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Ressourcenallokation/Mittelverteilung in der Gesundheitsversorgung: Herausforderungen und Lösungsansätze aus ethischer Perspektive Georg Marckmann Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Tagung des Landesethikkomitees Südtirol „Was soll im Gesundheitswesen Vorrang haben? Eine Frage der Ethik!“ Bozen, 02. Februar 2012

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Ressourcenallokation/Mittelverteilung in der Gesundheitsversorgung: Herausforderungen und Lösungsansätze aus ethischer Perspektive

Georg Marckmann

Ludwig-Maximilians-Universität MünchenInstitut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin

Tagung des Landesethikkomitees Südtirol

„Was soll im Gesundheitswesen Vorrang haben? Eine Frage der Ethik!“

Bozen, 02. Februar 2012

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Skylla

Charybdis

Straße von Messina

Kalabrien

Sizilien

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Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU

Übersicht

� Problemhintergrund: Mittelknappheit im Gesundheitswesen

� Mittelverteilung - eine Frage der Gerechtigkeit

� Ebenen der Mittelverteilung

� Handlungsoptionen� Effizienzsteigerungen („Rationalisierungen“)

� Mittelerhöhung

� Leistungsbegrenzungen („Rationierungen“)

� Formale & materiale Kriterien gerechter Leistungsbegrenzungen

� Fragen & Diskussion

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MedizinischeInnovationen

Demographischer Wandel

BegrenzteFinanzmittel

Nachfrage � Angebot �

Mittelknappheitim Gesundheitswesen

Mittelknappheitim Gesundheitswesen

+

Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU 4

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Fazit - 1

� Demographischer Wandel und medizinische Innovationen führen zu einem steigenden Versorgungsbedarf, vor allem für multimorbide, chronisch kranke ältere Patienten.

� Dem stehen im öffentlichen Bereich begrenzte Finanzmittel gegenüber.

� Damit stellt sich die Frage, wie die begrenzten Gesundheitsressourcen verteilt werden sollen.

Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU 5

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Eine Frage der Gerechtigkeit...

� Was unterscheidet Gesundheit von anderen Gütern?

� Gesundheit = transzendentales Gut

„Gesundheit ist nicht alles, aberohne Gesundheit ist alles nichts.“

� Zugang zur Gesundheitsversorgung →Voraussetzung für die Chancengleichheit (Norman Daniels)

� Jeder/jede sollte – unabhängig vom Einkommen – einen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben

� Argument für eine solidarisch finanzierte, gesetzlich abgesicherte medizinische Grundversorgung(einschließlich Gesundheitsförderung und Prävention)

� Sozial bedingte Ungleichheiten von Gesundheitschancen

� Förderung der sozioökonomischen Voraussetzungen von Gesundheit ethisch geboten

Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU 6

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Fazit - 2

� Die Verteilung begrenzter Gesundheitsressourcen ist nicht nur eine politische oder ökonomische Frage, sondern eine Frage der Gerechtigkeit (... und damit eine Frage der Ethik!)

Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU 7

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Ebenen der Verteilung/Allokation

Ebene Verteilung Beispiele

Makro-ebene

Zuteilung von Mitteln-in die Gesundheits-versorgung-in die einzelnen Bereiche der Gesundheitsversorgung

- Gesundheitssektor vs. Bildung, Infrastruktur etc.

- z.B. stationäre vs. ambulante, fachärztliche vs. hausärztliche Versorgung

Meso-ebene

Verteilung von Mitteln-in Versorgungsbereichen-in Gesundheitseinrichtungen

- Anzahl, Größe & Fachbereiche von Krankenhäusern

- Mittelverteilung im Krankenhaus / im Pflegeheim

Mikro-ebene

Zuteilung von Mitteln im Einzelfall

- Betreuungszeit (!)- teure Medikamente- Pflegemaßnahmen

Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU 8

Verteilungsfragen in Südtirol (11:00)

Makroebene: Dr. Martin M. LintnerMesoebene: Dr. Deborah MascalzoniMikroebene: Dr. Clara Astner

Sie können selbst mitdiskutierenin den 4 Workshops ab 14:00!

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Medizinische Innovationen

Demographischer Wandel

BegrenzteFinanzmittel

Nachfrage � Angebot �

Mittelknappheitim Gesundheitswesen

Mittelknappheitim Gesundheitswesen

+

Strategien?Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU 9

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Medizinische Innovationen

Demographischer Wandel

BegrenzteEinnahmen

Nachfrage � Angebot �

Mittelknappheitim Gesundheitswesen

Mittelknappheitim Gesundheitswesen

+

Effizienzsteigerungen(Rationalisierungen)

Effizienzsteigerungen(Rationalisierungen)

Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU 10

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Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU 11

Rationalisierungen

� Ethische Priorität: Konvergenz von Ökonomischer und medizinisch-ethischer Rationalität� Elimination von Über-, Unter- und Fehlversorgung� Verbesserte Organisation und Integration der Versorgung� Stärkung der Gesundheitsmündigkeit & Prävention

� Wichtig: Nicht nur Unterlassung ineffektiver Maßnahmen, sondern (vor allem) richtige Indikationsstellung effektiver Maßnahmen!

? Evidenzbasierte Medizin (Studien, Leitlinien) & Health Technology Assessment (HTA)

? Vortrag Dr. Horand Meier (10:15)

� Herausforderungen:

� Umsetzung methodisch schwierig, politische Widerstände

� Erfordert strukturelle Veränderungen

� Wirkungslatenz (vgl. Leitlinien), kann Kosten steigern

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Medizinische Innovationen

Demographischer Wandel

BegrenzteEinnahmen

Nachfrage � Angebot �

Mittelknappheitim Gesundheitswesen

Mittelknappheitim Gesundheitswesen

+

Effizienzsteigerungen(Rationalisierungen)

Erhöhung der Mittel im Gesundheitswesen

Erhöhung der Mittel im Gesundheitswesen

Charybdis

Leistungsbegrenzungen(Rationierungen)

Leistungsbegrenzungen(Rationierungen)

Skylla

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Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU

Fazit - 3

� Rationalisierungen haben höchste Priorität bei der Allokation von Gesundheitsressourcen.

� Rationalisierungen allein werden aber nicht ausreichen, um den Kostendruck durch Innovationen und Demographie dauerhaft zu kompensieren.

� Es gibt gut Gründe die (öffentlichen) Gesundheitsausgaben zu begrenzen.

� Damit werden Leistungsbegrenzungen („Rationierungen“) unausweichlich.

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Leistungsbegrenzungen

� Gerechtigkeitsfrage:Wie können die begrenzten Gesundheitsressourcen gerechtverteilen werden?

� Wer soll über die Leistungsbegrenzungen entscheiden?

� Nach welchen Kriterien?

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LeistungsbegrenzungenLeistungsbegrenzungen

explizit implizit

Vergütungsformen• DRGs• Kopfpauschalen• Bonus-/Malus-System

Zuzahlungen• Fixbetrag• Prozentual• Selbstbehalt

Budgets FinanzielleAnreize

Leistungs-erbringer

Versicherte/Patienten

Leistungs-ausschlüsse

Versorgungs-Standards

• Transparent

• Konsistent• Medizinisch rationaler

• Gerechter (Gleichbehandlung)

• Entlastet A-P-Beziehung• Simultane Steuerung von

Kosten und Qualität

Prioritäten

Vortrag Prof. Meyer 11:40

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Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU

Gerechtigkeit (1): Formale Kriterien

� Formale Kriterien � faires Entscheidungsverfahren

� Transparenz

� Legitimität (demokratisch legitimierte Institutionen)

� Konsistenz (Gleichbehandlung der Patienten)

� Nachvollziehbare, relevante Begründung

� Evidenzbasierung (hinsichtlich Nutzen & Kosten )

� Partizipation (relevanter gesellschaftlicher Gruppen)

� Widerspruchsmöglichkeiten

� Faire Entscheidungsprozesse� Makroebene � politische Entscheidungen

� Mesoebene � Entscheidungen in den Einrichtungen (Krankenhaus, Alters- & Pflegeheim, etc.)

� Mikroebene � im Einzelfall

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Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU

Gerechtigkeit (2): Materiale Kriterien

� Ziel: inhaltliche Begründung von Allokationsentscheidungen

� Materiale Kriterien (vgl. z.B. ZEKO 2007)

n Medizinische Bedürftigkeit� Dringlichkeit der Behandlung, Schweregrad der Erkrankung

n Erwarteter individueller medizinischer Nutzen

n Kosten-Nutzen-Verhältnis

� Metakriterium: Evidenzstärke (Nutzen & Kosten)

� Ethisch nicht akzeptable Kriterien

� Alter, Geschlecht, Herkunft, etc.

� Sozialer Status, Zahlungsfähigkeit

� Psychischer oder physischer Gesundheitszustand

? Anwendung auf Makro-, Meso- & Mikroebene

? Abwägung der Kriterien erfordern faire (politische) Entscheidungsprozesse!

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Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU

Fazit - 4

� Die Verteilung begrenzt verfügbarer Gesundheitsressourcen wirft auf verschiedenen Ebenen Fragen der Gerechtigkeit auf.

� Allokationsentscheidungen sollten sich deshalb an formalen und materialen ethischen Kriterien orientieren.

� Dies ermöglicht faire Entscheidungsprozesse und ethisch gut begründete Entscheidungen.

� Wie dies in Südtirol realisiert werden kann, werden wir im Verlauf der Tagung weiter diskutieren! ☺

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Medizinische Innovationen

Demographischer Wandel

BegrenzteFinanzmittel

Nachfrage � Angebot �

Mittelknappheitim Gesundheitswesen

Mittelknappheitim Gesundheitswesen

+

Effizienzsteigerungen(Rationalisierungen)

Effizienzsteigerungen(Rationalisierungen)Erhöhung der Mittel im

Gesundheitswesen

Erhöhung der Mittel im Gesundheitswesen

Charybdis

Leistungsbegrenzungen(Rationierungen)

Leistungsbegrenzungen(Rationierungen)

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Bozen, 02.02.12 Georg Marckmann, LMU

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

� Literatur:

� Marckmann G, Gesundheit und Gerechtigkeit. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung –Gesundheitsschutz 2008;51(8):887-894

� Kontakt (Sonderdrucke etc.): [email protected]

� Folien: www.egt.med.uni-muenchen/marckmann

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Rahmenbedingungen•Demographischer Wandel & Innovationen � Ausgaben↑•Steigender Altenquotient � Einnahmen↓•Bereits heute: verdeckte Rationierung•(erhebliche) Wirtschaftlichkeitsreserven im System•Sozioökonomisch bedingte Ungleichheiten der Gesundheitschancen

Priorisierung & „Rationierung“ offen diskutieren?

Vorteile:•Öffentliches Problembewusstsein↑•Priorisierung � gezielter Einsatz begrenzter Ressourcen•Orientierung & Vorgaben für bereits bestehende „Rationierung“ � gerechtere Zuteilung•Vorbereitung auf steigenden Kostendruck•Reallokation von Ressourcen für prioritäre Gesundheitsbedürfnisse

Nachteile:•Vernachlässigte Rationalisierung (?)•Zweiklassenmedizin (?)•Verlust von Wählerstimmen (?)

Vorteile:•Umfassendere, qualitativ hochwertigere Versorgung (?)•Politisch leichterer Weg (?)

Nachteile:•Intransparenz des Systems•Fortgesetzte (& vermutlich zunehmende) verdeckte Rationierung � Ungleichheiten in der Versorgung•Keine Identifizierung prioritärer Versorgungsbedarfe•Keine Vorbereitung auf zunehmenden Kostendruck

Ja Nein