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Rehabilitation:Substanzgebundene Abhängigkeitserkrankungen
PD Dr. med. Petra E. FrankeAbteilung Abhängigkeitserkrankungen
LVR Klinikum DüsseldorfKliniken der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf
Reha-Vorlesung 11/2011
Volkswirtschaftliche Kosten durch Alkoholkonsum
(1) Produktionsausfälle durch alkoholbedingte Erkrankungen und
Fehlen am Arbeitsplatz (17%)
(2) Erhöhte Sterblichkeit durch alkoholbedingte Erkrankungen
und Unfälle (69%)
(3) Frühzeitige Berentung (14%)
(Forberger & Rehm, 2010)
Indirekte Kosten alkoholassoziierter Erkrankungen
15,9 Mrd. Euro
Volkswirtschaftliche Kosten durch Alkoholkonsum
Direkte Kosten alkoholassoziierter Erkrankungen
(Forberger & Rehm, 2010)
(1) Stationäre Behandlungen (29%)(2) Ambulante Behandlungen (45%)(3) nicht-medizinische direkte Kosten (16%)(4) Rehabilitation (10 %)
8,5 Mrd. Euro
Geschätzter volkswirtschaftlicher Schaden durch alkoholbezogene Morbidität und Mortalität in D:
24,4 Milliarden € pro Jahr (2002)
(Forberger & Rehm, 2010)
Direkte und indirekte Kosten alkoholassoziierter Erkrankungen:
Riskanter Konsum
Missbrauch
Abhängigkeit
in Behandlung*
Epidemiologie: Alkoholismus
Quelle: IFT München, 2004: 18-59 jährige Personen in Deutschland
10,4 Mio. PersonenMänner: > 30 g Reinalkohol (Tag)
Frauen: > 20 g/Tag
2,7 Mio. (3,8%) DSM-IV/ICD-10 Kriterien
163 000 Personen
1,7 Mio. (2,4%) DSM-IV/ICD-10 Kriterien
* = Entwöhnungsbehandlungen, Rehabilitation = 1-2 %
Definition: Rehabilitation
lat.: rehabilitatio „das Wiederherstellen (eines Zustandes)“
(Wieder)Eingliederung eines Kranken, körperlich oder geistig Behinderten in das berufliche und gesellschaftliche Leben
1. ambulante Rehabilitation
2. ganztägig ambulante Rehabilitation
3. ambulante Nachsorge nach abgeschlossener stationärer Rehabilitation
4. stationäre Rehabilitation
Welche unterschiedlichen Rehabilitationsformen gibt es ?
ca.30%
im Jahr 2004; nach Köhler et al. 2007
Gesetzliche Grundlage: Rehabilitation
Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungenvom 04.05.2001
Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Krankenkassen und Rentenversicherungsträger bei der Akutbehandlung (Entzugsbehandlung)
und medizinischen Rehabilitation (Entwöhnungsbehandlung) Abhängigkeitskranker
§ 1 Gegenstand
(3) Ambulante und stationäre Entwöhnungs- sowie Entzugsbehandlungen.
(2) Eine Abhängigkeit i. S. der Vereinbarung liegt vor bei— Unfähigkeit zur Abstinenz oder Verlust der Selbstkontrolle oder— periodischem Auftreten eines dieser beiden Symptome
(1) Regelt die Zuständigkeit und das Verfahren bei der Bewilligung von Leistungen für Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängige (Abhängigkeitskranke), wenn Leistungen der Krankenversicherung und/oder der Rentenversicherung in Betracht kommen. Zudem definiert sie die an die Rehabilitationseinrichtungen zu stellenden Anforderungen (Anlagen 1 und 2).
§ 2 Ziele der medizinischen Rehabilitation
(1) - Abstinenz zu erreichen und zu erhalten,-- körperliche und seelische Störungen weitgehend zu beheben oder auszugleichen,- die Eingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft möglichst dauerhaft zu erhalten bzw. zu erreichen.
(2) Besonderheit: Rehabilitation Drogenabhängiger in Rehabilitationseinrichtungen für Abhängigkeitskranke bei übergangsweisem Einsatz eines Substitutionsmittels (Anlage 4)
(1) Eine Entwöhnungsbehandlung wird bewilligt, wenn- die persönlichen/medizinischen (Rehabilitationsbedürftigkeit ‚ -- fähigkeit und -prognose) und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - erfüllt sind - Maßnahmen der Beratung und Motivierung vorangegangen sind und- der Abhängigkeitskranke motiviert und zudem bereit ist, eine ggf. - erforderliche Nachsorge in Anspruch zu nehmen.
(2) Vor der Entwöhnungsbehandlung muss erforderlichenfalls eine Entzugsbehandlung (§ 4) durchgeführt worden sein.(3) Kriterien, die bei der Entscheidung über die im Einzelfall zweckmäßige Leistungsform zu berücksichtigen sind (Anlage 3).(4) Art, Ort, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Entwöhnungsbehandlungen bestimmt der Rehabilitationsträger unter Berücksichtigung der Schwere der Krankheit und der persönlichen Verhältnisse des Abhängigkeitskranken. Die im Sozialbericht hier zu enthaltenen Anregungen sollen angemessen berücksichtigt werden. Berechtigten Wünschen des Abhängigkeitskranken wird entsprochen. Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind zu beachten.
§3 Entwöhnungsbehandlungen
(1) Für die Bewilligung der Entwöhnungsbehandlung (§ 3) ist zuständig 1. der Rentenversicherungsträger, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 9 bis 11 SGB VI (§§ 7 und 8 ALG) erfüllt sind und kein gesetzlicher AusschIuss gegeben ist,
2. die Krankenkasse, wenn die Voraussetzungen nach Nr. 1 nicht vorliegen, jedoch die Voraussetzungen der § 27 und 40 SGB V erfüllt sind.
(2) Für die Entzugsbehandlung (§ 4) ist die Krankenkasse zuständig.
§ 5 Zuständigkeit
§ 6 Verfahren
(1) Der Antrag auf medizinische Leistungen zur Reha ist auf speziell dafür vorgesehenen Vordrucken zu stellen. Dem Antrag sind beizufügen: - ärztliches Gutachten/Befundbericht über die medizinische Notwendigkeit der Rehabilitation mit Prognose -ein aussagekräftiger, fachgerecht erstellter Sozialbericht (Vordruck)
(1) Die Vergütungssätze für medizinische Leistungen zur Rehabilitation werden zwischen den Rehabilitationsträgern und den Leistungserbringern gesondert vereinbart.
§ 8 Finanzierung
(2) Die Kosten für die Leistungen zur ambulanten medizinischen Rehabilitation, soweit sie ausschließlich therapeutische Einzel- bzw. Gruppengespräche enthalten, werden pauschaliert vergütet. Über die Höhe der Pauschale stimmen sich die Krankenkassen und die Rentenversicherungsträger ab.
Anlage 2 zur <Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen> vom 04.05.2001
Anforderungen an die Einrichtungen zur Durchführung stationärermedizinischer Leistungen zur Rehabilitation I
Der Träger der Einrichtung muss1.1. Mitglied in einem Verband der Freien Wohlfahrtspflege sein oder1.2. juristische Person des öffentlichen Rechts sein oder1.3. eine Anerkennung als gemeinnützige Einrichtung besitzen oder1.4. ein privater Träger sein und über eine Konzession nach § 30 der Gewerbeordnung verfügen.
Für die Belegung durch die gesetzlichen Krankenkassen ist der Abschluss eines Versorgungsvertrages nach § 111 SGB V Voraussetzung.
2. Die Einrichtung muss ein wissenschaftlich begründetes Therapiekonzept vorlegen, das u. a. Aussagen zum diagnostischen Vorgehen, zu den Leistungen und zu den therapeutischen Zielen einschließlich der Leistungsdauer enthält.
Anforderungen an die Einrichtungen zur Durchführung stationärermedizinischer Leistungen zur Rehabilitation II
3. Die Einrichtung muss bereit sein, sich an Qualitätssicherungs- programmen einschließlich Effektivitätskontrollen zu beteiligen und die durchgeführten Leistungen dokumentieren.
4. In der Einrichtung müssen auf dem Gebiet der Suchtkrankenarbeit qualifizierte und erfahrene Mitarbeiter zur Verfügung stehen:4.1. Ärzte,4.2. approbierte psychologische Psychotherapeuten oder Diplom-Psychologen4.3. Diplom-Sozialarbeiter/Diplom-Sozialpädagogen sowie4.4. Ergotherapeuten (i. S. d. Ergotherapeutengesetzes), Arbeitserzieher oder vergleichbare Qualifikation
Anforderungen an die Einrichtungen zur Durchführung stationärermedizinischer Leistungen zur Rehabilitation III
5. Die Einrichtung muss einen ärztlichen Leiter haben. Dieser ärztliche Leiter soll die Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder zum Facharzt für Psychotherapeutische Medizin abgeschlossen haben oder eine andere Facharztqualifikation mit der Zusatzbezeichnung <Psychotherapie> oder <Psychoanalyse> besitzen. Im Leitungsteam müssen außerdem die Fachbereiche Psychologie und Sozialarbeit vertreten sein. Zur abgestimmten Planung und Umsetzung der Rehabilitationsziele ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit des Rehabilitationsteams sicherzustellen.
Erfolg von Entwöhnungsbehandlungenim Langzeitverlauf
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
nach 1 Jahr nach 4 Jahren
Abstinenz
Küfner et al. 1988, 4-Jahres Katamnese; Mann & Batra, 1993, Zobel et al. 2004, nach: Köhler et al. 2007
„Tübinger Modell“-6 Wo. stat./1 J. amb.
KatamnesestudieMax-Planck-Institut
nach 1 Jahrabstinent: 65.5 %abstinent nach Rückfall: 8,7 % rückfällig: 25.8 %
Einflussvariablen auf Therapiedauer und -erfolg
Trend für verkürzte Behandlungszeiten im internationalen Vergleich Individualisierung der Therapiebausteine
Durchschnittliche Behandlungszeit 3-4 MonateLängere Behandlungszeiten bei schwerer Ausprägung
Wirksame Therapieformen (Metaanalyse aus USA/Kanada): 1. gemeindenahes Verstärkermodell 2. behaviorale Kommunikations- und Paartherapie 3. Motivational Interviewing
nach: Köhler et al. 2007
werden in Deutschland nicht routinemäßig in Einrichtungen derSuchtrehabilitation angewendet
RSD=Reha-Statstik Datenbasis; nach Köhler et al. 2007
Statistik zur Bewilligung von Rehabilitationsleistungen
kontinuierlicher Anstieg der Antragsverfahren seit 1995 (z.B. 1995: 16.000; 2004: 28.000)
kontinuierlicher Anstieg der Bewilligung von Rehabilitationsleistungen (Alkoholabhängigkeit: 84 %; Drogenabhängigkeit: 13 %; Medikamentenabhängigkeit: 3 %)
→ höhere Zugangsquote für Rehabilitation→ Ausweitung der Suchtrehabilitation seit 2004 im ambulanten Bereich→ Rückgang der Suchtrehabilitation im stationären Bereich
Inanspruchnahme von Suchtrehabilitationen
RSD=Reha-Statstik Datenbasis; nach Köhler et al. 2007
konstante Quote der Inanspruchnahme von Rehabilitation
Männer nehmen häufiger Rehabilitationsleistungen in Anspruch
Inanspruchnahme in den neuen Bundesländern geringer
Nichtantrittsquote bei der Suchtrehabilitation konstant zu hoch Alkoholabhängigkeit: 17 % Drogenabhängigkeit: 20 % Mehrfachabhängigkeit: 24 %
4,2 % (nicht-Sucht-Reha)
Komorbide Störungen in der Rehabilitation Suchtkranker
Zeitdauer bis ein Patient mit Alkoholabhängigkeit dieRehabilitation in Anspruch nimmt: 13 Jahre
Notwendigkeit zur Mitbehandlung psychischer undsomatischer Folge- und Begleiterkrankungen
ambulant stationär
> 4 Begleitdiagnosen 7 % 50 %
RSD=Reha-Statstik Datenbasis; nach Köhler et al. 2007
Häufigste Begleiterkrankungen in der stationären Rehabilitationalkoholabhängiger Patienten
0 10 20 30 40 50 60
x
PNP
AdipositasNeurosen
Hypertonie
Rückenbeschwerden
Affektive Störungen
Stoffwechselstörungen
Persönlichkeitsstörungen
Lebererkrankungen
Nikotinabhängigkeit
nach: Schmidt et al. 2008
Sozialmedizinischer Verlauf nach der Rehabilitation Alkoholabhängiger
RSD=Reha-Statstik Datenbasis; nach Köhler et al. 2007, basierend auf Daten des Jahres 2000
ambulant stationär
durchgehend beschäftigt
lückenhaft beschäftigt
vorzeitig berentet
Altersrente
verstorben
65 %
22 %
8 %
2 %
3 %
74 %
18 %
4 %
2 %
2 %
92 % 87 %
2 Jahres Verlauf regulär entlassener Patienten
Modus der Entlassung aus der stationären Rehabilitation Suchtkranker
1
2
3
4
5
nach: Schmidt et al. 2008
reguläre Entlassung: 68,6 %Wechsel in ambulante Reha: 9,3 %vorzeitige Entlassung: 19,6 %disziplinarische Entlassung: 1,3 %Verlegung: 1,2 %
Arbeitsunfähigkeit und Rehabilitationsprozess
1. Erhalt der Erwerbstätigkeit erleichtert die suchtspezifischen Rehabilitationsziele: - Sicherung der Abstinenz - Minimierung von Rückfallrisiken
3. Arbeitslosigkeit nach Reha-Suchtbehandlung: - 3,5-fach höheres Risiko in die frühere Alkoholabhängigkeit zurückzufallen.
2. Anteil der Arbeitslosen unter Suchtrehabilitanden: > 35 %
Ergänzung suchtrehabilitativer Maßnahmen durch arbeitsfördernde Maßnahmen entscheidend für erfolgreiche Wiedereingliederung
Angewandte Therapieverfahren und Inanspruchnahmein der stationären Rehabilitation Alkoholabhängiger
Auszug aus: Schmidt et al. 2008
Information und Schulung
kognitive VT
Soziales Kompetenztraining
Sozialarbeit Organisation Nachsorge
Sozialarbeit berufliche Integration
Rückfallprävention
Nichtrauchertraining
Motivationsförderungstherapie
psychische Komorbidität
93,3 %
85,4 %
79,1 %
72,8 %
45,7 %
29,6 %
17,3 %
14,8 %
11,2 %
Ungeklärte Fragen in Zusammenhang mit derRehabilitation Suchtkranker und Forschungsbedarf
1. Wie kann die Inanspruchnahme von Suchtrehabilitationen allgemein gesteigert werden ?
2. Wie gelingt es Abhängigkeitskranke zu einem früheren Zeitpunkt im Verlauf ihrer Erkrankung für die Inanspruchnahme von Rehabilitation zu motivieren ?
3. Bisherige Datenerhebung der Rentenversicherungsträger zu wenig auf wissenschaftliche Fragestellungen ausgerichtet.
4. Einige evidenzabsierte Therapieverfahren werden bislang noch nicht umfassend in der Rehabilitation angewandt.
Köhler et al. 2007; Schmidt et al. 2008
Danke für Ihre Aufmerksamkeit !
☻