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absatz wirtschaft 12 2017 absatz 12 2017 wirtschaft 28 29 Deutscher Marketing Tag Deutscher Marketing Tag Round Table zur Zukunft der Werbung „Wir üben uns in kreativer Vier Top-Experten aus Werbung und Marketing an einem Tisch: Beim Round Table der absatzwirtschaft dreht sich alles um den digitalen Kunden und die Zukunft einer Branche, deren Werkzeugkasten „im besten Sinne explodiert ist“, wie Jung-von-Matt-CEO Peter Figge diagnostiert Interview: Johannes Ceh, Georg Altrogge / Fotos: Marko Priske THOMAS KOCH: Was mich daran fas- ziniert: dass diese Zahl an Instrumen- ten so zugenommen hat. Was es ja auch für die Kunden so unübersichtlich macht, ist die Frage: Wozu setze ich denn welches Instrument ein? Wenn ich heute bei Google „Brand Funnel“ eingebe, bekomme ich die irrwitzigs- ten Sachen zu sehen. Da bekomme ich einen Brand Funnel mit Medienzu- ordnung, in dem nur digitale Medien abgebildet sind. Das erweckt den Eindruck, als könnten digitale Medien alles. Was falsch ist. Genauso wenig wie jedes Instrument alles kann. Unsere Welt wäre einfacher, wenn wir klarer zuordnen und erklären würden, worin die Stärken der einzelnen Instrumente und Medien liegen. PETER FIGGE: Aber dazu muss ich mich eben intensiv mit immer neuen Kanälen und Technologien auseinan- dersetzen. Das macht es anspruchsvoll, und dazu braucht es Profis, die die Weiterentwicklungen der verschiede- nen Plattformen richtig beurteilen und vor allem immer im Blick haben, wie Menschen die verschiedenen Kanäle nutzen. Eine der großen Herausforde- rungen für uns alle ist die immer stär- kere Parallelnutzung der verschiede- nen Kanäle und Medien. Denn bisher hat noch nie ein Kanal vollumfänglich einen anderen ersetzt: Radio nicht Print. TV nicht Radio, Facebook nicht TV. Insofern glaube ich, die Schwie- rigkeit besteht darin, dass viele noch immer versuchen, ein Instrument Wer in die Zukunft blickt, muss wissen, wo er heute steht. Was ist im Jahr 2017 Werbung, was ist Marke- ting, worauf kommt es bei der Kun- denansprache an? PETER FIGGE: Eine wichtige Aufgabe, die Werbung schon immer hatte, war und ist die Eroberung und Begeiste- rung von Menschen für Marken. Was dabei nicht mehr sinnvoll ist, ist die Fixierung auf einzelne Instrumente. Ich kann heute in Abhängigkeit von der Aufgabe sinnvoll mit einer Vielzahl an Instrumenten werben. Wenn ich mir alleine die rasante Weiterentwicklung der Social-Kanäle mit ihren einzelnen Funktionen anschaue, dann sehe ich, dass wir alle Möglichkeiten multi- medialer Darstellung mit sinnvollen Reichweiten und Targeting verbinden können. Wir sind also längst über den Zeitpunkt hinweg, an dem man sagen kann, dass die Kanäle TV-, Radio- und Printwerbung jeweils nur eine Funktion haben. Es geht heute mehr denn je um die Fragen: Was ist die konkrete Aufga- be? Wie kann ich sie kreativ lösen? Was kann Kommunikation dazu beitragen? Mit welchen Instrumenten? Und gerade zu der Vielzahl der Instrumente sage ich immer gerne etwas salopp: Uns ist im besten Sinne der Werkzeugkasten explodiert. Ist der Begriff Werbeagentur da noch angemessen? PETER FIGGE: Ich glaube, wenn man Werbeagentur nicht als TV-Agentur versteht, dann sind Werbung und Wer- ber immer noch ein passender Begriff – auch wenn man einen stark digitalen Hintergrund hat. Wenn ich heutzutage etwas nicht mehr ganz genau beschrei- ben kann, mutiert vieles schnell zu einer sogenannten „Kommunikati- onslösung“, was es nicht klarer macht. Insofern könnten wir die Abgrenzung der Kommunikationsagentur zur Werbeagentur hier einmal kontrovers diskutieren ebenso wie die Frage, was mir das dann bringt. Wenn ich es so verstehe, offener mit den Instrumenten umzugehen, trifft es Kommunikations- agentur auch. Wenn ich es allerdings immer noch gerne etwas zugespitzter halten möchte, finde ich Werbeagentur weder altmodisch noch unsittlich. Dr. Peter Figge ist Partner und Vorstand der erfolgreichsten Kreativagentur Deutsch- lands, Jung von Matt, er berät Kunden mit Fokus auf Fragen der digitalen Transformation. Lukas Kircher ist Designer, Österrei- cher, Familienmensch, hin und wieder Partys. Gründer und Partner der Content-Marketing Agen- tur C3 – Creative Code and Content, vorher KircherBurkhardt. Immer noch auf der Suche nach der perfekten Story. Thorsten Mandel verantwortet als Geschäftsführer von Pilot Hamburg den Digitaleinkauf, den Personalbereich sowie die Mediaberatung der Agentur. Thomas Koch ist „Mr. Media“. Er grün- dete tkm, die seinerzeit größte, unabhängige Mediaagentur Deutsch- lands. 2017 startet er nun mit TKD Media wieder durch. Johannes Ceh ist Berater für Custo- mer Experience und Personal Branding, er war für Sport1, Sprin- ger & Jacoby, Jung von Matt, BMW, Daimler, Ogilvy und Havas tätig. Selbstzerstörung“ Georg Altrogge ist Herausgeber der absatzwirtschaft und Chefredakteur von Meedia – und in diesen Rollen mit der Tranfor- mation von Medien und Marketing angesichts der digitalen Disruption ständig konfrontiert.

Round Table zur Zukunft der Werbung „Wir üben uns … · Round Table zur Zukunft der Werbung „Wir üben uns in kreativer Vier Top-Experten aus Werbung und Marketing an einem

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Deutscher Marketing TagDeutscher Marketing Tag

Round Table zur Zukunft der Werbung

„Wir üben uns in kreativer Vier Top-Experten aus Werbung und Marketing an einem Tisch: Beim Round Table der absatzwirtschaft dreht sich alles um den digitalen Kunden und die Zukunft einer Branche, deren Werkzeugkasten „im besten Sinne explodiert ist“, wie Jung-von-Matt-CEO Peter Figge diagnostiert

Interview: Johannes Ceh, Georg Altrogge / Fotos: Marko Priske

THOMAS KOCH: Was mich daran fas-ziniert: dass diese Zahl an Instrumen-ten so zugenommen hat. Was es ja auch für die Kunden so unübersichtlich macht, ist die Frage: Wozu setze ich denn welches Instrument ein? Wenn ich heute bei Google „Brand Funnel“ eingebe, bekomme ich die irrwitzigs-ten Sachen zu sehen. Da bekomme ich einen Brand Funnel mit Medienzu-ordnung, in dem nur digitale Medien abgebildet sind. Das erweckt den Eindruck, als könnten digitale Medien alles. Was falsch ist. Genauso wenig wie jedes Instrument alles kann. Unsere Welt wäre einfacher, wenn wir klarer zuordnen und erklären würden, worin die Stärken der einzelnen Instrumente und Medien liegen.

PETER FIGGE: Aber dazu muss ich mich eben intensiv mit immer neuen Kanälen und Technologien auseinan-dersetzen. Das macht es anspruchsvoll, und dazu braucht es Profis, die die Weiterentwicklungen der verschiede-nen Plattformen richtig beurteilen und vor allem immer im Blick haben, wie Menschen die verschiedenen Kanäle nutzen. Eine der großen Herausforde-rungen für uns alle ist die immer stär-kere Parallelnutzung der verschiede-nen Kanäle und Medien. Denn bisher hat noch nie ein Kanal vollumfänglich einen anderen ersetzt: Radio nicht Print. TV nicht Radio, Facebook nicht TV. Insofern glaube ich, die Schwie-rigkeit besteht darin, dass viele noch immer versuchen, ein Instrument

Wer in die Zukunft blickt, muss wissen, wo er heute steht. Was ist im Jahr 2017 Werbung, was ist Marke-ting, worauf kommt es bei der Kun-denansprache an? PETER FIGGE: Eine wichtige Aufgabe, die Werbung schon immer hatte, war und ist die Eroberung und Begeiste-rung von Menschen für Marken. Was dabei nicht mehr sinnvoll ist, ist die Fixierung auf einzelne Instrumente. Ich kann heute in Abhängigkeit von der Aufgabe sinnvoll mit einer Vielzahl an Instrumenten werben. Wenn ich mir alleine die rasante Weiterentwicklung der Social-Kanäle mit ihren einzelnen Funktionen anschaue, dann sehe ich, dass wir alle Möglichkeiten multi-medialer Darstellung mit sinnvollen

Reichweiten und Targeting verbinden können. Wir sind also längst über den Zeitpunkt hinweg, an dem man sagen kann, dass die Kanäle TV-, Radio- und Printwerbung jeweils nur eine Funktion haben. Es geht heute mehr denn je um die Fragen: Was ist die konkrete Aufga-be? Wie kann ich sie kreativ lösen? Was kann Kommunikation dazu beitragen? Mit welchen Instrumenten? Und gerade zu der Vielzahl der Instrumente sage ich immer gerne etwas salopp: Uns ist im besten Sinne der Werkzeugkasten explodiert.

Ist der Begriff Werbeagentur da noch angemessen?PETER FIGGE: Ich glaube, wenn man Werbeagentur nicht als TV-Agentur

versteht, dann sind Werbung und Wer-ber immer noch ein passender Begriff – auch wenn man einen stark digitalen Hintergrund hat. Wenn ich heutzutage etwas nicht mehr ganz genau beschrei-ben kann, mutiert vieles schnell zu einer sogenannten „Kommunikati-onslösung“, was es nicht klarer macht. Insofern könnten wir die Abgrenzung der Kommunikationsagentur zur Werbeagentur hier einmal kontrovers diskutieren ebenso wie die Frage, was mir das dann bringt. Wenn ich es so verstehe, offener mit den Instrumenten umzugehen, trifft es Kommunikations-agentur auch. Wenn ich es allerdings immer noch gerne etwas zugespitzter halten möchte, finde ich Werbeagentur weder altmodisch noch unsittlich.

Dr. Peter Figge ist Partner und Vorstand der erfolgreichsten Kreativagentur Deutsch-lands, Jung von Matt, er berät Kunden mit Fokus auf Fragen der digitalen Transformation.

Lukas Kircher ist Designer, Österrei-cher, Familienmensch, hin und wieder Partys. Gründer und Partner der Content-Marketing Agen-tur C3 – Creative Code and Content, vorher KircherBurkhardt. Immer noch auf der Suche nach der perfekten Story.

Thorsten Mandel verantwortet als Geschäftsführer von Pilot Hamburg den Digitaleinkauf, den Personalbereich sowie die Mediaberatung der Agentur.

Thomas Koch ist „Mr. Media“. Er grün-dete tkm, die seinerzeit größte, unabhängige Mediaagentur Deutsch-lands. 2017 startet er nun mit TKD Media wieder durch.

Johannes Cehist Berater für Custo-mer Experience und Personal Branding, er war für Sport1, Sprin-ger & Jacoby, Jung von Matt, BMW, Daimler, Ogilvy und Havas tätig.

Selbstzerstörung“

Georg Altrogge ist Herausgeber der absatzwirtschaft und Chefredakteur von Meedia – und in diesen Rollen mit der Tranfor-mation von Medien und Marketing angesichts der digitalen Disruption ständig konfrontiert.

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ausschließlich einer einzigen Nutzung zuzuordnen. Es wäre gut, wir würden uns davon verabschieden und sagen, dass es für die Schwergewichte noch stimmt, aber dass es inzwischen Ab-stufungen gibt. Nehmen wir die immer wiederkehrende Frage, ob TV tot ist – nein, TV ist natürlich nicht tot! Aber ja, ich kann auch mit kreativ exzellen-ten Social Videos eine hohe Reichweite erzielen. Von den 30 erfolgreichsten Youtube-Videos im ersten Halbjahr dieses Jahres kommen neun von Jung von Matt. Wir bringen eine unserer klassischen Stärken, nämlich exzellen-tes Storytelling, mit einem weiteren Verbreitungskanal zusammen.THORSTEN MANDEL: Leider gibt es generell die Neigung zu glauben, dass das Alte abgelöst wird, wenn etwas Neues kommt. Ich habe tatsächlich Kunden erlebt, die die Nutzung von TV-Spots infrage gestellt haben, weil wir jetzt Youtube haben. Dann kam Content, und plötzlich brauchten wir anscheinend keine klassische Wer-bung mehr. Gleiches gilt beim Thema Native. Dabei geht es heutzutage doch vor allem um das Thema Orchestrie-rung – das ist die zentrale Aufgabe, die wir beherrschen müssen. Ich möchte an dieser Stelle aber auch nochmals grundsätzlich den Begriff Werbung zur Debatte stellen. Per se habe ich nichts dagegen – allerdings stellt sich für mich die Frage, ob er nicht etwas veraltet ist. LUKAS KIRCHER: Unsere größte, am schnellsten wachsende Abteilung ist „Strategie“, wobei die nicht nur klas-sisch Brand Planning ist, sondern wirk-lich Unternehmensstrategie. Für einen unserer Kunden war der Hebel ganz einfach: Für jedes Prozent mehr Con-

version bekommt das Unternehmen eine Million mehr Reingewinn. Bei so einem Verständnis kann ich als Agen-tur natürlich sehr viel wirksamer und hilfreicher arbeiten, als wenn ich mich auf Kommunikation beschränke. Un-ternehmen fordern inzwischen auch, dass wir ihre Businesshebel besser verstehen und im Vorfeld zeigen, dass unser Konzept nicht nur grandios als Kommunikationsstrategie abschneidet, sondern auch wirklich hilft, wirtschaft-lich weiterzukommen.THOMAS KOCH: Es ist der Support bei der Marketingstrategie, mit der Werbe-agenturen ja eigentlich groß geworden sind, weil die Unternehmen das noch nicht beherrschten, als das Marketing nach Deutschland kam. Das ist über die Jahrzehnte völlig verloren gegangen. Wenn das wieder zurückkehren würde in die Werbeagenturen, fände ich es absolut genial, weil das ein Punkt ist, in dem ich mich von Wettbewerbern wie den Beratungsunternehmen diffe-renziere und dem Kunden klipp und klar sage, wo ich ihm helfen kann. Das ist gleichzeitig das größte Manko, das unsere Branche heute besitzt: die Stra-tegielosigkeit. Wir sind uns alle einig, dass im Bereich der Medien die alten nicht durch die neuen Kanäle ersetzt wurden. Es sind neue hinzugekommen und damit sind die Chancen gestiegen. Das klingt durchaus positiv. Wenn ich den Markt jedoch betrachte, reden wir heute nur noch über digitale Medien. Über nichts anderes mehr.PETER FIGGE: Das ist bedauerlich, aber was daran normal ist: Solange Dinge neu und unsortiert sind, solange ich sie noch nicht oder nicht ausrei-chend verstehe und z. B. unsicher bin, ob Snapchat Facebook in meiner

Zielgruppe ersetzt, solange brauche ich jemanden, der mir Orientierung gibt. Eine zentrale Aufgabe von uns Agen-turen muss es angesichts der schnellen Entwicklungszyklen sein, dass wir kontinuierlich für unsere Kunden ein-ordnen, was ein vorübergehender Hype ist und was eine bleibende sinnvolle Kommunikationsmöglichkeit. Es gibt eine fatale Tendenz, jedes Instrument oder Gefäß, das da ist, auch befüllen zu wollen. Mit vielen Kunden machen wir daher zunächst einmal eine Bestandsaufnahme der Kanäle und Plattformen, die diese aktuell nutzen, um herauszufiltern, was davon überhaupt noch sinnvoll ist. Wie wird mit den verschiedenen Facebook-Prä-senzen umgegangen? Was machen die einzelnen Länder auf Twitter? Woran arbeitet die Vertriebsorganisation? Wir haben daraufhin vor zwei Jahren mit einem Kunden eine explizite Deconten-ting-Strategie entwickelt mit dem Ziel, mehr Raum zu schaffen für qualitativ wichtigen Content. Wenn man sich nicht aktiv entscheidet, Inhalte auch wieder loszuwerden, wird man irgend-wann alleine aufgrund der schieren Menge immer unprofilierter wahrge-nommen werden.THOMAS KOCH: Das führt aber wieder zurück zur Grundaufgabe der Agentur. Wenn der Kunde uns ein Brie-fing schreibt, dann schreibt er biswei-len ein Dutzend Dinge rein, die er aus Marketingbüchern auswendig kann. Die Aufgabe der Agentur, ob jetzt Wer-beagentur oder Kommunikationsagen-tur, ist es ja, ihn auf sein eigentliches Asset und sein Ziel zu konzentrieren. Wir müssen ihn auf eine Werbebot-schaft fokussieren.LUKAS KIRCHER: Der CMO gehört in den Vorstand! Es braucht starke Mar-keting-Führungspersönlichkeiten, die mehr als Kommunikation verantwor-ten, auch Sales und Media im Blick ha-ben. Stattdessen passiert es bis heute, dass selbst wenn eine Agentur bei-spielsweise eine interessantere, intelli-gentere und effizientere Mediastrategie aufzeigt, sie mit einem Entscheidungs-träger konfrontiert ist, dessen Jahres-bonus dadurch wirksam wird, dass er möglichst viele Rabatte verhandelt. Moderne marktorientierte Unterneh-mensführung funktioniert nur, wenn diese kleinen einzelnen Herzogtümer im Unternehmen, die eigentlich alle ir-gendwie Marketing verantworten, aber

meistens dann wahrscheinlich dem Vertriebschef unterstellt sind, nicht nebeneinander oder schlimmstenfalls gegeneinander arbeiten.THOMAS KOCH: Laut einer Untersu-chung ist die Kompetenz der Marketing-leute in den letzten Jahren signifikant gesunken. Die meisten sind heute nur noch Werbechefs. Die vier Ps – Produkt, Promotion, Placement, Preis – sind ihnen weitgehend abhandengekom-men. Das macht alles der Vertrieb. Das Marketing in seiner Urfunktion wieder-zubeleben – den Appell würde ich gerne einmal sehr, sehr laut spielen.THORSTEN MANDEL: Das sehe ich ein wenig anders. Nehmen wir zum Beispiel die Trennung zwischen Mar-keting und Vertrieb mit seinen unter-schiedlichen KPIs: Es war tendenziell schon immer so, dass diese selten inte-grativ geplant und umgesetzt wurden. Und jetzt kommen die Komponenten Data und IT noch on top dazu. Es gibt bei uns keine wichtige Präsentation mehr, in der wir nicht intensiv über den Umgang mit Daten und Techno-logie diskutieren. Das sind heutzutage superwichtige Themen, abseits der Strategie. Ich möchte an dieser Stelle vor allem auch an die werbetreiben-den Unternehmen appellieren, sich auf diesem Gebiet schnell Kompetenz aufzubauen. Daten-Know-how wird ja gerne im Marketing angesiedelt, aber ich glaube, dass es eigentlich in jedem Unternehmen jemanden geben muss, der sich übergeordnet genau mit die-sen Themen beschäftigt.

Diese Erkenntnis heißt doch im Rückschluss, dass aktuell die strate-

gische Intelligenz auf Agenturseite angesiedelt ist?LUKAS KIRCHER: Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum sich Unternehmensberatungen große Chancen ausrechnen. Auch wenn das auf den ersten Blick wie eine skurrile Ausgangslage aussieht: Eine Unter-nehmensberatung streicht 10 Prozent der Belegschaft, und im Anschluss sendet sie ihre Kreativen, die für Auf-bruchstimmung sorgen sollen. Das moderne Marketing braucht einen sehr unternehmerischen, auch zahlenge-triebenen Blick auf alle Prozesse und Strukturen. Daher kommt ein großer Teil dieser Neugier in Vorstandsetagen, dass es mal Sinn machen könnte, im Marketing mit einer Unternehmens- beratung zu arbeiten.PETER FIGGE: Wenn wir diese Fragen mit unserer Anfangsdiskussion um die Bedeutung verschiedener Kanäle verbinden, zeigt sich, dass sinnvolle Marketingstrategien mehr Führung und Entscheidung auf oberster Ebene brauchen. Denn wenn es keine aus-schließlichen Kanalrollen und keine einfachen Aufgabenverteilungen mehr gibt, dann müssen Entscheidungen dort getroffen werden, wo Silos auch eingerissen werden können. LUKAS KIRCHER: C3 arbeitet durch die Allianz mit MXM verstärkt in Ame-rika, und wir erleben dort eine andere Welt. Dort ist der CMO im Unterneh-mensvorstand, denn der Job ist kom-plex: Zum einen braucht man wahnsin-nig viel Know-how, um zu definieren, dass das jetzt der richtige Kanal ist für die richtige Strategie. Man muss auch extrem flexibel sein, denn all das kann

sich schon morgen ändern. Um dies zu gewährleisten, ist es ein Muss, ein agiles Budget-System beim Kunden zu installieren. Das geht aber nur, wenn es einen hohen Entscheidungsträger gibt, der das moderne Marketing versteht, und 50 Prozent der Budgets flexibili-siert aufgehängt sind. Da kommt eine neue Kommunikationschance um die Ecke, und Budgets müssen reallokiert werden, damit wir schon morgen die Möglichkeit haben, auf das Thema aufzuspringen, das wir heute noch gar nicht kennen. Und damit meine ich nicht Technologie, sondern Themen-chancen, interessante News und gesell-schaftliche Entwicklungen, die auch für die Marke hochinteressant sind.

Ist es nicht so, dass die Frage, wo Marketing in der Organisation auf-gehängt wird und wer welche Kom-petenzen hat, bei deutschen Unter-nehmen anders beantwortet wird als etwa in den USA?LUKAS KIRCHER: Es gibt CEOs, die starkes Marketingverständnis haben. Dies drückt sich dann auch im Unter-nehmenserfolg aus. Ich glaube, Marke-ting ist die zweitwichtigste Funktion im Unternehmen, und die wird in den deutschen Strukturen oft nicht ausrei-chend hoch angesiedelt.THOMAS KOCH: Irgendwas stimmt da nicht. Wir treffen in unserer Funktion als Agenturchef durchaus auch auf Vor-stände. Ich kann mich an keine Situa-tion erinnern, in der mir ein Vorstand gegenübersaß, den ich nicht für bemer-kenswert und intelligent hielt. Daran liegt es offenbar nicht. Woran liegt es dann, dass Marketing so eine geringe Bedeutung in der Führungsspitze eines Unternehmens hat? Es liegt jedenfalls nicht an mangelnder Intelligenz. LUKAS KIRCHER: Ich glaube, dass jetzt gerade etwas im Unterbau der Un-ternehmen entsteht, z. B. bei Volkswa-gen. Natürlich hat der Diesel-Skandal Volkswagen wirtschaftlich unfassbar geschadet, es ist jedoch hoch span-nend, was da gerade passiert im mittle-ren Management. Entscheidungsträger, die mir begeistert erzählen, wie sie jetzt mit ihren Plänen und Innovationen durchkommen. Parallel rekrutieren sie die besten Mitarbeiter unserer Agentur für ihre Teams. Da entsteht gerade eine Qualität, die ich sensationell finde.PETER FIGGE: Ein weiterer zentraler Treiber der Veränderung ist die

Es gibt bei uns keine wichtige Präsentation mehr, in der wir nicht intensiv über den Umgang mit Daten und Technologie diskutierenThorsten Mandel

Wenn ich den Markt betrachte, reden wir heute nur noch über digitale Medien. Über nichts anderes mehr

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faktische Verschmelzung von Funktio-nen wie Kommunikation, Service und Vertrieb, die sich bei vielen Devices ganz intuitiv ergibt. Viele Unternehmen möchten es idealerweise mit einer App auf den Home-Bildschirm des Mobil-telefons ihres Kunden schaffen, denn kein anderer Bildschirm ist uns 24/7 so nah. Als Ziel wird dabei häufig das Idealbild einer Beziehungsmarke de-finiert, die ihren Kunden bestmöglich kennt und bestmöglich mit relevanten Angeboten begleitet. Gefährlich wird es aber dann, wenn es nur noch um die wirtschaftliche Optimierung eines Customer-Lifetime-Values und nicht mehr um ein ernsthaftes Interesse der Marke am Kunden geht. Denn das merkt dieser schnell, und es führt zur Aushöhlung der eigenen Marke.THOMAS KOCH: Und glaubt Ihr ernst-haft, dass der Endverbraucher sich mit 1 000 Marken vernetzt?THORSTEN MANDEL: Es gibt so viele Low-Interest-Produkte. Ich will doch als Konsument nicht jeden Tag – erst recht nicht über eine App – mit solch einer Vielzahl an Marken in den Austausch gehen. Ich denke da vor allem an den FMCG-, aber auch an den Finance-Bereich. Hier gibt es diverse Produkte und Angebote, die mich wirk-lich nicht im Geringsten interessieren, selbst wenn ich sie nutze. PETER FIGGE: Da sind wir dann wieder bei der Funktion und der Frage, was denn eigentlich die kommuni-kative Aufgabe ist. Es ist ein Unter-schied, ob ich für McDonald’s werbe und regelmäßige Promotion-Angebote auf allen meinen werblich genutzten Kanälen mache. Oder ob ich jemanden für ein Auto begeistern möchte, oder sich die Lufthansa tatsächlich zu Recht überlegt, wie sie auf diesen Bildschirm kommt, um regelmäßig im Leben dieses Menschen eine Rolle zu spielen. Aber zu glauben, dass alle Marken es schaffen werden, kontinuierlich ent-lang der Customer Journey die Kunden interaktiv zu begleiten, ist natürlich totaler Blödsinn.

Viele Agenturen bringen ihre Date-nexperten gleich mit und vermitteln dem Kunden, dass sie den passen-den Targeting-Spezialisten haben, wenn sie z. B. eine App bauen. Ist es sinnvoll, dass die Agenturen, die eine Dienstleistung erbringen, auch diejenigen sind, welche die Messun-

gen und Leistungsauswertungen vornehmen?THORSTEN MANDEL: Wir bei Pilot sind der Überzeugung, dass die Daten dem Kunden gehören. Wir empfehlen unseren Kunden auch ausdrücklich, dementsprechend zu agieren. Klassi-scherweise beginnt sich ein Kunde ja spätestens dann mit dem Thema Daten zu beschäftigen, wenn er eine Platt-form zur Erhebung oder zum Manage-ment von Daten einsetzen möchte. Ich rate jedem Kunden, sich selbst damit zu beschäftigen, gerne einen eigenen Vertrag zu schließen und sicherzustel-len, dass die Daten ihm gehören. Wenn sich ein Kunde jedoch die Full-Stack-Lösung einer Agentur empfehlen lässt und diese ohne zu hinterfragen akzep-tiert, ist er natürlich ausgeliefert.PETER FIGGE: Einem vermeintlich attraktiven Full-Service-Angebot sollte man auch nicht erliegen. Wenn Dienst-leister ihren Auftraggebern verspre-chen, alles einfacher und bequemer für sie zu machen, und der Preis dafür ist, dass Marken ihre Datenhoheit abgeben sollen, dann geben sie eigentlich auch den Kern dessen ab, was sie in Zukunft noch ausmachen wird. Nämlich das zentrale Wissen über die Bedürfnisse ihrer Kunden und die Möglichkeit zu einer emotionalen Nähe. Am Ende kann ich nur nahe beim Endkunden sein, wenn ich mit seinen Daten sicher und verantwortungsvoll umgehe. Und dazu sollte ich die Hoheit über die Daten selbst behalten.LUKAS KIRCHER: Man muss an dieser Stelle trennen zwischen reinem Ad-tech, wo es ggf. passieren kann, dass

Geld versickert, oder Agenturen, die – wie wir – dem Kunden versprechen, ihn bei Datenstrategien zu unterstüt-zen. Datenmanagement in der Agentur darf nicht dazu führen, dass ein Dienst-leister plötzlich einen Wettbewerbsvor-teil des Herrschaftswissens gegenüber dem eigenen Kunden hat.PETER FIGGE: Und was sind das denn eigentlich für Daten? Es sind ja viele Datentöpfe. Ich habe meine eigenen Kundendaten als Unternehmen, ich habe möglicherweise ein intensives CRM, ich habe Daten, die ich bei Facebook und Google nutzen kann, und ich habe dann noch welche, die ich aus meiner Mediaplanung bekomme. Meistens habe ich eher zu viele Daten als zu wenige. Und da sind wir wieder bei der Frage, ob ich jemanden an meiner Seite habe, der mir mit hoher Kompetenz und unabhängig, also ohne Interessenkonflikt, hilft, damit umzu-gehen. Das ist eine relevante Funktion, die Agenturen wahrnehmen können und sollten.THOMAS KOCH: Thorsten, dass du eben gesagt hast, die Daten gehören in die Hände des Kunden, ist ein Le-arning aus den letzten Jahren, weil da vieles schiefgegangen ist. Ich behaup-te, in zwei Jahren haben wir ein völlig neues Learning: Die Daten gehören dem Endverbraucher. Das Marketing mutiert ansonsten zu einem Monster. Marketing hat nur noch den Sinn und Zweck, Daten zu sammeln. Aber der Verbraucher wird sich dagegen auf-lehnen, denn eigentlich hat Marketing nicht die Aufgabe, Daten zu sammeln, sondern Menschen zu umgarnen, zu

erobern. Das ist eine völlig andere Hal-tung. Wir müssen uns fragen: Welche Aufgabe hat Marketing in Zukunft? Und da behaupte ich, das sei die Rück-kehr zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Kommunikation und zu einem respektvollen Umgang mit dem Endverbraucher.THORSTEN MANDEL: Ich bin ein 100-prozentiger Anhänger des Daten-schutzes und ich bin sehr glücklich darüber, dass wir in Europa leben und nicht in Amerika, aber man muss schon ganz genau hingucken, worüber wir reden. Wenn wir aktuell über Daten sprechen, dann sind das vor allem noch cookie-basierte Daten. Das heißt, wir wissen nicht, wer die Person ist, son-dern wir wissen, „wer der Cookie ist“. Das ist auch gut so. Es geht uns ja als Werbungtreibende nicht darum, Men-schen auszuspionieren, sondern um die richtigen Kontakte in der richtigen Zielgruppe – und das in der richtigen Dosierung.THOMAS KOCH: Es wird behauptet, dass die Kreditkartenunternehmen in den USA ihre Daten an Google verkauft haben. Google ist damit in der Lage, diese Kaufdaten Menschen zuzuord-nen. Ebenfalls wird behauptet, dass jeder cookie-basierte Kontakt einem individuellen Menschen zuzuordnen ist. Das ist eine Zukunft, in der wir, glaube ich, nicht leben wollen. Das ist pure Überwachung.THORSTEN MANDEL: Und dagegen müssen wir alle gemeinsam mit unse-ren Kunden ankämpfen.PETER FIGGE: Die Vergangenheit zeigt, dass jeder Missbrauch irgend-wann zu einem Rückschlageffekt führt, bei dem Menschen Instrumente und Kanäle ablehnen und nicht mehr nutzen. Trotzdem sind Daten in den letzten Jahren deutlich wichtiger geworden sind. Bei Jung von Matt hat sich das klassische Planning zu einer sehr datenorientierten und -kompe-tenten Strategieabteilung weiterentwi-ckelt. Wir haben keine Kundendaten inhouse, aber eine hohe Analyse- und Beratungskompetenz hinsichtlich der Analyse und Nutzung von Daten. Wir sehen neue Chancen für die Kreations-entwicklung durch Entdeckung span-nender Insights, weil wir tatsächlich mehr über Menschen und vor allem deren Verhalten wissen können als früher. Wenn ich mir heute gemein-sam mit Kunden Facebook-Audiences

anschaue, die wir nach individuellen Anforderungen zusammengestellt ha-ben, sind viele Kunden fasziniert, weil sie viel mehr das Gefühl haben, dass es sich um echte Menschen handelt, deren aktuelle Interessen und Verhal-ten sie sehen. Das war bei den älteren klassischen Mafo-Tools anders. THOMAS KOCH: Das ist nachvoll-ziehbar. Wir Medialeute haben immer Daten dazu genutzt, um Menschen zu verstehen, eine Zielgruppe zu begrei-fen. Das führt allerdings in der daten-getriebenen Welt dazu, dass Facebook

vor 20 oder 30 Jahren nicht konnten. Ob wir das wollen, ist nicht eine Frage der Möglichkeiten sondern von Ent-scheidungen, die Unternehmen und Agenturen verantwortungsbewusst treffen müssen.

Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass Daten heute kostbare Insights liefern und gleichzeitig ein „heißes Eisen“ bezüglich ihrer Nutzung sind. Wenn wir mit diesem Wissen zurückgehen an den Ausgangspunkt unseres Gespräches: Wie viel klassi-

an Werbekunden Daten von depressi-ven Jugendlichen ausliefert. Das müs-sen wir verhindern. Adtech verleitet zu einem enormen Missbrauch.THORSTEN MANDEL: Ich sehe das genauso, weil Adtech eine andere Moti-vation hat, auf die Industrie zu schau-en, als wir. Wenn ich sehe, dass sich jemand für Kindersitze interessiert, dann weiß ich ganz genau, wie ich den kommunikativ anfassen kann. THOMAS KOCH: Marketing entwickelt sich gerade – und davor habe ich wirk-lich Angst – zu einer Überwachungs-maschine. Das ist nicht einmal neu, das erleben wir schon seit ein paar Jahren. PETER FIGGE: Aber das ist ja nicht nur das Marketing, sondern eine ge-sellschaftliche Herausforderung ins-gesamt. Die größte Herausforderung im Marketing ist, dass nur Menschen entscheiden können, wie sie mit all diesen Möglichkeiten umgehen. Egal, ob ich über Medizin rede oder ob ich über Daten im Marketing rede. Wir können heute so viele Dinge, die wir

sches TV- und Print-Geschäft wird bei Jung von Matt heute noch umge-setzt?PETER FIGGE: Mich persönlich inte- ressiert überhaupt nicht mehr, wo etwas ausgespielt wird, wenn es gute Ergebnisse für den Kunden erzielt. Für mich ist insofern überhaupt nicht relevant, ob das Bewegtbild, das ich herstelle, am Ende ein herausragendes Social Video wird oder ob es für TV ge-dacht ist. Wir haben in den letzten zwei Jahren diverse Beispiele von Kunden, deren gute Social Videos ihren Weg ins TV gefunden haben, obwohl sie ursprünglich nie für TV gedacht waren. Sie haben aber so gut funktioniert, dass der Kunde bewusst klassische Media dahinter gesetzt hat. Insofern ist es für Jung von Matt nicht eine Frage von TV und Print, sondern wir haben verschie-dene Aufgaben, suchen Lösungen und überlegen, wie wir die streuen, aber nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Erlösquelle. Wir verdienen unser Geld mit mutigen, klug gedachten,

Wir müssen für unsere Kunden einordnen, was ein vorübergehender Hype ist und was eine bleibende sinnvolle KommunikationsmöglichkeitPeter Figge

Eine Unternehmensberatung streicht 10 Prozent der Belegschaft, und im Anschluss sendet sie ihre Kreativen, die für Aufbruchstimmung sorgen sollenLukas Kircher

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kreativen Lösungen und nicht mit Agenturhonoraren, die auf Mediaschal-tungen beruhen.

Die Medienindustrie hebt oft die Bedeutung des Werbeumfelds her-vor. Ist es ein Unterschied, ob ich bei Facebook eine Botschaft sende oder in einem Leitmedium mit sehr hochwertigem Content?THORSTEN MANDEL: Das Umfeld spielt natürlich eine Rolle. Davon bin ich fest überzeugt. Es gab vor einigen Jahren, – als es targeting-technisch möglich wurde, – eine Tendenz, dass man nur noch auf die Zielgruppe ging – völlig egal, wo die Person sich auf-hält. Das kann bei einigen Produkten und Kampagnen sogar funktionieren. Dagegen gibt es aber auch nach wie vor Produkte, für die die Orientierung am Werbeumfeld die bessere Lösung ist – einfach weil ich einen Insight habe. Der Klassiker ist der Bereich FMCG: Wenn ich meine Botschaft beispielsweise auf einer Seite mit Rezepten platziere, habe ich fast eine 100-prozentige Treffer-quote für bestimmte Produkte. Da kann ich mir sicher sein, dass die Leute ein übereinstimmendes Interesse haben. Das heißt, es gibt kein eindeutiges Ja oder Nein, beides hat seine Relevanz. Die Diskussion wird grundsätzlich aber leider immer sehr extrem geführt – also entweder Zielgruppe oder Umfeld.PETER FIGGE: Deshalb sind aber auch die Medienhäuser, die Medienmarken, die tatsächlich in der Wahrnehmung noch ein interessantes Umfeld bieten, auch aufgefordert, alles dafür zu tun, dass sie ein attraktives Umfeld bleiben.THOMAS KOCH: Es gibt eine bemer-

kenswerte Reaktion der Wirtschaft auf den Vorstoß von G+J-Chefin Julia Jäkel, die darauf hinwies, dass Quali-tätsmedien einen Wert besitzen, den wir bitte als Werbeindustrie beachten sollten. Dazu sind mehrere Dax-Un-ternehmen befragt worden, unter anderem Allianz, Commerzbank und Conti. Die Antworten der Industrie, der Marketingmanager oder Sprecher der Unternehmen, waren unisono, dass es ihnen völlig egal ist und sie ihre Ziel-gruppe effizient ansprechen wollen. Und Digital sei halt effizienter als Print. Das ist das Ende des Prints, wenn wir die Industrie so vorgehen lassen, also nur noch auf die Preiswürdigkeit des Kontaktes schauen und nicht auf Inhal-te oder den Wert des Inhalts.THORSTEN MANDEL: Da hat viel-leicht der Einkäufer gesprochen. Ich teile diese Erfahrung nicht. Wenn ich mich mit Kunden zusammensetze, spielt die Qualität des Umfelds nach wie vor eine wahnsinnig große Rolle. Im Performancemarketing, wo es am Ende um Leads und Conversions geht, ist es zum Teil relativ egal und das ist auch in Ordnung so. Aber bei den Kun-den, die markenorientiert unterwegs sind, kann ich das überhaupt nicht unterschreiben.PETER FIGGE: Ergänzend aus eigener Erfahrung kann ich sagen, warum wir vor fünf Jahren und zum Erstaunen vieler als Kreativagentur eine Perfor-mance-Marketingagentur gegründet haben. Uns war immer klar, dass man die Zukunft nicht vorhersehen, aber auf sie vorbereitet sein kann. Und dass KPIs, Effizienz, Messbarkeit und Performance eine große Rolle spielen

werden. Dementsprechend war und ist es uns wichtig, dass wir diese Welten langsam aufeinander zubewegen. Lan-ge Zeit war es so, dass die Performance- Marketer davon ausgingen, dass die Branding-Kollegen schon was Sinnvol-les für die Markenbildung machen wer-den. Und die Branding-Kollegen sagten sich, sie seien für den Absatz nicht verantwortlich. Gleichzeitig sehen aber Kunden, die nur performance-ori-entiert gearbeitet haben, dass sie mit abnehmendem Grenznutzen konfron-tiert werden, und plötzlich erkennen sie, dass dann doch Präferenzbildung und Marke für sie eine Relevanz ha-ben. Wir haben inzwischen mehrere Kundenbeispiele, bei denen wir erfolg-reich eine Kampagnenarchitektur für Branding und Performance aus einem Guss planen und auch die einzelnen Werbemittel, von Awareness schaf-fendem Bewegtbild über segmentierte Presenter-Spots bis Hardcore-Perfor-mance-Marketing, kreativ umgesetzt haben. Und das Wichtigste an der Stelle ist für mich, dass man vor allem pilo-tiert und möglichst schnell lernt – aus Misserfolgen genauso wie aus Erfolgen. THOMAS KOCH: Das wäre auch wün-schenswert, die Wirklichkeit sieht aller-dings anders aus. Nämlich so, dass von den Online-Spendings weltweit, außer-halb Chinas, 77 Prozent an Google und Facebook gehen. Wozu brauchen wir da noch andere Online-Plattformen? Online-Werbung findet nur noch auf Google und Facebook statt. Von jedem neuen Dollar, der investiert wird, flie-ßen über 90 Cent zu Google und Face-book. Lasst die doch Performance ma-chen. Dann haben wir damit überhaupt keine Stakes mehr. Obwohl Google nicht klassische Werbung anbietet. Das ist Search und Search-Optimierung. Darin liegt ja unser Dilemma: dass wir immer weniger in Markenaufbau und Branding investieren, stattdessen in Search und E-Commerce. Kein Wun-der, dass die Markenloyalität sinkt.

Wenn wir ein solches Beispiel neh-men, wie das, von dem Peter gerade berichtet hat: Eine Agentur führt die gesamte Kampagnenarchitektur durch. Nun steht diese Erfahrung im Kontrast zu den anfangs benannten Schwächen von Marketingabteilun-gen wie Silodenke. Damit verbunden ist die Frage: Was braucht es, um ein solches ganzheitliches Denken und

Handeln in einem Unternehmen zu ermöglichen?LUKAS KIRCHER: Was Jung von Matt in diesem Fall pioniert – und uns geht es mit Kunden auch so – ist, dass die Agentur etwas im Unternehmen über-brückt, was dort noch nicht überbrückt ist. Einen Blickwinkel aufzuzeigen, bei welchem der Mediaverantwortliche wirklich die ganze Kommunikations-schiene verantwortlich betrachten muss. Wenn das klassische Denken aufgebrochen wird, wie bekomme ich möglichst viel Reichweite für möglichst wenig Geld, damit ich am Ende meinen Jahresbonus bekomme. Wenn dies gelingt, kann wirklich ganzheitlich als marktorientierte Unternehmensfüh-rung überlegt werden, wo sich welches Investment lohnt und mit welchem Prozess ich dieses einsetze. Aktuell entstehen immer mehr Marke-ting-Newsrooms für Unternehmen und damit verbunden Marketingstruktu-ren auf der grünen Wiese. Ich glaube, wenn Agenturen jetzt schlau sind und sich sehr unternehmensnah aufstel-len, haben wir eine Möglichkeit, den großen Unternehmen zu zeigen, wie wir Prozesse überbrücken, sodass die Unternehmen irgendwann selbst den Wert erkennen. Und damit verbunden hoffentlich auch irgendwann der CMO gesamtverantwortlich ist. Ich glaube, das brauchen wir in der Industrie.PETER FIGGE: Und ganz konkret: Zwei von unseren großen Kunden bemühen sich aktuell, ihre Marketingorganisati-on zu verändern und das auch entlang einer Logik, die bedeutet, dass sie ihren Kunden besser zuhören können und Daten anders nutzen wollen, die klassischen Instrumentesilos einreißen und effizientere Kommunikationswege suchen. Was man dann beobachten kann, ist, dass dies zunächst nur als Projektorganisation möglich ist, weil eine klassische Aufbauorganisation in vielen Großunternehmen nicht so einfach verändert werden kann. Aber mir zeigt das, dass Veränderung wirk-lich gewollt ist. Um in dieser Situation als Agentur ein kompetenter Spar-ringspartner und ein guter Begleiter zu sein, braucht man an den richtigen Stellen sehr gute Generalisten, die ein breites Wissen und gutes Bauchgefühl haben. Und gute Experten, die sich in den einzelnen Kommunikations-kanälen und -technologien wirklich auskennen. Denn auch hier gilt ein

alter Jung-von-Matt-Grundsatz: Kre-ativ exzellent ist es erst dann, wenn Idee und Umsetzung exzellent sind. Last, but not least braucht es sehr gutes Projektmanagement, denn ich muss all die Möglichkeiten, die es gibt, am Ende auch in einem Arbeitsprozess effizient einsetzen und herstellen.LUKAS KIRCHER: Wir üben uns gerade in kreativer Selbstzerstörung und splitten die Agentur wieder auf, weil dieser große, monolithische Agenturengedanke immer schwieriger wird. Stattdessen bauen wir immer mehr Marketingorganisationen beim Kunden vor Ort mit dem Ziel, dass diese Kompetenz Stück für Stück ins Unternehmen zurückwandert. Ich habe mich früher immer gefragt, warum ein solches Model so attraktiv ist für Unter-nehmen, aber es ist natürlich auch eine großartige Möglichkeit, auf der grünen Wiese vorbei an Strukturen Marketing zu machen. Es erleichtert dem Kunden die Transformation.

Ist Unternehmensberatung ein Wachstumszweig für Marketing- und Werbeagenturen?PETER FIGGE: Klassische Bera-tung: Nein. Unsere Konzeptions- und Strategiearbeit wird aber immer an-spruchsvoller – und dafür braucht es in Agenturen kluge Menschen und echte Experten, die das leisten können. In jedem Fall sehen wir einen deutlichen Zuwachs bei uns in der Agentur an Strategieaufträgen, um eben genau bei solchen Fragen zu helfen. Wir werden aber trotzdem aufgrund anderer Kern-kompetenzen als die klassischen Bera-ter angefragt und die liegen in unserer

Kreativität, unserer Bereitschaft, Dinge immer radikal zu hinterfragen, und unserer großen Umsetzungsstärke.THORSTEN MANDEL: Das kann ich aus einem anderen Blickwinkel heraus teilen. Über die Qualität unserer Mitar-beiter hinaus verfügen wir im Gegensatz zu Unternehmensberatern noch über einen ganz anderen, entscheidenden USP. Wir haben mittlerweile diverse Tech-Data-Beratungsmandate, weil wir ein riesiges Asset vorweisen können: Wir sind auch in der Lage, die Maschi-nen zu bedienen, was die klassischen Unternehmensberater ja kaum tun. PETER FIGGE: Aber was ist der fun-damentale Unterschied? Wir sind im weiteren Sinne alle Kreativwirtschaft und wir sind als Jung von Matt eine Kreativagentur. Aus diesem Kern kommen wir und daran hat sich auch nichts geändert. Diese Diskussion, ob Technologie Kreativität ersetzt oder die Berater uns abschaffen, halte ich für Bullshit. Wenn technologisch-prozes-sual alle gleichgezogen haben, würde am Ende wieder jemand dastehen und fragen, wie es jetzt weitergeht. Dann sind wir wieder bei den Themen Kreativität und kreative Lösungen. Menschen, die ungewöhnliche Ideen und den Mut haben, für diese Ideen zu kämpfen, und dann am Ende eben auch eine kommunikative Verzinsung erzielen, die werden immer relevant bleiben und auch nicht durch klassi-sche Unternehmensberatung ersetzt. THORSTEN MANDEL: Dazu passt die aktuelle SAP-Diskussion: SAP kommt-mit einem umfangreichen Tech-Ange-bot auf den Markt und plötzlich sollen alle selbst Werbung schalten können.

Werbung folgt ja eher dem Gedanken der Push-Kommunikation – den wesentlichen Pull-Gedanken, also den Rückkanal, klammern wir dabei komplett ausThorsten Mandel

Wenn technologische Waffengleichheit besteht, macht Kreativität den Unterschied Peter Figge

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Wir bei Pilot sehen SAP hingegen als ei-nen Anbieter, mit dem wir eng zusam-menarbeiten wollen, um diese Techno-logie für unsere Kunden einzusetzen.PETER FIGGE: Ich finde, SAP hat als starkes Argument ihre enge Verbin-dung mit fast allen Großkunden, bei denen sie eine Vielzahl der Geschäfts-prozesse software-seitig unterstützen. Damit stützen sie sich auf eine techno-logische Kompetenz und bleiben, was die Datenhaltung angeht, neutral. Ob SAP mit dieser Strategie erfolgreich sein wird, weiß man noch nicht, aber sie haben auf ihrer Seite ein Argument, das viele unterschätzen: Wir wollen keinen eigenen Zugang und keine eige-ne Nutzung eurer Unternehmensdaten, wir schaffen nur die besten technologi-schen Voraussetzungen für deren Nut-zung. Das ist anders als bei Facebook oder Google. Ob ihnen die Ausweitung ihrer Geschäftsprozesskompetenz auf den Mediaplanungs-, buchungs- und einkaufsprozess gelingt, ist sicherlich noch mal eine andere Frage. Denn man muss natürlich auch wissen, was Nutzer brauchen, und darin hat SAP keine Erfahrung, insbesondere was Mediaplanung angeht oder wie ein Interface aussehen muss, um vernünf-tig arbeiten zu können – das ist denen natürlich fremd.THOMAS KOCH: Das würde ich ger-ne ergänzen um das Thema Big Data. Wenn Big Data jedem Unternehmen verspricht, den Umsatz um drei Pro-zent zu steigern, und jedes Unterneh-men setzt Big Data ein, bleibt die Sum-me der Marktanteile in der Addition dennoch bei 100. Der Markt wird nicht größer. Das heißt, diese Systeme glei-chen sich gegenseitig wieder aus. Am Ende muss stattdessen die Kreativität eines Gedankens, die Differenzierung, die Idee für eine Kampagne stehen.PETER FIGGE: Absolut. Wenn tech-nologische Waffengleichheit besteht, macht Kreativität den Unterschied.

Es gibt die Diskussion „Kreativität versus Content“. Ist Content-Marke-ting heutzutage die überlegene Form der Kundenansprache oder es ist immer der Mix aus allem?LUKAS KIRCHER: Ich glaube, das ist eine Uraltdiskussion, die auch nur noch so in Deutschland geführt wird. Eine Denkweise „Content versus Kre-ativität“ würde ja implizieren, dass man bei der Content-Erstellung nicht

genauso kreativ sein muss. Oder umge-kehrt. Es war bereits vor sieben Jahren völlig klar, dass Content-Marketing ein hochattraktives Werkzeug in einem tollen Instrumentenkoffer ist, das an Bedeutung zunimmt, weil sehr viele Kanäle sehr intelligent mit Content umgehen können. Das hat dazu ge-führt, dass inzwischen sehr viel mehr CMOs Content intelligent einsetzen. Wo mache ich eher Brand Experiences über relevanten und verführerischen Content und wo gehe ich in den klas-sischen Campaigning-Bereich rein? Es gibt bei uns kein einziges Projekt mehr, bei dem nicht beides stattfindet. Wir haben schon vor einigen Jahren gelernt, dass wir Content und Campa-igns nur integriert betrachten dürfen, wenn wir wirklich Impact erzielen wollen. Letztendlich ist es kein Ver-drängungskampf von Strategien oder Kanälen, sondern der Kampf wird sein, wer von uns kann das, was er tut, von der Unternehmensstrategie so schlüs-sig ableiten, dass es zum nachhaltigen Unternehmenserfolg führt, und wer verschließt sich in einem Silo, macht lieber nur eine Sache und beachtet das große Ganze Drumherum nicht. Ich glaube, Letztere werden einfach ge-fressen und Erstere haben eine große Chance, als bevorzugter Partner von tollen Marken wirklich Unternehmens-karrieren weiterzubefördern. Das ist doch das, was wir eigentlich wollen. THOMAS KOCH: Die Mechanismen der Kommunikation haben sich über-haupt nicht verändert, weil sich der Mensch, der diese Kommunikation wahrnimmt, nicht verändert hat. Unser

Konsument hat sich auch durch die Digitalisierung nicht verändert. Er reagiert genauso auf Überraschun-gen und auf Differenzierung wie vor 20 Jahren.LUKAS KIRCHER: Wir haben im Content-Marketing immer wieder das Thema „Totale Reichweiten“. Content- Marketing bedient funktional und emotional Benefits für viele kleine und große Zielgruppen. Gerade bei den Functional Benefits, also Beratung, Lebenshilfe, Service Content, hat man jeweils relativ kleine Reichweiten, die aber hoch qualifiziert sind und sich in der Summe auch rechnen. Reichweiten haben bei Content-Marketing extrem unterschiedliche Ausprägungen: Wir machen für Microsoft gerade in zehn, elf Ländern den Newsroom von Berlin aus, ein gigantisches Projekt, mit dem wir im Monat 50 Millionen Unique Vi-sitors erreichen. Dann haben wir einen Unternehmensberater als Kunden und sehr überschaubare, aber wirksame Reichweiten. Der CPX, der Cost per Lead, hat eine astronomische Höhe. Aber das Ticket, der Umsatz pro Projekt in der Unternehmensberatung ist auch astronomisch hoch. Also ist der Kunde glücklich, weil er letztendlich genug ROI auf die Kampagne bekommt.

Wenn sich die Mechanismen der Kommunikation und die Konsumen-ten nicht geändert haben, dann hat sich im Kontrast etwas anderes ge-ändert: das Angebot der Agenturen. Pilot macht sowohl Content als auch Media. C3 baut Media auf und hat für die Deutsche Bank einen TV- Spot

gemacht. Jung von Matt bietet auch Performance an. Für einen Entschei-der heißt das doch: Jeder potenzielle Dienstleister behauptet, er kann alles.PETER FIGGE: Alles zu versprechen, ist eine ganz schlechte Strategie. Man sollte erst einmal wissen, was man be-sonders gut kann, und damit für etwas stehen. Daraus entwickeln sich dann weitere Angebote. Wir werden immer aus dem Kern der kreativen Exzellenz kommen, der Unabhängigkeit und dem Mut, austauschbare Regeln einer Kategoriewerbung zu hinterfragen. Wir sagen aber, dass das alles nicht mehr an ein Instrument gebunden ist. Wir können ein breiteres Instrumentenset bieten. Wir werden dennoch niemals dahin kommen, dass wir unser Heil darin suchen, dem Kunden alles um-zuhängen. Insofern glaube ich, es ist wichtig, zu wissen, woher man kommt, zu wissen, worin man stark ist, und dann aus dieser Stärke heraus zu argu-mentieren.THORSTEN MANDEL: Wir bei Pilot setzen schon seit Langem auf einen integrativen Ansatz in der Kundenbe-treuung. Einige Kunden nehmen das sehr gut an, andere wollen auch ihre sechs bis acht Agenturen – eine für Social, eine für Content und eine für Search und so weiter. Dadurch, dass ich auch einige dieser Kunden vollumfäng-lich betreue, sehe ich ja, was passiert. Ich habe letztes Jahr bei einem perfor-mance-orientierten Kunden eine Kam-pagne eingeführt, in der es um Leads ging. Wir haben an allem geschraubt, an wirklich allem, insbesondere an allen Mediaoptionen – am Ende war der zentrale Erfolgsfaktor eine mini-

male Änderung der Landingpage. Mit dem Ergebnis, dass aus zwei Leads pro Tag mehr als 100 wurden. Dieses Zu-sammenspiel kann natürlich auch mit einer externen Kreativagentur funkti-onieren, wenn der schnelle Austausch da ist und man gemeinsam am Erfolg arbeitet. Im geschilderten Fall hat es allerdings sehr geholfen, dass alles aus einer Hand kam. PETER FIGGE: Was sich zeigt, ist, dass Kunden es spannend finden und erkennen, dass Jung von Matt ihnen eine ganzheitliche Lösung liefern kann. Aber das Argument dafür, dass sie zu Jung von Matt gehen, ist nicht, dass wir Websites bauen oder Performance Marketing machen oder eine eigene Media-Agentur haben. Sondern das zentrale Argument ist und bleibt, dass sie zu Jung von Matt gehen, weil wir kreativ und mutig sind. Wenn wir dann auch noch bessere Websites als die Konkurrenz bauen, weil wir sie tech-nisch optimieren können – natürlich begeistert das Kunden.THOMAS KOCH: Es ist im Grunde genommen die Aufforderung an den Kunden, sich vorher zu überlegen, was er eigentlich braucht. Der eine will Per-formance zum günstigsten Preis und der andere will kreative Exzellenz und glaubt, dass sie effektiver ist als jeder Tausendkontaktpreis. Wenn der Kunde klar sagt, was er wirklich will, würde er uns allen das Leben erleichtern.LUKAS KIRCHER: Da kommt dann auch wieder die Strategieberatung ins Spiel, um den Kunden schon sehr früh abzuholen. Im Briefing bekommt eine Agentur ja nicht immer alle In-formationen, die sie braucht, weil die

Abteilungsleiter das Briefing erst mal passend zu Boni-Regelungen geschrie-ben haben. Ich glaube, dass man die Integration braucht, und auch verste-hen muss, worin andere Agenturen wie Pilot oder Jung von Matt so gut sind. Content-Marketing ist bei uns eigent-lich Beziehungspflege für Unterneh-men. Wir sind nicht consumer-centric oder customer-centric, sondern C3 ist relationship-centric. Wir wollen langanhaltende Kundenbeziehungen mit einem unternehmerischen Wert vertiefen und neue anbahnen. Wir wollen die Marke stärken und die Be-ziehungen zu den Konsumenten. Um das aber wirklich zu können, brauche ich fachlich den vollen Scope. Ich kann nicht Content-Strategien entwickeln, ohne Performance zu verstehen. Ich muss zumindest alle diese Grund-Skills in der Agentur haben. Es gibt einen bestimmten Punkt, eine bestimm-te Größe eines Projekts, an dem ein Projekt einfach zu Pilot gehen muss. Und es gibt einen bestimmten Punkt, an dem ich zu Adobe gehen muss oder Diconium, weil dort 300 Adobe-Pro-grammierer sitzen – da komme ich mit meinen zehn Programmierern nicht gegen an. Für diese Entscheidung muss ich das Projekt als Ganzes vorher ver-stehen und Experten an Bord haben. Ab einer gewissen Projektgröße muss ich dem Kunden sagen, der einen Spot sucht, der Deutschland wochenlang dominiert, dass er lieber mit Leuten re-den sollte, die so etwas schon viel öfter gemacht haben als wir. Dann müssen wir als Agentur auch die Größe haben, uns einzugestehen, dass wir uns auf das konzentrieren, wo wir herkommen, und es andere gibt, die das ein oder andere noch besser können.PETER FIGGE: Ich glaube, das ist etwas, was man immer wieder und von Fall zu Fall neu entscheiden muss. Grundsätzlich gilt: Man kann nicht gleichzeitig eine exzellente Kreativ- agentur und das beste System- und Software-Haus der Welt und eine he- rausragende Mediaagentur sein. Man muss vor allem Instrumente neutral denken können, man muss lösungs- orientiert sein, man muss kreativ und mutig sein und man muss in einer ausreichenden Breite – insbesondere technologisch Umsetzungsmöglichkei-ten im Haus haben. Nur so erlebt man immer wieder den Reibungspunkt des „Auf-die-Straße-Bringens“.

Die Daten gehören dem Endverbraucher. Das Marketing mutiert ansonsten zu einem Monster Thomas Koch

Es gibt CEOs, die starkes Marketingverständnis haben. Dies drückt sich dann auch im Unternehmenserfolg ausLukas Kircher

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THORSTEN MANDEL: Die zentrale Herausforderung heute ist es, schnell und flexibel zu sein. Wir haben es mit extrem unterschiedlichen Kunden-bedürfnissen zu tun. Es gibt Kunden, die stark social-media-orientiert sind, und es gibt Kunden, die suchen Hard-core-Performance. Daher stellen wir anders als früher die Kundenteams individuell zusammen. Damals gab es ganz statisch eine Unit mit einem Account Director, einigen Gruppen- leitern und ihren Teams – fertig.PETER FIGGE: Wir alle müssen im-mer projektorientierter arbeiten und die, die es noch nicht begriffen haben, müssen es lernen. Es geht darum, Projekte wirtschaftlich zu kalkulieren, zu planen und nachzuhalten. Wenn ich auf der einen Seite eine umfassende Lösung bieten und dann auch in vielen Kanälen liefern will, muss ich auch den Arbeitsprozess organisieren und effi-zient gestalten können. So spannend, wie es ist, so fordernd ist es auch. Wenn man sich als Agentur darauf nicht ein-stellt, wenn man nicht in der Lage ist, damit zu leben, dass Teams sich immer neu ausrichten und dass ich auch Pro-jekte entsprechend steuern muss, dann werde ich als Agentur ein signifikantes Problem haben.

In der Autoindustrie wurden noch vor ein paar Jahren Unternehmen wie Tesla, die als Start-up ein Auto bauen wollten, von Konzernoberen belächelt. Heute würden dieselben Entscheider vermutlich demütiger mit solchen Gedanken umgehen und würden sich sogar wünschen, dass es zu Partnerschaften kommt. Frage daher an die Agenturlandschaft: Wo steht Ihre Industrie in fünf oder zehn Jahren und welcher Prozess wird da noch stattfinden?PETER FIGGE: Ich glaube, entlang der Linien, die wir jetzt seit einer guten Stunde hier diskutieren, wird die Zukunft der Agenturen ein Mehr-verständnis für Daten, eine höhere Technologiekompetenz und noch mehr kreative Lösungen beinhalten und sie wird noch projektlastiger. Jetzt einmal profan zusammengefasst. THORSTEN MANDEL: Und sie wird agiler. Es gibt ja schon seit 20 Jahren die Prognose, dass es irgendwann mal keine festen Schreibtische mehr in Agenturen geben wird. Das dahinter-steckende Bild halte ich grundsätzlich

schon für richtig. Wir werden immer häufiger mit kurzfristig und flexibel zusammengestellten Teams arbeiten – manchmal auch nur für einige Wochen oder Monate.PETER FIGGE: Die grundsätzlichen Bedürfnisse haben sich nicht verän-dert, aber die Möglichkeiten der Be-dürfnisbefriedigung sind exponentiell gewachsen. Davon sind wir genauso wie viele andere Branchen betroffen. Es wird individueller, es gibt mehr Mög-lichkeiten, es wird dadurch projektiger, es wird transparenter und damit muss man eben umgehen. Die Daten sagen uns viel schneller, fast in Realtime, was läuft und was nicht läuft. Ich finde, diese Phänomene sind Phänomene un-serer modernen Gesellschaft. Unterm Strich steht für mich immer wieder, dass aus dem Meer an Möglichkeiten unter dem Datenschutz-Gesichtspunkt mehr Verantwortung von uns gefordert wird, zugleich erwachsen aber auch viel mehr Chancen. Was man aber nicht unter den Tisch kehren darf: Es wird immer anspruchsvoller werden!

Wenn Strategie so zentral wichtig ist, jedoch dem Kunden manchmal das Verständnis für dieses Handwerk fehlt, sind Kunden dann bereit, für Strategie zu zahlen?PETER FIGGE: Ich weiß nicht, ob das jetzt eine Einzelwahrnehmung ist, aber aktuell würde ich sagen: Es hat sich gebessert. Dadurch, dass auch die Notwendigkeit einer hohen Fach-kompetenz empfunden wird, wird für diese Art von Strategie- und Beratungs-leistung, insbesondere wenn sie mit dem Thema Daten zu tun hat, auch

durchaus vernünftig bezahlt. Ich kann da nicht für die Branche sprechen, aber für uns.THOMAS KOCH: Das kann ich bestä-tigen – und zwar aus der allerjüngsten Vergangenheit und meinen letzten Erlebnissen. Der Kunde merkt, wenn er keine Mediastrategie hat. Er merkt inzwischen, dass er von den meisten Agenturen nur Mediapläne bekommt, aber keine Strategie. Das heißt, keine Begründung für das, was da geplant wird. Keine Begründung für die Kanäle, in die das Geld investiert werden soll. Und wenn man ihn darauf anspricht, dass eine Strategie eine ziemlich gute Idee wäre, dann geht auch die Brief-tasche auf. Das hätte es vielleicht vor drei, vier Jahren noch nicht gegeben. An der Stelle schlafen viele Agenturen vor lauter Digitalisierung tief und fest.LUKAS KIRCHER: Wir überlegen seit unserer Gründung, wer oder was unser Geschäft bedrohen wird und wie wir darauf reagieren. Wir sehen zwei große Bedrohungsszenarien. Auf der einen Seite möchte ich die Berater nicht un-terschätzen, die sich Kreativagenturen kaufen. Nicht weil die Berater so krea-tiv sind, sondern weil sie anfangen wer-den, über Iterationen zu lernen, dass Kreativität einen unternehmerischen Wert hat. Und weil die Berater das Ohr des CEO haben und das Kreative dann auch in Powerpoint umrechnen. Auf der anderen Seite stehen die Growth Hacker. Wir lernen gerade sehr viel von kleinen Start-ups – wie diese mit kleinsten Mitteln Markterfolge erzeu-gen. Ich glaube, was diese Form der Marketingsteuerung noch daran hin-dert, Großkonzerne zu übernehmen,

ist, dass sie „Großkonzern“ noch nicht verstehen. Für Konzerne ist Growth Hacking wohl ein riesiger Kindergar-ten von unlogischen Entscheidungen. Daraus entsteht für uns bei C3 die Stra-tegie, aus dem klassischen Agenturmo-dell immer weiter auszusteigen. Wir bauen Marketing-Newsrooms im Un-ternehmen und haben trotzdem einen starken zentralen Hub für neue Ideen. Wir nennen das hybride Agentur.PETER FIGGE: Interessant ist, ob es den Beratern gelingt, ein Arbeitsum-feld zu schaffen, in dem kreative Men-schen auch bleiben wollen. Das müssen sie hinkriegen. Das, was sie bis jetzt als Kreativagenturen gekauft haben, waren vor allem user-experience-orientierte und oberflächen-design-orientierte Unternehmen. Und damit sehr gute, aber eben auch spezialisierte Unter-nehmen, die nicht das gesamte Krea-tivspektrum abdecken. LUKAS KIRCHER: Das ist aber ein interessanter Punkt, weil Beratungen ja davon ausgehen, dass die Total User Experience die Markenführung der Zukunft ist. Das kann man jetzt ein bisschen technoid finden, aber wenn man sich anschaut, was heute im Markt passiert, ist das keine ganz falsche These.

Wie geht es weiter: Müssen wir uns auf ein Agentursterben und die gro-ße Marktbereinigung einstellen?LUKAS KIRCHER: Die, die sich jetzt nicht aufstellen und schnell und intel-ligent sind, mit diesen neuen Möglich-keiten umzugehen, haben auf Dauer nur noch eine Chance: ihre Preise zu mindern.THORSTEN MANDEL: Es wird durch-aus größere Verschiebungen geben, das glaube ich auch. Gerade, wenn wirklich große Etats wechseln. Dann kann und wird es leider auch zum Sterben von einzelnen Agenturen kommen.PETER FIGGE: Wenn man sich mal anschaut, wer in dem Feld dessen, was man früher klassische Werbeagentur genannt hat, in den letzten Jahren hinzugekommen ist, stellt man fest, dass das sehr wenige sind. Wachstum für Agenturen gab es in den Bereichen, die neu sind.

Heiße Eisen sind derzeit die künftige EU-Datenschutzverordnung und die ePrivacy-Gesetze. Wie groß ist die Verunsicherung der Kunden?

Diese Diskussion, ob Technologie Kreativität ersetzt oder die Berater uns abschaffen, halte ich für Bullshit Peter Figge

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PETER FIGGE: Riesig.LUKAS KIRCHER: Das geht ans Einge-machte.THORSTEN MANDEL: Riesengroß. Wenn man mit Daten arbeitet, muss man sich auch mit dem Thema Daten-schutz beschäftigen. Allein der Begriff löst hier in Deutschland wahnsinnig große Ängste aus. Die wichtige Frage für mich an dieser Stelle ist, wer am Ende die Verantwortung übernimmt? Der CMO, der CTO, der CIO, der CEO? Ich habe Meetings erlebt, bei denen die Konzernrevision mit am Tisch sitzt, wenn man über solche Themen disku-tiert – weil die Angst riesig ist, einen Fehler zu machen. Ich befürchte, die Verunsicherung wird durch die kom-mende EU-Datenschutzverordnung noch viel schlimmer, weil man auch ganz offen sagen muss: Kein Jurist kann aktuell ganz eindeutig sagen, was das Gesetz für Konsequenzen für unsere Arbeit haben wird. LUKAS KIRCHER: Wir fangen schon an, Dinge bei uns umzusetzen, und haben etwa seit einigen Wochen eine Dame bei unserer Agentur in Ljubljana sitzen, die aus 5 000 Eintragungen die Personennamen filtert. Ich war bei der Belehrung mit dem Anwalt dabei. Un-ternehmen wollen auch einen Daten-schutzbeauftragten in der Agentur.

Thomas Strerath hat ein deutliches Bild gezeichnet: Amazon ist die Customer Journey. Ist dieses Bild nicht erschreckend?PETER FIGGE: Thomas hat gewohnt präzise den Finger in die Wunde ge-legt. Wir haben eben über die enorme Bedeutung von Facebook und Google gesprochen – ich finde die Analyse sehr klar, sehr differenziert und sehr richtig. Ich kann nur sagen: Es ist so.LUKAS KIRCHER: Das ist ja ein The-ma, das wir im Content-Marketing und in der Markenbildung über die letzten Jahre in Deutschland verschlafen ha-ben. Was gerade passiert, ist, dass die amazon-spezialisierten Agenturen wie die Pilze aus dem Boden sprießen, und damit wird klar, dass hier ein riesiges Betätigungsfeld noch gar nicht richtig beackert wurde. Die Art und Weise, wie Marken aktuell in Amazon ihre Produk-te launchen, ist Kraut und Rüben, dies neu zu gestalten, wird auch für uns ein geniales Betätigungsfeld.PETER FIGGE: Und gerade hat Ikea bekannt gegeben, dass sie erstmalig da-

rüber nachdenken, online über andere Plattformen zu verkaufen. Etwas, das sie stets kategorisch ausgeschlossen hatten. Genauso wie wir uns eben bei Händlern wie Otto fragen: Müssen die zu einer offenen Plattform werden? Und was bedeutet das für Marken, wenn ich meine Eigenmarke habe und dort noch andere Marken spielen lasse?THOMAS KOCH: Aber ist das nicht vielleicht die Antwort auf Amazon? Eigene Plattformen zu schaffen?PETER FIGGE: Die Frage ist: Wie do-minant ist Amazon und kann das noch gelingen?

Passend zum Thema Marktdomi-nanz: Inwieweit ist es aus heutiger Sicht noch vorstellbar, dass wir eine Welt nach Facebook erleben?PETER FIGGE: Die Art und Weise, wie wir über soziale Netzwerke kommuni-zieren, wird bleiben. Ob die Netzwerke dann in 100 Jahren noch Facebook heißen, ist etwas anderes. Es werden immer neue Möglichkeiten dazukom-men, das merken wir ja heute schon.THOMAS KOCH: Ich kann mir vorstel-len, dass es Facebook irgendwann nicht mehr geben wird. Dafür wird etwas anderes an diese Stelle treten. Der User entscheidet. Und da wird Facebook vielleicht nur noch eine Metaebene sein, die Kommunikation findet aber auf anderen Plattformen statt. Wenn die Werbeindustrie erst einmal reali-siert, dass die Reichweite von Facebook nicht über 100 Prozent liegt, dann sehe ich ohnehin eine Neubewertung dieser Werbeplattform auf uns zukommen. PETER FIGGE: Ich glaube, dass die sozialen Medien gezeigt haben, dass

immer wieder etwas Neues kommen kann. Ein Kollege hat mal so schön gesagt: Dieses ganze Thema ist wie der Übergang von einer Diktatur zur Demokratie, scheiße ist es nur für den Diktator. Die schnellen Marktzugänge und neuen Möglichkeiten kommen all denen zugute, die neu in den Markt eintreten. Warum sollte nicht in zehn oder 20 Jahren wieder jemand kom-men, der ein solches Unternehmen angreift?

Ihnen allen herzlichen Dank für das Gespräch!

Das größte Manko, das unsere Branche heute besitzt: die Strategielosigkeit Thomas Koch