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Gibt es depressive Tiere? Wird es Fischen nie langweilig? Darf man Menschenaffen einsperren? Interview mit Olivier Pagan, dem Direktor des Basler Zoos «REGT SICH DA JEMAND AUF?» «Als Direktor muss man einen Panzer entwickeln»: Olivier Pagan im Basler Zoo

«REGT SICH DA JEMAND AUF?» · 12 DAS MAGAZIN 37/2014 13 Gespräch SACHA BATTHYANY Bilder LINUS BILL Das Magazin — Herr Pagan, gibt man Ihren Namen bei Google ein, stösst man

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Page 1: «REGT SICH DA JEMAND AUF?» · 12 DAS MAGAZIN 37/2014 13 Gespräch SACHA BATTHYANY Bilder LINUS BILL Das Magazin — Herr Pagan, gibt man Ihren Namen bei Google ein, stösst man

Gibt es depressive Tiere? Wird es Fischen nie langweilig? Darf man Menschenaffen einsperren? Interview mit Olivier Pagan, dem Direktor des Basler Zoos

« REGT SICH DA JEMAND AUF?»

«Als Direktor muss man einen Panzer entwickeln»: Olivier Pagan im Basler Zoo

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Gespräch SACHA BATTHYANYBilder LINUS BILLDas Magazin — Herr Pagan, gibt man Ihren Namen bei Google ein, stösst man früher oder später auf eine Mord-drohung.Olivier Pagan — Ach ja?Darf ich vorlesen? «Sollte der Basler Zoo nicht freiwillig schliessen, werden wir für dessen Schliessung sorgen. Und Dr. Olivier Pagan (Direktor) soll eine schnelle und schmerz-lose Selbstjustiz im eigenen warmen Bett erfahren.»Jetzt fällt es mir wieder ein, ich muss es verdrängt haben, solche Drohungen kommen sonst per Brief. 2007 war das, stimmts? Als die ganze Welt über Farasi berichtete.Der Zoo Basel hat damals mitgeteilt, das Flusspferdbaby Farasi sei überschüssig. Man sei auf der Suche nach einem geeigneten Ort. «Möglicherweise», so hiess es wortwörtlich, «müsse es verfüttert werden.»Beim Medienrummel, den es damals gab, wurde uns zum ersten Mal bewusst, dass es keine lokalen Nachrichten mehr gibt. Bou-levardzeitungen von hier bis nach New York titelten: «Farasi muss sterben». Aus dem «möglicherweise» wurde eine Gewissheit. Dabei geht es Farasi heute gut, er lebt in Südafrika in einem Wild-reservat. Schon meine Vorgänger erhielten wüste Beschimpfun-gen. Immer wenn es um das Thema Populationsmanagement geht, spielen die Emotionen verrückt. Man muss eine dicke Haut ent-wickeln.Elefantenhaut.Einen Panzer. Wir sind der Überzeugung, dass wir alles tun, da mit die Tiere ein gutes Leben haben. Aber immer wenn man sich für

etwas engagiert, egal was, gibt es Gegner. Dian Fossey, die sich für Berggorillas in Ruanda einsetzte, wurde von Menschen ermor-det, die andere Interessen hatten. Ich will mich nicht mit ihr ver-gleichen. Es ist gefährlicher, mit dem Auto von Basel nach Zürich zu fahren, als Zoodirektor zu sein.Der Zoodirektor von Kopenhagen erhielt ebenfalls Mord-drohungen, als er in diesem Frühling ein Giraffenbaby namens Marius den Löwen verfütterte. Die Schlagzeile um Marius verdrängte den Bürgerkrieg in Syrien aus den Medien. Können Sie das verstehen?Seit es zoologische Gärten gibt, werden Tiere geschlachtet und in den internen Nahrungskreislauf eingebracht. Auch in der Wild-nis kommt es vor, dass ein Löwe eine Giraffe reisst, viele kennen das aus Tierdokumentationen. Regt sich da jemand auf? Nein. Ein Löwe isst nun mal keinen Tofu. Was mir auffällt, sind die vie-len Widersprüche, die aufblitzen, sobald so etwas wie mit Marius geschieht. Giraffen, Löwen oder Flusspferde lösen bei Men-schen gewisse Gefühle aus, doch haben sie deshalb mehr Recht auf Leben als ein Kalb oder ein Schaf? Ist es nicht arrogant, sich über die Giraffe zu empören, gleichzeitig aber ein Pferdesteak in der Pfanne zu braten? Und was ist mit den Fischen, die die See-hunde erhalten, wieso kümmert sich niemand um die? Es gibt Besucher, die haben Mitleid mit den Mäusen in unseren Schlan-gengehegen. Wenn sie von Mitarbeitern, die das zufällig beob-achten, darauf aufmerksam gemacht werden, dass es sich nicht um «süsse Mäuse», sondern um Ratten handelt, sagen sie: «Dann ist ja alles gut.» Diese von Menschen gemachte Hierarchisierung im Tierreich, die halte ich für bedenklich. Sie entzieht sich jeder Sachlichkeit.

In der Natur mag es der Lauf der Dinge sein, dass ein Giraffenbaby von Löwen gefressen wird, deshalb regt sich niemand auf. Aber Ihr Zoo ist nicht Natur. Basel ist nicht Afrika.Wir werden nie Natur sein. Unsere Aufgabe ist es, die Natur zu übersetzen. Wenn wir ein Gehege zur Verfügung stellen, struktu-rieren wir es so, dass sich das Tier wohlfühlt, dass es sein Verhal-tensrepertoire ausleben kann. Ein Affe braucht Klettermöglich-keiten. Ob das nun lebende Bäume sind, wie in der Natur, oder Seile, wie im Zoo, ist sekundär. Wichtig ist: Der Affe muss klet-tern können.Zoodirektoren tragen die Verantwortung für die Tiere, die sie halten. Noch mal: Warum muss eine Giraffe sterben?Eines unserer Ziele ist der Artenschutz. Gemeinsam mit verbün-deten Zoos weltweit streben wir florierende, genetisch gesunde Zuchtpopulationen an, damit wir von den Tieren in der Wildnis unabhängig sind. Weltweit gibt es jeweils einen Koordinator für jede Tierart, er hat die Aufgabe, die Diversität des genetischen Pools zu kontrollieren. Ein Beispiel: Der Koordinator, der für die Tiger verantwortlich ist, wünscht dringend weibliche Jungtiere, er sehe Probleme in der Geschlechterverteilung. Dann gibt es Nachwuchs in drei Zoos, aber Würfe mit mehr Männchen als Weibchen. Was dann? Wohin mit ihnen, wenn kein geeigneter Platz vorhanden ist?Zurück in die Wildnis?Wird schwierig. Das Überleben ausgesetzter Jungtiere ist nur gesichert, wenn keine konkurrenzierenden Artgenossen vorhan-den sind. Ausserdem hätte die indische Landbevölkerung kaum Freude, würde man ein paar Tiger aussetzen.

Dann lassen Sie zu, dass sich Tiere paaren, obwohl Sie wis-sen, dass man die Jungen töten muss?Es wird alles versucht, um das zu verhindern. Wenn das Seelöwen-weibchen nach der Geburt wieder brünstig ist, wird der Seelö-wenbulle hormonell kastriert, damit nicht noch ein Junges ent-steht. Dasselbe bei Menschenaffen: Ihnen wird die Antibabypille verabreicht. Zum Artenschutz gehört das Regulieren einer Popu-lation, da muss man mit Verlusten rechnen. Das Jungtier, das aus verschiedenen Gründen nicht an einen geeigneten Ort vermit-telt werden kann, wird getötet und verfüttert. Die Verantwortung, die wir haben, besteht nicht darin, jedes Tierleben um jeden Preis zu erhalten. Kaum ein Tier in der Natur stirbt an einem Alters-tod. Wir müssen dafür sorgen, dass die Lebensspanne, die das Tier bei uns im Zoo Basel verbringt, top ist.Ein Gorillababy verfüttern: Wie würden Sie sich dabei fühlen?Beim Gorilla können wir die Geburtenabstände sehr gut regu-lieren, weil wir das von uns Menschen kennen. Die Pille wirkt bei Gorillafrauen ohne Nebenwirkungen. Damit will ich nicht behaup-ten, dass die Gorilla- oder Schimpansenpopulation nie mit ande-ren Massnahmen reguliert werden muss. Jetzt stellen Sie sich vor, dass tatsächlich einmal der Tag kommen wird, an dem die Mensch-heit aufwacht und merkt, dass es zum Beispiel keine Orang-Utans mehr gibt, weil wir es nicht geschafft haben, die Abhol-zung auf Sumatra zu stoppen. Dann wird man sich darauf besin-nen, dass es noch einige in den Zoos gibt. Aber was, wenn bei uns auch keine fortpflanzungsfähigen Orang-Utans mehr leben, weil wir alle zu früh kastriert haben, aus Angst, es könne ein überschüs-siges Junges geben? Was dann?Die radikalsten Tierschützer argumentieren so: Wenn eine Tierart in Freiheit nicht mehr leben kann, weil die Men-schen ihre Lebensgrundlage zerstören, dann lässt man sie eben aussterben. Darwin.Ich finde das schade. Es würde ja nicht nur der Orang-Utan ver-schwinden, sondern auch eine Wanzenart, die in diesem Lebens-raum zu Hause ist, und mit ihr Tausende andere Lebewesen. Und wir schauen einfach zu und tun nichts? Bravo.Was geht verloren, wenn eine Tierart verloren geht?Die Biodiversität wird kleiner. Wenn der Lebensraum des Bisons verschwindet, verschwindet auch unser Lebensraum. Wenn wir zusehen, wie Tierarten aussterben, weil wir noch mehr Palmöl-Plantagen anbauen, sägen wir am Ende an unserer eigenen Grund-lage. Deshalb sind Zoos so wichtig. Der Artenschutz ist das eine. Aber unsere Tiere sind Botschafter für die Tiere da draussen, sie haben eine Brückenfunktion. Ohne den Mahnfinger erheben zu wollen: Es ist die Aufgabe der Zoos, auf den bedrohten Lebens-raum aufmerksam zu machen. Und die Lage ist alarmierend: Würde die ganze Welt so viele Ressourcen verbrauchen wie wir Schweizer, dann bräuchten wir zweieinhalb Planeten.Sie haben unser widersprüchliches Verhalten angesprochen. Stammen die Widersprüche aus unserem ewig schlechten Gewissen? Weil wir Tiere gleichzeitig lieben, verzehren und ausrotten?Es ist ja auch nicht einfach. Wir wollen – zu Recht – die Massen-tierhaltung verbessern und gleichzeitig nicht auf den Verzehr von Fleisch verzichten und uns gleichzeitig für den Schutz des Indi-viduums einsetzen. Da kommt man schnell ins Straucheln – was darf ich noch, was nicht? Was ich als Zoodirektor merke: Unsere Besucher sind alerter als früher, kritischer, sie teilen uns schnel-ler mit, was sie denken und fühlen. Das Wissen ist breiter, Google

«Korallenfische langweilen sich? Das sagen Sie nur, weil Sie nicht genug

über sie wissen. In den Aquarien gibt es Verstecke, es gibt Auseinander-

setzungen, Paarungen – das ganze Fischleben, von A bis Z.»

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Darum geht es ja: Das Einsperren von Gorillas soll strafbar werden.Ich kenne die Diskussion. Welche Argumente finden Sie denn interessant? Die ethischen.Ich halte eine Diskussion nur aus der Sicht der Tierethik nicht für sinnvoll, denn der tierethische Blick ist letztlich auch wieder der Blick des Menschen. Der Mensch interpretiert menschliche Be-dürfnisse in die Tiere hinein. Wir beim Zoo hingegen sehen uns dem Naturschutz mit seinen übergeordneten umweltethischen Fragen verpflichtet, aus denen sich eine Verantwortung von uns Menschen für die gesamte Umwelt ableitet. Apropos – unsere Tiere werden auch nicht eingesperrt.Sondern?In der Natur sind nicht alle Tiere frei, und im Zoo sind sie nicht gefangen. Das ist Schwarz-Weiss-Denken, falsch und naiv. Tiere leben in der Natur in einem natürlichen System aus Zwängen. Jedes Tier hat ein definiertes Territorium. Um das Territorium herum gibt es andere Tiere mit territorialen Ansprüchen. Nur der Mensch hat das Gefühl, wenn er in der Savanne die Antilopen, Giraffen und Löwen sieht, dass die alle frei herumspazieren.Aber das Territorium in der Natur ist weitaus grösser als das Gehege bei Ihnen.Das stimmt. Wir haben ein künstliches System aus Zwängen. Unsere Tiere müssen nicht auf die Jagd gehen, müssen nicht kilo-meterweit laufen, um eine Wasserquelle zu suchen. Und das ist der Punkt: Kein Tier verliert Energie zum Spass. Es gibt keine

sei Dank, aber die Tiefe des Wissens hat abgenommen. Niemand will sich genau mit den Fragen beschäftigen, weil sie Konsequen-zen für das eigene Handeln bedeuten könnten. Hinzu kommt eine eigenartige Entfremdung von der Realität. Früher sah man in der Dorfmetzgerei ganze Säue, man sah Blut, man sah Inne-reien, heute ist alles abgepackt; das Filet darf nicht danach aus-sehen, dass es vor Tagen noch gelebt und als Kuh auf einer Wiese gestanden hat. Zu viel Blut stört. In gewissen amerikanischen Zoos werden Tigern keine Fleischstücke mehr gereicht, aus Angst, die Kinder würden sich erschrecken. Man gibt den Raubtieren stattdessen Fleisch in Wurstform, überzogen mit einer blassen Haut – mit der Folge, dass den Tigern, weil sie nicht mehr kauen müssen, die Zähne ausfallen.Manche Eltern geben ihren Kindern Lamm oder Reh, nen-nen es aber nicht beim Namen. Man kann Kindern nicht zumuten – so das Argument –, ein Bambi zu essen.Diese Verleugnung ist gravierend. Und ich als Zoodirektor muss aufpassen, dass ich diesem gesellschaftlichen Druck nach Beschö-nigung und Verharmlosung nicht nachgebe. Wenn wir unseren Raubtieren nur noch Fleisch in Wurstform geben, halten wir sie nicht artgerecht.Bis in die 1930er-Jahre hat man im Zoo Basel auch Menschen ausgestellt. Es gab die Negershows und die Ceylonausstel-lung mit den Ureinwohnern. Später gab es diese winzigen Käfige für Raubkatzen. In der Rückschau fallen einem diese Einrichtungen als krasse Fehler auf. Was sind die Fehler von heute?Bis 1985, das ist noch nicht so lange her, hat man Menschenaffen abends voneinander getrennt, aus Angst, es könnte in der Nacht etwas passieren. Aus heutiger Sicht ist das ein Fehler. Das sind hoch soziale Tiere, die ein Familienleben führen. In diesem Fall war es der Einfluss unseres Primatologen Jörg Hess, der Goril-las in Ruanda beobachtete und sein Wissen nach Basel brachte. Auch die Ernährung wurde umgestellt. Gorillas essen fast nur noch Gemüse und Kräuter. Früher gab man mehr Früchte. Den Schimpansen hat man früher beigebracht, am Tisch zu essen, Frühstück, mittags und abends, Hände auf dem Tisch. Es gab Suppe, die sie mit dem Löffel assen.Menschen sind Schweine.Der Showeffekt war wichtig, die Zeitungen haben darüber berich-tet, jeder wollte sehen, wie sauber Schimpansen essen. Was ich aber sagen will: Man tat alles aus dem Wissen der Zeit heraus. Es ist einfach, heute alles zu kritisieren. Es braucht wissenschaftli-che Erkenntnisse, Studien, Erfahrung, um Dinge zu verändern.Was wird man in vierzig Jahren über den Zoo von heute sagen? Es kann ja nicht sein, dass heute alles perfekt ist.Wenn ich wüsste, was man besser machen könnte, würde ich es tun. Man wird sich in vierzig Jahren vermutlich wundern, warum wir den Lebensräumen einzelner Tiere nicht mehr Sorge getra-gen haben. Bald lebt kein Somali-Wildesel mehr in der Natur, weil der Lebensraum fehlt. Kein Orang-Utan. Keine Asiatischen Nas-hörner.Warum kauft der Zoo Basel nicht, statt Geld in neue Gehege zu pumpen, ein Stück Land für die Tiere vor Ort?Aber das tun wir doch. Wir unterstützen Naturschutzorganisatio-nen und Nationalparks. Das klingt nach Alibi. Was ich meine, ist: Sie verzichten auf ein Schimpansenhaus, weil Affen in Basel nichts zu suchen haben, und bauen stattdessen auf Sumatra einen Wildpark. Wäre das nicht zeitgemäss?

Gepardenmutter, die just for fun ein Gnu jagt und schnell mal auf hundert Stundenkilometer beschleunigt. Sie muss es tun, um ihre Kinder zu füttern. Ein Seelöwe taucht nicht in hundert Meter Tiefe, wenn er nicht muss. Waren Sie bei unseren Kängurus? Die Tiere sind von den Besuchern durch einen Wassergraben ge-trennt, den sie leicht überspringen könnten. Doch sie tun es nicht.Warum? Weil sie lieber in der Gruppe bleiben, in der Nähe der Futter- und Liegeplätze, weil sie nicht wissen, was hinter dem Wassergraben auf sie wartet. Sie sind unsicher, und ob Sie es glauben oder nicht: Sie fühlen sich in ihrer Anlage zu Hause. Eingesperrt? Ich mag Pauschalisierungen nicht.Sieht man einem Tier an, wenn es leidet?Damit man sagen kann, dass ein Tier leidet, muss man es sehr gut kennen. Unsere Tierpfleger merken das am gesamten Verhalten des Tieres, nicht am Gesichtsausdruck allein.Haben Blaumeisen, die bei Ihnen wild herumfliegen, nicht das bessere Leben als Ihre Eule?Diese Frage kann ich nicht beantworten, besseres Leben – was heisst das schon? Vielleicht wird die Blaumeise in wenigen Stun-den von einer Katze gepackt, die in der Gegend wohnt. Aber Sie haben einen wunden Punkt erwischt: Unsere Eulenburg ist tat-sächlich nicht auf dem neusten Stand, sie stammt aus den Fünf-zigerjahren, als man dachte, Eulen leben in Burgen, also sollte man das imitieren. Sie leiden aber nicht, nur weil sie nicht flie-gen können. Auch Eulen sparen Energie und fliegen nur, um sich Futter zu holen. Wir aber legen ihnen ganze Ratten oder Küken auf einen Baumstrunk.Korallenfische in Ihren kleinen Aquarien sehen immer so gelangweilt aus.

Warum soll es in Basel keine Affen geben? Klar, man kann sich im Internet Tierbilder ansehen, aber bei uns sieht man sie nicht nur, man riecht sie, spürt sie, sieht ihr Verhalten, ihren Charakter. Wir sensibilisieren die Besucher für die Tiere in der Wildnis. Wer spendet denn Geld für den Schutz der Tiere, die er nicht kennt und ergo nicht mag? Unser Engagement vor Ort ist übrigens kein Alibi. Die weltweite Vereinigung aller grossen Zoos, WAZA, bringt pro Jahr 350 Millionen Dollar für Naturschutz auf – das ist eine beträchtliche Summe. Im Schatten der Debatten um Pelztragen, Tierexperimente, Massentierhaltung schien der Zoo lange unbehelligt zu blei-ben. Die Zoos in Zürich und Basel melden jährlich sogar höhere Besucherzahlen. Doch langsam, so scheint es, mehrt sich das Unbehagen. Spüren Sie das?Man spürt, dass sich die Kritik mit Internet und sozialen Medien schneller verbreitet als früher. Mit den Tierrechtlern habe ich grosse Mühe.Der Basler Philosophieprofessor Markus Wild fordert, dass Menschenaffen, Delfine und Papageienvögel weder grau-sam behandelt, eingesperrt noch getötet werden dürfen. Diese Tiere hätten ein Ich-Bewusstsein und kognitive Fähig-keiten, vergleichbar mit Kleinkindern. Womit ich Mühe habe, ist diese Auswahl: Menschenaffen nein, Fische ja, Papageien nein, was ist mit Flamingo, Oktopus und Lama? Das ist doch höchst dilettantisch. Was sind das für Men-schen, die sich eine solche Auswahl anmassen? Philosophen? Soziologen? Entscheiden am Ende Juristen darüber, was mit Tieren geschieht, anstatt wir, die Experten für Tierhaltung? Juris-ten sollten sich um Strafbarkeiten kümmern.

«Tiere leben auch in der Natur mit Zwängen. Jedes Tier hat ein Territorium.

Darum herum gibt es andere Tiere mit territorialen Ansprüchen. Nur der Mensch

hat das Gefühl, wenn er in der Savanne die Antilopen, Giraffen und Löwen sieht,

dass die alle frei herumspazieren.»

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Aber nur, weil Sie nicht genug über diese Fische wissen. Koral-lenfische bewohnen einen Abschnitt eines Riffs, von dem sie sich kaum einmal fortbewegen. In unseren Aquarien gibt es Verste-cke, es gibt Auseinandersetzungen, Paarungen – das ganze Fischleben, von A bis Z. Das heisst nicht, dass man manche Tiere im Zoo Basel nicht extra beschäftigen muss. Unsere Raub-katzen werden von den Tierpflegern immer wieder mal heraus-gefordert. Wir reichen ihnen das Essen nicht auf dem Servier-tablett, sie müssen es sich suchen, sie werden kognitiv animiert.Gibt es depressive Löwen?Ich habe Trauer bei Menschenaffen und Elefanten erlebt, wenn sie Abschied nehmen von einem Mitglied ihrer Gruppe. Bei Löwen nie. Attribute wie Trauer, Glück, Langeweile sind gefähr-lich. Sie sind zu menschlich und zu unbestimmt.Es gibt das Gerücht, den grossen Säugetieren in Zoos werde eine hohe Dosis Sedativa verabreicht. Stimmt das: Tiere auf Prozac?Ich war acht Jahre Zootierarzt, ich wüsste, wenns so wäre. Es kann sein, dass einem Tier bei einem Transport sedierende Medika-mente verabreicht werden, damit es weniger Angst hat. Einem Orang-Utan, der aus einem anderen Zoo kam, wurde anfangs Johanniskraut, ein Stimmungsaufheller auf Pflanzenbasis, gege-ben, damit ihm die Eingliederung bei uns leichter fällt – es half.Das meine ich nicht. Es gibt Berichte, wonach Raubkatzen Antidepressiva schlucken, weil sie sonst nur in der Ecke lägen.Quatsch.Warum wird in Zoos dauernd gebaut? In Zürich das neue Elefantengehege. Auch bei Ihnen stehen Kräne. Ist das eine Reaktion auf wachsende Kritik?Früher hat man den Besuchern die Tiere präsentiert, die Gehege waren sauber, dafür kahl, und jeder Gast konnte abhaken: Tiger, Panther, Elefant – alles gesehen. Heute steht das Verhalten der Tiere im Vordergrund. Man bietet ihnen Rückzugsmöglichkei-ten, Geäst, kleine Höhlen.Bis man sie nicht mehr sieht.Kann sein, dass sich die Löwen an einem regnerischen Tag eher im Hintergrund aufhalten. Wer will es ihnen verübeln? Wir neh-men in Kauf, dass der Besucher ein Tier vielleicht mal nicht sieht.Ein bisschen neidisch auf das neue Elefantengehege im Zoo Zürich?Der Park gefällt mir sehr gut. Ich bin nicht neidisch, ich freue mich für die Tiere und die Besucher.Zürich ist kein Konkurrent?Nein. Wenn die etwas Gutes machen, wie die Masoala-Halle, schlägt sich das auch auf uns nieder, dann ist der Zoo im Ge-spräch. Unsere Konkurrenten sind die Shoppingmalls mit den Erlebnisangeboten.Der Zürcher Zoo ist der buntere: Da gibt es überall Spiel-plätze, Cola-Automaten und Gummibärchen. Auf infanti-len Schautafeln erklärt der Komiker Beat Schlatter, wie viel Tiere wiegen. Der Zoo als Erlebnispark mit Lebewesen?Alle sechs wissenschaftlich geführten Zoos der Schweiz haben dasselbe Ziel: Wir wollen Begegnungen zwischen Mensch und Tier im urbanen Milieu ermöglichen. Den Weg dahin gestaltet jeder anders. Der Basler Zoo war immer schon sehr zurückhal-tend, die Gebäude werden nicht von Stararchitekten gebaut, son-dern müssen zweckdienlich sein. Das Tier steht im Mittelpunkt. Wer bei uns anruft und fragt: «Was habt ihr sonst so für Attrak-tionen?», hört: «Nebst den Tieren – keine.»

Es wird nie eine Roger-Federer-Tigeranlage geben?Nein. Auch beim geplanten Ozeanium sollen nicht Show und Kommerz im Vordergrund stehen.Die Stiftung des Tierschützers Franz Weber kritisiert Ihr Ozeanium und schlägt vor, stattdessen eine virtuelle Wasser-welt zu schaffen, da kämen keine Fische ums Leben.Das ist nicht das, was wir uns vorstellen. Die Franz-Weber-Stif-tung hat auch behauptet, dass sich Meerwasserfische in Aquarien nicht vermehren, was einfach nicht stimmt.Wie stellt man Meerwasser her?Mit einer Salzmischung, die man dem Leitungswasser beigibt.Der Zoo in Basel liegt mitten in der Stadt. Schon mal vorge-kommen, dass betrunkene Jugendliche über die Gitter stie-gen und die Nachtruhe der Nashörner störten?Wir haben schon Jugendliche erwischt, die auf die Getränkeauto-maten einschlugen. Ihre Eltern haben sich dann mit Spenden beim Zoo entschuldigt.Ihr Vorgänger Ernst Lang lief früher mit einem Gorilla durch den Basler Wald. Wie eng ist Ihre Bindung an die Tiere?Heute tut man das nicht mehr, weil es für einen Gorilla, der mit Menschen aufwächst, schwierig ist, sich als Gorilla zu fühlen. Ich werde oft gefragt, ob ich im Zoo Lieblingstiere habe. Aber wie seltsam wäre das, wenn ich als Direktor sagen würde: Ich mag die Elefanten besonders und habs mit den Spinnen nicht so. Ich hätte sofort unzählige Briefe zu Recht betupfter Spinnenliebha-ber. Also: Nein, ich habe im Zoo keine Lieblingstiere.Haustiere?Einen Hund.Hatten Sie als Kind eine Dinophase?Und ob ich die hatte.Wenn Sie auf Reisen gehen, besuchen Sie andere Zoos?Sicher.Ist es nicht das Ziel jedes Zoodirektors, irgendwann einen Nationalpark in Afrika zu leiten? Weil dort die Tiere ein richtiges, reales Leben führen?Nein. Das Leben der Löwen in Basel ist nicht weniger real oder weniger «richtig», es ist ein anderes Leben. Unsere Löwen sind Zoolöwen. Die sind adaptiert an das Leben im Zoo.Worauf achtet ein Zoodirektor, wenn er durch einen ande-ren Zoo spaziert?Zuerst achte ich vielleicht weniger auf die Tierarten als vielmehr darauf, wie der Zoo die Probleme der Tierhaltung löst. Wie ver-laufen die Abschrankungen? Wie ist das Besuchererlebnis? Erst dann richte ich meinen Blick auf die Tiere. In Basel mag ich die Randzeiten, wenn unser Zoo erwacht frühmorgens – oder in der Dämmerung. Da sind die Begegnungen mit den Tieren anders, da dreht sich plötzlich ein Zebra nach mir um und denkt sich womöglich: «Was macht denn dieser Zweibeiner noch hier?»Es gibt in der Schweiz rund achtzig zooartige Anlagen. Von den grossen wie Ihrem Zoo über die Fasanerie in Zug bis zur Giftschlangenausstellung in Egg. Braucht es die alle?Das ist für mich nicht die Frage. Die Frage ist: Wie werden sie be trieben? Wenn die Haltung stimmt, dann ist alles in Ordnung, und die Zahlen zeigen, dass Stadtmenschen auch im Jahr 2014 gern Tieren begegnen.Der schlechteste Zoo, den Sie je sahen?Ich war mal in China und habe Dinge gesehen, die mir nicht gefie-len. Eine rote Linie wird für mich überschritten, wenn Wildtiere lächerlich gemacht werden. Ich sah Schimpansen, denen man Zigaretten weiterreichte – solche Sachen.

Was ist mit Orca-Shows, wo Wale durch Ringe springen?Wenn das Tier nicht lächerlich gemacht wird, gibt es nichts aus-zusetzen. Ich weiss, dass sich momentan viele Tierschutzorga-nisationen auf Orca-Shows einschiessen. Aber was gibt es daran auszusetzen? Für den Orca ist der Ring nicht lächerlich.Der Orca ist ein Wildtier. In solchen Shows muss er auf Befehl Geburtstagskindern mit der Flosse zuwinken oder sie mit seiner Schnauze berühren. Alle reden dann von Kuss. Ein Wal küsst ein Kind?Ich war einmal im Sea World in Orlando in Zusammenhang mit einem Kongress. Was ich da gesehen habe, war in Ordnung. Man hat auf die Verschmutzung der Meere aufmerksam gemacht und gezeigt, was das Tier alles kann. Der Sea-World-Orca ist ein trai-niertes Zootier, was nicht bedeutet, dass er leidet. Er wird be-schäftigt und artgerecht gehalten. Ich verstehe allerdings nicht, warum die Tierpfleger auf dem Wal liegen oder sich von ihm zie-hen lassen müssen, das braucht es wirklich nicht. Und die Sache mit dem Kuss? Würde ich abschaffen.Im Conny-Land im Kanton Thurgau starben letztes Jahr drei Delfine. Können Sie die Kritik an solchen Institutio-nen nicht verstehen?Nein, das kann ich nicht verstehen. Man kann Delfine sehr wohl halten. Gorillas, Eisbären – man kann jedes Tier halten, wenn man gewisse Anforderungen erfüllt. Der eigentliche Skandal geschah nach dem Tod der Delfine. Seit Jahren haben wir in der Schweiz sehr gute, strenge Haltungsbestimmungen für Tiere, die in der eid-genössischen Tierschutzgesetzgebung geregelt sind. Doch an jenem Morgen im Parlament passierte Unglaubliches: Ohne sich über die Konsequenzen bewusst zu sein, beschlossen die Politiker, Delfinimporte zu verbieten. Mit gesundem Menschenverstand hatte das nichts zu tun. Natürlich ist es tragisch, dass die Tiere innerhalb kurzer Zeit starben, aber an mangelhafter Tierhaltung lag es nicht. Der angeklagte Tierarzt des Conny-Lands wurde übrigens freigesprochen, aber das will jetzt niemand mehr hören. Warum also das Importverbot?Die Delfin-Lobby hat zugeschlagen?Und wenn bei mir im Zoo drei Gorillas sterben? Dürfte ich dann keine Gorillas mehr halten? Könnte nämlich durchaus passie-ren – unsere Gorillas sind im hohen Alter. Ich habe fünf Jahre in der Tierpathologie gearbeitet. Wir haben alle Tiere, die bei uns eintrafen, autopsiert und geprüft, woran sie gestorben sind: Wie oft konnten wir den wahren Grund nicht finden! Man weiss nicht alles, auch nicht im 21. Jahrhundert.Was passiert mit Zootieren aus Krisengebieten? Es gibt einen Zoo in Gaza, es gab auch einen in Damaskus. Man sah Bilder, wie die Menschen Zebras assen. Werden Tiere aus Krisengebieten in anderen Zoos aufgenommen?Ich glaube, es wäre seltsam, wenn wir uns in Krisengebieten um Tiere kümmern würden, wenn es schon an Hilfe für Menschen mangelt.Mensch vor Tier?In Kriegen – ja.� •

SACHA BATTHYANY ist Redaktor des «Magazins»[email protected] Fotograf LINUS BILL lebt in Biel.www.linusbill.biz