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========= ANNALS Of ANATOMY =========
Rudolf Bachmann zum 85.
Die oftmals realisierte hohe Lebenserwartung von Anatomen mit einer konservierenden lebenslangen Formol-Exposition in Verbindung zu bringen, ist mit dem CarzinogenVerdacht dieser Substanz obsolet geworden. Da liegt es schon naher, einer langjahrigen wissenschaftlichen Beschaftigung mit dem Phanomen "Stress" den Vorrang vor seiner taglichen Bewaltigung im klinischen Alltag zu geben. Dieser Gedanke liegt nahe zur Einleitung einer Laudatio auf einen Anatomen, dessen 1954 gedrucktes wissenschaftliches Hauptwerk in vollen 950 Handbuchseiten der Nebenniere gewidmet ist: Professor Dr. med. Rudolf Bachmann vollendet am 26. Februar 1995 sein 85. Lebensjahr.
)~I 5EMPER~
Ann Anat (1995) 177: 1-2
Gustav Fischer Verlag Jena
Gleich zu Beginn des Studiums erlebte ich meine ersten Vorlesungen bei zwei der groBen "B" der deutschen Anatomie: 1946 Wolfgang Bargmann in Kiel und 1948 Rudolf Bachmann in Gottingen. Mir steht das Bild noch deutlich vor Augen: Damals - 1948 - notzeitbedingt im grauen Kittel, aber ganz unzeitgemaB in schon erstaunlicher Leibesfiille. Der alte Professorenscherz (" ... : der andere ist Bargmann, und lehrt in Kiel") ging ihm schon damals leicht und geniiBlich iiber die Lippen, wie so manch andere spitze Bemerkung, mit der er sich des belustigten Beifalls der Studierenden - oder sagen wir besser: deren wissenden Teils -sicher sein durfte. Es war schon eine Studiensituation mit besonderer Dynamik in der Gottinger Anatomie damals: der ganz aus sich spriihende, jeden Bezug auf friihere Autoren vermeidende, in der faszinierenden Darstellung seiner eigenen Ideen und Ergebnisse begeisternde Erich Blechschmidt auf der einen - der ganz enzyklopadisch angelegte, aus seinem breiten Wissen und den immer hergestellten Beziigen lehrende Rudolf Bachmann auf der anderen Seite. Kein Wunder, daB zwei so verschiedene Personlichkeiten die Zuneigung der Studierenden spalteten, aber im ganzen das Studium ungemein belebten und spannungsreich hielten.
Rudolf Bachmann, als Sohn eines praktischen Arztes in Mylau im Vogtland 1910 geboren, war die in der traditionsreichen Fiirstenschule in Grimma zuteil gewordene humanistische Bildung das lebenslange Fundament seiner weitgespann ten Interessen. Das Studium der Medizin in Leipzig von 1929 - 1934 war bereits morphologisch gepragt durch den Anatomen Held und den Pathologen Hueck, bei denen er schon wahrend des Studiums arbeitete. Nach der Promotion ("Die Sensibilisierung von Kaninchen mit menschlichern Blutserum") wurde er 1935 Assistent bei Professor Max Clara im Leipziger Institut. Ais junger Dozent - er hatte sich 1941 mit "Nebennierenstudien" habilitiert und war 1942 zum Dozenten und zum 2. Prosektor ernannt worden - trug er in Leipzig, bis zum Kriegsende auch als Chef der "Studentenkompanie", die unglaubliche Ausbildungslast der Kriegsgeneration von Medizinstudenten. Mit dieser reich en Unterrichtserfahrung durfte er sich in allen Teilgebieten des Gesamtfaches Anatomie "sattelfest" fiihlen. Das Kriegsende verschlug ihn in das westliche "Zonenrandgebiet" und die vorubergehende Tatigkeit als Landarzt, bis er schon bald im November 1945 zunachst als Dozent in Gottingen die Lehrtatigkeit wieder aufnehmen konnte. Das planmaBige Extraordinariat hatte er 1946 bis 1952 inne. Seine groBe Anerkennung in der Gottinger Fakultat lieB
1952 das personliche Ordinariat und 1955/56 das Dekanat folgen. 1959 wurde er in Nachfolge von Benno Romeis nach MOnchen berufen, wo er erneut 1963/64 Dekan der Medizinischen Fakultat war. 1975 wurde er emeritiert und lebt seither in MOnchen.
Das wissenschaftliche Hauptinteresse lag beim endokrinen System im weiteren Sinne. Schon 1947 findet sich eine erste Arbeit Ober das "Differentialnervenzellbild" im Zwischenhirn. Uber die klassische Histologie hinaus wandte er schon frilh histochemische Methoden an. Bald erkannte er, daB es hier besonders auf die Gewinnung nicht artefiziell veranderter Gewebe ankam. Daraus entstand u. a. der Anstol3, die Gefriertrocknung als damals schonendstes Konservierungsverfahren einzufiihren, urn des sen Entwicklung sich sein Mitarbeiter Karlheinz Neumann mit zunachst ganz improvisierten Apparaten besonders verdient machte. Zahlreiche Doktoranden haben in diesem Team gearbeitet.
Daneben aber lief die standige Erweiterung seines Wissenschatzes, wobei es weniger urn die Gesamterfassung des verfiigbaren Wissens ging, als urn die Einfilgung z. T. ganz subjektiv ausgewahlter Befunde und Theorien in sein subjektiyes Wertungssystem und weitgefal3tes Wissenschaftsbild. In unzahligen Excerpten fOgte er immer wieder neue Bestandteile in ein eigenes, systematisch gegliedertes und in lang en Ringbuchordnern dokumentiertes Archiv ein, das jederzeit gezielten Zugang zu beliebigen Themata ermoglichte. Aus dem Fundus dieser breit gefacherten Sammlung (und einer ebensolchen Dia-Sammlung) gestaltete er seine Vorlesungen. Dort, besonders aber in den zahlreichen, vor den verschiedensten Gremien gehaltenen Vortragen entfaltete sich die ganze FOlIe und Breite seines Wissens mit weitreiehenden BezOgen in die allgemeine Biologie, die Anthropologie, aber auch die Philosophie und Kunstbetrachtung. Die hier verarbeiteten Zitate machen den personlich gepragten Akzent der Auswahl deutlich. In Vortragen machte er den Zuhorern wie sich selbst das VergnOgen, in langeren Passagen den Kundigen das Zitat erkennen, den Laien aber nur die ausgewogene Formulierung spOren zu lassen.
Rudolf Bachmann hat in seiner Biographie die grol3e Entwicklungsspanne von dem Streit urn die Neuronentheorie (Held gehorte wie StOhr zu den "Antineuronisten") bis hin zu den Ergebnissen der Elektronenmikroskopie erlebt. Dabei war ihm aber Morphologie sehr viel mehr als nur Strukturbeschreibung, Anatomie mehr als Grundlagenfach. "Die allgemeine Anschauung des Organischen und seines Werdens" (Keller: Grilner Heinrich) fiihrt zur "dynamischen Morphologie", zu einem Gestalt-Verstandnis, das das Gestalt-haben, Gestalt-sein und Gestalt-werden in gleicher Wei-
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se einschliel3t und Ober die Naturbetrachtung oder Systemanalyse hinaus die Verbindung von Naturwissenschaft und subjektivem Erleben, von Wissenschaft und Erfahrung darzustellen versucht. Seine MOnchener Antrittsvorlesung "Die Bedeutung der Morphologie als eine Grundwissenschaft der Heilkunde" greift dieses Credo auf.
Bine ausgepragte Liebe zum Detail auf der einen Seite, wie andererseits die Fiihigkeit, in Zusammenhangen zu denken und die Einzelbefunde - auch historisch - in einen grol3eren Zusammenhang zu stell en, kennzeichnen das wissenschaftliche Werk ebenso wie die gehaltvollen Vortrage. Wer hier einen Zugang zu Rudolf Bachmann als Personlichkeit sucht, der lese noch einmal seinen letzten gro/3en Vortrag vor der Anatomischen Gesellschaft in Antwerpen (1980: Verh. Anat. Ges. 75, 33 -46) Ober Sommering nach: Kleinste, liebevoll zusammengetragene biographische Einzelheiten eines ganzen Personenkreises werden zu einem "Historiengemalde" zusammengefOgt, in des sen Zentrum der "bedeutendste deutsche Anatom des angehenden 19.1ahrhunderts" anschaulich, ja lebendig wird. Oder seinen Aufsatz "Morphologie und Kunst" (Die Sammlung 11: 195 - 207, 1956), dessen Anfang hier - dem lubilar hoffentlich zum schmunzelnden VergnOgen - freundlich persifliert sei:
Wenn wir Rudolf Bachmann - und indem wir diesen Namen nennen, werden diese Betrachtungen auch Gedenken an die anderen groBen B's, die Wegbegleiter in der Anatomie: Alfred Benninghoff, Wolfgang Bargmann und Erich Blechschmidt - zu einem lubilaum gratulieren, das zu erleben eigentlich schon jenseits berechtigter Erwartungen liegt, mogen diese nun von biblischen Texten oder soziologisch begrOndeten Daten ausgehen, so bezeugen wir in ihm zugleieh einer Generation von Fachkollegen unsern tiefen Respekt vor einer Lebensleistung, die tiber aIle Wirrungen und Note der Zeit hinweg stets dem Humboldtschen Ideal einer Einheit von Forschung und Lehre sieh verpflichtet wul3te und dies im Sinne eines Hippokrates weitergab an nieht zu zahlende lOnger Askulaps, die am Anfang ihres beruflichen Weges eine Pragung und Wegweisung erfuhren, und so -wie hier personlich bezeugt sei - in Biographien nachspOrbar weiterwirkt und sich fort pflanzen sollte in weitere Generationen: Videant consules, ne quid res anatomiae detrimenti capiat!
Ad multos annos!
Klaus V. Hinrichsen Bochum