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Regensburger Almanach 2017 Die Gegend musste eine Stadt herbei locken

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Regensburger Almanach 2017

Die Gegend musste eine Stadt herbei locken

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Regensburger Almanach auf das Jahr 2017

Die Gegend musste eine Stadt herbei locken

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Die Gegend musste eineStadt herbei locken

Regensburger Almanach auf das Jahr 2017

Herausgegeben von Peter Morsbach

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Regensburger Almanach auf das Jahr 2017Die Gegend musste eine Stadt herbei locken© MZ Buchverlag in der Battenberg Gietl Verlag GmbH, Regenstauf Titelabbildung: Hans Bauer (www.bauercom.eu)www.gietl-verlag.deISBN 978-3-86646-359-2

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.ISBN 978-3-86646-359-2

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Peter Morsbach

Liebe Almanach-Gemeinde!Vorwort des löbl. Herausgebers

In Regensburg liebt man diesen Satz, entfloss er doch Sei-ner Feder am 5. September 1786 auf dem Wege nach Ita-lien. Eigentlich stammt er gar nicht von Goethe, sondernvon Martin Luther, der 253 Jahre vorher in einer Tischre-de gesagt hatte: „Erfurt liegt an einer idealen Stelle. Dortmuss eine Stadt stehen …“, um dann aber heftig über den„Stall voller Säue“ herzuziehen, was Er im Falle Regens-burgs nicht tat. Hier reichen sich ein Kirchennaher undein Kirchenferner über die Jahrhunderte die Hand. Die erste Hälfte Seiner Sentenz war das Motto des Alma-nachs 1999, als der Aufschwung Regensburgs so richtigin Fahrt kam. Fast zwanzig Jahre später endlich die zwei-te Hälfte! Fast monatlich erfahren wir von irgendeinem Ranking, indem unsere Stadt irgendeinen Spitzenplatz belegt (oderauch nicht) oder lesen wir Klagen über astronomisch ge-stiegene Bauland- und Immobilienpreise. Ich fragte mich:Wo bleibt bei alledem der Mensch? Regensburg sonnt sich im Glanz seiner Wohlhabenheit.Doch Sonne und Schatten sind ebenso Zwillinge wieReichtum und Armut. Der diesjährige Almanach beleuch-tet beide Seiten – Licht und Schatten einer reichen Stadt.Wie gestaltet sich das soziale, kulturelle und wirtschaft-

liche Leben in einer Stadt, die einen Aufschwung genom-men hat, der noch vor 25 Jahren nicht vorstellbar gewe-sen wäre? Doch längst nicht alle Regensburgerinnen undRegensburger haben daran ihren Anteil. Gertrud Maltz-Schwarzfischer legt den Finger in diese Wunden.Ich freue mich, wie engagiert und begeistert Autorinnenund Autoren an dieses Thema herangingen; herausge-kommen ist ein facettenreiches und differenziertes Bild. Nach dem Rückzug von Rolf Thym als Almanach-Chro-nist freut es mich, dass Katharina Lenz diese nicht ganzleichte Last auf sich genommen hat, unvoreingenommen,unberührt von Loyalitätsverpflichtungen; ihre Chronikvon Michaeli 2016 bis Michaeli 2017 – unsere Zeitzäh-lung nach dem traditionellen Geschäftsjahr früherer Zei-ten – ist erfrischend, spannend und souverän. Ihr seiebenso Dank wie allen, die in diesem Jahr wieder mit ih-ren so unterschiedlichen Beiträgen ein weitgespanntesKompendium unserer Stadtgesellschaft ermöglichen. Die Gegend musste eine Stadt herbei locken – nach derLektüre des Almanachs wissen Sie, was Er meinte. DieserÜberzeugung ist Ihr sehr ergebener

löbl. Herausgeber Peter Morsbach

„Regenspurg liegt gar schön, die Gegend mußte eine Stadt herbei locken“

Johann Wolfgang Goethe

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Katharina LenzDer harte Boden der TatsachenWas das Jahr uns brachte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Dieter Daminger und Nicole LitzelDer Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Regensburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

Gertrud Maltz-SchwarzfischerHerausforderungen auf der „Insel der Glückseligen“Das soziale Netz in Regensburg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Michael EiblKein Jugendlicher darf verloren gehen!Chancen in der Boomtown Regensburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Claus-Dieter WotrubaBananenflankeDas kleine Jubiläum einer ganz besonderen Liga . . . . . . . . . . . 40

Michael ScheinerAlleinerziehend heißt nicht allein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Peter LangDie unprovinzielle ProvinzHighlights der Kultur für alle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Reinhard KellnerTeilhaben! Kultur für Einkommensarme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

Michael Scheiner Jahrgang 1984 – ein ZukunftsprojektDer Werkhof: vom sozialen Hilfsprojekt zum Integrationsunternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

Benno Hurt„Alles lief nach Traum“„Schnee Elfen Herz“ – das Romandebüt der Regensburgerin Sanja Schwarz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

Benno Hurt„Regensburg ist für mich meine Oma-Stadt.“Ein Gespräch mit Anna Prantl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

Michael Scheiner„Hallo, geht es Euch gut? Mir schon!“Erinnerungen an Lu Teichmann-Schneider. . . . . . . . . . . . . . . . 78

Harald RaabVor 50 Jahren marschierte der Handstand-Lucki von Regensburg nach Rom– selbstverständlich auf den Händen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

Andreas MeixnerDer pfeiferauchende Bibliothekar voller MusikEin Nachruf auf den Konzertveranstalter und Musikkritiker Ulrich Alberts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Reiner VogelAls die Dult noch am Protzenweiher warMein Stadtamhof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

Katharina LenzEine Bühne für Regensburg – Regensburg als Bühne40 Jahre Orphée – Ein Schauspiel in fünf Akten . . . . . . . . . . 102

Silvia Codreanu-WindauerDas „Große Gräberfeld“Der Zentralfriedhof des römischen Regensburgs . . . . . . . . . . 108

Maria BaumannEr überbrachte die Botschaft der KunstEin Nachruf auf Dr. Friedrich Fuchs (1952–2016) . . . . . . . . 118

Volker WappmannEvangelische Pfarrersfamilien in RegensburgEin Blick in ein verklärtes Familienleben. . . . . . . . . . . . . . . . . 122

Inhalt

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Hubert H. WartnerDas Kumpfmühler GartensalettlLohn der Geduld – das Schmuckkästchen im Kumpfmühler Karl-Bauer-Park . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

Werner Ludwig SturmEine Persönlichkeit ohne GleichenCarl Heinrich Freiherr von Gleichen: Diplomat, Philosoph, Essayist, Geheimwissenschaftler,Wohltäter der Stadt Regensbur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Thomas Muggenthaler „Unermüdlicher Fleiß und großes Geschick“Zur Rolle der Gestapo Regensburg bei den Hinrichtungen polnischer Zwangsarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . 138

Eginhard König Kinderjahre einer UniversitätEin Zeitzeugenbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

Fabienne-Angela EnglbrechtsmüllerDie 68er-Studentenproteste in RegensburgOder: „Jetz fanga die bei uns a scho o“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

Gerd Otto„Stabhochspringen ohne Stab geht nun einmal nicht“Vor 50 Jahren: Mit dem Donau-Einkaufszentrum startetJohann Vielberth seine international vielbeachteteKarriere als Immobilienentwickler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

Bernhard LübbersDie Staatliche Bibliothek Regensburgfeierte 200. Geburtstag1816 wurde die Bibliothek gegründet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

Juan Martin KochEin Kulturmensch mit den richtigen Ideen zur rechten Zeit am rechten OrtDer Regensburger Musikverleger und Altstadtfreund Bernhard Bosse (1921–2016) . . . . . . . . . . . . 178

Karl BirkenseerTauchfahrten nach „Atlantis“Fred Strohmaier hat seine berühmte Buchhandlung(1961–2017) geschlossen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Petra MorsbachWer braucht noch das literarische Buch – verändern die neuen Medien die Literatur?17 Überlegungen, Fred Strohmaier gewidmetVortrag, Regensburg 4. März 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

Markus Eberhardt„Wohlberühmt und kunstreich“Der Regensburger Barockkomponist Hieronymus Kradenthaller (1637–1700) . . . . . . . . . . . . . . . 202

Stefan Reichmann„Ein Leben für die Kunst und ein Mädchen mit Reh“Erinnerungen an Wilhelm Amann (1940–2016) . . . . . . . . . 206

Matthias Nagel„… leuchtende Liebe, lachender Tod“Zum 85. Todestag der Sopranistin Gertrud Bindernagel . . . 210

Andreas Meixner Ein eigener Kosmos der MusikSinger Pur feiert sein 25-jähriges Bestehen . . . . . . . . . . . . . . 216

Heiner GietlEin turbulentes Jahr für den SSV Jahn RegensburgDurchmarsch in die 2. Bundesliga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

Ludwig HaasDie Heinzelmännchen des SSV Jahn Regensburg. . . . . . . 222

Claus-Dieter WotrubaFutsalMeisterlicher Aufstieg in einer vermeintlich neuen Sportart. . . 234

Wolfgang Otto und Stefan ReichmannDas letzte Geheimnis der alten JahntribüneAbriss des Jahnstadions legt Wissner-Malereien von 1931 frei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

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Katharina Lenz

Der harte Boden der TatsachenWas das Jahr uns brachte

Wissen Sie noch, was Sie am 26. April 1986 gemachthaben? Oder am 31. August 1997, geschweige dennam 9. September 2001? Beinahe jeder von uns hateine bleibende Erinnerung an den Moment, als ihndie Nachricht von großen Katastrophen oder demAbleben wichtiger Persönlichkeiten ereilte. Spezielldie Regensburger haben seit Anfang des Jahres eben-falls solch ein Datum: Wo waren Sie am Morgen des18. Januar 2017, als sich die Nachricht verbreitete,der Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wol-bergs sei verhaftet worden? Wegen Bestechung undakuter Verdunkelungsgefahr. Die Straßen der Alt-stadt sind an diesem Vormittag wie leergefegt. Alshielte alles kurz den Atem an, bevor die alltäglichenVerrichtungen, das Handeln mit Waren, Werten undWissen wieder in seiner gewohnten Geschäftigkeiteinsetzen …

„Ich bin nicht käuflich.“ Regensburg ist auch 2017 schön und geschäftig, verteidigtseine Spitzenplätze in diversen Rankings, wächst an Ein-wohnerzahl und Wirtschaftskraft und glänzt zudem aufdem Parkett des Sports und als Welterbestadt mit steigen-den Übernachtungszahlen. Doch die Spendenaffäre umden SPD-Ortsverband Regensburg Süd, an der mehrere

große Bauträger der Stadt Regensburg, unter ihnen VolkerTretzel, der große Sponsor des Regensburger Fußballs,und letztlich auch Oberbürgermeister Joachim Wolbergsbeteiligt sind, hinterlässt im polierten Image hässlicheKratzer, die bundesweit für Negativschlagzeilen sorgen.Die Verhaftung des Stadtoberhaupts, des UnternehmersVolker Tretzel selbst und einem ehemaligen seiner Mitar-beiter sowie die Ermittlungen gegen weitere Persönlich-keiten der Baubranche und der Stadtpolitik wie Alt-OBHans Schaidinger und SPD-Urgestein Norbert Hartl zei-gen zu Jahresbeginn, welche Kreise die Untersuchungender Staatsanwaltschaft seit Juni 2016 gezogen haben. Essind unangenehme Sachverhalte, mit denen sich nichtnur die Behörden intensiv beschäftigen, sondern die auchviele Regensburger über die wirtschaftlichen und politi-schen Verflechtungen in unserer Stadt zum Diskutierenbringen.Des Pudels Kern: Immobiliengeschäfte um die Vergabedes Areals der ehemaligen Nibelungenkaserne an denBauträger Tretzel. Über Jahre hinweg gestückelte Partei-spenden von fast einer halben Million Euro an den SPDOrtsverband Regensburg Süd. Vorabinformationen, Vor-teilsnahme und vermutlich ein ganzes Netz an persönli-chen Verpflichtungen und finanziellen Gegengeschäften,jahrelang aufgebaut und nun ans Licht gekommen.

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Nach nahezu sechs Wochen in persönlich harter Unter-suchungshaft kommt Joachim Wolbergs, wenn auch mitKontaktverboten, wieder auf freien Fuß. Seither warteter, vom Amt des Oberbürgermeisters vorläufig suspen-diert, aber nicht zurückgetreten und von seiner Unschuldüberzeugt, auf die Eröffnung des Verfahrens. Und in derRegensburger Stadtgesellschaft entwickeln sich selbstkleine Debatten wie die öffentliche Übergabe einer Me-daille durch den OB beim Triathlon im August zu gene-rellen Standpunktfragen: Bist du für oder gegen Wol-bergs? Währenddessen ziehen manche Konsequenzen und ande-re nicht: Alt-OB Hans Schaidinger, dessen bereits vor Endeseiner Amtszeit mit 20 000 Euro pro Monat dotierter Be-ratervertrag für das Bauteam Tretzel nicht Gegenstandder Ermittlungen ist, schweigt. Norbert Hartl legt bereitsim Januar den SPD-Fraktionsvorsitz und sein Amt im Auf-sichtsrat der Stadtbau nieder, bleibt jedoch Mitglied imStadtrat, dem er seit 45 Jahren angehört. Mit der Erhe-

bung der Anklage im Juli liegen jetzt immerhin die Vor-würfe offiziell auf dem Tisch, doch bis das Verfahren er-öffnet wird, kann es noch dauern. Der Prozess und seineFolgen werden die Regensburger noch lange beschäftigen.

Wir schaffen das!Das Leben in der Stadt geht derweil weiter. In die Breschespringt im Januar sofort Regensburgs zweite Bürgermeis-terin Gertrud Maltz-Schwarzfischer. Sie managt dieAmtsgeschäfte der Stadtregierung seither pragmatischund zuverlässig: Wir-schaffen-das-Kontinuität und Busi-ness-as-usual – inklusive Wiederwahl der drei so wichti-gen Referenten für Wirtschaft, Kultur und Bau im Juni:Dieter Daminger, Christine Schimpfermann und KlemensUnger werden für weitere, wenn auch teils bis 2019 ver-kürzte Amtsperioden bestätigt. Der neue Leiter des Stadt-archivs, Lorenz Baibl, und seine neue Kollegin in der Lei-tung der städtischen Museen, Dr. Doris Gerstl, verkörpernhingegen den Generationswechsel. Den weitgehend rei-bungslosen Ablauf der Maschinerie der Stadtverwaltungkann nicht einmal die Tatsache stoppen, dass der dritteBürgermeister Jürgen Huber im Juli wegen einer Erkran-kung länger ausfällt.

Jaaaaahnsinn!Gott sei Dank gibt es daneben wie in jedem anderen Jahrauch emotional mitreißende, aufregende und jubelndeMomente im Stadtleben: Und diese lieferte 2017 nichtder Eishockey-Oberligist EV Regensburg, der im Aprilnach einer soliden Saison im Halbfinale der Playoffs aus-scheidet. Und es sind auch nicht die Baseballer der Buch-binder Legionäre Regensburg, die in der Bundesliga sou-verän den Klassenerhalt erreichen. Nein, 2017 ist ein Jahr des Fußball-Jahnsinns! Kaum zuglauben: Nach dem rasanten Sprung in die dritte Liga ein

Beim Neujahrsempfang der Stadt am 13. Januar 2017scheint die Welt noch in Ordnung. Fünf Tage später schlägtRegensburgs Justitia mit voller Wucht zu: Nach denDurchsuchungen im Juni 2016 werden drei Beschuldigte inUntersuchungshaft genommen, unter ihnen der amtierendeOberbürgermeister Joachim Wolbergs. [Foto: Stadt Regensburg, Bilddokumentation]

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Jahr zuvor ist es Ende Mai soweit: Der SSV Jahn Regens-burg steigt in die zweite Bundesliga auf und beweist allenGrantlern und Verdachtsmomenten zum Trotz, dass dersportliche Aufstieg machbar ist. Das Rückspiel in der Re-legation gegen die Münchner Löwen zeigt zwar mit denAusschreitungen der 60er-Fans auch die dunkle Seite desFußballs. Doch die Regensburger sind wie im Taumel undfeiern ihre Mannschaft euphorisch – auf dass in der neu-en Saison der Jahn endlich in der Klasse spielt, die seinemneuen Stadion angemessen ist. Der Start scheint vielver-sprechend … Außergewöhnlich ruhig in all dem Trubel:Der Trainer der Erfolgsmannschaft Heiko Herrlich, derprompt eine Woche später seinen Wechsel nach Leverku-sen verkündet.Allerdings muss der Jahn zugleich auch mit der Kehrseiteder Regensburger Spendenaffäre fertig werden: Selbstwenn die Ermittlungen um Protokoll-Manipulationenund der Vorwurf, dass Jahn-Mäzen Tretzel im Gegenzugzur Grundstückszusage an der Nibelungenkaserne denVerein immer wieder mit Millionen versorgt habe, zu Jah-resbeginn ins Leere laufen. Der Großsponsor verkauft imJuni alle seine Anteile an die Münchner Global Sports In-vest AG. Auf einmal steht der 31 Jahre junge Investor Phi-lipp Schober im Rampenlicht. Gegen dessen Geschäfts-gebaren und das fragwürdige neue Finanzgeflecht, das indessen Hintergrund sichtbar wird, erhebt sich auf der Ge-sellschafterversammlung im Juli ein Sturm der Entrüs-tung bei alten Jahn-Teilhabern und Förderern.

Emil ist da! Altstadtbewohner und Touristen lächeln dagegen: Da ister ja, der Emil! Die neuen Elektrobusse in Regensburgsind klein, grün und kaum hörbar, wenn sie seit Mai 2017ihre Insassen emissionsfrei durch die engen Gassen undüber die Plätze kutschieren. Trotz Startschwierigkeiten –

Wie gut, dass sich der Jahn in all dem Durcheinander des Frühjahrs auf seine ruhmreicheGeschichte besinnen kann: Beim Abriss der Jahn-Tribüne im alten Stadion an der Prüfenin-ger Straße kommen im März 2017 Bilder des Regensburger Malers Max Wissner aus den1930er Jahren zum Vorschein. [Foto: Stadt Regensburg, Bilddokumentation]

Der Aufstieg des SSV Jahn in die zweite Bundesliga bewegt alle Gemüter. Selbst die Bürger-meisterin feiert im Mai 2017 mit! [Foto: Stadt Regensburg, Bilddokumentation]

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am Präsentationstag muss gleich eines der fünf neuenExemplare des italienischen Herstellers Rampini abge-schleppt werden – kommt die Stadtmitte umwelttech-nisch einen guten Schritt vorwärts. Bis zum auto-, fein-staub- und stickoxidfreien Welterbe bzw. bis zur schie-nen- und fahrerlosen E-Stadtbahn im ganzen ÖPNV-Netzist es allerdings politisch wie finanziell noch ein weiterWeg.

Die Stadt baut weiter an allen Ecken Freilich wird der gesunkene Lärmpegel durch die neuenE-Busse in der Altstadt an anderer Stelle mehr als wett-gemacht: In der Fußgängerzone hat im März die Sanie-rung begonnen. Große Transparente erläutern den Ein-kaufswilligen zwischen durchfahrenden Baggern, Press-lufthämmern und täglich wechselnden Absperrungen,warum in Weißer Lilienstraße, am St.-Kassians-Platz undin der Pfauengasse die Straßenoberfläche gleich mehr-fach aufgerissen und wieder zugeschüttet werden muss:Die Erneuerung von Kanal, Strom- und Gasleitungen for-dern ihren Tribut an Nerven und Umsatz der Kaufleute.Da ist der kleine Aufreger um die provisorischen Stadt-möbel mit dem schönen Namen „Brück“, die aus einemDesignwettbewerb hervorgegangen sind, mit ihren knal-ligen Farben und ihrem Bezug zu den alten Wachtbezir-ken fast Nebensache. Gott sei Dank – nur ein (wenn auchin der Tat bequemes) Provisorium!Mittendrin in der Baustelle der Fußgängerzone entstehtam Brixener Hof derweil die neue Synagoge mit Gemein-dezentrum. Die Grundsteinlegung für das neue Gottes-haus der über 1000-köpfigen jüdischen Gemeinde Re-gensburg im Oktober 2016 ist ein Festtag für deren Vor-sitzende, Ilse Danziger, und Rabbiner Josef Chaim Bloch.Aber es ist noch viel mehr: Die Wunde der Zerstörung deralten Synagogen 1519 und 1938 kann endlich heilen und

In der Pfauengasse schreitet die Sanierung der Fußgängerzone voran. An manchen Stellenzeichnet sich im Juni 2017 bereits das schicke neue Granitpflaster mit Abzugsrinnen aushistorisch runden „Hirschlingern“ ab. [Foto: Lenz]

Emil fährt ab Mai 2017 auf leisen Reifen durchs Welterbe. [Foto: Lenz]

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ziell erfahren, was die Planer und Agenturen aus den vie-len Vorschlägen unterschiedlichster Art zum Wohle allerherausdestillieren.

Großbaustellen (nicht nur) im SpeckgürtelGott sei Dank kann Regensburg andernorts ja noch „aus“!Wo in der Fußgängerzone um jede Handbreit absper-rungsfreien Bodens gerungen wird, nehmen die anderenGroßbaustellen der Stadt ungeahnte Dimensionen an: Anden Fußgängersteg entlang des letzten Sanierungsab-schnitts auf der Steinernen Brücke – geplante Fertigstel-lung 2018 – haben sich die Regensburger mittlerweile jagewöhnt. Der kolossale Bau des Museums der Bayeri-schen Geschichte wächst weiter trotz Brandschaden ste-

Eitel Freude herrscht bei den Ehrengästen der Grundsteinlegung der neuenRegensburger Synagoge im Oktober 2016, unter ihnen die Schauspielerin AdeleNeuhauser (2.v.l.), Axel Bartelt, Regierungspräsident der Oberpfalz, und AnnaZisler, stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes der IsraelitischenKultusgemeinde in Bayern. [Foto: Stadt Regensburg, Bilddokumentation]

Regensburg bekommt ganz nebenbei einen spannenden,hochmodernen Bau mitten in der alten Stadt. 2019 soller fertig sein.Der noch größere stadtplanerische Wurf, auf den Regens-burg schon so lange hofft, wird dagegen weiter auf sichwarten lassen: die Neugestaltung des Areals vom Bahn-hof bis zur Maximilianstraße als kleines (oder doch gro-ßes) Kultur- und Kongresszentrum, als zentraler Omni-busbahnhof (ZOB) mit „Deckel“ über den Eisenbahnglei-sen und als möglichst erhaltener Alleengürtel. Immerhinruft die Stadt ab März 2017 unter dem Motto „Stadtraumgemeinsam gestalten“ zu einem groß angelegten Beteili-gungsprozess auf. Das Ergebnis ist kaum zu glauben: DieBürger wollen einen schönen, lebenswerten Stadtein-gang. Doch erst im Herbst werden die Regensburger offi-

Trotz Brandstiftung in der Bavariathek im Juli 2017 soll es möglicher-weise noch 2018 eröffnet werden, das Museum der BayerischenGeschichte. Dann wird sich zeigen, ob sich der graue Koloss mit seinerKeramikfassade und seiner riesigen großen Panoramascheibe mitDomblick wirklich ins Stadtbild einfügt. Am neu gestalteten Georgen-platz ist schon mal ein Vorgeschmack zu sehen. [Foto: Lenz]

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tig vor sich hin. Im Juli geht es endlich auch mit den Ho-telbaustellen am Stobäusplatz nach Jahrzehnten der Lee-re und allerlei Verzögerungen wegen der Suche nach ei-nem passenden regionalen Bauunternehmen richtig los.Und an der Burgweintinger Papstwiese, am Brandlberg,an der ehemaligen Nibelungenkaserne und vor allem amvormaligen Güterbahnhof im neuen „Dörnberg“ zählennicht nur Kinder schon lange die Kräne: Die Erwachsenenfreuen sich vor allem auf den dringend benötigten Wohn-raum für Familien in Regensburg – so sie sich diesen dennleisten können. Ihre Sprößlinge werden stattdessen sel-ber kreativ: Während die Großen ernst und gewichtig vorsich hin bauen, entsteht auf Initiative der „regensburgereltern e.V. auf dem Gelände der ehemaligen Nibelungen-kaserne endlich der lang ersehnte Kinder-Bauspielplatz:Handwerkliche Selbsterfahrung mit Werkzeugen undHolzarbeit für 6- bis 14-Jährige!

(K)ein Ende in SichtNeuen Wohnraum haben zumindest manche Flüchtlingebereits bekommen. Im März wird an der Bajuwarenstra-ße auf ehemaligem Kasernengelände die neue Erstauf-nahmeeinrichtung eröffnet und von ersten Bewohnernbezogen. Die Zahlen neu in Regensburg ankommenderFlüchtlinge stagnieren währenddessen. Es geht jetztmehr ums Bleiben wollen und dürfen. So demonstrierenRegensburger Berufsschullehrer im Januar erfolgreichdafür, gerade volljährig gewordene junge Männer aus Af-ghanistan mit bestem Integrationswillen und Ausbil-dungsvertrag in der Tasche nicht in ihr vom Krieg zer-mürbtes Heimatland abzuschieben. Für viele andere, die es gar nicht erst bis nach Europaschaffen, errichtet die humanitäre Aktion Sea-Eye des Re-gensburgers Michael Buschheuer wenigstens Gedenk-kreuze auf der Jahninsel: Für die ertrunkenen Flüchtlin-

Eine Vielzahl an Kränen verrät die intensive die Bautätigkeit am neuen Viertel „DasDörnberg“. Freilich gibt es hier viel mehr als nur ein modernes Baugebiet zu entdecken: ZurFreude der Archäologen geben die Ausgrabungen einen riesigen Friedhof preis, die vermut-lich letzte Ruhestätte für mehr als 1000 Urahnen der Regensburger von der Römerzeit bisins Frühe Mittelalter. [Foto: Lenz]

Dort wo Regensburgs Jugend feiert, erinnern die Kreuze des Vereins Sea-Eye an Flüchtlinge,die am 16. April 2017 auf dem Weg über das „Massengrab Mittelmeer“ ertrunken sind. DieGedenkkreuze auf der Jahninsel werden wiederholt von Unbekannten herausgerissen,jedoch mit Duldung des Gartenamtes immer wieder aufgestellt. [Foto: Lenz]

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ge, denen die ehrenamtlichen Seenotretter nicht zu Hilfeeilen konnten. Ihr Aktivismus stößt nämlich zunehmendauf politischen Gegenwind. Sea-Eye steht fälschlicher-weise im Verdacht, mit den Schleppern zusammenzuar-beiten, und muss der europäischen Regelungswut trot-zen, die mittlerweile zwei umgebauten Schiffe der Orga-nisation seien für den Transport von Menschen nicht aus-reichend geeignet. Im August sperrt Libyen schließlichseine Küstengewässer für ausländische Hilfsorganisatio-nen und legt den guten Willen der vielen Freiwilligen vor-erst an die Kette.

Regensburg feiert, gedenkt und verzeihtDass die Regensburger von jeher gern und viel feiern, istein Gemeinplatz. In den etablierten Festkalender von denTagen Alter Musik, über Bürgerfest und Jazzweekend, biszu den Schlossfestspielen und den vielen kleinen und gro-ßen Events mischen sich wie jedes Jahr besondere Facet-ten: Die Universität Regensburg feiert das 50. Jubiläumihrer Grundsteinlegung im Jahr 1967 mit Festakt undAusstellung – Gratulation! Ob beim Bürgerfest am Neu-pfarrplatz wohl noch einmal elektronische Musik von DJsauf der Bühne gespielt werden darf statt ausschließlich

Das offizielle Kulturpro-gramm der Stadt imLutherjahr steht unter demMotto: „Stadt und Glaube.“Mit einer Ausstellung zuMichael Ostendorfer, demSchöpfer des Altars derNeupfarrkirche, feiertRegensburg sein Viertel-jahrhundert als evangeli-sche Reichsstadt ab 1542und das heutige Miteinan-der der Konfessionen.[Foto: Stadt RegensburgBilddokumentation]

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handgemachter analoger Töne? – Sie darf! Dass ReinhardSöll, langjähriger Impresario der Thurn-und-Taxis-Schlossfestspiele, während des gesellschaftlichen Saison-Höhepunkts das Bett hüten muss, während Glorias Toch-ter Maria Theresia ihr zweites Kind erwartet … Gute Bes-serung und baldige Glückwünsche!Dabei sind neben den großen Kultur- und Gesellschafts-themen auch so manche andere, manchmal schwierige-re, erinnerns- und gedenkenswert: Im April 2017 ruft dieinternational erfolgreiche Foto-Ausstellung „KZ überlebt“mit einzigartigen Schwarzweiß-Porträts des FotografenStefan Hanke Betroffenheit hervor. Gleichzeitig vermis-sen viele Regensburger die Studentin Malina, derenHandy nach einer alkoholisierten Partynacht am Her-zogspark gefunden wurde. Traurige Gewissheit bestehtdrei Wochen später: Die Donau spült ihre Leiche bei Do-naustauf ans Ufer. Länger, viel länger hat es hingegen gedauert, die „Lei-chen“ aus dem Keller der Regensburger Domspatzen zubergen. Im Juli 2017 – zeitgleich beruft Papst Franziskusin Rom den ehemaligen Regensburger Bischof KardinalManfred Müller vom Vorsitz der Glaubenskongregationab – legt Rechtsanwalt Ulrich Weber in Regensburg denAbschlussbericht über die jahrzehntelangen Missbrauchs-fälle bei den Regensburger Domspatzen vor. Die Reaktio-nen: Entsetzen, Trauer und vielleicht irgendwann ein Hei-len der Wunden bei den persönlich Betroffenen, auch da-durch, dass im Bistum endlich die Aufarbeitung ernstge-nommen wird. Nebenwirkung am Rande: Die Stadt findetsich zum zweiten Mal in diesem Jahr in den Negativ-Schlagzeilen wieder.

Vielleicht macht vor dem Hintergrund dieser verrückten,aufwühlenden und doch so dynamischen Zeit in Regens-burg die schräge Kunstaktion von Florian Topernpong

mit dem Titel „Alles was ich weiß“ umso mehr Sinn: DerGrafiker und Künstler setzt sich im Juli 2017 eine Wochelang in die Galerie konstantin b. und notiert all sein imKopf gespeichertes Wissen auf gelben Post-its – An welcheBegebenheiten des Jahres 2017 werden sich die Regens-burger in 50 Jahren noch erinnern?

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Harald Raab

Vor 50 Jahren marschierte der Handstand-Lucki von Regensburg nach Rom– selbstverständlich auf den Händen

Die Spezies Originale ist in unserer durchrationali-sierten Leistungswelt weitgehend ausgestorben. Frü-her hatte jede Stadt, ja jedes Dorf ein Original – Men-schen, die sich gesellschaftlichem Normverhaltenentzogen haben. Gerade deswegen erhielten sie Auf-merksamkeit und oft auch Anerkennung. Erst rechtist eine doppelte Karriere als Original so gut wie un-bekannt.

Aber halt, gibt es da nicht den Lucki mit seinen Hosenträ-gern und grell bunten Hemden in der Kultsendung „Baresfür Rares“ im Zweiten Deutschen Fernsehen? Ist das nichtder Handstand-Lucki aus längst vergangenen Regensbur-ger Tagen? Der spazierte im Handstand in schwindelnderHöhe auf den Firsten der Altstadthäuser und auf den Zin-nen der Geschlechtertürme herum. In eben dieser unge-wöhnlichen halsbrecherischen Position besuchte er diealtehrwürdige Walhalla – auf deren morschem Dachge-sims. Und ist der Lucki mit seiner nur 155 Zentimetermessenden Körpergröße vor genau 50 Jahren nicht zurungewöhnlichsten Pilgerreise aller Zeiten aufgebrochen:1070 Kilometer in drei Monaten vom Regensburger DomSt. Peter zum Petersdom in Rom? Auf den Händen – ver-steht sich.

Sein eigenes GesamtkunstwerkJa, der Ludwig Hofmaier ist's: der Regensburger Hand-stand-Lucki und der Trödel- und Antiquitäten-Lucki sindein und dieselbe Person, ein Mensch aus Regensburg, be-ziehungsweise aus Saal an der Donau, der sich zweimalals Original stilisieren konnte. Legende und reales Lebenbilden bei ihm bereits ein nicht zu entwirrendes Gesamt-kunstwerk, wie es sich für ein richtiges Original gehört,zumal für ein Original in doppelter Ausführung. Die Leu-te lieben es, Geschichten über solche seltenen Zeitgenos-sen zu hören und zu erzählen. Dass dabei auch einigesdazufabuliert wird – umso besser für die G’schicht’. Heute lebt der Ex-Bundeswehrunteroffizier, bayerischerund deutscher Turnmeister, Ex-Hofnarr der Narragonia,Ex-Gaststätten- und Diskothekenbesitzer, Weltmeister imHandstandlaufen, neuerdings Fernsehstar und noch im-mer aktiver Sammler und Händler vornehmlich volks-kundlich interessanter Antiquitäten im badischen Offen-burg. Allein dieser Aspekt eines bunt-bewegten Lebenswäre eine eigene Geschichte wert.

Kleine Menschen haben die Leiter erfundenSie mussten schon immer etwas ganz Besonderes leisten,um von ihren Mitmenschen Respekt zu bekommen, gar

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Lucki Hofmaiers Haus in Offenburg gleicht einer Wunderkammer für Antiquitäten. [Foto: Harald Raab]

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Bewunderung. So erging es auch dem 1941 in Saal an derDonau geborenen Ludwig Hofmaier. Hätte er sich nichtvon Kindesbeinen an vorgenommen, ein wahres Energie-bündel mit außerordentlichen sportlichen Fähigkeiten zuwerden, so hätte er den Beruf eines Schneiders erlernenmüssen, wie sein Vater einer war. Sicher ein gefragterSchneider für Herrenanzüge, aber eben nur ein Nadel-und-Faden-Knecht mit viel Sitzfleisch. „Acht Kinder warma. Der Vata hat gut für uns gesorgt. Er hat Anzügegnaht. Da hat oana 150 Mark kost. Des war damals vülGeld“, erinnert sich Ludwig Hofmaier heute. Sitzfleisch, das hatte der Lucki aber nicht. Doch so ganzaus der Art geschlagen ist der kleine Junge auch nicht.

Früher waren ehrbare Handwerker wie Ludwigs Vaterauch gesellschaftlich engagiert. Er war im Turnverein undhielt seine Kinderschar früh zu sportlichen Aktivitäten an.In Ludwig Hofmaiers Fotoalbum befindet sich dazu einBeleg. „Des is mei Vata und daneben, des bin i“, sagt erund zeigt auf ein vergilbtes Foto. Beide haben sie einenSiegerkranz auf dem Kopf. Das war beim deutschen Turn-fest 1956 in Frankfurt am Main. „Mei Vata war a guadaTurner. Mei Mudda war a excelente Schwimmerin. Die isdie Donau nur so rauf und runter g'schwomma.“

Früh übt sich … … was ein Handstandgeher und tüchtiger Geschäfts-mann werden will. Der Lucki führte seine Kunststücke aufder Straße vor und kassierte dafür so manches Zehnerl.Dass er dann auch auf dem Dachfirst des elterlichen Hau-ses einen Handstand probiert hat, zeigt, dass er hoch hi-naus wollte. Doch vorerst blieb er auf dem Boden. Er hol-te an den Ringen, am Pferd und am Barren zwar so man-che Meisterschaft. Im Bodenturnen machte ihm jedochkeiner was vor. Am Pferd ist der drahtige Lucki der ersteDeutsche, der den Yamashito-Salto, benannt nach demgleichnamigen Japaner, zustande brachte. Zu einer Karriere als sportliches Ausnahmetalent undOriginal gehört neben brennendem Ehrgeiz auch Glück.Das war dem Lucki beschieden, als er bei der Regensbur-ger Faschingsgesellschaft Narragonia als Hofnarr ange-heuert hatte. So einen Spaßmacher hatten die Tollitätenwahrlich noch nicht. Er marschierte ihnen bei diversenEinzügen auf den Händen voraus und absolvierte beiPrunksitzungen und Bällen so manches turnerischeKunststückchen. Es war bei einer Narragonensitzung im Ratskeller. Ober-bürgermeister Rudolf Schlichtinger forderte den jungenHofnarren auf: „Geh, Lucki, zoag uns mal deinen Hand-

Der Lucki als junger Turneran den Ringen. [Foto: privat]

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stand.“ Es kam zu einem Disput darüber, wie weit derwohl auf den Händen gehen könnte. „20 Kilometer, diegang i scho“, erwiderte der bei seinem sportlichen Ehr-geiz Gepackte. „Wetten, dass …“ Lucki marschierte also von Saal nach Regensburg, auf derLandstraße. Die Autofahrer wunderten sich über denkopfüber am Straßenrand dahin laufenden Handstand-geher. In der Mittelbayerischen Zeitung stand zu lesen:„Zwei Paar Handschuhe lief der 22-jährige Bundeswehr-soldat und Hofnarr der Narragonia Lucki Hofmaier andiesem Wochenende durch. Am Donnerstag um 18 Uhrstartete er in Saal, um auf Händen die 20 Kilometer zu-rückzulegen. Am Ziel, wo er völlig erschöpft eintraf,konnte er 500 Mark kassieren, den Lohn einer ungewöhn-lichen Wanderschaft und den Preis einer gewonnenenWette.“

„vom Kelch des Ruhmes genippt“Lucki hatte vom Kelch des Ruhmes genippt. Jetzt wollteer mehr. Vor allem deswegen, weil man ihn dazu heraus-forderte. Lucki Hofmaier war Tagesgespräch in Regens-burg. „Beim Kneitinger samma zammgsessen“, erinnerter sich an den zweiten Ansporn zu sportlichen Großtaten.Lucki hatte gerade vom Weltrekord im Handlaufen über100 Kilometer gelesen. „Des ko i a“, verkündete er. EinGeschäftsmann versprach ihm 2000 Mark, wenn er die-sen Rekord brechen könnte. Von Regensburg nach Mün-chen, das würde reichen und genügend Aufmerksamkeiterregen.

Ein Regensburger in MünchenGesagt, getan. In Etappen von rund 20 Kilometern proTag ging es kopfüber auf die Walz. „I bin so einen, zweiKilometer am Stück gangen. Dann abgesetzt, damit derKopf wieder frei wurde und so ging es weiter. Wir hatten

Lucki als Hofnarr bei den Regensburger Narragonen.[Fotos: privat]

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einen Caravan dabei, dort hab i gschlafen. Insgesamt wa-ren es 48 Stunden reine Gehzeit in 13 Tagen.“ Am 26. Ok-tober 1964 marschierte Lucki auf dem Münchner Marien -platz ein. Im Rathaus wurde der Handgeher von Ober-bürgermeister Jochen Vogel empfangen. Der Handstand-Lucki war nun ein richtiger Weltmeister.Wie es sich für so eine sportliche Berühmtheit gehört, wur-den große Pläne geschmiedet. Die Spitze des Eiffelturmsin Paris um Luckis 155 Zentimeter zu verlängern, das wärees, oder gar das damals höchste Gebäude der Welt, dasEmpire State Building in New York. Doch erst musste derHandstand-Lucki Geld verdienen. Er vermietete sein at-traktives Können bei Werbe-Events. Er kletterte auf Hän-den auf hohen Dächern und Türmen herum, machteHandstand auf Dachrinnen in schwindelerregender Höhe. Die Oberpfälzer Nachrichten schreiben über eine dieserVeranstaltungen: „Eine besondere Attraktion zur Eröff-nung brachte das Schuhhaus Daxl mit der Verpflichtungdes Weltmeisters im Handgehen, Ludwig Hofmaier.Schon am Vormittag zeigte Lucki den Weidenern seineKunststücke, als er, auf den Händen auf dem Dach einesDaxlautos stehend, durch Weiden fuhr. Der Höhepunktallerdings war, als Lucki auf das Dach des oberen Turmsstieg und dort mit seinen Kunststücken die zahlreichenZuschauer begeisterte.“ Der Handstand-Lucki ist jetzt ein gefragter Mann. DieFox-tönende-Wochenschau berichtet über ihn. Im ZDF-Sportstudio bei Harry Valérien tritt er zusammen mitdem bekannten Fußballspieler Karl Heinz Schnellingerund dem ehemaligen Europameister der Berufsboxer, Bu-bi Scholz, auf. In Peter Frankenfelds Fernsehshow „Undihr Steckenpferd“ läuft er eine ganze Sendung lang aufHänden durchs Studio. Da man in Paris den Handstand auf dem Eiffelturm ver-weigerte, und es nach New York damals für einen wie Lu-

cki doch zu weit war, musste eine andere Krönung derHandgeherlaufbahn her: eine Pilgerreise auf den Händenzum Papst nach Rom. Das hat noch niemand gemacht.Das ist für einen frommen Katholiken aus Regensburgschon das Höchste der Gefühle.

Andiamo a Roma!Am 21. April 1967 war es dann so weit. Der RegensburgerDomplatz war schwarz von Menschen. Polizisten muss-ten den Verkehr regeln. Fernsehreporter aus aller Weltwaren angereist. Der Lucki streifte sich ein Paar Hand-schuhe über, das erste von 200, die er auf dem Hand-marsch in die Ewige Stadt durchlaufen sollte. Den Hand-schutz hatte ihm die österreichische HandschuhfabrikMoser speziell für den langen Marsch nach Rom angefer-tigt, mit einer besonderen Polsterung für die Handflächenund die Fingerspitzen. Unter dem Beifall der Menge ging es los. 1070 Kilometerin drei Monaten auf den Händen. Regensburger Geschäfts-leute hatten für das außergewöhnliche Unternehmen15 000 Mark zur Verfügung gestellt. Der RegensburgerFernsehreporter Fritz Stegerer reiste dem Lucki immerwieder hinterher, um dem Publikum daheim zu zeigen,wie weit es der ungewöhnliche Pilger geschafft hat: beiMittenwald über die bayerisch-österreichische Grenze,über den Brenner, durch die norditalienische Ebene, überden Apennin. Auch die Illustrierte Quick und andere Blät-ter brachten Reportagen über den sportlichen Handstand-Pilger. Und dann endlich Einmarsch auf dem Petersplatz in Rom.„Da bin i an den Wachen vorbei in den Vatikan nei. Da warder Papst. Um den bin i im Handstand einmal herum. Erhat mir den Segen geben und gesagt: ,Das ist ein Wunder,was Sie da machen‘.“ Noch heute leuchten die Augen undseine Stimme wird feierlich, wenn er davon berichtet.

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Aber warum gibt es davon keine Fotos? Lucki hat eine Er-klärung, in der Mythos und Realität verschmelzen und ei-ne gute Geschichte ergeben. „Des war ganz privat. Da wa-ren nur der Papst, ein Monsignore und i. Da hat koana da-bei sein dürfen.“Es ist vieles im Leben eine Frage des Glaubens. Warumsoll es beim Lucki anders sein. Jedenfalls wurde diese ein-malige und wahrscheinlich nicht zu toppende Pilgerreisenicht ins Guinness-Buch der Rekorde eingetragen. DieMeisterleistung fand nicht unter den gestrengen Regelnder Guinness-Rekordwächter statt. Egal – das Unterneh-men Rom-Pilgerschaft auf den Händen war ohne Frageauch eine PR-Meisterleistung.

Hals über KopfIst es überhaupt physisch und aus medizinischer Sichtmöglich, so lange Strecken mit dem Kopf nach unten zubewältigen? Lucki hat auch dafür eine Erklärung: „MitKopf nach unten zu gehen, wird zur Gewohnheitssache.Man geht ja wieder runter, dann erholt sich der Körper. Ihab scho gwusst, wann in aufhörn muaß.“Doch es gibt genügend andere Beweise, dass dem Hand-stand-Lucki Extremsportleistungen zuzutrauen waren.Der Lucki wurde nämlich auch Filmstar. Dabei wurdenseine außerordentlichen Leistungen, sein Wagemut undseine Geschicklichkeit als Handstandgeher in großen Hö-hen für immer mit der Kamera festgehalten. Da war Glück für Ludwig Hofmaier und Pech für einenProfi-Darsteller mit im Spiel. Der Regensburger Werbe-und Experimentier-Filmemacher Wendl Sorgend drehte1966 einen Kino-Film mit dem Titel „Play Harlekin“. Ge-zeigt wird die kulturgeschichtliche Entwicklung und Be-deutung der Harlekinfigur in der Theaterhistorie und imöffentlichen Bewusstsein. Der unangepasste Spaßmacherals Störer aller öffentlichen Ordnung. Gleich am ersten

Der Handstand-Lucki schaut sich in Florenz den David vom Michelangelo an, aber derDavid den Lucki nicht. [Foto: Quick]

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Drehtag brach sich der Harlekin-Darsteller Werner Sala-din beide Fersenbeine an. Ersatz musste her. So kam derHandstand-Lucki ins Spiel.Regisseur Sorgend preist noch heute den Lauf des Schick-sals. Lucki trug mit seiner atemberaubenden Akrobatikhoch über der Altstadt Regensburgs zum Erfolg des Fil-

mes wesentlich bei. Und das alles ohne Netz und ohne Si-cherungsseil. Lucki sagt in der für ihn typischen Mi-schung aus Selbstinszenierung und Bescheidenheit: „Desmacht heit koana mehr. Die san alle an Seilen og’hängt. Ihab des verweigert. I hab g’sagt: Des will i net. I muss allesfrei macha. I hab unterschreiben müssen, dass i des da

Endlich auf dem Peters-platz in Rom. Ein Monsig-nore wundert sich über denseltsamen Pilger, denHandstand-Lucki ausRegensburg. [Foto: Quick]

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droben auf eigene Verantwortung tua. Wenn i abstürz,dann bin i tot. Da gibt’s nix mehr.“ Professor SigmundEntleutner hat 30 Jahre später ein „Regensburger Film-Bilder-Buch“ über die Play-Harlekin-Produktion verfasst.In der Cineasten-Szene ist der Streifen mit seiner raschenSchnittfolge noch immer Kult. Nicht ganz so erfolgreich war Ludwig Hofmaier als Gas-tronom. Auf diesem rutschigen Parkett war er nicht sostandfest wie als Handstandakrobat. Er übernahm in Re-gensburg gleich drei Lokale, die Kongo-Bar am Neupfarr-platz, das Aquarium in der Pfarrergasse und die Arco-Bräu-Stuben in der Adolf-Schmetzer-Straße. Zuletzt kamnoch eine Land-Diskothek in Steinberg dazu. Dort tratendamals berühmte Interpreten des Musik- und Showge-schäfts auf. Doch so gut scheint dem Lucki dieser ge-schäftliche Drahtseilakt inklusive Höhenflug nicht be-kommen zu sein. Mit den Einnahmen balancierte derSportsmann nicht so sicher wie auf den Dächern herum.Darüber spricht der Lucki nicht gern. Er hat wohl eine ve-ritable Pleite hingelegt.

Zeit, sich als Original neu zu erfinden. Dabei half ihm seine Offenburger Lebensgefährtin. Lud-wig Hofmaier wurde Antiquitätenhändler. Der Geschäfts-mann verließ die heimischen Gefilde, übersiedelte An-fang der 70er Jahre zu seiner Freundin nach Offenburgund etablierte sich als Antiquitätenhändler. Auch da zahl-te er zuerst einmal Lehrgeld, wurde mit der Zeit aber eingewiefter Händler auf Flohmärkten und Antiquitäten-messen in Deutschland, von Garmisch bis Hamburg, inHolland und in Belgien. Sein Haus in der Offenburger Grimmelshausenstraße istdie reinste Wunderkammer, vollgestopft mit Bierkrügeln,Heiligenfiguren, Votivbildern, geschätzten 500 Hampel-männern an den Wänden, alten Möbelstücken und Kin-

derspielzeug. Im ersten Stock ist sein Lieblingsplatz aufeinem roten Sofa. Hinter ihm tummelt sich eine muntermusizierende Engelschar auf einem Stuckfragment auseiner barocken Kirche. Es war 2013 als das ZDF Casting-Leute ausschickte, umein Händlerteam für die Sendung „Bares für Rares“ mitHorst Lichter zusammenzustellen. Auf dem Bonner Trö-delmarkt waren sie gleich begeistert von dem listigen Bay-ern, der mit urigen Sprüchen seine Sammelstücke anpriesund mit Käufern verhandelte. Man wollte ihn zu einemCasting-Termin einladen. Lucki protestierte: „Na, des mogi net. Entweder ihr nemmts mi oder lasst es bleiben.“

Zurück im ScheinwerferlichtDie Fernsehleute konnten sich so ein Original nicht ent-gehen lassen. Seitdem hat Lucki in über 100 Sendungenmitgewirkt. Ins Studio nach Köln kommen Leute, diemanchmal wertvollen, manchmal skurrilen Besitz los-werden möchten, vom Tretroller bis zum Familien-schmuck. „Des is alles reell. Da werden echte Gschäfta ge-macht“, versichert der neue Liebling der Fernsehzuschau-er am Nachmittag. Inzwischen hat die Sendung mit LuckiHofmaier und seinen Händlerkollegen Susanne Steiger,Walter Lehnertz, Wolfgang Pauritsch, Fabian Kahl undDaniel Mayer ein Millionen-Publikum. „Die Leit sehn dasgern und wir machen weiter, noch 100 Sendungen“, istLucki zukunftsfroh. Ans Aufhören denkt der Handstand-Lucki nicht. „Bei miageht no allerweil a bisserl was.“ Zuhause herumzusitzen,das ist nicht sein Ding. Obwohl es, beschützt von so vielenHeiligenfiguren unter dem bayerisch-barocken Stuck-himmel, eigentlich ganz gemütlich ist. Über seine Hand-stand-Kunst räsoniert er und faltet die Hände vor seinemdeutlich sich wölbenden Bäuchlein: „Na, des kannt i heitnimmer macha.“

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]2017

„… die Gegend musste eine Stadt herbei locken.“ (Goethe … oder doch Luther?)

Regensburg sonnt sich im Glanz seiner Wohlhabenheit.Doch Sonne und Schatten sind Zwillinge ebenso wieReichtum und Armut, die immer gemeinsam auftreten.Der diesjährige Regensburger Almanach beleuchtet bei-de Seiten – Licht und Schatten einer reichen Stadt. HoheSteuereinnahmen und Investitionen stehen Armut undBedürftigkeit gegenüber. Die Hochkultur der Einen kön-nen sich die Anderen nicht leisten. Wie gestaltet sich dassoziale, kulturelle und wirtschaftliche Leben in einerStadt, die einen Aufschwung genommen hat, der nochvor 25 Jahren nicht vorstellbar gewesen wäre?Neben diesem Schwerpunktthema stehen wieder Men-schen im Mittelpunkt, bekannte und weniger bekanntequicklebendige Originale und solche die verstorben sind.Musik und Theater in ihren zahlreichen Facetten, die Literatur, der Sport und eine Chronik des Almanach- Jahres runden das breite Spektrum einer vielfältigenund vielschichtigen Stadtgesellschaft ab.

• Herausforderungen auf einer Insel der Glückseligen

• Die Bananenflankenliga

• Alleinerziehend in Regensburg

• Der Handstand-Lucki

• Regensburger Pfarrerfamilien

• Kindertage einer Universität

• Studentenproteste 1967/1968

• 50 Jahre Donau-Einkaufszentrum

• Der Aufstieg des Jahn Regensburg