen wäre. Dabei könnenauch Umstände herangezogen werden, die außerhalb des Testaments lie-

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§ 7 Die Auslegung von Testamenten

gen; diese müssen jedoch im Testament zumindest angedeutet sein (sog.„Andeutungstheorie“).

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§ 8 Die Anfechtung von Testa-menten

Wie jede rechtliche Erklärung kann auch ein Testament angefochten wer- 101den. Jedoch geht grundsätzlich eine Auslegung des Testaments vor. Dennmit der Auslegung wird der Wille des Erblassers erforscht, dem in ersterLinie Geltung verschafft werden soll. Erst wenn das scheitert, kann manzur Anfechtung des Testaments greifen. Mit der Anfechtung wird danneine Verfügung beseitigt, die der Erblasser mutmaßlich nicht gewollt hat.Dadurch erhält man jedoch keine neue Verfügung, die dem Willen des Erb-lassers entspricht. Daher ist die Auslegung eher geeignet, dem Willen desErblassers Geltung zu verschaffen und hat Vorrang. Das Gesetz sieht be-stimmte Gründe vor, aus denen ein Testament angefochten werden kann.Hat sich der Erblasser über den Inhalt seines Testaments geirrt, so 102begründet dies ein Anfechtungsrecht nach § 2078 BGB. Das ist zumBeispiel der Fall, wenn der Erblasser mit einem von ihm verwendetenFachbegriff oder Fremdwort eine falsche Bedeutung verbindet und er diewirkliche Bedeutung nicht gewollt hat.

Ebenso kann ein Testament angefochten werden, wenn der Erblasser 103sich beispielsweise beim Verfassen des Testaments verschreibt oder beimNotar verspricht.

Darüber hinaus ist im Erbrecht der sogenannte Motivirrtum ein Anfech- 104tungsgrund. Legt also der Erblasser seinem Testament bestimmte Umstän-de zugrunde, die in dieser Art jedoch nicht vorliegen, ist das Testamentanfechtbar. Beispiele:

• Der Erblasser irrt sich über die Vermögensverhältnisse des Erben

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§ 8 Die Anfechtung von Testamenten

und bedenkt bewusst jemanden mit einem großen Anteil, weil er ihnfür arm hält.

• Der Erblasser enterbt jemanden mit dem er in Streit liegt. Der Streitwird später für den Erblasser überraschend beigelegt.

• Der Erblasser irrt sich über das Verhalten des Erben.

Wurde der Erblasser bedroht, kann das Testament ebenfalls angefochten 105werden. Bei allen genannten Anfechtungsgründen ist es erforderlich, dasdiese ursächlich dafür waren, dass der Erblasser das Testament errichtethat.

Schließlich ist eine Anfechtung möglich, wenn ein Pflichtteilsberechtigter 106übergangen worden ist, der zur Zeit der Testamentserrichtung nochnicht vorhanden war oder von dessen Existenz der Erblasser nichtswusste. Wird also beispielsweise nachdem der Erblasser ein Testamenterrichtet hat, ein Kind von ihm geboren, so ist dies pflichtteilsberechtigt.Wenn der Erblasser dieses Kind in seinem Testament nicht bedacht– also übergangen hat, ist eine Anfechtung möglich, es sei denn derErblasser hat ganz bewusst mögliche zukünftige oder nicht bekanntePflichtteilsberechtigte ausgeschlossen.

Zur Anfechtung berechtigt ist derjenige, dem die Aufhebung des Testa- 107ments nützt (§ 2080 BGB). Wenn sich der Irrtum des Erblassers auf einebestimmte Person bezieht, ist nur diese anfechtungsberechtigt. Im Falleder Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten ist nur der Übergangene zurAnfechtung berechtigt. Die Anfechtungserklärung muss in der Regel ge-genüber dem Nachlassgericht erklärt werden (§ 2081 BGB), es sei denn,es handelt sich um die Anfechtung einer Verfügung, durch die ein andererunmittelbar begünstigt wird – beispielsweise bei einem Vermächtnis.

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testa-ments

Das Gesetz sieht bestimmte Arten von Verfügungen vor, die ein Erblasser 108in seinem Testament treffen darf. Die Aufzählung im Gesetz ist abschlie-ßend, daher darf der Erblasser andere Verfügungen nicht treffen. Da dieAufzählung jedoch sehr umfangreich ist, gibt es praktisch keine (sinnvol-le) Verfügung, die durch das Gesetz ausgeschlossen wäre. Die wichtigstenVerfügungen, die der Erblasser treffen darf, sind:

• Bestimmung eines oder mehrerer Erben

• Bestimmung eines Ersatzerben

• Bestimmung eines Nacherben

• Vermächtnis

• Auflage

• Teilungsanordnung

• Testamentsvollstreckung

• Pflichtteilsentziehung

• Bestimmung eines Vormunds

• Widerruf eines Testaments

• Wahl des deutschen Erbrechts

• Errichtung einer Stiftung

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments

I. Erbeinsetzung

1. Bestimmung eines oder mehrerer ErbenNach § 1937 BGB kann der Erblasser einen oder mehrere als seine Erben 109einsetzen und auch deren Anteil am Erbe festlegen. Hat der ErblasserQuoten festgesetzt, die in der Summe nicht 100% erreichen, so giltfür den verbleibenden Teil das gesetzliche Erbrecht, es sei denn eineAuslegung des Testaments ergibt etwas anderes.

Beispiel: 110Erwin, der unverheiratet ist und zwei Kinder hat, bestimmt in seinemTestament:

Weitere Regelungen trifft er nicht.

Somit bekommen Frieda und Friedrich je 40%, die restlichen 20% teilensich die Kinder nach den Vorschriften der gesetzlichen Erbfolge (§ 1924BGB). Jedes Kind bekommt also 10% des Vermögens.

Ergibt eine Auslegung jedoch, dass der Erblasser nur die im Testament 111Genannten als Erben einsetzen wollte und nur versehentlich die Bruchteilefalsch berechnet hat, so kommt es – je nachdem ob die Summe mehroder weniger als 100% ergibt – zu einer verhältnismäßigen Erhöhung oder

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments

Minderung der Bruchteile (§§ 2089, 2090 BGB).

Hat der Erblasser mehrere Erben eingesetzt und fällt einer der Erben 112weg (weil er bereits verstorben ist), so erhalten die übrigen Erben seinenAnteil im Verhältnis ihrer Anteile, wenn der Erblasser das Eintreten dergesetzlichen Erbfolge für diesen Fall ausgeschlossen hat (§ 2094 BGB).Davon ist in der Regel auszugehen, wenn der Erblasser seinen gesamtenNachlass unter den genannten Erben aufgeteilt hat.

Beispiel: 113Erwin hat zwei Kinder – Kilian und Kira – die seine gesetzlichen Erbenwären. In seinem Testament setzt er jedoch seinen Freund Friedrich,seine Freundin Frieda und seine Haushälterin Hanna zu gleichen Teilenals Erben für sein gesamtes Vermögen ein.

Verstirbt nun die Haushälterin vor Erwin und errichtet Erwin daraufhin 114kein neues Testament, so erhalten Friedrich und Frieda den Anteil derHaushälterin. Die Kinder Kilian und Kira gehen auch in diesem Fall leeraus. Erwin hätte jedoch in seinem Testament die sogenannte Anwachsungausschließen können, dann hätten Kilian und Kira den Anteil von Hannaerhalten.

2. Bestimmung eines ErsatzerbenDer Erblasser kann für den Fall, das ein von ihm eingesetzter Erbe wegfällt, 115einen Ersatzerben berufen (§ 2096 BGB). Ist also der eigentlich vorgese-hene Erbe bereits verstorben oder schlägt er die Erbschaft aus, tritt andessen Stelle der Ersatzerbe. Zu unterscheiden ist die Ersatzerbschaft vonder Nacherbschaft, die im folgenden Abschnitt erläutert wird.

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments

3. Vor- und NacherbschaftOrdnet der Erblasser Vor- und Nacherbschaft an, so werden die Genann- 116ten zeitlich nacheinander Erben (§ 2100 BGB).

Beispiel:

Erwin schreibt in sein Testament:

Die Ehefrau ist damit bei Erwins Tod Erbin. Kilian ist lediglich Nacherbeund wird erst dann Erbe seines Vaters, wenn die Ehefrau verstirbt.

Mit der Vor- und Nacherbschaft kann der Erblasser langfristig bestimmen, 117wer sein Vermögen erhalten soll. Der Erblasser kann auch bestimmen,durch welches Ereignis die Nacherbfolge eintreten soll. Im obigen Beispielhat Erwin bestimmt, dass der Sohn erben soll, wenn die Ehefrau verstirbt.Erwin hätte aber auch ganz andere Ereignisse für den Eintritt derNacherbfolge festlegen können, z.B. eine Wiederheirat seiner Frau oderden Abschluss der Berufsausbildung seines Sohnes. Möglich ist auch einbestimmtes Datum für den Eintritt der Nacherbfolge festzulegen. Legtder Erblasser kein Ereignis oder keinen Zeitpunkt ausdrücklich fest, wirdangenommen, dass mit dem Tod des Vorerben die Nacherbfolge eintritt(§ 2106 Abs. 1 BGB).

Setzt der Erblasser jemanden als Nacherben ein, so wird im Zweifel ange- 118nommen, dass er auch Ersatzerbe ist für den Fall, dass der Vorerbe bereits

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments

verstorben ist (§ 2102 BGB). Ordnet der Erblasser an, dass jemand erstab einem bestimmten Zeitpunkt oder nur bis zu einem bestimmten Zeit-punkt Erbe sein soll, ohne einen Vor- bzw. Nacherben zu benennen, wirdangenommen, dass dann die gesetzlichen Erben Vor- bzw. Nacherbe sind(§ 2104 bzw. 2105 BGB).

a) Zeitliche Begrenzung

Die Nacherbschaft ist zeitlich begrenzt. Tritt innerhalb von 30 Jahren nach 119dem Erbfall die Nacherbfolge nicht ein, wird die Anordnung der Nacherb-folge unwirksam (§ 2109 Abs. 1 BGB). Von dieser Regel gibt es zwei Aus-nahmen: Ordnet der Erblasser die Nacherbfolge für den Fall an, dass inder Person des Vor- oder des Nacherben ein bestimmtes Ereignis eintrittund lebt diese Person zur Zeit des Erbfalles, so wird die Anordnung auchnach Ablauf von 30 Jahren nicht unwirksam (§ 2109 Abs. 1 Nr.1 BGB).Die zweite Ausnahme betrifft den Fall, dass dem Vor- oder Nacherben einBruder oder eine Schwester geboren wird und dieser/diese als Nacherbebestimmt ist (§ 2109 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

b) Rechtsstellung des Nacherben

Tritt der Nacherbfall ein, so wird der Nacherbe „Erbe“ und zwar direkt 120von dem Erblasser. Der Vorerbe steht also nicht als weiterer Erblasserdazwischen; auch dann nicht, wenn sein Tod das Ereignis ist, durch dasdie Nacherbfolge eintritt.

Vor dem Eintritt des Nacherbfalles hat der Nacherbe aber bereits eine 121nicht mehr entziehbare gesicherte Rechtsposition, ein sogenanntes An-wartschaftsrecht. Dieses Recht kann der Nacherbe seinerseits vererben, essei denn der Erblasser hat das nicht gewollt (§ 2108 Abs. 2 BGB). DerNacherbe kann darüber hinaus über sein Anwartschaftsrecht verfügen.Dies bedeutet allerdings auch, dass Gläubiger des Nacherben dieses pfän-den können. Der Erblasser kann jedoch dieses Verfügungsrecht ebensowie die Vererblichkeit des Anwartschaftsrechts ausschließen. Wie bei jederErbschaft kann der Nacherbe auch auf die Nacherbschaft verzichten odersie ausschlagen. Für den Verzicht muss der Nacherbe sein Anwartschafts-

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments

recht auf den Vorerben übertragen.1

c) Rechtsstellung des Vorerben

Bis zum Eintritt des Nacherbfalles ist der Vorerbe Erbe. Er ist somit 122Inhaber sämtlicher Rechte und Pflichten bezüglich des Nachlasses. Grund-sätzlich kann er über alle Nachlassgegenstände frei verfügen (§ 2012BGB), jedoch regelt das Gesetz einige Ausnahmen, da es Sinn und Zweckder Vor- und Nacherbschaft ist, dem Nacherben die Erbschaft zu erhalten.

Der Vorerbe darf daher insbesondere nicht über Grundstücke aus dem 123Nachlass verfügen, wenn dies Rechte des Nacherben beeinträchtigt(§ 2113 Abs. 1 BGB). Tut er es dennoch, so ist der Käufer geschützt,wenn er gutgläubig ist. Außerdem darf der Vorerbe aus dem Nachlassnichts verschenken, es sei denn es handelt sich um sogenannte Anstandss-chenkungen oder Schenkungen in Erfüllung einer „sittlichen Pflicht“(§ 2113 Abs. 2 BGB).

Alles was der Vorerbe als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder 124Entziehung eines Nachlassgegenstandes erhält, gehört ebenfalls zumNachlass im Nacherbfall und fällt dann an den Nacherben (§ 2111 BGB).Insgesamt ist der Vorerbe verpflichtet, den Nachlass zu verwalten undalles zu tun, um ihn zu erhalten (dazu gehört beispielsweise, dass erImmobilien instand hält und Geld mündelsicher anlegt und die Nachlass-verbindlichkeiten erfüllt). Bei der Verwaltung entstehende Unkosten darfer aus dem Nachlass decken.

Von diesen Verpflichtungen kann der Erblasser den Vorerben jedoch auch 125befreien (§ 2136 BGB). Einzig von dem Verbot Schenkungen aus demNachlass vorzunehmen, kann der Erblasser den Vorerben nicht befreien.Eine Befreiung ist – wenn sie nicht ausdrücklich erfolgt – auch anzuneh-men, wenn der Erblasser anordnet, dass der Erblasser zur freien Verfügungüber die Erbschaft berechtigt ist oder er den Nacherben „auf dasjenigeeinsetzt, was von der Erbschaft beim Eintritt des Nacherbfalles noch übrigist“ (§ 2137 BGB).

1 Diese Übertragung bedarf der notariellen Beurkundung

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments

II. Vermächtnis, Teilungsanordnung und Aufla-ge

Der Erblasser kann neben (oder anstelle) einer Erbeinsetzung auch je- 126mandem ein Vermächtnis zuwenden oder den Erben mit einer Auflagebeschweren. Die drei Möglichkeiten Erbeinsetzung, Vermächtnis und Auf-lage sind voneinander zu unterscheiden. Darüber hinaus kann der Erblassermittels einer Teilungsanordnung bestimmen, wie die einzelnen Nachlass-gegenstände unter den Erben aufzuteilen sind. Eine solche Teilungsanord-nung ist von einem Vorausvermächtnis zu unterscheiden.

1. VermächtnisDas Gesetz definiert Vermächtnis als Zuwendung eines Vermögensvorteils 127ohne Erbeinsetzung (§ 1939 BGB). Das heißt, der Erblasser wendetjemandem im Testament einen Teil seines Vermögens zu, ohne ihn alsErben einzusetzen. Derjenige, der mit einem Vermächtnis bedacht ist,wird damit nicht Erbe sondern hat einen Anspruch gegen den Erben aufHerausgabe bzw. Auszahlung des Vermächtnisses.

Nicht immer bezeichnet der Erblasser die Personen, die er bedenken 128möchte, eindeutig als Erben oder Vermächtnisnehmer, oder er bezeichnetsie falsch. Auch in einem solchen Fall muss das Testament ausgelegtwerden und der tatsächliche Wille des Erblassers ermittelt werden. DasGesetz bietet hierfür Regeln an, nach denen das Testament ausgelegt wer-den kann. Wenn der Erblasser jemandem lediglich einzelne Gegenständezuwendet (Erwin schreibt in seinem Testament: „Mein Neffe Nepomuksoll meine Briefmarkensammlung erhalten“), so ist anzunehmen, dasser ihn nicht als Erben einsetzen wollte. Wenn der Erblasser jemandemsein Vermögen oder einen Bruchteil seines Vermögens zuwendet (Erwinschreibt in seinem Testament: „Mein Neffe Nepomuk soll die Hälftemeines Vermögens erhalten, die andere Hälfte überlasse ich meinerLebensgefährtin Lena.“) ohne ihn ausdrücklich als Erben zu bezeichnen,wird dennoch angenommen, dass der Bedachte Erbe sein soll (§ 2087BGB). Da Laien juristische Fachbegriffe oft nicht richtig verwenden, sollmit dieser Auslegungsregel sichergestellt werden, dass man den Erblassernicht auf den exakten Wortlaut seines Testaments „festnagelt“ sondern

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments

seinen mutmaßlichen Willen erfüllt. Trotz dieser Auslegungsregel istes empfehlenswert, sich mit den Unterschieden von Erbeinsetzung undVermächtnis zu befassen und dann die Bedachten im Testament genauzu bezeichnen.

Der Erblasser kann bestimmen, wer das Vermächtnis auszuzahlen hat. 129Dies kann entweder der Erbe sein oder ein anderer Vermächtnisnehmer(sog. Untervermächtnis). Fehlt eine Anordnung darüber, wird angenom-men, dass der Erbe das Vermächtnis auszahlen muss (§ 2147 Abs. 2BGB). Erben mehrere und trifft der Erblasser keine konkrete Anordnungdarüber, wer das Vermächtnis auszuzahlen hat, müssen die Erben imZweifel nach ihrer jeweiligen Erbquote das Vermächtnis auszahlen (§ 2148BGB). Der Vermächtnisnehmer kann aber das Vermächtnis von jedemErben in vollem Umfang verlangen. Das Vermächtnis ist eine sogenanntenNachlassverbindlichkeit (wie z.B. auch die Bestattungskosten) für die alleErben gleichermaßen haften (Gesamtschuld). Die Erben müssen dannuntereinander die Zahlung entsprechend ihrer Erbquoten ausgleichen.

Stirbt der mit einem Vermächtnis Bedachte vor dem Erblasser, wird 130das Vermächtnis unwirksam, es sei denn der Erblasser hat einen Ersatz-vermächtnisnehmer benannt (§§ 2160, 2190 BGB). Ebenso wie bei derErbeinsetzung durch Vor- und Nacherbfolge kann der Erblasser auch beimVermächtnis bestimmten, dass dieses zeitlich nacheinander verschiedenenPersonen zukommen soll. Ein wesentlicher Unterschied zur Erbeinsetzungbesteht darin, dass der Erblasser die Bestimmung, wer das Vermächtnisbekommen soll einer anderen Person überlassen darf, wenn er einenkonkreten Personenkreis beschrieben hat (Beispielsweise: „einer meinerNeffen“).

Mit einem Vermächtnis kann der Erblasser jeden „Vermögensvorteil“ 131zuwenden. Dieser Begriff ist weit zu verstehen und umfasst beispielsweiseeine Geldzahlung, die Übereignung einer Sache, die Abtretung einer Forde-rung, den Erlass einer Schuld, die Einräumung eines Wohnrechts oder dieBestellung einer Grundschuld. In der Regel können nur Vermögensvorteilevermacht werden, die auch im Vermögen des Erblassers enthalten sind.Eine Ausnahme bildet das sogenannte Verschaffungsvermächtnis. Der zurHerausgabe des Vermächtnisses Verpflichtete (also in der Regel der Erbe)muss dem Vermächtnisnehmer den zugewendeten Vermögensvorteil dann

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments

verschaffen.

Beispiel: 132

Erwin setzt seinen Sohn Kilian zum Erben ein. Außerdem schreibt er insein Testament:

In diesem Fall ist Erwins Erbe Kilian verpflichtet, die Yacht für Lena zukaufen und ihr diese zu übereignen.

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments

Ebenso kann ein Vermächtnis mit einem Zweck verbunden sein, beispiels- 133weise indem der Erblasser ein Geldvermächtnis für die Finanzierung einesStudiums zuwendet.

Schließlich gibt es das sogenannte Vorausvermächtnis. Damit kann der 134Erblasser einem Erben einen bestimmten Vermögensvorteil „vorab“ zu-wenden. Das bedeutet, dass dieser Erbe zunächst das Vermächtnis erhältund erst anschließend von dem Nachlass abzüglich des Vermächtnissesdie Erbquoten bestimmt werden. Dieser Erbe erhält daher zusätzlich zuseinem Erbteil das Vermächtnis.

2. TeilungsanordnungVom Vorausvermächtnis zu unterscheiden ist die sogenannte Teilungs- 135anordnung, durch die der Erblasser festlegt, wie der Nachlass unter denErben aufzuteilen ist.

Beispiel: 136

Erwin setzt seine Kinder Kilian und Kira zu gleichen Teilen zu Erben ein.Zu seinem Vermögen gehören ein Wohnhaus im Wert von 400.000 ¤undein Wochenendhaus im Wert von 200.000 ¤; sein übriges Vermögen ist inWertpapieren angelegt und beläuft sich auf 400.000 ¤. In sein Testamentschreibt er:

In diesem Fall ist anzunehmen, dass Erwin – da er seine Kinder zu gleichen 137Teilen als Erben einsetzt – lediglich die Aufteilung der Immobilien festlegenwollte. 2 Bei der Auseinandersetzung erhält nun Kilian das Wohnhaus imWert von 400.000 ¤und Kira das Wochenendhaus mit geringerem Wert.Damit dennoch beide zu gleichen Teilen erben, erhält Kira nun von demverbleibenden Vermögen im Wert von 400.000 ¤einen Anteil von 300.000

2 Damit lässt sich zum Beispiel vermeiden, dass über die Aufteilung Streit entsteht und amEnde beide Immobilien verkauft werden müssen, um den Erlös aufteilen zu können.

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments

¤; Kilian erhält 100.000 ¤. In der Summe bekommt also jeder 500.000 ¤.

Hätte Erwin ein Vorausvermächtnis gewollt (was er in diesem Fall hätte 138deutlich machen müssen, da bei Erbeinsetzung zu gleichen Teilen von einerTeilungsanordnung auszugehen ist), hätte Kilian das Wohnhaus bekom-men, Kira das Wochenendhaus und jeder die Hälfte des verbleibendenVermögens. Im Ergebnis stünde Kira daher wirtschaftlich schlechter alsKilian.

3. AuflageEine Auflage ist im Prinzip ganz ähnlich wie ein Vermächtnis. Der 139wesentliche Unterschied besteht darin, dass zwar der Erbe (oder Ver-mächtnisnehmer) verpflichtet wird, an jemanden etwas zu leisten,derjenige der diese Leistung erhalten soll jedoch keinen Anspruch daraufhat (§ 1940 BGB).

Beispiel: 140

Erwin setzt seinen Sohn Kilian als Erbe zu 2/3und seine Tochter Kira alsErbin zu 1/3 ein. Außerdem verpflichtet er Kilian 20.000 ¤an die Kinder-krebshilfe zu spenden. Kilian ist damit verpflichtet, den Betrag zu zahlen.Die Kinderkrebshilfe hat jedoch keine Möglichkeit das Geld zu verlangen

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments

oder gar einzuklagen, wenn er nicht zahlt. Lediglich Kira hat als Miterbindas Recht, von Kilian zu verlangen, dass er der Auflage nachkommt unddas Geld spendet (§ 2194 BGB).

III. TestamentsvollstreckungUm sicherzugehen, dass die Verfügungen aus dem Testament auch tat- 141sächlich ausgeführt werden, kann der Erblasser Testamentsvollstreckunganordnen (§§ 2197 ff. BGB). Der ausgewählte Testamentsvollstrecker(Dies kann eine natürliche Person oder auch eine juristische Person (Bsp.GmbH) sein.) hat nach dem Tod des Erblassers die Aufgabe, dafür zusorgen, dass die Verfügungen ausgeführt werden. Er muss also zum Bei-spiel dafür sorgen, dass der Nachlass entsprechend der Teilungsanordnungdes Erblassers aufgeteilt wird, Vermächtnisse erfüllt werden, etc. Bis diesvollständig erledigt ist, verwaltet der Testamentsvollstrecker den Nachlass.Der Testamentsvollstrecker muss diese Aufgabe aber auch übernehmenwollen und sein Amt offiziell antreten. Zwingen kann man ihn dazunicht. Das Amt nimmt er durch eine formlose Erklärung gegenüber demNachlassgericht an. Der Testamentsvollstrecker erhält vom Nachlassge-richt ein Testamentsvollstreckerzeugnis, durch das er sich ausweisen kann.

Hat der Testamentsvollstrecker lediglich die Aufgabe die Verfügungen aus 142dem Testament auszuführen also beispielsweise die Aufteilung des Nach-lasses unter den Erben vorzunehmen, endet sein Amt mit der Erledigungdieser Aufgabe. Der Erblasser kann jedoch auch eine sogenannte Dau-ervollstreckung anordnen (§ 2209 BGB). Dann endet das Amt erst mitdem Zeitpunkt, den der Erblasser dafür bestimmt hat. Sinnvoll ist diesbeispielsweise wenn der Erblasser Minderjährige als Erben einsetzt. DerTestamentsvollstrecker kann dann damit beauftragt werden, den Erbteildes Minderjährigen so lange zu verwalten, bis dieser volljährig ist. DieDauervollstreckung endet in der Regel 30 Jahre nach dem Erbfall, es seidenn, der Erblasser hat angeordnet, dass sie bis zum Tod des Testaments-vollstreckers, bis zum Tod des Erben oder bis zu einem anderen Ereignisin der Person des Testamentsvollstreckers oder Erben andauern soll.

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments

IV. Ausschluss von der ErbfolgeEbenso wie jemand als Erbe eingesetzt werden kann, kann er auch von 143der Erbfolge ausgeschlossen werden, auch wenn er eigentlich gesetzlicherErbe ist. In besonderen Fällen kann jemand auch als erbunwürdigangesehen werden.

Ob jemand eine Erbschaft auch tatsächlich erhält, liegt jedoch nicht nur 144in der Hand des Erblassers. Ein Erbe kann nicht gezwungen werden, dieErbschaft auch tatsächlich anzunehmen. Durch vorherige Verzichtserklä-rung oder spätere Ausschlagung des Erbes kann der Erbe verhindern, dasser Erbe wird.

1. EnterbungMöchte der Erblasser ausschließen, dass eine Person, die zu seinen ge- 145setzlichen Erben gehört, erbt, so kann er dies durch Testament verfügen.Dies kann er ausdrücklich tun, indem er beispielsweise schreibt: „MeineKinder sollen mich nicht beerben.“. Benennt er im Übrigen niemanden,der stattdessen erben soll, treten an die Stelle der Ausgeschlossenen nachden Regeln der gesetzlichen Erbfolge die gesetzlichen Erben, die erbenwürden, wenn die Ausgeschlossenen bereits verstorben wären.

Der Erblasser kann jedoch auch gesetzliche Erben indirekt von der Erbfolge 146ausschließen, indem er andere zu seinen alleinigen Erben macht („Allei-nerbe soll mein Freund Friedrich sein“).

2. ErbunwürdigkeitIn vom Gesetz bestimmten Ausnahmefällen kann ein Erbe erbunwürdig 147sein (§ 2339 BGB). In dem Fall kann die Erbschaft angefochten werden.Zur Anfechtung berechtigt ist jeder, dem der Wegfall des Erbunwürdigenals Erbe nützt (§ 2341 BGB). Die Anfechtung ist aber ausgeschlossen,wenn der Erblasser dem Erbunwürdigen verziehen hat. Erbunwürdig istnach § 2339 BGB:

• wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich tötet oder zu tötenversucht

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§ 9 Möglicher Inhalt eines Testaments

• wer den Erblasser in einen Zustand versetzt, durch den der Erblasserunfähig ist, ein Testament zu errichten

• wer vorsätzlich und widerrechtlich verhindert, dass der Erblasser vorseinem Tod ein Testament errichtet oder aufhebt

• wer dem Erblasser droht oder ihn arglistig täuscht und der Erblasseraufgrund dessen ein Testament errichtet oder aufhebt

• wer im Zusammenhang mit einem Testament des Erblassers eineUrkundenfälschung, eine Urkundenunterdrückung, eine Fälschungamtlicher Ausweise oder eine mittelbare Falschbeurkundung begeht.

Die Aufzählung der Erbunwürdigkeitsgründe im Gesetz ist abschließend.Aus anderen Gründen kann ein Erbe nicht erbunwürdig sein.

3. ErbverzichtJeder gesetzliche Erbe kann auf sein Erbe verzichten (§§ 2346 ff. BGB). 148Dies kann er ganz oder zum Teil oder zugunsten einer anderen Person.Auch auf ein etwaiges Pflichtteilsrecht oder auf Erbeinsetzungen undVermächtnisse kann verzichtet werden. Im Falle des Verzichts auf eingesetzliches Erbrecht, treten an die Stelle des Verzichtenden diejenigen,die nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge als nächstes zu Erbenberufen sind, wie wenn der Verzichtende verstorben wäre. Zu beachten ist,dass der Verzicht eines Abkömmlings des Erblassers (bspw. eines Sohnes)oder eines Seitenverwandten (bspw. eines Bruders) sich auf dessengesamten Stamm erstreckt. Also auch die Kinder des Verzichtenden sinddann von der Erbfolge ausgeschlossen, es sei denn es ist ausdrücklichanders vereinbart worden.

Ein Erbverzicht erfolgt durch einen Vertrag zwischen dem Erblasser und 149dem Verzichtenden. Dieser Vertrag muss notariell beurkundet werden(§ 2348 BGB). Auf dieselbe Art und Weise kann ein Verzicht auf das ge-setzliche Erbrecht oder den Pflichtteil wieder aufgehoben werden (§ 2351BGB).

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§ 10 Das gemeinschaftliche Tes-tament

Ehepartner können nach § 2265 BGB ein gemeinschaftliches Testament er- 150richten.1 Bei einem solchen Testament handelt es sich eigentlich um zweiTestamente, da jeder der Ehepartner ein Testament errichtet. Die Ehe-partner handeln dabei aber aufgrund eines gemeinsamen Entschlusses. Fürdas gemeinschaftliche Testament gelten gegenüber dem Einzeltestamenteinige Besonderheiten.

I. FormvorschriftenFür ein gemeinschaftliches Testament gelten einige Besonderheiten 151bezüglich der Form. Bei einem öffentlichen Testament, ergibt sich dieBesonderheit lediglich daraus, dass zwei Testierende vorhanden sind.Jeder Ehegatte muss den Inhalt der Verfügung des jeweils anderenkennen. Vor dem Notar müssen beide anwesend sein.

Beim gemeinschaftlichen eigenhändigen Testament gibt es eine Former- 152leichterung. Nach § 2267 BGB genügt es, wenn einer der Ehegatten dasTestament eigenhändig schreibt und unterschreibt und der andere sich die-ser Verfügung durch seine Unterschrift anschließt. Dies ist jedoch nur eineErleichterung, von der man selbstverständlich keinen Gebrauch machenmuss. Jeder Ehegatte kann sein Testament daher auch selbst schreiben

1 Auch gleichgeschlechtliche eingetragene Lebenspartner können ein gemeinschaftlichesTestament errichten. Im Erbrecht sind sie Ehepartnern gleichgestellt.

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§ 10 Das gemeinschaftliche Testament

oder das vom Ehepartner geschriebene ergänzen. Schreibt nur einer dasTestament nieder und nimmt der andere in seinem Testament Bezug aufdas Testament des Ehegatten, so ist diese Bezugnahme nur wirksam, wenndas Testament auf das Bezug genommen wird auch gültig ist. Zu denFormvorschriften gilt im Übrigen das oben zum eigenhändigen TestamentGesagte.

II. Möglicher InhaltInhalt eines gemeinschaftlichen Testaments kann all das sein, das auch 153Inhalt eines Einzeltestaments sein kann. Die Besonderheit beim gemein-schaftlichen Testament sind jedoch die sogenannten wechselbezüglichenVerfügungen. Das sind Verfügungen, die ein Ehepartner nur deshalb trifft,weil auch der andere eine entsprechende Verfügung trifft. Deshalb hängtauch die Wirksamkeit der einen Verfügung von der Wirksamkeit deranderen Verfügung ab. Wechselbezüglich können nur Erbeinsetzungen,Vermächtnisse und Auflagen sein.

Beispiel: 154Erwin und Frauke errichten ein gemeinschaftliches Testament, in demsie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzen und ihre zwei Kinder alsSchlusserben. Hier ist anzunehmen, dass der eine den anderen nur deshalbals Alleinerben einsetzt, weil auch der andere dies tut.

Denkbar ist jedoch auch, dass sich beide gegenseitig zu Alleinerben 155einsetzen ohne, dass sie ihre Verfügung von der des anderen abhängigmachen wollen. Wäre Frauke im obigen Beispiel vermögenslos und beidesetzen sich gegenseitig zu Alleinerben ein, so ist es denkbar, dass Erwinseine vermögenslose Frau auch dann als Alleinerbin einsetzen würde, wennsie dies umgekehrt nicht tut, um sie im Falle seines Todes abzusichern.

Schließlich ist es möglich, dass Eheleute vollständig ohne wechselbezügli- 156che Verfügungen testieren und lediglich eine Testiergemeinschaft bilden,um von der Formerleichterungen Gebrauch machen zu können.

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§ 10 Das gemeinschaftliche Testament

III. BindungswirkungWie oben bereits gesagt hängt die Wirksamkeit wechselbezüglicher Ver- 157fügungen zusammen. Im Falle eines Widerrufs einer wechselbezüglichenVerfügung ist daher auch die andere unwirksam (§ 2270 Abs. 2 BGB).Aufgrund dieser Verbindung der Verfügungen besteht ein besondererSchutz nach dem Tod eines Ehegatten. Die Verfügungen können nurzu Lebzeiten widerrufen werden. Stirbt einer der Ehepartner, kann derandere seine Verfügung nicht mehr widerrufen, da der Verstorbene seineVerfügung auch nicht mehr ändern kann.

Zu Lebzeiten können aufgrund dieser besonderen Bindungswirkung wech- 158selbezügliche Verfügungen einseitig nur durch notariell beurkundete Er-klärung gegenüber dem anderen Ehegatten widerrufen werden (§§ 2271,2296 BGB).

IV. Das „Berliner Testament“Der weitaus häufigste Fall ist der, dass sich Ehegatten gegenseitig zu 159Alleinerben einsetzen und einen Dritten – in der Regel die gemeinsamenKinder – zu Erben des Überlebenden einsetzen. Diese Konstellation nenntman Berliner Testament. Aus einer solchen Verfügung ergibt sich jedochnicht genau, was die Ehegatten rechtlich gewollt haben (es sei denn siebezeichnen dies korrekt). Zwei Möglichkeiten sind denkbar:

Stirbt einer der Ehegatten wird der andere Vorerbe und die Kinder 160Nacherben. Nacherbfall ist der Tod des zweiten Ehegatten. Der über-lebende Ehegatte erwirbt das Vermögen des Erstversterbenden. BeimTod des Überlebenden erhalten die Kinder zum einen als Nacherbenden Nachlass des Erstversterbenden und als Vollerben den Nachlassdes Zweitversterbenden – es bestehen also zwei Vermögensmassen(sogenanntes Trennungsprinzip).

Der überlebende Ehegatte kann jedoch auch Vollerbe des Erstversterben- 161den sein und die Kinder lediglich Schlusserben – die Vermögensmassenverschmelzen also nach dem Tod des ersten Ehegatten (sogenanntesEinheitsprinzip).

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§ 10 Das gemeinschaftliche Testament

Die Unterscheidung der beiden Möglichkeiten hat erhebliche Auswirkun- 162gen:

• Beim Trennungsprinzip wird der Überlebende nur Vorerbe und un-terliegt den Beschränkungen eines Vorerben.

• Der Dritte (in der Regel die Kinder) wird beim TrennungsprinzipNacherbe und erhält daher zunächst nur ein Anwartschaftsrecht,welches z.B. vererblich ist.2

• ist der Dritte pflichtteilsberechtigt, so kann er nur im Falle der Ein-heitslösung bei Tod des ersten Ehepartners den Pflichtteil geltendmachen. Bei der Trennungslösung ist er (Nach-)Erbe und kann somitseinen Pflichtteil nur dann geltend machen, wenn er die Erbschaftausschlägt.

• Mit der Trennungslösung stehen mehr erbschaftsteuerrechtlicheFreibeträge zur Verfügung, da die Kinder sowohl beim Tod des ers-ten Ehepartners als auch beim Tod des zweiten Ehepartners einenFreibetrag als Kind des jeweils Verstorbenen haben. Bei der Ein-heitslösung beerben sie dagegen nur einen Elternteil.

Wegen dieser gravierenden Unterschiede sollte ein solches Berliner Testa- 163ment sorgfältig verfasst werden. Ist die Verfügung nicht eindeutig, mussdas Testament ausgelegt werden. Finden sich gar keine Anhaltspunkte fürdie eine oder andere Lösung, geht man vom Einheitsprinzip aus (§ 2269Abs. 1 BGB).

V. WiederverheiratungsklauselVon besonderer Bedeutung ist auch die sogenannte Wiederverheiratungs- 164klausel. Mit der Wiederverheiratungsklausel soll erreicht werden, dassder Nachlass des Erstversterbenden in jedem Falle an die gemeinsamen

2 Beim Tod des Kindes etwa geht das Anwartschaftsrecht auf die Erben des Kindes über, sodass beim Tod des zweiten Ehepartners diese auch die Nacherbschaft erhalten. Im Falleder Einheitslösung geht der gesamte Nachlass beider Ehepartner einheitlich auf die ausge-wählten Erben über.

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§ 10 Das gemeinschaftliche Testament

Kinder fällt auch für den Fall, dass der überlebende Ehegatte wiederheiratet. Auch hier macht sich die Unterscheidung zwischen Einheits-und Trennungslösung bemerkbar. Haben die Ehegatten Vor- und Nach-erbschaft gewollt und eine Wiederverheiratungsklausel in ihr Testamentaufgenommen, so wird angenommen, dass sie gewollt haben, dass derNacherbfall nicht erst mit dem Tod des zweiten Ehepartners sondern mitdessen Wiederheirat eintritt.

Haben die Ehegatten dagegen die Einheitslösung gewählt, wird im Falle 165einer Wiederverheiratungsklausel angenommen, dass die Vollerbschaft desÜberlebenden nur auflösend bedingt ist und zugleich Vor- und Nacherb-folge aufschiebend bedingt ist. Das heißt, dass der überlebende Ehegattezunächst beim Tod des Ehepartners Vollerbe wird. Heiratet er erneut, än-dert sich die Verfügung jedoch in eine Vor- und Nacherbschaft, so dassmit der Heirat der Nacherbfall eintritt und die Kinder die Erbschaft desverstorbenen Elternteils erhalten. In dieser Konstellation ist jedoch davonauszugehen, dass der überlebende Ehepartner von den Beschränkungendes Vorerben befreit sein soll. Ebenso ist davon auszugehen, dass ein Ent-fallen der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments für denFall der Wiederheirat gewollt ist. Der überlebende Ehegatte kann daherseine Verfügungen aus dem gemeinschaftlichen Testament frei widerrufen,wenn er erneut heiratet.

VI. PflichtteilsstrafklauselSetzen Ehegatten sich gegenseitig zu Alleinerben und ihre Kinder zu 166Schlusserben ein, sind diese beim Tod des ersten Ehegatten von der Erb-folge ausgeschlossen. Sie haben dann Anspruch auf den Pflichtteil. Umzu verhindern, dass die Kinder diesen beim ersten Erbfall auch tatsächlichgeltend machen, können die Ehegatten eine Pflichtteilsstrafklausel in ihrTestament aufnehmen. Derjenige, der den Pflichtteil geltend macht, solldanach auch beim zweiten Erbfall nur den Pflichtteil erhalten. Eine Ver-schärfung dieser „Strafe“ lässt sich dadurch erreichen, dass für den Fall,dass eines der Kinder den Pflichtteil geltend gemacht hat, die anderenKinder, die dies nicht getan haben, beim Tod des zweiten Elternteils einVermächtnis aus dem Nachlass des erstverstorbenen Elternteils in Höheihres gesetzlichen Erbteils erhalten. Dadurch wird der Nachlass des als

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§ 10 Das gemeinschaftliche Testament

zweites verstorbenen Elternteils und damit auch der Pflichtteil des „zubestrafenden“ Kindes verringert (sog. Jastrow´sche Klausel).

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§ 11 Nachfolgeplanung in beson-deren Lebenssituationen

I. Der Lebensgefährte im ErbrechtPaare ohne Trauschein haben oft den Wunsch sich gegenseitig auch nach 167dem Tod abzusichern. Ein gesetzliches Erbrecht gibt es im Unterschied zuanderen europäischen Rechtsordnungen im deutschen Recht nicht. Nicht-eheliche Lebenspartner haben also nur die Möglichkeit, sich testamen-tarisch zu Erben einzusetzen. Da ein gemeinschaftliches Testament nurvon Ehegatten errichtet werden kann, bleibt ihnen auch nur die Mög-lichkeit sich in Einzeltestamenten jeweils zu Erben einzusetzen. Eine guteAlternative zu zwei Einzeltestamenten ist ein Erbvertrag. Dieser bietet dieSicherheit, dass die Partner jeweils voneinander wissen, was sie verfügthaben. Außerdem ist ein solcher Vertrag nicht mehr einseitig abänderbar.Um sich für den Fall einer Trennung dennoch von dem Vertrag lösen zukönnen, sollte ein Rücktrittsvorbehalt vereinbart werden. Zu berücksich-tigen sind außerdem Pflichtteilsansprüche möglicher Kinder. Vollständigvermeiden lässt sich ein Pflichtteilsanspruch in der Regel nicht, es gibtjedoch Strategien, den Pflichtteil der Kinder - wenn gewünscht - zumin-dest zu reduzieren. Hier ist eine umfassende Beratung unerlässlich. EinenNachteil der „wilden Ehe“ kann man nicht ausräumen: Dem nichtehe-lichen Lebenspartner steht nur ein erbschaftssteuerlicher Freibetrag von¤20.000 zu! Ein Ehegatte dagegen hat einen Freibetrag von ¤500.000.Helfen kann hier, soweit vorhanden in erster Linie Kinder zu bedenkenund die Absicherung des Lebenspartners über Nießbrauchsrechte, Leibren-ten oder Lebensversicherungen zu gewährleisten.

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§ 11 Nachfolgeplanung in besonderen Lebenssituationen

II. Minderjährige als ErbenBesteht die Möglichkeit, dass die Erben beim Tod des Erblassers noch 168minderjährig sind, bietet es sich an, einige besondere Verfügungen zu tref-fen. Es sollte berücksichtigt werden, dass Minderjährige geschäftsunfähigoder zumindest in der Geschäftsfähigkeit beschränkt sind. Die Elternunterliegen als gesetzliche Vertreter gewissen Beschränkungen.1 Auchdürfen sie eine Erbschaft nicht für das minderjährige Kind ausschlagen.

Insbesondere die Testamentsvollstreckung (in Form der Dauervoll- 169streckung) bietet sich für minderjährige Erben an. So kann derTestamentsvollstrecker beauftragt werden, den Erbteil des Minderjährigenim Sinne des Erblassers zu verwalten, bis der Erbe volljährig gewordenist.

Grundsätzlich erstreckt sich die elterliche Sorge auch vollumfänglich auf 170die Vermögenssorge und auf Vermögen, das das Kind aufgrund einerErbschaft erlangt. Möchte der Erblasser verhindern, dass die Eltern fürdas Kind über den Erbteil verfügen, den er ihm hinterlassen möchte,so kann er die elterliche Vermögenssorge insoweit einschränken (§ 1638BGB). Wird die Befugnis das ererbte Vermögen für das Kind zu verwaltennur einem Elternteil entzogen, verwaltet dies der andere Elternteil allein.Ist die Vermögenssorge beiden entzogen, wird vom Gericht ein Pflegerbestellt.

Eltern haben unter Umständen ein Interesse daran, ihre minderjährigen 171Kinder in finanzieller und persönlicher Hinsicht für den Fall abzusichern,dass sie beide versterben. Sie können daher in ihrem Testament einenVormund für ihre Kinder benennen (§ 1777 Abs. 3 BGB).

III. Behinderte als ErbenWill man einen Menschen mit einer Behinderung absichern, insbesondere 172weil er nicht in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten, gilt es einiges zu

1 So dürfen sie insbesondere nicht ohne Zustimmung des Familiengerichts über Grundstückedes Kindes verfügen.

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§ 11 Nachfolgeplanung in besonderen Lebenssituationen

beachten. Behinderte, die sich nicht selbst unterhalten können, beziehenoft Sozialleistungen, auf die jedoch eigenes Vermögen angerechnet wird.Möchten nun beispielsweise Eltern ein behindertes Kind absichern, somüssen sie verhindern, dass nach ihrem Tod der Sozialhilfeträger Zugriffauf die Erbschaft erlangt und so das Kind leer ausgeht. Am einfachstenwäre es, das behinderte Kind zu enterben und ihm so lediglich denPflichtteil zukommen zu lassen. Diesen Pflichtteilsanspruch kann derSozialhilfeträger jedoch direkt auf sich überleiten (§ 93 SGB XII). Um demKind dennoch Mittel aus dem Nachlass zukommen zu lassen, könnte mandie Erben verpflichten, ihm kleinere Geldbeträge, Haushaltsgegenstände,oder ähnliches aus dem Nachlass zukommen zu lassen. Dies ändert jedochnichts daran, dass der Pflichtteil vom Sozialhilfeträger geltend gemachtwerden kann.

Mit einem sogenannten Behindertentestament kann man den elterlichen 173Nachlass jedoch dem Zugriff des Sozialhilfeträgers vollständig entziehenund dem Kind zugute kommen lassen. Dabei wird das behinderte Kindzum nicht befreiten Vorerben erklärt. Nacherbe beim Tod des erstenElternteils wird der überlebende Elternteil und bei dessen Tod die weiterenKinder. Aus sich aus dem Pflichtteilsrecht ergebenden Gründen sollteder Erbteil des behinderten Kindes etwas über seinem Pflichtteilsbetragliegen. Durch die Anordnung von Vor- und Nacherbschaft kann dasbehinderte Kind seinen Erbteil nicht weitervererben und der Sozialhilfe-träger hat keinen Zugriff auf den Erbteil, da dieser ja für den Nacherbenerhalten bleiben soll. Darüber hinaus sollte Dauertestamentsvollstreckungangeordnet werden und der Testamentsvollstrecker mit der Aufgabebetraut werden, dem behinderten Kind aus dem Nachlass soweit möglichZuwendungen zukommen zu lassen, die nicht auf die Sozialhilfe angerech-net werden (Taschengeld, Geschenke zu besonderen Anlässen, Reisen).

Bislang hat die Rechtsprechung diese Form der Nachlassgestaltung aner- 174kannt. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass sich die Rechtsprechunghierzu ändert und ein solches Testament als sittenwidrig eingestuft wird.Der Grund für eine mögliche Sittenwidrigkeit liegt darin, dass der Staatdurch die Sozialhilfe für den Lebensunterhalt eines Menschen aufkommt,der sich eigentliche (aus dem Erbe) selbst unterhalten könnte.

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§ 11 Nachfolgeplanung in besonderen Lebenssituationen

IV. Bedürftige oder Verschuldete als ErbenHäufig haben Erblasser den Wunsch verschuldeten oder bedürftigen Per- 175sonen oftmals aus dem Familienkreis mit einer Erbschaft Vermögen zuzu-wenden ohne, dass Gläubiger oder der Sozialhilfeträger darauf zugreifenkönnen. Ein entsprechendes Testament ließe sich ähnlich gestalten, wie einBehindertentestament. Allerdings gibt es zu Testamenten zugunsten einesVerschuldeten oder Bedürftigen bislang keine gesicherte Rechtsprechunginsbesondere im Hinblick auf eine mögliche Sittenwidrigkeit. Die Rechts-lage ist daher sehr unsicher und sollte vor dem Verfassen eines solchenTestaments genau geprüft werden. Auch spielt die familiäre Situation hiereine besondere Rolle. Pauschale Vorschläge, wie ein solches Testament zugestalten wäre, sind daher fehl am Platz.

V. GeschiedenentestamentSind Eheleute geschieden und setzt einer der Ehegatten die gemeinsa- 176men Kinder als Erben ein oder lässt die gesetzliche Erbfolge eintreten, sokönnte es passieren, dass Vermögen des Erblassers irgendwann auf den ge-schiedenen Ehepartner übergeht. Dies passiert dann, wenn nach dem Toddes Erblassers ein gemeinsames Kind stirbt (das zuvor von dem Eltern-teil geerbt hatte) und der andere Elternteil (und geschiedene Ehepartner)dieses Kind beerbt. Um dem vorzubeugen kann Vor- und Nacherbschaftangeordnet werden. Die Kinder werden als befreite Vorerben eingesetztund als Nacherben deren Abkömmlinge oder sonstige Verwandte. So kannkein Vermögen auf den geschiedenen Ehepartner übergehen.

VI. UnternehmensnachfolgeIdealerweise wird eine Unternehmen zu Lebzeiten geordnet in die nächste 177Generation überführt. Oft gelingt dies jedoch zu Lebzeiten nicht, so dasssich der Unternehmer in jedem Falle mit einer Nachfolgeregelung für denFall seines Todes auseinandersetzen sollte. Auch ist daran zu denken,dass der federführende Unternehmer auch ganz unerwartet versterbenkann, noch bevor die Nachfolge geklärt ist.

Für die Nachfolgeregelungen stehen sämtliche Instrumentarien des 178

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§ 11 Nachfolgeplanung in besonderen Lebenssituationen

Erbrechts zur Verfügung, wenngleich nicht alle gleichermaßen geeignetsind. Unerlässlich ist es, sich des Ineinandergreifens von Erbrecht, Handels-bzw. Gesellschaftsrecht und Steuerrecht bewusst zu werden und seineNachfolgeplanung danach auszurichten. Zu berücksichtigen ist außerdemdie Gesamtsituation des Unternehmers – also sowohl das Unternehmenals auch die Familie des Unternehmers sollte bei der Nachfolgeplanungins Auge gefasst werden. Gerade bei Familienunternehmen will man in derRegel nicht nur das Unternehmen in die nächste Generation überführen,sondern auch das (mit dem Unternehmen verknüpfte) Privatvermögensinnvoll übertragen.

Eine pauschale Empfehlung für einen Unternehmer, der Vorsorge für den 179Fall seines Todes treffen möchte, ist praktisch nicht möglich. Generellkann man sagen, dass sich in der Regel die gesetzliche Erbfolge nichtanbietet, der Unternehmer also die Erbfolge selbst in die Hand nehmensollte. Der Unternehmer sollte sich, seine familiäre Situation und seinUnternehmen genau analysieren, sich darüber klar werden, wem er dasUnternehmen übergeben möchte und sich anhand der Analyseergebnissefachkundig beraten lassen.

Für die Nachfolgeplanung gibt es einige Grundregeln: 180

• Abstimmung von Erbfolgeplanung und ggfs. bestehendem Gesell-schaftsvertrag

• Pflichtteilsrechtliche und familienrechtliche Risiken im Auge behal-ten

• ggfs. weitere Vorsorge treffen (Vollmachten, Patientenverfügung,etc.)

• Vermeidung einer Erbengemeinschaft

• Bestimmung eines Nachfolgers nicht über mehr als eine Generation

• steuerliche Beratung einholen

• regelmäßige Überprüfung und ggfs. Anpassung der Verfügungen(empfohlen: alle 3 Jahre)

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§ 11 Nachfolgeplanung in besonderen Lebenssituationen

VII. Erbfälle mit AuslandsbezugBei Erbfällen mit Auslandsbezug ist die Auseinandersetzung mit einer 181fremden Rechtsordnung oder zumindest mit dem internationalen Rechtim Prinzip unvermeidbar. Sowohl bei der Abwicklung eines Erbfalles alsauch bei der Erbfolgeplanung sind die ausländischen Rechtsnormen zubeachten. Auch hier verbieten sich pauschale Ratschläge, da Sachverhaltemit Auslandsbezug zu vielfältig und komplex sind.

Auf eine wichtige Neuerung im deutschen Erbrecht ist jedoch in beson- 182derer Weise aufmerksam zu machen: Die EU-Erbrechtsverordnung, die inallen Erbfällen ab dem 17. August 2015 Anwendung findet.

Im Wesentlichen regelt diese Verordnung, dass für grenzüberschreitende 183Erbfälle die Rechtsordnung des Staates anzuwenden ist, in dem der Erblas-ser zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Es ist daher nicht mehrdie Staatsangehörigkeit des Verstorbenen sondern sein gewöhnlicher Auf-enthaltsort maßgeblich. Relevant ist dies beispielsweise für Deutsche, diesich beruflich dauerhaft im Ausland aufhalten, oder ihren Lebensabend imAusland verbringen. Ziel der Verordnung ist es, eine einheitliche Regelungdafür zu schaffen, welches Recht in Erbfällen anwendbar ist. Kompetenz-konflikte und Kollisionen verschiedener Rechtsordnungen sollen so vermie-den werden. Für Erben eines im Ausland lebenden Deutschen wird dieseVerordnung die Angelegenheit jedoch im Zweifel komplizierter machen,da man sich auch in diesem Fall mit einer ausländischen Rechtsordnungauseinandersetzen muss.

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§ 12 Aufbewahrung von Testa-menten

Für die Aufbewahrung von Testamenten gibt es keine gesetzlichen Vor- 184schriften. Sie sollten aber darauf achten, das Testament so zu verwahren,dass es bei Ihrem Tod auch gefunden wird. Wer das Testament nachIhrem Tod in Besitz hat, ist nach § 2259 BGB verpflichtet es beimNachlassgericht abzuliefern.

Wenn Sie sichergehen wollen, dass das Testament auch wirklich gefunden 185wird, sollten Sie es in amtliche Verwahrung geben. Ein notarielles Testa-ment wird ohnehin amtlich verwahrt. Aber auch ein eigenhändiges Tes-tament können Sei beim Nachlassgericht in Verwahrung geben. Seit dem1. Januar 2012 wird die amtliche Verwahrung im Zentralen Testamentsre-gister erfasst. Dies erleichtert für die Nachlassgerichte die Auffindbarkeitdes Testaments.

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§ 13 Erbvertrag

Alternativ zur Errichtung eines Testaments kann der Erblasser mit seinen 186Erben auch einen Erbvertrag schließen (§§ 1941, 2274 ff. BGB). Durcheinen solchen Vertrag wird der Erblasser an bestimmte Verfügungengebunden, weshalb sich der Abschluss eines Erbvertrages insbesonderedann anbietet, wenn der Erbe eine gewisse Sicherheit haben möchte.

Beispiel: 187

Erwin betreibt ein Unternehmen zur Herstellung von Robotern für dieAutomobilindustrie. Sein Sohn Kilian hat sich in seinem Ingenieurstudiumauf den Fachbereich Robotik spezialisiert. Er möchte jedoch nur danngute Stellenangebote anderer Unternehmen ausschlagen und in denväterlichen Betrieb einsteigen, wenn er die Sicherheit hat, dass er dasUnternehmen später auch tatsächlich erbt.

Ein Erbvertrag kann nur vor einem Notar bei gleichzeitiger Anwesenheit 188der Vertragspartner geschlossen werden (§ 2276 Abs. 1 BGB). Mit demErbvertrag können nur Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagenangeordnet werden. Andere Verfügungen sind nicht zulässig. Der Erblas-ser kann jedoch zusätzlich andere Verfügungen in die Vertragsurkundeaufnehmen. Sie unterliegen dann jedoch nicht der vertraglichen Bindungsondern wirken wie eine Verfügung in einem Einzeltestament. Erbein-setzungen, Vermächtnisse und Auflagen in einem Erbvertrag müssenauch nicht zwingend vertragliche Verfügungen sein. Auch hier ist also imEinzelfall zu prüfen, was gewollt war.

Ein Erbvertrag kann sowohl einseitige Verfügungen als auch zweiseitige 189

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§ 13 Erbvertrag

Verfügungen enthalten. Es kann sich also entweder nur ein Erblasservertraglich binden und der Erbe nimmt die Erklärung lediglich an oder estreffen zwei Erblasser vertragsmäßige Verfügungen in einem zweiseitigenErbvertrag.

Durch eine vertragsmäßige Verfügung wird der Erblasser gebunden. Das 190heißt, er kann nicht später durch Testament etwas anderes verfügen.Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn sich der Erblasser im Vertrag dieÄnderungen vorbehält oder der Bedachte einer Änderung zustimmt.

Wie bei jedem anderen Vertrag auch, kann der Vertrag und damit die 191Bindungswirkung durch Aufhebung des Vertrages, Anfechtung oderRücktritt beseitigt werden. Eine Besonderheit gilt für Ehegatten die einenErbvertrag geschlossen haben. Sie können diesen durch ein gemeinschaft-liches Testament (auch durch eigenhändiges) aufheben (§ 2292 BGB).

Hat der Erblaser im Vertrag ein Vermächtnis oder eine Auflage angeordnet 192(nicht Erbeinsetzung) kann er diese Verfügungen auch durch Testamentaufheben (§ 2291 BGB). Die Aufhebung bedarf aber der Zustimmung desVertragspartners. Einen Rücktritt kann sich der Erblasser im Testamentvorbehalten (§ 2293 BGB). Ansonsten ist ein Rücktritt nur aus den im Ge-setz abschließend genannten Gründen möglich. Nach § 2294 BGB kann derErblasser zurücktreten, wenn der Bedachte sich in der Weise fehlverhaltenhat, dass ihm der Pflichtteil entzogen werden könnte und nach § 2295BGB kann der Erblasser zurücktreten, wenn der Vertragspartner zu einerwiederkehrenden Leistung (z.B. Unterhalt) an den Erblasser verpflichtetwar, der Erblasser deshalb die vertragsmäßige Verfügung getroffen hat unddie Leistungsverpflichtung vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wird.Die Rücktrittserklärung ist gegenüber dem Vertragspartner abzugeben.

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Dritter Teil:

VorweggenommeneErbfolge

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§ 14 Schenkungen zu Lebzeiten

Alternativ oder ergänzend zur Regelung der Vermögensnachfolge durch 193Testament können auch Schenkungen zu Lebzeiten vorgenommen wer-den (sog. vorweggenommene Erbfolge). Bei einer solchen Regelung mussman sich jedoch im Klaren darüber sein, dass sich die Lebensverhältnisserasch ändern können und Probleme und Konflikte im Zusammenhang mitder Regelung der Vermögensnachfolge schon zu Lebzeiten des Erblassersaufbrechen können. Rechtlich kann die Vermögensübertragung zu Lebzei-ten auf vielfältige Weise geschehen. Der Vorteil lebzeitiger Zuwendungenliegt oft darin, dass sich die erbschafts- und schenkungssteuerlichen Frei-beträge alle zehn Jahre wieder „auffrischen“. Auch die Übertragung einesFamilieneigenheimes kann aus steuerlichen Gründen interessant sein, wennabsehbar ist, dass es weiterhin als solches genutzt wird. Die vielfältigenMöglichkeiten, die sich im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge bie-ten, können hier nur im Überblick dargestellt werden:

• Schenkungen unter Ehegatten (z.B. Übertragung des hälftigen Ei-gentums am gemeinsam bewohnten Haus)

• Vereinbarung von Gütertrennung mit sofortigem Zugewinnausgleich

• Verträge zugunsten Dritter (z.B. Lebensversicherungen) durch dieGegenstände außerhalb des Nachlasses zugewendet werden1

• einfache Geldschenkungen

1 Bei Lebensversicherungsverträgen, bei denen ein Bezugsberechtigter widerruflich ein-getragen ist, fällt für die Pflichtteilsberechnung der Wert der Lebensversicherung aller-dings mit dem Rückkaufswert zum Todestag in den Nachlass; BGH, Urt. v. 28.04.2010,IV ZR 73/08.

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§ 14 Schenkungen zu Lebzeiten

• Übertragung von Immobilieneigentum (ggfs. mit Einräumung einesWohnrechts, eines Nießbrauchs, einer Leibrente o.ä.)

• Schenkungen auf den Todesfall (Zuwendung erst beim Tod aberaußerhalb des Nachlasses)

Je nach Ausgestaltung unterliegen die genannten Verfügungen und Ver- 194träge bestimmten Formvorschriften. So ist etwa für die Übertragung vonImmobilien stets eine notarielle Beurkundung erforderlich. Für Schenkun-gen auf den Todesfall gelten die Formvorschriften für Testamente. Da-neben lauern im Einzelfall eine Reihe weiterer rechtlicher und steuerlicherFallstricke, die eine vorherige (steuer-)rechtliche Beratung empfehlenswerterscheinen lassen.

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§ 15 Errichtung einer Stiftung

Eine sehr anspruchsvolle Regelung der Vermögensnachfolge ist die Errich- 195tung einer Stiftung. Es sind hier vor allem drei Motive zu nennen ausdenen Stiftungen errichtet werden:

• Errichtung einer Stiftung zu mildtätigen Zwecken (gemeinnützig unddaher steuerbefreit)

• Sicherung der Nachfolge in einem Familienunternehmen durch Er-richtung einer Stiftung

• Langfristige Sicherung des Familienvermögens durch Errichtung ei-ner Familienstiftung

Das Stiftungsrecht und das dazugehörige Steuerrecht sind jedoch kom- 196plizierte und komplexe Rechtsgebiete. Erwägt man die Errichtung einerStiftung sollte man sich daher an einen Fachmann in diesem Gebiet wen-den. Anzuraten ist die Errichtung einer Stiftung auch nur, wenn großesVermögen vorhanden ist.

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Vierter Teil:

Pflichtteilsrecht

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§ 16 Einführung

Grundsätzlich kann der Erblasser völlig frei über sein Vermögen verfügen 197und bestimmen, wer es nach seinem Tod erhalten soll. Es gibt nur einegravierende Einschränkung dieser Freiheit: Das Pflichtteilsrecht. Durchdas Pflichtteilsrecht soll vermieden werden, dass die nächsten Angehörigendes Erblassers bei seinem Tod vollkommen leer ausgehen. Diese Regelungberuht auf dem Gedanken, dass der Erblasser über seinen Tod hinausfür diese nahen Angehörigen eine gewisse Sorgfaltspflicht hat. Hat derErblasser die nächsten Angehörigen durch Testament (oder Erbvertrag)enterbt, so erhalten sie einen Anspruch auf Zahlung des Pflichtteils gegendie Erben des Erblassers (kein Mindesterbteil!).

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§ 17 Pflichtteilsberechtigte

Pflichtteilsberechtigt sind nach § 2303 die Abkömmlinge des Erblassers, 198die Eltern (sofern kein Abkömmling des Erblassers einen Pflichtteilgeltend macht oder die Erbschaft annimmt) sowie der Ehegatte (bzw.eingetragene Lebenspartner). Die Aufzählung ist abschließend, anderePersonen haben daher kein Pflichtteilsrecht. Ist eine dieser Personenvom Erblasser enterbt, erhält sie einen Anspruch auf Zahlung einesGeldbetrages gegen die Erben. Aufgrund seines Pflichtteilsrechts wird derBerechtigte also nicht Erbe.

Die Enterbung durch den Erblasser ist Voraussetzung für die Entstehung 199des Pflichtteilsanspruchs. Wurde dem Pflichtteilsberechtigten ein Ver-mächtnis zugewendet, muss er dies entweder ausschlagen oder sich diesesauf seinen Pflichtteil anrechnen lassen, wenn er den Pflichtteil in vollerHöhe erhalten will (§ 2307 BGB). Eine Ausschlagung der Erbschaft führtin der Regel nicht dazu, dass der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteilgeltend machen kann. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Pflicht-teilsberechtigte zwar Erbe geworden ist, aber mit der Benennung einesNacherben, einer Testamentsvollstreckung, einer Teilungsanordnung,einem Vermächtnis oder einer Auflage belastet ist.

Beispiel:

Erwin setzt seine Ehefrau Frauke und seinen Sohn Kilian als seine Erbenzu gleichen Teilen ein. Kilian verpflichtet er zusätzlich, ein Vermächtnisin Höhe von ¤100.000 an Tante Erna auszuzahlen.

Kilian hat nun die Wahl ob er das Erbe annimmt und das Vermächtnis

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§ 17 Pflichtteilsberechtigte

auszahlt, oder ob er die Erbschaft ausschlägt und den Pflichtteil geltendmacht. Dies ist dann zu empfehlen, wenn er sich wirtschaftlich mit demPflichtteil besser stünde.

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§ 18 Höhe des Pflichtteils

Nach § 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB beträgt die Höhe des Pflichtteils die 200Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Eine genaue Kenntnis des gesetzlichenErbrechts ist daher auch bei der Berechnung des Pflichtteils erforderlich.Für die Berechnung wird der Wert und der Bestand des Nachlasses zurZeit des Erbfalles zugrunde gelegt (§ 2311 BGB). Nachlassverbindlichkei-ten sind mit Ausnahme von Vermächtnissen abzuziehen. Vermächtnissewerden deshalb nicht berücksichtigt, da der Erblasser nicht mit derAussetzung von Vermächtnissen Pflichtteilsansprüche schmälern könnensoll. Um Kenntnis von Bestand und Wert des Nachlasses zu erhalten,hat der Pflichtteilsberechtigte einen Auskunftsanpruch gegen den Erben(§ 2314 BGB).

Berechnungsbeispiel: 201

Erwin ist mit Frauke im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verhei-ratet und hat einen Sohn – Kilian. Testamentarisch setzt er Fraukeals Alleinerbin ein. Kilian ist somit enterbt und hat Anspruch aufden Pflichtteil. Erwins Vermögen setzt sich zusammen aus ¤100.000Geldvermögen, einer Immobilie im Wert von ¤350.000 und sonstigenVermögenswerten im Wert von insgesamt ¤50.000. Schulden hat ernicht, die Bestattungskosten betrugen ¤10.000.

Frauke würde im Falle gesetzlicher Erbfolge 1/2 als Erbteil zustehen (Sieerinnern sich: Ehepartner erben neben Verwandten der ersten Ordnungzu 1/4. Lebten die Ehepartner im gesetzlichen Güterstand erhöht sichdiese Quote um ein weiteres Viertel). Der Sohn erhielte bei gesetzlicherErbfolge als einziges Kind die andere Hälfte. Sein Pflichtteil beträgt daher

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§ 18 Höhe des Pflichtteils

1/4. Es ergibt sich daher folgender Betrag:

Wert des Nachlasses: ¤500.000abzüglich Bestattungskosten als Nachlassverbindlichkeiten: ¤10.000Berechnungsgrundlage für den Pflichtteil: ¤490.000gesetzlicher Erbteil Kilian: ¤245.000Pflichtteil: ¤122.500

Komplizierter wird der Fall, wenn nicht wie im obigen Beispiel die Ehefrau 202Alleinerbin wird, sondern der Sohn. Hier stellt sich – da Erwin undFrauke im gesetzlichen Güterstand lebten – die Frage, ob der Berechnungdes Pflichtteils der einfache Erbteil von 1/4 zugrundezulegen ist oderder um den pauschlierten Zugewinnausgleich erhöhte Erbteil von 1/2.Diese Frage ist eindeutig zu beantworten: Einen Anspruch auf denpauschalierten Zugewinnausgleich hat der Ehegatte nur, wenn er auchtatsächlich gesetzlicher Erbe wird. In allen anderen Fällen (Erbschaftaufgrund Testaments oder Enterbung) muss der Zugewinnausgleichkonkret berechnet werden. Im Falle eines Pflichtteilsanspruchs desEhegatten ist daher der Berechnung der geringere Erbteil von 1/4 zu-

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§ 18 Höhe des Pflichtteils

grundezulegen.1 In unserem Beispiel ergibt sich also folgende Berechnung:

Wert des Nachlasses: ¤500.000abzüglich Nachlassverbindlichkeiten: ¤10.000Berechnungsgrundlage für den Pflichtteil: ¤490.000gesetzlicher Erbteil Frauke: ¤122.500Pflichtteil: ¤61.250

Eine Ausnahme gibt es nur dann, wenn der Ehegatte zwar Erbe wird (derEhepartner ihn also im Testament als Erben einsetzt), sein Erbteil aberso gering ist, dass sein Pflichtteil größer wäre. Dann hat er Anspruchauf den sogenannten Zusatzpflichtteil (siehe nächstes Kapitel). Für dieBerechnung des Zusatzpflichtteils ist der um den pauschalierten Zugewin-nausgleich erhöhte Erbteil zugrundezulegen. Dies begründet sich damit,dass in diesem Fall der Ehepartner den Zugewinnausgleich nicht konkretberechnen darf, da er ja nicht gesetzlicher Erbe wird.

1 Wirtschaftlich geht dem Ehegatten dabei auch nichts verloren, da er zusätzlich zu seinemPflichtteil einen Anspruch auf den konkret berechneten Zugewinnausgleich hat.

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§ 19 Pflichtteilsergänzungsan-spruch und Zusatzpflicht-teil

In einigen Fällen bleibt es nicht bei einem einfachen Pflichtteil. Hat 203der Erblasser zu Lebzeiten etwas aus seinem Vermögen verschenkt, hatder Pflichtteilsberechtigte einen Pflichtteilsergänzungsanspruch nach den§§ 2325 ff. BGB. Ist ein Pflichtteilsberechtigter als Erbe eingesetzt, seinErbteil aber geringer als es sein Pflichtteil wäre, hat er einen Anspruch aufErhöhung seines Erbteils (Zusatzpflichtteil nach § 2305 BGB).

I. PflichteilsergänzungsanpruchMit Schenkungen zu Lebzeiten könnte der Erblasser sein Vermögen 204derart schmälern, dass die Pflichtteilsberechtigten keinen nennenswertenPflichtteil mehr erhalten. Das Gesetz sieht daher in § 2325 BGB einenErgänzungsanspruch vor. Schenkungen, die der Erblasser in den letztenzehn Jahren vor seinem Tod gemacht hat, werden für die Berechnung desPflichtteils anteilig dem Nachlass hinzugerechnet (§ 2325 Abs. 3 BGB).

Beispiel:

Erwin ist mit Frauke verheiratet und hat einen Sohn – Kilian. Erwin ver-schenkt aus seinem Vermögen am 22.10.2010 einen Betrag von ¤20.000an seine Nichte Nina. Testamentarisch hat er seine Ehefrau als Alleinerbineingesetzt, somit hat Kilian nur einen Pflichtteilsanspruch. Erwin verstirbt

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§ 19 Pflichtteilsergänzungsanspruch und Zusatzpflichtteil

am 28.11.2013 und hinterlässt ein Vermögen von ¤400.000.

Zwischen der Schenkung an Nina und dem Tod Erwins sind drei Jahrevergangen. Für die Berechnung des Pflichtteils von Kilian sind nun diean Nina verschenkten ¤20.000 anteilig hinzuzurechnen. Für jedes Jahrzwischen Schenkung und Erbfall wird ein Zehntel weniger berücksichtigt.Die Schenkung in Höhe von ¤20.000 wird also nur noch in Höhe von¤14.000 hinzugerechnet. Es ergibt sich also ein Betrag von ¤414.000aus dem der Pflichtteil von Kilian berechnet wird. Lägen zwischender Schenkung und dem Tod von Erwin zehn Jahre, würde nichtshinzugerechnet.

Hätte Erwin im obigen Beispiel die ¤20.000 an seine Ehefrau verschenkt, 205so würde unabhängig davon, wieviele Jahre zwischen Schenkung undErbfall vergangen sind, der volle Wert hinzugerechnet, es sei denn die Ehewäre zwischenzeitlich geschieden worden. Dann würde die Zehnjahresfristmit der Scheidung beginnen (§ 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB).

Im Gegenzug muss sich natürlich ein Pflichtteilsberechtigter, dem der Erb- 206lasser zuvor etwas geschenkt hat, dieses Geschenk auf seinen Pflichtteilanrechnen lassen (§ 2325 BGB).

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§ 19 Pflichtteilsergänzungsanspruch und Zusatzpflichtteil

II. ZusatzpflichteilEinen Zusatzpflichtteil nach § 2305 BGB erhält der Pflichtteilsberechtigte, 207wenn er zwar als Erbe eingesetzt ist, sein Erbteil aber geringer ist als seinPflichtteil.

Beispiel:

Erwin ist mit Frauke im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratetund hat eine Tochter Kira. Sein Vermögen besteht aus einem Wohnhausim Wert von ¤400.000 und Geldvermögen im Wert von ¤50.000.Testamentarisch verfügt er, dass seine Ehefrau das Wohnhaus erben sollund die Tochter das Geldvermögen.

Der Wert des Nachlasses beläuft sich auf insgesamt ¤450.000. Bei gesetz-liche Erbfolge würden Frauke und Kira je zur Hälfte erben. Kira bekäme al-so ¤225.000; ihr Pflichtteil würde ¤112.500 betragen. Dies ist weit mehr,als die ¤50.000 die sie aufgrund des Testaments ihres Vaters erhält. Siehat daher einen Anspruch auf weitere ¤62.500 als Zusatzpflichtteil.

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§ 19 Pflichtteilsergänzungsanspruch und Zusatzpflichtteil

An diese Vorschrift ist also unbedingt zu denken, wenn man ein Testament 208errichtet, durch das man die gesetzlichen Erbquoten von pflichtteilsberech-tigten Angehörigen verändert. Im obigen Beispiel hatte Erwin vielleicht imSinn, seiner Frau die weitere Nutzung des Wohnhauses zu ermöglichenund hat sie deshalb als Erbin des Hauses eingesetzt. Die Ehefrau mussnun aber einen nicht unerheblichen Betrag an die Tochter zahlen, ohnedafür auf weiteres ererbtes Vermögen von Erwin zurückgreifen zu können.Kann sie die Zahlung an Kira nicht aus eigenem Vermögen leisten, musssie unter Umständen das Haus verkaufen oder einen Kredit aufnehmen.

III. Ausschluss des PflichtteilsrechtsIn bestimmten Fällen ist es auch möglich das Pflichtteilsrecht auszu- 209schließen oder zu beschränken, wenngleich dies die Ausnahme ist.

Ist ein Pflichtteilsberechtigter erbunwürdig nach § 2339 BGB, so steht 210ihm auch kein Pflichtteil zu (§ 2345 Abs. 2 BGB). Ebenso steht demje-nigen kein Pflichtteil zu, der auf sein Erbrecht verzichtet hat (§ 2346BGB). Einem Ehegatten steht kein Pflichtteil zu, wenn beim Tod desEhepartners bereits ein Scheidungsantrag eingereicht worden ist.

Nach § 2333 BGB hat der Erblasser die Möglichkeit einem Abkömmling 211den Pflichtteil zu entziehen, wenn dieser:

• dem Erblasser, seinem Ehegatten, einem Abkömmling oder einerähnlich nahestehenden Person nach dem Leben trachtet

• sich eines Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens gegen eine deroben genannten Personen schuldig macht

• seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Erblasser böswillig verletzt

• wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von min-destens einem Jahr verurteilt worden ist und es deshalb für denErblasser unzumutbar ist, dass er den Pflichtteil erhält

Nach § 2338 kann der Erblasser das Pflichtteilsrecht in guter Absicht 212beschränken, wenn der Pflichtteilsberechtigte in hohem Maße verschwen-derisch lebt oder verschuldet ist. Er kann dann den Pflichtteilsberechtigten

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§ 19 Pflichtteilsergänzungsanspruch und Zusatzpflichtteil

beispielsweise den Verfügungsbeschränkungen eines Vorerben unterwer-fen oder die Verwaltung des Pflichtteils einem Testamentsvollstreckerübertragen. Dadurch bekommt der Pflichtteilsberechtigte zwar seinenPflichtteil und ist finanziell abgesichert, kann ihn aber nicht verschwenden.

Schließlich ist die Verjährung zu nennen. Wie alle rechtlichen Ansprüche 213verjähren auch Pflichtteilsansprüche, da diejenigen die den Betrag schul-den, irgendwann die Sicherheit haben sollen, dass der Anspruch nicht mehrgeltend gemacht wird. Der Anspruch auf den Pflichtteil verjährt innerhalbvon drei Jahren. Diese Frist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem sichder Erbfall ereignet hat und der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis davon er-langt hat, dass er einen Pflichtteilsanspruch hat. Die Verjährung beginntalso nicht, wenn er vom Tod des Erblassers nichts weiß, nicht weiß, dasser gesetzlicher Erbe wäre, oder von dem ihn auschließenden Testamentnichts weiß.

IV. Pflichtteil vermeiden oder reduzierenViele empfinden den Pflichtteil als ungerecht, insbesondere wenn die 214Beziehung zu den Pflichtteilsberechtigten schlecht ist. Es kommt danndie Frage auf, ob man den Pflichtteil nicht vermeiden oder zumindestreduzieren kann. Den Pflichtteil vollständig zu vermeiden, ist mitAusnahme der oben genannten Fälle, praktisch nicht möglich. Es gibtjedoch Strategien, den Pflichtteil zumindest zu reduzieren. Zum einenkann man dies erreichen, indem man zu Lebzeiten sein Vermögenschmälert und denjenigen zukommen lässt, die man begünstigen möchte.Wegen des oben dargestellten Ergänzungspflichtteils ist jedoch daraufzu achten, dass man sein Vermögen nicht verschenkt. Vereinbart maneine angemessene Gegenleistung kann man Vermögen übertragen, ohneeinen Ergänzungspflichtteil auszulösen. Möglich ist zum Beispiel, eineImmobilie gegen Zahlung einer monatlichen Leibrente zu übertragen, odereine Geldzahlung mit der Verpflichtung zu Pflegeleistungen zu verknüpfen.

Eine weitere Möglichkeit, den Pflichtteil zu reduzieren ist, den Kreis der 215gesetzlichen Erben zu erweitern, indem man heiratet oder jemanden adop-tiert. Je mehr Erben vorhanden sind, umso geringer wird der Anteil jedeseinzelnen gesetzlichen Erben und damit auch der Pflichtteil. Schließlich

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§ 19 Pflichtteilsergänzungsanspruch und Zusatzpflichtteil

kann man versuchen, zu erreichen, dass ausländisches Recht auf den Erb-fall angewendet wird, das keinen oder nur einen geringen Pflichtteil kennt.Dies funktioniert in der Regel aber nur dadurch, dass man seinen Wohnsitzins Ausland verlagert. In jedem Falle sollte man sich umfassend beratenlassen, bevor man Strategien zur Vermeidung eines Pflichtteils verfolgt.

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Fünfter Teil:

Nach dem Erbfall

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§ 20 Die Erbauseinandersetzung

Meistens wird ein Erblasser von mehreren Personen beerbt, insbesondere 216im Falle der gesetzlichen Erbfolge ist dies die Regel. Die Erben befindensich nach dem Tode des Erblassers in einer sogenannten Erbengemein-schaft (§§ 2032 ff. BGB). Der Nachlass wird dabei gemeinschaftlichesVermögen aller Erben. Daraus folgt, dass ein einzelner Erbe nur überseinen Anteil am Erbe verfügen darf (diesen also beispielsweise als Ganzesverkaufen), nicht aber über einzelne Gegenstände des Nachlasses. Solangedie Erbengemeinschaft nicht auseinandergesetzt wurde, können also alleErben nur gemeinschaftlich über den Nachlass verfügen. Nur im Notfallkann ein einzelner Miterbe Maßnahmen zur Erhaltung des Nachlassesallein treffen.

Zwar sind zunächst alle Erben in einer Erbengemeinschaft verbunden, 217diese ist jedoch darauf ausgerichtet, auseinandergesetzt zu werden.Das heißt früher oder später soll jeder Miterbe seinen Anteil am Erbeentsprechend seiner Erbquote auch tatsächlich allein erhalten. DieseAuseinandersetzung fällt relativ leicht, wenn der Nachlass lediglich ausGeldvermögen besteht. Sind jedoch im Nachlass Immobilien oder (wert-haltige) bewegliche Sachen enthalten, kann sich die Auseinandersetzungauch schwierig gestalten. Ausnahmen von der Grundregel, dass dieErbengemeinschaft auseinandergesetzt werden soll, gibt es, wenn dieMiterben entscheiden, dass sie die Gemeinschaft aufrechterhalten wollenoder wenn der Erblasser dies angeordnet hat (max. Dauer: 30 Jahre,§ 2044 BGB).

Für die Auseinandersetzung gibt es mehrere Möglichkeiten: 218

• Der Erblasser hat einen Testamentsvollstrecker bestimmt, der die

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§ 20 Die Erbauseinandersetzung

Auseinandersetzung vornimmt

• Die Erben schließen einen Vertrag über die Auseinandersetzung

• Im Streitfall kann jeder Miterbe auf Auseinandersetzung klagen

• Jeder Miterbe kann ein Vermittlungsverfahren beim Nachlassgerichtbeantragen1

Hat der Erblasser Anordnungen zur Auseinandersetzungen getroffen, 219müssen diese beachtet werden (siehe z.B. oben Vorausvermächtnis undTeilungsanordnung). Sofern es keine solchen Anordnungen gibt und dieMiterben untereinander nichts vereinbaren gelten folgende Regelungen:Zunächst sind die Nachlassverbindlichkeiten (also etwaige Schuldendes Erblassers, Bestattungskosten, etc.) zu begleichen. Was danachübrigbleibt ist unter den Erben entsprechend ihrer Erbquote aufzuteilen.Lässt sich der Nachlass nicht in natura aufteilen – weil sich etwa eineImmobilie im Nachlass befindet, die nicht geteilt werden kann – so mussder Nachlass oder Teile davon verkauft werden und der Erlös geteiltwerden. Im Falle der gesetzlichen Erbfolge sind zudem Ausgleichspflichtenzu beachten (§§ 2055 ff. BGB). So müssen etwa Kinder des Erblasserssich Schenkungen des Erblassers, die sie als Ausstattung erhalten habenauf ihren Erbteil anrechnen lassen. Ausstattung ist alles was dem Kind„mit Rücksicht auf seine Verheiratung oder auf die Erlangung einerselbständigen Lebensstellung zur Begründung oder zur Erhaltung derWirtschaft oder der Lebensstellung zugewendet wird“ (§ 1624 BGB).Ebenso sind Zuschüsse, die als Einkünfte dienen sollen und Aufwendungenfür die Vorbildung zu einem Beruf auszugleichen, wenn sie das den Vermö-gensverhältnissen des Erblassers entsprechendes Maß überstiegen haben(§ 2050 Abs. 2 BGB). Darüber hinaus ist eine Anrechnung vorzunehmen,wenn der Erblasser dies angeordnet hat. Anzurechnen ist die Zuwendungjeweils mit dem Wert zum Zeitpunkt der Zuwendung (§ 2055 Abs. 2 BGB).

Beispiel:

1 An dessen Ende steht aber kein Urteil sondern ein Auseinandersetzungsplan, der dieselbenWirkungen hat wie ein Auseinandersetzungsvertrag.

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§ 20 Die Erbauseinandersetzung

Erwin hinterlässt seine Ehefrau Frauke und seine drei Kinder Kilian, Kiraund Kim. Es tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Erwin und Frauke lebtenim Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Der Nachlass hat einen Wertvon ¤100.000. Kira hat von Erwin 20.000 ¤als Aussteuer erhalten. Erwinhat Kilian denselben Betrag zugewendet und angeordnet, dass er sichdiesen anrechnen lassen muss. Kim hat nichts erhalten.

Bei der Erbauseinandersetzung erhält nun zunächst die Ehefrau Fraukedie Hälfte des Nachlasses (1/4 gesetzlicher Erbteil und 1/4 pauschalierterZugewinnausgleich). Zu den verbleibenden 50.000 ¤werden die Zuwen-dungen an die Kinder hinzugerechnet. Dadurch entsteht der sogenanntenAusgleichungsnachlass von ¤90.000. Nach dem Verhältnis der Erbteile(Kinder erben zu gleichen Teilen, § 1924 Abs. 4 BGB) erhielte jedesKind ¤30.000. Von diesem Betrag müssen sich Kilian und Kira diebereits erhaltenen ¤20.000 anrechnen lassen und erhalten damit lediglich¤10.000. Zweimal ¤10.000 für Kilian und Kira und einmal ¤30.000 fürKim ergeben in der Summe wieder den tatsächlich noch zu verteilendenBetrag von ¤50.000.

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§ 21 Ausschlagung der Erb-schaft

Ist der Erblasser verstorben, kann der Erbe die Erbschaft ausschlagen 220(§ 1943 BGB). Dies ist vor allem dann anzuraten, wenn der Nachlassüberschuldet ist.1 Der Erbe muss die Ausschlagung gegenüber demNachlassgericht erklären. Diese Erklärung muss notariell beurkundetwerden und sie muss innerhalb einer Frist von sechs Wochen erfolgen(§§ 1944, 1945 BGB). Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt in dem derAusschlagende wusste, dass er Erbe geworden ist.2

Die Ausschlagung erstreckt sich in der Regel auf die gesamte Erbschaft. 221Man kann jedoch beispielsweise eine Erbschaft aufgrund Testamentsausschlagen, die Erbschaft aufgrund Gesetz jedoch annehmen. Dies istbeispielsweise dann sinnvoll, wenn man als gesetzlicher Erbe besser da-stünde, etwa weil der Erbteil aufgrund Testaments mit einem Vermächtnisoder einer Auflage belastet ist.

Bevor Sie eine Erbschaft ausschlagen, sollten Sie sich beraten lassen, da 222die Auswirkungen sehr weitreichend sind und mitunter nur schwer zu über-blicken sind. Eine Beratung ist übrigens generell zu empfehlen, wenn dasGesetz für etwas eine notarielle Beurkundung vorschreibt, denn dann kön-nen Sie davon ausgehen, dass es sich um Erklärungen mit weitreichenden

1 Sind Sie Erbe geworden, sollten Sie sich daher möglichst schnell einen Überblick über denNachlass verschaffen.

2 Unter Umständen reicht es daher nicht aus, vom Tod des Erblassers erfahren zu haben, daman sich auch bewusst sein muss, dass man dessen Erbe ist.

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§ 21 Ausschlagung der Erbschaft

Konsequenzen handelt.

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§ 22 Haftung der Erben

Die Erben haften grundsätzlich unbeschränkt für sämtliche Nachlassver- 223bindlichkeiten auch mit ihrem eigenen Vermögen. Zu den Nachlassver-bindlichkeiten gehören:

• die Schulden des Erblassers

• Schulden aus dem Erbfall, die den Erben treffen, wie z.B. Vermächt-nisse, Erbschaftssteuer

• Schulden, die durch den Erbfall entstehen, etwa durch die Verwal-tung des Nachlasses

Gläubiger werden sich in der Regel selbst bei den Erben melden und den 224Ausgleich ihrer Forderung verlangen. Die Erben können jedoch auch einAufgebotsverfahren beim Amtsgericht beantragen, dann werden die Gläu-biger aufgefordert, ihre Forderungen anzumelden. Der Erbe kann auchein Inventarverzeichnis beim Nachlassgericht einreichen. Es wird dannvermutet, dass es andere als die dort aufgeführten Nachlassgegenständenicht gibt.

Um der unbeschränkten Haftung zu entgehen und die Haftung auf den 225Nachlass zu beschränken, gibt es für die Erben folgende Möglichkeiten:

• Die Nachlassverwaltung (§§ 1875, 1981 BGB)

• Das Nachlassinsolvenzverfahren (§§ 1975, 1980 BGB i.V.m. § 315ff. InsO)

• Die Dürftigkeitseinrede (§ 1990 BGB)

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§ 22 Haftung der Erben

Bei der Nachlassverwaltung wird ein Nachlasspfleger bestellt, der sich um 226die Abwicklung kümmert. Der Nachlass wird gesichert, sodann werdenzunächst die Gläubiger befriedigt. Was übrig bleibt, erhält der Erbe. Wennnichts übrig bleibt, haftet aber der Erbe eben nicht für die verbleibendenNachlassverbindlichkeiten.

Ein Nachlassinsolvenzverfahren folgt im Prinzip den Regelungen eines 227„Insolvenzverfahrens“. Auch hierbei beschränkt sich die Haftung desErben auf den Nachlass, so dass er nicht befürchten muss, mit seinemeigenen Vermögen für Nachlassverbindlichkeiten aufkommen zu müssen.Gleichzeitig steht aber der volle Nachlass zur Befriedigung der Gläubigerzur Verfügung. Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahrennützen daher in der Regel sowohl den Erben als auch den Gläubigern.

Reicht der Nachlass in keiner Weise zur Erfüllung der Nachlassverbindlich- 228keiten aus und sind deshalb Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz-verfahren keine sinnvollen Instrumentarien, kann der Erbe die sogenannteDürftigkeitseinrede erheben. Er kann dann die Befriedigung eines Gläubi-gers verweigern, wenn der Nachlass zur Begleichung der Forderung nichtausreicht. Er ist dann aber verpflichtet, den gesamten Nachlass im Wegeder Zwangsvollstreckung zur Befriedigung der Gläubiger herauszugeben.

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§ 23 Erbschein und Europäi-sches Nachlasszeugnis

I. ErbscheinDer Erbschein ist ein auf Antrag ausgestelltes Zeugnis über die erbrecht- 229lichen Verhältnisse (§ 2353 BGB). Das Nachlassgericht erteilt einenErbschein, nachdem es die zugrundeliegenden Verhältnisse geprüft hat.In dem Erbschein werden die Erben sowie der Umfang des Erbrechtsgenannt. Darüber hinaus enthält der Erbschein einen Hinweis auf dieNacherbfolge und eine Testamentsvollstreckung, wenn diese vom Erblas-ser angeordnet worden waren.

Mit dem Erbschein können sich die Erben im Rechtsverkehr als Erben 230ausweisen. Folgende Arten von Erbscheinen gibt es:

• Alleinerbschein – Ausweis über das Erbrecht eines Alleinerben

• Teilerbschein – Ausweis über das Erbrecht eines von mehreren Erben

• Gemeinschaftlicher Erbschein – Ausweis über die Erbfolge mehrererErben bezüglich des gesamten Nachlasses

• Gruppenerbschein – Zusammenfassung mehrerer Teilerbscheine ineiner Urkunde

• Sammelerbschein – Zusammenfassung mehrerer Erbscheine beimehreren aufeinanderfolgenden Erbfällen

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§ 23 Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis

Zuständig für die Erteilung des Erbscheins ist grundsätzlich das Nachlass- 231gericht am Wohnsitz des Erblassers (in Baden-Württemberg übernimmtdas Notariat diese Aufgabe). Entgegen landläufiger Meinung besteht kei-ne Pflicht der Erben, einen Erbschein zu beantragen. Auch dürfen Bankennicht pauschal (etwa durch Bestimmung in den Allgemeinen Geschäfts-bedingungen) die Vorlage eines Erbscheins verlangen bevor sie den ErbenZugriff auf das Konto des Erblassers gewähren. Können die Erben ihrErbrecht anderweitig nachweisen – etwa durch Vorlage eines notariellenTestaments, muss die Bank ihnen nach der Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofes Zugriff gewähren.1

II. Europäisches NachlasszeugnisDas Europäische Nachlasszeugnis ist ein Dokument, mit dem man sich 232gegenüber Banken, Versicherungen, Behörden, etc. als Rechtsnachfolgerdes Erblassers ausweisen kann. Für rein innerdeutsche Erbfälle ohne jeg-lichen Auslandsbezug ist ein Erbschein das richtige Dokument zur Legi-timation der Erben. Für grenzüberschreitende Erbfälle ist mit der EU-Erbrechtsverordnung das Europäische Nachlasszeugnis eingeführt worden,um ein einheitliches Dokument zu schaffen. Das Europäische Nachlass-zeugnis dient also demselben Zweck wie ein Erbschein nach deutschemRecht; verdrängt ihn aber nicht. Jeder Erbe, Vermächtnisnehmer, Testa-mentsvollstrecker oder Nachlassverwalter kann einen Antrag auf Erteilungeines Europäischen Nachlasszeugnisse stellen. Nicht antragsberechtigt ist- anders als beim Erbschein nach deutschem Recht - der Nachlassgläubi-ger. Der Antrag auf Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses kannbeim zuständigen Nachlassgericht oder beim Notar gestellt werden. Für dieBeantragung gibt es unter https://e-justice.europa.eu/content_succession-166-de.do ein Formblatt.

1 BGH Urteil vom 8. Oktober 2013, Aktenzeichen: XI ZR 401/12.

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