Rio de Janiero Immobilien Glaser Wielend

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  • 5/28/2018 Rio de Janiero Immobilien Glaser Wielend

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    RIO DE JANIERO

    Wenn Ausblicke tten knnten

    Rio war eine bettelarme Stadt. Heute kann man dort sehr reichwerden. Zwei Glckssucher werden zu Gegnern. Am Endekmpfen beide ums berleben.VON Marian Blasberg| 25. Juli 2013 - 08:00 Uhr

    Eudes de Santana

    Arbeiter in der Favela, unter ihnen Rio

    Wahrscheinlich gibt es in der Welt nicht viele Ausblicke, die einem so den Atem rauben

    wie jener von der Terrasse des Hauses Rua Armando de Almeida Lima 2 in der Favela

    Vidigal, Rio de Janeiro . Wenn man dort steht, am hchsten Punkt, gleitet der Blick

    ber die Huserschluchten der reichen Strandviertel, ber Ipanema und Leblon, er streiftlandeinwrts die Lagune und wandert hinaus aufs offene Meer. Am spten Nachmittag,

    wenn die Sonne in die Bucht von Guanabara taucht, zeichnen sich im Dunst die Umrisse

    der Hgelketten ab, und man sieht den Zuckerhut. Die Welt liegt unter einem, als wre sie

    ein Paradies.

    Es ist ein Blick wie ein Gemlde. Es gibt Menschen, die ein Vermgen in ihn investieren,

    weil er sie magisch anzieht oder weil sie darauf spekulieren, dass es andere gibt, denen

    er noch viel mehr wert ist. Es ist ein Ausblick, so erhaben und so schn, dass er in den

    Menschen, die sich um ihn streiten, das Hssliche zutage frdert. Er raubt ihnen den

    Verstand.

    "Das ist doch alles vllig krank", sagt der sterreicher Andreas Wielend an einem

    Nachmittag im letzten Dezember an einer Strandbaracke in Ipanema. Wielend ist der

    Besitzer jenes Grundstcks in der Armando de Almeida Lima, ein Surfertyp Mitte dreiig

    mit ttowierter Haut unter dem Muskelshirt. Vor drei Jahren hatte er die Immobilie von

    einem deutschen Millionr erworben. Er hat ein Hostel draus gemacht; die Partys, die

    er dort veranstaltete , galten als die angesagtesten der Stadt, aber jetzt ist er da in was

    hineingeraten, das ihm "den Arsch auf Grundeis" gehen lsst.

    Im September war Wielend in sterreich. Er wollte paragliden und den kranken Vater

    sehen, als er beim ffnen seines Facebook-Profils pltzlich die Welt nicht mehr verstand.

    Ein Freund schrieb ihm, dass der deutsche Vorbesitzer, ein Berliner Geschftsmann, der

    rund vierzig Immobilien im Vidigal besitzt, in der Abenddmmerung mit einer bewaffneten

    Privatmiliz sein Grundstck angegriffen habe. "Er hat deine Gste rausgeschmissen",

    schrieb er, "er hat die Schlsser ausgetauscht. Er hlt das Haus besetzt. Ich denke, da hast

    du ne Baustelle."

    "Waaaaaas???", schrieb Wielend ihm zurck.

    http://www.zeit.de/schlagworte/orte/rio-de-janeiro/indexhttp://www.timeout.com.br/rio-de-janeiro/en/nightclubs/features/189/andreas-wielend-casa-alto-vidigalhttp://www.timeout.com.br/rio-de-janeiro/en/nightclubs/features/189/andreas-wielend-casa-alto-vidigalhttp://www.guardian.co.uk/world/2013/jan/23/rio-favela-real-estatehttp://www.zeit.de/schlagworte/orte/rio-de-janeiro/index
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    Es war ein Einmarsch, schrieb die brasilianische Tageszeitung Globo , "wie der von Hitler

    1938 in sterreich"; der vorlufige Hhepunkt in einem neuen, sonderbaren Krieg, der seit

    einiger Zeit auf den Armenhgeln von Rio de Janeiro tobt, aber im Gegensatz zu frher

    bekmpfen sich dort keine Drogenbanden mehr, sondern Deutsche, sterreicher, reiche

    Brasilianer. Der Stoff, um den es geht, ist jetzt Beton.

    Rio de Janeiro erlebt eine Zeitenwende. Die Stadt hat angefangen, ihre knapp tausend

    Favelas aus dem Griff der Drogenmafia zu befreien . Viele dieser Orte, vor allem in der

    Sdzone der Stadt, rund um die Touristenstrnde, gelten nun als sicher. Jetzt ziehen sie

    Immobilienspekulanten aus der ganzen Welt an, Abenteurer auf der Suche nach der Rendite

    ihres Lebens. "Der Vidigal", sagt Wielend, "ist heute ein riesiges Kasino."

    So schnell es ging, flog er zurck nach Rio. Er schrieb Mails und sprach am Telefon mit

    Nachbarn, die ihm sagten, dass sich der Deutsche wieder hufiger im Hgel blicken lasse;er habe Leute bei sich, sagten sie, die Waffen trgen, und er mache Druck, dass sie ihm

    ihre Huser berschreiben. Es klang unheimlich. Als Wielend in den Vidigal fuhr, um sich

    ein eigenes Bild zu machen, drngte ihn ein Mototaxifahrer an den Straenrand. Der Mann

    beugte sich vor und raunte, der Deutsche habe ihm Geld geboten, falls er ihn umlege. Er

    machte eine Pause, und dann erklrte er, dass auch der Deutsche sterben knnte, wenn

    Wielend etwas drauflege.

    Wielend hebt die Schultern.

    http://www.zeit.de/2013/13/Favelas-Rio-de-Janierohttp://oglobo.globo.com/rio/disputa-europeia-no-alto-do-vidigal-6234217
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    Eudes de Santana

    Die Treppe zu Wielends Hostel in der Favela

    "Keine Ahnung, ob das nur ein schlechter Witz war, aber nach dem Angriff auf mein Haus

    traue ich ihm alles zu."

    Wielend taucht in diesem Winter unter. Er schlft bei Freunden auf dem Sofa, mal hier, mal

    dort, um ein bewegliches Ziel zu bleiben. "Ich lebe wie eine Ratte", sagt er. Er verzweifelt

    langsam. Er hat einen Anwalt, aber er wei nicht, wie er ihn bezahlen soll, weil er seit

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    Monaten nichts verdient hat. Er hat gehrt, dass Leute Fernseher und Khlschrnke

    von seinem Grundstck schaffen, Teile seines Soundsystems. Alles ist noch oben, seine

    Kleidung, Fotos, all seine Ersparnisse stecken in dem Haus. "Dieses Haus", sagt Wielend,

    "ist mein verdammtes Baby."

    Immer wieder blinzelt er hinber zum Ende der Bucht, wandert mit den Augen ber den

    Hgel, hlt ganz oben inne. "Schon komisch", sagt er. "So nah und doch so fern."

    Eudes de Santana

    Andreas Wielend glaubte sich im Paradies.

    Als er das erste Mal in den Vidigal kam, war Wielend an einem Punkt in seinem Leben,

    an dem er offen war fr etwas Neues. Jahrelang war er von einem Projekt ins nchste

    geschlittert, aber fast alles war irgendwann gegen die Wand gefahren. Nach seinem

    Studium der Elektrotechnik hatte er in Mnchen eine Firma aufgemacht, die fr Siemens

    ein Gert testete, das es mglich machen sollte, knftig mit dem Fernseher ins Internet zu

    gehen. Als sich abzeichnete, dass diese Technik keine Chance haben wrde, verkaufte er

    die Firma, nahm das Geld und ging auf Weltreise. Auf Hawaii lernte er einen Amerikaner

    kennen, dem er nach Los Angeles folgte, um dort einen Horrorfilm zu produzieren, ein

    Trashprojekt, dem irgendwann das Geld ausging. Wielend zog weiter nach Rio. Monate

    verbrachte er auf seinem Surfbrett, in den Nchten zog er um die Huser, und seinen

    Rausch schlief er nicht selten erst am Nachmittag in einem Liegestuhl am Strand aus.Europa, sagt er, sei ihm zu anstrengend geworden, zu brokratisch, zu schwermtig mit

    seinen langen dunklen Wintern.

    Es ist ein Menschenschlag, den man an vielen Strnden sdlich des quators trifft.

    berlebensknstler, deren Prioritten sich mit der Zeit verschoben haben. Die ihr Sparbuch

    auf den Kopf hauen, ein Erbe oder eine Rente, so wie Ronald Schill, der frhere Hamburger

    Justizsenator, der wie so viele Europer jetzt in einer Favela lebt, weil er sich, wie Wielend

    sagt, die Miete in Copacabana nicht mehr leisten konnte.

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    Auch Wielend selbst zahlte am Ende mehr als 1.000 Euro fr ein WG-Zimmer. Er war

    fast pleite, als ihn 2009 ein Freund zum ersten Mal in den Vidigal mitnahm. Es hatte sich

    herumgesprochen unter den Auslndern in Rio, dass es dort einen reichen Deutschen gab,

    der ein paar Huser loswerden wollte. Wielend und sein Freund kamen zu Fu. Sie folgten

    der Hauptstrae, die sich in den Hang hineinschlngelt, durch Gassen, vorbei an offenen

    Fenstern, hinter denen Leute vor der Glotze hingen, ber Treppen, Stufen, Hundekacke,

    ehe sie am hchsten Punkt des Hgels einen kleinen Platz erreichten, in dessen Mitte ein

    alter Baum mit einem kleinen Kiosk stand. Daneben eine Mauer mit einem Tor. Wielend

    schlpfte hindurch, und pltzlich fand er sich auf einer Terrasse wieder, die zu einem

    schiefen Haus aus rohen Backsteinen gehrte. Aus den Fugen kroch das Unkraut; im Staub

    lagen Spritzen und verrottete Kondome, aber Wielend dachte: Dieser Blick, der haut dich

    um.

    Er sah einen Ort, der Mglichkeiten barg. Er wischt ber sein Smartphone, in dem er ein

    Foto aufbewahrt vom Tag, als er mit dem Deutschen den Vertrag geschlossen hat. Wielend

    trgt darauf ein Hemd, der Verkufer trgt eine goldene Kette auf der nackten Brust. Sie

    geben sich die Hand. Mach was draus, habe der Deutsche zu Wielend gesagt. Aber mach's

    besser als ich.

    7.000 Euro zahlte Wielend ihm, das war alles, was er noch besa. In seinem Handy hat er

    auch eine Vertragskopie sowie einen eingescannten Kontoauszug, der belegt, dass er die

    Summe berwiesen hat, auf ein Konto, das bei der Berliner Sparkasse auf Rolf Rdiger

    Glaser eingetragen ist, den Namen des Verkufers. Verwendungszweck:House Sale Rua

    Armando de Almeida Lima 2.

    Wenig spter, im Frhjahr 2010, schleppte Wielend die erste Matratze in den Vidigal. Er

    stellte einen Bottich auf das Dach, in dem er Wasser sammelte, und zapfte die Stromleitung

    in der Strae an. "Ich kam mir vor wie Robinson Crusoe", sagt er. Er erfuhr, dass seine

    Nachbarn den Baum vor seinem Haus manchmal benutzten, um Leute an ihm aufzuhngen,

    dass ihnen sein Grundstck ab und an als Exekutionsplatz diente. Manchmal, sagt Wielend,

    sei er aus dem Schlaf geschreckt, wenn sie mit ihren Waffen an seinem Tor vorbeigelaufen

    seien. Das sind ganz normale junge Leute, sagte er sich, um sich zu beruhigen, ungebildet,

    sicher, aber wenn sie ber Tag nett sind, warum sollen sie dann nachts was tun?

    Seine Nachbarn damals, in den ersten Monaten, waren die Drogenbosse, die den Vidigal

    seit Jahren kontrollierten, als wre er ihr eigener Staat. Sie wachten ber den Strom, das

    Gas, das Internet, ber das Schicksal von 40.000 Menschen. Sie trieben Steuern ein und

    verteilten Almosen. Der Vidigal, das lernte Wielend schnell, war wie eine mittelalterliche

    Burg. Eine Festung, von Scharfschtzen verteidigt, die nicht lange zgerten, wenn die

    Polizei anrckte.

    Alles, was sie forderten, war Loyalitt.

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    Wielend arrangierte sich. Die Tren, Mbel und Zementscke trug er selbst die Treppen

    hoch, damit sie nicht auf den Gedanken kamen, dass bei ihm etwas zu holen sei. Er ging

    in kleinen Schritten vor. "Low profile",sagt er. Kein Problem, sagten die Nachbarn, als

    er sie fragte, ob er ein paar Zimmer herrichten drfe, um sie an Touristen zu vermieten.

    Kein Problem, sagten sie spter, er knne an Silvester eine Party machen. Sie wrden dafr

    sorgen, dass die Motorradtaxifahrer seine Gste sicher auf den Hgel bringen.

    ber dem Eingang montierte er ein Surfbrett. Darauf schrieb er mit einer Spraydose "Casa

    Alto Vidigal".

    400 Leute, die Wielend ber Facebook informiert hatte, kamen an Silvester, sie tanzten

    bis in den Morgen. Auch Glaser war dabei. Wielend sah ihn an der Bar, wo er mit seinen

    Nachbarn Whisky trank. Es war etwas Neues. Ein Fest an einem verbotenen Ort, zu dem

    Auslnder und Brasilianer aus der Mittelschicht normalerweise keinen Zugang hatten."Was fr ein Kick", sagt Wielend.

    Er hatte jetzt wieder ein Projekt. Regelmig machte er nun solche Partys, und was

    er verdiente, steckte er in neue Stockbetten. Als Hausmeister stellte er einen jungen

    Deutschen an, Andr, einen Grafiker, der seinerseits Leon mitbrachte, der im Mnchner

    P1 Eventmanager gelernt hatte und sich nun um die Bar des Hostels kmmern sollte. Die

    Sache wuchs, der Wert des Hauses stieg. Doch der eigentliche Schub kam erst, als die

    Polizei die Festung strmte. 2014 werden einige Spiele der Fuballweltmeisterschaft in

    Rio stattfinden, zwei Jahre spter die Olympischen Spiele. Bis dahin muss die Stadt eine

    Lsung fr ihr Sicherheitsproblem finden .

    Nach und nach haben nun neu gegrndete Spezialeinheiten damit begonnen, die

    Drogenbanden aus den Favelas zu vertreiben. Vor allem auf den Hgeln rund um die

    Touristenstrnde errichten sie nun feste Polizeistationen. Sie weihen Schulen ein und

    Sanittsstationen. Sie werben bei den Bewohnern um Vertrauen fr einen Staat, der sich

    ber Jahre nicht um sie gekmmert hat. Als sie am Morgen des 13. November 2011 mit

    Hubschraubern und Panzern im Vidigal einrckten, schickten Wielends Nachbarn einen

    letzten Gru: Bevor sie untertauchten, gossen sie tonnenweise Speisel auf den Asphalt,

    und hinter den Fenster lachten die Leute ber Polizisten, die sich kaum auf den Beinen

    halten konnten.

    http://www.zeit.de/sport/2010-12/rio-wm-2014-drogen-fussballhttp://www.zeit.de/2010/47/Rio-Favela-Dona-Martahttp://www.zeit.de/sport/2010-12/rio-wm-2014-drogen-fussballhttp://www.zeit.de/sport/2010-12/rio-wm-2014-drogen-fussball
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    Eudes de Santana

    Das Meer, von Rio aus gesehen: Ein Anblick, der die Leute verrckt macht.

    Es ist ein groes, teures Experiment, das die Stadt begonnen hat, und es gibt viele, die ein

    Interesse daran haben, dass es gut ausgeht. In der Zeitung war zu lesen, dass Coca-Cola die

    Befriedungspolizei mit Spenden untersttzt. Der reichste Brasilianer, Eike Batista, Besitzer

    von Immobilien- und Baufirmen, stellte weitere Millionen bereit. Sie alle profitieren, wenn

    in den Favelas ein neuer Markt entsteht. Und auch die neue Mittelschicht hat Interesse an

    den Favelas. In Rio ist der Wohnraum so knapp, dass die Huser fast ins Meer kippen, die

    Mieten haben sich verdoppelt, die Kaufpreise zum Teil vervierfacht. Eine Befriedung der

    Favelas wre eine Entlastung: Wenn sie sich ffnen, kann die Stadt innerhalb ihrer eigenen

    Grenzen wachsen.

    "Die Spekulation ist unsere neue Realitt", sagt Marcelo da Silva, der Prsident der

    Nachbarschaftsorganisation im Vidigal. Allein in den ersten 72 Stunden nach einer

    Befriedung, haben Analysten errechnet, stiegen die Immobilienpreise um 50 Prozent.

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    Eudes de Santana

    Der brasilianische Stararchitekt Hlio Pellegrino baut in der Favela ein Hotel.

    In Wielends Nachbarschaft wohnen jetzt Leute wie Jorge Nasi, der in Paris ein Sterne-

    Restaurant betreibt. Ein anderer Nachbar, ein Mann namens Josu, hat krzlich seine

    Htte fr 80.000 Euro an einen Anwalt aus So Paulo losgeschlagen. Der berhmte

    Architekt Hlio Pellegrino baut in der Armando de Almeida Lima eine Luxusherberge, mit

    Swimmingpool auf dem Dach. Vor Kurzem hat die erste Immobilienagentur im Vidigal

    erffnet, es gibt jetzt Geldautomaten und ein Sushi-Restaurant, und man erzhlt sich auf

    http://www.hpellegrino.com/
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    den Straen, dass sogar Brangelina nach was suchen. Natrlich ist das nur ein Gercht,

    aber es zeigt eine Stimmung, in der pltzlich alles mglich ist. "Die fetten Jahre brechen

    gerade an", sagt Wielend, der kurz vor seinem Trip nach sterreich ein Angebot fr das

    Haus ausgeschlagen hatte. 250.000 Euro bot ihm der Mann. "Vielleicht", sagt er, "htte ich

    besser zugesagt."

    Rolf Glaser war damals der Erste, der auf den Vidigal gesetzt hat. Das Hotel von

    Pellegrino, die Huser von Jorge Nasi und Josu, das alles gehrte einmal ihm. An einem

    Morgen kurz vor Weihnachten zwngt er sich auf die Rckbank eines vollgestopften

    Busses und macht sich auf den Weg zum Vidigal, wo er nun wieder wohnt. Glaser trgt

    Flip-Flops, ein aufgeknpftes rosa Hemd und Bermudas. Er sagt, er sei 53, aber in der

    Prozessakte des Eilverfahrens, das Wielends Anwalt dieser Tage angestrengt hat, um das

    Haus zurckzubekommen, wird sein Alter mit 65 angegeben.

    Glaser blickt hinaus aufs Meer.

    "Dieser Wielend", sagt er, "ist ein kleiner krimineller Fisch. Der tuscht sich, wenn er

    glaubt, das Haus sei seins. Da wird bald richtig etwas hochgehen. Ich hole mir das alles

    wieder."

    Glaser hlt kurz inne. "Rolf is back",raunt er.

    Wenig spter schliet er auf halber Hhe des Vidigals die Pforte zu einem wilden Garten

    auf, der fast bis zum Meer hinunterreicht. Eine Villa mit Panoramafenstern, dahinter

    ein Teleskop. Es ist auf Wielends Haus gerichtet, aber Glaser sagt, er beobachte nur den

    Saturn. Vor der Garage stehen Andr und Leon, Wielends ehemalige Angestellte, und

    rauchen eine Zigarette. Nach der Invasion hat Glaser sie gefragt, ob sie ihm nicht helfen

    wollten, das Grundstck seiner eigenen Villa zu einer Eventlocation auszubauen, und da sie

    nicht wussten, wie es oben weitergehen wrde, sagten sie zu. Wielend spricht seitdem nicht

    mehr mit ihnen. Fr ihn sind sie "Verrter", die glauben, dass sie bei Glaser mehr verdienen

    knnen.

    Fr den 29. Dezember 2012 planen sie die erste groe Party. Elektronische Musik,

    bekannte DJs. "Wir sind ja konkurrenzlos", sagt Leon, den Glaser als "konom aus

    Mnchen" vorstellt. Glaser baut sich vor ihnen auf, er zieht aus einer Kladde ein paar Fotos

    und reicht sie herum.

    "Hier", sagt er, "Bambusliegen. Kommen nchste Woche aus Kolumbien. Hier.

    Doppelliegen. Tische. Brcken. Alles aus bamboo."

    Dann fischt er ein Bild heraus, das ihn mit zwei Bikinischnheiten zeigt.

    "Meine Tchter", sagt er.

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    "Klar", sagt Leon mit breitem Grinsen. "War schn neulich am Beach mit deinen

    Tchtern."

    In Wahrheit hat Glaser eine Tochter, die zurzeit bei den UN ein Praktikum absolviert. IhreMutter, eine Brasilianerin, die frher als Stewardess fr die Lufthansa geflogen ist, lebt

    in Miami. Letztes Jahr hat sie sich scheiden lassen. Sie sind sich fremd geworden, nicht

    zuletzt wegen dieses Projekts im Vidigal, das Glaser irgendwann ber den Kopf gewachsen

    ist.

    Was er plante, klang 2006 wie ein irrer Traum. Er wollte aus dem Drogenhgel ein

    Montmartre machen, ein Knstlerviertel, fr Touristen und die stdtische Boheme. Glaser

    tritt in die Garage, wo er noch immer eine Art Modelleisenbahnplatte aufbewahrt. Darauf

    zeigt er, wo einmal die Hotels und Restaurants entstehen sollten, das Museum, das die

    Geschichte der Favela aufarbeitet. Er wollte Schulen bauen, er dachte an Radiosender,Mikrokredite, Sprachkurse.

    "Ich wollte, dass die Kinder sehen, dass es andere Karrieren gibt als Drogendealer",

    sagt Glaser. "Brasilien ging ja damals durch die Decke, und im Hgel schlummerte ein

    Potenzial. Ich hab das hochgerechnet: Wenn ich den Leuten etwas an die Hand gebe, dann

    mache ich in kurzer Zeit Profit."

    Er zerrt eine Plane ber das Modell.

    "Is erst mal frn Arsch", sagt er.

    Sergio Moraes/Reuters

    Rolf Glaser im Vidigal in Rio de Janiero (Archivfoto von 2009)

    Es war eine Idee, die sich in Glasers Vita fgte. Schon immer hatte er ein Gespr fr Orte,

    die im Aufbruch waren. Seine Eltern hatten in West-Berlin ein Textilgeschft. Nach der

    Banklehre lieh Glaser sich von ihnen Geld und erffnete ein Schmuckgeschft. Spter

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    kamen Pfandhuser hinzu und eins der grten Geldwechselbros Europas, Kudamm,

    Ecke Joachimsthaler Strae.

    Er flog mit der Concorde nach Rio, erzhlt er. Er besorgte einem angolanischen Vier-Sterne-General 20 Mercedes, einer ghanaischen Prsidentengattin einen Rolls-Royce. Er

    hatte einen Geldwscheprozess am Hals, und in Johannesburg traf er Nelson Mandela.

    Es war, als gbe es fr Glaser keine Grenzen, aber eigentlich suchte er, wie Wielend, nur

    nach einem Ort, an dem er auf seine Weise existieren konnte. Er hatte Sehnsucht nach dem

    Meer.

    Anfang der Neunziger zog er mit der Familie nach Miami. Er hatte ausgesorgt und wollte

    runterkommen, doch dann geriet er, wie er sagt, mitten in die Wendejahre von South

    Beach, einem Viertel "voll mit Juden und Kubanern, Obdachlosen, die auf den Tod

    gewartet haben, aber irgendwie", sagt er, "hatte das Leben". Man musste nur was darausmachen. Er kaufte billige Grundstcke, die er zu Luxusimmobilien entwickelte. Es war

    eine Welle aus gnstigen Krediten, und Glaser surfte sie so lange, bis er ahnte, dass sie

    kollabieren wrde. Zwei Jahre vor der groen Bankenkrise sprang er ab. Er wusste, dass es

    ein neues South Beach brauchte, neue Wendejahre, eine neue Grauzone, die die Renditen in

    die Hhe treibt, und er glaubte, sie im Vidigal gefunden zu haben.

    Immer wieder fuhr er mit dem Motorrad in den Hgel. Er lie sich zu den Drogenbossen

    bringen und erklrte ihnen, dass er Huser kaufen wollte, um sie zu Hotels und Schulen zu

    entwickeln. Sie schienen nichts dagegen zu haben. Um zu zeigen, dass es ihm ernst war,

    schenkte Glaser der Community einen Krankenwagen, den er fr 60.000 Dollar in Miamigekauft hatte, und tausend neue Mlleimer.

    Glaser war nicht allein. Er hatte eine rechte Hand, einen pummeligen jungen Mann, der

    in dieser Geschichte Roberto genannt werden soll. Von ihm erzhlt man sich im Vidigal,

    dass er mal Auftragskiller gewesen sei. Als Glaser nach einem Motorradunfall einige Tage

    im Krankenhaus war, wich er nicht von seiner Seite. Glaser vertraute ihm. Er brauchte

    jemanden, der die Sprache der Leute sprach.

    Das erste Haus, das sie an Land zogen, war das in der Armando de Almeida Lima. Dona

    Julia, die Dame, die es in den Achtzigern gebaut hatte, erzhlte ihnen, dass sie frohsei, endlich wegziehen zu knnen, zu viele Schieereien. 6.000 Euro zahlte Glaser ihr,

    das Fnffache des damaligen Marktwertes, und wie im Rausch erwarb er noch rund

    vierzig andere Huser, alle mit diesem Blick. Es waren problemlose Geschfte. Das Wort

    "Gentrifizierung" kannte man damals im Vidigal noch nicht.

    "Empresario" nannten sie Glaser nun ehrfrchtig. Ein Architekt rief ihn an und fragte, ob er

    nicht eines der Hotels entwerfen knne. Glaser finde Lsungen fr ein Problem, ber das

    sich die Politiker den Kopf zerbrchen, schrieb die spanische ZeitungEl Pas,und dieBild

    titelte:Berliner Pfandhausknig rettet Armenviertel.Im Magazin der Tageszeitung Globo

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    lancierte er eine Titelstory, in der er grospurig versprach, 20 Millionen Euro im Vidigal zu

    investieren.

    Eudes de Santana

    Das Hotel Copacabana Palace

    "Das war der Fehler, der alles zum Einsturz brachte", sagt Glaser an einem Morgen am

    Pool des alten Grandhotels Copacabana Palace. In der Zeit seines gesellschaftlichen

    Aufstiegs wurde er hier Mitglied im Piscina-Club, einem Spa. Meist kommt Glaser

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    samstags frh, "zum Entgiften", wie er sagt. Als er an diesem Morgen eintrifft, hat gerade

    der Sohn von Donald Trump in der Lobby eingecheckt, der im Zentrum fnf Brotrme

    bauen will. "Wenn der wsste, worauf er sich hier einlsst", sagt Glaser.

    Man hatte ihm gesagt, in einer Favela knne er machen, was er wolle. Aber er hatte sich

    getuscht. Seine Arbeiter hatten schon die ersten Htten eingerissen, als pltzlich ein Heer

    von stdtischen Beamten im Vidigal aufkreuzte. Sie fragten nach Genehmigungen. Sie

    wollten, dass er Auflagen erfllte, die so streng waren wie in Ipanema, und verhngten

    einen Baustopp. Sie warteten darauf, dass er sie schmierte, aber Glaser dachte nicht daran.

    Wochen vergingen, Monate. Freunde sagen, sie htten ihn in dieser Zeit hufig zu Hause

    auf dem Sofa angetroffen. Reglos starrte er ins Nichts. Durchs Teleskop. Im Vidigal

    erzhlten sich die Leute nun, er sei ein Sprcheklopfer.

    "Ich wollte Brcken bauen", sagt er, "aber ich bin kein Masochist."

    Wielend war der Erste, an den er 2009 verkaufte.

    "Vielleicht machen wir ja mal was zusammen", schrieb er Wielend.

    Pfandhausknig kapituliert,schrieb dieBild.

    Drei oder vier Huser verkaufte Glaser selbst, dann flog er nach Berlin, gescheitert, mit

    einem Gefhl von Leere. Roberto, seine rechte Hand, hatte er beauftragt, auch die anderen

    Huser zu verkaufen. Glaser sa im Grunewald, und immer wieder kamen Mails vonseinem Anwalt, bei dem Roberto das Geld ablieferte. Aber es waren kleine Summen, die

    er brachte, mal 2.000 Euro, mal 4.000, fr Huser, die er, wie Glaser spter hren sollte,

    fr das Zehnfache losgeschlagen hatte. Es war, als spielten sie Monopoly mit seinem

    Eigentum, Roberto, die Drogenbosse, die Nachbarschaftsorganisation, die bei jedem Deal

    mit fnf Prozent beteiligt ist. Sie dachten, Glaser komme nicht mehr wieder. "Sorry, Rolf",

    sagte ihm am Telefon sein Anwalt, der jetzt gemeinsam mit Roberto auf Partys auftauchte,

    "du hast verloren."

    37 Huser. Eine Million Euro. Die Kontrolle ber das eigene Leben. Whrend Roberto im

    Vidigal die erste Immobilienagentur erffnete, brach Glaser in Berlin zusammen. SechsWochen lang lag er im Krankenhaus. Er fhlte sich allein, er fragte sich, wem er noch

    vertrauen knne. Manchmal ging er raus, in eines dieser Grunewald-Cafs, die voll Golf

    spielender Rentner waren, voller Frauen mit pragmatischen Kurzhaarfrisuren. Glaser sah

    seine eigene Zukunft vor sich.

    "Das ist doch kein Leben", sagt er.

    Die rzte rieten ihm, Brasilien zu vergessen.

    Aber Glaser hatte Sehnsucht. Er vermisste den Kitzel, den er in Rio jeden Morgen gesprt

    hatte. Es waren die Wochen, in denen die Polizei den Vidigal befriedete, und Glaser whnte

  • 5/28/2018 Rio de Janiero Immobilien Glaser Wielend

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    darin eine Chance, sich die Grundstcke zurckzuholen. Die Polizisten, das war sein

    Kalkl, wrden jetzt den Rechtsstaat auf den Hgel bringen.

    "Natrlich", sagt er, "ging es auch um meine Ehre."

    Dann steht pltzlich eine junge Frau am Pool und blickt sich um. Sie fllt auf, mit ihrem

    knallorangen engen Minikleid, den Abstzen und der Pilotensonnenbrille. Glaser winkt sie

    zu sich an den Tisch.

    "Was fr ein Geschoss", murmelt er.

    Er hat Denise am Strand kennengelernt. Seit Kurzem ist sie seine Freundin, ein Favela-

    Mdchen, das die Schule abgebrochen hat. Er will mit ihr ein Heim fr Favela-Kinder

    grnden. Am 29. steigt die Party in der Villa. "Was sag ich, Denise:Rolf is back.Rolf

    rumt jetzt auf."

    Sie lchelt.

    Gleich nach seiner Rckkehr im Frhjahr 2012 hat Glaser sich einen neuen Anwalt

    genommen. Er hat Personenschtzer angeheuert und im Vidigal die Leute aufgesucht, die

    bei Roberto gekauft haben. Er lie sich ihre Kaufvertrge zeigen, machte Fotos von den

    falschen Unterschriften und reichte schlielich Klage ein.

    Auch bei Wielend sah er eine offene Flanke.

    Wielends Grundstck besteht nicht nur aus dem Haupthaus, fr das er Glaser 7.000 Euro

    berwiesen hat. Spter erwarb er noch ein Kchenhaus sowie eine Garage. Weitere 5.000

    Euro wollte Glaser dafr haben, aber weil Wielend damals knapp bei Kasse war, trafen sie

    ein Abkommen: Wielend berlie Glaser seine Mnzsammlung, den Rest, rund 2.000 Euro,

    sollte er binnen eines Jahres abstottern. Es war ein Handschlag-Deal am Strand.

    Wielend beglich die Summe nie. Er sagt, er habe ein paar Rechnungen bezahlt, die ihm ins

    Haus geflattert kamen und noch aus Glasers Zeit datierten. Er sagt, er habe angenommen,

    sie seien damit quitt, und vielleicht dachte er auch, wie alle anderen im Vidigal, dass Glaser

    nicht mehr wiederkommen wrde.

    Im Mai 2012 reicht Glaser Klage gegen Wielend ein.

    "Das kann Jahre dauern", sagt ihm ein Bekannter, der Pastor bei der Marine ist. "Aber ich

    habe eine Nichte, die kann vielleicht was fr dich tun."

    Teresa wird Glaser als Anwltin vorgestellt, die Verbindungen in hchste Kreise pflege; sie

    knne den Prozess beschleunigen. Es ist wie mit Roberto: Teresa und der Pastor weichen

    nicht von seiner Seite. Sie laden ihn zum Essen ein, sie gehen mit ihm ins Theater, und

    irgendwann erffnet ihm Teresa, dass sie Geld brauche, um seine Sache zu forcieren,

    70.000 Euro.

  • 5/28/2018 Rio de Janiero Immobilien Glaser Wielend

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    Glaser zahlt, aber erneut vergehen Wochen, ohne dass etwas geschieht. Dann macht er

    Druck. Ohne dass er Belege dafr htte, sagt er, Wielend sei ein international gesuchter

    Drogendealer, das bringt Bewegung in die Sache. Ende August macht sich zum ersten Mal

    ein Trupp von Polizisten auf zum Hostel. Sie stellen alles auf den Kopf, aber sie finden nur

    eine Gaspistole unter Wielends Matratze.

    "Auftrag ausgefhrt, das Haus ist wieder deins", lsst Teresa Glaser am nchsten Morgen

    wissen.

    Glaser sagt, er sei damals davon ausgegangen, dass alles mit rechten Dingen zugegangen

    sei. Er habe angenommen, dass es eine richterliche Anweisung gegeben habe, die seine

    Anwltin erwirkt habe. Eine Woche spter fhrt er deshalb selber hoch, begleitet von

    demselben Trupp. Er tauscht die Schlsser aus und sagt den Gsten, dass sie gehen

    mssten.

    "Zwei Jahre lsst er sich nicht blicken, aber jetzt, wo der Vidigal durch die Decke geht, da

    tut er pltzlich, als wrde er das Spiel durchschauen. Am liebsten wrde ich ihm auf die

    Mtze geben, aber macht man das mit einem alten Mann? Er hat mir mal erzhlt, er trume

    davon, dass sie eines Tages so 'ne Saddam-Statue von ihm im Vidigal aufstellen. Jetzt hlt

    er's nicht aus, dass ein anderer den Ruhm abgreift."

    Wielend redet sich in Rage, an einem Nachmittag am Strand.

    "Da drben", sagt er, "hab ich ihn gefragt: Wie isses, Rolf, sollen wir mal reden? Aber er

    meinte nur: Wir machen das jetzt anders."

    Wielend wei langsam nicht mehr weiter. Sie haben ihm gesagt, das Gericht werde noch

    vor der Weihnachtspause ber seinen Eilantrag entscheiden, aber das ist in drei Tagen, und

    die Situation ist komplizierter, als er dachte. Es gibt kaum Przedenzflle.

    Immobiliengeschfte in Favelas sind riskant. Es geht um Land, das sich die Bewohner

    einfach angeeignet haben, auch wenn es in der Regel offiziell der Stadt gehrt. Es ist eine

    rechtliche Grauzone, in der es Kaufvertrge zwischen den Parteien gibt, aber keine Eintrge

    im Grundbuch.

    Wielend ist deshalb nicht sicher, wie die Sache ausgeht. Reicht den Richtern sein

    Kontoauszug als Beleg? Oder sagen sie, dass Glaser der Besitzer ist, weil er seit Monaten

    durch die Besatzung neue Fakten schafft? Oder nutzen sie womglich die Gelegenheit,

    das Grundstck zu kassieren? Man hrt das immer wieder dass sich die Behrden Land

    zurckholen, um es dann selber zu verkaufen.

    Wielends Sorge war unbegrndet. Am Tag vor Weihnachten verfgt die Richterin, dass er

    sein Haus vorerst zurckbekommt.

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    Eudes de Santana

    Das Hostel liegt in Trmmern.

    "Bitter mann", tippt Glaser weit nach Mitternacht in sein Handy.

    Am nchsten Morgen streift Wielend ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift "Alto Vidigal"

    ber. Er war so aufgekratzt, dass er kaum Schlaf gefunden hat. Er hat seine Website auf den

    neuesten Stand gebracht und fr den 29. ein Comeback-Fest ausgerufen, fr den Fall, dass

    sein Soundsystem noch funktioniert.

  • 5/28/2018 Rio de Janiero Immobilien Glaser Wielend

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    "I go home.Wie E.T.", sagt er, als er in Copacabana in den Wagen seines Anwalts steigt.

    Wenig spter warten sie am Eingang zum Vidigal auf den Schlsseldienst.

    Sie ffnen die Tr. Wielend streift herum. Er hebt versiffte Fotos auf, berall ist Moder."Das ist nicht mehr dasselbe Haus", murmelt er.

    Dann brechen sie die Garage auf, wo Wielend zwischen Bauschutt die Einzelteile seines

    Soundsystems entdeckt. Er hlt Kabel in die Luft, wischt ber den Staub auf seinem

    Mischpult. "Wenn ich das sehe", sagt er, "dann hab ich keinen Bock, wieder von vorne

    anzufangen."

    Doch es regt sich Trotz in ihm. Nachdem es ihm ber die Feiertage gelungen ist, das

    Soundsystem zu reparieren, tanzen am 29. Dezember 600 Leute auf seiner Terrasse.

    Eine Woche drauf heiratet er seine brasilianische Freundin, um eine dauerhafteAufenthaltsgenehmigung zu kriegen. Den Zeitungen erzhlt er, dass er verkaufen wrde,

    aber nicht unter einer Million. Er sagt: "Ich sitze hier auf dem Filet von Rio." Er wirkt, als

    habe auch ihn die Gier gepackt.

    Glaser hingegen muss untertauchen. An Neujahr schreibt er in einer Mail, dass es Versuche

    gegeben habe, ihn zu entfhren. Die Party hat er abgesagt. Es scheint, als habe er wieder

    Leuten vertraut, die nur auf sein Geld aus waren.

    Denise, seine Freundin, nutzt seine Abwesenheit, um sein Apartment auszurumen. Sie

    nimmt Laptops mit, Telefone, eine Uhrensammlung. Wenn er sie anruft, nimmt sie nicht

    mehr ab.

    Im Februar ist Glaser pltzlich wieder da.

    Er sitzt in Niteri, auf der anderen Seite der Bucht, in einem kleinen, stickigen

    Anwaltszimmer. Die Klimaanlage surrt, drauen vor den Fenstern wird es dunkel. Vor ihm

    auf dem Tisch trmt sich ein Chaos aus Kaufvertrgen, Fotos, Prozessakten. Glaser hat

    ein neues Anwaltsteam damit beauftragt, sich einen berblick ber seine Geschichte zu

    verschaffen.

    Er wei jetzt, dass Teresa keine Anwltin war. Sie hatte auch keine Kontakte zur Justiz.Was sie besa, waren eine Inkassofirma und ein kurzer Draht zu ein paar Polizisten, die sie

    schmieren konnte. Es muss wie leichte Beute fr sie ausgesehen haben: ein sterreicher,

    der angeblich mit Drogen dealt und illegal in Rio ist. Als sie erfuhren, dass Wielend nicht

    in Rio war, konnten sie mit der Besetzung Fakten schaffen, gegen die sich Wielend ohne

    Aufenthaltsgenehmigung nicht wehren konnte.

    Dann aber kochte die Sache hoch. Zeitungen und Blogs berichteten. Pltzlich hie es,

    korrupte Polizisten seien bei Wielend eingebrochen. Glaser drohte damit, alles auffliegen

    zu lassen. Er wurde zu einem Problem fr Teresa und die Polizisten, und als sie versuchten,

    ihn an Weihnachten in Ipanema in einen Wagen zu zerren, entkam er nur, indem er sich

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    losriss und in ein nahe gelegenes Hotel strzte. Er war ja ein Belastungszeuge. Und

    zwar gegen eine Polizei, die nun, nachdem die Drogenbosse weg sind, die Kontrolle in

    den Favelas bernimmt. Andr, der Grafiker, sagt, er habe keinen Polizisten im Vidigal

    jemals etwas bezahlen sehen, weder in den Restaurants noch an den Kiosken. Es hlt sich

    das Gercht, dass die Polizisten nicht nur in Robertos neuem Nachtclub die Hlfte aller

    Einnahmen kassieren. Sie sind jetzt ein zustzlicher Spieler, der auf eigene Rechnung

    zockt, jenseits des Gesetzes, ohne die Beschlsse eines Richters.

    Ein Jahr nach der Befriedung liegt die Macht im Vidigal noch immer in den Hnden derer,

    die die Waffen tragen. Nur tragen diese Leute heute eine Uniform.

    Am Abend, nach seinem Treffen mit den Anwlten, macht sich Glaser auf den Weg

    zurck nach Rio. Am Steuer sitzt ein lterer Herr, der ihm seit Kurzem dabei hilft, seine

    Angelegenheiten zu sortieren. Beim Italiener zahlt er die Rechnung.

    "So fing das immer an", sagt Glaser.

    Gestern hat er die Villa mit den Panoramafenstern ins Internet gestellt. Er berlegt, aus Rio

    wegzuziehen.

    "Ist es das alles wert?", fragt er. "All die Prozesse, die Angst? Was bringen mir die Huser?

    Was bringt mir eine Rolex, ein Auto oder Flugzeug? Was soll dann als Nchstes kommen?

    Sein und Haben. Erich Fromm."

    Er schweigt.

    Leise rollt der Wagen ber die groe Golden-Gate-artige Brcke, die nach Rio fhrt. Glaser

    schaut nach drauen, auf die Lichter, auf die Stadt, die daliegt, als wre sie ein friedliches

    Paradies.

    "Am schlimmsten", sagt er, "ist die Sache mit Denise."

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