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Ines Felber
Matr. Nr. 08415479
Ressourcenorientierung als Blickwinkel
Ressourcenorientierte Beratung von Lehrpersonen durch
Beratungslehrer*innen
Masterarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades eines
Master of Science
im Rahmen des Universitätslehrganges
MSc Psychosoziale Beratung
Wissenschaftliche Begutachterin: Univ.-Doz. DDr. Barbara Friehs
Karl-Franzens-Universität Graz
und UNI for LIFE
[Innsbruck, Mai 2021]
2
1 Danksagung
„Sich geborgen fühlen und angenommen sein sind Grundvoraussetzungen
für erfolgreiches Lernen. Aber in der Schule sind solche Emotionen oft regel-
recht tabu. Das ist nicht kindgerecht. Eltern haben eigentlich ein ganz gesun-
des Empfinden: Ein guter Lehrer ist einer, der Kinder gern hat und mit Kin-
dern gut umgehen kann.“ (Remo Lago)
Bedanken möchte ich mich bei meiner wissenschaftlichen Leiterin Univ.-Doz.
DDr. Barbara Friehs für ihre Hilfe und ihre Unterstützung. Ein weiteres, besonde-
res Dankeschön an meine Berater- und Teamkolleg*innen, die mit viel Engage-
ment und Freude im System Schule im Einsatz sind. Zuletzt möchte ich meiner
Tochter Karin danken, die mich bei meiner Arbeit mit viel Geduld und Humor be-
gleitet hat.
Abbildung 1: Zitronenfalter auf Blatt, Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 2: Spirale stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pix-abay.com/de/vectors/petroglyph-arizona-antike-primitive-153863/Abbildung 3: Zitronenfalter auf Blatt, Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 4: Spirale stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pix-abay.com/de/vectors/petroglyph-arizona-antike-primitive-153863/Abbildung
5: Zitronenfalter auf Blatt, Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 6: Spirale stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pix-abay.com/de/vectors/petroglyph-arizona-antike-primitive-153863/Abbildung 7: Zitronenfalter auf Blatt, Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 8: Spirale stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pix-abay.com/de/vectors/petroglyph-arizona-antike-primitive-153863/Abbildung
3
2 Abstract Deutsch
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Beratung von Lehrpersonen durch Be-
ratungslehrer*innen. Dabei liegt der Fokus der Ausführungen auf der Ressour-
cenorientierung im Beratungsprozess.
Ziel ist es, den Fragen nachzugehen, welche Herausforderungen und Chancen die
professionelle Beratung von Pädagoginnen und Pädagogen im System Schule
bietet. Des Weiteren sollen die Beratungsarbeit vorgestellt und ein grundlegendes
Verständnis dafür vermittelt werden.
Für die Beantwortung dieser Fragestellungen wurden Beratungslehrer*innen mit
mehrjähriger Berufserfahrung befragt. Sie weisen darauf hin, dass die Beratung
von Lehrpersonen im Schulalltag noch keine Selbstverständlichkeit ist.
Es bedarf einer professionellen Beratung und Begleitung von Lehrkräften, um not-
wendige Ressourcen zu erschließen, Handlungsstrategien und Lösungsmöglich-
keiten zu erarbeiten und selbständig umzusetzen.
Die Ergebnisse der Erhebungen unterstreichen die Notwendigkeit, die Weiterent-
wicklung und die Lebendigkeit in der Schule zu fördern, damit die Professionali-
sierung der Pädagog*innen zunimmt und ein achtsamer, wertschätzender Um-
gang mit Kindern und Jugendlichen im schulischen Kontext gelingen kann.
4
3 Abstract Englisch
This paper deals with the counselling of teaching personnel by guidance counsel-
lors. We place the focus on the orientation of resources in the counselling pro-
cess.
The objective is to investigate the challenges and opportunities presented in the
professional counselling of educators in the school system. Furthermore, we pre-
sent counselling work while conveying a fundamental understanding of the field.
To enable this, we surveyed experienced guidance counsellors. Those surveyed
made it clear that the counselling of teaching personnel in the school setting is
not a matter of course.
The professional counselling and support of teaching staff is necessary to de-
velop the necessary resources while independently creating and implementing
strategies for action and possible solutions.
The results of the survey highlight the need for further development and the pro-
motion of liveliness in the school setting to help increase educator professional-
ism to ensure mindful and appreciative communication with children and adoles-
cents in the school context.
5
Inhaltsverzeichnis
1 Danksagung 2
2 Abstract Deutsch 3
3 Abstract Englisch 4
4 Abbildungsverzeichnis 8
5 Einleitung 9
6 Beratung 11
6.1 Definition von Beratung 11
6.2 Systemisches Denken 12
6.3 Die lösungsorientierte Kurztherapie und lösungsfokussierte Beratung 13
6.4 Psychosoziale Beratung 13
6.5 Ressourcenorientierte Beratungskonzepte 14
7 Ressourcen 14
7.1 Was sind Ressourcen? 14
7.2 Ressourcenorientierung und Ressourcenaktivierung 15
7.2.1 Salutogenesemodell von Antonovsky 16
7.2.2 Kohärenzgefühl 16
7.3 Ressourcenorientierung statt Defizitorientierung 17
8 Beratungslehrer*innen – ein schulisches Unterstützungssystem 18
8.1 Beratungsangebote an Schulen 18
8.2 Beratungslehrer*innen in Tirol – ein bundeslandspezifisches Angebot 19
8.2.1 Entwicklungsgeschichte 19
8.3 Beratungslehrer*innen im Schulsystem 20
8.3.1 Beispiele für die Beratungstätigkeit von Beratungslehrer*innen 21
8.4 Ausbildung und Kernkompetenzen von Beratungslehrer*innen 22
8.5 Beratungstätigkeit von Beratungslehrern 22
8.5.1 Betreuungsablauf 22
8.5.2 Betreuungsvoraussetzungen 23
6
8.5.3 Beratungs- und Betreuungstätigkeit 23
9 Beratung von Lehrpersonen 24
9.1 Ausgangslage 24
9.2 „Drei-Sparten-Beruf“ 24
9.3 Erziehungsauftrag/Beziehungskompetenz 26
9.4 Die Bedeutung der Beratung von Lehrpersonen 27
10 Ressourcenorientierte Beratung durch Beratungslehrer*innen 28
10.1 Begriffliche Unterscheidungen 28
10.1.1 Beratung und Coaching 28
10.1.2 Supervision 29
10.1.3 Psychotherapie 29
10.2 Prozess- und Wissensberatung 29
10.3 Die Berater*innenrolle 30
10.3.1 Schaffen von Möglichkeiten 31
10.3.2 Ressourcenorientierung 31
10.3.3 Unterstützen der Selbstwirksamkeit 32
10.4 Die Rolle des Beratungslehrers/der Beratungslehrerin 32
10.5 Der Beratungsprozess 33
10.6 Ressourcenorientierter Beratungsprozess 33
10.7 Auftragsklärung in der Beratung 34
10.8 Rahmenbedingungen 34
10.9 Die Kommunikation in der Beratung 35
10.10 Professionelle pädagogische Haltung 36
10.11 Aus- und Fortbildung von Lehrpersonen 38
10.12 Professionalität im Lehrberuf und private Ressourcen 39
11 Empirischer Teil 42
11.1 Ablauf der empirischen Arbeit 42
11.2 Empirische Sozialforschung 43
11.2.1 Quantitative Forschung 43
11.2.2 Qualitative Forschung 44
11.3 Die Stichprobe der qualitativen Studie 45
7
11.4 Datenerhebung 46
11.4.1 Qualitative Einzelinterviews 46
11.4.2 Das Expert*inneninterview 47
11.4.3 Das Telefoninterview 47
11.4.4 Durchführung des Interviews 49
11.4.5 Auswertung der Interviews 50
11.5 Die Interviewpartner*innen 53
11.6 Kategorienbildung 56
12 Darstellung der Ergebnisse 57
12.1 Herausforderungen 57
12.1.1 Auftrag 57
12.1.2 Erstgespräch 59
12.1.3 Beratungsverlauf 60
12.1.4 Äußeres Setting 64
12.2 Chancen 65
12.2.1 Auftrag 65
12.2.2 Erstgespräch 66
12.2.3 Beratungsverlauf 67
12.2.4 Äußeres Setting 72
12.3 Empfehlungen 73
12.3.1 Chancen der ressourcenorientierten Beratung von Lehrpersonen 73
12.3.2 Empfehlungen für die Beratungspraxis 75
13 Resümee 76
13.1 Zu den Forschungsfragen 76
14 Literaturverzeichnis 80
8
4 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zitronenfalter auf Blatt, Quelle: eigene Darstellung 2
Abbildung 2: Spirale stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/petroglyph-
arizona-antike-primitive-153863 11
Abbildung 3: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an:
https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-gecko-leguan-antike-tier-152684/ 17
Abbildung 4: Sonne stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/sonne-
petroglyph-primitive-spirale-155573/ 23
Abbildung 5: LehrerIn als Drei-Sparten-Beruf, Quelle: Miller, R. (2006). 99 Schritte zum professionellen
Lehrer (3. Aufl.). Kallmeyer in Verbindung mit Klett. 25
Abbildung 6: SmartArt zur Professionalität, Quelle: in Anlehnung an: Miller, R. (2006). 99 Schritte zum
professionellen Lehrer (3. Aufl.). Kallmeyer in Verbindung mit Klett. 38
Abbildung 7: SmartArt zu den schulischen Facetten von Professionalität, Quelle: Frank, H. (2010).
Lehrer am Limit: Gegensteuern und durchstarten - Ein Lehrer-Ratgeber mit Sofortwirkung und
Langzeiteffekt. Beltz GmbH, Julius.; Bild in den Kugeln aus eigener Darstellung 40
Abbildung 8: SmartArt Private Ressourcen, Quelle: adaptiert nach: Frank, H. (2010). Lehrer am Limit:
Gegensteuern und durchstarten - Ein Lehrer Ratgeber mit Sofortwirkung und Langzeiteffekt. Beltz
GmbH, Julius., Bild im Hintergrund aus eigener Darstellung 41
Abbildung 9: Triskele stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/muster-
tribal-celtic-spirale-pagan-23396/ 56
Abbildung 10: Schildkröte der Weisheit stilisiert, Quelle: in Anlehnung an:
https://pixabay.com/de/illustrations/schildkröte-tribal-design-symbol-948263 75
Abbildung 11: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an:
https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-gecko-leguan-antike-tier-152684 79
9
5 Einleitung
Als junge Pädagogin merkte ich schnell, dass ich mit der Kategorisierung meiner
Schüler*innen im Sinne einer defizitorientierten Pädagogik nicht umgehen konnte.
Durch meine Ausbildung zur Beratungslehrerin bekam ich die Möglichkeit, mich zu
spezialisieren und ressourcen-, ziel- und lösungsorientiert im System Schule zu
arbeiten.
Als langjährige Mitarbeiterin im Leitungsteam der Beratungslehrer*innen Tirols
konnte ich Aufbau, Struktur und Professionalisierung des Beratungslehrer*innen-
Systems mitgestalten. Meine aktuelle berufliche Tätigkeit als Diversitätsmanagerin
in der Bildungsdirektion im Fachbereich Inklusion, Diversität und Sonderpädagogik
ermöglicht mir nun, vorhandene Gegebenheiten zu nutzen und gleichzeitig zu se-
hen, was es an Spielräumen im Schulsystem gibt – wo man mitdenken und etwas
Neues und Wertvolles schaffen kann – mit dem Ziel, qualitativ hochwertige Bera-
tung und Unterstützung in der Bildungsregion anzubieten.
Der Fokus meiner Arbeit richtet sich auf die ressourcenorientierte Beratung von
Lehrpersonen, die Förderung ihres Selbstgefühls und die Stärkung ihrer persönli-
chen Kompetenzen. In der ressourcenorientierten Beratung wird davon ausgegan-
gen, dass die Anforderungen an die Pädagog*innen wachsen. Fehlen persönliche
Kompetenzen und soziale Ressourcen, gewinnt die professionelle Beratung an
Bedeutung, sowohl bei der Entwicklung von Problembewältigungsstrategien als
auch bei der Nutzung von Chancen und bei der Motivation neue Wege zu gehen
(vgl. Sickendiek et al 2008, S. 210).
Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen nicht Beratungsmethoden und Beratungstech-
niken von Beraterinnen und Beratern. Erfahrene Berater*innen wählen verschie-
dene Unterstützungsstrategien und Handlungstechniken aus, um Ratsuchende
möglichst souverän und effektiv begleiten zu können. Mein Anliegen ist es viel-
mehr, Einblick in die Beratungspraxis zu vermitteln. In der Fachliteratur von Schu-
bert, Rohr und Zwicker-Pelzer (Schubert et al, 2019) wird auf ressourcenorientierte
Beratungsansätze konkret eingegangen:
10
„Dieser Ansatz vermittelt eine Erweiterung der Blickrichtung in der Be-
ratung von einer Defizit- und Belastungsorientierung auf die wirkmäch-
tige Erfassung und Aktivierung von Ressourcen und ist zunehmend als
Querformat zu den vorab thematisierten Beratungsansätzen zu verste-
hen: Nahezu alle Beratungsansätze verfolgen gegenwärtig eine res-
sourcenorientierte Denk- und Handlungsweise“ (Schubert et al 2019,
S.64).
Diese Masterarbeit besteht aus einem theoretischen Teil, der sich mit der Fachli-
teratur thematisch auseinandersetzt, und aus einem empirischen Teil, in dem die
im Rahmen der Arbeit durchgeführten Befragungen dargestellt und erläutert wer-
den.
Im ersten Kapitel wird der Begriff der Beratung definiert, es wird die lösungsorien-
tierte Kurztherapie von Steve de Shazer beschrieben und auf ressourcenorien-
tierte Beratungskonzepte eingegangen. Das zweite Kapitel setzt sich mit mögli-
chen Ressourcen, der Ressourcenorientierung und der Aktivierung von Ressour-
cen auseinander. Dabei wird die defizitorientierte Denkweise im System Schule
thematisiert. Im darauf folgenden Kapitel wird das schulische Unterstützungssys-
tem der Beratungslehrer*innen vorgestellt und die Beratungspraxis konkretisiert.
Das vierte Kapitel richtet den Fokus auf die Beratung von Lehrpersonen. Es wer-
den die Grundkompetenzen von Lehrer*innen erläutert und es wird der Erzie-
hungsauftrag in der Schule angesprochen. Das nächste Kapitel widmet sich der
ressourcenorientierten Beratung durch Beratungslehrer*innen. Dabei wird sowohl
auf die Rolle der Beratungsperson als auch auf den Beratungsprozess eingegan-
gen.
Anschließend wird zuerst der Ablauf der wissenschaftlichen Arbeit erläutert und
die Interviewpartner*innen werden beschrieben. Im siebten Kapitel sind die Ergeb-
nisse der Erhebung dargestellt. Dabei zeigt sich eine grundlegende Haltung von
Beratungslehrer*innen: Kinder brauchen Lehrpersonen, die sich Zeit nehmen und
Kinder so annehmen, wie sie sind. Eine wohlwollende, positive gegenseitige Be-
ziehung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für gelingendes Lernen in der
Schule. Abschließend werden im letzten Kapitel die gestellten Forschungsfragen
beantwortet und zusammengefasst.
11
6 Beratung
6.1 Definition von Beratung
In der Literatur finden sich unterschiedliche, voneinander abweichende Definitio-
nen des Begriffs Beratung. Für die vorliegende Arbeit wurden repräsentativ drei
Zitate ausgewählt.
Unter Beratung verstehen Schubert, Rohr und Zwicker: „[...] ein interdisziplinäres
Denk- und Handlungskonzept, eine praxisbezogene Wissenschaft, die ihren Be-
zug und ihre Begründung in vielen menschlich relevanten Lebenssituationen hat
und damit eine personen- und kontextbezogene Dienstleistung von großer Reich-
weite ist“ (Schubert et al. 2019, S. 21).
Sickendiek, Engl und Nestmann definieren den Beratungsbegriff wie folgt:
„Beratung ist zunächst eine Interaktion zwischen zumindest zwei Betei-
ligten, bei der die beratende(n) Person(en) die Ratsuchende(n) – mit
Einsatz von kommunikativen Mitteln – dabei unterstützen, in bezug [sic!]
auf eine Frage oder auf ein Problem mehr Wissen, Orientierung oder
Lösungskompetenz zu gewinnen. Die Interaktion richtet sich auf kogni-
tive, emotionale und praktische Problemlösung und -bewältigung von
KlientInnen oder Klientensystemen (Einzelpersonen, Familien,
Abbildung 32: Spirale stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/petroglyph-arizona-
antike-primitive-153863/
12
Gruppen, Organisationen) sowohl in lebenspraktischen Fragen wie
auch in psychosozialen Konflikten und Krisen“ (Sickendiek et al. 2008,
S.13).
Für Bamberger heißt Beratung, „die Verhaltensoptionen eines Klienten zu erwei-
tern und ihm so in Teilen seines Lebens gewünschte Veränderungen zu ermögli-
chen “ (Bamberger 2005, S. 35).
In den unterschiedlichen Beratungsdefinitionen ist ein gemeinsames Ziel für Bera-
tung erkennbar. Der/Die Ratsuchende wird durch die Erweiterung seiner Entschei-
dungs- und Handlungsmöglichkeiten befähigt, seine/ihre Probleme eigenständig
zu lösen und die dafür erforderlichen Ressourcen zu nutzen.
Systemische und lösungsorientierte Beratungsansätze bilden die Grundlage der
Beratungslehrerarbeit. Es wird davon ausgegangen, dass jede/r Beratungs-leh-
rer*in systemisches Arbeiten in seinen/ihren Ausbildungen erlernt hat und in der
Beratung anwendet. Ressourcenorientierte Beratung richtet als Querformat den
Blick auf die Feststellung und die Aktivierung von Ressourcen und stellt in der
Schule eine weitere Form der Beratung dar.
6.2 Systemisches Denken
Seit den 1950er Jahren stehen nicht mehr ausschließlich das Objekt und seine
Eigenschaften im Fokus der Wissenschaft. Der Blick richtet sich immer mehr auf
die Interaktion von Objekten, die zusammen eine Einheit, ein System, bilden (vgl.
Simon & Retzer 1998, S. 65 zit. nach Bamberger 2005, S. 5). Im Zentrum des
systemischen Ansatzes stehen also die Ratsuchenden und ihre Interaktionsmus-
ter. Das Interesse richtet sich auf das interpersonelle Geschehen, die Kommuni-
kation und die Regeln, die in einem System gelten. Durch verschiedene Frage-
techniken und Methoden wird versucht, Muster zu erkennen und zu verändern (vgl.
Bamberger 2005, S. 8).
13
Folgende Punkte sind ausschlaggebend für eine erfolgreiche Beratung:
• Die Berater*innen befindet sich in wertschätzender Interaktion mit den Rat-
suchenden, um neue Perspektiven zu entwickeln und Lösungen zu erarbei-
ten.
• Beratung ist keine Einzelberatung, sie bezieht den Alltag und die Arbeits-
welt des/der Ratsuchenden mit ein.
• Förderlich ist die Ressourcenaktivierung in der Beratung, also das Erken-
nen und Aktivieren von Ressourcen für den Lernprozess des Ratsuchenden
(vgl. Petzold 2005, S.170f, zit. nach Trentinaglia 2012, S. 21).
6.3 Die lösungsorientierte Kurztherapie und lösungsfokussierte
Beratung
Steve de Shazer und Insoo Kim Berg gelten als Begründer der lösungsorientierten
Kurztherapie. Beide versuchen in ihrer Arbeit, Klient*innen zu befähigen, sich in
der Therapie von Beginn an auf Lösungen zu konzentrieren. Sie stellen fest, dass
in fast jedem Problem Lösungsansätze enthalten sind. Eine Fokussierung auf die
Ausnahmemomente von Problemen führt am schnellsten zur Auflösung des Prob-
lems. Kurztherapie bedeutet auch, sich so früh wie möglich auf die bei den Kli-
ent*innen vorhandenen Stärken und Kompetenzen zu konzentrieren. In der The-
rapie werden Ideen und Anregungen erarbeitet, die Entwicklungsprozesse beim
Klienten aktivieren. Dabei bleiben die Klient*innen Expert*innen für ihre Situation
und für die Lösung vorliegender Schwierigkeiten (vgl. Steiner/Berg 2006, S. 24ff.).
6.4 Psychosoziale Beratung
Trentinaglia stellt fest, dass ein Schwerpunkt der Beratungsarbeit auf der psycho-
sozialen Beratung liegt. Die psychischen und sozialen Bedürfnisse des Menschen
werden von seinen Lebensbedingungen beeinflusst. Der Mensch wird daher in In-
teraktion mit seiner Umwelt wahrgenommen. Im Fokus der Beratung stehen nicht
nur die Probleme eines Ratsuchenden und die Entwicklung von Bewältigungsstra-
tegien. Psychosoziale Beratung setzt auch am Ressourcenkonzept an. Der Blick
14
wird auf die persönlichen und die Umweltressourcen der zu Beratenden gelenkt
(vgl. Trentinaglia 2012, S. 22ff.).
6.5 Ressourcenorientierte Beratungskonzepte
Professionelle ressourcenorientierte Beratungskonzepte werden für Menschen
umso bedeutsamer, je weniger bekannte Bewältigungsressourcen ihnen zur Ver-
fügung stehen. Gerade die moderne Zeit ist geprägt von neuen Herausforderun-
gen. Die Alltagsbewältigung, die Gestaltung von sozialen Beziehungen, die Selbst-
verwirklichung, generell ihr Leben zu gestalten, können Menschen verunsichern
und zu einer inneren und äußeren Desorientierung führen. Ressourcenorientierte
Beratung kann hier emotionale, kognitive und handlungsorientierte Anstrengungen
unterstützen und den Menschen bei der Ausgestaltung neuer Erfahrungsräume
behilflich sein (vgl. Sickendiek et al. 2008, S. 210).
7 Ressourcen
7.1 Was sind Ressourcen?
Grundsätzlich werden Ressourcen in materielle bzw. immaterielle Ressourcen ein-
geteilt. Zu den materiellen Ressourcen gehören Einkommen, Wohnraum und öko-
logisches Umfeld. Bei den immateriellen Ressourcen wird besonders in der psy-
chosozialen Beratung zwischen personalen, im Menschen liegenden Ressourcen,
und Umweltressourcen unterschieden. Unter Umweltressourcen werden z.B. zwi-
schenmenschliche und soziale Ressourcen, aber auch Bildung, Gesundheit und
soziale Vernetzung verstanden. Personale Ressourcen sind persönliche Stärken,
Fähigkeiten und Kompetenzen wie Selbstwertschätzung, emotionale Ausgegli-
chenheit und aktive Auseinandersetzung mit Lebensanforderungen. Diese Res-
sourcen beeinflussen sich wechselseitig (vgl. Schubert et al. 2019, S.131ff.).
15
Bamberger (2005) definiert Ressourcen wie folgt:
„Das können Fähigkeiten, Fertigkeiten, Begabungen, Talente, Kennt-
nisse, Geschicklichkeiten [sic!], Tugenden, Erfahrungen, Gewohnhei-
ten, Regeln, Erfolge, Interessen, Bedürfnisse, Motive, Überzeugungen,
Glaubenssätze, Einstellungen, Werthaltungen, Ideale, Wünsche, Er-
wartungen, Hoffnungen, Visionen, Intentionen, Kontakte, Beziehungen,
Bindungen, Loyalitäten, Allianzen, Einflüssen usw. sein – also Ressour-
cen, die in der Person des Klienten liegen, oder solche, die der soziale
Kontext bietet, in dem der Klient lebt: persönliche/soziale bzw. intrapsy-
chische/inter-personelle Ressourcen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie
Optionen für den Klienten bieten, Bedürfnisse zu befriedigen und defi-
nierte Ziele zu realisieren, und ihn so voranbringen können [...] Res-
sourcen sind all das, was den Klienten ausmacht und sein Leben ir-
gendwie beeinflusst.“ (Bamberger 2005, S. 35f)
7.2 Ressourcenorientierung und Ressourcenaktivierung
Schubert, Rohr und Zwicker-Pelzer (2019, S.133f) unterscheiden in ihrer Arbeit
zwischen der Ressourcenorientierung und der Aktivierung von Ressourcen.
Ressourcenorientierung beschreibt in der Beratung eine Arbeitsweise, die Res-
sourcen und Stärken von Menschen in den Mittelpunkt stellt. Grundsätzlich wird
davon ausgegangen, dass der Mensch die Ressourcen, die er für ein erfülltes Le-
ben benötigt, in sich trägt. Die Rolle der Berater*innen ist dadurch gekennzeichnet,
dass sie den Menschen auf seinem Weg begleiten (vgl. Schubert et al. 2019,
S.133f).
Unter Ressourcenaktivierung ist eine spezielle Verfahrensweise zu verstehen, die
sowohl in der Beratung als auch in der Therapie gezielt eingesetzt wird. Die Bera-
ter*innen lenken den Fokus der Klient*innen auf deren Ressourcen und beziehen
sie in den gesamten Beratungsprozess ein. Die Ressourcen können durch diag-
nostische Verfahren wie z.B. systematisierte Interviews oder Fragebogenverfah-
ren oder aus den Gesprächen mit Klient*innen erfasst werden (ebd.).
16
Neurowissenschaftliche Forschungen bestätigen die positiven Auswirkungen von
ressourcenaktivierenden Interventionen in der Beratung:
„Unter Ressourcen werden neuronale Erregungsmuster verstanden,
die im Hinblick auf die Absichten, welche die KlientInnen im Laufe ihrer
Entwicklung verfolgen, unterstützend wirken können.“ (Storch, Kraus
2003, S. 19)
Grawe betont, dass eine zu lange Analyse von Problemen eine Neubildung von
positiveren, neuronalen Erregungsmustern verhindert (vgl. Grawe 2004, S. 56, zit.
nach Bamberger 2005, S. 24).
7.2.1 Salutogenesemodell von Antonovsky
Ressourcenorientierung weist entstehungsgeschichtlich einige Berührungspunkte
mit dem gesundheitsorientierten Ansatz der Salutogenese auf. Aaron Antonovsky
(1923 – 1994) konzentrierte sich nicht auf Krankheiten und ihre Ursachen. Er wen-
dete sich von der pathogenetischen Sichtweise der Medizin ab und beschäftigte
sich mit der Frage, was den Menschen trotz verschiedener Risikofaktoren gesund
erhält. Seine Forschungen führten zu einem Perspektivenwechsel. Die Salutoge-
nese richtet den Blick auf gesunderhaltende Faktoren und mögliche Bewältigungs-
strategien für eine gelingende Lebensgestaltung (vgl. Bamberger 2005, S. 30).
7.2.2 Kohärenzgefühl
Der Begriff „kohärent“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „zusammenhän-
gend.“ (Österreichisches Wörterbuch 2012, S. 397) Für Antonovsky ist das Kohä-
renzgefühl das Kernthema der Salutogenese. Er versteht darunter eine emotionale
sowie kognitive Lebenseinstellung des Menschen, die den Gesundheits- und
Krankheitszustand beeinflusst. Je stärker das Gefühl der Zuversicht und das
grundsätzliche Vertrauen in das Leben sind, desto höher ist die Wahrscheinlich-
keit, dass der Mensch gesund wird bzw. bleibt (ebd.).
17
Bamberger unterscheidet drei Komponenten, die das Kohärenzgefühl definieren:
• Verstehbarkeit:
Verstehbarkeit befasst sich mit dem Gefühl und mit dem Vertrauen darauf,
individuelle Anforderungen des Lebens verstehen und erklären zu können.
• Handhabbarkeit:
Unter Handhabbarkeit versteht man die Zuversicht des Menschen, über alle
notwendigen Möglichkeiten und Ressourcen zu verfügen, um das Leben
bewältigen und persönlich gestalten zu können.
• Bedeutsamkeit:
Bedeutsamkeit beschreibt das Gefühl, wieweit der Mensch das eigene Le-
ben als sinnvoll und wertvoll wahrnimmt und das Vertrauen, dass sich En-
gagement im Leben lohnt
(vgl. Bamberger 2005, S. 31)
7.3 Ressourcenorientierung statt Defizitorientierung
Ressourcenorientierte Beratung nimmt von der Fokussierung der defizitorientier-
ten Beratung auf bestehende Probleme und Störungen Abstand und richtet den
Blick vielmehr auf die Ressourcen von Ratsuchenden und deren Umwelt. Dieser
Perspektivenwechsel soll Personen dabei unterstützen, ihre Begabungen und
Stärken zu entfalten. Die Ressourcenperspektive erweitert und ergänzt beste-
hende Defizitdiagnosen und zeigt positive Entwicklungsmöglichkeiten von Ratsu-
chenden auf. Sickendiek, Engel und Nestmann weisen darauf hin, dass Beratung
eine vermehrte Ressourcensensibilität von den Berater*innen erfordert (vgl. Si-
ckendiek et al. 2008, S. 215, ff.).
Abbildung 33: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-gecko-le-
guan-antike-tier-152684/
18
Zusammenfassung
Ressourcenorientierte Beratung setzt grundsätzlich in jenen Bereichen des Le-
bens an, in denen Menschen nur unzureichend über persönliche oder gesellschaft-
liche Ressourcen verfügen, um ihr Leben sinnvoll gestalten zu können. Die Bera-
tung konzentriert sich nicht auf Probleme und Defizite – das Erkennen und Akti-
vieren von Ressourcen steht im Mittelpunkt der Arbeit. Eine ressourcenorientierte
Denkweise findet sich heute in vielen Beratungsansätzen und öffnet den Blick in
der Beratung. Wie Schubert betont: „Die Arbeit mit Ressourcen ist somit ein zent-
raler Ansatz in den Handlungsfeldern von Beratung.“ (Schubert 2019, S. 130)
8 Beratungslehrer*innen – ein schulisches Unterstüt-
zungssystem
8.1 Beratungsangebote an Schulen
Das österreichische Schulsystem bietet verschiedene Beratungsangebote für
Schulen an. In den letzten Jahren haben sich dort im Wesentlichen folgende psy-
chosoziale Beratungsprofessionen etabliert:
Beratungslehrer*innen und Psychagog*innen, Schüler- und Bildungsbera-ter*in-
nen, die Schulpsychologie und Schulärzt*innen. Ergänzend dazu steht die
Schulsozialarbeit einigen Schulen zur Verfügung, während Jugendcoaches Schü-
ler*innen und außerschulische Jugendliche ab dem 9. Schulbesuchsjahr beraten.
„Ziel der psychosozialen, wie auch der pädagogischen und gesund-
heitsfördernden Beratung und Begleitung ist es […], die Lern- und Bil-
dungsfähigkeit der Heranwachsenden unter sich rasant verändernden
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu fördern bzw. wiederherzu-
stellen [...].
Die Aufgabe von Beratenden an Schulen könnte man so verallgemei-
nern, dass diese weitgehend reibungslosen, schulischen Abläufe und
damit Lehrer/innen in ihrer Tätigkeit unterstützen, bei Konfliktsituatio-
nen oder problematischen Gegebenheiten intervenieren, gemeinsam
19
mit den Betroffenen Lösungsvorschläge erarbeiten und Schüler/innen
im Bedarfsfall adäquate Hilfe und individuelle Unterstützung ermögli-
chen.“
(Bundesministerium für Bildung und Frauen 2016, S. 7)
8.2 Beratungslehrer*innen in Tirol – ein bundeslandspezifisches
Angebot
8.2.1 Entwicklungsgeschichte
Bereits 1983 startete Tirol mit einem mobilen Schulversuch. Erstmals wurde ein
Sonderpädagoge der Landes-Sonderschule für hörgeschädigte Kinder in Mils vom
Unterricht freigestellt, um Lehrpersonen an Allgemeinen Pflichtschulen im Bedarfs-
fall zu beraten und sonderpädagogische Unterstützung zur Verfügung zu stellen.
Aus dieser integrativen Idee entwickelte sich ein bundeslandweites Beratungsan-
gebot für Schulen. Ab dem Herbst 1989 konnten Schulen Lehrer*innen mit Zu-
satzqualifikationen für den Bereich Entwicklungsverzögerungen und Lernschwä-
chen und für den Bereich Verhaltensauffälligkeiten anfordern. Die Beratungsleh-
rer*innen für Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen und Lern-
schwächen bildeten bald die Gruppe der Lehrpersonen, die – einer Stammschule
zugeordnet – mobil in einem Bezirk tätig waren. Ergänzt wurde das Beratungsan-
gebot durch Beratungslehrer*innen für Sinnes- und Körperbehinderungen in den
Bereichen Hören und Sehen sowie im Bereich Körperbehinderung. Sie waren als
Sonderpädagog*innen überregionalen Sonderpädagogischen Zentren ange-
schlossen und Ansprechpartner*innen für fachspezifische Beratung an Schulen
(vgl. Trentinaglia 2012, S. 47ff.).
Von Beginn an arbeiteten die Beratungslehrer*innen an einer klaren Organisati-
onsstruktur. Die informelle Koordination wurde zuerst von einer Einzelleitung über-
nommen, änderte sich jedoch mit der wachsenden Zahl der Beratungslehrer*in-
nen. Aus dem Schulversuch entwickelte sich unter der Leitung von engagierten
Leitungs- und Koordinationsteams ein tirolweites Beratungs- und Unterstützungs-
system für Schulen (vgl. Trentinaglia 2012, S. 61ff.).
20
Im Herbst 2016 wurde in Tirol mit Unterstützung der Tiroler Landesregierung das
Konzept der Pädagogischen Beratungszentren – Modell Tirol umgesetzt. In allen
Bildungsregionen wurden Pädagogische Beratungszentren eingerichtet. Damit
übernahmen diese Zentren die Koordination der Beratung bei pädagogischen Her-
ausforderungen an den Schulstandorten und die Koordination der Beratungsleh-
rer*innen einer Bildungsregion (vgl. Konzept Modell Tirol 2016, S. 2 ff.).
Ergänzend dazu aus dem Grundlagenpapier zur Entwicklung eines Leitbildes für
inklusive Bildung in Tirol vom November 2015:
„BeratungslehrerInnen leisten seit vielen Jahren einen wichtigen Bei-
trag in den Tiroler Schulen. Mit der Zuordnung der Beratungslehrerin-
nen [sic!] zu den Pädagogischen Beratungszentren hat auch in diesem
Feld die Neustrukturierung der regionalen schulinternen Unterstüt-
zungssysteme begonnen. Qualitätsvolle Zusammenarbeit und der Auf-
bau dezentraler Strukturen, die die Beratungsangebote langfristig absi-
chern, sind die wichtigsten Ziele.“ (Landesschulrat für Tirol Grundlagen-
papier zur Entwicklung eines Leitbildes für inklusive Bildung in Tirol
2015, S. 5 f)
Im Zuge der aktuellen Bildungsreform und der Umsetzung der Bildungsdirektionen
in allen Bundesländern wurden die Aufgaben der Pädagogischen Beratungszen-
tren und damit die Koordination der Beratungslehrer*innen von den Referent*innen
des neu eingerichteten Fachbereichs Inklusion, Diversität und Sonderpädagogik
übernommen. Eine der Kernaufgaben im Fachbereich wurde die „Mitwirkung in der
Begleitung von Schulen und von Cluster- und Schulleitungen in allen Fragen der
Inklusion/Diversität/Sonderpädagogik“ (Aufgaben und Strukturkonzept des Bun-
desministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2018, S. 35).
8.3 Beratungslehrer*innen im Schulsystem
Beratungslehrer*innen unterstützen Kinder und Jugendliche bei schulischen
Schwierigkeiten und in sozial herausfordernden Entwicklungsphasen. Sie beraten
und begleiten Lehrpersonen und Eltern, leisten Präventionsarbeit und vernetzen
21
sich mit schulischen und außerschulischen Unterstützungssystemen (vgl. Tren-
tinaglia 2012, S.76).
8.3.1 Beispiele für die Beratungstätigkeit von Beratungslehrer*innen
Der Tätigkeitsbereich der Beratungslehrer*innen umfasst zahlreiche Aufgaben.
Sie:
• sind Ansprechpartner*innen bei Lernschwierigkeiten und Lernstörungen
von Schüler*innen
• unterstützen Kinder und Jugendliche bei sozialen und emotionalen Proble-
men
• entwickeln mit Lehrpersonen individuelle Förder- und Betreuungskonzepte
und unterstützen sie bei deren Umsetzung
• setzen mit Lehrpersonen entwicklungsfördernde pädagogische Konzepte
um
• begleiten Lehrpersonen bei der Einrichtung einer inklusiven Lernumgebung
für Kinder und Jugendliche
• arbeiten mit einzelnen Schüler*innen oder Schülergruppen zur Verbesse-
rung des Lern- und Klassenklimas
• leisten Krisenintervention sowie Gewaltprävention
• führen Beratungsgespräche mit Lehrpersonen, Eltern und Erziehungsbe-
rechtigten und beraten bei Anliegen im systemischen Kontext
• beraten Lehrpersonen ziel- und ressourcenorientiert
• nehmen an Helferkonferenzen teil
• arbeiten mit der Schulpsychologie, der Kinder- und Jugendhilfe sowie wei-
teren Unterstützungssystemen zusammen
(vgl. Bundesministerium für Bildung und Frauen 2016, S 15)
22
8.4 Ausbildung und Kernkompetenzen von Beratungslehrer*in-
nen
Beratungslehrer*innen haben ein Pflichtschullehramt mit mehrjähriger Berufser-
fahrung. Neben den fachspezifischen Kompetenzen in den einzelnen Aufgaben-
bereichen absolvieren sie eine mehrjährige, berufsbegleitende Zusatzausbildung
mit dem Schwerpunkt pädagogische, sonderpädagogische sowie systemische Be-
ratung.
Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Konfliktfähigkeit und die Be-
reitschaft zur Supervision und Selbstreflexion zählen zu den Voraussetzungen für
die Arbeit als Beratungslehrer*in. Besonders im Bereich Verhalten sind Erfahrun-
gen im psychosozialen Bereich, ergänzende persönliche Ausbildungen im Bereich
Beratung oder mögliche psychotherapeutische Ausbildungen erwünscht. In den
Bereichen Entwicklungsverzögerung und Lernschwächen und im Bereich Inklusi-
onsberatung sind schwerpunkmäßige Fortbildungen in den einzelnen Fachberei-
chen grundlegende Voraussetzungen. (vgl. Trentinaglia 2012, S. 81f)
8.5 Beratungstätigkeit von Beratungslehrern
Kinder und Jugendliche haben unterschiedliche Entwicklungsaufgaben zu bewäl-
tigen. Sie brauchen professionelle Unterstützung bei Herausforderungen, mit de-
nen sie noch nicht selbstständig umgehen können. Beratungslehrer*innen unter-
stützen Kinder und Jugendliche mit besonderem Unterstützungsbedarf sowie und
beraten Lehrpersonen, Eltern und Helfersysteme.
8.5.1 Betreuungsablauf
Die Kontaktaufnahme erfolgt über einen persönlichen Kontakt oder mit Hilfe eines
Anmeldeformulars über den Fachbereich Inklusion, Diversität und Sonderpädago-
gik. Die offene, niederschwellige Form der Kontaktaufnahme erfordert eine gute
Organisation. Der Fachbereich koordiniert die Beratungslehrer*innen in der Bil-
dungsregion und steht in engem Austausch mit den Schul- und Clusterleitern.
23
8.5.2 Betreuungsvoraussetzungen
Für die Betreuung braucht es das Einverständnis aller Beteiligten. Freiwilligkeit
und Vertraulichkeit sind für die Beratung und Betreuung selbstverständlich.
Beratungslehrer*innen arbeiten präventiv und zielgerichtet intervenierend. Es
braucht keine bescheidmäßige Feststellung eines Sonderpädagogischen Förder-
bedarfs und die damit einhergehende Etikettierung von Kindern und Jugendlichen,
um eine Betreuung zu ermöglichen.
8.5.3 Beratungs- und Betreuungstätigkeit
Beratungslehrer*innen sind Lehrpersonen mit Zusatzqualifikationen und dürfen je-
derzeit Klassen besuchen. Sie haben die Möglichkeit, schon in der Beobachtungs-
phase den Unterricht zu begleiten und Lehrpersonen und Schüler*innen zu unter-
stützen. Persönliche Beobachtungen, mögliche Abklärungen der Ursachen von
schulischen Problemen, vorliegende Befunde und diverse Daten von Schüler*in-
nen bilden die Grundlage für weitere Betreuungsschritte.
Eine prozess- und ressourcenorientierte Diagnostik wird erstellt, und ein darauf
basierendes individuelles Förderkonzept für das Kind gemeinsam mit den Lehr-
personen erarbeitet und umgesetzt. Eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern wird
angestrebt. Die Betreuung des Kindes findet während der Unterrichtszeit statt,
häufig in der Klasse oder bei Bedarf im Einzelsetting. Dauer und Frequenz richten
sich nach den Bedürfnissen des Kindes (vgl. Trentinaglia 2012, S. 80f).
Abbildung 34: Sonne stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/sonne-petroglyph-primi-tive-spirale-155573/
24
9 Beratung von Lehrpersonen
Die Lebensbereiche der westlichen Gesellschaft verändern sich in den letzten Jah-
ren immer schneller. Im Zuge dessen wandeln sich auch die Rahmenbedingungen
für Bildung und Erziehung laufend und damit die Anforderungen für Lehrende.
9.1 Ausgangslage
Unter Schule versteht man einen Lernort, an dem Unterrichten, also gezieltes und
geplantes klassen-, gruppen- und projektorientiertes Lehren, und Lernen im Mit-
telpunkt stehen, sowie Kinder und Jugendliche in der Gegenwart begleitet und für
die Zukunft vorbereitet. Dies zeigt, wie komplex, umfangreich und anstrengend der
Lehrberuf sein kann. Die praktische Berufstätigkeit der Lehrperson erfordert ein
hohes Maß an Professionalität. Eine Schule braucht Lehrer*innen, die fähig sind,
ihre Schüler*innen zu beobachten, um deren Lernpotenzial zu erkennen und zu
fördern, die fachkundig unterrichten und sich bei ihren Unterrichtsmethoden an der
Vielfalt der Schüler*innen orientieren. Es braucht außerdem Lehrkräfte, denen es
gelingt, die Kinder und Jugendlichen mit ihrer Umwelt zu konfrontieren, um sie bei
der Bewältigung ihrer Lebenswirklichkeit zu unterstützen (vgl. Miller 2006, S. 8).
9.2 „Drei-Sparten-Beruf“
Für Miller ist der Lehrberuf ein Drei-Sparten-Beruf. Er unterscheidet drei Grund-
kompetenzen die den Lehrberuf so interessant und abwechslungsreich, aber auch
so anstrengend und herausfordernd machen:
• Selbst–Kompetenz: Wie nehme ich mich wahr?
(z.B. Belastbarkeit, Selbstbewusstsein, Abgrenzungsfähigkeit)
• Beziehungs-Kompetenz: Wie begegne ich anderen Menschen?
(z.B. Einfühlungsvermögen, Konfliktfähigkeit, Dialogfähigkeit)
• Sach-/Fach-Kompetenz: Welches Wissen brauche ich?
(Grundlagenwissen, Methodenkompetenz, Lehrfähigkeit)
(vgl. Miller 2006, S. 18)
25
Im Schulalltag werden die drei Grundkompetenzen von Lehrpersonen sichtbar.
Lehrer*innen mit einer starken Persönlichkeit können auf Kinder und Jugendliche
eingehen und sind fähig, eine gute Beziehung zu ihnen aufzubauen. So lernen die
Lehrpersonen ihre Schüler*innen kennen und bekommen die Möglichkeit, Wissen
zu vermitteln und Kinder und Jugendliche beim Lernen zu begleiten (vgl. Miller
2006, S. 8ff.).
Jasper Juul beschreibt die Entwicklung der eigenen Lehrerpersönlichkeit als einen
fortlaufenden Prozess. Lehrpersonen sind, abgesehen von den Eltern, die wich-
tigsten Erwachsenen in der Welt vieler Kinder und Jugendlicher. Ihre Aufgabe be-
steht nicht nur in der Wissensvermittlung, sondern es geht ebenso darum, junge
Menschen bestmöglich zu begleiten, damit sie Lebensfreude und soziale Kompe-
tenzen entwickeln können. Juul bezeichnet die Jahre, in denen ein Kind die Schule
besucht, als eine prägende Zeit, wesentlich für sein Selbstbild und sein
Abbildung 35: LehrerIn als Drei-Sparten-Beruf, Quelle: Miller, R. (2006). 99 Schritte zum professionellen Lehrer (3. Aufl.). Kallmeyer in Verbindung mit Klett.
26
Selbstgefühl. Lehrer*innen haben darauf einen erheblichen Einfluss. Der Autor
schlägt vor, sich als Erstes an der Leidenschaft und Freude der Kinder und Lehr-
personen zu orientieren und darauf zu vertrauen, dass die Schüler*innen in zehn
Jahren dennoch das Wissen erwerben werden, das sie für ihre Zukunft brauchen
(vgl. Juul 2013, S. 158ff.).
9.3 Erziehungsauftrag/Beziehungskompetenz
Der Erziehungsauftrag der Schule ist in Österreich im Schulorganisationsgesetz §
2 gesetzlich verankert. Das bedeutet, dass Lehrpersonen neben der Wissensver-
mittlung auch erzieherische Aufgaben übernehmen und für die individuelle und
soziale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen verantwortlich sind.
„Jeder, der auch nur fünf Minuten gemeinsame Zeit mit einem Kind verbringt, er-
zieht es durch seine Gegenwart und sein Vorbild.“ (Juul 2013, S. 28)
Die Lehrperson muss sich bewusst sein, dass sie von ihren Schüler*innen als
Mensch wahrgenommen wird und sie sich an ihr orientieren. Das Ausdrucksver-
halten der Lehrperson, ihre Mimik, Gestik und Stimme, aber auch die Bereitschaft,
die Kinder und Jugendlichen mit ihren Gedanken und Gefühlen ernstzunehmen,
sind von großer Bedeutung für ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis. Kinder re-
agieren mit Wohlwollen auf die Lehrperson, die bereit ist, für ihre Klasse Verant-
wortung zu übernehmen. Die Beziehungskompetenz der Lehrerperson wird von
den Lernenden unmittelbar wahrgenommen. Die Stärkung der Persönlichkeit der
Lehrperson ist daher von großer Bedeutung (vgl. Heis 2007, S. 50f).
Die Beziehungskompetenz in pädagogischen Arbeitsfeldern beschreibt Juul als
die Fähigkeit, Erwachsene und Kinder mit allen ihren Gedanken und Gefühlen
ernstzunehmen und authentisch in Beziehung zu ihnen zu treten (vgl. Juul 2013,
S. 49).
Es ist also nicht ausreichend, Schulen mit didaktischen Materialien auszustatten
und Lehrpläne, Förderkonzepte und Erziehungsprogramme umzusetzen. Aus-
schlaggebend für die Qualität der pädagogischen Arbeit ist die Gestaltung der Be-
ziehung zwischen der Lehrperson und den Schüler*innen. Allen Schüler*innen
27
individuell gerecht zu werden, ist im Schulalltag nicht immer einfach. Neben den
meist knappen Zeitressourcen verlaufen Lern- und Entwicklungsprozesse unter-
schiedlich und nicht linear. Darüber hinaus fallen auch der Umgang mit Lehrerkol-
leg*innen und die kollegiale Zusammenarbeit im Lehrkörper nicht immer leicht.
Nicht selten führt die Gesamtbelastung bei Lehrpersonen zu physischen und psy-
chischen Erschöpfungszuständen (vgl. Schlee 2004, S. 12f).
9.4 Die Bedeutung der Beratung von Lehrpersonen
Juul weist darauf hin, dass in Berufen, in denen Menschen zusammenarbeiten,
Beratung eine große Rolle spielt, um Dinge aus verschiedenen Perspektiven be-
leuchten zu können (vgl. Juul 2013, S. 174).
Für einige soziale Berufe ist es selbstverständlich, durch Beratung und Supervi-
sion Unterstützung zu erhalten. Professionelle Beratung von Lehrpersonen hinge-
gen gewinnt in der Schule erst langsam an Bedeutung. Findet Beratung im Schul-
alltag keinen Platz, fehlt ein wichtiges Werkzeug. In der Schule gibt es verschie-
dene Aufgabenfelder von Beratung, wobei. Es ist dabei darauf zu achten ist, ob es
sich um Beratung oder um eine andere Gesprächsform handelt (vgl. Miller 2006,
S. 80).
Beratung wird von Miller (ebd.) durch folgende Punkte definiert:
• Der/Die Berater*in wird vom Klienten/der Klientin ausgesucht.
• Es gibt keine Handlungsanweisungen vonseiten der beratenden Person.
Der/Die Klient*in formuliert selbständig, was er/sie möchte.
• Der/Die Berater*in bewertet nicht die Entscheidungen und die Handlungen der
Klient*innen.
Professionelle Beratung findet sich weder als Themenschwerpunkt in der Ausbil-
dung von Pädagog*innen noch als selbstverständliches Angebot im Stundenplan
von Schulen.
„Beginnend in der Ausbildung erfahren Lehrkräfte, dass Beratung zwar
der eigenen Professionalisierung dienen soll, aber nahezu immer mit
28
Beurteilungskontexten verknüpft ist. Hieraus resultiert ein Misstrauen
gegenüber allen Formen schulischer Beratung. Dass diese Beratungs-
situationen nur sehr gelegentlich stattfinden, verstärkt die Ablehnung
der Lehrkräfte zusätzlich.“ (Schnebel 2017, S.120)
Beratung von Lehrpersonen bedeutet nicht, sie mit ihren Schwächen zu konfron-
tieren, sondern sie darin zu unterstützen, neue Wege zu gehen und ihre Fähigkei-
ten zu erweitern. Der Gewinn neuer Lebensfreude und Energie hilft, Erschöpfung
zu reduzieren und den Sinn und den Wert der eigenen Arbeit wahrzunehmen (vgl.
Frank 2010, S. 115).
Schnebel unterstreicht, dass Beratung im pädagogischen Bereich erfolgreich prä-
ventiv eingesetzt werden kann. Die Lehrperson wird befähigt, aktiv ihre Probleme
zu lösen, adäquate Bewältigungsstrategien zu entwickeln und persönliche Res-
sourcen zu mobilisieren. Sie lernt, ihr Verhalten zu hinterfragen und zu reflektieren.
Das erhöht die Professionalität und die berufliche Zufriedenheit (vgl. Schnebel
2017, S. 18).
10 Ressourcenorientierte Beratung durch Beratungs-
lehrer*innen
10.1 Begriffliche Unterscheidungen
10.1.1 Beratung und Coaching
Je nach Literatur findet man unterschiedliche Begriffe im Beratungsbereich. Die
Klient*innen werden als Kund*innen, Ratsuchende, zu Beratende oder auch als
Adressat*innen einer Beratung bezeichnet. Außerdem sind verschiedene Kli-
ent*innensysteme in der Beratung denkbar: Beratung von Einzelpersonen, Grup-
pen- bzw. Teamberatung und Organisationsberatung.
Unter Beratung versteht Barthelmess professionelle Settings, in denen ein Berater
einen Ratsuchenden dabei unterstützt, ein Problem zu bewältigen. Für einen Be-
ratungsauftrag ist zuerst zu klären, um welche Form der Beratung es sich handeln
29
soll. Barthelmess unterscheidet zwischen Wissensberatung und Prozessberatung.
Auch eine Mischung aus beiden Formen der Beratung ist für ihn vorstellbar.
Beratung orientiert sich eher an den persönlichen Problemen von Ratsuchenden,
während Coaching sich mehr an den beruflichen Fragestellungen der Klient*innen
orientiert. Die Übergänge zwischen Beratung und Coaching sind fließend (vgl. Bar-
thelmess 2016, S. 42 ff.).
10.1.2 Supervision
In der Supervision wurden ursprünglich Fallgeschichten von Klient*innen reflek-
tiert, um Anregungen für die weitere Arbeit zu erhalten. Inzwischen wird Supervi-
sion in Anspruch genommen, um Interaktionen zwischen Personen zu reflektieren
und mögliche Konflikte in der Beziehung sichtbar zu machen und zu bearbeiten.
Supervision kommt häufig in der Teamberatung und der Teamentwicklung zum
Einsatz (ebd.).
10.1.3 Psychotherapie
Personen kommen zur Therapie, um sich mit ihrer Krankheit auseinanderzuset-
zen. Psychische Probleme von Patient*innen bzw. Klient*innen werden mit den
Therapeut*innen bearbeitet und mögliche Hilfestellungen angeboten. Ziel ist eine
Heilung der Patient*innen. Professionelle Beratung zeichnet sich dadurch aus,
dass die Berater*innen achtsam mit ihren Klient*innen umgehen. Die Berater*in-
nen kennen ihre persönlichen und fachlichen Grenzen und können abschätzen,
ob die Beratung oder die Therapie das bestmögliche Unterstützungsangebot für
die jeweiligen Klient*innen darstellt (ebd.).
10.2 Prozess- und Wissensberatung
In der englischen Sprache unterscheidet man zwischen der Beratung durch Fra-
gen (conseling) und der Beratung durch Ratschläge (advising). In der deutschen
Sprache wird Beratung durch die Begriffe Prozessberatung bzw. Wissensberatung
30
genauer definiert. Systemische Beratung kann grundsätzlich als Prozessberatung
verstanden werden.
Über Fragen, Beobachtungen und die Auswahl der Methodik werden die Ratsu-
chenden in der Beratung unterstützt, eigenständig und selbstverantwortlich Lösun-
gen von Problemen zu entwickeln. Die Rolle der Berater*innen besteht darin, von
den Ressourcen der Ratsuchenden ausgehend, die zu Beratenden zu begleiten.
Wissensberatung, auch Fachberatung genannt, unterstützt die Ratsuchenden
durch fachliche Expert*innen, ohne die Problemsicht der zu Beratenden in Frage
zu stellen.
In systemischen Settings sind die Berater*innen schwerpunktmäßig als Prozess-
berater*innen tätig, Fachwissen und Expertisen können aber in die Beratung ein-
fließen. Für die Berater*innen ist es wichtig, die jeweils eigene Rolle zu klären und
sich ihrer eigenen Rolle bewusst zu sein (vgl. Barthelmess 2016, S. 30ff.).
10.3 Die Berater*innenrolle
Systemische Prozessberatung zeichnet sich dadurch aus, dass die Berater*innen
aktiv Rahmenbedingungen und Möglichkeiten schaffen, Anregungen geben und
Fragen stellen.
Neben strukturiertem Handeln sind die Berater*innen aber auch gefordert, den
Ratsuchenden Raum zu geben, um selbsttätig Lösungen zu finden. Durch aktives
Zuhören, Nachfragen und Sich-Einlassen auf die jeweilige Person der/des zu Be-
ratenden, unterstützten sie die Ratsuchenden darin, eigene Entscheidungen zu
treffen. Berater*innen brauchen Geduld und Offenheit für komplexe, ungewisse
Situationen. Sie müssen sich immer wieder fragen, ob sie den Klient*innen genug
Freiraum geben, und Dinge wirken lassen (vgl. Barthelmess 2016, S. 50f).
Menschen kommen mit bestimmten Erwartungen in die Beratung. Miller weist da-
rauf hin, dass die Berater*innen darauf zu achten haben, durch konsequentes
Nachfragen das eigentliche Anliegen der Ratsuchenden zu klären und nicht zu
rasch Anliegen vordergründig zu beantworten. Berater*innen schaffen Rollenklar-
heit sowohl für sich als auch für die zu Beratenden (vgl. Miller 2006, S. 81).
31
Folgende förderliche Bedingungen kennzeichnen systemische, ressourcenorien-
tierte Beratung:
• Schaffen von Möglichkeiten
• Ressourcenorientierung und Aktivierung von Ressourcen
• Unterstützen der Selbstwirksamkeit
(vgl. Bamberger 2005, S. 33ff.)
10.3.1 Schaffen von Möglichkeiten
Häufig richten Ratsuchende ihre Aufmerksamkeit am Beginn einer Beratung auf
Probleme und Symptome. Je mehr die Problemlage im Fokus der Aufmerksamkeit
steht, desto intensiver wird das Problem wahrgenommen. Wird die Wahrnehmung
der Ratsuchenden infrage gestellt, ist dies ein erster Schritt, um Handlungsalter-
nativen zu erkennen und den Möglichkeitsspielraum zu erweitern (vgl. Barthel-
mess 2016, S. 56).
10.3.2 Ressourcenorientierung
Die grundlegende Bedeutung von Ressourcenorientierung kommt besonders in
der bereits beschriebenen Kurztherapie von Steve de Shazer zum Ausdruck. Es
wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch die Fähigkeiten zur Lösungsfindung
in sich trägt. Potenziale werden aber erst dann zu Ressourcen, wenn Ratsuchende
sie als solche erkennen. Berater*innen unterstützen die Aktivierung von ungenutz-
ten Fähigkeiten und Ressourcen (vgl. Schubert et al. 2019, S. 99).
Grundsätzliche Annahmen zu Ressourcen in der Schulpädagogik:
• Ressourcen werden als etwas Positives wahrgenommen.
• Bei Ressourcen handelt es sich um Hilfsmittel oder Möglichkeiten, die den
Menschen bei seiner Lebensbewältigung unterstützen.
• Die Aktivierung von Ressourcen kann erlernt werden.
• Ressourcen sind situationsabhängig und können sich bei jedem Menschen
unterschiedlich auswirken.
32
• Ressourcen können sowohl im Menschen als auch in seinem Umfeld zu
finden sein.
• In der Schule werden Ressourcen zur Entwicklungsförderung und zur Un-
terstützung eingesetzt.
• Ressourcen können die Resilienz stärken.
(vgl. Schwer/Solzbacher 2014, S. 140)
10.3.3 Unterstützen der Selbstwirksamkeit
Bereits eine geringfügige Veränderung des Verhaltens der Ratsuchenden kann
einen Veränderungsprozess in deren Leben anstoßen und ihnen neue Wege er-
öffnen. Sie lernen, mit gegenwärtigen Problemen besser zurechtzukommen.
Dadurch gewinnen Ratsuchende mehr Selbstbewusstsein und größere Selbstach-
tung, die sie auch bei der aktiven Gestaltung ihres weiteren Lebens positiv beein-
flussen und stärken (vgl. Bamberger 2005, S.39f).
10.4 Die Rolle des Beratungslehrers/der Beratungslehrerin
Besonders im Schulsystem sind ungebetene Ratschläge zu vermeiden. Um Lehr-
personen niederschwellig professionelle Beratung anbieten zu können, gibt es in
der Schule Beratungslehrer*innen. Diese haben den Vorteil, das System zu ken-
nen und die gleiche Sprache zu sprechen. Es ist darauf zu achten, die zu Beraten-
den mit ihren persönlichen Problemen wertzuschätzen und ernst zu nehmen.
Wertschätzung zu zeigen, ist eine der Grundlagen der ressourcenorientierten Be-
ratung von Lehrpersonen. Die Erwartungshaltung von Lehrer*innen kann jedoch
auch zu Schwierigkeiten führen: „Kollegen überfrachten die Beratungslehrkraft
leicht mit Anforderungen, sie erwarten, dass die Beratungslehrerin den Schüler
bzw. das Problem übernimmt und für rasche Veränderung sorgt.“ (Schnebel 2017,
S. 178)
33
10.5 Der Beratungsprozess
Professionelle Beratung zeichnet sich weder durch eine starre Abfolge von Schrit-
ten aus, noch verläuft sie beliebig. Die Herausforderung im Beratungsprozess be-
steht darin, Entwicklungs- und Veränderungsprozesse kreativ zu gestalten, ohne
die spezifischen Phasen der Beratung zu vernachlässigen (vgl. Schubert 2019, S.
143).
Auch die Beratung von Lehrpersonen folgt grundsätzlich einer bestimmten Struk-
tur. Das von Bamberger entwickelte Beratungssetting (vgl. Bamberger 2005, S.
46f) hat sich in der Praxis bewährt: Synchronisation, Lösungsvision, Lösungsver-
schreibung, Lösungsevaluation und Lösungssicherung.
Synchronisation: Berater*innen und Ratsuchende lernen sich kennen. Die Rat-
suchenden sollen die Möglichkeit haben anzukommen. Dabei begegnen ihnen die
Berater*innen wertschätzend und ermutigen sie, über ihre Anliegen zu berichten.
Lösungsvision: Durch Ressourcenfokussierung, das Herausarbeiten von Aus-
nahmen von dem Problem und durch lösungs- und ressourcenorientierte Fragen
unterstützen Berater*innen die Ratsuchenden bei der Entwicklung von Lösungsvi-
sionen.
Lösungsverschreibung: Lösungsideen werden entwickelt. Durch ressourcenfo-
kussierte Rückmeldungen vermitteln Berater*innen den Ratsuchenden Vertrauen
und Sicherheit und motivieren sie, Lösungsvorschläge zu konkretisieren.
Lösungsevaluation und Lösungssicherung: Bei einem möglichen Folgege-
spräch ist es nicht mehr notwendig, den Blick auf das Problem zu richten, sondern
auf positive Veränderungen und Verbesserungen im Leben der Ratsuchenden
(ebd.).
10.6 Ressourcenorientierter Beratungsprozess
Ressourcenorientiertes Arbeiten und das Herausarbeiten von Veränderungsmög-
lichkeiten begleiten den gesamten Beratungsprozess. Immer wieder wird versucht,
die Problemfokussierung der Klient*innen zu unterbrechen, indem die
34
Aufmerksamkeit auf ihre Fähigkeiten und Stärken gerichtet wird, die zur Problem-
bewältigung beitragen können. Die Klient*innen sollen im Laufe der Beratung
durch z.B. ressourcenorientierte Fragen aus ihrer Problemorientierung befreit wer-
den. Dadurch bekommen sie wieder Zugang zu ihren Potenzialen. Durch den Per-
spektivenwechsel von der Problem- zur Ressourcenperspektive haben Klient*in-
nen die Möglichkeit, den Blick auf die vielfältigen persönlichen Stärken und Fähig-
keiten zu richten und damit eine positive persönliche Entwicklung in Gang zu set-
zen (vgl. Ständer 2016, zit. nach Schubert 2019, S. 138).
10.7 Auftragsklärung in der Beratung
Die Orientierung an den Aufträgen und Zielen der Ratsuchenden spielt in der Be-
ratung eine besondere Rolle. Barthelmess betont, dass gute Beratung die Eigen-
verantwortung der Ratsuchenden fördert. Die Berater*innen achten am Anfang
und während des gesamten Beratungsprozesses auf eine genaue Ziel- und Auf-
tragsklärung. Sie konzentrieren sich als Prozessbegleiter*innen darauf, den Rat-
suchenden die Arbeit an ihren individuellen Themen zu ermöglichen (vgl. Barthel-
mess 2016, S. 146f).
10.8 Rahmenbedingungen
Lehrpersonen stehen einer Beratung häufig kritisch gegenüber. Die Angst, sich mit
den eigenen Schwächen und Problemen auseinanderzusetzen, kann Widerstand
auslösen. Es braucht einen schützenden Rahmen, um sich sicher zu fühlen. Ein
angemessener Raum und ein klarer zeitlicher Rahmen unterstützen den Bera-
tungsprozess.
Es ist darauf zu achten, den Zeitpunkt und den Zeitraum eines Beratungsge-
sprächs mit den zu Beratenden zu klären. Besonders eine gestresste Lehrperson
fühlt sich wertgeschätzt, wenn der/die Beratungslehrer*in bei der Terminplanung
auf ihre belastende Situation Rücksicht nimmt.
Ein freundlicher, heller Raum, der über einen Tisch und passende Stühle verfügt,
zählt ebenfalls zu den Rahmenbedingungen einer Beratung. Dabei spielt die
35
Sitzordnung eine große Rolle. Ein runder Tisch kann die Kooperationsbereitschaft
der Ratsuchenden unterstützen. Sie sitzen den Berater*innen nicht gegenüber und
werden nicht direkt mit ihnen als Person konfrontiert. Es ist zu berücksichtigen, die
Beratung nicht durch Außenstehende oder durch das Klingeln eines Handys zu
stören (vgl. Schnebel 2017, S. 174).
10.9 Die Kommunikation in der Beratung
Das grundlegende Instrument in der Beratung ist das Gespräch. Kommunikation
erfolgt auf verbaler und nonverbaler Ebene. Die verbale Kommunikation, also der
Redeanteil von Lehrpersonen, ist grundsätzlich sehr hoch. Die nonverbale Kom-
munikation wird im Schulalltag weniger bewusst wahrgenommen und eingesetzt.
Gestik, Mimik, Körperhaltung und der Klang der Stimme sind nur einige Beispiele
für nonverbale Mitteilungen. Stimmen die beiden Ebenen überein, wird die Bot-
schaft als authentisch empfunden. Dies wird als kongruente Kommunikation be-
zeichnet. Schubert, Rohr und Zwicker-Pelzer weisen darauf hin, dass kongruentes
Verhalten in der Beratung Aufrichtigkeit vermittelt und eine Vertrauensbasis schafft
(vgl. Schubert et al. 2019, S. 166f).
Zuhören und Anteil nehmen
Es ist nicht selbstverständlich, dass das Gesagte vom Sender und vom Empfänger
identisch gehört wird. Der Sender weiß nicht mit Sicherheit, wie der Empfänger
seine Botschaft versteht. Es braucht den Dialog der Gesprächspartner, damit Ge-
sagtes wirklich verstanden wird und der Empfänger sich verstanden fühlt. Aufmun-
ternde Gesten, das Wiederholen von Gehörtem mit eigenen Worten, genaues
Nachfragen und verbale Impulse sind einige Beispiele für erfolgreiche Kommuni-
kation. Damit zeigt der/die Berater*in anteilnehmendes Interesse an der Welt der
Ratsuchenden und schafft eine förderliche Basis für eine erfolgreiche Beratung
(vgl. Miller 2006, S. 74f).
36
Fragetechniken
In jeder erfolgreichen Beratung werden je nach Beratungsansatz die unterschied-
lichsten Fragen als Werkzeuge eingesetzt. Exemplarisch werden hier die W-Fra-
gen angeführt. Grundsätzlich ist darauf zu achten, offene Fragen zu stellen. Sie
unterstützen Denk- und Suchprozesse der Ratsuchenden. Sie eröffnen Perspekti-
ven und erweitern die Sichtweise. W-Fragen unterstützen Ratsuchende dabei, sich
mit ihren Möglichkeiten auseinanderzusetzen, Ressourcen zu entdecken und neue
Erfahrungen zu sammeln (vgl. Lippmann 2004, S.112f).
Beispiele für mögliche Fragestellungen:
• Was ist so belastend für dich?
• Wie fühlt es sich an?
• Was bedeutet das für dich?
• Was wäre ein erster Schritt?
(ebd.)
10.10 Professionelle pädagogische Haltung
Die regelmäßige Auseinandersetzung in der Pädagogik mit den Haltungen der
Lehrer*innen zeigt, dass eine professionelle Haltung von grundlegender Bedeu-
tung für den Lehrberuf ist. Die Annahme, dass Lehrerhaltung Empathiefähigkeit,
eine positive emotionale Zugewandtheit zu Kindern und die Fähigkeit zur Selbs-
treflexion beinhaltet, hat ihren festen Platz in der Geschichte des Lehrberufs.
Schwer und Solzbacher verweisen zudem auf die Studie von Hattie, die die Hal-
tung der Lehrperson als Voraussetzung für gelingendes Lernen definiert (vgl.
Schwer/Solzbacher 2014, S.40ff).
Lehrpersonen befinden sich im Spannungsfeld zwischen bildungspolitischen An-
forderungen und persönlichen Vorstellungen sowie zwischen der Individualisie-
rung der Begabungsförderung von Kindern und der parallel verlaufenden Standar-
disierung des Bildungssystems. Lehrer*innen sind gefordert, eine professionelle
Haltung zu entwickeln und in der Praxis umzusetzen. Eine professionelle Haltung
umfasst mehr als normative Einstellungen, Theorien oder pädagogische
37
Konzepte. Sie zeichnet sich durch verschiedene Selbstkompetenzen aus. Eine
starke Lehrerpersönlichkeit hat die Möglichkeit, trotz unterschiedlicher Anforderun-
gen und wechselnder Kontextbedingungen selbstkongruent, reflektiert und flexibel
zu handeln (ebd.).
Punkte, die eine professionelle Haltung einer Person erkennen lassen:
• Kohärenz und Standfestigkeit bei Entscheidungen, eigene und fremde Be-
dürfnisse, Werte und Fähigkeiten und relevante Kontextmerkmale werden
berücksichtigt.
• Gesprächsinhalte werden nachvollziehbar ausgedrückt und durch eine au-
thentische Körperhaltung ablesbar.
• Achtsamkeit für das eigene Tun und Offenheit für Handlungsalternativen
Die Haltung der Lehrperson ist ausschlaggebend, wie pädagogische Situationen,
Methoden und pädagogische Konzepte in der Arbeit bewertet und welche Schritte
anschließend gesetzt werden. Die professionelle pädagogische Haltung bestimmt
in diesem Zusammenhang das pädagogische Handeln der Lehrer*innen (vgl.
Schwer/Solzbacher 2014, S.108f).
„Die Entwicklung der professionellen Persönlichkeit ist ein kontinuierli-
cher Prozess, in dem wir zum einen unsere Denk- und Verhaltensmus-
ter erforschen und zum anderen an den Mustern arbeiten, die uns daran
hindern, unser berufliches Potenzial, unser Engagement, unsere Ziele
und Inhalte mit anderen zu verwirklichen. Das erfordert zweifellos den
Mut, sich zu öffnen und verwundbar zu machen. Doch wenn sich Lehrer
einmal dazu entschieden haben, treten die Veränderungen oft sehr
schnell ein.“ (Juul 2013, S. 150)
38
Fazit:
Eine professionelle pädagogische Haltung kann dann entstehen, wenn Lehrperso-
nen Selbstkompetenzen besitzen, die sie befähigen, ihre Stärken und Schwächen
zu erkennen und das Wohl der Kinder in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit zu
stellen. Für die ressourcenorientierte Beratung von Lehrpersonen durch Bera-
tungslehrer*innen bedeutet das, Pädagog*innen bei ihrer Aufgabe der empathi-
schen Entwicklungsbegleitung von Kindern bestmöglich zu unterstützen.
10.11 Aus- und Fortbildung von Lehrpersonen
Der Lehrberuf ist eine komplexe Aufgabe, die Professionalität erfordert. Elisabeth
Heis weist darauf hin, dass fachliches, fachdidaktisches und methodisches Wissen
alleine für den Bereich Bildung nicht ausreichend sind:
„Die Zukunft braucht vielmehr Wissensmanagement sowie die Stärkung
der Persönlichkeit der angehenden Pädagogen, sodass sie einem Be-
rufsfeld, das einem permanenten Wandel unterliegt, gewachsen sind
[...] Die Forderung nach mehr Reflexion und mehr Verstehen, aber auch
die Forderung nach dem pädagogischen Können möchte ich mit aller
Deutlichkeit über die Bereiche Stoffeignung, Stoffauswahl und Stoffbe-
herrschung sowie über die Fragen der Methodik und des Lehr- und
Lernmitteleinsatzes hinaus auch auf den Aspekt der Menschenführung
ausgedehnt wissen, denn die heranzubildenden LehrerInnen haben
Professionalität
reflektieren
ausprobieren/trainiere
n
evaluieren
sich informieren
Abbildung 36: SmartArt zur
Professionalität, Quelle: in
Anlehnung an: Miller, R.
(2006). 99 Schritte zum
professionellen Lehrer (3.
Aufl.). Kallmeyer in Verbin-
dung mit Klett.
39
später in großer Verantwortung Kinder und Jugendliche mitzuformen,
zu begleiten, anzuregen.“ (Heis 2007, S.13)
Besonders bei Stress, Überforderung und Leistungsdruck sind Pädagog*innen in
ihrem professionellen Handeln gefordert. Schwer und Solzbacher kommen in ihren
Ausführungen zu dem Ergebnis, dass neben einem Angebot von Fachwissen Me-
thoden zur Selbstkompetenzförderung in der Aus- und Fortbildung verstärkt ange-
boten werden sollen. Dies würde Pädagog*innen in vielen Situationen darin unter-
stützen, selbstkongruent und flexibel zu handeln (vgl. Schwer/Solzbacher 2014,
S.220f).
10.12 Professionalität im Lehrberuf und private Ressourcen
Von Lehrpersonen wird viel erwartet, dabei stoßen sie immer wieder an ihre päda-
gogischen und gesundheitlichen Grenzen. Beratungslehrer*innen bestärken Lehr-
personen darin, ihre Fähigkeiten auszubauen oder neue Wege zu gehen. Erschöp-
fung kann abgebaut werden und Lebensfreude wird freigesetzt. Eine gesunde Ba-
lance zwischen beruflichen Anforderungen und privatem Leben ist wichtig. Dies
kann gelingen, wenn man aus einem stabilen Privatleben neue Energie für schuli-
sche Herausforderungen beziehen kann. (vgl. Frank 2010, S.181 f)
40
Folgende Faktoren in der Schule und im Privatleben sind laut Frank (2010) für eine
gesunde Lebensbalance ausschlaggebend:
Schulische Facetten von Professionalität:
Abbildung 37: SmartArt zu den schulischen Facetten von Professionalität, Quelle: Frank, H. (2010).
Lehrer am Limit: Gegensteuern und durchstarten - Ein Lehrer-Ratgeber mit Sofortwirkung und
Langzeiteffekt. Beltz GmbH, Julius.; Bild in den Kugeln aus eigener Darstellung
KontaktfähigkeitenKontaktfähigkeiten
Sinn in der ArbeitSinn in der Arbeit
VerdienstVerdienst
KommunikationsfähigkeitenKommunikationsfähigkeiten
fachliche Kompetenzfachliche Kompetenz
Akzeptanz und Interesse am gewählten BerufAkzeptanz und Interesse am gewählten Beruf
Freude am Umgang mit Kindern und JugendlichenFreude am Umgang mit Kindern und Jugendlichen
Selbstreflexion, Selbstfürsorge, Potenziale ausbauenSelbstreflexion, Selbstfürsorge, Potenziale ausbauen
WertebewusstseinWertebewusstsein
Prozess der ZusammenarbeitProzess der Zusammenarbeit
Anspannung - Entspannung - StressmanagementAnspannung - Entspannung - Stressmanagement
WertschätzungWertschätzung
bewusste Beziehungsgestaltung, Empathiebewusste Beziehungsgestaltung, Empathie
transparente Vorgehensweisentransparente Vorgehensweisen
bewusster Umgang mit Nähe - Distanz, Achten der eigenen und schulischen Grenzen
bewusster Umgang mit Nähe - Distanz, Achten der eigenen und schulischen Grenzen
regelmäßige Fortbildung, kollegiale Beratung, Supervisionregelmäßige Fortbildung, kollegiale Beratung, Supervision
41
Private Ressourcen
Abbildung 38: SmartArt Private Ressourcen, Quelle: adaptiert nach: Frank, H.
(2010). Lehrer am Limit: Gegensteuern und durchstarten - Ein Lehrer Ratgeber mit So-
fortwirkung und Langzeiteffekt. Beltz GmbH, Julius., Bild im Hintergrund aus eigener
Darstellung
Beziehungen - Familie - soziales Netz - Liebe
Hobbys - Interessen
Selbstfürsorge: Umgang mit Sorgen, Krisen, Freuden
Gesundheit und Ernährung
Ruhe - Natur - Bewegung, Meditation -Entspannungstechniken
Kontakt - Rückzugsmöglichkeit, Selbststeuerung
Spannung - Entspannung
42
11 Empirischer Teil
11.1 Ablauf der empirischen Arbeit
Unter Empirie verstehen Roos und Leutwyler „die methodisch kontrollierte Ausei-
nandersetzung mit der realen Welt’“ (Roos/Leutwyler 2017, S.163).
Empirisches Arbeiten orientiert sich an wissenschaftlichen Erfahrungen und dem
derzeitigen Stand der Forschung und läuft nicht zufällig, sondern systematisch ab.
Hug und Poscheschnik stellen den Ablauf der empirischen Forschung in sechs
Schritten dar. An diesem Ablaufmodell orientiert sich die vorliegenden For-
schungsarbeit (vgl. Hug/Poscheschnik 2020, S.85f.).
Ablaufmodell:
(adaptiert nach Hug/Poscheschnik 2020, S.86)
6. Präsentation
Ergebnisse präsentierenErgebnisse präsentieren
5. Auswertung
Daten auswerten und interpretierenDaten auswerten und interpretieren
4. Aufbereitung
Daten aufbereitenDaten aufbereiten
3. Erhebung
Daten erhebenDaten erheben
2. Planung
Forschungsvorgehen planen, Stichprobe definieren, Forschungsdesign und Forschungsmethoden wählen
Forschungsvorgehen planen, Stichprobe definieren, Forschungsdesign und Forschungsmethoden wählen
1. Vorbereitung
Persönliche und institutionelle Rahmenbedingungen reflektieren, Forschungsfrage findenPersönliche und institutionelle Rahmenbedingungen reflektieren, Forschungsfrage finden
43
In einem ersten Schritt wurden für die vorliegende Arbeit Überlegungen und Ideen
gesammelt, das Thema gefunden und eine konkrete Forschungsfrage formuliert.
Im Mittelpunkt stand dabei die ressourcenorientierte Beratung von Lehrpersonen
durch Beratungslehrer*innen.
Das Ziel der Arbeit war es herauszufinden, welche Herausforderungen und Chan-
cen eine professionelle, kompetente Beratung von Lehrpersonen durch Bera-
tungslehrer*innen bietet. In einem zweiten Schritt wurden Überlegungen zur For-
schungsmethode angestellt und die Größe der Stichprobe festgelegt. Für diese
Arbeit wurde die qualitative Methode gewählt, die Gründe dafür werden im folgen-
den Kapitel erläutert. Um Daten über die Forschungsfrage zu erheben, wurden
qualitative Einzelinterviews geführt. In weiterer Folge wurden die aufgezeichneten
Interviews transkribiert und die erhobenen Daten aufbereitet. Als Auswertungsme-
thode wurde die qualitative Inhaltsanalyse gewählt, auf die in der Arbeit noch ge-
nauer eingegangen wird. Zum Schluss wurden die Forschungsergebnisse in
schriftlicher Form dargestellt.
11.2 Empirische Sozialforschung
Ziel der empirischen Sozialforschung ist es, Aussagen über die Beschaffenheit der
sozialen Realität zu machen. Die wissenschaftlichen Methoden zur Untersuchung
eines bestimmten Ausschnitts der Wirklichkeit können einen qualitativen oder
quantitativen Ansatz aufweisen. Beide Methoden haben das Ziel, auf unterschied-
liche Art und Weise vertiefende Einblicke in die soziale Welt zu bekommen (vgl.
Misoch 2019, S.1ff.).
11.2.1 Quantitative Forschung
Quantitative Forschung befasst sich mit Sachverhalten, die sich grundsätzlich nu-
merisch erfassen lassen. Im Fokus des Interesses stehen dabei statistisch aus-
wertbare Daten. Bestimmte Phänomene werden in Zahlen erfasst, um repräsen-
tative und allgemeingültige Ergebnisse zu erhalten. Dazu werden große Stichpro-
ben untersucht. Es wird auf einen linearen Ablauf der Forschung, auf ein
44
standardisiertes Vorgehen bei der Untersuchung und auf Objektivität der Daten
geachtet (vgl. Hug/ Poscheschnik 2020, S. 107ff.).
11.2.2 Qualitative Forschung
Qualitative Forschung versucht, jene Phänomene in der Lebenswelt von Men-
schen zu verstehen, die nicht gemessen werden können. Es wird versucht, die
Bedeutungen von Handlungen darzustellen und deren Sinn zu begreifen. In der
qualitativen Forschung werden nicht-standardisierte Daten erhoben und ausge-
wertet, mit dem Ziel, neue Sichtweisen aus dem gewonnenen Datenmaterial zu
erhalten. Dazu werden kleine Stichproben untersucht. Es wird auf einen zirkulären
Ablauf der Forschung, auf ein offenes Vorgehen bei der Untersuchung und auf
eine subjektive Sichtweise geachtet (ebd.).
Wie bereits erwähnt, kam in der vorliegenden Arbeit die qualitative Forschung zur
Anwendung. Die persönliche Lebenswelt und die individuelle Sichtweise der Pro-
banden standen im Fokus der Forschung. Die Forschungsfrage wurde offen for-
muliert, um möglichst viele Antworten zu erhalten. Für die Datenerhebung wurden
Interviews geführt, die anschließend für eine qualitative Analyse in Textform dar-
gestellt wurden. Um genauer auf die einzelnen Menschen einzugehen, wurde auf
einen flexiblen Ablauf der Gespräche geachtet. Das Ziel der Analyse bestand da-
rin, die subjektiven Sichtweisen und Handlungen der Befragten zu verstehen und
vertiefende Erkenntnisse zu gewinnen.
Gütekriterien der qualitativen Forschung
In der empirischen Forschung sind Kriterien zur Sicherung der Qualität von zent-
raler Bedeutung. Die in der Arbeit angeführten Kriterien orientieren sich an Misoch.
Sie greift in ihrem Buch jene Kriterien heraus, die ihrer Ansicht nach zu den me-
thodenspezifischen Gütekriterien für die qualitative Sozialforschung gehören soll-
ten (vgl. Misoch 2019, S.246 ff.):
• Neutralität, kontrollierte Subjektivität
In der qualitativen Forschung geht es darum, die subjektive Wirklichkeit,
persönliche Einstellungen und Meinungen von Personen zu erforschen und
45
zu rekonstruieren. Um die Erhebung und Auswertung der Daten möglichst wenig
zu verzerren, ist auf die Neutralität des/der Forschenden zu achten. Da Subjekti-
vität elementarer Bestandteil des qualitativen Forschungsprozesses ist, ist der Ein-
fluss der Subjektivität im Forschungsprozess zu reflektieren.
• Intersubjektivität
Da die Person im gesamten Forschungsprozess im Fokus steht, ist auf eine trans-
parente Dokumentation aller Forschungsschritte zu achten, um den Forschungs-
prozess intersubjektiv nachvollziehbar und überprüfbar zu machen.
• Reflexion der Subjektivität
Da der/die Forschende Teil des Forschungsprozesses ist, müssen die Beeinflus-
sung durch seine/ihre Person in den Forschungsprozess einbezogen und seine/
ihre Rolle laufend reflektiert werden.
• Validität, Gültigkeit, Glaubwürdigkeit
Validität bezeichnet die Gültigkeit und Glaubwürdigkeit von Forschungsergebnis-
sen. Daten sind valide, wenn wirklich das erhoben wurde, was man messen wollte.
• Reliabilität, Verlässlichkeit
Die Überprüfung der Genauigkeit und Verlässlichkeit qualitativer Forschung erfolgt
durch eine möglichst nachvollziehbare Darstellung der gesamten Datenerhebung.
Wiederholte Untersuchungen müssen zu gleichen Ergebnissen führen (vgl. Mi-
soch 2019, S.246ff.).
11.3 Die Stichprobe der qualitativen Studie
Als Stichprobe wird in der qualitativen Forschung die Auswahl derjenigen Perso-
nen bezeichnet, die inhaltlich bedeutsame Informationen zu der zu untersuchen-
den Forschungsfrage haben und die eine Grundgesamtheit in dieser Frage reprä-
sentieren (vgl. Misoch 2017, S.200). In der vorliegenden Arbeit bestand die Stich-
probe aus sieben Proband*innen. Die Kontaktaufnahme mit den Interviewpartnern
46
erfolgte durch ein persönliches Gespräch. Es wurde abgeklärt, ob die Personen
bereit waren, sich für ein Interview zur Verfügung zu stellen. Dies bedeutete nicht
nur, sich Zeit zu nehmen, sondern auch sich auf eine intensive Situation einzulas-
sen. Folgenden Kriterien waren für die Auswahl der Interviewpartner*innen aus-
schlaggebend:
• Interviewbereitschaft
• Berufsgruppe: Beratungslehrer*innen, für die ihre Arbeit sinnvoll ist
und Freude bereitet
• Bildungsstand: Interviewpartner*innen mit mehrjähriger Praxiserfah-
rung und zusätzlichen Ausbildungen, mit Universitätsabschluss oder
einer gleichwertigen Ausbildung
• Alter: Die Interviewpartner*innen befanden sich aufgrund ihrer Pra-
xiserfahrung in ihrer Lebensmitte.
• Geschlecht: weibliche und männliche Interviewpartner
• Wohnort: Der Wohnort war für diese Studie nicht relevant.
11.4 Datenerhebung
Für die qualitative Datenerhebung können unterschiedliche Erhebungsmethoden
angewendet werden. Eine besondere Form für die Erhebung forschungsrelevanter
Daten stellen Interviews dar.
11.4.1 Qualitative Einzelinterviews
„In den Sozialwissenschaften werden qualitative Befragungen in Form
von Interviews sehr häufig eingesetzt. Sie sind besonders geeignet, um
persönliche Sichtweisen, individuelle Meinungen, Werte und Überzeu-
gungen zu erfassen. [...] Grundsätzlich gilt: Je strukturierter ein Inter-
view ist, desto eher lassen sich so gewonnene Daten vergleichen, desto
weniger aber werden wichtige Zusatz- und Kontextinformationen er-
fasst. Je unstrukturierter, je offener ein Interview ist, desto besser lässt
sich eine Thematik in ihrer ganzen Breite und Tiefe erfassen, desto
47
anspruchsvoller und aufwendiger aber wird die Auswertung“
(Roos/Leutwyler 2017, S.242).
Für die vorliegende Arbeit wurde im Vorfeld der Interviews ein Interviewleitfaden
zur inhaltlichen Strukturierung der Gespräche entwickelt. Der Leitfaden enthält
schriftlich formulierte Fragen, die für die Arbeit relevant sind. Die halb-strukturierte
Erhebungsform der Interviews orientierte sich thematisch am Leitfaden. Es wurde
aber darauf geachtet, den Interviewpartner*innen weiterhin Raum zu geben, frei
zu antworten, nachzufragen und Themen zu vertiefen. Die Befragten bekamen vor
dem Interview die Möglichkeit, sich mit Unterstützung des Leitfadens in das Thema
einzuarbeiten und sich auf das Gespräch vorzubereiten. Dieses Angebot wurde
gerne angenommen.
11.4.2 Das Expert*inneninterview
Die Befragten in einem Expert*inneninterview sind Personen, die über ein beson-
deres Wissen in einem speziellen Bereich verfügen. Dieses Spezialwissen wird
meist durch spezifische Tätigkeiten und durch eine Vielzahl von Aus- und Fortbil-
dungen erworben und unterscheidet sich so vom Alltagswissen. Expert*innen kön-
nen in einem bestimmten Wissensgebiet fundiert Auskunft geben (vgl. Misoch
2019, S.119f.).
In der vorliegenden Arbeit wurden Expert*innen als Interviewpartner*innen gewon-
nen. Die entsprechenden Personen verfügten alle über Expert*innenwissen in dem
zu beforschenden Themengebiet, in der ressourcenorientierten Beratung von
Lehrpersonen. Durch die aktuelle Coronakrise war die Autorin dieser Masterarbeit
überraschend gezwungen, die bereits organisierten Interviewtermine abzusagen
und aufgrund der Hygienebestimmungen auf Telefoninterviews auszuweichen.
11.4.3 Das Telefoninterview
Um Daten zu erheben, werden in der qualitativen Forschung grundsätzlich Face-
to-Face-Interviews geführt. „Nachdem Studien gezeigt hatten, dass die Datenqua-
lität von seriös durchgeführten Telefoninterviews mit denen von Face-to-Face
48
Interviews vergleichbar ist“ (Misoch 2019, S.168), werden Telefoninterviews für die
Datenerhebung anerkannt. Das Telefoninterview stellt eine Form der Datenerhe-
bung dar, die als mündliche Befragung mit technischen Mitteln stattfindet. Es ist
bei der Durchführung der Interviews und bei der Auswertung der Daten zu berück-
sichtigen, dass die Übertragung visueller Daten fehlt.
Mögliche Vorteile bei telefonisch durchgeführten Interviews in der qualitati-
ven Forschung:
• Das Fehlen visuell wahrnehmbarer Zeichen reduziert den Einfluss des In-
terviewers/der Interviewerin auf das Interviewgeschehen.
• Die visuelle Anonymität kann die zu interviewende Person dabei unterstüt-
zen, über sensible Themen zu sprechen.
• einfache Kontaktaufnahme mit den Interviewpartner*innen
• Reisekosten- und Zeitersparnis
• Sicherheit des Forschers/der Forscherin bei Interviews in einem möglicher-
weise gefährlichen Umfeld
Mögliche Nachteile:
• Das Fehlen von Mimik und Gestik kann bei den Interviewpartner*innen im
Telefongespräch zu Verunsicherung führen.
• Erschwerter Kommunikationsfluss durch das Fehlen nonverbaler Zeichen,
das Aushalten von Redepausen erweist sich als schwierig – Sprecher*in-
nenwechsel oder Zustimmung und Ablehnung beim/bei der Gesprächs-
partner*in können nur über auditive Zeichen wie zum Beispiel „ja, ja“ ge-
steuert werden.
• Dem/der Forschenden fehlen Informationen über die aktuellen Rahmenbe-
dingungen des/der zu Interviewenden, er/sie kann nur mit Hilfe der Stimme
eine vertrauensvolle, entspannte Atmosphäre schaffen.
• Durch das Fehlen visueller Zeichen wird die Stimme der entscheidende
Faktor für die Interviewbereitschaft der Proband*innen (vgl. Misoch 2019,
S.171ff.).
49
11.4.4 Durchführung des Interviews
In der vorliegenden Arbeit wurden zwei Face-to-Face-Interviews und fünf Telefon-
interviews geführt. Als Proband*innen konnten sechs Frauen und ein Mann ge-
wonnen werden. Der geteilte Erfahrungshintergrund als Beratungslehrer*in und
die persönliche Bekanntschaft der Interviewpartner*innen als langjährige Arbeits-
kolleg*innen ermöglichten eine natürliche Gesprächsführung und die Verwendung
der „Du-Form“. Außerdem konnten in den Interviews sehr rasch ein innerer Zu-
gang zu den Befragten hergestellt und umfassende Daten erhoben werden.
Der Fokus der Autorin bestand bei der Interviewführung darin, persönliche kom-
munikative Kompetenzen in das Gespräch einfließen zu lassen und den Inter-
viewpartner*innen empathisch zu begegnen. Zusätzlich orientierte sie sich im Ge-
spräch am Sprachstil und an der Umgangssprache der Befragten. Ein wichtiges
Element für das Gelingen der durchgeführten Interviews war aktives Zuhören. Da-
bei richtete sich die Forscherin nach den Ausführungen Misochs: „Aktives bzw.
kontrolliertes Zuhören bedeutet eine völlige Präsenz und vollständiges Zuge-
wandtsein zum Interviewten während des gesamten Erhebungsprozesses“ (Mi-
soch S. 232).
Ergänzend wurden folgende Punkte in Anlehnung an die Regeln der Interviewfüh-
rung von Hug und Poscheschnik berücksichtigt:
• Das Aufnahmegerät wurde im Vorfeld des ersten Interviews überprüft und
getestet.
• Es wurde darauf geachtet, dass keine weiteren Personen das Interview un-
terbrechen oder stören konnten. Eine Befragte führte das Telefoninterview
von ihrem Büro aus, da sie sich dort ungestört auf das Gespräch konzent-
rieren konnte. Die anderen Probandinnen befanden sich zuhause. Mit dem
männlichen Gesprächspartner wurde das persönliche Interview Face-to-
Face in einem Cafe geführt, da die Bereitschaft für das Interview in diesem
Rahmen am höchsten war.
• Den Interviewten wurde Anonymität zugesichert und ein Einverständnis für
die Aufzeichnung der Interviews eingeholt.
50
• Die Interviewerin zeigte ernsthaftes Interesse an den Antworten der Befrag-
ten und bemühte sich, eine Vertrauensbasis aufzubauen.
• Es wurde versucht, den Gesprächspartner*innen Zeit zum Antworten zu ge-
ben. Dies war für die Autorin eine Herausforderung, da sie Pausen im Ge-
spräch nur schwer aushält.
• Die Interviews wurden flexibel geführt. Es stellte sich heraus, dass im Ge-
gensatz zum Leitfaden anschließend auf die Frage nach den Herausforde-
rungen gleich auf die Chancen eingegangen werden konnte.
• Der Fokus wurde auf offene Fragestellungen gelegt, um den Gesprächs-
partner*innen die Möglichkeit zu geben, frei zu erzählen.
• Am Ende des Interviews bekamen die Befragten die Gelegenheit, Ergän-
zungen anzubringen, und die Interviewerin bedankte sich für das Gespräch
(vgl. Hug/Poscheschnik 2020, S.136ff.)
11.4.5 Auswertung der Interviews
Transkription
Die im Interview gesammelten und aufgenommenen Daten wurden zur weiteren
Auswertung in schriftliche Form gebracht. Unter Transkription verstehen Roos und
Leutwyler die Übertragung des aufgenommenen Interviews in ein Textformat, um
die Daten anschließend systematisch analysieren zu können. Wörtliche Tran-
skripte, bei denen jedes Wort niedergeschrieben wird, sind Voraussetzung für eine
sorgfältige Auswertung der Daten. Sie sind für anspruchsvolle, qualitative For-
schungsarbeiten gut geeignet (vgl. Roos/Leutwyler 2017, S.240ff.).
Transkriptionsregeln der vorliegenden Arbeit:
• Wort-für-Wort-Transkription, auch abgebrochene Sätze
• Übertragung der Dialekte in die Schriftsprache
• Zeilenabstand: einfach
51
• Einfügen einer Leerzeile bei jedem Sprecher*innenwechsel
• Zeilenweise Nummerierung des Textes (ebd.)
Transkriptionszeichen der vorliegenden Arbeit:
I Interviewerin
B1 befragte Person
(unv) unverständlich
(lacht) Kommentar
X anonymisiert
(.....) längere Pause
sicher auffällige Betonung (vgl. Hug/Poscheschnik 2020, S.173)
Qualitative Datenauswertung
Nach der Erhebung der Daten durch die mündlich geführten Interviews und die
anschließende Übertragung der Informationsmenge in ein schriftliches Format,
wurde die qualitative Inhaltsanalyse als Auswertungsverfahren für eine systemati-
sche, nachvollziehbare Auswertung des Datenmaterials gewählt.
Qualitative Inhaltsanalyse
Als qualitative Inhaltsanalyse wird ein häufig verwendetes Auswertungsverfahren
bezeichnet, das zur systematischen Strukturierung und zur Analyse von Textma-
terial herangezogen wird. Im Fokus der Analyse steht das Herausfiltern for-
schungsrelevanter Informationen durch eine regelgeleitete Reduktion der Daten-
menge. Eine qualitative Inhaltsanalyse kann manuell mit ausgedrucktem Text und
52
farbigen Textmarkern durchgeführt werden oder computergestützt erfolgen (vgl.
Roos/Leutwyler 2017, S.294f.).
Für diese Arbeit wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring gewählt:
„Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring beinhaltet in der Regel fünf
Schritte: In einem ersten Schritt wird das vorliegende Datenmaterial ge-
sichtet, es werden die für die Fragestellung relevanten Teile ausgewählt
und für die Analyse vorbereitet. In einem zweiten Schritt werden Kate-
gorien entwickelt, mit denen – im Sinne eines Suchrasters – das Daten-
material durchsucht wird. Im dritten Schritt werden die Daten codiert,
indem die relevanten Informationen einzelnen Kategorien zugeordnet
werden. Meist wird im Laufe des Codierens auch das Kategoriensystem
verfeinert und angepasst. Im vierten Schritt werden die codierten Infor-
mationen analysiert: Sie werden zusammengefasst, strukturiert und er-
klärt. Im abschließenden fünften Schritt schließlich gilt es die Ergeb-
nisse der Analyse in einem Bericht darzustellen“ (Roos/Leutwyler 2017,
S.303).
Kategorien bilden
Als Kategorie bezeichnet man einen Themenbereich, dem Informationen aus dem
Datenmaterial zugeordnet werden. Die Gesamtheit der bei einer qualitativen In-
haltsanalyse entwickelten Kategorien wird in einem Kategoriensystem dargestellt.
Es gibt grundsätzlich zwei Herangehensweisen zur Entwicklung von Kategorien:
Induktive Kategorienbildung: Die Kategorien werden schrittweise aus
dem vorliegenden Textmaterial abgeleitet.
Deduktive Kategorienbildung: Vor der Auswertung des Datenmaterials
werden aus der Theorie Kategorien gebildet, denen in der Folge bestimmte
Aussagen aus dem Textmaterial zugeordnet werden.
In der vorliegenden Arbeit wurde eine deduktive Vorgehensweise gewählt. Die Ka-
tegorien wurden deduktiv entwickelt und in einem Leitfaden abgebildet. Aufgrund
des erhobenen Datenmaterials wurden bei der Datenanalyse weitere Kategorien
53
induktiv gebildet und das Kategoriensystem erweitert (vgl. Hug/Poscheschnik
2020, S.190).
Codieren
Unter Codieren wird im Rahmen der qualitativen Inhaltsanalyse das Zuordnen re-
levanter Daten zu den jeweiligen Kategorien verstanden. Damit wird die in den
transkribierten Interviews erhobene Datenmenge reduziert und strukturiert (vgl.
Roos/Leutwyler 2017, S. 299).
MAXQDA 2020
Es besteht die Möglichkeit, qualitatives Datenmaterial computerunterstützt auszu-
werten (vgl. Hug/Poscheschnik 2020, S. 234). Die Universität Graz stellt ihren Stu-
dierenden das Computerprogramm MAXQDA für die Datenanalyse kostenlos zur
Verfügung. Diese spezialisierte Software wurde zur Unterstützung der manuellen
Auswertung und Dokumentation der vorliegenden Daten eingesetzt.
11.5 Die Interviewpartner*innen
Die Gespräche wurden aufgezeichnet und anonymisiert. Alle Interviewpartner*in-
nen sind ausgebildete Lehrkräfte im Pflichtschulbereich und verfügen über weitere
Ausbildungen und Zusatzqualifikationen. Alle Interviewten zeigten sich engagiert
und waren bestrebt, die Interviewfragen bestmöglich zu beantworten.
Interview mit B1 (Frau S.)
Wann: 15. März 2020
Dauer: 20:29 Minuten
Alter: 58 Jahre
Bildungsstand: Universitätsabschluss
Das Interview fand in der Wohnung der Interviewpartnerin statt. Die Gesprächs-
partnerin bemühte sich, genau auf die Fragen einzugehen.
54
Interview mit B2 (Frau R.)
Wann: 18. März 2020
Dauer: 51:51 Minuten
Alter: 49 Jahre
Bildungsstand: Universitätsabschluss
Das Interview wurde am Telefon geführt. Die Gesprächspartnerin nahm sich be-
wusst Zeit, um sich ungestört auf das Gespräch konzentrieren zu können.
Interview mit B3 (Frau K.)
Wann: 09. April 2020
Dauer: 24:56 Minuten
Alter: 55 Jahre
Bildungsstand: Universitätsabschluss
Das Interview fand am Telefon statt. Die Gesprächspartnerin achtete darauf, im
Gespräch nicht von den gestellten Fragen abzuweichen.
Interview mit B4 (Frau F.)
Wann: 17. April 2020
Dauer: 36:10 Minuten
Alter: 59 Jahre
Bildungsstand: Maltherapeutin, Coach
Das Interview wurde am Telefon geführt. Die Gesprächspartnerin war kurz irritiert,
da die Fragen teilweise vom Interviewleitfaden abwichen. Sie stellte sich aber
gleich darauf ein.
55
Interview mit B5 (Frau I.)
Wann: 22. April 2020
Dauer: 32:12 Minuten
Alter: 58 Jahre
Bildungsstand: Universitätsstudium ohne Abschluss
Das Interview fand am Telefon statt. Die Gesprächspartnerin stützte sich bei den
Fragen auf die von ihr vorbereiteten Notizen.
Interview mit B6 (Frau G.)
Wann: 08. Mai 2020
Dauer: 32:31 Minuten
Alter: 56 Jahre
Bildungsstand: Universitätsabschluss
Das Interview wurde telefonisch geführt. Der Gesprächspartnerin war das Thema
des Interviews sehr wichtig, weshalb sie sich gerne für das Gespräch zur Verfü-
gung stellte.
Interview mit B7 (Herr H.)
Wann: 09. Juli 2020
Dauer: 18:32 Minuten
Alter: 62 Jahre
Bildungsstand: Universitätsabschluss
Das Interview fand im Vorfeld eines Beratungslehrer-Meetings in einem Cafe statt.
Die Interviewsituation war angenehm.
56
11.6 Kategorienbildung
Die Kategorien wurden in Anlehnung an den theoretischen Teil der Arbeit entwi-
ckelt und in einem Leitfaden dargestellt. Das Datenmaterial wurde drei Oberkate-
gorien und zehn Unterkategorien zugeordnet. Die ursprünglich angedachte erste
Kategorie mit den allgemeinen Daten zu den Interviewpartner*innen stellte sich bei
der Auswertung der Interviews als nicht relevant für die Beantwortung der For-
schungsfrage heraus. Daher wurde diese Frage nicht als Kategorie in die Arbeit
übernommen.
1. Herausforderungen
• Auftrag
• Erstgespräch
• Beratungsverlauf
• Äußeres Setting
2. Chancen
• Auftrag
• Erstgespräch
• Beratungsverlauf
• Äußeres Setting
3. Empfehlungen
• Chancen der ressourcenorientierten Beratung von Lehrpersonen
• Empfehlungen für die Beratungspraxis
Abbildung 39: Triskele stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/muster-tribal-celtic-spirale-pagan-23396/
Abbildung 40: Schildkröte der Weisheit stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/illustrati-ons/schildkröte-tribal-design-symbol-948263/Abbildung 41: Triskele stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/muster-tribal-celtic-spirale-pagan-23396/
57
12 Darstellung der Ergebnisse
Die vorliegende Masterarbeit befasst sich mit der ressourcenorientierten Beratung
von Lehrpersonen. Ziel der Arbeit ist es herauszufinden, welche Herausforderun-
gen und Chancen eine professionelle, kompetente Beratung durch Beratungsleh-
rer*innen bietet. In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse aus der Datenanalyse
dargestellt und mit Blick auf die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit ausge-
wertet.
12.1 Herausforderungen
Im ersten Teil des Interviews werden die Herausforderungen der ressourcenorien-
tierten Beratung von Lehrpersonen durch Beratungslehrer*innen beleuchtet.
12.1.1 Auftrag
Eine Interviewpartnerin stellt die Anfangssituation folgendermaßen dar:
„Also die Anfangssituation ist so, dass ich (...) Auftrag und Unterlagen von der
FIDS-Leitung kriege oder dass die Schulleitung einen Antrag stellt. Oder dass mich
Lehrpersonen anfragen, mit denen ich schon im Kontakt war wegen anderer Ge-
schichten oder dass sie mich in der Schule ansprechen.“
(B5, Abs.23).
Alle Interviewpartner*innen haben Erfahrung im Bereich der Gesprächsführung bei
Beratungsgesprächen. Daher können sie auch verschiedene Möglichkeiten der
Kontaktaufnahme mit Lehrpersonen an Schulen anbieten und beschreiben. Aus
den Interviews geht hervor, dass bei allen Befragten mehrere Möglichkeiten der
Kontaktaufnahme bestehen:
• Auftrag durch die zuständigen Diversitätsmanager*innen vom Fachbereich
Inklusion, Diversität und Sonderpädagogik (B5, Abs.23)
• Auftrag durch Kontaktaufnahme durch die Schulleitung oder die Lehrperson
(B4, Abs.10)
58
• Auftrag durch aktives Ansprechen der Pädagog*innen durch die Beratungs-
lehrer*innen (B3, Abs.10)
Bereits bei der ersten Kontaktaufnahme mit der Lehrperson wird auf einen offenen,
achtsamen Umgang geachtet. Freiwilligkeit und Vertraulichkeit in der Beratung
sind selbstverständlich (vgl. dazu auch Kap. 8.5). Vertraulichkeit ist bei allen Be-
fragten ein zentraler Punkt in der Beratung. Eine Interviewpartnerin betont, dass
bei der Auftragsklärung unbedingt die Vertraulichkeit angesprochen werden muss,
dass „die Vertraulichkeit ein Grundprinzip in der Beratung ist“ (B4, Abs. 58).
Die gleiche Expertin geht in ihren Ausführungen auf einen Punkt ein, der aus ihrer
Sicht ein Beratungsgespräch mit Lehrpersonen erschweren kann:
„Auf alle Fälle haben die Lehrer halt oft das Gefühl, es ist ein Makel, wenn man
Beratungen in Anspruch nehmen muss. Weil sie ja als Einzelkämpfer in der Klasse
mit den Situationen allein fertig werden und dem allem gewachsen sein sollten“
(B4, Abs. 54).
Wie bereits im Kap. 9.4 beschrieben, ist die professionelle Beratung von Lehrkräf-
ten in der Schule nicht selbstverständlich und gewinnt erst langsam an Bedeutung.
Lehrpersonen machen schon in der Ausbildung die Erfahrung, dass sie in Bera-
tungsgesprächen beurteilt werden und ihre Schwächen aufgezeigt werden. Sie
stehen daher einer Beratung nicht selten ablehnend gegenüber.
Eine Befragte, die vorwiegend in den Mittelschulen als Beratungslehrerin tätig ist
und Ansprechpartnerin für Jugendliche ist, beschreibt eine weitere Anfangssitua-
tion, die für sie eine Herausforderung darstellt. Kinder und Jugendliche haben die
Möglichkeit, direkt mit der Beratungslehrperson Kontakt aufzunehmen und um Un-
terstützung zu bitten. Die besondere Schwierigkeit der Auftragsklärung in diesem
Fall wird von der Interviewpartnerin folgendermaßen beschrieben: Die Herausfor-
derung besteht darin, dass „ich dann eigentlich die Lehrer, Lehrerinnen mit ins
Boot hole, dass ich auf sie zugehe. Da kann es schwierig sein, also muss man
sehr vorsichtig sein“ (B6, Abs. 10).
Ähnlich schwierig kann sich die Anfangssituation einer Beratung gestalten, wenn
sich Eltern mit der Bitte um Unterstützung an den Fachbereich Inklusion, Diversität
59
und Sonderpädagogik wenden. Die Auftragserteilung durch den Fachbereich auf
Wunsch von Erziehungsberechtigten wird von einer Befragten als „Supergau“ (B2,
Abs.14) bezeichnet. „Dann fühlt sich der Lehrer sofort hintergangen“ (B2, Abs.14).
12.1.2 Erstgespräch
Nicht selten führt die Gesamtbelastung bei Lehrpersonen zu psychischen und phy-
sischen Erschöpfungszuständen (vgl. dazu auch Kap. 9.3). Sie empfinden ein Be-
ratungsgespräch als weiteren Termin, der sie zusätzlich belastet. Alle Inter-
viewpartner*innen versuchen, bei der Terminvereinbarung darauf Rücksicht zu
nehmen und den Lehrpersonen entgegenzukommen. Eine Befragte geht auf die-
ses Problem genauer ein. Sie erkundigt sich bei der Lehrperson, wann sie Zeit
habe und versucht, mit ihr entweder in einer Freistunde oder gleich zu Mittag einen
Gesprächstermin zu vereinbaren (B4, Abs.16).
Das Klären der Auftragslage wird von den Interviewpartner*innen als weiterer
wichtiger Punkt angeführt. Besonders in emotional schwierigen Situationen achten
die Befragten darauf, die Auftragslage genau zu klären, mit den Pädagog*innen
die momentane Situation zu beschreiben, die Leistungen der Lehrperson anzuer-
kennen und nachzufragen, welche Erwartungshaltung der Beratungslehrperson
gegenüber besteht (B5, Abs.25). Eine Probandin ergänzt, dass sie die Päda-
gog*innen im Erstgespräch darauf hinweist, dass sie immer persönlichen Kontakt
zu Lehrer*innen und Schüler*innen herstellt, um möglichst transparent zu arbeiten
(B2, Abs.14). Der männliche Proband konkretisiert seine Vorgehensweise im Erst-
gespräch:
„Ich lasse mir das Problem einmal von Lehrerseite schildern und dann lege ich
recht viel Wert darauf, wie kann ich bestmöglich unterstützen. Wir schauen uns
einmal die Gesamtsituation an, was glaubst du, was kann ich für einen Beitrag
leisten, was wäre für dich hilfreich, oder für die ganze Situation hilfreich, oder wo
könnte am ehesten am Ende etwas herauskommen. Das sage ich – also Lehrer
nicht drängen, du sollst das oder das machen, da nehme ich mich eher zurück,
und beziehe mich auf – ich bin beratend oder unterstützend da“ (B7, Abs.12).
60
Wertschätzung ist in den Gesprächen mit allen Befragten ein weiteres zentrales
Thema. Wertschätzung zu zeigen, wird von allen befragten Personen als ein
Schwerpunkt der ressourcenorientierten Beratung von Lehrkräften bezeichnet
(vgl. dazu auch Kap. 10.4). Besonders bei herausfordernden Erstgesprächen mit
Lehrpersonen und bei Krisengesprächen achten Beratungslehrer*innen auf einen
wertschätzenden Umgang mit den Pädagog*innen. Eine Interviewpartnerin kon-
zentriert sich ausdrücklich auf ein positives Gesprächsklima. Sie begegnet der
Lehrperson sehr wertschätzend, indem sie sich für die Möglichkeit bedankt, ein
Gespräch zu führen und darauf schaut, dass „es einfach ein positiver Anfang ist
und ein feiner“ (B3, Abs. 18).
12.1.3 Beratungsverlauf
Das Kind macht Probleme
Die Schwierigkeit, dass aus Sicht der Pädagog*innen das Kind die Probleme
macht und der Wunsch besteht, Schüler*innen zu reparieren, wird von drei Befrag-
ten thematisiert (B1, Abs.16, B7, Abs.23, B4, Abs.30). Wie im theoretischen Teil
bereits dargestellt wird (vgl. dazu Kap. 10.4), werden Beratungslehrer*innen häufig
mit unrealistischen Anforderungen konfrontiert. Es besteht die Vorstellung, schwie-
rige Schüler*innen könnten an die Beratungslehrerin abgegeben werden, die das
Problem löst und für eine schnelle Verbesserung der Situation sorgt.
„Was die plötzlich von den Schülern, die sowieso schon Schwierigkeiten haben,
was die nachher alles wollen, was sich ändern soll. Wo man bei anderen Schülern
gar nicht hinschaut, wird bei den schwierigen Schülern ganz genau nachher ge-
schaut und die da davon ein bisschen wegzubringen, ist echt eine Herausforde-
rung“ (B4, Abs.44).
Eine Probandin ergänzt, dass der Fokus dieser Lehrpersonen ihrer Meinung nach
häufig auf Noten und Testergebnissen und nicht „auf der Persönlichkeit der Kinder“
(B5, Abs.29) liegt. Es überwiegt der defizitorientierte Blick auf das Kind.
Wie die Befragten diesen Lehrpersonen im Beratungsgespräch begegnen, führt
eine Interviewpartnerin genauer aus. Sie versucht, im Gespräch den Blick der
61
Lehrperson auf das Kind zu lenken. „Das sind Kinder, die müssen sich erst entwi-
ckeln“ (B2, Abs.18).
Eine wenig achtsame Sprache von Lehrpersonen gegenüber Schüler*innen ist für
eine Interviewpartnerin ein weiteres Thema. Sie erlebt im Beratungsverlauf immer
wieder Situationen, in denen sie die Sprache der Pädagog*innen als „verbale
Übergriffe auf Schüler“ (B5, Abs.51) empfindet. Sie findet die Tatsache, dass die
Lehrpersonen dies nicht bewusst wahrnehmen, als sehr erschreckend und irritie-
rend.
Herausforderungen in der Prozessbegleitung
Alle Interviewpartner*innen beschreiben Beratungsgespräche mit Lehrpersonen
als Herausforderung, die viel Geschick erfordert. Es wird in den Interviews grund-
sätzlich auf zwei unterschiedliche Lehrerpersönlichkeiten eingegangen. Manche
Lehrer*innen sind „sehr offen und verständnisvoll und gehen aufs Kind ein und auf
die Gesamtsituation, da sieht man, sie sind sehr kompetent“ (B7, Abs. 23), und
andere Lehrpersonen halten fest an der Meinung: „Ich bin der Chef in der Klasse
und muss alles regeln“ (B2, Abs. 16). Für eine Interviewpartnerin ist diese Einstel-
lung ein Hinweis darauf, dass die Lehrperson das Gefühl hat, keine Beratung zu
brauchen (B3, Abs.30).
Eine Befragte, der als ausgebildeter Psychologin ein achtsamer Umgang mit Pä-
dagog*innen besonders wichtig ist, geht in ihrem Interview ausführlich auf die Pro-
zessbegleitung in der Arbeit mit Lehrpersonen ein. Sie nennt Beratungslehrer*in-
nen scherzhaft auch eine „Burn-out-Prophylaxe“ (B2, Abs. 22) für Lehrpersonen.
Entschleunigung, sich mit der Lehrperson auf den Weg zu begeben und Selbstfür-
sorge sind Herausforderungen im Beratungsverlauf, die sie im Interview herausar-
beitet (B2, Abs.16, 22).
Grundsätzlich erfolgt systemische Beratung als Prozessberatung (vgl. dazu Kap.
10.2). Die Interviewpartnerin erlebt Lehrpersonen im Gespräch oft in der Enge und
emotional aufgewühlt. Um die Situation zu beruhigen, versucht sie, den Druck her-
auszunehmen und sich mit der Lehrperson auf den Weg zu begeben. Sie lässt die
Lehrkraft einmal abladen, bietet ihr ihre Begleitung an, honoriert ihre Arbeit und
62
geht mit ihr in die Selbstfürsorge. Sie unterstützt sie, eigene Ressourcen zu finden
und ihre Akkus wieder aufzuladen. Die Befragte fasst es folgendermaßen zusam-
men: „Das ist, wie man depressive Patienten aufwärmen muss vom Herz her, Be-
ziehung anbieten muss und nicht erklären, welche Konzepte jetzt da gemacht wer-
den“ (B2, Abs.26).
Eine Interviewpartnerin merkt an, dass es für manche Lehrpersonen sehr schwie-
rig ist, Lob und Anerkennung anzunehmen. Sie können nicht sehen, dass sie et-
was gut machen (B3, Abs. 22). Sie empfinden Ideen und Vorschläge schnell als
Kritik und gehen in die Rechtfertigung (B2, Abs.16).
Die systemische, ressourcenorientierte Prozessberatung wird von einer weiteren
Interviewpartnerin konkretisiert. Sie sieht sich als Beraterin gefordert, der Lehrper-
son Raum zu geben, um eigene Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln (vgl. dazu
auch Kap. 10.3): „Also es ist total wichtig, dass ich keine Kontrollinstanz bin. Das
auf keinen Fall, sondern dass ich einfach wirklich eine Erweiterungsmöglichkeit
anbieten kann (...). Eigentlich geht es so, in den Prozess hineinzukommen, dass
wir einfach auch einmal reflektieren gemeinsam, was passiert, was läuft wirklich
gut. Wo haben wir noch Chancen, wo gibt es einfach auch eine Gelegenheit, viel-
leicht auch noch was zu verändern oder was anderes auszuprobieren“ (B6,
Abs.18).
Die Zeit der schnellen Veränderungen wird als weitere Herausforderung für Päda-
gog*innen wahrgenommen. Eine Befragte geht auf diesen Punkt genauer ein und
führt an, dass diese Situation für Lehrkräfte anstrengend ist. Die Lehrpersonen
zeigen häufig eine allgemeine Unzufriedenheit mit ihrer Arbeitssituation. Sie kön-
nen ihre Anliegen nicht genau formulieren und verlieren die Sicht auf das Kind. Die
Interviewpartnerin betont, dass es im Beratungsgespräch hilfreich sein kann, die
Sichtweise der Pädagog*innen ein bisschen zu verändern und den Blick wieder
auf das Kind zu richten (B5, Abs. 29).
Drei Befragte betonen, dass es Lehrpersonen besonders in Stresssituationen
Schwierigkeiten bereitet, kleine Schritte zu sehen und auszuhalten, dass nicht
mehr möglich ist. (B3, Abs. 22, 24, B4, Abs. 74, B5, Abs. 31). Der Blick der Lehr-
personen auf das Wesentliche geht verloren. Eine kleine Veränderung der
63
Blickrichtung kann der Lehrkraft in dieser Situation neue Handlungsmöglichkeiten
eröffnen (vgl. dazu Kap. 10.3.3).
Auffällig finden besonders zwei Interviewpartnerinnen an ihrer Beobachtung, dass
manche Lehrpersonen sehr hohe Erwartungen an Eltern haben, denen diese häu-
fig nicht gerecht werden können. Das führt immer wieder dazu, dass der Konflikt
zwischen Eltern und Lehrpersonen auf das Kind übertragen wird (B4, Abs.28, 36,
B5, Abs. 29). Eine der zwei Befragten geht auf diesen Umstand genauer ein:
„Also ich habe da zum Beispiel gehört – die Eltern arbeiten ja gar nicht mit, das
Kind hat in der ersten Klasse nicht einmal die Stifte gespitzt – wo ich dann aber
schon auch wieder zurückführen kann und sagen kann, das Kind beobachten und
nicht die Situation daheim da mit hereinnehmen. Aber das erlebe ich relativ häufig,
dass die Lehrer, ja, dass diese Eltern-Lehrer-Beziehung hemmend ist für die Sicht
auf das Kind“ (B5, Abs.29).
Als Herausforderung erleben alle Interviewpartner*innen ihre eigene Rolle in der
Beratung mit Lehrpersonen. Gerne werden Stress und Unzufriedenheit der Lehr-
personen auf die Beratungslehrer*innen übertragen. Lehrpersonen stehen im
Schulsystem ziemlich unter Druck und damit steigen die Anforderungen an die
Beratungslehrer*innen. Sie sollen den Lehrpersonen Probleme abnehmen und
diese ohne Beitrag der Lehrpersonen lösen. Eine Interviewpartnerin beschreibt
ihre Überlegungen dazu folgendermaßen:
„Ich laufe ihnen einfach nach. Und frage mich dann selber immer, ob das noch in
Ordnung ist und hinterfrage dann für mich, ob jetzt die Grenze erreicht ist, dass
ich einfach sagen muss, okay, die Beratung ist für mich auch beendet. Also wie
viel Zeit gebe ich ihnen, dass ich mich als Angebot noch zur Verfügung stelle“ (B4,
Abs. 50).
Eine zweite Probandin befasst sich ebenfalls mit diesem Thema und ergänzt, dass
sie im Beratungsverlauf ihre Kompetenz nicht anzweifeln lässt und klar Stellung
bezieht. Sie bereitet sich auf das Gespräch gut vor und kann daher gut argumen-
tieren (B5, Abs. 33).
64
Ein positives, ressourcenorientiertes Auftreten gehört für eine Befragte zu den
wichtigsten Voraussetzungen für ihre Arbeit. Grundlegende Instrumente in der Be-
ratung sind die verbale und die nonverbale Kommunikation. Die Interviewpartnerin
achtet daher sehr auf ein authentisches, professionelles Auftreten (vgl. dazu Kap.
10.9). Das führt immer wieder zu Irritationen bei den Lehrpersonen. Die Befragte
schildert eine Situation aus ihrem Beratungsalltag:
„(...) dass dich jetzt jeder wieder hasst, wenn du völlig entspannt ins Konferenz-
zimmer kommst mit einem Lächeln auf dem Mund, dann kommt gleich dieses –
wieso lachst du? Und trotzdem kriege ich ganz viel rückgemeldet, mah – wenn du
kommst, ist wenigstens ein paar Mal ein bisschen Spaß oder ein bisschen eine
Lockerheit. Das braucht es, auch für mich, das sind die Ressourcen, die wir bieten.
Weil wir nicht so in der Enge sind, eben das habe ich mit der Enge gemeint, die
tun alles unter Stress und Strom und was weiß ich. Und wenn man von außen
kommt, kann man ein bisschen Frische hereinbringen. Ich sehe das als ganz gro-
ßen Auftrag“ (B2, Abs. 26).
12.1.4 Äußeres Setting
Alle Interviewpartner*innen beschreiben die räumlichen und zeitlichen Rahmenbe-
dingungen für das Führen von Beratungsgesprächen als herausfordernd. Häufig
fehlen passende Besprechungszimmer. Sie berichten von kalten Abstellkammern
und Computerräumen, aber auch von möglichen Arztzimmern, die sie sich mit der
Schulärztin oder dem Schularzt teilen. Das fehlende Verständnis der Schulen für
ein adäquates Setting wird besonders von zwei Befragten thematisiert (vgl. dazu
auch Kap.10.8). Es nützt nichts, wenn der Beratungslehrerin ein Stuhl in einem
Konferenzzimmer angeboten wird, weil Beratungsgespräche vertraulich geführt
werden sollen, aber im Konferenzzimmer zu viele Leute zuhören können (B5, Abs.
37). Der zweiten Probandin fehlt die Wertschätzung der Schule für ihre Arbeit. Sie
betont, dass es sie sehr viel Kraft kostet, aufgrund von fehlendem Setting trotzdem
qualitativ hochwertige Beratung anzubieten (B2, Abs. 28).
Da es kaum Räume gibt, in denen ungestört gearbeitet werden kann, befindet sich
das Büro im Auto, es wird mit dem privaten Computer gearbeitet und auf eigene
Kosten telefoniert (B5, Abs.35, 37).
65
Steht ein Beratungsraum zur Verfügung, ist es für manche Lehrpersonen trotzdem
ein zu großer zeitlicher Aufwand, sich auf ein Gespräch einzulassen. Eine Inter-
viewpartnerin beschreibt das Problem einiger Lehrpersonen, mit ihr gesehen zu
werden: „(...) dort gesehen zu werden, das ist auch noch einmal was. Aha, die hat
jetzt ein Gespräch mit der Beratungslehrerin“ (B3, Abs. 36).
Lehrpersonen, die offen für ein Gespräch sind, finden die Zeit dafür, andere fühlen
sich gedrängt, da wird ein Terminvereinbarung mühsam und schwer (B7, Abs.37).
12.2 Chancen
Im zweiten Teil des Interviews werden die Chancen in der ressourcenorientierten
Beratung von Lehrpersonen durch Beratungslehrer*innen beleuchtet. Alle Inter-
viewpartner*innen haben in ihrer langjährigen Beratungstätigkeit Möglichkeiten
und Ideen entwickelt, wie Beratung von Lehrpersonen gut gelingen kann.
12.2.1 Auftrag
Wie bereits im theoretischen Teil erwähnt wird, spielt Beratung in Bereichen, in
denen Personen zusammenarbeiten, eine große Rolle. Auch wenn es für soziale
Berufe durchaus selbstverständlich ist, Supervision und Beratung als Unterstüt-
zung in Anspruch zu nehmen, so gewinnt professionelle Beratung von Lehrkräften
im Schulalltag nur langsam an Bedeutung. Professionelle Beratung unterstützt
Lehrkräfte, aktiv zu werden, ihre Fähigkeiten zu erweitern, ihr Verhalten zu reflek-
tieren und Ressourcen zu mobilisieren. Beratung bedeutet nicht, Lehrkräfte zu be-
urteilen und mit ihren Schwächen zu konfrontieren (vgl. dazu Kap. 9.4)a
„Ich habe mir des Öfteren überlegt, wie man das Verständnis für Beratung einmal
klar machen kann. Ob das über Konferenzen gehen würde oder eben in Schulun-
gen, (...) dass Beratung einfach da ist und dass Beratung normal ist und dass es
kein Makel ist, wenn man Beratung in Anspruch nimmt“ (B4, Abs.54).
Als ausgebildeter Coach vergleicht die Interviewpartnerin das Beratungsverständ-
nis in der Privatwirtschaft mit dem Beratungsverständnis von Lehrpersonen in der
Schule. Sie stellt fest, dass ihrer Meinung nach ein unternehmensinterner Coach,
66
der vom Betrieb angestellt wird und eine Anlaufstelle für die Mitarbeiter*innen dar-
stellt, besser akzeptiert und angenommen wird, als Beratung an Schulen. Mit Be-
ratung kennen sich Lehrpersonen oft nicht aus (B4, Abs.62). Die Befragte sieht in
dem selbstverständlichen Angebot, sich als Lehrperson einfach Ideen oder ein
Feedback holen zu können, eine große Unterstützung für Pädagog*innen (B4,
Abs.66).
Ein Punkt, den einige Befragte ansprechen, ist „vor Ort“ zu sein (B2, Abs. 26, 50,
B4, Abs.14, B5, Abs. 57). Beratung fällt Lehrpersonen leichter, wenn sie die Bera-
tungslehrerin oder den Beratungslehrer bereits kennen.
„Für mich jetzt als Beratungslehrer, die perfekte Auftragssituation, Anfangssitua-
tion wäre, wenn eine Lehrerin herkommt und sagt, hättest du einmal Zeit, ich hätte
gerne was mit dir besprochen? Und dann sage ich – ja gerne, wann machen wir
es (...) und dann weißt du, derjenige will eine Beratung – das ist eine super Aus-
gangssituation. Und wenn man dann sich irgendwo trifft, wo man ungestört reden
kann, dann ist das perfekt“ (B3, Abs.40).
Eine genaue Auftragsklärung, eine Konfliktdiagnose am Anfang einer Beratung
wird in den Interviews häufig genannt. Für die Befragten ist es wichtig, gut infor-
miert zu sein und abzuklären, was Sache ist (B2, Abs. 36, B5, Abs.57). Es wird in
der Beratung am Anfang und im Verlauf des Beratungsprozesses auf eine sorgfäl-
tige Auftragsklärung geachtet (vgl. dazu Kap. 10.7). Besonders in den Mittelschu-
len mit mehreren Lehrpersonen in der Klasse wäre eine Klassenkonferenz zur In-
formationsbeschaffung im Vorfeld eines Beratungsgespräches für eine Inter-
viewpartnerin ein hilfreicher erster Schritt (B1, Abs.20).
12.2.2 Erstgespräch
Alle sieben Befragten konzentrieren sich bei ressourcenorientierten Erstgesprä-
chen mit Lehrpersonen auf folgende Punkte:
• Transparenz
• Vertraulichkeit
• Wertschätzung
67
• Beratung auf Augenhöhe
Die Praxiserfahrung in der Schule und besonders im Unterricht wird von den Inter-
viewpartner*innen als große Chance bei der Beratung von Lehrpersonen gesehen.
Sie verstehen, dass sich Pädagog*innen häufig als Einzelkämpfer*innen fühlen
und wenig positive Rückmeldung erhalten. Daher versuchen sie den Lehrpersonen
mit Wohlwollen und Wertschätzung zu begegnen und bei den Qualitäten und Kom-
petenzen der zu beratenden Lehrpersonen anzusetzen. Eine Befragte bezeichnet
dieses Zugehen auf die Lehrperson als „wie die Tür aufmachen“ (B6, Abs. 14). Sie
betont, dass sie genau darauf achtet, Lehrer*innen nicht zu kontrollieren und von
oben herab zu behandeln, sondern ihnen anbietet, sie zu unterstützen und zu be-
gleiten. Schon im Erstgespräch hilft es, die Arbeit der Lehrpersonen wertzuschät-
zen und den Blick auf das zu richten, was schon gut gelingt (B3, Abs.18, 20). Ein
Interviewpartner konkretisiert diesen Punkt. Er möchte sich auf keinen Fall auf-
drängen oder einer Lehrperson das Gefühl vermitteln, ihr etwas überzustülpen
oder besser zu sein (B7, Abs.14).
Transparenz und Vertraulichkeit sind in den Interviews zwei weitere Themen in der
Beratung von Lehrpersonen durch Beratungslehrer*innen. Bereits am Anfang des
Erstgesprächs wird der Auftrag für das Beratungsgespräch beziehungsweise der
Grund, warum die Beratungslehrerin oder der Beratungslehrer zu einem Gespräch
eingeladen hat, besprochen und auf den vertraulichen Umgang mit Beratungsin-
halten hingewiesen (vgl. dazu Kap. 8.5.2).
„Also die Vertraulichkeit ist sicher oberste Priorität, sie müssen auch wissen, ich
bin dann ganz für sie da. Und eben so, wie es auch mit den Kindern ist, ich denke
mir, diese möglichst hohe Freiwilligkeit, also eher eine Art Einladung soll es sein,
zu einem beratenden Gespräch“ (B6, Abs. 38).
12.2.3 Beratungsverlauf
Vertrauen und Wertschätzung
Die Befragten sind sich einig, dass es Sinn macht, sich in Schulen durch regelmä-
ßige, verlässliche Anwesenheit das Vertrauen der Lehrpersonen zu erarbeiten.
Dadurch fällt es den Interviewpartner*innen leichter, zu den Pädagog*innen eine
68
gute Beziehung aufzubauen und ein gutes Beratungsgespräch zu führen. Lehrper-
sonen zeigen ganz viel Dankbarkeit, wenn sie sich durch positive, wertschätzende
Beratungsgespräche entlastet fühlen (B2, Abs. 52, B3, Abs. 50). Durch aktives
Zuhören, durch das Sich-Einlassen auf die zu beratende Lehrkraft, durch Geduld
und Offenheit wird das Vertrauen im Beratungsprozess gefördert (vgl. dazu Kap.
10.3).
Einer Probandin fällt auf, dass es um das Gesehen-Werden geht: „(...) eigentlich
geht es darum, dass jeder einfach gesehen werden will. Der Lehrer muss gesehen
werden, damit er auch wieder das Kind sehen will. Und wenn ich gesehen werde,
nachher wachse ich und dann ist Wachsen und Entwicklung einfach wieder mög-
lich“ (B4, Abs. 80). Die Befragte achtet daher immer darauf, nach einer oder zwei
Wochen bei der Lehrperson nachzufragen, wie es ihr geht (B4, Abs. 84). Beson-
ders in Krisensituationen und bei sehr emotionalen Beratungsgesprächen bemüht
sich eine Interviewpartnerin, mit der Lehrperson in Beziehung zu gehen, trotz Kritik
an ihrer Person oder ihrer Arbeitsweise. Sie ist sich sicher, dass es auf Dauer zur
Beruhigung der Situation beiträgt, wenn die Beziehung hält (B2, Abs.50).
Wertschätzung auszudrücken, ist ein Schwerpunkt der ressourcenorientierten Be-
ratung von Lehrpersonen (vgl. dazu auch Kap. 10.4). Wie wichtig die Wertschät-
zung von Lehrkräften in Beratungsgesprächen ist, wird von den Befragten in den
Interviews immer wieder betont. Die Befragten bemühen sich, empathisch auf die
Lehrpersonen zuzugehen, sie dort abzuholen, wo sie gerade sind, und Verständ-
nis für ihre Situation zu zeigen (B5, Abs.71, B6, Abs.36).
Ein zentraler Punkt im Beratungsgespräch ist für eine Interviewpartnerin, dass die
Lehrpersonen mit „allen ihren Schwächen und Stärken da sein können“ (B6,
Abs.16). Sie richtet den Fokus im Beratungsverlauf auf die Stärken der Lehrper-
sonen und vermittelt ihnen das Gefühl, angenommen zu werden (B6, Abs.36). Das
Annehmen kann durch die Körpersprache im Beratungsgespräch betont werden
(B5, Abs.71).
Prozessbegleitung
In der Beratung von Lehrpersonen liegt der Fokus der Befragten auf der Prozess-
begleitung. Expertisen und Fachwissen können in der Beratung berücksichtigt
69
werden. Ausgehend von den Ressourcen der Lehrperson, besteht die Aufgabe der
Befragten darin, die Lehrpersonen zu begleiten (vgl. dazu Kap. 10.2). Von den
Interviewpartner*innen wird darauf geachtet, das Gespräch gut zu strukturieren,
den Lehrpersonen Raum zu geben, mit ihren Themen und ihrem Menschsein da
zu sein und immer wieder hinzuschauen, was gut gelungen ist und was noch ver-
ändert werden kann (B6, Abs. 22, 44, 52). Die Interviewpartner*innen bemühen
sich, den systemischen Blick der Lehrer*innen zu erweitern, damit sie nicht nur
das Kind mit seinen Symptomen sehen, sondern das ganze System (B2, Abs. 36).
Eine Befragte konzentriert sich im Beratungsgespräch darauf, die Lehrperson zu
ermutigen, auch „einmal ein Stück schräger zu denken, nicht immer so in vorge-
gebenen Bahnen, dass man da auch ein bisschen ausprobieren darf“ (B6, Abs.
52).
Entlastung durch Schaffen von Möglichkeiten
Häufig liegt der Fokus der Aufmerksamkeit zu Beginn eines Beratungsgesprächs
von Seiten der Lehrperson auf dem Problem. Es ist darauf zu achten, durch kon-
sequentes Nachfragen die Aufmerksamkeit auf das eigentliche Anliegen der Lehr-
kraft zu richten. Dies ist ein wichtiger Schritt, um den Spielraum an Möglichkeiten
zu erweitern und Handlungsalternativen zu erkennen (vgl. dazu Kap. 10.3.1).
Aus allen Interviews geht hervor, dass die Befragten sich im Beratungsverlauf be-
mühen, den Lehrpersonen Entwicklung zu ermöglichen, die Zeit braucht und mög-
lichst „druckfrei und auch stressfrei“ (B6, Abs. 34) ablaufen sollte.
Eine Befragte formuliert ihr Vorgehen in der Beratung mit Lehrpersonen folgender-
maßen: „(...) dass wir einfach schauen, wie kann man da auch den Druck raus-
nehmen einmal bei ihnen selber. Das denke ich, ist ganz was Wichtiges und vor
allem auch, dass sie einmal Raum kriegen (...) wo sie dann, wenn sie sich gut
aufgehoben fühlen, schon rausrücken, wo sie noch Entwicklungspotenzial haben“
(B6, Abs. 20). Eine weitere Interviewpartnerin weist darauf hin, dass sich aus ihrer
Sicht Lehrpersonen entlastet fühlen, wenn man ihnen im Gespräch die Angst
nimmt, etwas falsch gemacht zu haben und ihnen das Gefühl vermittelt, begleitet
zu werden oder etwas abgeben zu können (B2, Abs. 36, 55, 57).
70
Kleine Schritte
Bescheidenheit von Seiten der Beratungslehrer*innen und der Blick auf die „klei-
nen Schritte“ (B2, Abs.36) im Beratungsverlauf sind ein zentrales Thema in allen
geführten Interviews. Daher möchte die Autorin diesen Punkt unterstreichen, in-
dem sie vier Interviewpartner*innen direkt zu Wort kommen lässt:
„Da denke ich mir, das ist so schade, das ist echt schade, weil die Kinder in Wahr-
heit grundmotiviert sind. Aber wenn sie nur Druck erleben (...) denke ich mir, ich
nehme immer wieder den Druck raus. Immer wieder sage ich zum Lehrer, da ge-
hen wir jetzt nicht mit und da lassen wir uns jetzt nicht von oben drücken. Und
dann machen wir halt die kleinen Schritte, ja das muss ich hunderteinmillion Mal
wiederholen, dass das auch eine Möglichkeit ist“ (B2, Abs.36).
„Also das sind dann wirklich ganz, ganz fruchtbare Gespräche, wo man sieht, da-
nach hat sich etwas verändert, weil eine klitzekleine Kleinigkeit umgestellt worden
ist. Meistens sind es wirklich Kleinigkeiten“ (B1, Abs.28).
„(...) die Lehrer halt einfach wieder dort zurückzuführen und zu sagen – schau, das
ist dein Wirkungsbereich, da kannst du was tun“ (B4, Abs.26).
„Die Erfahrung, das, was ich als Psychotherapeut oder als Beratungslehrer gelernt
habe, ist: Weniger ist mehr, Bescheidenheit und klein“ (B7, Abs. 29).
Die Interviewpartner*innen achten in der Beratung darauf, durch kleine Verhaltens-
veränderungen der Lehrpersonen und durch die Aktivierung ihrer Ressourcen
schrittweise neue Wege zu gehen, damit sie besser mit gegenwärtigen Problemen
zurechtkommen. Dadurch gewinnen die zu Beratenden mehr Selbstachtung und
ein größeres Selbstbewusstsein (vgl. dazu auch Kap. 10.3.3).
Fragen
Professionelle Beratung von Lehrpersonen verläuft nicht beliebig, sondern folgt
einer bestimmten Struktur. In der Praxis hat sich ein von Bamberger entwickeltes
Beratungssetting bewährt (vgl. dazu Kap. 10.5). Durch ressourcen- und lösungs-
orientierte Fragen werden Veränderungsmöglichkeiten herausgearbeitet und der
Fokus wird auf die Stärken und Ressourcen der Lehrpersonen gerichtet. Durch
einen Perspektivenwechsel von der Problemorientierung zur
71
Ressourcenfokussierung unterstützt der/die Berater*in die Lehrkraft, den Blick auf
ihre persönlichen Fähigkeiten und Stärken zu richten. Lösungsvisionen werden
entwickelt und positive Veränderungen werden möglich. Es wird darauf geachtet,
offene Fragen zu stellen, um die Sichtweise der Pädagog*innen zu erweitern (vgl.
dazu auch Kap. 10.9.2).
In den Beratungsgesprächen kommen bei allen Interviewpartner*innen systemi-
sche Fragen zum Einsatz. Sie werden als hilfreich empfunden, um die Lehrer*in-
nen dabei zu unterstützen, ihre eigene Expertise zu entwickeln und einen Verän-
derungsprozess zuzulassen. Häufig werden folgende Fragen im Interview ge-
nannt:
• Was hast du schon probiert?
• Was ist gut gelungen?
• Was bräuchte es noch?
(B1, Abs.28, B6 Abs.22, 32, B4, Abs.106)
Reflexion
„(...) Lehrkräfte sind ständig gefordert, den Forderungen aus Bildungs-
politik und Gesellschaft gerecht zu werden und ihr pädagogisches Han-
deln an normativen Erwartungen auszurichten. Dazu bedarf es eines
Reflexionssystems, das die professionelle pädagogische Haltung der
Pädagoginnen und Pädagogen unbedingt mit beinhaltet, denn die pro-
fessionelle pädagogische Haltung ist die Instanz, die das Kontinuum
aus Anforderungen und Einstellungen austariert und die Umsetzung in
pädagogisches Handeln ermöglicht“ (Schwer/Solzbacher 2014, S.150).
Die Entwicklung einer professionellen Lehrerpersönlichkeit ist ein kontinuierlicher
Entwicklungsprozess. Lehrpersonen werden in der Beratung dazu ermutigt, sich
zu informieren, zu reflektieren und auszuprobieren (vgl. dazu auch Kap. 10.10).
Auf das Nachdenken und die Reflexion als wichtiges Instrument in der Beratung
wird im Interview besonders von einer Interviewpartnerin genauer eingegangen.
72
Sie sieht in der Bereitschaft der Lehrperson zum gemeinsamen Reflektieren oder
zur Selbstreflexion eine große Chance im Beratungsverlauf. Sobald Selbstrefle-
xion möglich wird, ist sie im Gespräch „auf dem richtigen Weg“ (B6, Abs.26) und
unterstützt die Lehrperson bei einem möglichen Perspektivenwechsel.
„Also da wären wir ein Stück auch bei den Interventionen und Methoden, wenn
man (...) kurz was aufstellt, wie so eine Art Tischbühne – schau, was geht hier ab,
warum kommt das Kind in die Situation oder die Lehrperson auch selber“ (B6, Abs.
24).
Haltung
Wie bereits im theoretischen Teil ausgeführt wurde, ist die Haltung der Lehrperson
entscheidend für professionelles, pädagogisches Handeln (vgl. dazu auch Kap.
10.10). Die befragten Interviewpartner*innen nehmen daher in der ressourcenori-
entierten Beratung von Lehrpersonen besonders Rücksicht auf die Grundhaltung
der Lehrkräfte. Die Abkehr von einem defizitorientierten Blick auf das Kind hin zu
einer positiven Sichtweise ist ihnen ein besonderes Anliegen. Spuren zu hinterlas-
sen, positiv zur Entwicklung der Kinder beizutragen und das persönliche Engage-
ment der Lehrkräfte zu unterstützen, wird von zwei Befragten als wesentliche
Chance genannt:
„Wie gerne sie eigentlich die Kinder mögen“ (B5, Abs.71) und wie sie wissen, „um
was es geht und was da dahintersteht“ (B4, Abs.106), wird als wichtige Ressource
von Lehrpersonen beschrieben.
Eine ressourcenorientierte Grundhaltung zum Wohl des Kindes kann nur entste-
hen, wenn Lehrpersonen Selbstkompetenzen besitzen, die sie ihre eigenen
Schwächen und Stärken erkennen lassen. Eine starke Lehrerpersönlichkeit besitzt
die Möglichkeit, trotz wechselnder Anforderungen reflektiert, flexibel und selbst-
kongruent zu agieren (vgl. dazu Kap. 10.10).
12.2.4 Äußeres Setting
Ein heller, freundlicher und großzügiger Raum, in dem ein ungestörtes Beratungs-
gespräch geführt werden kann, ohne dass man unterbrochen wird, ist allen
73
Interviewpartner*innen ein großes Anliegen. Eine Befragte ergänzt, dass für sie
die Bereitstellung eines kommunikationsfördernden Beratungsraums an Schulen
mit einem „gescheiten Schild vorne dran“ (B4 Abs. 86) auf dem der Name des
Beraters/der Beraterin steht, ein Zeichen von Wertschätzung für die Beratungstä-
tigkeit ist. „Da, wo man das Positive bei einem Kind herausheben möchte, da
bräuchte es einen eigenen Raum (...), und das Konferenzzimmer ist es nicht“ (B1,
Abs.34), wird von einer Interviewpartnerin betont. Es ist auch darauf Rücksicht zu
nehmen, die Beratung nicht durch das Läuten eines Smartphones zu stören (vgl.
dazu auch Kap. 10.8).
Als einen guten zeitlichen Rahmen für ein gut strukturiertes Beratungsgespräch
wird von den Interviewpartner*innen durchschnittlich ein Zeitraum von 50 bis 60
Minuten genannt. Darin stimmen die Befragten überein. Es wird darauf geachtet,
sich bei der Terminvereinbarung flexibel nach den zeitlichen Möglichkeiten der
Lehrperson zu richten (B3, Abs.68) und bei Bedarf ein Folgegespräch anzubieten
(B5, Abs. 67, B6, Abs.42, 44).
12.3 Empfehlungen
12.3.1 Chancen der ressourcenorientierten Beratung von Lehrpersonen
Aus der Sicht der Beratungslehrer*innen ergeben sich folgende Möglichkeiten
durch ressourcenorientierte Beratung:
• Deeskalation und Beruhigung der Situation
• Stärkung und Anerkennung der Leistung der Pädagog*innen
• Haltungsänderung bei Lehrpersonen
• Blick weiten wieder hin zum Kind
Alle Befragten bieten den Lehrpersonen im Beratungsgespräch Beziehung an, um
sie im Gespräch gut begleiten zu können.
„Also erstens einmal, ich gehe einfach gerne mit Leuten in Beziehung, und das
spürst du einfach im Gespräch (...) wo du einfach merkst, jetzt hat sich was getan,
74
jetzt ist was leichter geworden, jetzt ist das Problem auf einmal nicht mehr so groß.
Also in die positive Richtung hat sich was getan“ (B4, Abs.76).
Die Lehrpersonen zu bestärken, immer wieder zu reflektieren und sich mit den
Kolleg*innen auszutauschen, wird von einer Befragten als weiterer, großer Schritt
in der Beratung genannt (B6, Abs. 46). Sie formuliert diesen Punkt im Interview
folgendermaßen: „Authentisch sein und in Austausch kommen mit den Kollegen –
also das wäre jetzt so wirklich der große, weite Schritt“ (B6, Abs.48).
Als Kernthema wird in den Interviews von allen Interviewpartner*innen ihr Bestre-
ben genannt, den Blick auf das Positive und auf die Ressourcen zu richten (B3,
Abs.72), mit dem Ziel, von einem defizitorientierten Denken in ein ressourcenori-
entiertes Handeln zu kommen (B6, Abs.46).
Das Engagement der Befragten wird in den Interviews besonders spürbar, wenn
auf die positiven Auswirkungen von Beratungsgesprächen auf den Umgang der
Lehrer*innen mit Kindern eingegangen wird. Für eine Interviewpartnerin ist ein Be-
ratungsgespräch erfolgreich, wenn die Lehrpersonen „das Kind als Ganzes sehen
[kann] und nicht nur seine Unzulänglichkeiten, sondern wirklich wieder auf das
Kind neugierig werden und auch sehen, was alles anderes da ist und dass man-
ches, was sie vielleicht als Defizite gesehen haben, vielleicht sogar Qualitäten sein
können“ (B6, Abs.32).
Sie geht im Gespräch auf dieses Thema noch einmal ein. Wenn es ihr gelingt,
dass Lehrpersonen „dieses Wohlwollen dem Kind wieder entgegenbringen, dann
schafft das Kind so viel mehr, weil Kinder sind so gspürig, wie man ihnen begegnet.
Und wenn das wieder möglich ist, dann tut sich bei dem Kind viel, plötzlich fallen
Blockaden (...) das ist echt so schön mit anzuschauen, wenn man auch sieht, wie
da wieder so eine Beziehung da ist (B6, Abs.52).
In pädagogischen Arbeitsfeldern ist die Beziehung zwischen der Lehrkraft und
dem/der Schüler*in ausschlaggebend für eine qualitativ hochwertige Arbeit (vgl.
dazu auch 9.3). Eine beziehungs-und stärkenorientierte Lehrer*innen-Schüler*in-
nen-Beziehung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für gelingendes Lernen
in der Schule (B2, Abs.26).
75
12.3.2 Empfehlungen für die Beratungspraxis
Im Laufe der geführten Interviews haben alle Befragten darauf Bezug genommen,
was ihnen in ihrer praktischen Tätigkeit und ihrer Rolle als Beratungslehrer*in ein
Anliegen ist. Daher ist es der Autorin wichtig, die Beratungslehrer*innen auch in
diesem Punkt kurz zu Wort kommen zu lassen:
„Für mich wäre einmal die Grundvoraussetzung gerade im Schulsystem, dass die-
jenigen, die uns lenken und einsetzen, einmal ein Verständnis kriegen, was Bera-
tung überhaupt ist. Weil die selber das ja auch nicht wissen und kennen. Und wie
sollen die das weitertransportieren, dass das was Positives und was Unterstützen-
des ist, wenn sie das selber noch gar nicht so gecheckt haben, wie unsere Arbeit
eigentlich ausschaut“ (B4, Abs.68).
„Wir sind nicht messbar. Und trotzdem denke ich mir immer wieder, wie gut es vor
allem auch den Lehrpersonen tut, dass die einen Austausch haben. Dass sie es
einfach einmal mit jemand Zweiten besprechen können, das nimmt schon ganz
viel weg von der Belastung“ (B2, Abs.48).
„Für die Beratungslehrerpraxis? Ja, Empfehlungen sind einfach, ich denke mir, die
kleinen Schritte zu sehen und ganz fest den Blick auf das, was schon funktioniert
und auch auf die Ressourcen von den Leuten und auf die Ressourcen vom ganzen
System“ (B3, Abs.70).
„Ich tu das eigentlich schon wirklich gerne. Da ist schon immer noch eine große
Freude dabei. Auch so Prozesse in die Gänge zu bringen. Egal ob jetzt bei Lehrern
oder Schülern, Kindern, Jugendlichen, bei Direktoren, bei Eltern, das finde ich total
spannend, und was dahintersteckt ist sicher, dass ich was Sinnstiftendes mache.
Da stehe ich auch mit meinem eigenen Menschsein ganz dahinter. Es macht ein-
fach einen Sinn und das ist (...) einfach ein Geschenk, dass man so das System
Schule ein Stück mitgestalten kann“ (B6, Abs.52).
Abbildung 111: Schildkröte der Weisheit stilisiert, Quelle: in Anleh-nung an: https://pixabay.com/de/illustrations/schildkröte-tribal-de-
sign-symbol-948263/
Abbildung 112: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-gecko-leguan-antike-tier-152684/Abbildung 113: Schildkröte der Weisheit stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/illustrations/schild-
kröte-tribal-design-symbol-948263/
76
13 Resümee
13.1 Zu den Forschungsfragen
Das Ausgangsanliegen der Arbeit war es herauszufinden, welche Herausforderun-
gen und Chancen eine professionelle, kompetente Beratung von Lehrpersonen
durch Beratungslehrer*innen bietet. Das führte zu zwei wesentlichen Forschungs-
fragen:
• Was sind die Herausforderungen in der ressourcenorientierten Beratung
von Lehrpersonen durch Beratungslehrer*innen?
• Was sind die Chancen in der ressourcenorientierten Beratung von Lehr-
personen durch Beratungslehrer*innen?
Der Lehrberuf ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die viel Professionalität erfordert.
Miller bezeichnet den Lehrberuf als einen Beruf, der neben Fachwissen Bezie-
hungs- und Selbstkompetenz erfordert (vgl. Miller 2006, S.10). Um den Anforde-
rungen der Gegenwart im Lehrberuf gerecht zu werden, stellt die ressourcenori-
entierte Beratung von Lehrkräften ein effektives und bedarfsorientiertes Angebot
an Schulen dar (vgl. Bundesministerium für Bildung und Frauen 2016, S. 7). Lehr-
kräfte haben die Möglichkeit, professionell ausgebildete Beratungslehrpersonen
im Bedarfsfall anzufordern und Beratung und Unterstützung anzunehmen.
„Ressourcenorientierte psychosoziale Beratung wird somit eine profes-
sionelle Unterstützungsleistung, die in einem gemeinsamen Prozess
der Orientierung, Planung, Entscheidung und Handlung versucht, bio-
psycho-soziale Ressourcen von Personen und sozialökonomische und
ökonomische Ressourcen von Umweltsystemen [...] zu entdecken, zu
fördern, zu erhalten und aufeinander zu beziehen. Ziel ressourcenori-
entierter Beratung ist es, Entfaltung [...] zu ermöglichen, selbstbestimm-
tes und selbstkontrolliertes Gestalten von Alltag und Leben, die Bear-
beitung ihrer Anforderungen und die Nutzung ihrer Entwicklungschan-
cen zu sichern sowie Belastungen und Krisen zu verhindern, möglichst
früh anzugehen sowie deren Folgen für Personen und Systeme kon-
struktiv zu bewältigen“ (Sickendiek et al. 2008, S. 217).
77
Ein zentraler Ansatz der ressourcenorientierten Beratung von Lehrpersonen durch
Beratungslehrer*innen sind somit die Wahrnehmung, Aktivierung und Stärkung
von personellen und Umweltressourcen, mit dem Ziel, Lehrpersonen bei einer ge-
lingenden und erfolgreichen Bewältigung ihrer Anforderungen bestmöglich zu un-
terstützen. Ressourcenorientierung bedeutet für die Beratung an Schulen, mit den
Themen zu beginnen, die hier und jetzt vorhanden sind. Kleine Schritte zu gehen
und individuelle Lösungen zu erarbeiten, kann zu weitreichenden Veränderungen
in der Wahrnehmung und Haltung von Lehrpersonen führen.
Aus den geführten Befragungen geht hervor, dass die interviewten Beratungsleh-
rer*innen ein grundlegendes Anliegen im gesamten Beratungsprozess nicht aus
den Augen verlieren – den Blick der Lehrpersonen weiten wieder hin zum Kind.
Was Kinder brauchen, sind Lehrpersonen, die sich Zeit nehmen und die Kinder so
akzeptieren, wie sie im Moment sind. Eine wohlwollende, positive Beziehung zwi-
schen Lehrer*innen und Schüler*innen ist eine der wichtigsten Voraussetzungen
für gelingendes Lernen in der Schule (vgl. B2, Abs. 26).
Dabei sind Beratungslehrer*innen mit drei großen Herausforderungen konfrontiert:
• Lehrpersonen haben Angst, eine Beratung anzunehmen, um nicht beurteilt und
mit ihren möglichen Fehlern konfrontiert zu werden.
• Beratungslehrer*innen sollen das Problem oder das Kind übernehmen und für
eine schnelle Lösung und eine rasche Veränderung sorgen.
• Der berufliche und private Stress und die Überforderung der Lehrpersonen
werden auf die Beratungslehrer*innen projiziert.
Die Befragten haben in ihrer langjährigen Beratertätigkeit Ideen entwickelt, wie Be-
ratung gut gelingen kann. Ein professionelles Beratungsgespräch verläuft nicht
beliebig, es beinhaltet neben einer strukturierten Abfolge von Schritten eine krea-
tive Prozessgestaltung. Als das zentrale Medium von Beratung wird das geführte
Gespräch mit dem Aufbau von Beziehung genannt. Unter der Beziehung zwischen
Lehrperson und Berater*in wird dabei die Gestaltung des interaktiven und emotio-
nalen wechselseitigen Geschehens im Beratungsprozess verstanden (vgl. Schu-
bert et al. 2019, S.146). Ergänzend gehört für die Beratungslehrer*innen eine ge-
naue Ziel- und Auftragsklärung zu einem gelingenden Beratungsprozess dazu.
78
Die Chancen in der ressourcenorientierten Beratung von Lehrpersonen durch Be-
ratungslehrer*innen lassen sich am besten anhand des von Bamberger entwickel-
ten Phasenmodells zusammenfassen (vgl. Kap. 10.5):
1. Synchronisation
Die Lehrpersonen erhalten die Möglichkeit anzukommen. Die Beratungslehrer*in-
nen begegnen den Pädagog*innen wertschätzend und erkennen ihre Leistungen
an. Sie laden sie zum vertraulichen Gespräch ein und achten auf ein positives
Gesprächsklima. Lehrpersonen wollen gesehen werden und zeigen viel Dankbar-
keit, wenn sie sich durch ein Beratungsgespräch entlastet fühlen.
2. Lösungsvision
Durch Ressourcenfokussierung, besonders durch ressourcenorientierte Fragen,
unterstützen die Beratungslehrer*innen die Lehrpersonen, von einem defizitorien-
tierten Denken in ein ressourcenorientiertes Handeln zu kommen.
3. Lösungsverschiebung
Die Beratungslehrer*innen bemühen sich in der Prozessbegleitung, den Lehrper-
sonen Raum zu geben und sie zu motivieren, Lösungsideen zu entwickeln und zu
konkretisieren. Dabei ist es wichtig, achtsam mit den kleinen Schritten im Bera-
tungsprozess umzugehen. Ressourcenorientierung bedeutet in diesem Kontext,
hier und jetzt einmal mit dem zu starten, was zur Verfügung steht.
4. Lösungsevaluation und Lösungssicherung
Der Blick wird im Beratungsgespräch auf das Positive und auf die Ressourcen
gerichtet. Im Fokus des Beratungsprozesses steht die ressourcen- und stärkenori-
entierte Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung. Beratungslehrer*innen unterstüt-
zen Lehrpersonen dabei, eine professionelle pädagogische Haltung zu entwickeln,
ihre Stärken und Schwächen zu erkennen und das Wohl der Kinder in den Mittel-
punkt ihrer Aufmerksamkeit zu stellen. Eigenschaften wie Selbstreflexion und Em-
pathiefähigkeit gehören in der Beratung selbstverständlich dazu. Die ressourcen-
orientierte Grundhaltung von Lehrpersonen ist entscheidend für einen Richtungs-
wechsel im Umgang mit Schülerinnen und Schülern. Ein positiver Blick auf Kinder
79
mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen und die Orientierung an ihren Stärken wird
durch eine gelungene Beratung in das Blickfeld der Pädagog*innen gerückt.
„[...] wir orientieren uns erst einmal an der Freude und Leidenschaft der Kinder wie
der Lehrer und garantieren außerdem, dass die Kinder in zehn Jahren trotzdem
das gelernt haben werden, was sie lernen müssen“ (Juul 2013, S.165).
Professionelle, ressourcenorientierte Beratung von Lehrpersonen durch Bera-
tungslehrer*innen wird im pädagogischen Bereich erfolgreich angeboten, ist aber
noch nicht als selbstverständliches Angebot an Schulen etabliert. Dabei ist es
zwingend notwendig, durch zeitgemäße Rahmenbedingungen Lehrpersonen in ih-
rer pädagogischen Arbeit bestmöglich zu unterstützen und die Professionalität und
die berufliche Zufriedenheit von Lehrpersonen zu erhöhen.
Abbildung 159: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-gecko-leguan-antike-tier-152684/
Abbildung 160: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-gecko-leguan-antike-tier-152684/
Abbildung 161: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-
80
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