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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE SCHRIFTEN Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 6 Seite: 1

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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE

SCHRIFTEN

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RUDOLF STEINER

GOETHES WELTANSCHAUUNG

1990

RUDOLF STEINER VERLAG

DORN ACH/SCHWEIZ

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Herausgegeben von der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung,

Dornach/Schweiz

1. und 2. Auflage, Weimar 1897

2., 3. und 4. Auflage, ergänzt und erweitert

Berlin 1918

5. Auflage (bezeichnet als 5,-12. Auflage)

Berlin 1921

(6. Auflage), Freiburg i. Br. 1948

7. Auflage (bezeichnet als 5. Auflage)

Gesamtausgabe Dornach 1963

8. Auflage, Gesamtausgabe Dornach 1990

Bibliographie-Nr. 6

Alle Rechte bei Rudolf Steiner-Nachlaß Verwaltung, Dornach/Schweiz

© 1963 by Rudolf Steiner-Nachlaß Verwaltung, Dornach/Schweiz

Printed in Germany by Konkordia Druck GmbH, Bühl/Baden

ISBN 3-7274-0060-9

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I N H A L T

Vorrede zur neuen Ausgabe [1918] 7Vorrede zur ersten Auflage [1897] 9

Einleitung 14

GOETHES STELLUNG INNERHALB DER

ABENDLÄNDISCHEN GEDANKENENTWICKLUNG

Goethe und Schüler 21Die platonische Weltanschauung 26Die Folgen der platonischen Weltanschauung 34Goethe und die platonische Weltansicht 46

Persönlichkeit und Weltanschauung 63Die Metamorphose der Welterscheinungen 78

DIE ANSCHAUUNGEN ÜBER NATUR UND ENTWICKLUNG

DER LEBEWESEN

Die Metamorphosenlehre 101

DIE BETRACHTUNG DER FARBENWELT

Die Erscheinungen der Farbenwelt 159

GEDANKEN ÜBER ENTWICKLUNGSGESCHICHTE

DER ERDE UND LUFTERSCHEINUNGEN

G e d a n k e n ü b e r E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e d e r E r d e 1 9 3B e t r a c h t u n g e n ü b e r a t m o s p h ä r i s c h e E r s c h e i n u n g e n . . . . 2 0 0

GOETHE UND HEGEL

Goe the u n d Hegel 205

N a c h w o r t z u r Neuauflage (1918) 210Nachträgl iche A n m e r k u n g 214

Hinweise des Herausgebers 119Namenregis ter 243Übers ich t übe r die Rudolf Steiner Gesamtausgabe . . . . 245

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VORREDE ZUR NEUEN AUSGABE [1918]

Die in dieser Schrift versuchte Schilderung der Goethe-schen Weltanschauung habe ich im Jahre 1897 unternom-men als zusammenfassende Darstellung dessen, was mir dieBetrachtung des Goetheschen Geisteslebens im Laufe vielerJahre gegeben hatte. Wie ich damals mein Ziel empfundenhabe, davon gibt die «Vorrede zur ersten Auflage » ein Bild.Diese Vorrede würde ich, schriebe ich sie heute, keineswegsdem Inhalte, sondern nur dem Stile nach anders verfassen.Da aber kein mir ersichtlicher Grund vorliegt, ein Wesent-liches an diesem Buche sonst zu ändern, so erschiene es mirals eine Unaufrichtigkeit, von den Empfindungen, mit de-nen ich vor zwanzig Jahren das Buch in die Welt sandte,heute in einer anderen Tonart zu reden. Weder hat, was ichseit seiner Veröffentlichung in der Literatur über Goethehabe verfolgen können, noch was an Ergebnissen die neue-ste Naturforschung erbracht hat, meine in dem Buche aus-gesprochenen Gedanken geändert. Ich glaube nicht ohneVerständnis zu sein für die großen Fortschritte dieser For-schung in den letzten zwanzig Jahren. Daß durch sie einGrund gegeben ist, über Goethes Weltanschauung gegen-wärtig anders zu sprechen, als ich es 1897 getan habe, glaubeich nicht. Was ich über das Verhältnis der GoetheschenWeltanschauung zu dem damaligen Stand der allgemein an-erkannten Naturideen gesagt habe, scheint mir auch zugelten mit Bezug auf die Naturwissenschaft unserer Tage.Die Haltung meines Buches wäre keine andere, wenn iches in der Gegenwart erst geschrieben hätte. Nur mir wichtigerscheinende Erweiterungen und Ergänzungen an manchenStellen unterscheiden die neue Ausgabe von der alten.

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Daß mich auch zu keiner wesentlichen Änderung des In-halts drängen kann, was ich seit sechzehn Jahren überGeisteswissenschaft veröffentlicht habe, darüber habe ichmich in dem dieser Neuausgabe angefügjen «Nachwort»ausgesprochen. Rudolf Steiner

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VORREDE ZUR ERSTEN AUFLAGE [1897]

Die Gedanken, die ich in diesem Buche ausspreche, sollendie Grundlage festhalten, die ich in der WeltanschauungGoethes beobachtet habe. Im Lauf vieler Jahre habe ich im-mer wieder und wieder das Bild dieser Weltanschauung be-trachtet. Besonderen Reiz hatte es für mich, nach den Offen-barungen zu sehen, welche die Natur über ihr Wesen undihre Gesetze den feinen Sinnes- und Geistesorganen Goe-thes gemacht hat. Ich lernte begreifen, warum Goethe dieseOffenbarungen als so hohes Glück empfand, daß er sie zu-weilen höher schätzte als seine Dichtungsgabe. Ich lebtemich in die Empfindungen ein, die durch Goethes Seele zo-gen, wenn er sagte, daß «wir durch nichts so sehr veranlaßtwerden über uns selbst zu denken, als wenn wir höchstbedeutende Gegenstände, besonders entschiedene charak-teristische Naturszenen, nach langen Zwischenräumen end-lich wiedersehen und den zurückgebliebenen Eindruck mitder gegenwärtigen Einwirkung vergleichen. Da werden wirdenn im ganzen bemerken, daß das Objekt immer mehr her-vortritt, daß, wenn wir uns früher an den Gegenständen emp-fanden, Freud* und Leid, Heiterkeit und Verwirrung auf sieübertrugen, wir nunmehr bei gebändigter Selbsügkeit ihnendas gebührende Recht widerfahren lassen, ihre Eigenhei-ten zu erkennen und ihre Eigenschaften sofern wir sie durch-dringen, in einem höhern Grade zu schätzen wissen. JeneArt des Anschauens gewährt der künstlerische Blick, dieseeignet sich dem Naturforscher, und ich mußte mich, zwar an-fangs nicht ohne Schmerzen, zuletzt doch glücklich preisen,daß, indem jener Sinn mich nach und nach zu verlassen droh-te, dieser sich in Aug'und Geist desto kräftiger entwickelte.»

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Die Eindrücke, welche Goethe von den Erscheinungender Natur empfangen hat, muß man kennen, wenn man denvollen Gehalt seiner Dichtungen verstehen will. Die Ge-heimnisse, die er dem Wesen und Werden der Schöpfungabgelauscht hat, leben in seinen künstlerischen Erzeugnis-sen und werden nur demjenigen offenbar, der hinhorcht aufdie Mitteilungen, die der Dichter über die Natur macht. Derkannnichtin die Tiefender GoetheschenKunsthinuntertau-chen, dem Goethes Naturbeobachtungen unbekannt sind.

Solche Empfindungen drängten mich zu der Beschäfti-gung mit Goethes Naturstudien. Sie ließen zunächst dieIdeen reifen, die ich vor mehr als zehn Jahren in Kürschners« Deutscher Nationallitteratur» mitteilte. Was ich damals indem ersten anfing, habe ich ausgebaut in den drei folgendenBänden der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes, vondenen der letzte in diesen Tagen vor die Öffentlichkeit tritt.Dieselben Empfindungen leiteten mich, als ich vor mehre-ren Jahren die schöne Aufgabe übernahm, einen T eil dernaturwissenschaftlichen Schriften Goethes für die großeWeimarische Goethe-Ausgabe zu besorgen. Was ich an Ge-danken zu dieser Arbeit mitgebracht und was ich währendderselben ersonnen habe, bildet den Inhalt des vorliegendenBuches. Ich darf diesen Inhalt als er lebt im vollsten Sinne desWortes bezeichnen. Von vielen Ausgangspunkten aus habeich mich den Ideen Goethes zu nähern gesucht. Allen Wi-derspruch, der in mir gegen Goethes Anschauungsweiseschlummerte, habe ich aufgerufen, um gegenüber der Machtdieser einzigen Persönlichkeit die eigene Individualität zuwahren. Und je mehr ich meine eigene, selbst erkämpfteWeltanschauung ausbildete, desto mehr glaubte ich Goethezu verstehen. Ich versuchte ein Licht zu finden, das auch die

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Räume in Goethes Seele durchleuchtet, die ihm selbst dun-kel geblieben sind. Zwischen den Zeilen seiner Werke woll-te ich lesen, was mir ihn ganz verständlich machen sollte.Die Kräfte seines Geistes, die ihn beherrschten, deren ersich aber nicht selbst bewußt wurde, suchte ich zu entdek-ken. Die wesentlichen Charakterzüge seiner Seele wollte ichdurchschauen.

Unsere Zeit liebt es, die Ideen da, wo von psychologi-scher Betrachtung einer Persönlichkeit die Rede ist, in einemmystischen Halbdunkel zu lassen. Die gedankliche Klarheitin solchen Dingen wird gegenwärtig als nüchterne Verstan-desweisheit verachtet. Man glaubt tiefer zu dringen, wennman von einseitig mystischen Abgründen des Seelenlebens,von dämonischen Gewalten innerhalb der Persönlichkeitspricht. Ich muß gestehen, daß mir diese Schwärmerei fürverfehlte mystische Psychologie als Oberflächlichkeit er-scheint. Sie ist bei Menschen vorhanden, in denen der Inhaltder Ideenwelt keine Empfindungen erzeugt. Sie können indie Tiefen dieses Inhaltes nicht hinabsteigen, sie fühlen dieWärme nicht, die von ihm ausströmt. Deshalb suchen siediese Wärme in der Unklarheit. Wer imstande ist, sich ein-zuleben in die hellen Sphären der reinen Gedankenwelt, derempfindet in ihnen das, was er sonst nirgends empfindenkann. Persönlichkeiten wie die Goethes kann man nur er-kennen, wenn man die Ideen, von denen sie beherrscht sind,in ihrer lichten Klarheit in sich aufzunehmen vermag. Wereine falsche Mystik in der Psychologie liebt, wird vielleichtmeine Betrachtungsweise kalt finden. Ob es aber meineSchuld ist, daß ich das Dunkle und Unbestimmte nicht mitdem Tiefsinnigen für ein und dasselbe halten kann? So reinund klar, wie mir die Ideen erschienen sind, die in Goethe als

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wirksame Kräfte gewaltet haben, versuche ich sie darzustel-len. Vielleicht findet auch mancher die Linien, die ich gezo-gen habe, die Farben, die ich aufgetragen habe, zu einfach.Ich meine aber, daß man das Große am besten charakteri-siert, wenn man es in seiner monumentalen Einfachheit dar-zustellen versucht. Die kleinen Schnörkel und Anhängselverwirren nur die Betrachtung. Nicht auf nebensächlicheGedanken, zu denen er durch dieses oder jenes Erlebnis vonuntergeordneter Bedeutung veranlaßt worden ist, kommtes mir bei Goethe an, sondern auf die Grundrichtung seinesGeistes. Mag dieser Geist auch da und dort Seitenwege ein-schlagen : eine Haupttendenz ist immer zu erkennen. Und siehabe ich zu verfolgen gesucht. Wer da meint, daß die Regio-nen, durch die ich gegangen bin, eisig sind, von dem meineich, er habe sein Herz^ zu Hause gelassen.

Will man mir den Vorwurf machen, daß ich nur diejeni-gen Seiten der Goetheschen Weltanschauung schildere, aufdie mich mein eigenes Denken und Empfinden weist, sokann ich nichts erwidern, als daß ich eine fremde Persön-lichkeit nur so ansehen will, wie sie mir nach meiner eigenenWesenheit erscheinen muß. Die Objektivität derjenigen Dar-steller, die sich selbst verleugnen wollen, wenn sie fremdeIdeen schildern, schätze ich nicht hoch. Ich glaube, sie kannnur matte und farbenblasse Bilder malen. Ein Kampf liegtjeder wahren Darstellung einer fremden Weltanschauungzu Grunde. Und der völlig besiegte wird nicht der besteDarsteller sein. Die fremde Macht muß Achtung erzwingen;aber die eigenen Waffen müssen ihren Dienst tun. Ich habedeshalb rückhaltlos ausgesprochen, daß nach meiner An-sicht die Goethesche Denkweise Grenzen hat. Daß es Er-kenntnisgebiete gibt, die ihr verschlossen geblieben sind.

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Ich habe gezeigt, welche Richtung die Beobachtung derWelterscheinungen nehmen muß, wenn sie in die Gebietedringen will, die Goethe nicht betreten hat, oder auf denener, wenn er sich in sie begeben hat, unsicher herumgeirrtist. So interessant es ist, einem großen Geiste auf seinenWegen zu folgen; ich möchte jedem nur so weit folgen, alser mich selbst fördert. Denn nicht die Betrachtung, die Er-kenntnis, sondern das Leben, die eigene Tätigkeit ist dasWertvolle. Der reine Historiker ist ein schwacher, ein un-kräftiger Mensch. Die historische Erkenntnis raubt dieEnergie und Spannkraft des eigenen Wirkens. Wer allesverstehen will, wird selbst wenig sein. Was fruchtbar ist,allein ist wahr, hat Goethe gesagt. Soweit Goethe für unsereZeit fruchtbar ist, soweit soll man sich in seine Gedanken-und Empfindungswelt einleben. Und ich glaube, aus derfolgenden Darstellung wird hervorgehen, daß unzähligenoch ungehobene Schätze in dieser Gedanken- und Emp-findungswelt verborgen liegen. Ich habe auf die Stellenhingedeutet, an denen die moderne Wissenschaft hinterGoethe zurückgeblieben ist. Ich habe von der Armut dergegenwärtigen Ideenwelt gesprochen und ihr den Reich-tum und die Fülle der Goetheschen entgegengehalten. InGoethes Denken sind Keime, welche die moderne Natur-wissenschaft zur Reife bringen sollte. Für sie könnte diesesDenken vorbildlich sein. Sie hat einen größeren Beobach-tungsstoffais Goethe. Aber sie hat diesen Stoff nur mit spär-lichem und unzureichendem Ideengehalt durchsetzt. Ichhoffe, daß aus meinen Ausführungen hervorgeht, wie we-nig Eignung die moderne naturwissenschaftliche Denk-weise dazu besitzt, Goethe zu kritisieren, und wie viel sievon ihm lernen könnte. ^ teiner

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EINLEITUNG

Will man Goethes Weltanschauung verstehen, so darf mansich nicht damit begnügen, hinzuhorchen, was er selbst ineinzelnen Aussprüchen über sie sagt. In kristallklaren, scharfgeprägten Sätzen den Kern seines Wesens auszusprechen,lag nicht in seiner Natur. Solche Sätze schienen ihm dieWirklichkeit eher zu verzerren als richtig abzubilden. Erhatte eine gewisse Scheu davor, das Lebendige, die Wirk-lichkeit in einem durchsichtigen Gedanken festzuhalten.Sein Innenleben, seine Beziehung zur Außenwelt, seine Be-obachtungen über die Dinge und Ereignisse waren zu reich,zu erfüllt von zarten Bestandteilen, von intimen Elementen,um von ihm selbst in einfache Formeln gebracht zu werden.Er spricht sich aus, wenn ihn dieses oder jenes Erlebnis da-zu drängt. Aber er sagt immer zu viel oder zu wenig. Dielebhafte Anteilnahme an allem, was an ihn herankommt, be-stimmt ihn oft, schärfere Ausdrücke zu gebrauchen, als esseine Gesamtnatur verlangt. Sie verführt ihn ebenso oft,sich unbestimmt zu äußern, wo ihn sein Wesen zu einer be-stimmten Meinung nötigen könnte. Er ist immer ängstlich,wenn es sich darum handelt, zwischen zwei Ansichten zuentscheiden. Er will sich die Unbefangenheit nicht dadurchrauben, daß er seinen Gedanken eine scharfe Richtung gibt.Er beruhigt sich bei dem Gedanken: «Der Mensch ist nichtgeboren, die Probleme der Welt zu losen, wohl aber zu su-chen, wo das Problem angeht, und sich sodann in der Gren-ze des Begreiflichen zu halten.» Ein Problem, das der Menschgelöst zu haben glaubt, entzieht ihm die Möglichkeit, tau-send Dinge klar zu sehen, die in den Bereich dieses Proble-mes fallen. Er achtet auf sie nicht mehr, weil er über das Ge-

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biet aufgeklärt zu sein glaubt, in das sie fallen. Goethe möch-te lieber zwei Meinungen über eine Sache haben, die einan-der entgegengesetzt sind, als eine bestimmte. Denn jedesDing scheint ihm eine Unendlichkeit einzuschließen, derman sich von verschiedenen Seiten nähern muß, um von ih-rer ganzen Fülle etwas wahrzunehmen. «Man sagt, zwischenzwei entgegengesetzten Meinungen liegt die Wahrheit mit-ten inne. Keineswegs! Das Problem liegt dazwischen, dasUnschaubare, das ewig tätige Leben, in Ruhe gedacht.»Goethe will seine Gedanken lebendig erhalten, damit er injedem Augenblicke sie umwandeln könne, wenn die Wirk-lichkeit ihn dazu veranlaßt. Er will nicht recht haben; er willstets nur aufs «Rechte losgehen». In zwei verschiedenenZeitpunkten spricht er sich über dieselbe Sache verschiedenaus. Eine feste Theorie, die ein für allemal die Gesetzmäßig-keit einer Reihe von Erscheinungen zum Ausdruck bringenwill, ist ihm bedenklich, weil eine solche der Erkenntnis-kraft das unbefangene Verhältnis zur beweglichen Wirk-lichkeit raubt.

Wenn man dennoch die Einheit seiner Anschauungenüberschauen will, so muß man weniger auf seine Worte hö-ren, als auf seine Lebensführung sehen. Man muß sein Ver-hältnis zu den Dingen belauschen, wenn er ihrem Wesennachforscht und dabei das ergänzen, was er selbst nicht sagt.Man muß auf das Innerste seiner Persönlichkeit eingehen,das sich zum größten Teile hinter seinen Äußerungen ver-birgt. Was er sagt, mag sich oft widersprechen; was er lebt,gehört immer einem sich selber tragenden Ganzen an. Hater seine Weltanschauung auch nicht in einem geschlossenenSystem aufgezeichnet; er hat sie in einer geschlossenen Per-sönlichkeit dargelebt. Wenn wir auf sein Leben sehen, so

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lösen sich alle Widersprüche in seinem Reden. Sie sind inseinem Denken über die Welt nur in dem Sinne vorhandenwie in der Welt selbst. Er hat über die Natur dies und jenesgesagt. In einem festgefügten Gedankengebäude hat er seineNaturanschauung niemals niedergelegt. Aber wenn wirseine einzelnen Gedanken auf diesem Gebiete überblicken,so schließen sie sich von selbst zu einem Ganzen zusammen.Man kann sich eine Vorstellung davon machen, welchesGedankengebäude entstanden wäre, wenn er seine Ansich-ten im Zusammenhang vollständig dargestellt hätte. Ichhabe mir vorgesetzt, in dieser Schrift zu schildern, wieGoethes Persönlichkeit in ihrem innersten Wesen geartetgewesen sein muß, um über die Erscheinungen der Natursolche Gedanken äußern zu können, wie er sie in seinennaturwissenschaftlichen Arbeiten niedergelegt hat. Daßmanchem von dem, was ich sagen werde, Goethesche Sätzeentgegengehalten werden können, die ihm widersprechen,weiß ich. Es handelt sich mir aber in dieser Schrift nicht dar-um, eine Entwicklungsgeschichte seiner Aussprüche zugeben, sondern darum, die Grundlagen seiner Persönlich-keit darzustellen, die ihn zu seinen tiefen Einsichten in dasSchaffen und Wirken der Natur führten. Nicht aus den zahl-reichen Sätzen, in denen er an andere Denkweisen sich an-lehnt, um dadurch verständlich zu werden; oder in denener sich der Formeln bedient, welche der eine oder der anderePhilosoph gebraucht hat, lassen sich diese Grundlagen er-kennen. Aus den Äußerungen zu Eckermann könnte mansich einen Goethe konstruieren, der nie die Metamorphoseder Pflanzen hätte schreiben können. An Zelter hatte Goe-the manches Wort gerichtet, das verführen könnte, auf einewissenschaftliche Gesinnung zu schließen, die seinen gro-

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ßen Gedanken über die Bildung der Tiere widerspricht. Ichgebe zu, daß in Goethes Persönlichkeit auch Kräfte gewirkthaben, die ich nicht berücksichtigt habe. Aber diese Kräftetreten zurück hinter den eigentlich bestimmenden, die seinerWeltanschauung das Gepräge geben. Diese bestimmendenKräfte so scharf zu charakterisieren, als mir möglich ist,habe ich mir zur Aufgabe gestellt. Man wird beim Lesendieses Buches deshalb beachten müssen, daß ich nirgendsdie Absicht gehabt habe, etwa Bestandteile einer eigenenWeltanschauung durch die Darstellung der GoetheschenVorstellungsart hindurchschimmern zu lassen. Ich glaube,daß man bei einem Buche dieser Art kein Recht hat, die eige-ne Weltanschauung inhaltlich zu vertreten, sondern daß mandie Pflicht hat, dasjenige, was einem die eigene Weltanschau-ung gibt, zum Verstehen der geschilderten zu verwenden.Ich habe z. B. Goethes Verhältnis zur abendländischen Ge-dankenentwickelung so schildern wollen, wie sich diesesVerhältnis vom Gesichtspunkte der Goetheschen Weltan-schauung aus darstellt. Für die Betrachtung der Weltan-schauungen einzelner Persönlichkeiten scheint mir diese Arteinzig die historische Objektivität zu verbürgen. Eine ande-re Art hat erst einzutreten, wenn eine solche Weltanschau-ung im Zusammenhange mit anderen betrachtet wird.

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GOETHES STELLUNG

INNERHALB DER ABENDLÄNDISCHEN

GEDANKENENTWICKLUNG

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GOETHE UND SCHILLER

Goethe erzählt von einem Gespräch, das sich einstmalszwischen ihm und Schillern entspann, nachdem beide einerSitzung der naturforschenden Gesellschaft in Jena beige-wohnt hatten. Schiller zeigte sich wenig befriedigt vondem, was in der Sitzung vorgebracht worden war. Eine zer-stückelte Art, die Natur zu betrachten, war ihm entgegengetreten. Und er bemerkte, daß eine solche den Laien kei-neswegs anmuten könne. Goethe erwiderte, daß sie «denEingeweihten selbst vielleicht unheimlich bleibe, und daßes doch wohl noch eine andere Weise geben könne, dieNatur nicht gesondert und vereinzelt vorzunehmen, son-dern sie wirkend und lebendig, aus dem Ganzen in dieTeile strebend darzustellen.» Und nun entwickelte Goethedie großen Ideen, die ihm über die Pflanzennatur aufge-gangen waren. Er zeichnete «mit manchen charakteri-stischen Federstrichen eine symbolische Pflanze» vorSchillers Augen. Diese symbolische Pflanze sollte dieWesenheit ausdrücken, die in jeder einzelnen Pflanze lebt,was für besondere Formen eine solche auch annimmt. Siesollte das sukzessive Werden der einzelnen Pflanzenteile,ihr Hervorgehen auseinander und ihre Verwandtschaft un-tereinander zeigen. Über diese symbolische Pflanzengestaltschrieb Goethe am 17. April 1787m Palermo die Worte nie-der: «Eine solche muß es denn doch geben! Woran würdeich sonst erkennen, daß dieses oder jenes Gebilde eine Pflan-ze sei, wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wä-ren.» Die Vorstellung einer plastisch-ideellen Form, diedem Geiste sich offenbart, wenn er die Mannigfaltigkeit derPflanzengestalten überschaut und ihr Gemeinsames be-

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achtet, hatte Goethe in sich ausgebildet. Schiller betrachtetedieses Gebilde, das nicht in einer einzelnen, sondern in allenPflanzen leben sollte, und sagte kopfschüttelnd: «Das istkeine Erfahrung, das ist eine Idee.» Wie aus einer fremdenWelt kommend, erschienen Goethe diese Worte. Er warsich bewußt, daß er zu seiner symbolischen Gestalt durchdieselbe Art naiver Wahrnehmung gelangt war wie zu derVorstellung eines Dinges, das man mit Augen sehen undmit Händen greifen kann. Wie die einzelne Pflanze, so warfür ihn die symbolische oder Urpflanze ein objektives We-sen. Nicht einer willkürlichen Spekulation, sondern unbe-fangener Beobachtung glaubte er sie zu verdanken. Er konn-te nichts entgegnen als: «Das kann mir sehr lieb sein, wennich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augensehe.» Und er war ganz unglücklich, als Schiller daran dieWorte knüpfte: «Wie kann jemals eine Erfahrung gegebenwerden, die einer Idee angemessen sein sollte. Denn darinbesteht das Eigentümliche der letzteren, daß ihr niemalseine Erfahrung kongruieren könne.»

Zwei entgegengesetzte Weltanschauungen stehen in die-sem Gespräche einander gegenüber. Goethe sieht in derIdee eines Dinges ein Element, das in demselben unmittel-bar gegenwärtig ist, in ihm wirkt und schafft. Ein einzelnesDing nimmt, nach seiner Ansicht, bestimmte Formen ausdem Grunde an, weil die Idee sich in dem gegebenen Fallein einer besonderen Weise ausleben muß. Es hat für Goethekeinen Sinn zu sagen, ein Ding entspreche der Idee nicht.Denn das Ding kann nichts anderes sein, als das, wozu esdie Idee gemacht hat. Anders denkt Schiller. Ihm sindIdeenwelt und Erfahrungswelt zwei getrennte Reiche. DerErfahrung gehören die mannigfaltigen Dinge und Ereig-

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nisse an, die den Raum und die Zeit erfüllen. Ihr steht dasReich der Ideen gegenüber, als eine anders geartete Wirk-lichkeit, dessen sich die Vernunft bemächtigt. Weil vonzwei Seiten dem Menschen seine Erkenntnisse zufließen,von außen durch Beobachtung und von innen durch dasDenken, unterscheidet Schiller zwei Quellen der Erkennt-nis. Für Goethe gibt es nur eine Quelle der Erkenntnis, dieErfahrungswelt, in welcher die Ideenwelt eingeschlossen ist.Für ihn ist es unmöglich, zu sagen: Erfahrung und Idee, weilihm die Idee durch die geistige Erfahrung so vor dem geisti-gen Auge liegt, wie die sinnliche Welt vor dem physischen.

Schillers Anschauung ist hervorgegangen aus der Philo-sophie seiner Zeit. Die grundlegenden Vorstellungen, wel-che dieser Philosophie das Gepräge gegeben haben, undwelche treibende Kräfte der ganzen abendländischen Gei-stesbildung geworden sind, muß man im griechischenAltertume suchen. Man kann von der besonderen Wesen-heit der Goetheschen Weltanschauung ein Bild gewinnen,wenn man sie ganz aus sich selbst heraus, gewissermaßenmit Ideen, die man bloß aus ihr entlehnt, zu kennzeichnenversucht. Das soll in den späteren Teilen dieser Schrift an-gestrebt werden. Einer solchen Kennzeichnung kann aberzu Hilfe kommen ein vorangehendes Betrachten der Tat-sache, daß sich Goethe über gewisse Dinge in der einen oderandern Art ausgesprochen hat, weil er sich in Überein-stimmung oder in Gegensatz fühlte mit dem, was andereüber ein Gebiet des Natur- und Geisteslebens dachten.Mancher Ausspruch Goethes wird nur verständlich, wennman die Vorstellungsarten betrachtet, denen er sich gegen-über gestellt fand, und mit denen er sich auseinandersetzte,um einen eigenen Gesichtspunkt zu gewinnen. Wie er über

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dies oder jenes dachte und empfand, gibt zugleich eine Auf-klärung über das Wesen seiner eigenen Weltanschauung.Man muß, wenn man über dieses Gebiet Goetheschen We-sens sprechen will, manches zum Ausdruck bringen, wasbei ihm nur unbewußte Empfindung geblieben ist. In demhier angeführten Gespräch mit Schiller stand vor Goethesgeistigem Auge eine der seinigen gegensätzliche Weltan-schauung. Und diese Gegensätzlichkeit zeigt, wie er emp-fand über diejenige Vorstellungsart, die, von einer Seitedes Griechentums herkommend, einen Abgrund siehtzwischen der sinnlichen und der geistigen Erfahrung undwie er, ohne solchen Abgrund, die Erfahrung der Sinne unddie Erfahrung des Geistes sich zusammenschließen sah ineinem Weltbild, das ihm die Wirklichkeit vermittelte. Willman bewußt als Gedanken in sich beleben, was Goethe mehroder weniger unbewußt als Anschauung über die Gestaltder abendländischen Weltanschauungen in sich trug, sowerden diese Gedanken die folgenden sein. In einem ver-hängnisvollen Augenblicke bemächtigte sich eines griechi-schen Denkers ein Mißtrauen in die menschlichen Sinnes-organe. Er fing an zu glauben, daß diese Organe dem Men-schen nicht die Wahrheit überliefern, sondern daß sie ihntäuschen. Er verlor das Vertrauen zu dem, was die naive,unbefangene Beobachtung darbietet. Er fand, daß das Den-ken über die wahre Wesenheit der Dinge andere Aussagenmache als die Erfahrung. Es wird schwer sein zu sagen, inwelchem Kopfe sich dieses Mißtrauen zuerst festsetzte. Manbegegnet ihm in der eleatischen Philosophenschule, derenerster Vertreter der um 5 70 v. Chr. zu Kolophon geboreneXenophanes ist. Als die wichtigste Persönlichkeit dieserSchule erscheint Parmenides. Denn er hat mit einer Schärfe

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wie niemand vor ihm behauptet, es gäbe zwei Quellen dermenschlichen Erkenntnis. Er hat erklärt, daß die Eindrückeder Sinne Trug und Täuschung seien, und daß der Menschzu der Erkenntnis des Wahren nur durch das reine Denken,das auf die Erfahrung keine Rücksicht nimmt, gelangen kön-ne. Durch die Art, wie diese Auffassung über das Denkenund die Sinnes-Erfahrung beiParmenides auftritt, war vielenfolgenden Philosophien eine Entwicklungskrankheit ein-geimpft, an der die wissenschaftliche Bildung noch heuteleidet. Welchen Ursprung diese Vorstellungsart in orien-talischen Anschauungen hat, dies zu besprechen, ist inner-halb des Zusammenhanges der Goetheschen Weltanschau-ung nicht der Ort.

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DIE PLATONISCHE WELTANSCHAUUNG

Mit der ihm eigenen bewunderungs werten Kühnheit sprichtPlato dieses Mißtrauen in die Erfahrung aus. «Die Dinge die-ser Welt, welche unsere Sinne wahrnehmen, haben gar keinwahres Sein: sie werden immer\ sind aber nie. Sie haben nur einrelatives Sein, sind insgesamt nur in und durch ihr Verhält-nis zueinander; man kann daher ihr ganzes Dasein ebensowohlein Nichtsein nennen. Sie sind folglich auch nicht Objekte einereigentlichen Erkenntnis. Denn nur von dem, was an undfür sich und immer auf gleiche Weise ist, kann es eine solchegeben; sie hingegen sind nur das Objekt eines durch Emp-findung veranlaßten Dafürhaltens. So lange wir nur auf ihreWahrnehmung beschränkt sind, gleichen wir Menschen, diein einer finsteren Höhle so fest gebunden säßen, daß sieauch den Kopf nicht drehen könnten und nichts sehen, alsbeim Lichte eines hinter ihnen brennenden Feuers, an derWand ihnen gegenüber die Schattenbilder wirklicher Dinge,welche zwischen ihnen und dem Feuer vorübergeführt wür-den, und auch sogar von einander, ja jeder von sich selbst,eben nur die Schatten an jener Wand. Ihre Weisheit aber wäre, dieaus Erfahrung erlernte Reihenfolge jener Schatten vor herzusagen.»

In zwei Teile reißt die platonische Anschauung die Vor-stellung des Weltganzen auseinander, in die Vorstellungeiner Scheinwelt und in eine andere der Ideenwelt, der alleinwahre, ewige Wirklichkeit entsprechen soll. «Was alleinwahrhaft seiend genannt werden kann, weil es immer ist,aber nie wird, noch vergeht: das sind die idealen Urbilderjener Schattenbilder, es sind die ewigen Ideen, die Urfor-men aller Dinge. Ihnen kommt keine Vielheit zu; denn je-des ist seinem Wesen nach nur eines, indem es das Urbild

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selbst ist, dessen Nachbilder oder Schatten alle ihm gleich-namige, einzelne, vergängliche Dinge derselben Art sind.Ihnen kommt auch kein Entstehen und Vergehen zu; dennsie sind wahrhaft seiend, nie aber werdend, noch unterge-hend wie ihre hinschwindenden Nachbilder. Von ihnenallein daher gibt es eine eigentliche Erkenntnis, da das Ob-jekt einer solchen nur das sein kann, was immer und in je-dem Betracht ist, nicht das, was ist, aber auch wieder nichtist, je nachdem man es ansieht.»

Die Unterscheidung von Idee und Wahrnehmung hat nureine Berechtigung, wenn von der Art gesprochen wird, wiedie menschliche Erkenntnis zustande kommt. Der Menschmuß die Dinge auf zweifache Art zu sich sprechen lassen.Einen Teil ihrer Wesenheit sagen sie ihm freiwillig. Erbraucht nur hinzuhorchen. Dies ist der ideenfreie Teil derWirklichkeit. Den andern aber muß er ihnen entlocken. Ermuß sein Denken in Bewegung setzen, dann erfüllt sich seinInneres mit den Ideen der Dinge. Im Innern der Persön-lichkeit ist der Schauplatz, auf dem auch die Dinge ihr ide-elles Innere enthüllen. Da sprechen sie aus, was der äußerenAnschauung ewig verborgen bleibt. Das Wesen der Naturkommt hier zu Worte. Aber es liegt nur an der menschlichenOrganisation, daß durch den Zusammenklang von zweiTönen die Dinge erkannt werden müssen. In der Natur istein Erreger da, der beide Töne hervorbringt. Der unbe-fangene Mensch horcht auf den Zusammenklang. Er er-kennt in der ideellen Sprache seines Innern die Aussagen,die ihm die Dinge zukommen lassen. Nur wer die Unbefan-genheit verloren hat, der deutet die Sache anders. Er glaubt,die Sprache seines Inneren komme aus einem andern Reichals die Sprache der äußeren Anschauung. Plato ist es zum

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Bewußtsein gekommen, welches Gewicht für die mensch-liche Weltanschauung die Tatsache hat, daß die Welt sichdem Menschen von zwei Seiten her offenbart. Aus der ein-sichtsvollen Wertung dieser Tatsache erkannte er, daß derSinneswelt, allein für sich betrachtet, nicht Wirklichkeitzugesprochen werden darf. Erst wenn aus dem Seelenlebenheraus die Ideenwelt aufleuchtet und im Anschauen derWelt der Mensch Idee und Sinnesbeobachtung als einheit-liches Erkenntniserlebnis vor seinen Geist stellen kann,hat er wahre Wirklichkeit vor sich. Was die Sinnesbeob-achtung vor sich hat, ohne daß es von dem Lichte der Ideendurchstrahlt wird, ist eine Scheinwelt. So betrachtet fälltvon Platos Einsicht aus auch Licht auf die Ansicht des Par-menides von dem Trugcharakter der Sinnendinge. Und mankann sagen, die Philosophie Platos ist eines der erhabenstenGedankengebäude, die je aus dem Geiste der Menschheitentsprungen sind. Piatonismus ist die Überzeugung, daßdas Ziel alles Erkenntnisstrebens die Aneignung der dieWelt tragenden und deren Grund bildenden Ideen sein müs-se. Wer diese Überzeugung in sich nicht erwecken kann,der versteht die platonische Weltanschauung nicht. -Insofern aber der Piatonismus in die abendländische Ge-dankenentwickelung eingegriffen hat, zeigt er noch eineandere Seite. Plato ist nicht dabei stehen geblieben, die Er-kenntnis zu betonen, daß im menschlichen Anschauen die Sin-neswelt zu einem Schein wird, wenn das Licht der Ideenweltnicht auf sie geworfen wird, sondern er hat durch seine Dar-stellung dieser Tatsache der Meinung Vorschub geleistet,als ob die Sinneswelt für sich, abgesehen von dem Menschen,eine Scheinwelt sei und nur in den Ideen wahre Wirklich-keit zu rinden. Aus dieser Meinung heraus entsteht die

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Frage: wie kommen Idee und Sinnenwelt (Natur) außer-halb des Menschen zu einander? Wer außerhalb des Men-schen keine ideenlose Sinneswelt anerkennen kann, für denist die Frage nach dem Verhältnis von Idee und Sinneswelteine solche, die innerhalb der menschlichen Wesenheit ge-sucht und gelöst werden muß. Und so steht die Sache vorder Goetheschen Weltanschauung. Für diese ist die Frage:« welches Verhältnis besteht außerhalb des Menschen zwischenIdee und Sinneswelt? » eine ungesunde, weil es für sie keineSinneswelt (Natur) ohne Idee außerhalb des Menschen gibt.Nur der Mensch kann für sich die Idee von der Sinnesweltlösen und so die Natur ideenlos vorstellen. Deshalb kannman sagen: für die Goethesche Weltanschauung ist dieFrage: «wie kommen Idee und Sinnendinge zu einander?»welche die abendländische Gedankenentwickelung durchJahrhunderte beschäftigt hat, eine vollkommen überflüs-sige Frage. Und der Niederschlag dieser durch die abend-ländische Gedankenentwickelung laufenden Strömung desPiatonismus, der Goethe z. B. in dem angeführten Ge-spräche mit Schiller, aber auch in anderen Fällen entgegen-trat, wirkte auf seine Empfindung wie ein ungesundesElement des menschlichen Vorstellens. Was er nicht deut-lich mit Worten aussprach, was aber in seiner Empfindunglebte und ein mitgestaltender Impuls seiner eigenen Welt-anschauung wurde, das ist die Ansicht: was das gesundemenschliche Empfinden in jedem Augenblicke lehrt: wiedie Sprache der Anschauung und des Denkens sich verbin-den, um die volle Wirklichkeit zu offenbaren, das wurdevon den grübelnden Denkern nicht beachtet. Statt hinzu-sehen, wie die Natur zu dem Menschen spricht, bildetensie künstliche Begriffe über das Verhältnis von Ideenwelt

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und Erfahrung aus. Um vollends zu überschauen, welchtiefe Bedeutung diese von Goethe als ungesund empfundeneDenkrichtung in den Weltanschauungen hatte, die ihm ent-gegentraten und an denen er sich orientieren wollte, mußman bedenken, wie die angedeutete Strömung des Platonis-mus, welche die Sinnenwelt in Schein verflüchtigt, und dieIdeenwelt dadurch in ein schiefes Verhältnis 2u ihr bringt,durch eine einseitige philosophische Erfassung der christ-lichen Wahrheit im Laufe der abendländischen Gedanken-entwicklung eine Verstärkung erfahren hat. Weil Goethedie christliche Anschauung, mit der von ihm als ungesundempfundenen Strömung des Piatonismus verbunden, ent-gegentrat, konnte er nur unter Schwierigkeiten sein Ver-hältnis zu dem Christentum ausbilden. Goethe hat das Fort-wirken der von ihm abgelehnten Strömung des Platonis-mus in der christlichen Gedankenentwicklung nicht imeinzelnen verfolgt, aber er hat den Niederschlag dieses Fort-wirkens in den Denkungsarten empfunden, die ihm ent-gegentraten. Daher wirft auf die Gestaltung seiner Vorstel-lungsart Licht eine Betrachtung, welche das Zustandekom-men dieses Niederschlages in den Gedankenrichtungen ver-folgt, welche sich durch die Jahrhunderte vor dem Auftre-ten Goethes ausgebildet haben. Die christliche Gedanken-entwicklung war in vielen ihrer Vertreter bestrebt, sich aus-einanderzusetzen mit dem Jenseitsglauben und mit demWerte, den das Sinnesdasein hat gegenüber der geistigenWelt. Gab man sich der Anschauung hin, daß das Verhält-nis der Sinneswelt zur Ideenwelt eine von dem Menschenabgesonderte Bedeutung hat, so kam man mit der darausentstehenden Frage in die Anschauung der göttlichen Welt-ordnung hinein. Und Kirchenväter, an welche diese Frage

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herantrat, mußten sich Gedanken darüber machen, welcheRolle die platonische Ideenwelt innerhalb dieser göttlichenWeltordnung spielt. Damit stand man vor der Gefahr, das-jenige, was im menschlichen Erkennen durch unmittelbaresAnschauen sich verbindet: Idee und Sinneswelt nicht nurfür sich außer dem Menschen gesondert zu denken, sondernsie auseinander zu sondern, daß die Ideen außerhalb dessen,was dem Menschen als Natur gegeben ist, auch noch ineiner von der Natur abgesonderten Geistigkeit für sich einDasein führen. Verband man diese Vorstellung, die aufeiner unwahren Anschauung von Ideenwelt und Sinnes-welt beruhte mit der berechtigten Ansicht, daß das Gött-liche nie in der Menschenseele vollbewußt anwesend seinkann, so ergab sich ein völliges Auseinanderreißen vonIdeenwelt und Natur. Dann wird, was immer im mensch-lichen Geiste gesucht werden sollte, außerhalb desselben inder Schöpfung gesucht. In dem göttlichen Geist werden dieUrbilder aller Dinge enthalten gedacht. Die Welt wird derunvollkommene Abglanz der in Gott ruhenden vollkom-menen Ideenwelt. Es wird dann in Folge einer einseitigenAuffassung des Piatonismus die Menschenseele von demVerhältnis zwischen Idee und «Wirklichkeit» getrennt. Siedehnt ihr berechtigt gedachtes Verhältnis zur göttlichenWeltordnung aus auf das Verhältnis, das in ihr lebt zwischenIdeenwelt und Sinnes-Scheinwelt. Augustinus kommt durchsolche Vorstellungsart zu Ansichten wie diese: « Ohne jedesSchwanken wollen wir glauben, daß die denkende Seelenicht wesensgleich sei mit Gott, denn dieser gestattet keineGemeinschaft, daß aber die Seele erleuchtet werden könnedurch Teilnahme an der Gottesnatur.» Auf diese Art wirdder Menschenseele dann, wenn diese Vorstellungsart ein-

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seitig übertrieben wird, die Möglichkeit entzogen, in derNaturbetrachtung die Ideenwelt als Wesen der Wirklich-keit mitzuerleben. Und es wird solches Miterleben als un-christlich gedeutet. Über das Christentum selbst wird dieeinseitige Anschauung des Piatonismus gebreitet. Der Pla-tonismus als philosophische Weltanschauung hält sich mehrim Elemente des Denkens; das religiöse Empfinden tauchtdas Denken in das Gefühlsleben und befestigt es auf dieseArt in der Menschennatur. So im Menschenseelenlebenverankert konnte das Ungesunde des einseitigen Plato-nismus in der abendländischen Gedankenentwicklung tie-fere Bedeutung gewinnen, als wenn es bloß Philosophiegeblieben wäre. Durch Jahrhunderte stand diese Gedanken-entwicklung vor Fragen wie diese: wie steht, was der Menschals Idee ausbildet, zu den Dingen der Wirklichkeit ? Sind diein der Menschenseele durch die Ideenwelt lebenden Be-griffe nur Vorstellungen, Namen, die mit der Wirklichkeitnichts zu tun haben? Sind sie selbst etwas Wirkliches, dasder Mensch empfängt, indem er die Wirklichkeit wahr-nimmt und durch seinen Verstand begreift? Solche Fragensind für die Goethesche Weltanschauung keine Verstandes-fragen über irgend etwas, das außerhalb der menschlichenWesenheit Hegt. Im menschlichen Anschauen der Wirk-lichkeit lösen sich diese Fragen in immerwährender Leben-digkeit durch das wahre menschliche Erkennen. Und dieseGoethesche Weltanschauung muß nicht nur finden, daß inden christlichen Gedanken der Niederschlag eines einsei-tigen Piatonismus lebt, sondern sie empfindet sich selbstdem echten Christentum entfremdet, wenn dieses von sol-chem Piatonismus getränkt, ihr entgegentritt. - Was in vie-len Gedanken lebt, die Goethe in sich ausgebildet hat, um

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sich die Welt verständlich zu machen, das war Ablehnungder von ihm als ungesund empfundenen Strömung desPiatonismus. Daß er daneben einen freien Sinn hatte für dieplatonische Erhebung der Menschenseele zur Ideenwelt,das wird durch manchen Ausspruch bezeugt, den er in die-ser Richtung getan hat. Er fühlte in sich die Wirksamkeitder Ideenwirklichkeit, indem er in seiner Art der Natur be-trachtend und forschend gegenübertrat; er fühlte, daß dieNatur selbst in der Sprache der Ideen redet, wenn sich dieSeele solcher Sprache erschließt. Aber er konnte nicht zu-geben, daß man die Ideenwelt als Abgesondertes betrachtet,und sich dadurch die Möglichkeit schuf gegenüber einerIdee von dem Pflanzenwesen zu sagen: Das ist keine Er-fahrung, das ist eine Idee. Da empfand er, daß sein geistigesAuge die Idee als Wirklichkeit schaute, wie das sinnlicheAuge den physischen Teil des Pflanzenwesens sieht. Sostellte sich in Goethes Weltanschauung die auf die Ideen-welt gehende Richtung des Piatonismus in ihrer Reinheither, und es wird in ihr die von der Wirklichkeit ablenkendeStrömung desselben überwunden. Wegen dieser Gestal-tung seiner Weltanschauung mußte Goethe auch ablehnen,was ihm sich als christliche Vorstellungen so gab, daß esihm nur als umgewandelter einseitiger Piatonismus erschei-nen konnte. Und er mußte empfinden, daß in den Formenmancher Weltanschauung, die ihm entgegentraten und mitdenen er sich auseinandersetzen wollte, es nicht gelungensei, die christlich-platonische, nicht natur- und ideenge-mäße Ansicht über die Wirklichkeit innerhalb der abend-ländischen Bildung zu überwinden.

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DIE FOLGEN DER PLATONISCHEN

WELTANSCHAUUNG

Vergeblich hat sich Aristoteles gegen die platonische Spal-tung der Weltvorstellung aufgelehnt. Er sah in der Naturein einheitliches Wesen, das die Ideen ebenso enthält, wiedie durch die Sinne wahrnehmbaren Dinge und Erschei-nungen. Nur im menschlichen Geiste können die Ideen einselbständiges Dasein haben. Aber in dieser Selbständigkeitkommt ihnen keine Wirklichkeit zu. Bloß die Seele kann sieabtrennen von den wahrnehmbaren Dingen, mit denen zu-sammen sie die Wirklichkeit ausmachen. Hätte die abend-ländische Philosophie an die richtig verstandene Anschau-ung des Aristoteles angeknüpft, so wäre sie bewahrt ge-blieben vor manchem, was der Goetheschen Weltanschau-ung als Verirrung erscheinen muß.

Aber dieser richtig verstandene Aristoteles war zunächstmanchem unbequem, der eine Gedankengrundlage für diechristlichen Vorstellungen gewinnen wollte. Mit einer Na-turauffassung, welche das höchste wirksame Prinzip in dieErfahrungswelt verlegt, wußte mancher, der sich für einenecht «christlichen» Denker hielt, nichts anzufangen. Man-che christliche Philosophen und Theologen deuteten des-halb den Aristoteles um. Sie legten seinen Ansichten einenSinn unter, der nach ihrer Meinung geeignet war, demchristlichen Dogma zur logischen Stütze zu dienen. Nichtsuchen sollte der Geist in den Dingen die schaffenden Ideen.Die Wahrheit ist ja den Menschen von Gott in Form derOffenbarung mitgeteilt. Nur bestätigen sollte die Vernunft,was Gott geoffenbart hat. Die aristotelischen Sätze wurdenvon den christlichen Denkern des Mittelalters so gedeutet,

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daß die religiöse Heilswahrheit durch sie ihre philosophi-sche Bekräftigung erhielt. Erst die Auffassung Thomas'von Aquino, des bedeutendsten christlichen Denkers, suchtdie aristotelischen Gedanken in einer tiefgehenden Art indie christliche Ideenentwicklung so weit einzuweben, alses in der Zeit dieses Denkers möglich war. Nach dieser Auf-fassung enthält die Offenbarung die höchsten Wahrheiten,die Heilslehre der heiligen Schrift; aber es ist der Vernunftmöglich, in aristotelischer Weise in die Dinge sich zu ver-tiefen und deren Ideengehalt aus ihnen herauszuholen. DieOffenbarung steigt so tief herab und die Vernunft kann sichso weit erheben, daß die Heilslehre und die menschlicheErkenntnis an einer Grenze ineinander übergehen. Die Artdes Aristoteles, in die Dinge einzudringen, dient also fürThomas dazu, bis zu dem Gebiete der Offenbarung zukommen.

*Als mit Bacon von Verulam und Descartes eine Zeit anhob, inwelcher der Wille sich geltend machte, die Wahrheit durchdie eigene Kraft der menschlichen Persönlichkeit zu suchen,waren die Denkgewohnheiten in solche Richtungen ge-bracht, daß alles Streben zu nichts anderem führte als zurAufstellung von Ansichten, die trotz ihrer scheinbaren Un-abhängigkeit von der vorangehenden abendländischen Vor-stellungswelt, doch nichts waren als neue Formen derselben.Auch Bacon und Descartes haben den bösen Blick für dasVerhältnis von Erfahrung und Idee als Erbstück einer ent-arteten Gedankenwelt mitbekommen. Bacon hatte nur Sinnund Verständnis für die Einzelheiten der Natur. DurchSammeln desjenigen, was durch die räumliche und zeit-liche Mannigfaltigkeit als Gleiches oder Ähnliches sich

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hindurchzieht, glaubte er zu allgemeinen Regeln über dasNaturgeschehen zu kommen. Goethe spricht über ihn dastreffende Wort: «Denn ob er schon selbst immer daraufhindeutet, man solle die Partikularien nur deswegen sam-meln, damit man aus ihnen wählen, sie ordnen und endlichzu Universalien gelangen könne, so behalten doch bei ihm die ein-feinen Fälle <%u viele Rechte, und ehe man durch Induktion,selbst diejenige, die er anpreist, zur Vereinfachung und zumAbschluß gelangen kann, geht das Leben weg, und die Kräfteverzehren sich.» Für Bacon sind diese allgemeinen RegelnMittel, durch welche es der Vernunft möglich ist, das Ge-biet der Einzelheiten bequem zu überschauen. Aber er glaubtnicht, daß diese Regeln in dem Ideengehalte der Dinge be-gründet und wirklich schaffende Kräfte der Natur sind.Deshalb sucht er auch nicht unmittelbar in der Einzelheitdie Idee auf, sondern abstrahiert sie aus einer Vielheit vonEinzelheiten. Wer nicht daran glaubt, daß in dem einzelnenDinge die Idee lebt, kann auch keine Neigung haben, sie indemselben zu suchen. Er nimmt das Ding so hin, wie essich der bloßen äußeren Anschauung darbietet. Bacons Be-deutung ist darin zu suchen, daß er auf die durch den ge-kennzeichneten einseitigen Piatonismus herabgewürdigteäußere Anschauungsweise hinwies. Daß er betonte, in ihrsei eine Quelle der Wahrheit. Er war aber nicht im Stande,der Ideenwelt in gleicher Weise zu ihrem Rechte gegenüberder Anschauungswelt zu verhelfen. Er erklärte das Ideellefür ein subjektives Element im menschlichen Geiste. SeineDenkweise ist umgekehrter Piatonismus. Plato sieht nurin der Ideenwelt, Bacon nur in der ideenlosen Wahrneh-mungswelt die Wirklichkeit. In Bacons Auffassung liegtder Ausgangspunkt jener Denkergesinnung, von welcher

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die Naturforscher bis in die Gegenwart beherrscht sind. Sieleidet an einer falschen Ansicht über das ideelle Element derErfahrungswelt. Sie konnte nicht zurechtkommen mit derdurch eine einseitige Fragestellung erzeugten Ansicht desMittelalters, die dahin ging, daß die Ideen nur Namen,keine in den Dingen liegenden Wirklichkeiten seien.

Von anderen Gesichtspunkten aus, aber nicht minder be-einflußt durch einseitig platonisierende Denkungsarten,stellte drei Jahrzehnte nach Bacon Descartes seine Betrach-tungen an. Auch er krankt an der Erbsünde des abendlän-dischen Denkens, an dem Mißtrauen gegenüber der unbe-fangenen Beobachtung der Natur. Der Zweifel an derExistenz und Erkennbarkeit der Dinge ist der Anfang seinesForschens. Nicht auf die Dinge richtet er den Blick, um Zu-gang zur Gewißheit zu erlangen, sondern eine ganz kleinePforte, einen Schleichweg, im vollsten Sinne des Wortessucht er auf. In das intimste Gebiet des Denkens zieht ersich zurück. Alles, was ich bisher als Wahrheit geglaubthabe, kann falsch sein, sagt er sich. Was ich gedacht habe,kann auf Täuschung beruhen. Aber die eine Tatsache bleibtdoch bestehen, daß ich über die Dinge denke. Auch wennich Lug und Trug denke, so denke ich doch. Und wenn ichdenke, so existiere ich auch. Ich denke, also bin ich. Damitglaubt Descartes einen festen Ausgangspunkt für alles wei-tere Nachdenken gewonnen zu haben. Er fragt sich weiter:gibt es nicht in dem Inhalte meines Denkens noch anderes,das auf ein wahrhaftes Sein hindeutet? Und da findet er dieIdee Gottes, als eines allervollkommensten Wesens. Da derMensch selbst unvollkommen ist: wie kommt die Idee eines

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allervollkommensten Wesens in seine Gedankenwelt? Einunvollkommenes Wesen kann eine solche Idee unmöglichaus sich selbst erzeugen. Denn das vollkommenste, das eszu denken vermag, ist eben ein unvollkommenes. Es mußalso diese Idee von dem vollkommensten Wesen selbst inden Menschen gelegt sein. Also muß auch Gott existie-ren. Wie aber soll ein vollkommenes Wesen uns eineTäuschung vorspiegeln? Die Außenwelt, die sich uns alswirklich darstellt, muß deshalb auch wirklich sein. Sonstwäre sie ein Trugbild, das uns die Gottheit vormachte. Aufdiese Weise sucht Descartes das Vertrauen zur Wirklichkeitzu gewinnen, das ihm wegen ererbter Empfindungen zu-erst fehlte. Auf einem äußerst künstlichen Wege sucht erdie Wahrheit. Einseitig vom Denken geht er aus. Nur demDenken gesteht er die Kraft zu, Überzeugung hervorzu-bringen. Über die Beobachtung kann nur eine Überzeugunggewonnen werden, wenn sie durch das Denken vermitteltwird. Die Folge dieser Ansicht war, daß es das Streben derNachfolger Descartes wurde, den ganzen Umfang derWahrheiten, die das Denken aus sich heraus entwickeln undbeweisen kann, festzustellen. Die Summe aller Erkennt-nisse aus reiner Vernunft wollte man finden. Von den ein-fachsten unmittelbar klaren Einsichten wollte man ausge-hen, und fortschreitend den ganzen Kreis des reinen Den-kens durchwandern. Nach dem Muster der EuklidischenGeometrie sollte dieses System aufgebaut werden. Dennman war der Ansicht, auch diese gehe von einfachen, wah-ren Sätzen aus und entwickle durch bloße Schlußfolgerung,ohne Zuhilfenahme der Beobachtung, ihren ganzen Inhalt.Ein solches System reiner Vernunftwahrheiten zu liefern,hat Spinoza in seiner «Ethik» versucht. Eine Anzahl von

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Vorstellungen: Substanz, Attribut, Modus, Denken, Aus-dehnung usw. nimmt er vor und untersucht rein verstandes-mäßig die Beziehungen und den Inhalt dieser Vorstellun-gen. In dem Gedankengebäude soll das Wesen der Wirk-lichkeit sich aussprechen. Spinoza betrachtet nur die Er-kenntnis, die durch diese wirklichkeitsfremde Tätigkeit zu-stande kommt, als eine solche, die dem wahren Wesen derWelt entspricht, die adäquate Ideen liefert. Die aus der Sin-neswahrnehmung entsprungenen Ideen sind ihm inadäquat,verworren und verstümmelt. Es ist leicht einzusehen, daßauch in dieser Vorstellungswelt die einseitig platonischeAuffassungsweise von dem Gegensatz der Wahrnehmun-gen und der Ideen nachwirkt. Die Gedanken, die unabhän-gig von der Wahrnehmung gebildet werden, sind allein dasWertvolle für die Erkenntnis. Spinoza geht noch weiter. Erdehnt den Gegensatz auch auf das sittliche Empfinden undHandeln der Menschen aus. Unlustempfindungen könnennur aus Ideen entspringen, die von der Wahrnehmung stam-men; solche Ideen erzeugen die Begierden und Leiden-schaften im Menschen, deren Sklave er werden kann, wenner sich ihnen hingibt. Nur was aus der Vernunft entspringt,erzeugt unbedingte Lustempfindungen. Das höchste Glückdes Menschen ist daher sein Leben in den Vernunftideen,die Hingabe an die Erkenntnis der reinen Ideenwelt. Werüberwunden hat, was aus der Wahrnehmungswelt stammt,und nur noch in der reinen Erkenntnis lebt, empfindet diehöchste Seligkeit.

Nicht ganz ein Jahrhundert nach Spinoza tritt der SchotteDavid Hume mit einer Denkweise auf, die wieder aus derWahrnehmung allein die Erkenntnis entspringen läßt. Nureinzelne Dinge in Raum und Zeit sind gegeben. Das Den-

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ken verknüpft die einzelnen Wahrnehmungen, aber nicht,weil in diesen selbst etwas liegt, was dieser Verknüpfungentspricht, sondern weil sich der Verstand daran gewöhnthat, die Dinge in einen Zusammenhang zu bringen. DerMensch ist gewohnt, zu sehen, daß ein Ding auf ein anderesder Zeit nach folgt. Er bildet sich die Vorstellung, daß es fol-gen müsse. Er macht das erste zur Ursache, das zweite zurWirkung. Der Mensch ist ferner gewohnt zu sehen, daß aufeinen Gedanken seines Geistes eine Bewegung seines Leibesfolgt. Er erklärt sich dies dadurch, daß er sagt, der Geisthabe die Leibesbewegung bewirkt. Denkgewohnheiten,nichts weiter sind die menschlichen Ideen. Wirklichkeithaben nur die Wahrnehmungen.

Die Vereinigung der verschiedensten durch die Jahrhun-derte hindurch zum Dasein gelangten Denkrichtungen istdie Kantsche Weltanschauung. Auch Kant fehlt die natür-liche Empfindung für das Verhältnis von Wahrnehmungund Idee. Er lebt in philosophischen Vorurteilen, die erdurch Studium seiner Vorgänger in sich aufgenommen hat.Das eine dieser Vorurteile ist, daß es notwendige Wahr-heiten gebe, die durch reines, von aller Erfahrung freiesDenken erzeugt werden. Der Beweis davon ist, nach seinerAnsicht, durch die Existenz der Mathematik und der reinenPhysik erbracht, die solche Wahrheiten enthalten. Ein an-deres seiner Vorurteile besteht darin, daß er der Erfahrungdie Fähigkeit abspricht, zu gleich notwendigen Wahrheitenzu gelangen. Das Mißtrauen gegenüber der Wahrnehmungs-welt ist auch in Kant vorhanden. Zu diesen seinen Denk-gewohnheiten tritt bei Kant der Einfluß Humes hinzu. Er

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gibt Hume recht in Bezug auf die Behauptung, daß die Ide-en, in die das Denken die einzelnen Wahrnehmungen zu-sammenfaßt, nicht aus der Erfahrung stammen. Sonderndaß das Denken sie zur Erfahrung hinzufügt. Diese dreiVorurteile sind die Wurzeln des Kantschen Gedankengebäu-des. Der Mensch besitzt notwendige Wahrheiten. Sie kön-nen nicht aus der Erfahrung stammen, weil diese keine sol-chen darbietet. Dennoch wendet sie der Mensch auf die Er-fahrung an. Er verknüpft die einzelnen Wahrnehmungendiesen Wahrheiten gemäß. Sie stammen aus dem Menschenselbst. Es liegt in seiner Natur, daß er die Dinge in einensolchen Zusammenhang bringt, der den durch reines Den-ken gewonnenen Wahrheiten entspricht. Kant geht nunnoch weiter. Er spricht auch den Sinnen die Fähigkeit zu,das, was ihnen von außen gegeben wird, in eine bestimmteOrdnung zu bringen. Auch diese Ordnung fließt nicht mitden Eindrücken der Dinge von außen ein. Die räumlicheund die zeitliche Ordnung erhalten die Eindrücke erst durchdie sinnliche Wahrnehmung. Raum und Zeit gehören nichtden Dingen an. Der Mensch ist so organisiert, daß er, wenndie Dinge auf seine Sinne Eindrücke machen, diese in räum-liche oder zeitliche Zusammenhänge bringt. Nur Eindrük-ke, Empfindungen erhält der Mensch von außen. Die An-ordnung derselben im Raum und in der Zeit, ihre Zusammen-fassung zu Ideen ist sein eigenes Werk. Aber auch die Emp-findungen sind nichts, was aus den Dingen stammt. Nichtdie Dinge nimmt der Mensch wahr, sondern nur die Eindrük-ke, die sie auf ihn ausüben. Ich weiß nichts von einem Din-ge, wenn ich eine Empfindung habe. Ich kann nur sagen:ich bemerke das Auftreten einer Empfindung bei mir.Durch welche Eigenschaften das Ding befähigt ist, in mir

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die Empfindungen hervorzurufen, darüber kann ich nichtserfahren. Der Mensch hat es, nach Kants Meinung, nichtmit den Dingen an sich zu tun, sondern nur mit den Ein-drücken, die sie auf ihn machen und mit den Zusammen-hängen, in die er selbst diese Eindrücke bringt. Nicht ob-jektiv von außen aufgenommen, sondern nur auf äußereVeranlassung hin, subjektiv von innen erzeugt, ist die Er-fahrungswelt. Das Gepräge, das sie trägt, geben ihr nichtdie Dinge, sondern die menschliche Organisation. Sie istfolglich als solche unabhängig von dem Menschen gar nichtvorhanden. Von diesem Standpunkte aus ist die Annahmenotwendiger, von der Erfahrung unabhängiger Wahrhei-ten möglich. Denn diese Wahrheiten beziehen sich bloß aufdie Art, wie der Mensch von sich selbst aus seine Er-fahrungswelt bestimmt. Sie enthalten die Gesetze seinerOrganisation. Sie haben keinen Bezug auf die Dinge ansich selbst. Kant hat also einen Ausweg gefunden, deres ihm gestattet, bei seinem Vorurteile stehen zu blei-ben, daß es notwendige Wahrheiten gebe, die für denInhalt der Erfahrungswelt gelten, ohne doch daraus zustammen. Allerdings mußte er, um diesen Ausweg zufinden, sich zu der Ansicht entschließen, daß der mensch-liche Geist unfähig sei, irgend etwas über die Dinge an sichzu wissen. Er mußte alles Erkennen auf die Erscheinungs-welt einschränken, welche die menschliche Organisationaus sich herausspinnt infolge der von den Dingen verur-sachten Eindrücke. Aber was kümmerte Kant das Wesender Dinge an sich, wenn er nur die ewigen, notwendig-gültigen Wahrheiten in dem Sinne retten konnte, wie ersich dieselben vorstellte. Der einseitige Piatonismus hat inKant eine die Erkenntnis lähmende Frucht hervorgebracht.

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Plato hat sich von der Wahrnehmung abgewendet und denBlick auf die ewigen Ideen gerichtet, weil ihm jene das We-sen der Dinge nicht auszusprechen schien. Kant aber ver-zichtet darauf, daß die Ideen eine wirkliche Einsicht in dasWesen der Welt eröffnen, wenn ihnen nur die Eigenschaftdes Ewigen und Notwendigen verbleibt. Plato hält sich andie Ideenwelt, weil er glaubt, daß das wahre Wesen derWelt ewig, unzerstörbar, unwandelbar sein muß, und erdiese Eigenschaften nur den Ideen zusprechen kann. Kantist zufrieden, wenn er nur diese Eigenschaften von den Idee-en behaupten kann. Sie brauchen dann gar nicht mehr dasWesen der Welt auszusprechen.

Die philosophische Vorstellungsart Kants wurde noch be-sonders genährt von seiner religiösen Empfindungsrich-tung. Er ging nicht davon aus, in der menschlichen Wesen-heit den lebendigen Zusammenklang von Ideenwelt undSinneswahrnehmung zu schauen, sondern er legte sich dieFrage vor: Kann von dem Menschen durch das Erleben derIdeenwelt etwas erkannt werden, das niemals in den Bereichder Sinneswahrnehmung eintreten kann? Wer im Sinneder Goetheschen Weltanschauung denkt, der sucht denWirklichkeitscharakter der Ideenwelt dadurch zu erkennen,daß er das Wesen der Idee erfaßt, indem ihm klar wird, wiediese in der sinnlichen Scheinwelt Wirklichkeit anschauenläßt. Dann darf er sich fragen: In wie weit kann ich durchden so erlebten Wirklichkeitscharakter der Ideenwelt in dieGebiete dringen, in denen die übersinnlichen Wahrheitender Freiheit, der Unsterblichkeit, der göttlichen Weltord-nung ihr Verhältnis zur menschlichen Erkenntnis finden?

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Kant verneinte die Möglichkeit, über die Wirklichkeit derIdeenwelt aus deren Verhältnis zur Sinneswahrnehmungetwas wissen zu können. Aus dieser Voraussetzung herausergab sich für ihn als wissenschaftliches Ergebnis dasjenige,was, ihm unbewußt, von seiner religiösen Empfindungs-richtung gefordert wurde: daß das wissenschaftliche Er-kennen Halt machen müsse vor solchen Fragen, welche dieFreiheit, die Unsterblichkeit, die göttliche Weltordnungbetreffen. Ihm ergab sich, daß das menschliche Erkennennur bis an die Grenzen gehen könne, die den Sinnesbereichumschließen, und daß für alles, was darüber hinausliegt,nur ein Glaube möglich sei. Er wollte das Wissen eingren-zen, um für den Glauben Platz zu erhalten. Im Sinne derGoetheschen Weltanschauung liegt es, das Wissen erst da-durch mit einer festen Grundlage zu versehen, daß dieIdeenwelt in ihrem Wesen an der Natur geschaut wird, umdann in der befestigten Ideenwelt zu einer über die Sinnes-welt hinausliegenden Erfahrung zu schreiten. Auch dann,wenn Gebiete erkannt werden, die nicht im Bereich derSinneswelt liegen, wird der Blick auf den lebendigen Zu-sammenklang von Idee und Erfahrung gelenkt und dadurchdie Sicherheit des Erkennens gesucht. Kant konnte einesolche Sicherheit nicht finden. Deshalb ging er darauf aus,für die Vorstellungen von Freiheit, Unsterblichkeit undGottesordnung außerhalb des Erkennens eine Grundlagezu rinden. Im Sinne der Goetheschen Weltanschauung Hegtes, von «Dingen an sich » so viel erkennen zu wollen, als dasan der Natur erfaßte Wesen der Ideenwelt gestattet. ImSinne der Kantschen Weltanschauung liegt es, der Erkennt-nis das Recht abzusprechen, in die Welt der «Dinge an sich »hineinzuleuchten. Goethe will in der Erkenntnis ein Licht

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anzünden, welches das Wesen der Dinge beleuchtet. Ihmist auch klar, daß im Licht nicht das Wesen der beleuch-teten Dinge liegt; aber er will trotzdem nicht darauf ver-zichten, dieses Wesen durch die Beleuchtung mit dem Lich-te offenbar werden zu lassen, Kant hält daran fest: in demLichte liegt nicht das Wesen der beleuchteten Dinge; des-halb kann das Licht nichts offenbaren über dieses Wesen.

Vor der Goetheschen Weltanschauung kann diejenigeKants nur im Sinne der folgenden Vorstellungen stehen:Nicht durch Hinwegräumung alter Irrtümer, nicht durcheine freie, ursprüngliche Vertiefung in die Wirklichkeit istdiese Weltanschauung entstanden, sondern durch logischeVerschmelzung anerzogener und ererbter philosophischerund religiöser Vorurteile. Sie konnte nur aus einem Geisteentspringen, in dem der Sinn für das lebendige Schaffen in-nerhalb der Natur unentwickelt geblieben ist. Und sie konn-te nur auf solche Geister wirken, die an dem gleichen Man-gel litten.' Aus dem weitgehenden Einflüsse, den KantsDenkweise auf seine Zeitgenossen ausübte, ist zu ersehen,wie stark diese in dem Banne des einseitigen Piatonismusstanden.

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GOETHE UND DIE PLATONISCHE WELTANSICHT

Ich habe die Gedankenentwickelung von Platos bis 2uKants Zeit geschildert, um zeigen zu können, welche Ein-drücke Goethe empfangen mußte, wenn er sich an den Nie-derschlag der philosophischen Gedanken wandte, an die ersich halten konnte, um sein so starkes Erkenntnisbedürfniszu befriedigen. Auf die unzähligen Fragen, zu denen ihnseine Natur drängte, fand er in den Philosophien keine Ant-worten. Ja, es zeigte sich, so oft er sich in die Weltanschau-ung eines Philosophen vertiefte, ein Gegensatz zwischender Richtung, die seine Fragen einschlugen und der Gedan-kenwelt, bei der er sich Rat holen wollte. Der Grund liegtdarin, daß die einseitig platonische Trennung von Idee undErfahrung seiner Natur zuwider war. Wenn er die Naturbeobachtete, so brachte sie ihm die Ideen entgegen. Erkonnte sie deshalb nur ideenerfüllt denken. Eine Ideenwelt,welche die Dinge der Natur nicht durchdringt, ihr Entste-hen und Vergehen, ihr Werden und Wachsen nicht hervor-bringt, ist ihm ein kraftloses Gedankengespinst. Das logi-sche Fortspinnen von Gedankenreihen, ohne Versenkungin das wirkliche Leben und Schaffen der Natur erscheint ihmunfruchtbar. Denn er fühlt sich mit der Natur innig ver-wachsen. Er betrachtet sich als ein lebendiges Glied derNatur. Was in seinem Geiste entsteht, das hat, nach seinerAnsicht, die Natur in ihm entstehen lassen. Der Mensch sollsich nicht in eine Ecke stellen und glauben, daß er da aussich heraus ein Gedankengewebe spinnen könne, das überdas Wesen der Dinge aufklärt. Er soll den Strom des Welt-geschehens beständig durch sich durchfließen lassen. Dannwird er fühlen, daß die Ideenwelt nichts anderes ist, als die

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schaffende und tätige Gewalt der Natur. Er wird nicht überden Dingen stehen wollen, um über sie nachzudenken, son-dern er wird sich in ihre Tiefen eingraben und aus ihnenherausholen, was in ihnen lebt und wirkt.

Zu solcher Denkweise führte Goethe seine Künstler-natur. Mit derselben Notwendigkeit, mit der eine Blumeblüht, fühlte er seine dichterischen Erzeugnisse aus seinerPersönlichkeit herauswachsen. Die Art, wie der Geist inihm das Kunstwerk hervorbrachte, schien ihm nicht ver-schieden von der zu sein, wie die Natur ihre Geschöpfe er-zeugt. Und wie im Kunstwerke das geistige Element vonder geistlosen Materie nicht zu trennen ist, so war es ihmauch unmöglich, bei einem Dinge der Natur die Wahrneh-mung ohne die Idee vorzustellen. Fremd blickte ihn dahereine Anschauung an, die in der Wahrnehmung nur etwasUnklares, Verworrenes sah und die Ideenwelt abgesondert,gereinigt von aller Erfahrung betrachten wollte. Er fühltein jeder Weltanschauung, in der die Elemente des einseitigverstandenenPlatonismus lebten,etwas Naturwidriges.Des-halb konnte er bei den Philosophen nicht finden, was er beiihnen suchte. Er suchte die Ideen, die in den Dingen leben,und die alle Einzelheiten der Erfahrung als hervorwachsendaus einem lebendigen Ganzen erscheinen lassen, und diePhilosophen lieferten ihm Gedankenhülsen, die sie nachlogischen Grundsätzen zu Systemen verbunden hatten.Immer wieder fand er sich auf sich selbst zurückgewiesen,wenn er bei andern Aufklärung suchte über die Rätsel, dieihm die Natur aufgab.

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Es gehört zu den Dingen, an denen Goethe vor seiner ita-lienischen Reise gelitten hat, daß sein Erkenntnisbedürfniskeine Befriedigung finden konnte. In Italien konnte er sicheine Ansicht bilden über die Triebkräfte, aus denen dieKunstwerke hervorgehen. Er erkannte, daß in den vollen-deten Kunstwerken das enthalten ist, was die Menschen alsGöttliches, als Ewiges verehren. Nach dem Anblicke vonkünstlerischen Schöpfungen, die ihn besonders interessie-ren, schreibt er die Worte nieder: «Die hohen Kunstwerkesind zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschennach wahren und natürlichen Gesetzen hervorgebracht wor-den. Alles Willkürliche, Eingebildete fällt zusammen; da istNotwendigkeit^ da ist Gott.» Die Kunst der Griechen ent-lockt ihm den Ausspruch: «Ich habe eine Vermutung,daß sie (die Griechen) nach eben den Gesetzen verfuhren,nach welchen die Natur verfährt und denen ich auf derSpur bin.» Was Plato in der Ideenwelt zu finden glaubte,was die Philosophen Goethe nie nahe bringen konnten, dasblickt ihm aus den Kunstwerken Italiens entgegen. In derKunst offenbart sich für Goethe zuerst das in vollkomme-ner Gestalt, was er als die Grundlage der Erkenntnis an-sehen kann. Er erblickt in der künstlerischen Produktioneine Art und höhere Stufe des Naturwirkens; künstleri-sches Schaffen ist ihm gesteigertes Naturschaffen. Er hatdas in seiner Charakteristik Winckelmanns später ausge-sprochen: «... indem der Mensch auf den Gipfel der Naturgestellt ist, so sieht er sich wieder als eine ganze Natur an,die in sich abermals einen Gipfel hervorzubringen hat. Dazusteigert er sich, indem er sich mit allen Vollkommenheitenund Tugenden durchdringt, Wahl, Ordnung, Harmonieund Bedeutung aufruft und sich endlich bis %ur Produktion des

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Kunstwerkes erhebt,..». Nicht auf dem Wege logischer Schluß-folgerung, sondern durch Betrachtung des Wesens derKunst gelangt Goethe zu seiner Weltanschauung. Und waser in der Kunst gefunden hat, das sucht er auch in der Natur.

Die Tätigkeit, durch die sich Goethe in den Besitz einerNaturerkenntnis setzt, ist nicht wesentlich von der künst-lerischen verschieden. Beide gehen ineinander über undgreifen übereinander. Der Künstler muß, nach Goethes An-sicht, größer und entschiedener werden, «wenn er zu sei-nem Talente noch ein unterrichteter Botaniker ist; wenner von der Wurzel an den Einfluß der verschiedenen Teileauf das Gedeihen und das Wachstum der Pflanze, ihre Be-stimmung und wechselseitigen Wirkungen erkennt; wenner die sukzessive Entwicklung der Blätter, Blumen, Be-fruchtung, Frucht und des neuen Keimes einsieht undüberdenkt. Er wird alsdann nicht bloß durch die Wahl ausden Erscheinungen seinen Geschmack zeigen, sondern erwird uns auch durch eine richtige Darstellung der Eigen-schaften zugleich in Verwunderung setzen und belehren.»Das Kunstwerk ist demnach um so vollkommener, je mehrin ihm dieselbe Gesetzmäßigkeit zum Ausdruck kommt,die in dem Naturwerke enthalten ist, dem es entspricht.Es gibt nur ein einheitliches Reich der Wahrheit, und diesesumfaßt Kunst und Natur. Daher kann auch die Fähigkeitdes künstlerischen Schaffens von der des Naturerkennensnicht wesentlich verschieden sein. Vom Stil des Künstlerssagt Goethe, daß er «auf den tiefsten Grundfesten derErkenntnis [ruhe], auf dem Wesen der Dinge, insofern unserlaubt ist, es in sichtbaren und greiflichen Gestalten zuerkennen.» Die aus einseitig erfaßten platonischen Vor-stellungen hervorgegangene Weltbetrachtung zieht eine

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scharfe Grenzlinie zwischen Wissenschaft und Kunst. Diekünstlerische Tätigkeit läßt sie auf der Phantasie, auf demGefühle beruhen; die wissenschaftlichen Ergebnisse sollendas Resultat einer phantasiefreien Begriifsentwicklung sein.Goethe stellt sich die Sache anders vor. Für ihn ergibt sich,wenn er das Auge auf die Natur richtet, eine Summe vonIdeen; aber er findet, daß in dem einzelnen Erfahrungs-gegenstande der ideelle Bestandteil nicht abgeschlossen ist;die Idee weist über das einzelne hinaus auf verwandte Ge-genstände, in denen sie auf ähnliche Weise zur Erschei-nung kommt. Der philosophierende Beobachter hält die-sen ideellen Bestandteil fest und bringt ihn in seinen Ge-dankenwerken unmittelbar zum Ausdrucke. Auch auf denKünstler wirkt dieses Ideelle. Aber es treibt ihn ein Werkzu gestalten, in dem die Idee nicht bloß wie in einemNaturwerke wirkt, sondern zur gegenwärtigen Erschei-nung wird. Was in dem Naturwerke bloß ideell ist und sichdem geistigen Auge des Beobachters enthüllt, das wirdin dem Kunstwerke real, wird wahrnehmbare Wirklichkeit.Der Künstler verwirklicht die Ideen der Natur. Er brauchtsich aber diese nicht in Form der Ideen zum Bewußtseinzu bringen. Wenn er ein Ding oder ein Ereignis betrachtet,so gestaltet sich in seinem Geiste unmittelbar ein anderes,das in realer Erscheinung enthält, was jene nur als Idee. DerKünstler liefert Bilder der Naturwerke, welche deren Ideen-gehalt in einen Wahrnehmungsgehalt umsetzen. Der Philo-soph zeigt, wie sich die Natur der denkenden Betrachtungdarstellt; der Künstler zeigt, wie die Natur aussehen würde,wenn sie ihre wirkenden Kräfte nicht bloß dem Denken,sondern auch der Wahrnehmung offen entgegenbrächte. Esist eine und dieselbe Wahrheit, die der Philosoph in Form

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des Gedankens, der Künstler in Form des Bildes darstellt.Beide unterscheiden sich nur durch ihre Ausdrucksmittel.

Die Einsicht in das wahre Verhältnis von Idee und Erfah-rung, die Goethe sich in Italien angeeignet hat, ist nur dieFrucht aus dem Samen, der in seiner Naturanlage verborgenwar. Die italienische Reise brachte ihm jene Sonnenwärme,die geeignet war, den Samen zur Reife zu bringen. In demAufsatz «Die Natur», der 1782 im Tiefurter Journal er-schienen ist, und der Goethe zum Urheber hat (vgl. meinenNachweis von Goethes Urheberschaft im VII. Bande derSchriften der Goethe-Gesellschaft), finden sich schon dieKeime der späteren Goetheschen Weltanschauung. Washier dunkle Empfindung ist, wird später klarer deutlicherGedanke. «Natur! Wir sind von ihr umgeben und um-schlungen - unvermögend, aus ihr herauszutreten, und un-vermögend, tiefer in sie hineinzukommen. Ungebeten undungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes aufund treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihremArme entfallen ... Gedacht hat sie (die Natur) und sinnt be-ständig; aber nicht als ein Mensch, sondern als Natur... Siehat keine Sprache noch Rede, aber sie schafft Zungen und Her-%eny durch die sie fühlt und spricht... Ich sprach nicht von ihr.Nein, was wahr ist und was falsch ist, alles hat sie gespro-chen. Alles ist ihre Schuld, alles ist ihr Verdienst! -» AlsGoethe diese Sätze niederschrieb, war ihm noch nicht klar,wie die Natur durch den Menschen ihre ideelle Wesenheitausspricht; daß es aber die Stimme des Geistes der Naturist, die im Geiste des Menschen ertönt, das fühlte er.

In Italien fand Goethe die geistige Atmosphäre, in der sich

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seine Erkenntnisorgane ausbilden konnten, wie sie es ihrenAnlagen gemäß mußten, wenn er zur vollen Befriedigungkommen sollte. In Rom hat er «über Kunst und ihre theo-retischen Forderungen mit Morit^ viel verhandelt»; auf derReise hat sich in ihm bei Beobachtung der Pflanzenmeta-morphose eine naturgemäße Methode ausgebildet, die sichspäter für die Erkenntnis der ganzen organischen Naturfruchtbar erwiesen hat. «Denn als die Vegetation mirSchritt für Schritt ihr Verfahren vorbildete, konnte ichnicht irren, sondern mußte, indem ich sie gewähren ließ,die Wege und Mittel anerkennen, wie sie den eingehüll-testen Zustand zur Vollendung nach und nach zu beför-dern weiß.» Wenige Jahre nach seiner Rückkehr aus Italiengelang es ihm, auch für die Betrachtung der unorganischenNatur ein aus seinen geistigen Bedürfnissen geborenes Ver-fahren zu finden. «Bei physischen Untersuchungen drängtesich mir die Überzeugung auf, daß, bei aller Betrachtungder Gegenstände, die höchste Pflicht sei, jede Bedingung,unter welcher ein Phänomen erscheint, genau aufzusuchenund nach möglichster Vollständigkeit der Phänomene zutrachten; weil sie doch zuletzt sich aneinanderzureihen,oder vielmehr übereinanderzugreifen genötigt werden, undvor dem Anschauen des Forschers auch eine Art Organi-sation bilden, ihr inneres Gesamtleben manifestieren müs-sen.»

Goethe fand nirgends Aufklärung. Er mußte sich selbstaufklären. Er suchte den Grund dafür und glaubte ihn darinzu finden, daß er für Philosophie im eigentlichen Sinne keinOrgan hätte. Er ist aber darin zu suchen, daß die einseitigerfaßte platonische Denkweise, die alle ihm zugänglichenPhilosophien beherrschte, seiner gesunden Naturanlage

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widersprach. In seiner Jugend hatte er sich wiederholt anSpinoza gewandt. Er gesteht sogar, daß dieser Philosophauf ihn immer eine «friedliche Wirkung» hervorgebrachthabe. Diese beruht darauf, daß Spinoza das Weltall als einegroße Einheit ansieht, und alles Einzelne mit Notwendig-keit aus dem Ganzen hervorgehend sich denkt. Wenn sichGoethe aber auf den Inhalt der Spinozistischen Philosophieeinließ, so fühlte er doch, daß dieser ihm fremd blieb. «Den-ke man aber nicht, daß ich seine Schriften hätte unterschrei-ben und mich dazu buchstäblich bekennen mögen. Denn,daß niemand den andern versteht, daß keiner bei denselbenWorten dasselbe, was der andere, denkt, daß ein Gespräch,eine Lektüre bei verschiedenen Personen verschiedene Ge-dankenfolgen aufregt, hatte ich schon allzu deutlich einge-sehen, und man wird dem Verfasser von Werther und Faustwohl zutrauen, daß er, von solchen Mißverständnissen tiefdurchdrungen, nicht selbst den Dünkel gehegt, einen Mannvollkommen zu verstehen, der als Schüler von Descartesdurch mathematische und rabbinische Kultur sich zu demGipfel des Denkens hervorgehoben; der bis auf den heu-tigen Tag noch das Ziel aller spekulativen Bemühungenzu sein scheint.» Nicht der Umstand, daß Spinoza durchDescartes geschult worden ist, auch nicht der, daß er durchmathematische und rabbinische Kultur sich zu dem Gipfeldes Denkens erhoben hat, machte ihn für Goethe zu einemElement, an das er sich doch nicht ganz hingeben konnte,sondern seine wirklichkeitsfremde, rein logische Art, dieErkenntnis zu behandeln. Goethe konnte sich dem reinenerfahrungsfreien Denken nicht hingeben, weil er es nichtzu trennen vermochte von der Gesamtheit des Wirklichen.Er wollte nicht einen Gedanken bloß logisch an den andern

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angliedern. Vielmehr erschien ihm eine solche Gedanken-tätigkeit von der wahren Wirklichkeit abzulenken. Ermußte den Geist in die Erfahrung versenken, um zu denIdeen zu kommen. Die Wechselwirkung von Idee undWahrnehmung war ihm ein geistiges Atemholen. «Durchdie Pendelschläge wird die Zeit, durch die Wechselbewe-gung von Idee und Erfahrung die sittliche und wissenschaft-liche Welt regiert.» Im Sinne dieses Satzes die Welt und ihreErscheinungen zu betrachten, schien Goethe naturgemäß.Denn für ihn gab es keinen Zweifel darüber, daß die Naturdasselbe Verfahren beobachtet: daß sie «eine Entwicklungaus einem lebendigen geheimnisvollen Ganzen» zu denmannigfaltigen besonderen Erscheinungen hin ist, die denRaum und die Zeit erfüllen. Das geheimnisvolle Ganze istdie Welt der Idee. «Die Idee ist ewig und einzig; daß wirauch den Plural brauchen, ist nicht wohlgetan. Alles, waswir gewahr werden und wovon wir reden können, sind nurManifestationen der Idee; Begriffe sprechen wir aus, undinsofern ist die Idee selbst ein Begriff.» Das Schaffen derNatur geht aus dem Ganzen, das ideeller Art ist, ins Einzel-ne, das als Reelles der Wahrnehmung gegeben ist. Deshalbsoll der Beobachter: «das Ideelle im Reellen anerkennenund sein jeweiliges Mißbehagen mit dem Endlichen durchErhebung ins Unendliche beschwichtigen». Goethe istüberzeugt davon, daß «die Natur nach Ideen verfahre, in-gleichen daß der Mensch in allem, was er beginnt, eineIdee verfolge ». Wenn es dem Menschen wirklich gelingt,sich zu der Idee zu erheben, und von der Idee aus die Einzel-heiten der Wahrnehmung zu begreifen, so vollbringt erdasselbe, was die Natur vollbringt, indem sie ihre Geschöp-fe aus dem geheimnisvollen Ganzen hervorgehen läßt. So-

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lange der Mensch das Wirken und Schaffen der Idee nichtfühlt, bleibt sein Denken von der lebendigen Natur abge-sondert. Er muß das Denken als eine bloß subjektive Tä-tigkeit ansehen, die ein abstraktes Bild von der Natur ent-werfen kann. Sobald er aber fühlt, wie die Idee in seinemInnern lebt und tätig ist, betrachtet er sich und die Naturals ein Ganzes, und was als Subjektives in seinem Innernerscheint, das gilt ihm zugleich als objektiv; er weiß, daßer der Natur nicht mehr als Fremder gegenübersteht, son-dern er fühlt sich verwachsen mit dem Ganzen derselben.Das Subjektive ist objektiv geworden; das Objektive vondem Geiste ganz durchdrungen. Goethe ist der Meinung,der Grundirrtum Kants bestehe darin, daß dieser «das sub-jektive Erkenntnisvermögen nun selbst als Objekt be-trachtet und den Punkt, wo subjektiv und objektiv zusam-mentreffen, zwar scharf aber nicht ganz richtig sondert.»(Weimarer-Ausgabe, 2. Abteilung, Bd. XI, S. 376.) Das Er-kenntnisvermögen erscheint dem Menschen nur so langeals subjektiv, als er nicht beachtet, daß die Natur selbst esist, die durch dasselbe spricht. Subjektiv und objektiv tref-fen zusammen, wenn die objektive Ideenwelt im Subjekteauflebt, und in dem Geiste des Menschen dasjenige lebt,was in der Natur selbst tätig ist. Wenn das der Fall ist, dannhört aller Gegensatz von subjektiv und objektiv auf. DieserGegensatz hat nur eine Bedeutung, solange der Mensch ihnkünstlich aufrecht erhält, solange er die Ideen als seine Ge-danken betrachtet, durch die das Wesen der Natur abge-bildet wird, in denen es aber nicht selbst wirksam ist. Kantund die Kantianer hatten keine Ahnung davon, daß in denIdeen der Vernunft das Wesen, das Ansich der Dinge un-mittelbar erlebt wird. Für sie ist alles Ideelle ein bloß Sub-

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jektives. Deshalb kamen sie zu der Meinung, das Ideellekönne nur dann notwendig gültig sein, wenn auch dasje-nige, auf das es sich bezieht, die Erfahrungswelt, nur sub-jektiv ist. Mit Goethes Anschauungen steht die KantscheDenkweise in einem scharfen Gegensatz. Es gibt zwar ein-zelne Äußerungen Goethes, in denen er von Kants An-sichten in einer anerkennenden Art spricht. Er erzählt, daßer manchem Gespräch über diese Ansichten beigewohnthabe. « Mit einiger Aufmerksamkeit konnte ich bemerken,daß die alte Hauptfrage sich erneuere, wieviel unser Selbstund wieviel die Außenwelt zu unserm geistigen Dasein bei-trage. Ich hatte beide niemals gesondert, und wenn ich nach mei-ner Weise über Gegenstände philosophierte, so tat ich esmit unbewußter Naivität und glaubte wirklich, ich sähemeine Meinungen vor Augen. Sobald aber jener Streit zurSprache kam, mochte ich mich gern auf diejenige Seite stel-len, welche dem Menschen am meisten Ehre macht, und gaballen Freunden vollkommen Beifall, die mit Kant behaup-teten : wenn gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrungangehe, so entspringe sie darum doch nicht eben alle ausder Erfahrung.» Die Idee stammt auch, nach Goethes An-sicht, nicht aus dem Teile der Erfahrung, welcher der blo-ßen Wahrnehmung durch die Sinne des Menschen sich dar-bietet. Die Vernunft, die Phantasie müssen sich betätigen,müssen in das Innere der Wesen dringen, um sich der ide-ellen Elemente des Daseins zu bemächtigen. Insofern hatder Geist des Menschen Anteil an dem Zustandekommender Erkenntnis. Goethe meint, es mache dem MenschenEhre, daß in seinem Geiste die höhere Wirklichkeit, die denSinnen nicht zugänglich ist, zur Erscheinung komme; Kantdagegen spricht der Erfahrungswelt den Charakter der

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höheren Wirklichkeit ab, weil sie Bestandteile enthält, dieaus dem Geiste stammen. Nur wenn er die Kantschen Sätzeerst im Sinne seiner Weltanschauung umdeutete, konnteGoethe sich zustimmend zu ihnen verhalten. Die Grund-lagen der Kantschen Denkweise widersprechen GoethesWesen aufs schärfste. Wenn dieser den Widerspruch nichtscharf genug betonte, so liegt das wohl nur darin, daß ersich auf diese Grundlagen nicht einließ, weil sie ihm zufremd waren. «Der Eingang (der Kritik der reinen Ver-nunft) war es, der mir gefiel, ins Labyrinth selbst könnt*ich mich nicht wagen: bald hinderte mich die Dichtungs-gabe, bald der Menschenverstand, und ich fühlte mich nir-gend gebessert.» Über seine Gespräche mit den Kantianernmußte sich Goethe eingestehen: «Sie hörten mich wohl,konnten mir aber nichts erwidern, noch irgend förder-lich sein. Mehr als einmal begegnete es mir, daß einer oderder andere mit lächelnder Verwunderung zugestand: es seifreilich ein Analogon Kantscher Vorstellungsart, aber einseltsames.» Es war, wie ich gezeigt, auch kein Analogon,sondern das entschiedenste Gegenteil der Kantschen Vor-stellungsart.

Es ist interessant zu sehen, wie Schiller sich über den Ge-gensatz der Goetheschen Denkweise und seiner eigenen auf-zuklären sucht. Er empfindet das Ursprüngliche und Freieder Goetheschen Weltanschauung. Aber er kann die ein-seitig erfaßten platonischen Gedankenelemente aus seinemeigenen Geiste nicht entfernen. Er kann sich nicht zu derEinsicht erheben, daß Idee und Wahrnehmung in derWirklichkeit nicht getrennt vorhanden sind, sondern nurkünstlich von dem durch falsch gelenkte Ideenrichtung ver-

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führten Verstand getrennt gedacht werden. Deshalb stellt erder Goetheschen Geistesart, die er als eine intuitive bezeich-net, die eigene als spekulative gegenüber und behauptet,daß beide, wenn sie nur kraftvoll genug wirken, zu einemgleichen Ziele führen müssen. Von dem intuitiven Geistenimmt Schiller an, daß er sich an das Empirische, Individu-elle halte und von da aus zu dem Gesetze, zu der Idee auf-steige. Falls ein solcher Geist genialisch ist, wird er in demEmpirischen das Notwendige, in dem Individuellen .dieGattung erkennen. Der spekulative Geist dagegen soll denumgekehrten Weg machen. Ihm soll zuerst das Gesetz, dieIdee gegeben sein, und von ihr soll er zum Empirischen undIndividuellen herabsteigen. Ist ein solcher Geist genialisch,so wird er zwar immer nur Gattungen im Auge haben, abermit der Möglichkeit des Lebens und mit gegründeter Be-ziehung auf wirkliche Objekte. Die Annahme einer beson-deren Geistesart, der spekulativen gegenüber der intuitiven,beruht auf dem Glauben, daß der Ideenwelt ein abgesonder-tes, von der Wahrnehmungswelt getrenntes Dasein zukom-me. Wäre dies der Fall, dann könnte es einen Weg geben, aufdem der Inhalt der Ideen über die Dinge der Wahrnehmungin den Geist käme, auch wenn ihn dieser nicht in der Erfah-rung aufsuchte. Ist aber die Ideenwelt mit der Erfahrungs-wirklichkeit untrennbar verbunden, sind beide nur als einGanzes vorhanden, so kann es nur eine intuitive Erkenntnis,die in der Erfahrung die Idee aufsucht und mit dem Indivi-duellen zugleich die Gattung erfaßt, geben. In Wahrheitgibt es auch keinen rein spekulativen Geist im Sinne Schil-lers. Denn die Gattungen existieren nur innerhalb derSphäre, der auch die Individuen angehören; und der Geistkann sie anderswo gar nicht finden. Hat ein sogenannter

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spekulativer Geist wirklich Gattungsideen, so stammendiese aus der Beobachtung der wirklichen Welt. Wenn daslebendige Gefühl für diesen Ursprung, für den notwendi-gen Zusammenhang des Gattungsmäßigen mit dem Indi-viduellen verloren geht, dann entsteht die Meinung, solcheIdeen können in der Vernunft auch ohne Erfahrung ent-stehen. Die Bekenner dieser Meinung bezeichnen eine Sum-me von abstrakten Gattungsideen als Inhalt der reinen Ver-nunft, weil sie die Fäden nicht sehen, mit denen diese Ideenan die Erfahrung gebunden sind. Eine solche Täuschung istam leichtesten bei den allgemeinsten, umfassendsten Ideenmöglich. Da solche Ideen weite Gebiete der Wirklichkeitumspannen, so ist in ihnen manches ausgetilgt oder abge-blaßt, was den zu diesem Gebiete gehörigen Individuali-täten zukommt. Man kann eine Anzahl solcher allgemeinerIdeen durch Überlieferung in sich aufnehmen und dannglauben, sie seien dem Menschen angeboren, oder manhabe sie aus der reinen Vernunft herausgesponnen. EinGeist, der einem solchen Glauben verfällt, kann sich alsspekulativ ansehen. Er wird aus seiner Ideenwelt aber niemehr herausholen können, als diejenigen hineingelegt ha-ben, von denen er sie überliefert erhalten hat. Wenn Schillermeint, daß der spekulative Geist, wenn er genialisch ist,«zwar immer nur Gattungen, aber mit der Möglichkeit desLebens und mit gegründeter Beziehung auf wirkliche Ob-jekte» erzeugt (vgl. Schillers Brief an Goethe vom 23. Au-gust 1794), so ist er im Irrtum. Ein wirklich spekulativerGeist, der nur in Gattungsbegriffen lebte, könnte in seinerIdeenwelt keine andere gegründete Beziehung zur Wirk-lichkeit finden, als diejenige, die schon in ihr liegt. Ein Geist,der Beziehungen zur Wirklichkeit der Natur hat und sich

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dennoch als spekulativ bezeichnet, ist in einer Täuschungüber seine eigene Wesenheit befangen. Diese Täuschungkann ihn dazu verführen, seine Beziehungen zur Wirklich-keit, zum unmittelbaren Leben zu vernachlässigen. Er wirdglauben, der unmittelbaren Beobachtung entraten zu kön-nen, weil er andere Quellen der Wahrheit zu haben meint.Die Folge davon ist immer, daß die Ideenwelt eines solchenGeistes einen matten abgeblaßten Charakter trägt. Die fri-schen Färben des Lebens werden seinen Gedanken fehlen.Wer im Bunde mit der Wirklichkeit leben will, wird auseiner solchen Gedankenwelt nicht viel gewinnen können.Nicht als eine Geistesart, die neben der intuitiven als gleich-berechtigt anzusehen ist, kann die spekulative gelten, son-dern als eine verkümmerte, an Leben verarmte Denkart.Der intuitive Geist hat es nicht bloß mit Individuen zu tun,er sucht nicht in dem Empirischen den Charakter der Not-wendigkeit auf. Sondern wenn er sich der Natur zuwendet,vereinigen sich bei ihm Wahrnehmung und Idee unmittel-bar zu einer Einheit. Beide werden ineinander geschaut undals Ganzheit empfunden. Er kann zu den allgemeinstenWahrheiten, zu den höchsten Abstraktionen aufsteigen:das unmittelbar wirkliche Leben wird in seiner Gedanken-welt immer zu erkennen sein. Solcher Art war GoethesDenken. Heinroth hat in seiner Anthropologie ein treff-liches Wort über dieses Denken gesprochen, das Goethe imhöchsten Grade gefiel, weil es ihn über seine Natur auf-klärte. «Herr Dr. Heinroth ... spricht von meinem Wesenund Wirken günstig, ja er bezeichnet meine Verfahrungsartals eine eigentümliche: daß nämlich mein Denkvermögengegenständlich tätig sei, womit er aussprechen will: daß meinDenken sich von den Gegenständen nicht sondere; daß die

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Elemente der Gegenstände, die Anschauungen in dasselbeeingehen und von ihm auf das innigste durchdrungen wer-den; daß mein Anschauen selbst ein Denken, mein Denkenein Anschauen sei.» Im Grunde schildert Heinroth nichtsals die Art, wie sich jedes gesunde Denken zu den Gegen-ständen verhält. Jede andere Verfahrungsart ist eine Abir-rung von dem naturgemäßen Wege. Wenn in einem Men-schen die Anschauung überwiegt, dann bleibt er an demIndividuellen hängen; er kann nicht in die tieferen Gründeder Wirklichkeit eindringen; wenn das abstrakte Denken inihm überwiegt, dann erscheinen seine Begriffe unzureichend,um die lebendige Fülle des Wirklichen zu verstehen. DasExtrem der ersten Abirrung stellt den rohen Empiriker dar,der mit den individuellen Tatsachen sich begnügt; das Ex-trem der andern Abirrung ist in dem Philosophen gegeben,der die reine Vernunft anbetet und der nur denkt, ohne einGefühl davon zu haben, daß Gedanken ihrem Wesen nachan Anschauung gebunden sind. In einem schönen Bildeschildert Goethe das Gefühl des Denkers, der zu den höch-sten Wahrheiten aufsteigt, ohne die Empfindung für dielebendige Erfahrung zu verlieren. Er schreibt im Anfangdes Jahres 1784 einen Aufsatz über den Granit. Er versetztsich auf einen aus diesem Gestein bestehenden Gipfel, woer sich sagen kann: «Hier ruhst du unmittelbar auf einemGrunde, der bis zu den tiefsten Orten der Erde hinreicht,keine neuere Schicht, keine aufgehäufte, zusammenge-schwemrnte Trümmer haben sich zwischen dich und denfesten Boden der Urwelt gelegt, du gehst nicht wie in jenenfruchtbaren, schönen Tälern über ein anhaltendes Grab,diese Gipfel haben nichts Lebendiges erzeugt und nichtsLebendiges verschlungen, sie sind vor allem Leben und

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über alles Leben. In diesem Augenblicke, da die innernanziehenden und bewegenden Kräfte der Erde gleichsamunmittelbar auf mich wirken, da die Einflüsse des Him-mels mich anher umschweben, werde ich zu höheren Be-trachtungen der Natur hinaufgestimmt, und wie der Men-schengeist alles belebt, so wird auch ein Gleichnis in mirrege, dessen Erhabenheit ich nicht widerstehen kann. Soeinsam, sage ich zu mir selber, indem ich diesen ganz nack-ten Gipfel hinabsehe und kaum in der Ferne am Fuße eingering wachsendes Moos erblicke, so einsam, sage ich,wird es dem Menschen zumute, der nur den ältesten, ersten,tiefsten Gefühlen der Wahrheit seine Seele eröffnen will. - Dakann er zu sich sagen: hier auf dem ältesten, ewigen Altare,der unmittelbar auf die Tiefe der Schöpfung gebaut ist,bring ich dem Wesen aller Wesen ein Opfer. Ich fühle dieersten, festesten Anfänge unsers Daseins; ich überschauedie Welt, ihre schrofferen und gelinderen Täler und ihrefernen fruchtbaren Weiden, meine Seele wird über sichselbst und über alles erhaben und sehnt sich nach demnähern Himmel. Aber bald ruft die brennende Sonne Durstund Hunger, seine menschlichen Bedürfnisse, zurück. Ersieht sich nach jenen Tälern um, über die sich sein Geist schonhinausschwang.» Solchen Enthusiasmus der Erkenntnis,solche Empfindungen für die ältesten, festen Wahrheitenkann nur derjenige in sich entwickeln, der immer und im-mer wieder aus den Regionen der Ideenwelt den Weg zu-rückfindet zu den unmittelbaren Anschauungen.

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PERSÖNLICHKEIT UND WELTANSCHAUUNG

Die Außenseite der Natur lernt der Mensch durch die An-schauung kennen; ihre tiefer liegenden Triebkräfte enthül-len sich in seinem eigenen Innern als subjektive Erlebnisse.In der philosophischen Weltbetrachtung und im künstle-rischen Empfinden und Hervorbringen durchdringen diesubjektiven Erlebnisse die objektiven Anschauungen. Daswird wieder ein Ganzes, was sich in zwei Teile spalten muß-te, um in den menschlichen Geist einzudringen. Der Menschbefriedigt seine höchsten geistigen Bedürfnisse, wenn erder objektiv angeschauten Welt einverleibt, was sie in sei-nem Innern ihm als ihre tieferen Geheimnisse offenbart. Er-kenntnisse und Kunsterzeugnisse sind nichts anderes, alsvon menschlichen inneren Erlebnissen erfüllte Anschau-ungen. In dem einfachsten Urteile über ein Ding oder Er-eignis der Außenwelt können ein menschliches Seelener-lebnis und eine äußere Anschauung im innigen Bunde mit-einander gefunden werden. Wenn ich sage: ein Körperstößt den andern, so habe ich bereits ein inneres Erlebnisauf die Außenwelt übertragen. Ich sehe einen Körper in Be-wegung; er trifft auf einen andern; dieser kommt infolge-dessen auch in Bewegung. Mit diesen Worten ist der Inhaltder Wahrnehmung erschöpft. Ich bin aber dabei nicht be-ruhigt. Denn ich fühle: es ist in der ganzen Erscheinungnoch mehr vorhanden, als was die bloße Wahrnehmung lie-fert. Ich greife nach einem inneren Erlebnis, das mich überdie Wahrnehmung aufklärt. Ich weiß, daß ich selbst durchAnwendung von Kraft, durch Stoßen, einen Körper in Be-wegung versetzen kann. Dieses Erlebnis übertrage ich aufdie Erscheinung und sage: der eine Körper stößt den andern.

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«Der Mensch begreift niemals, wie anthropomorphisch erist» (Goethe, Sprüche in Prosa. Kürschner, Band 36,2,S. 353). Es gibt Menschen, die aus dem Vorhanden-sein dieses subjektiven Bestandteiles in jedem Urteileüber die Außenwelt die Folgerung ziehen, daß der ob-jektive Wesenskern der Wirklichkeit dem Menschen un-2ugänglich sei. Sie glauben, der Mensch verfälsche den un-mittelbaren, objektiven Tatbestand der Wirklichkeit, wenner seine subjektiven Erlebnisse in diese hineinlegt. Sie sagen:weil der Mensch sich die Welt nur durch die Brille seinessubjektiven Lebens vorstellen kann, ist alle seine Erkennt-nis nur eine subjektive, beschränkt-menschliche. Wem esaber zum Bewußtsein kommt, was im Innern des Menschensich offenbart, der wird nichts mit solchen unfruchtbarenBehauptungen zu tun haben wollen. Er weiß, daß Wahrheiteben dadurch zustande kommt, daß Wahrnehmung undIdee sich im menschlichen Erkentnisprozeß durchdringen.Ihm ist klar, daß in dem Subjektiven das eigentlichste undtiefste Objektive lebt. «Wenn die gesunde Natur des Men-schen als ein Ganzes wirkt, wenn er sich in der Welt als ineinem großen, schönen würdigen und werten Ganzen fühlt,wenn das harmonische Behagen ihm ein reines, freies Ent-zücken gewährt, dann würde das Weltall^ wenn es sich selbst

empfinden könnte, als an sein Ziel gelangt, aufjauchzen und den

Gipfel des eigenen Werdensund Wesens bewundern.» (Kürschner,

Band 27, S. 42.) Die der bloßen Anschauung zugänglicheWirklichkeit ist nur die eine Hälfte der ganzen Wirklichkeit;der Inhalt des menschlichen Geistes ist die andere Hälfte.Träte nie ein Mensch der Welt gegenüber, so käme diesezweite Hälfte nie zur lebendigen Erscheinung, zum vollenDasein. Sie wirkte zwar als verborgene Kräftewelt; aber es

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wäre ihr die Möglichkeit entzogen, sich in einer eigenenGestalt zu zeigen. Man möchte sagen, ohne den Menschenwürde die Welt ein unwahres Antlitz zeigen. Sie wäre so,wie sie ist, durch ihre tieferen Kräfte, aber diese tieferenKräfte blieben selbst verhüllt durch das, was sie wirken.Im Menschengeiste werden sie aus ihrer Verzauberung er-löst. Der Mensch ist nicht bloß dazu da, um sich von derfertigen Welt ein Bild zu machen; nein, er wirkt selbst mitan dem Zustandekommen dieser Welt.

Verschieden gestalten sich die subjektiven Erlebnisse beiverschiedenen Menschen. Für diejenigen, welche nicht andie objektive Natur der Innenwelt glauben, ist das einGrund mehr, dem Menschen das Vermögen abzusprechen,in das Wesen der Dinge zu dringen. Denn wie kann Wesender Dinge sein, was dem einen so, dem andern anders er-scheint. Für denjenigen, der die wahre Natur der Innenweltdurchschaut, folgt aus der Verschiedenheit der Innenerleb-nisse nur, daß die Natur ihren reichen Inhalt auf verschie-dene Weise aussprechen kann. Dem einzelnen Menschen er-scheint die Wahrheit in einem individuellen Kleide. Siepaßt sich der Eigenart seiner Persönlichkeit an. Besondersfür die höchsten, dem Menschen wichtigsten Wahrheitengilt dies. Um sie zu gewinnen, überträgt der Mensch seinegeistigen, intimsten Erlebnisse auf die angeschaute Weltund mit ihnen zugleich das Eigenartigste seiner Persönlich-keit. Es gibt auch allgemeingültige Wahrheiten, die jederMensch aufnimmt, ohne ihnen eine individuelle Färbungzu geben. Dies sind aber die oberflächlichsten, die trivialsten.Sie entsprechen dem allgemeinen Gattungscharakter der

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Menschen, der bei allen der gleiche ist. Gewisse Eigen-schaften, die in allen Menschen gleich sind, erzeugen überdie Dinge auch gleiche Urteile. Die Art, wie die Menschendie Dinge nach Maß und Zahl ansehen, ist bei allen gleich.Daher finden alle die gleichen mathematischen Wahrheiten.In den Eigenschaften aber, in denen sich die Einzelpersön-lichkeit von dem allgemeinen Gattungscharakter abhebt,liegt auch der Grund zu den individuellen Ausgestaltungender Wahrheit. Nicht darauf kommt es an, daß in dem einenMenschen die Wahrheit anders erscheint als in dem andern,sondern darauf, daß alle zum Vorschein kommenden indi-viduellen Gestalten einem einzigen Ganzen angehören, dereinheitlichen ideellen Welt. Die Wahrheit spricht im Innernder einzelnen Menschen verschiedene Sprachen und Dia-lekte; in jedem großen Menschen spricht sie eine eigeneSprache, die nur dieser einen Persönlichkeit zukommt.Aber es ist immer die eine Wahrheit, die da spricht. «Kenneich mein Verhältnis zu mir selbst und zur Außenwelt, soheiß' ich's Wahrheit. Und so kann jeder seine eigene Wahr-heit haben, und es ist doch immer dieselbige.» Dies ist Goe-thes Meinung. Nicht ein starres, totes Begriffssystem ist dieWahrheit, das nur einer einzigen Gestalt fähig ist; sie ist einlebendiges Meer, in welchem der Geist des Menschen lebt,und das Wellen der verschiedensten Gestalt an seiner Ober-fläche zeigen kann. «Die Theorie an und für sich ist nichtsnütze, als insofern sie uns an den Zusammenhang der Er-scheinungen glauben macht», sagt Goethe. Er schätzt keineTheorie, die ein für allemal abgeschlossen sein will, und indieser Gestalt eine ewige Wahrheit darstellen soll. Er willlebendige Begriffe, durch die der Geist des einzelnen nachseiner individuellen Eigenart die Anschauungen zusammen-

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faßt. Die Wahrheit erkennen heißt ihm in der Wahrheit leben.Und in der Wahrheit leben ist nichts anderes, als bei der Be-trachtung jedes einzelnen Dinges hinzusehen, welches in-nere Erlebnis sich einstellt, wenn man diesem Dinge gegen-übersteht. Eine solche Ansicht von dem menschlichen Er-kennen kann nicht von Grenzen des Wissens, nicht von einerEingeschtänktheit desselben durch die Natur des Menschensprechen. Denn die Fragen, die sich nach dieser Ansicht dasErkennen vorlegt, entspringen nicht aus den Dingen; siesind dem Menschen auch nicht von irgend einer andernaußerhalb seiner Persönlichkeit gelegenen Macht auferlegt.Sie entspringen aus der Natur der Persönlichkeit selbst.Wenn der Mensch den Blick auf ein Ding richtet, dann ent-steht in ihm der Drang, mehr zu sehen, als ihm in der Wahr-nehmung entgegentritt. Und so weit dieser Drang reicht,so weit reicht sein Erkenntnisbedürfnis. Woher stammtdieser Drang? Doch nur davon, daß ein inneres Erlebnissich in der Seele angeregt fühlt, mit der Wahrnehmung eineVerbindung einzugehen. Sobald die Verbindung vollzo-gen ist, ist auch das Erkenntnisbedürfnis befriedigt. Erken-nen wollen ist eine Forderung der menschlichen Naturund nicht der Dinge. Diese können dem Menschen nichtmehr über ihr Wesen sagen, als er ihnen abfordert. Wer voneiner Beschränktheit des Erkenntnisvermögens spricht, derweiß nicht, woher das Erkenntnisbedürfnis stammt. Erglaubt, der Inhalt der Wahrheit liege irgendwo aufbewahrt,und in dem Menschen lebe nur der unbestimmte Wunsch,den Zugang zu dem Aufbewahrungsorte zu finden. Aberes ist das Wesen der Dinge selbst, das sich aus dem Innerndes Menschen herausarbeitet und dahin strebt, wohin esgehört: zu der Wahrnehmung. Nicht nach einem Verbor-

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genen strebt der Mensch im Erkenntnisprozeß, sondernnach der Ausgleichung zweier Kräfte, die von zwei Seitenauf ihn wirken. Man kann wohl sagen, ohne den Menschengäbe es keine Erkenntnis des Innern der Dinge, denn ohneihn wäre nichts da, wodurch dieses Innere sich aussprechenkönnte. Aber man kann nicht sagen, es gibt im Innern derDinge etwas, das dem Menschen unzugänglich ist. Daß anden Dingen noch etwas anderes vorhanden ist, als was dieWahrnehmung liefert, weiß der Mensch nur, weil diesesandere in seinem eigenen Innern lebt. Von einem weiterenunbekannten Etwas der Dinge sprechen, heißt Worte überetwas machen, was nicht vorhanden ist.

Die Naturen, die nicht zu erkennen vermögen, daß es dieSprache der Dinge ist, die im Innern des Menschen gespro-chen wird, sind der Ansicht, alle Wahrheit müsse von außenin den Menschen eindringen. Solche Naturen halten sichentweder an die bloße Wahrnehmung und glauben, alleindurch Sehen, Hören, Tasten, durch Auflesung der ge-schichtlichen Vorkommnisse und durch Vergleichen, Zäh-len, Rechnen, Wägen des aus der Tatsachenwelt Aufge-nommenen die Wahrheit erkennen zu können; oder siesind der Ansicht, daß die Wahrheit nur zu dem Menschenkommen könne, wenn sie ihm auf eine außerhalb des Er-kennens gelegene Art oifenbart werde, oder endlich, siewollen durch Kräfte besonderer Natur, durch Ekstase odermystisches Schauen in den Besitz der höchsten Einsichtenkommen, die ihnen, nach ihrer Ansicht, die dem Denken zu-gängliche Ideenwelt nicht darbieten kann. Den im Kant-schen Sinne Denkenden und den einseitigen Mystikern rei-

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hen sich noch besonders geartete Metaphysiker an. Diesesuchen zwar durch das Denken sich Begriffe von der Wahr-heit zu bilden. Aber sie suchen den Inhalt für diese Begriffenicht in der menschlichen Ideenwelt, sondern in einer hinterden Dingen liegenden zweiten Wirklichkeit. Sie meinen,durch reine Begriffe über einen solchen Inhalt entwederetwas Sicheres ausmachen zu können, oder wenigstensdurch Hypothesen sich Vorstellungen von ihm bilden zukönnen. Ich spreche hier zunächst von der zuerst angeführ-ten Art von Menschen, von den Tatsachenfanatikern- Ihnenkommt es zuweilen zum Bewußtsein, daß in dem Zählenund Rechnen bereits eine Verarbeitung des Anschauungs-inhaltes mit Hilfe des Denkens stattfindet. Dann aber sagensie, die Gedankenarbeit sei bloß das Mittel^ durch das derMensch den Zusammenhang der Tatsachen zu erkennen be-strebt ist. Was aus dem Denken bei Bearbeitung der Außen-welt fließt, gilt ihnen als bloß subjektiv; als objektivenWahrheitsgehalt, als wertvollen Erkenntnisinhalt sehen sienur das an, was mit Hilfe des Denkens von außen an sieherankommt. Sie fangen zwar die Tatsachen in ihre Ge-dankennetze ein, lassen aber nur das Eingefangene als ob-jektiv gelten. Sie übersehen, daß dieses Eingefangene durchdas Denken eine Auslegung, Zurechtrückung, eine Inter-pretation erfährt, die es in der bloßen Anschauung nichthat. Die Mathematik ist ein Ergebnis reiner Gedankenpro-zesse, ihr Inhalt ist ein geistiger, subjektiver. Und der Me-chaniker, der die Naturvorgänge in mathematischen Zu-sammenhängen vorstellt, kann dies nur unter der Voraus-setzung, daß diese Zusammenhänge in dem Wesen dieserVorgänge begründet sind. Das heißt aber nichts anderes als:in der Anschauung ist eine mathematische Ordnung ver-

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borgen, die nur derjenige sieht, der die mathematischenGesetze in seinem Geiste ausbildet. Zwischen den mathe-matischen und mechanischen Anschauungen und den in-timsten geistigen Erlebnissen ist aber kein Art-, sondernnur ein Gradunterschied. Und mit demselben Rechte wiedie Ergebnisse der mathematischen Forschung kann derMensch andere innere Erlebnisse, andere Gebiete seinerIdeenwelt auf die Anschauungen übertragen. Nur schein-bar stellt der Tatsachenfanatiker rein äußere Vorgänge fest.Er denkt zumeist über die Ideenwelt und ihren Charakter,als subjektives Erlebnis, nicht nach. Auch sind seine innerenErlebnisse inhaltsarme, blutleere Abstraktionen, die vondem kraftvollen Tatsacheninhalt verdunkelt werden. DieTäuschung, der er sich hingibt, kann nur so lange bestehen,als er auf der untersten Stufe der Naturinterpretation stehenbleibt, solange er bloß zählt, wägt, berechnet. Auf den hö-heren Stufen drängt sich die wahre Natur der Erkenntnisbald auf. Man kann es aber an den Tatsachenfanatikern be-obachten, daß sie sich vorzüglich an die unteren Stufen hal-ten. Sie gleichen dadurch einem Ästhetiker, der ein Musik-stück bloß danach beurteilen will, was an ihm berechnetund gezählt werden kann. Sie wollen die Erscheinungen derNatur von dem Menschen absondern. Nichts Subjektivessoll in clie Beobachtung einfließen. Goethe verurteilt diesesVerfahren mit den Worten: «Der Mensch an sich selbst,insofern er sich seiner gesunden Sinne bedient, ist der größteund genaueste physikalische Apparat, den es geben kann,und das ist eben das größte Unheil der neueren Physik, daßman die Experimente gleichsam vom Menschen abgeson-dert hat, und bloß in dem, was künstliche Instrumente zei-gen, die Natur erkennen, ja, was sie leisten kann, dadurch

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beschränken und beweisen will.» Es ist die Angst vor demSubjektiven, die zu solcher Verfahrungsweise führt, unddie aus einer Verkennung der wahrhaften Natur desselbenherrührt. «Dafür steht ja aber der Mensch so hoch, daß sichdas sonst Undarstellbare in ihm darstellt. Was ist denn eineSaite und alle mechanische Teilung derselben gegen dasOhr des Musikers ? Ja man kann sagen, was sind die elemen-tarischen Erscheinungen der Natur selbst gegen den Men-schen, der sie alle erst bändigen und modifizieren muß, umsie sich einigermaßen assimilieren zu können ?» (Sprüche inProsa, Kürschner, Bd. 36, 2, S. 3 51.) Nach Goethes Ansichtsoll der Naturforscher nicht allein darauf aufmerksam sein,wie die Dinge erscheinen, sondern wie sie erscheinen wür-den, wenn alles, was in ihnen als ideelle Triebkräfte wirkt,auch wirklich zur äußeren Erscheinung käme. Erst wennsich der leibliche und geistige Organismus des Men-schen den Erscheinungen gegenüberstellt, dann enthül-len sie ihr Inneres.

Wer mit freiem, offenem Beobachtungsgeist und miteinem entwickelten Innenleben, in dem die Ideen der Dingesich offenbaren, an die Erscheinungen herantritt, dem ent-hüllen diese, nach Goethes Meinung, alles, was an ihnen ist.Goethes Weltanschauung entgegengesetzt ist daher die-jenige, welche das Wesen der Dinge nicht innerhalb der Er-fahrungswirklichkeit, sondern in einer hinter derselben lie-genden zweiten Wirklichkeit sucht. Ein Bekenner einer sol-chen Weltanschauung trat Goethe in Fr. H. Jacobi entge-gen. Goethe macht seinem Unwillen in einer Bemerkungder Tag- und Jahreshefte (zum Jahre 1811) Luft: «Jacobi<Von den göttlichen Dingen> machte mir nicht wohl; wiekonnte mir das Buch eines so herzlich geliebten Freundes

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willkommen sein, worin ich die These durchgeführt sehensollte: die Natur verberge Gott. Mußte, bei meiner reinen,tiefen, angeborenen und geübten Anschauungsweise, diemich Gott in der Natur, die Natur in Gott zu sehen unver-brüchlich gelehrt hatte, so daß diese Vorstellungsart denGrund meiner ganzen Existenz machte, mußte nicht ein soseltsamer, einseitig-beschränkter Ausspruch mich demGeiste nach von dem edelsten Manne, dessen Herz ichverehrend liebte, für ewig entfernen?» Goethes Anschau-ungsweise gibt ihm die Sicherheit, daß er in der ideellenDurchdringung der Natur ein ewig Gesetzmäßiges erlebe,und das ewig Gesetzmäßige ist ihm mit dem Göttlichenidentisch. Wenn das Göttliche hinter den Naturdingen sichverbergen würde und doch das schöpferische Element inihnen bildete, könnte es nicht angeschautwerden; der Menschmüßte an dasselbe glauben. In einem Briefe an Jacobi nimmtGoethe sein Schauen gegenüber dem Glauben in Schutz:«Gott hat Dich mit der Metaphysik gestraft und dir einenPfahl ins Fleisch gesetzt, mich mit der Physik gesegnet. Ichhalte mich an die Gottesverehrung des Atheisten (Spinoza)und überlasse Euch alles, was ihr Religion heißt und heißenmögt. Du hältst aufs Glauben an Gott; ich aufs Schauen.» Wodieses Schauen aufhört, da hat der menschliche Geist nichtszu suchen. In den Sprüchen in Prosa lesen wir: « Der Menschist als wirklich in die Mitte einer wirklichen Welt gesetztund mit solchen Organen begabt, daß er das Wirkliche undnebenbei das Mögliche erkennen und hervorbringen kann.Alle gesunden Menschen haben die Überzeugung ihres Da-seins und eines Daseienden um sich her. Indessen gibt esauch einen hohlen Fleck im Gehirn, d. h. eine Stelle, wo sichkein Gegenstand abspiegelt, wie denn auch im Auge selbst

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ein Fleckchen ist, das nicht sieht. Wird der Mensch auf dieseStelle besonders aufmerksam, vertieft er sich darin, so ver-fällt er in eine Geisteskrankheit, ahnet hier Dinge aus einerandern Welt, die aber eigentlich Undinge sind und weder Ge-stalt noch Begrenzung haben, sondern als leere Nacht-Räumlichkeit ängstigen und den, der sich nicht losreißt,mehr als gespensterhaft verfolgen.» (Kürschner, Band 36,2,S. 45 8.) Aus derselben Gesinnung heraus ist der Ausspruch:«Das Höchste wäre, zu begreifen, daß alles Faktische schonTheorie ist. Die Bläue des Himmels offenbart uns dasGrundgesetz der Chromatik. Man suche nur nichts hinter den

. Phänomenen; sie selbst sind die Lehre.»Kant spricht dem Menschen die Fähigkeit ab, in das Ge-

biet der Natur einzudringen, in dem ihre schöpferischenKräfte unmittelbar anschaulich werden. Nach seiner Mei-nung sind die Begriffe abstrakte Einheiten, in die dermenschliche Verstand die mannigfaltigen Einzelheiten derNatur zusammenfaßt, die aber nichts zu tun haben mit derlebendigen Einheit, mit dem schaffenden Ganzen der Natur,aus der diese Einzelheiten wirklich hervorgehen. DerMensch erlebt in dem Zusammenfassen nur eine subjektiveOperation- Er kann seine allgemeinen Begriffe auf die em-pirische Anschauung beziehen; aber diese Begriffe sindnicht in sich lebendig, produktiv, so daß der Mensch dasHervorgehen des Individuellen aus ihnen anschauen könnte.Eine tote, bloß im Menschen vorhandene Einheit sind fürKant die Begriffe. «Unser Verstand ist ein Vermögen derBegriffe, d. i. ein diskursiver Verstand, für den es freilichzufällig sein muß, welcherlei und wie sehr verschieden dasBesondere sein mag, das ihm in der Natur gegeben werden,und das unter seine Begriffe gebracht werden kann.» Dies

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ist Kants Charakteristik des Verstandes (§ 77 der «Kritik derUrteilskraft»), Aus ihr ergibt sich folgendes mit Notwendig-keit: «Es liegt der Vernunft unendlich viel daran, den Me-chanismus der Natur in ihren Erzeugungen nicht fallen zulassen und in der Erklärung derselben nicht vorbei 2u ge-hen ; weil ohne diesen keine Einsicht in die Natur der Dingeerlangt werden kann. Wenn man uns gleich einräumt: daßein höchster Architekt die Formen der Natur, so wie sievon je her da sind, unmittelbar geschaffen, oder die, so sichin ihrem Laufe kontinuierlich nach eben demselben Musterbilden, prädeterminiert habe, so ist doch dadurch unsereErkenntnis der Natur nicht im mindesten gefördert; weilwir jenes Wesens Handlungsart und die Ideen desselben, welche die

Prinzipien der Möglichkeit der Naturwesen enthalten sol-len, gar nicht kennen^ und von demselben als von oben herab(a priori) die Natur nicht erklären können» (§78 der «Kri-tik der Urteilskraft»). Goethe ist der Überzeugung, daß derMensch in seiner Ideenwelt die Handlungsart des schöpfe-rischen Naturwesens unmittelbar erlebt. «Wenn wir ja imSittlichen, durch Glauben an Gott, Tugend und Unsterb-lichkeit uns in eine obere Region erheben und an das ersteWesen annähern sollen: so dürft9 es wohl im Intellektuellen

derselbe Fall sein, daß wir uns durch das Anschauen einer immer

schaffenden Natur %ur geistigen Teilnahme an ihren Produktionen

würdig machten.» Ein wirkliches Hineinleben in das Schaffenund Walten der Natur ist für Goethe die Erkenntnis desMenschen. Ihr ist es gegeben: «zu erforschen, zu erfahren,wie Natur im Schaffen lebt.»

Es widerspricht dem Geist der Goethe sehen Weltanschau-ung, von Wesenheiten zu sprechen, die außerhalb der demmenschlichen Geiste zugänglichen Erfahrungs- und Ideen-

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weit liegen und die doch die Gründe dieser Welt enthaltensollen. Alle Metaphysik wird von dieser Weltanschauung ab-gelehnt. Es gibt keine Fragen der Erkenntnis, die, richtig ge-stellt, nicht auch beantwortet werden können. Wenn die Wis-senschaft zu irgend einer Zeit über ein gewisses Erschei-nungsgebiet nichts ausmachen kann, so liegt das nicht an derNatur des menschlichen Geistes, sondern an dem zufälligenUmstände, daß die Erfahrung über dieses Gebiet zu. dieserZeit noch nicht vollständig vorliegt. Hypothesen könnennicht über Dinge aufgestellt werden, die außerhalb des Ge-bietes möglicher Erfahrung liegen, sondern nur über solche,die einmal in dieses Gebiet eintreten können. Eine Hypo-these kann immer nur besagen: es ist wahrscheinlich, daßinnerhalb eines Erscheinungsgebietes diese oder jene Er-fahrung gemacht werden wird. Über die Dinge und Vor-gänge, die nicht innerhalb der menschlichen sinnlichen odergeistigen Anschauung liegen, kann innerhalb dieser Den-kungsart gar nicht gesprochen werden. Die Annahme eines«Dinges an sich», das die Wahrnehmungen in dem Men-scherf bewirkt, aber nie selbst wahrgenommen werden kann,ist eine unstatthafte Hypothese. «Hypothesen sind Ge-rüste, die man vor dem Gebäude aufführt, und die manabträgt, wenn das Gebäude fertig ist; sie sind dem Arbeiterunentbehrlich; nur muß er das Gerüste nicht für das Ge-bäude ansehen.» Einem Erscheinungsgebiete gegenüber,für das alle Wahrnehmungen vorliegen und das ideell durch-drungen ist, erklärt sich der menschliche Geist befriedigt.Er fühlt, daß sich in ihm ein lebendiges Zusammenklingenvon Idee und Wahrnehmung abspielt.

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Die befriedigende Grundstimmung, die Goethes Weltan-schauung für ihn hat, ist derjenigen ähnlich, die man bei denMystikern beobachten kann. Die Mystik geht darauf aus,in der menschlichen Seele den Urgrund der Dinge, dieGottheit 2u finden. Der Mystiker ist gerade so wie Goethedavon überzeugt, daß ihm in inneren Erlebnissen das We-sen der Welt offenbar werde. Nur gilt manchem Mystikerdie Versenkung in die Ideenwelt nicht als das innere Erleb-nis, auf das es ihm ankommt. Über die klaren Ideen der Ver-nunft hat mancher einseitige Mystiker ungefähr dieselbeAnsicht wie Kant. Sie stehen für ihn außerhalb des schaf-fenden Ganzen der Natur und gehören nur dem mensch-lichen Verstande an. Ein solcher Mystiker sucht deshalb zuden höchsten Erkenntnissen durch Entwicklung unge-wöhnlicher Zustände, z. B. durch Ekstase, zu einem Schau-en höherer Art zu gelangen. Er tötet die sinnliche Beob-achtung und das vernunftgemäße Denken in sich ab, undsucht sein Gefühlsleben zu steigern. Dann meint er in sichdie wirkende Geistigkeit sogar als Gottheit unmittelbar zufühlen. Er glaubt in Augenblicken, in denen ihm das ge-lingt, Gott lebe in ihm. Eine ähnliche Empfindung ruftauch die Goethesche Weltanschauung in dem hervor, dersich zu ihr bekennt. Nur schöpft sie ihre Erkenntnisse nichtaus Erlebnissen, die nach Ertötung von Beobachtung undDenken eintreten, sondern eben aus diesen beiden Tätig-keiten. Sie flüchtet nicht zu abnormen Zuständen desmenschlichen Geisteslebens, sondern sie ist der Ansicht,daß die gewöhnlichen naiven Verfahrungsarten des Geisteseiner solchen Vervollkommnung fähig sind, daß derMensch das Schaffen der Natur in sich erleben kann. «Essind am Ende doch nur, wie mich dünkt, die praktischen

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und sich selbst rektifizierenden Operationen des gemeinenMenschenverstandes, der sich in einer höheren Sphäre zuüben wagt.» (Vgl. Goethes Werke in der Weimarer-Ausga-be, 2. Abt., Bd. 11, S. 41.) In eine Welt unklarer Empfindun-gen und Gefühle versenkt sich mancher Mystiker; in dieklare Ideenwelt versenkt sich Goethe. Die einseitigen My-stiker verachten die Klarheit der Ideen. Sie halten dieseKlarheit für oberflächlich. Sie ahnen nicht, was Menschenempfinden, welche die Gabe haben, sich in die belebte Weltder Ideen zu vertiefen. Es friert einen solchen Mystiker,wenn er sich der Ideenwelt hingibt. Er sucht einen Welt-inhalt, der Wärme ausströmt. Aber der, welchen er findet,klärt über die Welt nicht auf. Er besteht nur in subjektivenErregungen, in verworrenen Vorstellungen. Wer von derKälte der Ideenwelt spricht, der kann Ideen nur denken,nicht erleben. Wer das wahrhafte Leben in der Ideenweltlebt, der fühlt in sich das Wesen der Welt in einer Wärmewirken, die mit nichts zu vergleichen ist. Er fühlt das Feuerdes Weltgeheimnisses in sich auflodern. So hat Goetheempfunden, als ihm die Anschauung der wirkenden Naturin Italien aufging. Damals wußte er, wie jene Sehnsucht zustillen ist, die er in Frankfurt seinen Faust mit den Wortenaussprechen läßt:

«Wo faß' ich dich, unendliche Natur?Euch Brüste, wo ? Ihr Quellen alles Lebens,An denen Himmel und Erde hängt,Dahin die welke Brust sich drängt -».

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DIE METAMORPHOSE DER WELTERSCHEINUNGEN

Den höchsten Grad der Reife erlangte Goethes Weltan-schauung, als ihm die Anschauung der zwei großen Trieb-räder der Natur: die Bedeutung der Begriffe von Polarität.und von Steigerung aufging. (Vgl. den Aufsatz: Erläuterungzu dem Aufsatz « Die Natur ». Kürschner Band 34, S. 63 f.)Die Polarität ist den Erscheinungen der Natur eigen, inso-fern wir sie materiell denken. Sie besteht darin, daß sich allesMaterielle in zwei entgegengesetzten Zuständen äußert, wieder Magnet in einem Nordpol und einem Südpol. Diese Zu-stände der Materie Hegen entweder offen vor Augen, odersie schlummern in dem Materiellen und können durch ge-eignete Mittel in demselben erweckt werden. Die Steige-rung kommt den Erscheinungen zu, insofern wir sie geistigdenken. Sie kann beobachtet werden bei den Naturvorgän-gen, die unter die Idee der Entwicklung fallen. Auf den ver-schiedenen Stufen der Entwicklung zeigen diese Vorgängedie ihnen zu Grunde liegende Idee mehr oder weniger deut-lich in ihrer äußeren Erscheinung. In der Frucht ist die Ideeder Pflanze, das vegetabilische Gesetz, nur undeutlich inder Erscheinung ausgeprägt. Die Idee, die der Geist er-kennt, und die Wahrnehmung sind einander unähnlich. «Inden Blüten tritt das vegetabilische Gesetz in seine höchsteErscheinung, und die Rose wäre nur wieder der Gipfeldieser Erscheinung.» In der Herausarbeitung des Geisti-gen aus dem Materiellen durch die schaffende Natur be-steht das, was Goethe Steigerung nennt. Die Natur ist «inimmerstrebendem Aufsteigen» begriffen, heißt, sie suchtGebilde zu schaffen, die, in aufsteigender Ordnung, dieIdeen der Dinge auch in der äußeren Erscheinung immer

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mehr 2ur Darstellung bringen. Goethe ist der Ansicht,« daßdie Natur kein Geheimnis habe, was sie nicht irgendwodem aufmerksamen Beobachter nackt vor die Augen stellt».Die Natur kann Erscheinungen hervorbringen, von denensich die Ideen für ein großes Gebiet verwandter Vorgängeunmittelbar ablesen lassen. Es sind die Erscheinungen, indenen die Steigerung ihr Ziel erreicht hat, in denen dieIdee unmittelbare Wahrnehmung wird. Der schöpferischeGeist der Natur tritt hier an die Oberfläche der Dinge;was an den grob-materiellen Erscheinungen nur dem Den-ken erfaßbar ist, was nur mit geistigen Augen geschautwerden kann: das wird in den gesteigerten dem leiblichenAuge sichtbar. Alles Sinnliche ist hier auch geistig undalles Geistige sinnlich. Durchgeistigt denkt sich Goethedie ganze Natur. Ihre Formen sind dadurch verschieden,daß der Geist in ihnen mehr oder weniger auch äußerlichsichtbar wird. Eine tote geistlose Materie kennt Goethenicht. Als solche erscheinen diejenigen Dinge, in denensich der Geist der Natur eine seinem ideellen Wesen un-ähnliche äußere Form gibt. Weil ein Geist in der Naturund im menschlichen Innern wirkt, deshalb kann derMensch sich zur Teilnahme an den Produktionen der Na-tur erheben, «...vom Ziegelstein, der dem Dache ent-stürzt, bis zum leuchtenden Geistesblick, der dir aufgehtund den du mitteilst», gilt für Goethe alles im Weltall alsWirkung, als Manifestation eines schöpferischen Geistes.«Alle Wirkungen, von welcher Art sie seien, die wir in derErfahrung bemerken, hängen auf die stetigste Weise zusam-men, gehen ineinander über; sie undulieren von der erstenbis zur letzten.» «Ein Ziegelstein löst sich vom Dache los,wir nennen dies im gemeinen Sinne zufällig; er trifft die

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Schultern eines Vorübergehenden doch wohl mechanisch;allein nicht ganz mechanisch: er folgt den Gesetzen derSchwere, und so wirkt er physisch. Die zerrissenen Lebens-gefäße geben sogleich ihre Funktion auf; im Augenblickwirken die Säfte chemisch, die elementaren Eigenschaftentreten hervor. Allein das gestörte organische Leben wider-setzt sich ebenso schnell und sucht sich herzustellen; indes-sen ist das menschliche Ganze mehr oder weniger bewußt-los und psychisch zerrüttet, die sich wiedererkennende Per-son fühlt sich ethisch im tiefsten verletzt; sie beklagt ihre ge-störte Tätigkeit, von welcher Art sie auch sei, aber ungernergäbe der Mensch sich in Geduld. Religiös hingegen wirdihm leicht, diesen Fall einer höheren Schickung zuzuschrei-ben, ihn als Bewahrung vor größerem Übel, als Einleitungzu höherem Guten anzusehen. Dies reicht hin für den Lei-denden ; aber der Genesende erhebt sichgenia/, vertraut Gottund sich selbst und fühlt sich gerettet, ergreift auch wohldas Zufällige, wendet's zu seinem Vorteil, um einen ewigfrischen Lebenskreis zu beginnen.» Als Modifikationen desGeistes erscheinen Goethe alle Weltwirkungen, und derMensch, der sich in sie vertieft und sie beobachtet von derStufe des Zufälligen bis zu der des Genialen, durchlebt dieMetamorphose des Geistes von der Gestalt, in der sich die-ser in einer ihm unähnlichen äußeren Erscheinung darstellt,bis zu der, wo er in seiner ihm ureigensten Form erscheint.Einheitlich wirkend sind im Sinne der Goetheschen Welt-anschauung alle schöpferischen Kräfte. Ein Ganzes, dassich in einer Stufenfolge von verwandten Mannigfaltigkei-ten offenbart, sind sie. Goethe war aber nie geneigt, die Ein-heit der Welt sich als einförmig vorzustellen. Oft verfallendie Anhänger des Einheitsgedankens in den Fehler, die Ge-

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setzmäßigkeit, die sich auf einem Erscheinungsgebiete be-obachten läßt, auf die ganze Natur auszudehnen. In diesemFalle ist z. B. die mechanistische Weltanschauung. Sie hatein besonderes Auge und Verständnis für das, was sich me-chanisch erklären läßt. Deshalb erscheint ihr das Mechani-sche als das einzig Naturgemäße. Sie sucht auch die Erschei-nungen der organischen Natur auf mechanische Gesetzmä-ßigkeit zurückzuführen. Ein Lebendiges ist ihr nur einekomplizierte Form des Zusammenwirkens mechanischerVorgänge. In besonders abstoßender Form fand Goetheeine solche Weltanschauung in Holbachs «Systeme de lanature » ausgesprochen, das ihm in Straßburg in die Händefiel. «Eine Materie sollte sein von Ewigkeit, und von Ewig-keit her bewegt, und sollte nun mit dieser Bewegung rechtsund links und nach allen Seiten, ohne weiteres, die unend-lichen Phänomene des Daseins hervorbringen. Dies alleswären wir sogar zufrieden gewesen, wenn der Verfasserwirklich aus seiner bewegten Materie die Welt vor unsernAugen aufgebaut hätte. Aber er mochte von der Natur sowenig wissen als wir: denn indem er einige allgemeine Be-griffe hingepfahlt, verläßt er sie sogleich, um dasjenige, washoher als die Natur, oder als höhere Natur in der Natur er-scheint, zur materiellen, schweren, zwar bewegten, aberdoch richtungs- und gestaltlosen Natur zu verwandeln, undglaubt dadurch recht viel gewonnen zu haben. » (Dichtungund Wahrheit, 11. Buch.) In ähnlicher Weise hätte sich Goe-the geäußert, wenn er den Satz Du Bois-Reymonds («Gren-zen des Naturerkennens », S. 13) hätte hören können: «Na-turerkennen ... ist Zurückführen der Veränderungen inder Körperwelt auf Bewegungen von Atomen, die durchderen von der Zeit unabhängige Zentralkräfte bewirkt wer-

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den, oder Auflösung der Naturvorgänge in Mechanik derAtome.» Goethe dachte sich die Arten von Naturwirkungenmiteinander verwandt und ineinander übergehend; aber erwollte sie nie auf eine einzige Art zurückführen. Er trach-tete nicht nach einem abstrakten Prinzip, auf das alle Natur-erscheinungen zurückgeführt werden sollen, sondern nachBeobachtung der charakteristischen Art, wie sich die schöp-ferische Natur in jedem einzelnen ihrer Erscheinungsge-biete durch besondere Formen ihrer allgemeinen Gesetz-mäßigkeit offenbart. Nicht eine Gedankenform wollte ersämtlichenNarurerscheinungen aufzwängen, sondern durchEinleben in verschiedene Gedankenformen wollte er sichden Geist so lebendig und biegsam erhalten, wie die Naturselbst ist. Wenn die Empfindung von der großen Einheitalles Naturwirkens in ihm mächtig war, dann war er Pan-theist. «Ich für mich kann, bei den mannigfaltigen Richtun-gen meines Wesens, nicht an einer Denkweise genug haben;als Dichter und Künstler bin ich Polytheist, Pantheist hin-gegen als Naturforscher, und eins so entschieden als dasandere. Bedarf ich eines Gottes für meine Persönlichkeit,als sittlicher Mensch, so ist dafür auch schon gesorgt.»(An Jacobi, 6. Jan. 1813.) Als Künstler wandte sich Goethean jene Naturerscheinungen, in denen die Idee in unmittel-barer Anschauung gegenwärtig ist. Das Einzelne erschienhier unmittelbar göttlich; die Welt als eine Vielheit gött-licher Individualitäten. Als Naturforscher mußte Goetheauch in den Erscheinungen, deren Idee nicht in ihrem in-dividuellen Dasein sichtbar wird, die Kräfte der Natur ver-folgen. Als Dichter konnte er sich bei der Vielheit desGöttlichen beruhigen; als Naturforscher mußte er die ein-heitlich wirkenden Naturideen suchen. «Das Gesetz, das

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in die Erscheinung tritt, in der größten Freiheit, nachseinen eigensten Bedingungen, bringt das Objektiv-Schönehervor, welches freilich würdige Subjekte finden muß, vondenen es aufgefaßt wird.» Dieses Objektiv-Schöne im ein-zelnen Geschöpf will Goethe als Künstler anschauen; aberals Naturforscher will er «die Gesetze kennen, nach wel-chen die allgemeine Natur handeln will». Polytheismus istdie Denkweise, die in dem Einzelnen ein Geistiges siehtund verehrt; Pantheismus die andere, die den Geist desGanzen erfaßt. Beide Denkweisen können nebeneinanderbestehen; die eine oder die andere macht sich geltend, jenachdem der Blick auf das Naturganze gerichtet ist, dasLeben und Folge ist aus einem Mittelpunkte, oder aufdiejenigen Individuen, in denen die Natur in einer Formvereinigt, was sie in der Regel über ein ganzes Reich aus-breitet. Solche Formen entstehen, wenn z. B. die schöpferi-schen Naturkräfte nach «tausendfältigen Pflanzen» nocheine machen, worin «alle übrigen enthalten», oder «nachtausendfältigen Tieren ein Wesen, das sie alle enthält: denMenseben».

Goethe macht einmal die Bemerkung: «Wer sie [meineSchriften] und mein Wesen überhaupt verstehen gelernt,wird doch bekennen müssen, daß er eine gewisse innereFreiheit gewonnen.» (Unterhaltungen mit dem Kanzler vonMüller, 5. Jan. 1831.) Damit hat er auf die wirkende Krafthingedeutet, die sich in allem menschlichen Erkenntnis-streben geltend macht. Solange der Mensch dabei stehenbleibt, die Gegenstände um sich her wahrzunehmen undihre Gesetze als ihnen eingepflanzte Prinzipien zu betrach-

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ten, von denen sie beherrscht werden, hat er das Gefühl,daß sie ihm als unbekannte Mächte gegenüberstehen, dieauf ihn wirken und ihm die Gedanken ihrer Gesetze auf-drängen. Er fühlt sich den Dingen gegenüber unfrei; erempfindet die Gesetzmäßigkeit der Natur als starre Not-wendigkeit, der er sich zu fügen hat. Erst wenn der Menschgewahr wird, daß die Naturkräfte nichts anderes sind alsFormen desselben Geistes, der auch in ihm selbst wirkt,geht ihm die Einsicht auf, daß er der Freiheit teilhaftig ist.Die Naturgesetzlichkeit wird nur so lange als Zwang emp-funden, so lange man sie als fremde Gewalt ansieht. Lebtman sich in ihre Wesenheit ein, so empfindet man sie alsKraft, die man auch selbst in seinem Innern betätigt; manempfindet sich als produktiv mitwirkendes Element beimWerden und Wesen der Dinge. Man ist Du und Du mitaller Werdekraft. Man hat in sein eigenes Tun das aufge-nommen, was man sonst nur als äußeren Antrieb emp-findet. Dies ist der Befreiungs-Prozeß, den im Sinne derGoetheschen Weltanschauung der Erkenntnisakt bewirkt.Klar hat Goethe die Ideen des Naturwirkens angeschaut,als sie ihm aus den italienischen Kunstwerken entgegen-blickten. Eine klare Empfindung hatte er auch von der be-freienden Wirkung, die das Innehaben dieser Ideen auf denMenschen ausübt. Eine Folge dieser Empfindung ist seineSchilderung derjenigen Erkenntnisart, die er als die derumfassenden Geister bezeichnet. «Die Umfassenden, die manin einem stolzern Sinne die Erschaffenden nennen könnte,verhalten sich im höchsten Grade produktiv; indem sienämlich von Ideen ausgehen, sprechen sie die Einheit desGanzen schon aus, und es ist gewissermaßen nachher die Sacheder Natur\ sich in diese Idee %u fügen.» Zu der unmittelbaren

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Anschauung des Befreiungsaktes hat es aber Goethe niegebracht. Diese Anschauung kann nur derjenige haben,der sich selbst in seinem Erkennen belauscht. Goethe hatzwar die höchste Erkenntnisart ausgeübt; aber er hat dieseErkenntnisart nicht an sich beobachtet. Gesteht er dochselbst:

«Wie hast du's denn so weit gebracht?Sie sagen, du habest es gut vollbracht!»Mein Kind! ich hab' es klug gemacht,Ich habe nie über das Denken gedacht.

Aber so wie die schöpferischen Naturkräfte «nach tau-sendfältigen Pflanzen» noch eine machen, worin «alle übri-gen enthalten » sind, so bringen sie auch nach tausendfälti-gen Ideen noch eine hervor, worin die ganze Ideenwelt ent-halten ist. Und diese Idee erfaßt der Mensch, wenn er zu derAnschauung der andern Dinge und Vorgänge auch dieje-nige des Denkens fügt. Eben weil Goethes Denken stetsmit den Gegenständen der Anschauung erfüllt war, weilsein Denken ein Anschauen, sein Anschauen ein Denkenwar: deshalb konnte er nicht dazu kommen, das Denkenselbst zum Gegenstande des Denkens zu machen. Die Ideeder Freiheit gewinnt man aber nur durch die Anschauungdes Denkens. Den Unterschied zwischen Denken über dasDenken und Anschauung des Denkens hat Goethe nicht ge-macht. Sonst wäre er zur Einsicht gelangt, daß man geradeim Sinne seiner Weltanschauung es wohl ablehnen könne,über das Denken zu denken, daß man aber doch zu einerAnschauung der Gedankenwelt kommen könne. An dem Zu-standekommen aller übrigen Anschauungen ist der Menschunbeteiligt. In ihm leben die Ideen dieser Anschauungen

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auf. Diese Ideen würden aber nicht da sein, wenn in ihmnicht die produktive Kraft vorhanden wäre, sie zur Erschei-nung zu bringen. Wenn auch die Ideen der Inhalt dessensind, was in den Dingen wirkt; zum erscheinenden Daseinkommen sie durch die menschliche Tätigkeit. Die eigeneNatur der Ideenwelt kann also der Mensch nur erkennen,wenn er seine Tätigkeit anschaut. Bei jeder anderen An-schauung durchdringt er nur die wirkende Idee; das Ding,in dem gewirkt wird, bleibt als Wahrnehmung außerhalbseines Geistes. In der Anschauung der Idee ist Wirkendesund Bewirktes ganz in seinem Innern enthalten. Er hat denganzen Prozeß restlos in seinem Innern gegenwärtig. DieAnschauung erscheint nicht mehr von der Idee hervorge-bracht; denn die Anschauung ist jetzt selbst Idee. Diese An-schauung des sich selbst Hervorbringenden ist aber die An-schauung der Freiheit. Bei der Beobachtung des Denkensdurchschaut der Mensch das Weltgeschehen. Er hat hiernicht nach einer Idee dieses Geschehens zu forschen, denndieses Geschehen ist die Idee selbst. Die sonst erlebte Ein-heit von Anschauung und Idee ist hier Erleben der anschau-lich gewordenen Geistigkeit der Ideenwelt. Der Mensch,der diese in sich selbst ruhende Tätigkeit anschaut, fühlt dieFreiheit. Goethe hat diese Empfindung zwar erlebt, abernicht in der höchsten Form ausgesprochen. Er übte in seinerNaturbetrachtung eine freie Tätigkeit; aber sie wurde ihmnie gegenständlich. Er hat nie hinter die Kulissen desmenschlichen Erkennens geschaut und deshalb die Idee desWeltgeschehens in dessen ureigenster Gestalt, in seinerhöchsten Metamorphose nie in sein Bewußtsein aufgenom-men. Sobald der Mensch zur Anschauung dieser Metamor-phose gelangt, bewegt er sich sicher im Reich der Dinge. Er

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hat in dem Mittelpunkte seiner Persönlichkeit den wahrenAusgangspunkt für alle Weltbetrachtung gewonnen. Erwird nicht mehr nach unbekannten Gründen, nach außerihm liegenden Ursachen der Dinge forschen; er weiß, daßdas höchste Erlebnis, dessen er fähig ist, in der Selbstbe-trachtung der eigenen Wesenheit besteht. Wer ganz durch-drungen ist von den Gefühlen, die dieses Erlebnis hervor-ruft, der wird die wahrsten Verhältnisse zu den Dingen ge-winnen. Bei wem das nicht der Fall ist, der wird die höchsteForm des Daseins anderswo suchen, und, da er sie in derErfahrung nicht finden kann, in einem unbekannten Gebietder Wirklichkeit vermuten. Seine Betrachtung der Dingewird etwas Unsicheres bekommen; er wird sich bei der Be-antwortung der Fragen, die ihm die Natur stellt, fortwäh-rend auf ein Unerforschliches berufen. Weil Goethe durchsein Leben in der Ideenwelt ein Gefühl hatte von dem festenMittelpunkt, innerhalb der Persönlichkeit, ist es ihm ge-lungen, innerhalb bestimmter Grenzen im Naturbetrachtenzu sicheren Begriffen zu kommen. Weil ihm aber die un-mittelbare Anschauung des innersten Erlebnisses abging,tastet er außerhalb dieser Grenzen unsicher umher. Er redetaus diesem Grunde davon, daß der Mensch nicht geborensei, «die Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu suchen,wo das Problem angeht, und sich sodann in der Grenze desBegreiflichen zu halten». Er sagt: «Kant hat unstreitig ammeisten genützt, indem er die Grenzen zog, wie weit dermenschliche Geist zu dringen fähig sei, und daß er die un-auflöslichen Probleme liegen ließ.» Hätte ihm die Anschau-ung des höchsten Erlebnisses Sicherheit in der Betrachtungder Dinge gegeben, so hätte er auf seinem Wege mehr ge-konnt als « durch geregelte Erfahrung zu einer Art von be-

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dingter Zuverlässigkeit zu gelangen». Statt geradewegsdurch die Erfahrung durchzuschreiten in dem Bewußtsein,daß das Wahre nur eine Bedeutung hat, insoweit es von dermenschlichen Natur gefordert wird, gelangt er doch zu derÜberzeugung, daß «ein höherer Einfluß die Standhaften, dieTätigen, die Verständigen, die Geregelten und Regelnden,die Menschlichen, die Frommen » begünstige, und daß sich«die moralische Weltordnung» am schönsten da zeige, wosie «dem Guten, dem wacker Leidenden mittelbar zu Hilfekommt».

Weil Goethe das innerste menschliche Erlebnis nicht kann-te, war es ihm unmöglich, zu den letzten Gedanken über diesittliche Weltordnung zu gelangen, die zu seiner Naturan-schauung notwendig gehören. Die Ideen der Dinge sindder Inhalt des in den Dingen Wirksamen und Schaffenden.Die sittlichen Ideen erlebt der Mensch unmittelbar in derIdeenform. Wer zu erleben imstande ist, wie in der An-schauung der Ideenwelt das Ideelle sich selbst zum Inhaltwird, sich mit sich selbst erfüllt, der ist auch in der Lage, dieProduktion des Sittlichen innerhalb der menschlichen Na-tur zu erleben. Wer die Naturideen nur in ihrem Verhältniszu der Anschauungswelt kennt, der wird auch die sittlichenBegriffe auf etwas ihnen Äußeres beziehen wollen. Er wirdeine ähnliche Wirklichkeit für diese Begriffe suchen, wie siefür die aus der Erfahrung gewonnenen Begriffe vorhandenist. Wer aber Ideen in ihrer eigensten Wesenheit anzu-schauen vermag, der wird bei den sittlichen gewahr, daßnichts Äußeres ihnen entspricht, daß sie unmittelbar imGeist-Erleben als Ideen produziert werden. Ihm ist klar,daß weder ein nur äußerlich wirkender göttlicher Wille,

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noch eine solche sittliche Weltordnung wirksam sind, umdiese Ideen zu erzeugen. Denn es ist in ihnen nichts voneinem Bezug auf solche Gewalten zu bemerken. Alles wassie aussprechen, ist in ihrer geistig erlebten reinen Ideen-form auch eingeschlossen. Nur durch ihren eigenen Inhaltwirken sie auf den Menschen als sittliche Mächte. Kein ka-tegorischer Imperativ steht mit der Peitsche hinter ihnenund drängt den Menschen, ihnen zu folgen. Der Menschempfindet, daß er sie selbst hervorgebracht hat und liebt sie,wie man sein Kind liebt. Die Liebe ist das Motiv des Han-delns. Die geistige Lust am eigenen Erzeugnis ist der Quelldes Sittlichen.

Es gibt Menschen, die keine sittlichen Ideen zu produzie-ren vermögen. Sie nehmen diejenigen anderer Menschendurch Überlieferung in sich auf. Und wenn sie kein An-schauungsvermögen für Ideen als solche haben, erkennensie den im Geiste erlebbaren Ursprung des Sittlichen nicht.Sie suchen ihn in einem übermenschlichen, ihnen äußer-lichen Willen. Oder sie glauben, daß eine außerhalb dermenschlich erlebten Geistwelt bestehende objektive sitt-liche Weltordnung bestehe, aus der die moralischen Ideenstammen. In dem Gewissen des Menschen wird oft dasSprachorgan dieser Weltordnung gesucht. Wie über ge-wisse Dinge seiner übrigen Weltanschauung ist Goetheauch in seinen Gedanken über den Ursprung des Sittlichenunsicher. Auch hier treibt sein Gefühl für das IdeengemäßeSätze hervor, die den Forderungen seiner Natur gemäßsind. «Pflicht: wo man liebt, was man sich selbst befiehlt.»Nur wer die Gründe des Sittlichen rein in dem Inhalt dersittlichen Ideen sieht, sollte sagen: «Lessing, der mancher-lei Beschränkung unwillig fühlte, läßt eine seiner Personen

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sagen: Niemand muß müssen. Ein geistreicher, frohgesinnterMann sagte: Wer will, der muß. Ein dritter, freilich ein Ge-bildeter, fügte hinzu: Wer einsieht, der will auch. Und so glaub-te man den ganzen Kreis des Erkennens, Wollens und Müs-sens abgeschlossen zu haben. Aber im Durchschnitt be-stimmt die Erkenntnis des Menschen, von welcher Art sieauch sei, sein Tun und Lassen; deswegen auch nichtsschrecklicher ist, als die Unwissenheit handeln zu sehen.»Daß in Goethe ein Gefühl für die echte Natur des Sittlichenherrscht, welches sich nur nicht zur klaren Anschauung er-hebt, zeigt folgender Ausspruch: Der Wille «muß, um voll-kommen zu werden ..., sich im Sittlichen dem Gewissen,das nicht irrt... fügen ... Das Gewissen bedarf keines Ahn-herrn, mit ihm ist alles gegeben; es hat nur mit der innerneigenen Welten tun.» Das Gewissen bedarf keines Ahnherrn,kann nur heißen: der Mensch findet in sich keinen sitt-lichen Inhalt ursprünglich vor; er gibt sich ihn selbst. Die-sen Aussprüchen stehen andere gegenüber, die den Ur-sprung des Sittlichen in ein Gebiet außerhalb des Menschenverlegen: «Der Mensch, wie sehr ihn auch die Erde an-zieht mit ihren tausend und abertausend Erscheinungen,hebt doch den Blick forschend und sehnend zum Himmelauf... weil er es tief und klar in sich fühlt, daß er ein Bürgerjenes geistigen Reiches sei, woran wir den Glauben nichtabzulehnen, noch aufzugeben vermögen.» «Was gar nichtaufzulösen ist, überlassen wir Gott als dem allbedingendenund allbefreienden Wesen.»

Für die Betrachtung der innersten Menschennatur, für dieSelbstbeschauung fehlt Goethe das Organ. «Hierbei be-

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kenn' ich, daß mir von jeher die große und so bedeutendklingende Aufgabe: erkenne dich selbst, immer verdächtigvorkam, als eine List geheim verbündeter Priester, die denMenschen durch unerreichbare Forderungen verwirrenund von der Tätigkeit gegen die Außenwelt zu einer innernfalschen Beschaulichkeit verleiten wollten. Der Menschkennt nur sich selbst, insofern er die Welt kennt, die er nurin sich und sich nur in ihr gewahr wird. Jeder neue Gegen-stand, wohl beschaut, schließt ein neues Organ in uns auf.»Davon ist gerade das Umgekehrte wahr: der Mensch kenntdie Welt nur, insofern er sich kennt. Denn in seinem Innernoffenbart sich in ureigenster Gestalt, was in den Außendin-gen nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol als Anschauungvorhanden ist. Wovon der Mensch sonst nur als von einemUnergründlichen, Unerforschlichen, Göttlichen sprechenkann: das tritt ihm in der Selbstanschauung in wahrer Ge-stalt vor Augen. Weil er in der Selbstanschauung das Ideellein unmittelbarer Gestalt sieht, gewinnt er die Kraft und Fä-higkeit, dieses Ideelle auch in aller äußeren Erscheinung, inder ganzen Natur aufzusuchen und anzuerkennen. Wer denAugenblick der Selbstanschauung erlebt hat, denkt nichtmehr daran, hinter den Erscheinungen einen «verborge-nen » Gott zu suchen: er ergreift das Göttliche in seinenverschiedenen Metamorphosen in der Natur. Goethe be-merkte in Beziehung auf Schelling: «Ich würde ihn Öfterssehen, wenn ich nicht noch auf poetische Momente hoffte,und die Philosophie zerstört bei mir die Poesie, und daswohl deshalb, weil sie mich ins Objekt treibt. Indem ichmich nie rein spekulativ erhalten kann, sondern gleich zujedem Satze eine Anschauung suchen muß und deshalbgleich in die Natur hinaus fliehe.» Die höchste Anschauung,

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die Anschauung der Ideenwelt selbst, hat er eben nicht fin-den können. Sie kann die Poesie nicht zerstören, denn siebefreit den Geist nur von allen Vermutungen, daß in derNatur ein Unbekanntes, Unergründliches sein könne. Da-für aber macht sie ihn fähig, sich unbefangen ganz denDingen hinzugeben; denn sie gibt ihm die Überzeugung,daß aus der Natur alles zu entnehmen ist, was der Geist vonihr nur wünschen kann.

Die höchste Anschauung befreit aber den Menschengeistauch von allem einseitigen Abhängigkeitsgefühl. Er fühltsich durch ihren Besitz souverän im Reiche der sittlichenWeltordnung. Er weiß, daß die Triebkraft, die alles hervor-bringt, in seinem Innern als in seinem eigenen Willen wirkt,und daß die höchsten Entscheidungen über Sittliches in ihmselbst Hegen. Denn diese höchsten Entscheidungen fließenaus der Welt der sittlichen Ideen, bei deren Produktion dieSeele des Menschen anwesend ist. Mag der Mensch im ein-zelnen sich beschränkt fühlen, mag er auch von tausendDingen abhängig sein; im ganzen gibt er sich sein sittlichesZiel und seine sittliche Richtung. Das Wirksame aller übri-gen Dinge kommt im Menschen als Idee zur Erscheinung;das Wirksame im Menschen ist die Idee, die er selbst hervor-bringt. In jeder einzelnen menschlichen Individualität voll-zieht sich der Prozeß, der im Ganzen der Natur sich ab-spielt : die Schöpfung eines Tatsächlichen aus der Idee her-aus. Und der Mensch selbst ist der Schöpfer. Denn auf demGrunde seiner Persönlichkeit lebt die Idee, die sich selbsteinen Inhalt gibt. Über Goethe hinausgehend, muß manseinen Satz erweitern, die Natur sei «in dem Reichtum derSchöpfung so groß, nach tausendfältigen Pflanzen eine zumachen, worin alle übrigen enthalten sind, und nach tau-

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sendfältigen Tieren ein Wesen, das sie alle enthält, denMenschen». Die Natur ist in ihrer Schöpfung so groß, daßsie den Prozeß, durch den sie frei aus der Idee heraus alleGeschöpfe hervorbringt, in jedem Menschenindividuumwiederholt, indem die sittlichen Handlungen aus dem ideel-len Grunde derPersönlichkeit entspringen. Was der Menschauch als objektiven Grund seines Handelns empfindet, esist alles nur Umschreibung und zugleich Verkennung seinereigenen Wesenheit. Sich selbst realisiert der Mensch in sei-nem sittlichen Handeln. In lapidaren Sätzen hat Max Stirnerdiese Erkenntnis in seiner Schrift «Der Einzige und seinEigentum» ausgesprochen. «Eigner bin ich meiner Ge-walt, und ich bin es dann, wenn ich mich als Einzigen weiß.Im Einzigen kehrt selbst der Eigner in sein schöpferischesNichts zurück, aus welchem er geboren wird. Jedes höhereWesen über mir, sei es Gott, sei es der Mensch, schwächt dasGefühl meiner Einzigkeit und erbleicht erst vor der Sonnedieses Bewußtseins. Stell' ich auf mich, den Einzigen, meineSache, dann steht sie auf dem Vergänglichen, dem sterb-lichen Schöpfer seiner, der sich selbst verzehrt, und ich darfsagen: ich hab' mein Sach' auf Nichts gestellt.» Aber zu-gleich darf der Mensch zu diesem Stirnerschen Geist, wieFaust zu Mephistopheles sagen: «In deinem Nichts hoff'ich das All zu finden », denn in meinem Innern wohnt inindividueller Bildung die Wirkungskraft, durch welche dieNatur das All schafft. So lange der Mensch in sich diese Wir-kungskraft nicht geschaut hat, wird er sich ihr gegenübererscheinen wie Faust dem Erdgeist gegenüber. Sie wirdihm stets die Worte zurufen: «Du gleichst dem Geist, dendu begreifst, nicht mir 1» Erst die Anschauung des tiefstenInnenlebens zaubert diesen Geist hervor, der von sich sagt:

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In Lebensfluten, im TatensturmWall* ich auf und ab,Webe hin und her!Geburt und Grab,Ein ewiges Meer,Ein wechselnd Weben,Ein glühend Leben,So schaff' ich am sausenden Webstuhl der ZeitUnd wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

Ich habe in meiner «Philosophie der Freiheit» darzustel-len versucht, wie die Erkenntnis, daß der Mensch in seinemTun auf sich selbst gestellt ist, hervorgeht aus dem inner-sten Erlebnis, aus der Anschauung der eigenen Wesenheit.Stirner hat 1844 die Ansicht verteidigt, daß der Mensch,wenn er sich wahrhaft versteht, nur in sich selbst den Grundfür seine Wirksamkeit sehen könne. Bei ihm geht aber dieseErkenntnis nicht aus der Anschauung des innersten Erleb-nisses, sondern aus dem Gefühle der Freiheit und Ungebun-denheit gegenüber allen Zwang heischenden Weltmächtenhervor. Stirner bleibt bei der Forderung der Freiheit stehen;er wird auf diesem Gebiete zu der denkbar schroffsten Be-tonung der auf sich selbst gestellten Menschennatur ge-führt. Ich versuche auf breiterer Basis das Leben in derFreiheit zu schildern, indem ich zeige, was der Mensch er-blickt, wenn er auf den Grund seiner Seele sieht. Goethe istbis zu der Anschauung der Freiheit nicht gekommen, weiler eine Abneigung gegen die Selbsterkenntnis hatte. Wäredas nicht der Fall gewesen, so hätte die Erkenntnis des Men-schen als einer freien, auf sich selbst gegründeten Persön-lichkeit die Spitze seiner Weltanschauung bilden müssen.

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Die Keime zu dieser Erkenntnis treten uns bei ihm überallentgegen; sie sind zugleich die Keime seiner Naturansicht.

Innerhalb seiner eigentlichen Naturstudien spricht Goe-the nirgends von unerforschlichen Gründen, von verbor-genen Triebkräften der Erscheinungen. Er begnügt sichdamit, die Erscheinungen in ihrer Folge zu beobachten undsie mit Hilfe derjenigen Elemente zu erklären, die sich denSinnen und dem Geiste bei der Beobachtung offenbaren.Am 5. Mai 1786 schreibt er in diesem Sinne an Jacobi, daßer den Mut habe, sein «ganzes Leben der Betrachtung derDinge zu widmen, die er reichen » und von deren Wesen-heit er sich «eine adäquate Idee zu bilden hoffen kann»,ohne sich im mindesten zu bekümmern, wie weit er kom-men werde und was ihm zugeschnitten ist. Wer sich demGöttlichen in dem einzelnen Naturdinge zu nähern glaubt,der braucht sich nicht mehr eine besondere Vorstellungvon einem Gotte zu bilden, der außer und neben den Din-gen existiert. Nur wenn Goethe das Gebiet der Natur ver-läßt, dann hält auch sein Gefühl für die Wesenheit derDinge nicht mehr stand. Dann führt ihn der Mangel anmenschlicher Selbsterkenntnis zu Behauptungen, die we-der mit seiner ihm angeborenen Denkweise, noch mit derRichtung seiner Naturstudien zu vereinigen sind. WerNeigung hat, sich auf solche Behauptungen zu berufen,der mag annehmen, daß Goethe an einen menschenähn-lichen Gott und eine individuelle Fortdauer derjenigenLebensform der Seele geglaubt hat, die an die Bedingun-gen der physischen Leibesorganisation gebunden ist. MitGoethes Naturstudien steht ein solcher Glaube im Wider-

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Spruch. Sie hätten nie die Richtung nehmen können, diesie genommen haben, wenn sich Goethe bei ihnen vondiesem Glauben hätte bestimmen lassen. Im Sinne seinerNaturstudien Hegt es durchaus, das Wesen der mensch-lichen Seele so zu denken, daß diese nach der Ablegungdes Leibes in einer übersinnlichen Daseinsform lebt. DieseDaseinsform bedingt, daß ihr durch die andern Lebens-bedingungen auch eine andere Bewußtseinsart eigen wirdals die ist, die sie durch den physischen Leib hat. So führtdie Goethesche Metamorphosenlehre auch zu der An-schauung von Metamorphosen des Seelenlebens. Aberman wird diese Goethesche Unsterblichkeitsidee nur rechtins Auge fassen können, wenn man weiß, daß Goethe 2ueiner unmetamorphosierten Fortsetzung desjenigen Gei-steslebens, das durch den physischen Leib bedingt ist, durchseine Weltanschauung nicht hat geführt werden können.Weil Goethe in dem hier angedeuteten Sinn eine Anschau-ung des Gedankenlebens nicht versuchte, wurde er auch imFortgang seiner Lebensführung nicht dazu veranlaßt, die-jenige Unsterblichkeitsidee besonders auszugestalten, wel-che die Fortsetzung seiner Metamorphosengedanken wäre.Diese Idee aber wäre in Wahrheit dasjenige, was in Bezugauf dieses Erkenntnisgebiet aus seiner Weltanschauungfolgte. Was er im Hinblick auf die Lebensansicht dieses oderjenes Zeitgenossen, oder aus anderer Veranlassung als Aus-druck einer persönlichen Empfindung gab, ohne dabei anden Zusammenhang mit seiner an den Naturstudien ge-wonnenen Weltanschauung zu denken, darf nicht als cha-rakteristisch für Goethes Unsterblichkeitsidee angeführtwerden.

Für die Wertung eines Goetheschen Ausspruches im Ge-

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samtbilde seiner Weltanschauung kommt auch in Betracht,daß die Stimmung seiner Seele in seinen verschiedenen Le-bensaltern solchen Aussprüchen besondere Nuancen gibt.Dieses Wandels in der Ausdrucksform seiner Ideen warer sich voll bewußt. Als Förster die Ansicht aussprach, dieLösung des Faust-Problems werde sich aus dem Worte er-geben: «Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange istsich des rechten Weges wohl bewußt» entgegnete Goethe:«Das wäre ja Aufklärung: Faust endet als Greis, und imGreisenalter werden wir Mystiker» (aus Försters Nachlaß,S. 216). Und in den Prosasprüchen lesen wir: «Jedem Alterdes Menschen antwortet eine gewisse Philosophie. DasKind erscheint als Realist; denn es findet sich so überzeugtvon dem Dasein der Birnen und Äpfel als von dem seinigen.Der Jüngling, von inneren Leidenschaften bestürmt, mußauf sich selbst merken, sich vorfühlen, er wird zum Ideali-sten umgewandelt. Dagegen ein Skeptiker zu werden, hatder Mann alle Ursache; er tut wohl zu zweifeln, ob das Mit-tel, das er zum Zwecke gewählt hat, auch das rechte sei. Vordem Handeln, im Handeln hat er alle Ursache, den Ver-stand beweglich zu erhalten, damit er nicht nachher sichüber eine falsche Wahl zu betrüben habe. Der Greis jedochwird sich immer zum Mystizismus bekennen; er sieht, daßso vieles vom Zufall abzuhängen scheint; das Unvernünf-tige gelingt, das Vernünftige schlägt fehl, Glück und Un-glück stellen sich unerwartet ins gleiche; so ist es, so war es,und das hohe Alter beruhigt sich in dem, der da ist, der dawar und der da sein wird» ( Kürschner, Band 36,2 S. 454).

Ich habe in dieser Schrift die Weltanschauung Goethesim Auge, aus der seine Einsichten in das Leben der Naturhervorgewachsen sind und welche die treibende Kraft in

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ihm war von der Entdeckung des Zwischenknochens beimMenschen bis zur Vollendung der Farbenlehre. Und ichglaube gezeigt zu haben, daß diese Weltanschauung voll-kommener der Gesamtpersönlichkeit Goethes entspricht,als die Zusammenstellung von Aussprüchen, bei denen manvor allem Rücksicht nehmen müßte, wie solche Gedankengefärbt sind, durch die Stimmung seiner Jugend- oder sei-ner Altersepoche. Ich glaube, Goethe hat in seinen Natur-studien, wenn auch nicht geleitet von einer klaren, ideen-gemäßen Selbsterkenntnis, so doch von einem richtigenGefühle, eint freie, aus dem wahren Verhältnis der mensch-lichen Natur zur Außenwelt fließende Verfahrungsweisebeobachtet. Goethe ist sich selbst darüber klar, daß in sei-ner Denkweise etwas Unvollendetes liegt: «Ich war miredler, großer Zwecke bewußt, konnte aber niemals die Be-dingungen begreifen, unter denen ich wirkte; was mir mangelte,merkt' ich wohl, was an mir zu viel sei, gleichfalls; deshalbunterließ ich nicht mich zu bilden, nach außen und von in-nen. Und doch blieb es beim alten. Ich verfolgte jedenZweck mit Ernst, Gewalt und Treue; dabei gelang mir oft,widerspenstige Bedingungen vollkommen zu überwinden,oft aber auch scheiterte ich daran, weil ich nachgeben undumgehen nicht lernen konnte. Und so ging mein Leben hinunter Tun und Genießen, Leiden und Widerstreben; unterLiebe, Zufriedenheit, Haß und Mißfallen anderer. Hieranspiegele sich, dem das gleiche Schicksal geworden.»

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DIE ANSCHAUUNGEN ÜBER NATUR

UND ENTWICKLUNG DER LEBEWESEN

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DIE METAMORPHOSENLEHRE

Man kann Goethes Verhältnis zu den Naturwissenschaftennicht verstehen, wenn man sich bloß an die Einzelentdek-kungen hält, die er gemacht hat. Ich sehe als leitenden Ge-sichtspunkt für die Betrachtung dieses Verhältnisses dieWorte an, die Goethe am 18. August 1787 von Italien aus anKnebel gerichtet hat: «Nach dem, was ich bei Neapel, inSizilien von Pflanzen und Fischen gesehen habe, würde ich,wenn ich zehn Jahre jünger wäre, sehr versucht sein, eineReise nach Indien zu machen, nicht um etwas Neues %u ent-decken^ sondern um das Entdeckte nach meiner Art anzusehen.»

Auf die Art, wie Goethe die ihm bekannten Naturerschei-nungen in einer seiner Denkungsart gemäßen Naturansichtzusammengefaßt hat, scheint es mir anzukommen. Wenn alledie Einzelentdeckungen, die ihm gelungen sind, schon vorihm gemacht gewesen wären, und er uns nichts als seine Na-turansicht gegeben hätte, so schmälerte dies die Bedeutungseiner Naturstudien nicht im geringsten. Ich bin mit Du Bois-Reymond einer Meinung darüber, daß «auch ohne Goethedie Wissenschaft überhaupt so weit wäre, wie sie ist», daßdie ihm gelungenen Schritte früher oder später andere ge-tan hätten. (Goethe und kein Ende, S. 31.) Ich kann dieseWorte nur nicht, wie es Du Bois-Reymond tut, auf den gan-zen Umfang von Goethes naturwissenschaftlichen Arbei-ten beziehen. Ich beschränke sie auf die in ihrem Verlaufegemachten Einzelentdeckungen. Keine einzige derselbenwürde uns wahrscheinlich heute fehlen, wenn Goethe sichnie mit Botanik, mit Anatomie usw. beschäftigt hätte. SeineNaturansicht aber ist ein Ausfluß seiner Persönlichkeit;kein anderer hätte zu ihr kommen können. Ihn interessier-

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ten auch nicht die Einzelentdeckungen. Sie drängten sichihm während seiner Studien von selbst auf, weil über dieTatsachen, die sie betreffen, zu seiner Zeit Ansichten Gel-tung hatten, die unvereinbar mit seiner Art, die Dinge zubetrachten, waren. Hätte er mit dem, was die Naturwissen-schaft ihm überlieferte, seine Anschauung aufbauen kön-nen: so würde er sich nie mit Detailstudien beschäftigthaben. Er mußte ins Einzelne gehen, weil das, was ihmüber das Einzelne von den Naturforschern gesagt wurde,seinen Forderungen nicht entsprach. Und nur wie zufälligergaben sich bei diesen Detailstudien die Einzelentdeckun-gen. Ihn beschäftigte zunächst nicht die Frage: ob derMensch wie die übrigen Tiere einen Zwischenkieferknochenin der oberen Kinnlade habe. Er wollte den Plan entdecken,nach dem die Natur die Stufenfolge der Tiere und auf derHöhe dieser Stufenfolge den Menschen bildet. Das gemein-same Urbild, das allen Tiergattungen und zuletzt in seinerhöchsten Vollkommenheit auch der Menschengattung zuGrunde liegt, wollte er finden. Die Naturforscher sagtenihm: es besteht ein Unterschied im Bau des tierischen unddes menschlichen Körpers. Die Tiere haben in der oberenKinnlade den Zwischenknochen, der Mensch habe ihnnicht. Seine Ansicht war, daß sich der menschliche phy-sische Bau nur dem Grade der Vollkommenheit nach vondem tierischen unterscheiden könne, nicht aber in Einzel-heiten. Denn, wenn das letztere der Fall wäre, könnte nichtein gemeinsames Urbild der tierischen und der mensch-lichen Organisation zu Grunde liegen. Er konnte mitder Behauptung der Naturforscher nichts anfangen. Des-halb suchte er nach dem Zwischenknochen bei dem Men-

. sehen und fand ihn. Ähnliches ist bei allen seinen Einzel-

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entdeckungen zu beobachten. Sie sind ihm nie Selbstzweck.Sie müssen gemacht werden, um seine Vorstellungen überdieNaturerscheinungen als berechtigt erscheinen zu lassen.

Im Gebiete der organischen Naturerscheinungen ist dasBedeutsame in Goethes Ansicht die Vorstellung, die er vomWesen des Lebens ausbildete. Nicht auf die Betonung der Tat-sache, daß Blatt, Kelch, Krone usw. Organe an der Pflanzesind, die miteinander identisch sind, und sich aus einemgemeinschaftlichen Grundgebilde entwickeln, kommt esan. Sondern darauf, welche Vorstellung Goethe von demGanzen der Pnanzennatur als einem Lebendigen hatte undwie er sich das Einzelne aus diesem Ganzen hervorge-hend dachte. Seine Idee von dem Wesen des Organismus istseine ureigenste zentrale Entdeckung im Gebiete der Bio-logie zu nennen. Daß sich in der Pflanze, in dem Tiereetwas anschauen lasse, was der bloßen Sinnenbeobachtungnicht zugänglich ist, war Goethes Grundüberzeugung.Was das leibliche Auge an dem Organismus beobachtenkann, scheint Goethe nur die Folge zu sein des lebendi-gen Ganzen durcheinander wirkender Bildungsgesetze, diedem geistigen Auge allein zugänglich sind. Was er mit demgeistigen Auge an der Pflanze, an dem Tier erschaut, das hater beschrieben. Nur wer ebenso wie er zu sehen fähig ist, kannseine Idee von dem Wesen des Organismus nachdenken.Wer bei dem stehen bleibt, was die Sinne und das Experi-ment liefern, der kann Goethe nicht verstehen. Wenn wirseine beiden Gedichte lesen «Die Metamorphose der Pflan-zen » und « Die Metamorphose der Tiere », so scheint es zu-nächst, als ob die Worte uns nur von einem Glied des Or-ganismus zum andern führten, als ob bloß äußerlich Tat-sächliches verknüpft werden sollte. Wenn wir uns aber

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durchdringen mit dem, was Goethe als Idee des Lebewe-sens vorschwebt, dann fühlen wir uns in die Sphäre des Le-bendig-Organischen versetzt, und aus einer zentralen Vor-stellung wachsen die Vorstellungen über die einzelnen Or-gane hervor.

Als Goethe anfing, selbständig über die Erscheinungen derNatur nachzusinnen, nahm vor allem andern der Begriff desLebens seine Aufmerksamkeit in Anspruch. In einem Briefeaus der Straßburger Zeit vom 14. Juli 1770 schreibt er voneinem Schmetterling: «Das arme Tier zittert im Netze,streift sich die schönsten Farben ab; und wenn man es jaunversehrt erwischt, so steckt es doch endlich steif undleblos da; der Leichnam ist nicht dasgan^e Tier, es gehörtnoch etwas dazu, noch ein Hauptstück, und bei der Gele-genheit, wie bei jeder andern, ein sehr hauptsächlichesHauptstück: das Leben. -» Daß ein Organismus nicht wieein totes Naturprodukt betrachtet werden kann, daß nochmehr darin steckt als die Kräfte, die auch in der unorgani-schen Natur leben, war Goethe von vornherein klar. WennDu Bois-Reymond meint, daß «die rein mechanische Welt-konstruktion, welche heute die Wissenschaft ausmacht,dem Weimarschen Dichterfürsten nicht minder verhaßtgewesen wäre, als einst Friederikens Freund das <systemede la nature> », so hat er unzweifelhaft Recht; und nichtminder hat er Recht mit den andern Worten: von dieserWeltkonstruktion, die «durch die Urzeugung an die Kant-Laplacesche Theorie grenzt, von der Entstehung des Men-schen aus dem Chaos durch das von Ewigkeit %u Ewigkeitmathematisch bestimmte Spiel der jltome> von dem eisigenWeltende - von diesen Bildern, welche unser Geschlecht

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so unfühlend ins Auge faßt, wie es an die Schrecknisse desEisenbahnfahrens sich gewöhnte - hätte Goethe sich schau-dernd abgewandt» (Goethe und kein Ende, S. 35 f.). Ge-wiß hätte er sich schaudernd abgewandt, weil er einenhöheren Begriff des Lebendigen suchte und ihn auch fandals den eines komplizierten, mathematisch bestimmtenMechanismus. Nur wer unfähig ist, einen solchen höhernBegriff zu fassen und das Lebendige mit dem Mechani-schen identifiziert, weil er am Organismus nur das Mecha-nische zu sehen vermag, der wird sich für die mechanischeWeltkonstruktion und ihr Spiel der Atome erwärmen undunfühlend die Bilder ins Auge fassen, die Du Bois-Rey-mond entwirft. Wer aber den Begriff des Organischen imSinne Goethes in sich aufnehmen kann, der wird über seineBerechtigung ebensowenig streiten wie über das Vorhan-densein des Mechanischen. Man streitet ja auch nicht mitdem Farbenblinden über die Farbenwelt. Alle Anschau-ungen, welche das Organische sich mechanisch vorstellen,verfallen dem Richterspruch, den Goethe seinen Mephi-stopheles sagen läßt:

Wer will was Lebendig's erkennen und beschreiben,Sucht erst den Geist herauszutreiben,Dann hat er die Teile in der Hand.Fehlt, leider! nur das geistige Band.

*

Die Möglichkeit, sich intimer mit dem Leben der Pflanzenzu beschäftigen, fand sich für Goethe, als ihm der HerzogKarl August am 21. April 1776 einen Garten schenkte. Auchdurch die Streifzüge im Thüringerwald, auf denen er dieLebenserscheinungen der niederen Organismen beobach-

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ten konnte, wird Goethe angeregt. Moose und Flechtennehmen seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Am 31. Ok-tober 1778 bittet er Frau von Stein um Moose von allenSorten, womöglich mit den Wurzeln und feucht, damit ersie benützen könne, um die Fortpflanzung zu beobachten.Es ist wichtig, im Auge zu behalten, daß Goethe sich imAnfange seiner botanischen Studien mit den niederen Pflan-zenformen beschäftigte. Denn er hat später bei der Kon-zeption seiner Idee der Urpflanze nur die höheren Pflanzenberücksichtigt. Dies kann also nicht davon herrühren, daßihm das Gebiet der niederen fremd war, sondern davon,daß er die Geheimnisse der Pflanzennatur an den höherendeutlicher ausgeprägt glaubte. Er wollte die Idee der Naturda aufsuchen, wo sie sich am klarsten offenbart und dannvon dem Vollkommenen zum Unvollkommenen herab-steigen, um dieses aus jenem zu begreifen. Nicht das Zu-sammengesetzte wollte er durch das Einfache erklären;sondern jenes mit einem Bück als wirkendes Ganzes über-schauen und dann das Einfache und Unvollkommene alseinseitige Ausbildung des Zusammengesetzten und Voll-kommenen erklären. Wenn die Natur fähig ist, nach un-zähligen Pflanzenformen noch eine zu machen, die sie alleenthält, so muß auch dem Geiste beim Anschauen dieservollkommenen Form das Geheimnis der Pflanzenbildungin unmittelbarer Anschauung aufgehen, und er wird dannleicht das an dem Vollkommenen Beobachtete auf das Un-vollkommene anwenden können. Umgekehrt machen esdie Naturforscher, die das Vollkommene nur als eine me-chanische Summe der einfachen Vorgänge ansehen. Siegehen von diesem Einfachen aus und leiten das Voll-kommene von demselben ab.

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Als sich Goethe nach einem wissenschaftlichen Führerfür seine botanischen Studien umsah, konnte er keinen an-dern finden als Linne. Wir erfahren von seiner Beschäfti-gung mit Linne zuerst aus den Briefen an Frau von Steinvom Jahre 1782. Wie ernst es Goethe mit seinen naturwis-senschaftlichen Bestrebungen war, geht aus dem Interessehervor, das er an Linnes Schriften genommen hat. Er ge-steht, daß nach Shakespeare und Spinoza auf ihn die größteWirkung von Linne ausgegangen ist. Aber wie wenigkonnte ihn Linne befriedigen. Goethe wollte die verschie-denen Pflanzenformen beobachten, um das Gemeinsame,das in ihnen lebt, zu erkennen. Er wollte wissen, was allediese Gebilde zu Pflanzen macht. Und Linne hatte sich da-mit begnügt, die mannigfaltigsten Pflanzenformen in einerbestimmten Ordnung nebeneinander zu stellen und zu be-

1 schreiben. Hier stieß Goethes naive, unbefangene Natur-beobachtung in einem einzelnen Falle auf die durch einseitigaufgefaßten Piatonismus beeinflußte Denkweise der Wis-senschaft. Diese Denkweise sieht in den einzelnen FormenVerwirklichungen ursprünglicher, nebeneinander beste-hender, platonischer Ideen oder Schöpfungsgedanken.Goethe sieht in dem einzelnen Gebilde nur eine besondereAusgestaltung eines ideellen Urwesens, das in allen Formenlebt. Jene Denkweise will möglichst genau die einzelnenFormen unterscheiden, um die Vielgliedrigkeit der Ideen-formen oder des Schöpfungsplanes zu erkennen; Goethewill die Vielgliedrigkeit des Besonderen aus der ursprüng-lichen Einheit erklären. Daß vieles in mannigfaltigen For-men da ist, ist für jene Denkungsart ohne weiteres klar,denn schon die idealen Urbilder sind für sie das Mannigfal-tige. Für Goethe ist das nicht klar, denn das Viele gehört

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nach seiner Ansicht nur 2usammen, wenn sich eines darinoffenbart. Goethe sagt deshalb, was Linne «mit Gewalt aus-einander zu halten suchte, mußte nach dem innersten Be-dürfnis meines Wesens zur Vereinigung anstreben». Linnenimmt die vorhandenen Formen einfach hin, ohne darnachzu fragen, wie sie aus einer Grundform geworden sind:«Spezies zählen wir so viele, als verschiedene Formen imPrinzip geschaffen worden sind »: dies ist sein Grundsatz.Goethe sucht im Pflanzenreich das Wirksame, das durchSpezifizierung der Grundform das Einzelne schafft.

Ein naiveres Verhältnis zur Pflanzenwelt als bei Linnefand Goethe bei Rousseau. Am 16. Juni 1782 schreibt er anKarl August: «In Rousseaus Werken finden sich ganz aller-liebste Briefe über die Botanik, worin er diese Wissenschaftauf das faßlichste und zierlichste einer Dame vorträgt. Esist recht ein Muster, wie man unterrichten soll und eine Bei-lage zum Emil. Ich nehme daher Anlaß, das schöne Reichder Blumen meinen schönen Freundinnen aufs neue zuempfehlen.» In seiner «Geschichte meines botanischen Stu-diums »legt Goethe dar, was ihn zu Rousseaus botanischenIdeen hingezogen hat: « Sein Verhältnis zu Pflanzenfreun-den und -kennern, besonders zu der Herzogin von Portland,mag seinen Scharfblick mehr in die Breite gewiesen haben,und ein Geist wie der seinige, der den Nationen Gesetz undOrdnung vorzuschreiben sich berufen fühlt, mußte doch%ur Vermutung gelangen, daß in dem unermeßlichen Pflanzenreiche

keine so große Mannigfaltigkeit der Formen erscheinen könnte', ohne

daß ein Grundgesetz es sei auch noch so verborgen, sie wieder sämt-

lich%urEinheit zurückbrächte.» Ein solches Grundgesetz, dasdie Mannigfaltigkeit zur Einheit zurückbringt, von der sieursprünglich ausgegangen ist, sucht auch Goethe.

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Zwei Schriften vom Freiherrn von Gleichen, genanntRußwurm, fielen damals in Goethes geistigen Horizont. Siebehandeln beide das Leben der Pflanze in einer Weise, diefür ihn fruchtbar werden konnte: «Das Neueste aus demReiche der Pflanzen» (Nürnberg 1764) und «Auserlesenemikroskopische Entdeckungen bei den Pflanzen» (Nürn-berg 1777-1781). Sie beschäftigen sich mit den Befruch-tungsvorgängen der Pflanzen. Blütenstaub, Staubfäden undStempel sind in ihnen sorgfältig beschrieben, und in gut aus-geführten Tafeln die Vorgänge bei der Befruchtung darge-stellt. Goethe macht nun selbst Versuche, um die von Glei-chen-Rußwurm beschriebenen Ergebnisse mit eigenen Au-gen zu beobachten. Er schreibt am 12. Januar 1785 an Ja-cobi: «Ein Mikroskop ist aufgestellt, um die Versuche desv. Gleichen, genannt Ruß wurm, mit Frühlingseintritt nach-zubeobachten und zu kontrollieren.» Zur selben Zeit stu-diert er die Wesenheit des Samens, wie aus einem Bericht anKnebel vom 2. April 1785 hervorgeht: «Die Materie vomSamen habe ich durchgedacht, so weit meine Erfahrungenreichen.» Diese Beobachtungen Goethes erscheinen erst imrechten Lichte, wenn man berücksichtigt, daß er schon da-zumal nicht bei ihnen stehen geblieben ist, sondern eine Ge-samtanschauung der Naturvorgänge zu gewinnen suchte,der sie zur Stütze und Bekräftigung dienen sollten. Am8. April desselben Jahres meldet er Merck, daß er nicht nurTatsachen beobachtet, sondern auch «hübsche Entdeckungenund Kombinationen» über diese Tatsachen gemacht habe.

Von wesentlichem Einfluß auf die Ausbildung der IdeenGoethes über organische Naturwirkungen war der Anteil,

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den er an Lavaters großem Werke: «PhysiognomischeFragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis undMenschenliebe» nahm, das in den Jahren 1775-1778 er-schienen ist. Er hat selbst Beiträge zu diesem Werke gelie-fert. In der Art, wie er sich in diesen Beiträgen ausspricht,ist seine spätere Weise, das Organische anzusehen, schonvorgebildet. Lavater blieb dabei stehen, die Gestalt desmenschlichen Organismus als Ausdruck der Seele zu behan-deln. Er wollte aus den Formen der Körper die Charaktereder Seelen deuten. Goethe fing bereits damals an, die äußereGestalt um ihrer selbst willen zu betrachten, ihre eigene Ge-setzmäßigkeit und Bildungskraft zu studieren. Er beschäf-tigt sich zugleich mit den Schriften des Aristoteles über diePhysiognomik und versucht es, auf Grundlage des Stu-diums der organischen Gestalt, den Unterschied des Men-schen von den Tieren festzustellen. Er findet diesen in demdurch das Ganze des menschlichen Baues bedingten Her-vortreten des Kopfes, in der vollkommenen Ausbildungdes menschlichen Gehirns, zu dem alle Teile wie zu einemOrgan hindeuten, auf das sie gestimmt sind. Im Gegenteilist bei dem Tiere der Kopf an den Rückgrat bloß angehängt,das Gehirn, das Rückenmark haben nicht mehr Umfang alszur Auswirkung der untergeordneten Lebensgeister und zurLeitung der bloß sinnlichen Verrichtungen unbedingt not-wendig ist. Goethe sucht schon damals den Unterschied desMenschen von den Tieren nicht in irgend einem einzelnen,sondern in dem verschiedenen Grade der Vollkommenheit,den das gleiche Grundgebilde in dem einen oder anderen Fal-le erreicht. Es schwebt ihm bereits das Bild eines Typus vor,der sowohl bei den Tieren wie beim Menschen sich findet, derbei den ersteren so ausgebildet ist, daß der ganze Bau den ani-

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malischen Funktionen dient, während bei letzterem der Baudas Grundgerüste für die Entwicklung des Geistes abgibt.

Aus solchen Betrachtungen heraus erwächst GoethesSpezialstudium der Anatomie. Am 22. Januar 1776 berich-tet er an Lavater: «Der Herzog hat mir sechs Schädel kom-men lassen, habe herrliche Bemerkungen gemacht, die EuerHochwürden zu Diensten stehn, wenn dieselben Sie nichtohne mich fanden.» Im Tagebuche Goethes lesen wir unterdem 15. Oktober 1781, daß er in Jena mit dem alten Einsie-del Anatomie trieb und in demselben Jahre fing er an, sichvon Loder in diese Wissenschaft genauer einführen zu las-sen. Er erzählt davon in Briefen an Frau von Stein vom29. Oktober 1781 und an den Herzog vom 4. November. Erhat auch die Absicht, den jungen Leuten an der Zeichenaka-demie «das Skelett zu erklären und sie zur Kenntnis desmenschlichen Körpers anzuführen ». - «Ich tue es », sagt er,«um meinet- und ihretwillen; die Methode, die ich gewählthabe, wird sie diesen Winter über völlig mit den Grundsäulendes Körpers bekannt machen.» Er hat, wie aus demTagebuchzu ersehen, diese Vorlesungen auch gehalten. Auch mit Lo-der hat er in dieser Zeit über den Bau des menschlichen Kör-pers manches Gespräch geführt. Und wieder ist es seine allge-meine Naturansicht, die als treibende Kraft und als eigentli-ches Ziel dieser Studien erscheint. Er behandelt die« Knochenals einen Text, woran sich alles Leben und alles Menschlicheanhängen läßt» (Briefe an Lavater und Merck vom 14. No-vember 1781). Vorstellungen über das Wirken des Organi-schen, über den Zusammenhang der menschlichen Bildungmit der tierischen beschäftigen damals seinen Geist. Daß dermenschliche Bau nur die höchste Stufe des tierischen ist, unddaß er durch diesen vollkommeneren Grad des Tierischen die

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sittliche Welt aus sich hervorbringt, ist eine Idee, die bereitsin der Ode « das Göttliche » vom Jahre 1782 niedergelegt ist.

Edel sei der Mensch,Hilfreich und gut!Denn das alkinUnterscheidet ihnVon allen Wesen,Die wir kennen.

Nach ewigen, ehrnen,Großen Gesetzen

Müssen wir alleUnsers DaseinsKreise vollenden.

Die «ewigen, ehrnen Gesetze» wirken im Menschen ge-rade so wie in der übrigen Organismen weit; sie erreichen inihm nur eine Vollkommenheit, durch die es ihm möglichist, «edel, hilfreich und gut» zu sein.

Während in Goethe sich solche Ideen immer mehr fest-setzten, arbeitete Herder an seinen «Ideen zu einer Philoso-phie der Geschichte der Menschheit». Alle Gedanken diesesBuches wurden von den beiden durchgesprochen. Goethewar von Herders Auffassung der Natur befriedigt. Sie fielmit seinen eigenen Vorstellungen zusammen. «HerdersSchrift macht wahrscheinlich, daß wir erst Pflanzen undTiere waren ... Goethe grübelt jetzt gar denkreich in diesenDingen und jedes, was erst durch seine Vorstellung gegan-gen ist, wird äußerst interessant», schreibt am 1. Mai 1784Frau von Stein an Knebel. Wie sehr man berechtigt ist, von

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Herders Ideen auf die Goethes zu schließen, zeigen die Wor-te, die Goethe am 8.De2.1783 an Knebel richtet: «Herderschreibt eine Philosophie der Geschichte, wie Du Dir den-ken kannst, von Grund aus neu. Die ersten Kapitel habenwir vorgestern zusammen gelesen, sie sind kcfetlich.» Sätzewie die folgenden Hegen ganz in Goethes Denkrichtung.«Das Menschengeschlecht» ist «der große Zusammenflußniederer organischer Kräfte.» «Und, so können wir denvierten Satz annehmen: daß der Mensch ein Mittelgeschöpf

unter den Tieren, d. i. die ausgearbeitete Form sei9 in der sich die

Züge aller Gattungen um ihn her im feinsten Inbegriff sammeln.»

Mit solchen Vorstellungen war allerdings die Ansicht derdamaligen Anatomen nicht zu vereinigen, daß der kleineKnochen, den die Tiere in der oberen Kinnlade haben, derZwischenkiefer, der die oberen Schneidezähne enthält, demMenschen fehle. Sömmering, einer der bedeutendsten Ana-tomen der damaligen Zeit, schrieb am 8.Oktober 1782 anMerck: «Ich wünschte, daß Sie Blumenbach nachsähen,wegen des ossis intermaxillaris, der ceteris paribus der ein-zige Knochen ist, den alle Tiere vom Affen an, selbst derOrang-Utang eingeschlossen, haben, der sich hingegen niebeim Menschen findet; wenn Sie diesen Knochen abrech-nen, so fehlt Ihnen nichts, um nicht alles vom Menschenauf die Tiere transferieren zu können. Ich lege deshalb einenKopf von einer Hirschkuh bei, um Sie zu überzeugen, daßdieses os intermaxillare (wie es Blumenbach) oder os incisi-vum (wie es Camper nennt) selbst bei Tieren vorhanden ist,die keine Schneidezähne in der oberen Kinnlade haben.»Das war die allgemeine Meinung der Zeit. Auch der be-rühmte Camper, für den Merck und Goethe die innigsteVerehrung hatten, bekannte sich zu ihr. Der Umstand, daß

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der Zwischenknochen beim Menschen links und rechts mitden Oberkieferknochen verwachsen ist, ohne daß bei einemnormal gebildeten Individuum eine deutliche Grenze zusehen ist, hat zu dieser Ansicht geführt. Hätten die Gelehr-ten recht gehabt mit derselben, dann wäre es unmöglich, eingemeinsames Urbild für den Bau des tierischen und mensch-lichen Organismus aufzustellen; eine Grenze zwischen denbeiden Formen müßte angenommen werden. Der Menschwäre nicht nach dem Urbilde geschaffen, das auch den Tie-ren zu Grunde liegt. Dieses Hindernis seiner Weltanschau-ung mußte Goethe hinwegräumen. Es gelang ihm im Früh-ling 1784 in Gemeinschaft mit Loder. Nach seinem allge-meinen Grundsatze, «daß die Natur kein Geheimnis habe,was sie nicht irgendwo dem aufmerksamen Beobachternackt vor die Augen stellt», ging Goethe vor. Er fand beieinzelnen abnorm gebildeten Schädeln die Grenze zwischenOber- und Zwischenkiefer wirklich vorhanden. Freudig be-richtet er von dem Fund am 27. März an Herder und Frauvon Stein. An Herder schreibt er: «Es soll Dich auch herz-lich freuen, denn es ist wie der Schlußstein %um Menschen, fehltnicht, ist auch da! Aber wie! Ich habe mirs auch in Verbindungmit Deinem Ganzen gedacht\ wie schön es da wird.» Und alsGoethe die Abhandlung, die er über die Sache geschrie-ben hat, im November 1784 an Knebel schickt, deuteter die Bedeutung, die er der Entdeckung für seine ganzeVorstellungswelt beilegt, mit den Worten an: «Ich habemich enthalten, das Resultat, worauf schon Herder in sei-nen Ideen deutet, schon jetzt merken zu lassen, daß mannämlich den Unterschied des Menschen vom Tier in nichts einzel-

nem finden könne.» Goethe konnte erst Vertrauen zu seinerNaturansicht gewinnen, als die irrtümliche Ansicht über

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das fatale Knöchelchen beseitigt war. Er gewann allmäh-lich den Mut, seine Ideen über die Art, wie die Natur, miteiner Hauptform gleichsam spielend, das mannigfaltigeLeben hervorbringt, «auf alle Reiche der Natur, auf ihrganzes Reich auszudehnen». In diesem Sinne schreibt erim Jahre 1786 an Frau von Stein.

Immer lesbarer wird Goethe das Buch der Natur, nachdemer den einen Buchstaben richtig entziffert hat. « Mein langesBuchstabieren hat mir geholfen, jetzt ruckts auf einmal, undmeine stille Freude ist unaussprechlich», schreibt er derFrau von Stein am 15. Juni 1786. Er hält sich jetzt auch be-reits für fähig, eine kleine botanische Abhandlung für Kne-bel zu schreiben. Die Reise, die er 1785 nach Karlsbad mitdiesem zusammen nntetnimmty wird zu einer förmlichenbotanischen Studienreise. Nach der Rückkehr werden mitHilfe Linnes die Reiche der Pilze, Moose, Flechten und Al-gen durchgegangen. Er teilt am 9. November der Frau vonStein mit: «Ich lese im Linne fort, denn ich muß wohl, ichhabe kein ander Buch. Es ist das die beste Art, ein Buch ge-wiß zu lesen, die ich öfters praktizieren muß, besonders daich nicht leicht ein Buch auslese. Dieses ist aber vorzüglichnicht zum Lesen, sondern zum Rekapitulieren gemacht undtut mir nun treffliche Dienste, da ich über die meistenPunkte selbst gedacht habe.» Während dieser Studien be-kommt auch die Grundform, aus welcher die Natur allemannigfaltigen Pflanzengebilde herausarbeitet, einzelne,wenn auch noch nicht deutliche Umrisse in seinem Geiste.In einem Briefe an die Frau von Stein vom 9. Juli 1786 sinddie Worte enthalten: « Es ist ein Gewahrwerden der wesent-

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liehen Form, mit der die Natur gleichsam nur immer spieltund spielend das mannigfaltige Leben hervorbringt.»

Im April und Mai 1786 beobachtete Goethe durch das Mi-kroskop die niederen Organismen, die sich in Aufgüssenverschiedener Substanzen (Pisangmark, Kaktus, Trüffeln,Pfefferkörnern, Tee, Bier usw.) entwickeln. Er notiert sorg-faltig die Vorgänge, die er an diesen Lebewesen beobachtetund verfertigt Zeichnungen dieser organischen Formen(vgl. Goethes naturwissenschaftliche Schriften in der Wei-marer-Ausgabe, 2. Abteilung, Band 7, S. 289-309). Mankann auch aus diesen Notizen ersehen, daß Goethe der Er-kenntnis des Lebens nicht durch solche Beobachtung niede-rer und einfacher Organismen näher zu kommen sucht. Esist ganz offenbar, daß er die wesentlichen Züge der Lebens-vorgänge an den höheren Organismen ebenso zu erfassenglaubt, wie an den niederen. Er ist der Ansicht, daß sich andem Infusionstierchen dieselbe Art von Gesetzmäßigkeitwiederholt, die das Auge des Geistes an dem Hund wahr-nimmt. Die Beobachtung durch das Mikroskop lehrt nurVorgänge kennen, die im Kleinen das sind, was das unbe-waffnete Auge im Großen sieht. Sie bietet eine Bereicherungder sinnlichen Erfahrung. Einer höheren Art des Anschauens,nicht einer Verfolgung der den Sinnen zugänglichen Vor-gänge bis in ihre kleinsten Bestandteile, offenbart sich dasWesen des Lebens. Goethe sucht dieses Wesen durch dieBetrachtung der höheren Pflanzen und Tiere zu erkennen.Er würde diese Erkenntnis ohne Zweifel in derselben Weisegesucht haben, auch wenn zu seiner Zeit die Pflanzen- undTieranatomie schon ebenso weit vorgeschritten gewesen

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wäre, wie sie gegenwärtig ist. Wenn Goethe die Zellen, ausdenen sich der Pflanzen- und Tierkörper aufbaut, hätte be-obachten können, so würde er erklärt haben, daß sich andiesen elementaren organischen Formen dieselbe Gesetz-mäßigkeit zeigt, die auch am Zusammengesetzten wahrzu-nehmen ist. Er hätte sich durch dieselben Ideen, durch dieer sich die Lebensvorgänge der höheren Organismen er-klärte, auch die Erscheinungen an diesen kleinen Wesen be-greiflich gemacht.

Den lösenden Gedanken des Rätsels, das ihm die organi-sche Bildung und Umbildung aufgegeben hat, findet Goe-the erst in Italien. Am 3. September 1786 verläßt er Karls-bad, um nach dem Süden zu gehen. In wenigen, aber be-deutsamen Sätzen schildert er in seiner «Geschichte meinesbotanischen Studiums» (Kürschner, Band 33, S. 61 ff.) dieGedanken, welche die Beobachtung der Pflanzenwelt inihm aufregt bis zu dem Augenblicke, da ihm in Sizilieneine klare Vorstellung darüber sich offenbart, wie es mög-lich ist, daß den Pflanzenformen «bei einer eigensinnigen,generischen und spezifischen Hartnäckigkeit eine glück-liche Mobilität und Biegsamkeit verliehen ist, um in soviele Bedingungen, die über dem Erdkreis auf sie ein-wirken, sich zu fügen und darnach bilden und umbildenzu können». Beim Übergang über die Alpen, im botani-schen Garten von Padua und an anderen Orten zeigte sichihm das «Wechselhafte der Pflanzengestalten». «Wenn inder tiefern Gegend Zweige und Stengel stärker und ma-stiger waren, die Augen näher aneinander standen und dieBlätter breit waren, so wurden höher ins Gebirg hinaufZweige und Stengel zarter, die Augen rückten auseinander,so daß von Knoten zu Knoten ein größerer Zwischenraum

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stattfand und die Blätter sich lanzenförmiger bildeten. Ichbemerkte dies bei einer Weide und einer Gentiana undüberzeugte mich, daß es nicht etwa verschiedene Artenwären. Auch am Walchensee bemerkte ich längere undschlankere Binsen, als im Unterland» (Italienische Reise,8. Sept.). Am 8. Oktober findet er in Venedig am Meereverschiedene Pflanzen, an denen ihm die Wechselbeziehungdes Organischen zu seiner Umgebung besonders anschau-lich wird. «Sie sind alle zugleich mastig und streng, saftigund zäh, und es ist offenbar, daß das alte Salz des Sand-bodens, mehr aber die salzige Luft ihnen diese Eigen-schaften gibt; sie strotzen von Säften wie Wasserpflan-zen, sie sind fest und zäh wie Bergpflanzen; wenn ihreBlätterenden eine Neigung zu Stacheln haben, wie Distelntun, sind sie gewaltig spitz und stark. Ich fand einen solchenBusch Blätter; es schien mir unser unschuldiger Huf lattig,hier aber mit scharfen Waffen bewaffnet, und das Blatt wieLeder, so auch die Samenkapseln, die Stiele, alles mastigund fest» (Italienische Reise). Im botanischen Garten zu Pa-dua bekommt der Gedanke in Goethes Geiste eine bestimm-tere Gestalt, wie man sich alle Pflanzengestalten vielleichtaus einer entwickeln könne (Italienische Reise, 27. Sept.);im November teilt er Knebel mit: «So freut mich dochmein bißchen Botanik erst recht in diesen Landen, wo einefrohere, weniger unterbrochene Vegetation zu Hause ist.Ich habe schon recht artige, ins allgemeine gehende Bemer-kungen gemacht, die auch Dir in der Folge angenehm seinwerden.» Am 25. März 1787 kommt ihm eine «gute Er-leuchtung über botanische Gegenstände». Er bittet, Her-dern zu sagen, daß er mit der Urpflanze bald zustande sei.Nur fürchtet er, «daß niemand die übrige Pflanzenwelt

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darin wird erkennen wollen» (Italienische Reise). Am 17.April geht er mit dem «festen, ruhigen Vorsatz, seine dich-terischen Träume fortzusetzen, nach dem öffentlichen Gar-ten ». Allein ehe er sichs versieht, erhascht ihn das Pflan-zenwesen wie ein Gespenst. «Die vielen Pflanzen, die ichsonst nur in Kübeln und Töpfen, ja die größte Zeit desJahres nur hinter Glasfenstern zu sehen gewohnt war,stehen hier froh und frisch unter freiem Himmel, und in-dem sie ihre Bestimmung vollkommen erfüllen, werdensie uns deutlicher. Im Angesicht so vielerlei neuen underneuten Gebildes, fiel mir die alte Grille wieder ein: obich nicht unter dieser Schar die Urpflanze entdecken könnte ? Eine

solche muß es denn doch geben! woran würde ich sonst erkennen,

daß dieses oder jenes Gebilde eine Pflanze seiy wenn sie nicht alle

nach einem Muster gebildet wären.» Er bemüht sich, die ab-weichenden Gestalten zu unterscheiden, aber immer wie-der werden seine Gedanken zu dem einen Urbild, das ihnenallen zugrunde liegt, hingelenkt (Italienische Reise, 17.April 1787). Goethe legt sich ein botanisches Tagebuchan, in dem er alle während der Reise über das Pflanzenreichgemachten Erfahrungen und Reflexionen einzeichnet (vgl.Weimarer-Ausgabe, 2. Abt., Band 7, S. 273 ff.). Diese Tage-buchblätter zeigen, wie unermüdlich er damit beschäftigtist, Pflanzenexemplare ausfindig zu machen, die geeignetsind, auf die Gesetze des Wachstums und der Fortpflan-zung hinzuleiten. Glaubt er irgend einem Gesetze auf derSpur zu sein, so stellt er es zunächst in hypothetischerForm auf, um es sich dann im Verlauf seiner weiteren Er-fahrungen bestätigen zu lassen. Die Vorgänge der Kei-mung, der Befruchtung, des Wachstums notiert er sorg-fältig. Daß das Blatt das Grundorgan der Pflanze ist, und

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daß die Formen aller übrigen Pflanzenorgane am bestenzu verstehen sind, wenn man sie als umgewandelte Blät-ter betrachtet, leuchtet ihm immer mehr ein. Er schreibtin das Tagebuch: «Hypothese: Alles ist Blatt und durchdiese Einfachheit wird die größte Mannigfaltigkeit mög-lich.» Und am 17. Mai 1787 teilt er Herder mit: «Fernermuß ich Dir vertrauen, daß ich dem Geheimnis der Pflan-zenzeugung und Organisation ganz nahe bin, und daßes das Einfachste ist, was nur gedacht werden kann.Unter diesem Himmel kann man die schönsten Beobach-tungen machen. Den Hauptpunkt, wo der Keim steckt,habe ich ganz klar und zweifellos gefunden; alles übrigesehe ich auch schon im Ganzen und nur noch einige Punk-te müssen bestimmter werden. Die Urpflanze wird daswunderlichste Geschöpf von der Welt, um welches michdie Natur selbst beneiden soll. Mit diesem Modell unddem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen insunendliche erfinden, die konsequent sein müssen, das heißt:die, wenn sie auch nicht existieren, doch existieren könn-ten, und nicht etwa malerische oder dichterische Schattenund Scheine sind, sondern eine innerliche Wahrheit undNotwendigkeit haben. Dasselbe Gesetz wird sich auf allesübrige Lebendige anwenden lassen.» ... «Vorwärts undrückwärts ist die Pflanze immer nur Blatt, mit dem künfti-gen Keime so unzertrennlich vereint, daß man eins ohnedas andere nicht denken darf. Einen solchen Begriff zufassen, zu ertragen, ihn in der Natur aufzufinden, ist eineAufgabe, die uns in einen peinlich süßen Zustand versetzt»(Italienische Reise).

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Goethe nimmt zur Erklärung der Lebenserscheinungeneinen Weg, der gänzlich verschieden ist von denen, welchedie Naturforscher gewöhnlich gehen. Diese scheiden sichin zwei Parteien. Es gibt Verteidiger einer in den organischenWesen wirkenden Lebenskraft, die gegenüber anderen Na-turursachen eine besondere, höhere Kräfteform darstellt.Wie es Schwerkraft, chemische Anziehung und Abstoßung,Magnetismus usw. gibt, so soll es auch eine Lebenskraftgeben, welche die Stoffe des Organismus in eine solcheWechselwirkung bringt, daß dieser sich erhalten, wachsen,nähren und fortpflanzen kann. Die Naturforscher, welchedieser Meinung sind, sagen: in dem Organismus wirkendieselben Kräfte wie in der übrigen Natur; aber sie wirkennicht wie in einer leblosen Maschine. Sie werden von derLebenskraft gleichsam eingefangen und auf eine höhereStufe des Wirkens gehoben. Den Bekennern dieser Mei-nung stehen andere Naturforscher gegenüber, welche glau-ben, daß in den Organismen keine besondere Lebenskraftwirke. Sie halten die Lebenserscheinungen für kompliziertechemische und physikalische Vorgänge und geben sich derHoffnung hin, daß es einst vielleicht gelingen werde, einenOrganismus ebenso durch Zurückführung auf unorgani-sche Kraftwirkungen zu erklären wie eine Maschine. Dieerstere Ansicht wird als Vitalismus, die andere als Mechanis-mus bezeichnet. Von beiden ist die Goethesche Auffassungs-weise durchaus verschieden. Daß in dem Organismus nochetwas anderes wirksam ist, als die Kräfte der unorganischenNatur, erscheint ihm selbstverständlich. Zur mechanischenAuffassung der Lebenserscheinungen kann er sich nicht be-kennen. Ebensowenig sucht er, um die Wirkungen im Or-ganismus zu erklären, nach einer besonderen Lebenskraft.

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Er ist überzeugt, daß zur Erfassung der Lebens Vorgängeeine Anschauung gehört, die anderer Art ist als diejenige,durch welche die Erscheinungen der unorganischen Naturwahrgenommen werden. Wer zur Annahme einer Lebens-kraft sich entschließt, der sieht zwar ein, daß die orga-nischen Wirkungen nicht mechanisch sind, aber es fehltihm zugleich die Fähigkeit, jene andere Art der Anschau-ung in sich auszubilden, durch die ihm das Organische er-kennbar werden könnte. Die Vorstellung der Lebenskraftbleibt dunkel und unbestimmt. Ein neuerer Anhänger desVitalismus, Gustav Bunge, meint:- «In der kleinsten Zelle -da stecken schon alle Rätsel des Lebens drin, und bei derErforschung der kleinsten Zelle - da sind wir mit den bis-herigen Hilfsmitteln bereits an der Grenze angelangt» («Vi-talismus und Mechanismus», Leipzig 1886, S. 17). Es istdurchaus im Sinne der Goetheschen Denkweise, darauf zuantworten: Dasjenige Anschauungsvermögen, welches nurdas Wesen der unorganischen Erscheinungen erkennt, istmit seinen Hilfsmitteln an der Grenze angelangt, die über-schritten werden muß, um das Lebendige zu erfassen. Die-ses Anschauungsvermögen wird aber nie innerhalb seinesBereiches Mittel finden, die zur Erklärung des Lebens auchnur der kleinsten Zelle geeignet sein können. Wie zur Wahr-nehmung der Farbenerscheinungen das Auge gehört, sogehört zur Auffassung des Lebens die Fähigkeit, in demSinnlichen ein Übersinnliches unmittelbar anzuschauen.Dieses Übersinnliche wird demjenigen immer entschlüpfen,der nur die Sinne auf die organischen Formen richtet. Goe-the sucht die sinnliche Anschauung der Pflanzengestaltenauf eine höhere Art zu beleben und sich die sinnliche Formeiner übersinnlichen Urpflanze vorzustellen (vgl.« Geschich-

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te meines botanischen Studiums» in Kürschner, Band 33,S. 80). Der Vitalist nimmt seine Zuflucht zu dem inhaltlee-ren Begriff der Lebenskraft, weil er das, was seine Sinneim Organismus nicht wahrnehmen können, überhauptnicht sieht. Goethe sieht das Sinnliche von einem Über-sinnlichen so durchdrungen, wie eine gefärbte Fläche vonder Farbe.

Die Anhänger des Mechanismus sind der Ansicht, daßes einmal gelingen könne, lebende Substanzen auf künst-lichem Wege aus unorganischen Stoffen herzustellen. Siesagen, vor noch nicht vielen Jahren wurde behauptet, daßes im Organismus Substanzen gebe, die nicht auf künst-lichem Wege, sondern nur durch die Wirkung der Lebens-kraft entstehen können. Gegenwärtig ist man bereits im-stande, einige dieser Substanzen künstlich im Laborato-rium zu erzeugen. Ebenso könne es dereinst möglich sein,aus Kohlensäure, Ammoniak, Wasser und Salzen ein leben-diges Eiweiß herzustellen, welches die Grundsubstanz dereinfachsten Organismen ist. Dann, meinen die Mechanisten,werde unbestreitbar erwiesen sein, daß Leben nichts weiterist, als eine Kombination unorganischer Vorgänge, derOrganismus nichts weiter als eine auf natürlichem Wegeentstandene Maschine.

Vom Standpunkte der Goetheschen Weltanschauung istdarauf zu erwidern: die Mechanisten sprechen in einer Weisevon Stoffen und Kräften, die durch keine Erfährung ge-rechtfertigt ist. Und man hat sich an diese Weise zu sprechenso gewöhnt, daß es sehr schwer wird, diesen Begriffen ge-genüber die reinen Aussprüche der Erfahrung geltend zumachen. Man betrachte aber doch einen Vorgang der Au-ßenwelt unbefangen. Man nehme ein Quantum Wasser von

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einer bestimmten Temperatur. Wodurch weiß man etwasvon diesem Wasser? Man sieht es an und bemerkt, daß eseinen Raum einnimmt und zwischen bestimmten Grenzeneingeschlossen ist. Man steckt den Finger oder ein Thermo-meter hinein, und findet es mit einem bestimmten Grade vonWärme behaftet. Man drückt gegen seine Oberfläche underfährt, daß es flüssig ist. Das sind Aussprüche, welche dieSinne über den Zustand des Wassers machen. Nun erhitzeman das Wasser. Es wird sieden und zuletzt sich in Dampfverwandeln. Wieder kann man sich durch die Wahrneh-mung der Sinne von den Beschaffenheiten des Körpers, desDampfes, in den sich das Wasser verwandelt hat, Kenntnisverschaffen. Statt das Wasser zu erhitzen, kann man es demelektrischen Strom unter gewissen Bedingungen aussetzen.Es verwandelt sich in zwei Körper, Wasserstoff und Sauer-stoff. Auch über die Beschaffenheit dieser beiden Körperkann man sich durch die Aussagen der Sinne belehren. Mannimmt also in der Körperwelt Zustände wahr und beob-achtet zugleich, daß diese Zustände unter gewissen Be-dingungen in andere übergehen. Über die Zustände unter-richten die Sinne. Wenn man noch von etwas anderem alsvon Zuständen, die sich verwandeln, spricht, so beschränktman sich nicht mehr auf den reinen Tatbestand, sondernman fügt zu demselben Begriffe hinzu. Sagt man, der Sauer-stoff und der Wasserstoff, die sich durch den elektrischenStrom aus dem Wasser entwickelt haben, seien schon imWasser enthalten gewesen, nur so innig miteinander ver-bunden, daß sie in ihrer Selbständigkeit nicht wahrzu-nehmen waren, so hat man zu der Wahrnehmung einen Be-griffhinzugefügt, durch den man sich das Hervorgehen derbeiden Körper aus dem einen erklärt. Und wenn man weiter-

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geht und behauptet, Sauerstoff und Wasserstoff seien Stoffe,was man schon durch die Namen tut, die man ihnen beilegt,so hat man ebenfalls zu dem Wahrgenommenen einen Be-griff hinzugefügt. Denn tatsächlich ist in dem Räume, dervom Sauerstoff eingenommen wird, nur eine Summe vonZuständen wahrzunehmen. Zu diesen Zuständen denktman den Stoff hinzu, an dem sie haften sollen. Was man vondem Sauerstoff und dem Wasserstoff in dem Wasser schonvorhanden denkt, das Stoffliche, ist ein Gedachtes, das zudem Wahrnehmungsinhalt hinzugefügt ist. Wenn manWasserstoff und Sauerstoff durch einen chemischen Prozeßzu Wasser vereinigt, so kann man beobachten, daß eineSumme von Zuständen in eine andere übergeht. Wenn mansagt: es haben sich zwei einfache Stoffe zu einem zusammen-gesetzten vereinigt, so hat man eine begriffliche Auslegungdes Beobachtungsinhaltes versucht. Die Vorstellung « Stoff»erhält ihren Inhalt nicht aus der Wahrnehmung, sondernaus dem Denken. Ein ähnliches wie vom « Stoffe » gilt vonder «Kraft». Man sieht einen Stein zur Erde fallen. Was istder Inhalt der Wahrnehmung ? Eine Summe von Sinnes-eindrücken, Zuständen, die an aufeinanderfolgenden Ortenauftreten. Man sucht sich diese Veränderung in der Sinnes-welt zu erklären, und sagt: die Erde ziehe den Stein an. Siehabe eine «Kraft», durch die sie ihn zu sich hinzwingt.Wieder hat unser Geist eine Vorstellung zu dem Tatbestan-de hinzugefugt und derselben einen Inhalt gegeben, dernicht aus der Wahrnehmung stammt. Nicht Stoffe undKräfte nimmt man wahr, sondern Zustände und derenÜbergänge in einander. Man erklärt sich diese Zustandsän-derungen durch Hinzufugung von Begriffen zu den Wahr-nehmungen.

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Man nehme einmal an, es gebe ein Wesen, das Sauerstoffund Wasserstoff wahrnehmen könnte, nicht aber Wasser.Wenn wir vor den Augen eines solchen Wesens den Sauer-stoff und Wasserstoff zu Wasser vereinigten, so verschwän-den vor ihm die Zustände, die es an den beiden Stoffenwahrgenommen hat, in nichts. Wenn wir ihm nun die Zu-stände auch beschrieben, die wir am Wasser wahrnehmen:es könnte sich von ihnen keine Vorstellung machen. Dasbeweist, daß in den Wahrnehmungsinhalten des Sauerstoffsund des Wasserstoffs nichts liegt, aus dem der Wahrneh-mungsinhalt Wasser abzuleiten ist. Ein Ding besteht auszwei oder mehreren anderen, heißt: es haben sich zweioder mehrere Wahrnehmungsinhalte in einen zusammen-hängenden, aber den ersteren gegenüber durchaus neuen,verwandelt.

Was wäre also erreicht, wenn es gelänge, Kohlensäure,Ammoniak, Wasser und Salze künstlich zu einer lebendenEiweißsubstanz im Laboratorium zu vereinigen? Manwüßte, daß die Wahrnehmungsinhalte der vielerlei Stoffesich zu einem Wahrnehmungsinhalt vereinigen können.Aber dieser Wahrnehmungsinhalt ist aus jenen durchausnicht abzuleiten. Der Zustand des lebenden Eiweißes kannnur an diesem selbst beobachtet, nicht aus den Zuständender Kohlensäure, des Ammoniaks, des Wassers und derSalze herausentwickelt werden. Im Organismus hat manetwas von den unorganischen Bestandteilen, aus denen eraufgebaut werden kann, völlig verschiedenes vor sich.Die sinnlichen Wahrnehmungsinhalte verwandeln sich beider Entstehung des Lebewesens in sinnlich-übersinnliche.Und wer nicht die Fähigkeit hat, sich sinnlich-übersinn-liche Vorstellungen zu machen, der kann von dem Wesen

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eines Organismus ebensowenig etwas wissen, wie jemandvom Wasser etwas erfahren könnte, wenn ihm die sinnlicheWahrnehmung desselben unzugänglich wäre.

Die Keimung, das Wachstum, die Umwandlung der Or-gane, die Ernährung und Fortpflanzung des Organismussich als sinnHch-übersinnlichen Vorgang vorzustellen, warGoethes Bestreben bei seinen Studien über die Pflanzen-und die Tierwelt. Er bemerkte, daß dieser sinnlich-über-sinnliche Vorgang in dztldee bei allen Pflanzen derselbe ist,und daß er nur in der äußeren Erscheinung verschiedene For-men annimmt. Dasselbe konnte Goethe für die Tierweltfeststellen. Hat man die Idee der sinnlich-übersinnlichenUrpflanze in sich ausgebildet, so wird man sie in allen ein-zelnen Pflanzenformen wiederfinden. Die Mannigfaltigkeitentsteht dadurch, daß das der Idee nach Gleiche in der Wahr-nehmungswelt in verschiedenen Gestalten existieren kann.Der einzelne Organismus besteht aus Organen, die auf einGrundorgan zurückzuführen sind. Das Grundorgan derPflanze ist das Blatt mit dem Knoten, an dem es sich ent-wickelt. Dieses Organ nimmt in der äußeren Erscheinungverschiedene Gestalten an: Keimblatt, Laubblatt, Kelch-blatt, Kronenblatt usw. «Es mag nun die Pflanze sprossen,blühen oder Früchte bringen, so sind es doch nur immerdieselbtgen Organe, welche in vielfältigen Bestimmungen undunter oft veränderten Gestalten die Vorschrift der Naturerfüllen.»

Um ein vollständiges Bild der Urpflanze zu erhalten, mußteGoethe die Formen im allgemeinen verfolgen, welche das

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Grundorgan im Fortgang des Wachstums einer Pflanze vonder Keimung bis zur Samenreife durchmacht. Im Anfangihrer Entwicklung ruht die ganze Pflanzengestalt in demSamen. In diesem hat die Urpflanze eine Gestalt angenom-men, durch die sie ihren ideellen Inhalt gleichsam in deräußeren Erscheinung verbirgt.

«Einfach schlief in dem Samen die Kraft; ein beginnendesVorbild

Lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt,Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und

farblosTrocken erhält so der Kern ruhiges Leben bewahrt,Quillet strebend empor, sich milder Feuchte vertrauend,Und erhebt sich sogleich aus der umgebenden Nacht.»

«Die Metamorphose der Pflanzen», Kürschner, Band 33, S. 97

Aus dem Samen entwickelt die Pflanze die ersten Orga-ne, die Kotyledonen, nachdem sie «ihre Hüllen mehr oderweniger in der Erde» zurückgelassen und «die Wurzel inden Boden » befestigt hat. Und nun folgt im weiteren Verlau-fe des Wachstums Trieb auf Trieb; Knoten auf Knoten türmtsich übereinander, und an jedem Knoten findet sich einBlatt. Die Blätter erscheinen in verschiedenen Gestalten.Die unteren noch einfach, die oberen mannigfach gekerbt,eingeschnitten, aus mehreren Blättchen zusammengesetzt.Die Urpflanze breitet auf dieser Stufe der Entwicklungihren sinnlich-übersinnlichen Inhalt im Räume als äußeresinnliche Erscheinung aus. Goethe stellt sich vor, daß dieBlätter ihre fortschreitende Ausbildung und Verfeinerungdem Lichte und der Luft schuldig sind. «Wenn wir jene in

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der verschlossenen Samenhülle erzeugten Kotyledonen,mit einem rohen Safte nur gleichsam ausgestopft, fast garnicht oder nur grob organisiert und ungebildet finden, sozeigen sich uns die Blätter der Pflanzen, welche unter demWasser wachsen, gröber organisiert als andere, der freienLuft ausgesetzte; ja, sogar entwickelt dieselbige Pflanzenartglättere und weniger verfeinerte Blätter, wenn sie in tiefen,feuchten Orten wächst, da sie hingegen, in höhere Gegen-den versetzt, rauhe, mit Haaren versehene, feiner ausgebil-dete Blätter hervorbringt.» (Kürschner, Band 33, S. 25 f.)In der zweiten Epoche des Wachstums zieht die Pflanzewieder in einen engeren Raum zusammen, was sie vorherausgebreitet hat.

«Mäßiger leitet sie nun den Saft, verengt die Gefäße,Und gleich zeigt die Gestalt zartere Wirkungen an.Stille zieht sich der Trieb der strebenden Ränder zurücke,Und die Rippe des Stiels bildet sich völliger aus.Blattlos aber und schnell erhebt sich der zartere Stengel,Und ein Wundergebild zieht den Betrachtenden an.Rings im Kreise stellet sich nun, gezählet und ohneZahl, das kleinere Blatt neben dem ähnlichen hin.Um die Achse gedrängt, entscheidet der bergende

Kelch sich,Der zur höchsten Gestalt farbige Kronen entläßt.»

Im Kelch zieht sich die Pflanzengestalt zusammen; in derBlumenkrone breitet sie sich wieder aus. Nun folgt dienächste Zusammenziehung in den Staubgefäßen und demStempel, den Organen der Fortpflanzung. Die Bildungs-kraft der Pflanze entwickelte sich in den vorhergehendenWachstumsperioden in einerlei Organen als Trieb, das

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Grundgebilde zu wiederholen. Dieselbe Kraft verteilt sichauf dieser Stufe der Zusammenziehung auf zwei Organe.Das Getrennte sucht sich wieder zusammenzufinden. Diesgeschieht im Befruchtungsvorgang. Der in dem Staub-gefäß vorhandene männliche Blütenstaub vereinigt sichmit der weiblichen Substanz, die im Stempel enthalten ist;und damit ist der Keim zu einer neuen Pflanze gegeben.Goethe nennt die Befruchtung eine geistige Anastomoseund sieht in ihr nur eine andere Form des Vorgangs, der inder Entwicklung von einem Knoten zum andern stattfindet.«An allen Körpern, die wir lebendig nennen, bemerken wirdie Kraft, ihresgleichen hervorzubringen. Wenn wir dieseKraft geteilt gewahr werden, bezeichnen wir sie unter demNamen der beiden Geschlechter.» (Weimarer-Ausgabe, 2.Abt., Band 6, S. 361.) Von Knoten zu Knoten bringt diePflanze ihresgleichen hervor. Denn Knoten und Blatt sinddie einfache Form der Urpflanze. In dieser Form heißt dieHervorbringung Wachstum. Ist die Fortpflanzungskraftauf zwei Organe verteilt, so spricht man von zwei Geschlech-tern. Auf diese Weise glaubt Goethe die Begriffe vonWachstum und Zeugung einander näher gerückt zu haben.In dem Stadium der Fruchtbildung erlangt die Pflanze ihreletzte Ausdehnung; in dem Samen erscheint sie wieder zu-sammengezogen. In diesen sechs Schritten vollendet dieNatur einen Kreis der Pflanzenentwicklung, und sie be-ginnt den ganzen Vorgang wieder von vorne. In dem Sa-men sieht Goethe nur eine andere Form des Auges, dassich an den Laubblättern entwickelt. Die aus den Augensich entfaltenden Seitenzweige sind ganze Pflanzen, die,statt in der Erde, auf einer Mutterpflanze stehen. Die Vor-stellung von dem sich stufenweise, wie auf einer «geistigen

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Leiter » vom Samen bis zur Frucht sich umbildenden Grund-organ ist die Idee der Urpflanze. Gleichsam um die Ver-wandlungsfähigkeit des Grundorgans für die sinnliche An-schauung zu beweisen, läßt die Natur unter gewissen Be-dingungen auf einer Stufe statt des Organs, das nach demregelmäßigen Wachstumsverlaufe entstehen sollte, ein an-deres sich entwickeln. Bei den gefüllten Mohnen z. B. tretenan der Stelle, wo die Staubgefäße entstehen sollten, Blu-menblätter auf. Das Organ, das der Idee nach zum Staubge-fäß bestimmt war, ist ein Blumenblatt geworden. In demOrgan, das im regelmäßigen Fortgang der Pflanzenent-wicklung eine bestimmte Form hat, ist die Möglichkeitenthalten, auch eine andere anzunehmen.

Als Illustration seiner Idee von der Urpflanze betrachtetGoethe das Bryophyllum calycinum, die gemeine Keim-Zumpe, eine Pflanzenart, die von den Molukkeninselnnach Kalkutta und von da nach Europa gekommen ist. Ausden Kerben der fetten Blätter dieser Pflanzen entwickelnsich frische Pflänzchen, die, nach ihrer Ablösung, zu voll-ständigen Pflanzen auswachsen. Goethe sieht in diesem Vor-gang sinnlich-anschaulich dargestellt, daß in dem Blatte eineganze Pflanze der Idee nach ruht (vgl. Goethes Bemerkun-gen über das Bryophyllum calycinum in der Weimarer-Aus-gabe, 2. Abt., Band VI, S. 336fr.).

Wer die Vorstellung der Urpflanze in sich ausbildet undso beweglich erhält, daß er sie in allen möglichen Formendenken kann, die ihr Inhalt zuläßt, der kann mit ihrer Hilfesich alle Gestaltungen im Pflanzenreiche erklären. Er wirddie Entwicklung der einzelnen Pflanze begreifen; aber erwird auch finden, daß alle Geschlechter, Arten und Varie-täten nach diesem Urbilde geformt sind. Diese Anschauung

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hat Goethe in Italien ausgebildet und in seiner 1790 erschie-nenen Schrift: «Versuch, die Metamorphose der Pflanzenzu erklären » niedergelegt.

Auch in der Entwicklung seiner Ideen über den mensch-lichen Organismus schreitet Goethe in Italien vor. Am20. Januar 1787 schreibt er an Knebel: «Auf Anatomiebin ich so ziemlich vorbereitet, und ich habe mir die Kennt-nis des menschlichen Körpers, bis auf einen gewissen Grad,nicht ohne Mühe erworben. Hier wird man durch die ewi-ge Betrachtung der Statuen immerfort, aber auf eine höhereWeise, daraufhingewiesen. Bei unserer medizinisch-chirur-gischen Anatomie kommt es bloß darauf an, den Teil zukennen, und hierzu dient auch wohl ein kümmerlicher Mus-kel. In Rom aber wollen die Teile nichts heißen, wenn sienicht zugleich eine edle schöne Form darbieten. - In demgroßen Lazarett San Spirito hat man den Künstlern zuliebeinen sehr schönen Muskelkörper dergestalt bereitet, daßdie Schönheit desselben in Verwunderung setzt. Er könntewirklich für einen geschundenen Halbgott, für einen Mar-syas gelten. - So pflegt man auch, nach Anleitung der Alten,das Skelett nicht als eine künstlich zusammengereihte Kno-chenmasse zu studieren, vielmehr zugleich mit den Bändern,wodurch es schon Leben und Bewegung erhält.» Auch nachseiner Rückkehr aus Italien treibt Goethe fleißig anatomi-sche Studien. Es drängt ihn, die Bildungsgesetze der tieri-schen Gestalt ebenso zu erkennen, wie ihm dies für diejeni-gen der Pflanze gelungen war. Er ist überzeugt, daß auchdie Einheit des Tier-Organismus auf einem Grundorgan be-ruht, welches in der äußeren Erscheinung verschiedene For-

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men annehmen kann. Verbirgt sich die Idee des Grund-organs, so erscheint dieses ungeformt. Es stellt dann die ein-facheren Organe des Tieres dar; bemächtigt sich die Ideedes Stoffes so, daß sie ihn sich völlig ähnlich macht, dannentstehen die höheren, die edleren Organe. Was in den ein-facheren Organen der Idee nach vorhanden ist, das schließtsich in den höheren nach außen auf. Es ist Goethe nicht ge-glückt, die Gesetzmäßigkeit der ganzen tierischen Gestaltin eine einzige Vorstellung zu fassen, wie er es für die Pflan-zenform erreicht hat. Nur für einen Teil dieser Gestalt hater das Bildungsgesetz gefunden, für das Rückenmark undGehirn mit den diese Organe einschließenden Knochen. Indem Gehirn sieht er eine höhere Ausbildung des Rücken-marks. Jedes Nervenzentrum der Ganglien gilt ihm als einauf niederer Stufe stehengebliebenes Gehirn. (Vgl. Weima-rer-Ausgabe, 2. Abt., Band 8, S. 3 60.) Und die das Gehirn ein-schließenden Schädelknochen deutet er als Umformungender Wirbelknochen, die das Rückenmark umhüllen. Daß erdie hintern Schädelknochen (Hinterhauptbein, hinteres undvorderes Keilbein) als drei umgebildete Wirbel anzusehenhat, ist ihm schon früher aufgegangen; für die vorderenSchädelknochen behauptet er dasselbe, als er im Jahre 1790auf den Dünen des Lido einen Schafschädel findet, der soglücklich geborsten ist, daß in dem Gaumbein, der oberenKinnlade und dem Zwischenknochen drei Wirbel in ver-wandelter Gestalt unmittelbar sinnlich sich darzustellenscheinen.

Die Anatomie der Tiere war zu Goethes Zeit noch nichtso weit vorgeschritten, daß er ein Lebewesen hätte anführenkönnen, welches wirklich an Stelle von entwickelten Schä-delknochen Wirbel hat und das also im sinnlichen Bilde das

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zeigt, was bei den vollkommenen Tieren nur der Idee nachvorhanden ist. Durch die Untersuchungen Carl Gegen-baurs, die im Jahre 1872 veröffentlicht worden sind, ist esgelungen, eine solche Tierform anzugeben. Die Urfischeoder Selachier haben Schädelknochen und ein Gehirn, diesich deutlich als Endglieder der Wirbelsäule und des Rük-kenmarkes erweisen. Nach dem Befund an diesen Tierenscheint allerdings eine größere Zahl von Wirbeln in dieKopf bildung eingegangen zu sein (mindestens neun), alsGoethe angenommen hat. Dieser Irrtum über die Zahl derWirbel und auch noch die Tatsache, daß im Embryonalzu-stand der Schädel der höheren Tiere keine Spur einer Zu-sammensetzung aus wirbelartigen Teilen zeigt, sondern sichaus einer einfachen knorpeligen Blase entwickelt, ist gegenden Wert der Goetheschen Idee von der Umwandlung desRückenmarks und der Wirbelsäule angeführt worden. Mangibt zwar zu, daß der Schädel aus Wirbeln entstanden ist.Aber man leugnet, daß die Kopf knochen in der Form, inder sie sich bei den höheren Tieren zeigen, umgebildeteWirbel seien. Man sagt, daß eine vollkommene Verschmel-zung der Wirbel zu einer knorpeligen Blase stattgefundenhabe, in der die ursprüngliche Wirbelstruktur vollständigverschwunden sei. Aus dieser Knorpelkapsel haben sichdann die Knochenformen herausgebildet, die an höherenTieren wahrzunehmen sind. Diese Formen haben sich nichtnach dem Urbilde des Wirbels gebildet, sondern entspre-chend den Aufgaben, die sie am entwickelten Kopfe zu erfül-len haben. Man hätte also, wenn man nach einem Erklä-rungsgrund für irgendeine Schädelknochenform sucht,nicht zu fragen: wie hat sich ein Wirbel umgebildet, um zudem Kopf knochen zu werden; sondern welche Bedingun-

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gen haben dazu geführt, daß sich diese oder jene Knochen-gestalt aus der einfachen Knorpelkapsel herausgetrennthat? Man glaubt an die Bildung neuer Gestalten, nach neuenBildungsgesetzen, nachdem die ursprüngliche Wirbelformin eine strukturlose Kapsel aufgegangen ist. Ein Wider-spruch zwischen dieser Auffassung und der Goetheschenkann nur vom Standpunkte des Tatsachenfanatismus ausgefunden werden. Was in der Knorpelkapsel des Schädelsnicht mehr sinnlich wahrnehmbar ist, die Wirbelstruktur,ist in ihr gleichwohl der Idee nach vorhanden und tritt wiederin die Erscheinung, sobald die Bedingungen dazu vorhan-den sind. In der knorpeligen Schädelkapsel verbirgt sich dieIdee des wirbeiförmigen Grundorgans innerhalb der sinn-lichen Materie; in den ausgebildeten Schädelknochen trittsie wieder in die äußere Erscheinung.

Goethe hofft, daß sich ihm die Bildungsgesetze der übrigenTeile des tierischen Organismus in derselben Weise offen-baren werden, wie es diejenigen des Gehirns, Rückenmarksund ihrer Umhüllungsorgane getan haben. Über die amLido gemachte Entdeckung läßt er am 30. April 1790 Her-dern durch Frau von Kalb sagen, daß er «der Tiergestalt undihren mancherlei Umbildungen um eine ganze Formel näher ge-rückt ist, und zwar durch den sonderbarsten Zufall» (Goe-the an Frau von Kalb). Er glaubt, seinem Ziele so nahe zusein, daß er noch in demselben Jahre, das ihm den Fund ge-bracht hat, eine Schrift über die tierische Bildung vollendenwill, die sich der « Metamorphose der Pflanzen » an die Seitestellen läßt. (Briefwechsel mit Knebel, S.98.) In Schlesien,wohin er im Juli 1790 reist, treibt er Studien zur verglei-

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chenden Anatomie und beginnt an einem Aufsatz «Überdie Gestalt der Tiere» zu schreiben. (Weimarer-Ausgabe,2. Abt., Band 8, S. 261 ff.) Es ist Goethe nicht gelungen, vondem glücklich gewonnenen Ausgangspunkte aus zu denBildungsgesetzen der ganzen Tiergestalt fortzuschreiten.So viel Ansätze er auch dazu macht, den Typus der tieri-schen Gestalt zu finden: etwas der Idee der Urpflanze Ana-loges ist nicht zustande gekommen. Er vergleicht die Tiereuntereinander und mit dem Menschen und sucht ein allge-meines Bilddes tierischen Baues zu gewinnen, nach welchem,als einem Muster, die Natur die einzelnen Gestalten formt.Eine lebendige Vorstellung, die sichnach den Grundgesetzender tierischen Bildung mit einem Gehalt erfüllt und so dasUrtier der Natur gleichsam nachschafft, ist dieses allgemeineBild des tierischen Typus nicht. Ein allgemeiner Begriff ist esnur, der von den besonderen Erscheinungen abgezogen ist.Er stellt das Gemeinsame in den mannigfaltigen Tierformenfest; aber er enthält nicht die Gesetzmäßigkeit der Tierheit.

«Alle Glieder bilden sich aus nach ew'gen Gesetzen,Und die seltenste Form bewahrt im Geheimen das

Urbild.»

Gedicht «Die Metamorphose der Tiere»

Wie dieses Urbild durch gesetzmäßige Umformung einesGrundgliedes sich als vielgliedrige Urform des tierischenOrganismus entwickelt, davon konnte Goethe eine einheit-liche Vorstellung nicht entwickeln. Sowohl der Versuchüber «die Gestalt der Tiere» als auch der 1795 in Jena ent-standene «Entwurf einer vergleichenden Anatomie, ausge-hend von der Osteologie » und-seine spätere ausführlichereGestalt «Vorträge über die drei ersten Kapitel des Entwurfs

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einer allgemeinen Einleitung in die vergleichende Anato-mie» (1796) enthalten nur Anleitungen darüber, wie dieTiere zweckmäßig zu vergleichen sind, um ein allgemeinesSchema zu gewinnen, nach dem die schaffende Gewalt die« organischen Naturen erzeugt und entwickelt »,eine Norm,nach welcher die «Beschreibungen auszuarbeiten» und aufwelche, «indem solche von der Gestalt der verschiedenenTiere abgezogen wäre, die verschiedensten Gestalten wie-der zurückzuführen » sind (vgl. die genannten «Vorträge »).Bei der Pflanze hingegen hat Goethe gezeigt, wie ein Urge-büde durch aufeinanderfolgende Modifikationen sich ge-setzmäßig zu der vollkommenen organischen Gestalt aus-bildet.

*

Wenn er auch nicht die schaffende Naturgewalt in ihrer Bil-dungs- und Umbildungskraft durch die verschiedenen Glie-der des tierischen Organismus hindurch verfolgen konnte,so ist es Goethe doch gelungen, einzelne Gesetze zu finden,an die sich die Natur bei der Bildung der tierischen Formenhält, welche die allgemeine Norm zwar festhalten, doch aberin der Erscheinung verschieden sind. Er stellt sich vor, daßdie Natur nicht die Fähigkeit habe, das allgemeine Bild be-liebig zu verändern. Wenn sie in einer Form ein Glied inbesonders vollkommener Form ausbildet, so kann dies nurauf Kosten eines andern geschehen. Im Urorganismus sindalle Glieder enthalten, die bei irgendeinem Tiere vorkom-men können. Bei der einzelnen Tierform ist das eine ausge-bildet, das andere nur angedeutet; das eine besonders voll-kommen entwickelt, das andere vielleicht für die sinnlicheBeobachtung gar nicht wahrzunehmen. Für den letzterenFall ist Goethe überzeugt, daß in jedem Tiere das, was von

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dem allgemeinen Typus an ihm nicht sichtbar\ doch in derIdee vorhanden ist.

«Siehst du also dem einen Geschöpf besonderen VorzugIrgend gegönnt, so frage nur gleich, wo leidet es etwaMangel anderswo, und suche mit forschendem Geiste.Finden wirst du sogleich zu aller Bildung den Schlüssel,Denn so hat kein Tier, dem sämtliche Zähne den obernKiefer umzäunen, ein Hörn auf seiner Stirne getragen,Und daher ist den Löwen gehörnt der ewigen MutterGanz unmöglich zu bilden und böte sie alle Gewalt auf:Denn sie hat nicht Masse genug, die Reihen der ZähneVöllig zu pflanzen und auch ein Geweih und Hörner zu

treiben.»

«Die Metamorphose der Tiere»

Im Urorganismus sind alle Glieder ausgebildet und hal-ten sich das Gleichgewicht; die Mannigfaltigkeit des Ein-zelnen entsteht dadurch, daß die Kraft der Bildung sich aufdas eine Glied wirft und dafür ein anderes in der äußerenErscheinung gar nicht oder nur andeutungsweise entwik-kelt. Dieses Gesetz des tierischen Organismus nennt manheute das von der Korrelation oder Kompensation der Or-

Goethe denkt sich in der Urpnanze die ganze Pflanzenwelt,in dem Urtiere die ganze Tierwelt der Idee nach enthalten.Aus diesem Gedanken entsteht die Frage: wie kommt es,daß in dem einen Falle diese bestimmten Pflanzen- oderTierformen, in dem andern Falle andere entstehen? Unterwelchen Bedingungen wird aus dem Urtiere ein Fisch ? Un-

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ter welchen ein Vogel? Goethe findet zur Erklärung desBaues der Organismen in der Wissenschaft eine Vorstel-lungsart vor, die ihm zuwider ist. Die Anhänger dieser Vor-stellungsart fragen bei jedem Organ: wozu dient es demLebewesen, an dem es vorkommt ? Einer solchen Frage liegtder allgemeine Gedanke zu Grunde, daß ein göttlicherSchöpfer oder die Natur jedem Wesen einen bestimmtenLebenszweck vorgesetzt und ihm dann einen solchen Baugegeben habe, daß es diesen Zweck erfüllen könnte. Goethefindet eine solche Frage ebenso ungereimt, wie etwa die: zuwelchem Zwecke bewegt sich eine elastische Kugel, wennsie von einer anderen gestoßen wird? Eine Erklärung derBewegung kann nur gegeben werden durch Auffinden desGesetzes, nach welchem die Kugel durch einen Stoß odereine andere Ursache in Bewegung versetzt worden ist. Manfragt nicht: wozu dient die Bewegung der Kugel, sondern:woher entspringt sie? Ebenso soll man, nach Goethes Mei-nung, nicht fragen: wozu hat der Stier Hörner, sondern:wie kann er Hörner haben. Durch welche Gesetze tritt indem Stier das Urtier als hörnertragende Form auf? Goethehat die Idee der Urpflanze und des Urtiers gesucht, um inihnen die Erklärungsgründe für die Mannigfaltigkeit derorganischen Formen zu finden. Die Urpflanze ist das schaf-fende Element in der Pflanzenwelt. Will man eine einzelnePflanzenart erklären, so muß man zeigen, wie dieses schaf-fende Element in dem besonderen Falle wirkt. Die Vorstel-lung, ein organisches Wesen verdanke seine Gestalt nichtden in ihm wirkenden und bildenden Kräften, sondern siesei ihm zu gewissen Zwecken von außen aufgedrängt, wirktauf Goethe geradezu abstoßend. Er schreibt: «Neulich fandich in einer leidig apostolisch-kapuzinermäßigen Deklama-

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tion des Züricher Propheten die unsinnigen Worte: Alles,was Leben hat, lebt durch etwas außer sich. Oder so ungefährklang's. Das kann nun so ein Heidenbekehrer hinschreiben,und bei der Revision zupft ihn der Genius nicht beim Är-mel.» (Italienische Reise, 5.Oktober 1787.) Goethe denktsich das organische Wesen als eine kleine Welt, die durchsich selbst da ist und sich nach ihren Gesetzen gestaltet.«Die Vorstellungsart, daß ein lebendiges Wesen zu gewis-sen Zwecken nach außen hervorgebracht und seine Gestaltdurch eine absichtliche Urkraft dazu determiniert werde,hat uns in der philosophischen Betrachtung der natürlichenDinge schon mehrere Jahrhunderte aufgehalten, und hältuns noch auf, obgleich einzelne Männer diese Vorstellungs-art eifrig bestritten, die Hindernisse, welche sie in den Weglegt, gezeigt haben ... Es ist, wenn man sich so ausdrückendarf, eine triviale Vorstellungsart, die eben deswegen, wiealle trivialen Dinge, trivial ist, weil sie der menschlichenNatur im ganzen bequem und zureichend ist.» (Weimarer-Ausgabe, 2. Abt., Band 7, S. 217f.) Es ist allerdings bequemzu sagen: ein Schöpfer hat bei Erschaffung einer organi-schen Art einen gewissen Zweckgedanken zu Grunde ge-legt, und ihr deswegen eine bestimmte Gestalt gegeben.Goethe will aber die Natur nicht aus den Absichten irgend-eines außer der Natur befindlichen Wesens, sondern aus denin ihr selbst liegenden Bildungsgesetzen erklären. Eine ein-zelne organische Form entsteht dadurch, daß Urpflanzeoder Urtier in einem besonderen Falle sich eine bestimmteGestalt geben. Diese Gestalt muß eine solche sein, daß dieForm innerhalb der Bedingungen, in denen sie lebt, auchleben kann. «... die Existenz eines Geschöpfes, das wirFisch nennen, sei nur unter der Bedingung eines Elementes,

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das wir Wasser nennen, möglich...» (Weimarer-Ausgabe,2. Abt., Band 7, S. 221.) Will Goethe begreifen, welche Bil-dungsgesetze eine bestimmte organische Form hervorbrin-gen, so hält er sich an seinen Urorganismus. In ihm liegt dieKraft, sich in den mannigfaltigsten äußeren Gestalten zuverwirklichen. Um einen Fisch zu erklären, würde Goetheuntersuchen, welche Bildungskräfte das Urtier anwendet,um von allen Gestalten, die der Idee nach in ihm liegen, ge-rade die Fischgestalt hervorzubringen. Würde das Urtier in-nerhalb gewisser Verhältnisse sich in einer Gestalt verwirk-lichen, in der es nicht leben kann, so ginge es zu Grunde.Erhalten kann sich eine organische Form innerhalb gewisserLebensbedingungen nur, wenn es denselben angepaßt ist.

«Also bestimmt die Gestalt die Lebensweise des Tieres,Und die Weise zu leben, sie wirkt auf alle GestaltenMächtig zurück. So zeigt sich fest die geordnete Bildung,Welche zum Wechsel sich neigt durch äußerlich wirkende

Wesen.»«Die Metamorphose der Tiere»

Die in einem gewissen Lebenselemente dauernden organi-schen Formen sind durch die Natur dieses Elementes be-dingt. Wenn eine organische Form aus einem Lebensele-mente in ein anderes käme, so müßte sie sich entsprechendverändern. Das wird in bestimmten Fällen eintreten kön-nen, denn der ihr zu Grunde liegende Urorganismus hat dieFähigkeit, sich in unzähligen Gestalten zu verwirklichen.Die Umwandlung der einen Form in die andere ist aber,nach Goethes Ansicht, nicht so zu denken, daß die äußerenVerhältnisse die Form unmittelbar nach sich umbilden, son-dern so, daß sie die Veranlassung werden, durch die sich die

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innere Wesenheit verwandelt. Veränderte Lebensbedingun-gen reiben die organische Form, sich nach inneren Gesetzenin einer gewissen Weise umzubilden. Die äußeren Einflüssewirken mittelbar, nicht unmittelbar auf die Lebewesen. Un-zählige Lebensformen sincKin Urpflanze und Urtier der Ideenach enthalten; diejenigen kommen zur tatsächlichen Exi-stenz, auf welche äußere Einflüsse als Reize wirken.

Die Vorstellung, daß eine Pflanzen- oder Tierart sich imLaufe der Zeiten durch gewisse Bedingungen in eine andereverwandle, hat innerhalb der Goetheschen Naturanschau-ung ihre volle Berechtigung. Goethe stellt sich vor, daß dieKraft, welche im Fortpflanzungsvorgang ein neues Indivi-duum hervorbringt, nur eine Umwandlung derjenigenKraftform ist, die auch die fortschreitende Umbildung derOrgane im Verlaufe des Wachstums bewirkt. Die Fortpflan-zung ist ein Wachstum über das Individuum hinaus. Wiedas Grundorgan während des Wachstums eine Folge vonVeränderungen durchläuft, die der Idee nach gleich sind, sokann auch bei der Fortpflanzung eine Umwandlung deräußeren Gestalt unter Festhaltung des ideellen Urbildesstattfinden. Wenn eine ursprüngliche Organismenform vor-handen war, so konnten die Nachkommen derselben imLaufe großer Zeiträume durch allmähliche Umwandlungin die gegenwärtig die Erde bevölkernden mannigfaltigenFormen übergehen. Der Gedanke einer tatsächlichen Bluts-verwandtschaft aller organischen Formen fließt aus denGrundanschauungen Goethes. Er hätte ihn sogleich nachder Konzeption seiner Ideen von Urtier und Urpflanze in

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vollkommener Form aussprechen können. Aber er drücktsich, wo er diesen Gedanken berührt, zurückhaltend, ja un-bestimmt aus. In dem Aufsatz: «Versuch einer allgemeinenVergleichungslehre », der nicht lange nach der «Metamor-phose der Pflanzen» entstanden sein dürfte, ist zu lesen:«Und wie würdig ist es der Natur, daß sie sich immer der-selben Mittel bedienen muß, um ein Geschöpf hervorzu-bringen und zu ernähren! So wird man auf eben diesenWegen fortschreiten und, wie man nur erst die unorgani-sierten, undeterminierten Elemente als Vehikel der unorga-nisierten Wesen angesehen, so wird man sich nunmehr inder Betrachtung erheben und wird die organisierte Weltwieder als einen Zusammenhang von vielen Elementen an-sehen. Das ganze Pflanzenreich zum Exempel wird uns wie-der als ein ungeheures Meer erscheinen, welches ebensogutzur bedingten Existenz der Insekten nötig ist als das Welt-meer und die Flüsse zur bedingten Existenz der Fische, undwir werden sehen, daß eine ungeheure Anzahl lebender Ge-schöpfe in diesem Pflanzenozean geboren und ernährt wer-de, ja wir werden zuletzt die ganze tierische Welt wiedernur als ein großes Element ansehen, wo ein Geschlecht aufdem andern und durch das andere, wo nicht entsteht^ dochsich erhält.» Rückhaltloser ist folgender Satz der «Vorträgeüber die drei ersten Kapitel des Entwurfs einer allgemeinenEinleitung in die vergleichende Anatomie» (1796): «Diesalso hätten wir gewonnen, ungescheuet behaupten zu dür-fen: daß alle vollkommnern organischen Naturen, wor-unter wir Fische, Amphibien, Vögel, Säugetiere und ander Spitze der letzten den Menschen sehen, alle nach einemUrbilde geformt seien, das nur in seinen sehr beständigenTeilen mehr oder weniger hin- und herweicht und sich noch

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täglich durch Fortpflanzung aus- und umbildete Goethes Vor-sicht dem Umwandlungsgedanken gegenüber ist begreif-lich. Der Zeit, in welcher er seine Ideen ausbildete, wardieser Gedanke nicht fremd. Aber sie hatte ihn in der wü-stesten Weise ausgebildet. «Die damalige Zeit (schreibtGoethe 1817, vgl. Kürschner, Band 33, S. 15) jedoch wardunkler, als man es sich jetzt vorstellen kann. Man be-hauptete zum Beispiel, es hange nur vom Menschen ab,bequem auf allen Vieren zu gehen, und Bären, wenn siesich eine Zeitlang aufrecht hielten, könnten zu Menschenwerden. Der verwegene Diderot wagte gewisse Vorschlä-ge, wie man ziegenfüßige Faune hervorbringen könne, umsolche in Livree, zu besonderem Staat und Auszeichnung,den Großen und Reichen auf die Kutsche zu stiften.» Mitsolchen unklaren Vorstellungen wollte Goethe nichts zutun haben. Ihm lag daran, eine Idee von den Grundgeset-zen des Lebendigen zu gewinnen. Dabei wurde ihm klar,daß die Gestalten des Lebendigen nichts Starres, Unver-änderliches, sondern daß sie in einer fortwähre aden Um-bildung begriffen sind. Wie diese Umbildung sich im ein-zelnen vollzieht, festzustellen, dazu fehlten ihm die Be-obachtungen. Erst Darwins Forschungen und Haeckelsgeistvolle Reflexionen haben einiges Licht auf die tatsäch-lichen Verwandtschaftsverhältnisse einzelner organischerFormen geworfen. Vom Standpunkte der GoetheschenWeltanschauung kann man sich den Behauptungen desDarwinismus gegenüber, soweit sie das tatsächliche Her-vorgehen einer organischen Art aus der andern betreffen,nur zustimmend verhalten. Goethes Ideen dringen abertiefer in das Wesen des Organischen ein als der Darwinismusder Gegenwart. Dieser glaubt die im Organischen gelege-

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nen inneren Triebkräfte, die sich Goethe unter dem sinn-lich-übersinnlichen Bilde vorstellt, entbehren zu können.Ja, er spricht Goethe sogar die Berechtigung ab, von seinenVoraussetzungen aus von einer wirklichen Umwandlung derOrgane und Organismen zu sprechen. Jul. Sachs weist Goe-thes Gedanken mit den Worten zurück, er übertrage «dievom Verstand vollzogene Abstraktion auf das Objektselbst», indem er diesem «eine Metamorphose zuschreibt,die sich im Grunde genommen nur in unserem Begriffevollzogen hat.» Goethe soll, nach dieser Ansicht, nichtsweiter getan haben, als Laubblätter, Kelchblätter, Blumen-blätter usw. unter einen allgemeinen Begriff gebracht undmit dem Namen Blatt bezeichnet haben. «Ganz anders frei-lich wäre die Sache, wenn ... wir annehmen dürften, daßbei den Vorfahren der uns vorliegenden Pflanzenform dieStaubfäden gewöhnliche Blätter waren usw.» (Sachs, «Ge-schichte der Botanik» 1875, S. 169). Diese Ansicht ent-springt dem Tatsachenfanatismus, der nicht einsehen kann,daß die Ideen ebenso objektiv zu den Dingen gehören,wie das, was man mit den Sinnen wahrnehmen kann.Goethe ist der Ansicht, daß von Verwandlung eines Orga-nes in das andere nur gesprochen werden kann, wennbeide außer ihrer äußeren Erscheinung noch etwas ent-halten, das ihnen gemeinsam ist. Das ist die sinnlich-über-sinnliche Form. Das Staubgefäß einer uns vorliegendenPflanzenform kann nur dann als das umgewandelte Blattder Vorfahren bezeichnet werden, wenn in beiden diegleiche sinnlich-übersinnliche Form lebt. Ist das nicht derFall, entwickelt sich an der uns vorliegenden Pflanzen-form einfach an derselben Stelle ein Staubgefäß, an dersich bei den Vorfahren ein Blatt entwickelt hat, dann hat

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sich nichts verwandelt, sondern es ist an die Stelle deseinen Organes ein anderes getreten. Der Zoologe OscarSchmidt fragt: «Was sollte denn auch nach Goethes An-schauung umgebildet werden? Das Urbild doch wohlnicht» («War Goethe Darwinianer?» Graz 1871, S. 22).Gewiß wandelt sich nicht das Urbild um, denn dieses istja in allen Formen das gleiche. Aber eben weil dieses gleichbleibt, können die äußeren Gestalten verschieden sein unddoch ein einheitliches Ganzes darstellen. Könnte mannicht in zwei auseinander entwickelten Formen das gleicheideelle Urbild erkennen, so könnte keine Beziehung zwi-schen ihnen angenommen werden. Erst durch die Vorstel-lung der ideellen Urform kann man mit der Behauptung,die organischen Formen entstehen durch Umbildung aus-einander, einen wirklichen Sinn verbinden. Wer nicht zudieser Vorstellung sich erhebt, der bleibt innerhalb der blo-ßen Tatsachen stecken. In ihr liegen die Gesetze der organi-schen Entwicklung. Wie durch Keplers drei Grundgesetzedie Vorgänge im Sonnensystem begreiflich sind, so durchGoethes ideelle Urbilder die Gestalten der organischen Na-tur.

Kant, der dem menschlichen Geiste die Fähigkeit abspricht,ein Ganzes ideell zu durchdringen, durch welches ein Man-nigfaltiges in der Erscheinung bestimmt wird, nennt es ein«gewagtes Abenteuer der Vernunft», wenn jemand die ein-zelnen Formen der organischen Welt aus einem Urorganis-mus erklären wolle. Für ihn ist-der Mensch nur imstande,die mannigfaltigen Einzelerscheinungen in einen allgemei-nen Begriff zusammenzufassen, durch den sich der Ver-stand ein Büd macht von der Einheit. Dieses Bild ist aber

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nur im menschlichen Geiste vorhanden und hat nichts zutun mit der schaffenden Gewalt, durch welche die Einheitwirklich die Mannigfaltigkeit aus sich hervorgehen läßt.Das «gewagte Abenteuer der Vernunft» bestände darin,daß jemand annehme, die Erde ließe aus ihrem Mutterschoßerst einfache Organismen von minder zweckmäßiger Bil-dung hervorgehen, die aus sich zweckmäßigere Formen ge-bären. Daß ferner aus diesen noch höhere sich entwickeln,bis hinauf zu den vollkommensten Lebewesen. Wenn auchjemand eine solche Annahme machte, meint Kant, so könneer doch nur eine absichtsvolle Schöpferkraft zu Grunde le-gen, welche der Entwicklung einen solchen Anstoß gege-ben hat, daß sich alle ihre einzelnen Glieder zweckmäßigentwickeln. Der Mensch nimmt eben eine Vielheit mannig-faltiger Organismen wahr; und da er nicht in sie hineindrin-gen kann, um zu sehen, wie sie sich selbst eine Form geben,die dem Lebenselement angepaßt ist, in dem sie sich ent-wickeln, so muß er sich vorstellen, sie seien von außen herso eingerichtet, daß sie innerhalb ihrer Bedingungen lebenkönnen. Goethe legt sich die Fähigkeit bei, zu erkennen,wie die Natur aus dem Ganzen das Einzelne, aus dem Innerndas Äußere schafft. Was Kant «Abenteuer der Vernunft»nennt, will er deshalb mutig bestehen (vgl. den Aufsatz«Anschauende Urteilskraft», Kürschner, Bd. 33, S. 115 f.).Wenn wir keinen anderen Beweis dafür hätten, daß Goetheden Gedanken einer Blutsverwandtschaft aller organischenFormen innerhalb der hier angedeuteten Grenzen als be-rechtigt anerkennt, wir müßten es aus diesem Urteil überKants «Abenteuer der Vernunft» folgern.

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Ein noch vorhandener skizzenhafter «Entwurf einer Mor-phologie » läßt erraten, daß Goethe den Plan hatte, die be-sonderen Gestalten in ihrer Stufenfolge darzustellen, dieseine Urpflanze und sein Urtier in den Hauptformen der Le-bewesen annehmen (vgl. Sophien-Ausgabe, 2. Abt., Band 6,S. 321). Er wollte zuerst das Wesen des Organischen schil-dern, wie es ihm bei seinem Nachdenken über Tiere undPflanzen aufgegangen. Dann «aus einem Punkte ausge-hend» zeigen, wie das organische Urwesen sich nach dereinen Seite zu der mannigfaltigen Pflanzenwelt, nach deranderen zu der Vielheit der Tierformen entwickelt, wie diebesonderen Formen der Würmer, Insekten, der höherenTiere und die Form des Menschen aus dem allgemeinen Ur-bilde abgeleitet werden können. Auch auf die Physiogno-mik und Schädellehre sollte ein Licht fallen. Die äußere Ge-stalt im Zusammenhange mit den inneren geistigen Fähig-keiten darzustellen, machte sich Goethe zur Aufgabe. Esdrängte ihn, den organischen Bildungstrieb, der sich in denniederen Organismen in einer einfachen äußeren Erschei-nung darbietet, zu verfolgen in seinem Streben, sich stufen-weise in immer vollkommeneren Gestalten zu verwirkli-chen, bis er sich in dem Menschen eine Form gibt, die diesenzum Schöpfer der geistigen Erzeugnisse geeignet macht.

Dieser Plan Goethes ist ebensowenig zur Ausführung ge-kommen, wie ein anderer, zu dem das Fragment «Vorarbei-ten zu einer Physiologie der Pflanzen » ein Anlauf ist (vgl.Weimarer-Ausgabe, 2. Abt.,Band 6,S. 286 ff.). Goethe wolltezeigen, wie alle einzelnen Zweige des Naturerkennens: Na-turgeschichte, Naturlehre, Anatomie, Chemie, Zoonomieund Physiologie zusammenwirken müssen, um von einerhöheren Anschauungsweise dazu verwendet zu werden,

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Gestalten und Vorgänge der Lebewesen zu erklären. Erwollte eine neue Wissenschaft, eine allgemeine Morpholo-gie der Organismen aufstellen, «zwar nicht dem Gegen-stande nach, denn derselbe ist bekannt, sondern der Ansichtund der Methode nach, welche sowohl der Lehre selbst eineeigene Gestalt geben muß, als ihr auch gegen andere Wis-senschaften ihren Platz anzuweisen hat...». Was die Anato-mie, Naturgeschichte, Naturlehre, Chemie, Zoonomie,Physiologie an einzelnen Naturgesetzen darbieten, soll vonder lebendigen Vorstellung des Organischen ebenso aufge-nommen und auf eine höhere Stufe gestellt werden, wie dasLebewesen selbst die einzelnen Naturvorgänge in den Kreisseiner Bildung aufnimmt und auf eine höhere Stufe des Wir-kens stellt.

*

Goethe ist zu den Ideen, die ihm durch das Labyrinth derlebendigen Gestalten durchhalfen, auf eigenen Wegen ge-langt. Die herrschenden Anschauungen über wichtige Ge-biete des Naturwirkens widersprachen seiner allgemeinenWeltanschauung. Deshalb mußte er sich selbst über solcheGebiete Vorstellungen ausbilden, die seinem Wesen gemäßwaren. Er war aber überzeugt, daß es nichts Neues unterder Sonne gebe, und daß man «gar wohl in Überlieferungenschon angedeutet finden könne, was man selbst gewahrwird ». Er teilt gelehrten Freunden aus diesem Grund seineSchrift über die «Metamorphose der Pflanzen» mit undbittet sie, ihm darüber Auskunft zu geben, ob über den be-handelten Gegenstand schon etwas geschrieben oder über-liefert ist. Er hat die Freude, daß ihn Friedrich August Wolfauf einen «trefflichen Vorarbeiter », Kaspar Friedrich Wolffy

aufmerksam macht. Goethe macht sich mit dessen 1759 er-

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schienenen «Theoria generationis » bekannt. Gerade an die-sem Vorarbeiter aber ist zu beobachten, wie jemand einerichtige Ansicht über die Tatsachen haben und doch nichtzur vollendeten Idee der organischen Bildung kommenkann, wenn er nicht fähig ist, sich durch ein höheres als dassinnliche Anschauungsvermögen in den Besitz der sinnlich-übersinnlichen Form des Lebens zu setzen. Wolffist ein ausge-zeichneter Beobachter. Er sucht durch mikroskopische Un-tersuchungen sich über die Anfänge des Lebens aufzuklä-ren. Er erkennt in dem Kelch, der Blumenkrone, den Staub-gefäßen, dem Stempel, dem Samen, umgewandelte Blätter.Aber er schreibt die Umwandlung einer allmählichen Ab-nahme der Lebenskraft zu, die in dem Maße sich vermin-dern soll; als die Vegetation länger fortgesetzt wird, umendlich ganz zu verschwinden. Kelch, Krone usw. sind ihmdaher eine unvollkommene Ausbildung der Blätter. WolfFist als Gegner Hallers aufgetreten, der die Präformations-oder Einschachtelungslehre vertrat. Nach dieser sollten alleGlieder eines ausgewachsenen Organismus im Keim schonim Kleinen vorgebildet sein, und zwar in derselben Gestaltund gegenseitigen Anordnung wie im vollendeten Lebe-wesen. Die Entwicklung eines Organismus ist demzufolgenur eine Auswicklung des schon Vorhandenen. WolfF ließnur das gelten, was er mit Augen sah. Und da der einge-schachtelte Zustand eines Lebewesens auch durch die sorg-fältigsten Beobachtungen nicht zu entdecken war, betrach-tete er die Entwicklung als eine wirkliche Neubildung. DieGestalt eines organischen Wesens ist, nach seiner Ansicht,im Keime noch nicht vorhanden. Goethe ist derselben Mei-nung in Bezug auf die äußere Erscheinung. Auch er lehntdie Einschachtelungslehre Hallers ab. Für Goethe ist der

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Organismus im Keime zwar vorgebildet, aber nicht deräußeren Erscheinung, sondern der Idee nach. Die äußere Er-scheinung betrachtet auch er als eine Neubildung. Aber erwirft WolfF vor, daß dieser da, wo er nichts mit den Augendes Leibes sieht, auch mit Geistesaugen nichts wahr-nimmt. WolfF hatte keine Vorstellung davon, daß etwas derIdee nach doch vorhanden sein kann, auch wenn es nicht indie äußere Erscheinung tritt. «Deshalb ist er immer be-müht, auf die Anfänge der Lebensbildung durch mikrosko-pische Untersuchungen zu dringen, und so die organischenEmbryonen von ihrer frühesten Erscheinung bis zur Aus-bildung zu verfolgen. Wie vortrefflich diese Methode auchsei, durch die er soviel geleistet hat, so dachte der trefflicheMann doch nicht, daß es ein Unterschied sei zwischen Sehenund Sehen, daß die Geistesaugen mit den Augen des Leibesin stetem lebendigen Bunde zu wirken haben, weil mansonst in Gefahr gerät zu sehen und doch vorbeizusehen. —Bei der Pflanzenverwandlung sah er dasselbige Organ sichimmerfort zusammenziehen, sich verkleinern; daß aber die-ses Zusammenziehen mit einer Ausdehnung abwechsle, saher nicht. Er sah, daß es sich an Volum verringere, und be-merkte nicht, daß es sich zugleich veredle, und schrieb da-her den Weg zur Vollendung, widersinnig, einer Verküm-merung zu» (Kürschner, Band 33, S. 107f.).

Bis zu seinem Lebensende stand Goethe mit zahlreichen Na-turforschern in persönlichem und schriftlichem Verkehre.Er beobachtete die Fortschritte der Wissenschaft von denLebewesen mit dem regsten Interesse; er sah mit Freuden,wie in diesem Erkenntnisgebiete Vorstellungsarten Ein-

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gang fanden, die sich der seinigen näherten und wie auchseine Metamorphosenlehre von einzelnen Forschern aner-kannt und fruchtbar gemacht wurde. Im Jahre 1817 beganner seine Arbeiten zu sammeln und in einer Zeitschrift, dieer unter dem Titel «Zur Morphologie» begründete, her-auszugeben. Zu einer Weiterbildung seiner Ideen über or-ganische Bildung durch eigene Beobachtung oder Reflexionkam er trotz alledem nicht mehr. Zu einer eingehenderenBeschäftigung mit solchen Ideen fand er sich nur nochzweimal angeregt. In beiden Fällen fesselten ihn wissen-schaftliche Erscheinungen, in denen er eine Bestätigung sei-ner Gedanken fand. Die eine waren die Vorträge, die K. F.Ph.Martius über die «Vertikal- und Spiraltendenz der Ve-getation» auf den Naturforscherversammlungen in denJahren 1828 und 1829 hielt und von denen die Zeitschrift«Isis» Auszüge brachte; die andere ein naturwissenschaft-licher Streit in der französischen Akademie, der im Jahre1830 zwischen Geoflfroy Saint-Hilaire und Cuvier ausbrach.

Martius dachte sich das Wachstum der Pflanze von zweiTendenzen beherrscht, von einem Streben in der senkrech-ten Richtung, wovon Wurzel und Stengel beherrscht wer-den; und von einem anderen, wodurch Blätter-, Blütenor-gane usw. veranlaßt werden, sich gemäß der Form einerSpirallinie an die senkrechten Organe anzugliedern. Goethegriff diese Ideen auf und brachte sie mit seiner Vorstellungvon der Metamorphose in Verbindung. Er schrieb einenlängeren Aufsatz (Kürschner, Band 3 3), in dem er alle seineErfahrungen über die Pflanzenwelt zusammenstellte, dieihm auf das Vorhandensein der zwei Tendenzen hinzudeu-ten schienen. Er glaubt, daß er diese Tendenzen in seineIdee der Metamorphose aufnehmen müsse. «Wir mußten

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annehmen: es walte in der Vegetation eine allgemeine Spi-raltendenz, wodurch, in Verbindung mit dem vertikalenStreben, aller Bau, jede Bildung der Pflanzen nach dem Ge-setze der Metamorphose vollbracht wird.» Das Vorhanden-sein der Spiralgefäße in einzelnen Pflanzenorganen faßtGoethe als Beweis auf, daß die Spiraltendenz das Leben derPflanze durchgreifend beherrscht. «Nichts ist der Naturgemäßer, als daß sie das, was sie im ganzen intentioniert,durch das Einzelnste in Wirksamkeit setzt.» «Man trete zurSommerzeit vor eine im Gartenboden eingesteckte Stange,an welcher eine Winde (Konvolvel) von unten an sich fort-schlängelnd in die Höhe steigt, sich fest anschließend ihrlebendiges Wachstum verfolgt. Man denke sich nun Kon-volvel und Stange, beide gleich lebendig, aus einer Wurzelaufsteigend, sich wechselweise hervorbringend und so un-aufhaltsam fortschreitend. Wer sich diesen Anblick in eininneres Anschauen verwandeln kann, der wird sich denBegriff sehr erleichtert haben. Die rankende Pflanze suchtdas außer sich, was sie sich selbst geben sollte und nichtvermag.» Dasselbe Gleichnis wendet Goethe am 15. März1832 in einem Briefe an den Grafen Sternberg an und setztdie Worte hinzu: «Freilich paßt dies Gleichnis nicht ganz,denn im Anfang mußte die Schlingpflanze um den sich er-hebenden Stamm in kaum merklichen Kreisen herumwin-den. Je mehr sie sich aber der oberen Spitze näherte, destoschneller mußte die Schraubenlinie sich drehen, um endlich(bei der Blüte) in einem Kreise auf einen Diskus sich zuversammeln, dem Tanze ähnlich, wo man sich in der Ju-gend gar oft Brust an Brust, Herz an Herz mit den liebens-würdigsten Kindern selbst wider Willen gedrückt sah.Verzeih diese Anthropomorphismen.» Ferdinand Cohn be-

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merkt zu dieser Stelle: «Hätte Goethe nur noch Darwinerlebt! ... wie würde er sich des Mannes erfreut haben, derdurch streng induktive Methode klare und überzeugendeBeweise für seine Ideen zu finden wußte...» Darwin meint,von fast allen Pflanzenorganen zeigen zu können, daß siein der Zeit ihres Wachstums die Tendenz zu schraubenför-migen Bewegungen haben, die er Circumnutation nennt.

Im September 1830 spricht sich Goethe in einem Aufsatzüber den Streit der beiden Naturforscher Cuvier und Geof-froy Saint-Hilaire aus; im März 1832 setzt er diesen Auf-satz fort. Der Tatsachenfanatiker Cuvier trat im Februarund März 1830 in der französischen Akademie gegendie Ausführungen Geoffroy Saint-Hilaires auf, der, nachGoethes Meinung, zu «einer hohen, der Idee gemäßenDenkweise gelangt» war. Cuvier ist ein Meister im Unter-scheiden der einzelnen organischen Formen. Geoffroy be-müht sich, die Analogien in diesen Formen aufzusuchenund den Nachweis zu führen, die Organisation der Tiere sei«einem allgemeinen, nur hier und da modifizierten Plan,woher die Unterscheidung derselben abzuleiten sei, unter-worfen». Er strebt die Verwandtschaft der Gesetze zu er-kennen und ist der Überzeugung, das Einzelne könne ausdem Ganzen nach und nach entwickelt werden. Goethe be-trachtet Geoffroy als Gesinnungsgenossen; er spricht dasam 2.August 1830 zu Eckermann mit den Worten aus:«Jetzt ist nun auch GeofTroy de Saint-Hilaire entschiedenauf unserer Seite und mit ihm alle seine bedeutenden Schü-ler und Anhänger Frankreichs. Dieses Ereignis ist für michvon ganz unglaublichem Wert und ich juble mit Recht überden endlich erlebten allgemeinen Sieg einer Sache, der ichmein Leben gewidmet habe und die ganz vorzüglich auch

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die meinige ist.» GeofFroy übt eine Denkweise, die auchdie Goethes ist, er sucht in der Erfahrung mit dem sinnlichMannigfaltigen zugleich auch die Idee der Einheit zu er-greifen; Cuvier hält sich an das Mannigfaltige, an das Ein-zelne, weil ihm bei dessen Betrachtung die Idee nicht zu-gleich aufgeht. GeofFroy hat eine richtige Empfindung vondem Verhältnisse des Sinnlichen zur Idee; Cuvier hat sienicht. Deshalb bezeichnet er GeofFroys umfassendes Prin-zip als anmaßlich, ja, erklärt es sogar für untergeordnet.Man kann besonders an Naturforschern die Erfahrungmachen, daß sie absprechend über ein «bloß» Ideelles, Ge-dachtes sprechen. Sie haben kein Organ für das Ideelleund kennen daher dessen Wirkungskreise nicht. Goethewurde dadurch, daß er dieses Organ in besonders voll-kommener Ausbildung besaß, von seiner allgemeinen Welt-anschauung aus zu seinen tiefen Einsichten in das Wesendes Lebendigen geführt. Seine Fähigkeit, die Geistesaugenmit den Augen des Leibes in stetem lebendigen Bundewirken zu lassen, machte es ihm möglich, die einheitlichesinnlich-übersinnliche Wesenheit anzuschauen, die sichdurch die organische Entwicklung hindurchzieht, unddiese Wesenheit auch da anzuerkennen, wo ein Organ sichaus dem andern herausbildet, durch Umbildung seine Ver-wandtschaft, seine Gleichheit mit dem vorhergehendenverbirgt, verleugnet und sich in Bestimmung wie in Bil-dung in dem Grade verändert, daß keine Vergleichungnach äußeren Kennzeichen mehr mit dem vorhergehen-den stattfinden könne. (Vgl. den Aufsatz über JoachimJungius, Kürschner, Band 34.) Das Sehen mit den Augendes Leibes vermittelt die Erkenntnis des Sinnlichen undMateriellen; das Sehen mit Geistes-Augen führt zur An-

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schauung der Vorgänge im menschlichen Bewußtsein, zurBeobachtung der Gedanken-, Gefühls- und Willenswelt;der lebendige Bund zwischen geistigem und leiblichemAuge befähigt zur Erkenntnis des Organischen, das alssinnlich-übersinnliches Element zwischen dem rein Sinn-lichen und rein Geistigen in der Mitte liegt.

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DIE BETRACHTUNG DER FARBENWELT

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DIE ERSCHEINUNGEN DER FARBENWELT

Goethe wird durch die Empfindung, daß die «hohen Kunst-werke ... von Menschen nach wahren und natürlichen Geset-zen hervorgebracht» sind, fortwährend angeregt, diesewahren und natürlichen Gesetze des künstlerischen Schaf-fens aufzusuchen. Er ist überzeugt, die Wirkung einesKunstwerkes müsse darauf beruhen, daß aus demselbeneine natürliche Gesetzmäßigkeit herausleuchtet. Er willdiese Gesetzmäßigkeit erkennen. Er will wissen, aus wel-chem Grunde die höchsten Kunstwerke zugleich die höch-sten Naturwerke sind. Es wird ihm klar, daß die Griechennach eben den Gesetzen verfuhren, nach denen die Naturverfährt, als sie «aus der menschlichen Gestalt den Kreisgöttlicher Bildung» entwickelten (Italienische Reise, 28.Januar 1787). Er will sehen, wie die Natur diese Bildungzustande bringt, um sie in den Kunstwerken verstehen zukönnen. Goethe schildert, wie es ihm in Italien allmählichgelungen ist, zu einer Einsicht in die natürliche Gesetz-mäßigkeit des künstlerischen Schaffens zu kommen (vgl.«Konfession des Verfassers», Kürschner, Band 36). «ZumGlück konnte ich mich an einigen von der Poesie herüber-gebrachten, mir durch inneres Gefühl und langen Ge-brauch bewährten Maximen festhalten, so daß es mir zwarschwer, aber nicht unmöglich ward, durch ununterbroche-nes Anschauen der Natur und Kunst, durch lebendigeswirksames Gespräch mit mehr oder weniger einsichtigenKennern, durch stetes Leben mit mehr oder weniger prak-tischen oder denkenden Künstlern, nach und nach mirdie Kunst überhaupt einzuteilen, ohne sie zu zerstückeln,und ihre verschiedenen, lebendig ineinander greifenden

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Elemente gewahr zu werden.» Nur ein einziges Elementwill ihm nicht die natürlichen Gesetze offenbaren, nachdenen es im Kunstwerke wirkt: das Kolorit. Mehrere Ge-mälde werden «in seiner Gegenwart erfunden und kom-poniert, die Teile, der Stellung und der Form nach, sorg-fältig durchstudiert». Die Künstler können ihm Rechen-schaft geben, wie sie bei der Komposition verfahren. So-bald aber die Rede aufs Kolorit kommt, da scheint allesvon der Willkür abzuhängen. Niemand weiß, welcher Be-zug zwischen Farbe und Helldunkel, und zwischen den ein-zelnen Farben herrscht. Worauf es beruht, daß Gelb einenwarmen und behaglichen Eindruck macht, Blau die Emp-findung der Kälte hervorruft, daß Gelb und Rotblau neben-einander eine harmonische Wirkung hervorbringen, dar-über kann Goethe keinen Aufschluß gewinnen. Er siehtein, daß er sich mit der Gesetzmäßigkeit der Farbenwelt inder Natur erst bekannt machen muß, um von da aus in dieGeheimnisse des Kolorits einzudringen.

Weder die Begriffe über die physische Natur der Farben-erscheinungen, die Goethe von seiner Studienzeit her nochim Gedächtnis hatte, noch die physikalischen Kompendien,die er um Rat fragte, erwiesen sich für seinen Zweck alsfruchtbar. «Wie alle Welt war ich überzeugt, daß die sämt-lichen Farben im Licht enthalten seien; nie war es mir an-ders gesagt worden und niemals hatte ich die geringste Ur-sache gefunden, daran zu zweifeln, weil ich bei der Sachenicht weiter interessiert war» («Konfession des Verfas-sers », Kürschner, Band 36/2). Als er aber anfing, interessiertzu sein, da fand er, daß er aus dieser Ansicht nichts für seinenZweck entwickeln konnte. Der Begründer dieser Ansicht,die Goethe bei den Naturforschern herrschend fand und die

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heute noch dieselbe Stellung einnimmt, ist Newton. Sie be-hauptet, das weiße Licht, wie es von der Sonne ausgeht, istaus farbigen Lichtern zusammengesetzt. Die Farben ent-stehen dadurch, daß die einzelnen Bestandteile aus dem wei-ßen Lichte ausgesondert werden. Läßt man durch einekleine runde Öffnung Sonnenlicht in ein dunkles Zimmertreten, und fängt es auf einem weißen Schirme, der senk-recht gegen die Richtung des einfallenden Lichtes gestelltwird, auf, so erhält man ein weißes Sonnenbild. Stellt manzwischen die Öffnung und den Schirm ein Glasprisma,durch welches das Licht durchstrahlt, so verändert sich dasweiße runde Sonnenbild. Es erscheint verschoben, in dieLänge gezogen und farbig. Man nennt dieses Bild Sonnen-spektrum. Bringt man das Prisma so an, daß die oberen Par-tien des Lichtes einen kürzeren Weg innerhalb der Glas-masse zurückzulegen haben als die unteren, so ist das far-bige Bild nach unten verschoben. Der obere Rand des Bil-des ist rot, der untere violett; das Rote geht nach unten inGelb, das Violette nach oben in Blau über; die mittlere Par-tie des Bildes ist im allgemeinen weiß. Nur bei einer gewissenEntfernung des Schirmes vom Prisma verschwindet dasWeiße in der Mitte vollständig; das ganze Bild erscheintfarbig, und zwar von oben nach unten in der Folge: rot,orange, gelb, grün, hellblau, indigo, violett. Aus diesemVersuche schließen Newton und seine Anhänger, daß dieFarben ursprünglich in dem weißen Lichte enthalten seien,aber miteinander vermischt. Durch das Prisma werden sievoneinander gesondert. Sie haben die Eigenschaft, beimDurchgange durch einen durchsichtigen Körper verschie-den stark von ihrer Richtung abgelenkt, das heißt gebro-chen zu werden. Das rote Licht wird am wenigsten, das vio-

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lette am meisten gebrochen. Nach der Stufenfolge ihrerBrechbarkeit erscheinen sie im Spektrum. Betrachtet maneinen schmalen Papierstreifen auf schwarzem Grunde durchdas Prisma, so erscheint derselbe ebenfalls abgelenkt. Er istzugleich breiter und an seinen Rändern farbig. Der obereRand erscheint violett, der untere rot; das Violette gehtauch hier ins Blaue, das Rote ins Gelbe über; die Mitte istim allgemeinen weiß. Nur bei einer gewissen Entfernungdes Prismas von dem Streifen erscheint dieser ganz farbig.In der Mitte erscheint wieder das Grün. Auch hier soll dasWeiße des Papier Streifens in seine farbigen Bestandteileverlegt sein. Daß nur bei einer gewissen Entfernung desSchirmes oder Streifens vom Prisma alle Farben erscheinen,während sonst die Mitte weiß ist, erklären die Newtonianereinfach. Sie sagen: in der Mitte fallen die stärker abgelenk-ten Lichter vom oberen Teil des Bildes mit den schwächerabgelenkten vom unteren zusammen und vermischen sichzu Weiß. Nur an den Rändern erscheinen die Farben, weilhier in die am schwächsten abgelenkten Lichtteile keinestärker abgelenkten von oben und in die am stärksten abge-lenkten keine schwächer abgelenkten von unten hineinfal-len können.

Dies ist die Ansicht, aus der Goethe für seinen Zwecknichts entwickeln kann. Er will deshalb die Erscheinungenselbst beobachten. Er wendet sich an Hofrat Büttner inJena, der ihm die Apparate leihweise überläßt, mit denen erdie nötigen Versuche anstellen kann. Er ist zunächst mitanderen Arbeiten beschäftigt und will, auf Büttners Drän-gen, die Apparate wieder zurückgeben. Vorher nimmt erdoch noch ein Prisma zur Hand, um durch dasselbe auf einevöllig geweißte Wand zu sehen. Er erwartet, daß sie in ver-

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schiedenen Stufen gefärbt erscheine. Aber sie bleibt weiß.Nur an den Stellen, wo das Weiße an Dunkles stößt, tretenFarben auf. Die Fensterstäbe erscheinen in den allerlebhaf-testen Farben. Aus diesen Beobachtungen glaubt Goethezu erkennen, daß die Newtonsche Anschauung falsch sei,daß die Farben nicht im weißen Lichte enthalten seien. DieGrenze, das Dunkle, müsse mit der Entstehung der Farbenetwas zu tun haben. Er setzt die Versuche fort. Weiße Flä-chen auf schwarzem und schwarze Flächen auf weißemGrunde werden betrachtet. Allmählich bildet er sich eineeigene Ansicht. Eine weiße Scheibe auf schwarzem Grundeerscheint beim Durchblicken durch das Prisma verschoben.Die oberen Partien der Scheibe, meint Goethe, schiebensich über das angrenzende Schwarz des Untergrundes; wäh-rend sich dieser Untergrund über die unteren Partien derScheibe hinzieht. Sieht man nun durch das Prisma, so er-blickt man durch den oberen Scheibenteil den schwarzenGrund wie durch einen weißen Schleier. Besieht man sichden unteren Teil der Scheibe, so scheint dieser durch dasübergelagerte Dunkel hindurch. Oben wird ein Helles überein Dunkles geführt; unten ein Dunkles über ein Helles.Der obere Rand erscheint blau, der untere gelb. Das Blaugeht gegen das Schwarze zu in Violett; das Gelbe nach un-ten in ein Rot über. Wird das Prisma von der beobachtetenScheibe entfernt, so verbreitern sich die farbigen Ränder;das Blau nach unten, das Gelb nach oben. Bei hinreichenderEntfernung greift das Gelb von unten über das Blau vonoben; durch das Übereinandergreifen entsteht in der MitteGrün. Zur Bestätigung dieser Ansicht betrachtet Goetheeine schwarze Scheibe auf weißem Grunde durch das Pris-ma. Nun wird oben ein Dunkles über ein Helles, unten ein

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Helles über ein Dunkles geführt. Oben erscheint Gelb, un-ten Blau. Bei Verbreiterung der Ränder durch Entfernungdes Prismas von der Scheibe wird das untere Blau, das all-mählich gegen die Mitte zu in Violett übergeht, über dasobere Gelb, das in seiner Verbreiterung nach und nach einenroten Ton erhält, geführt. Es entsteht in der Mitte Pflrsich-blüt. Goethe sagte sich: was für die weiße Scheibe richtigist, muß auch für die schwarze gelten. «Wenn sich dort dasLicht in so vielerlei Farben auflöst... so müßte ja hier auchdie Finsternis als in Farben aufgelöst angesehen werden.»(«Konfession des Verfassers », Kürschner, Band 36/2.) Goe-the teilt nun seine Beobachtungen und die Bedenken, dieihm daraus gegen die Newtonsche Anschauung erwachsensind, einem ihm bekannten Physiker mit. Dieser erklärt dieBedenken für unbegründet. Er leitete die farbigen Ränderund das Weiße in der Mitte, sowie dessen Übergang inGrün, bei gehöriger Entfernung des Prismas von dem be-obachteten Objekt, im Sinne der Newtonschen Ansicht ab.Ähnlich verhalten sich andere Naturforscher, denen Goe-the die Sache vorlegt. Er setzt die Beobachtungen, für die ergerne Beihilfe von kundigen Fachleuten gehabt hätte, alleinfort. Er läßt ein großes Prisma aus Spiegelscheiben zusam-mensetzen, das er mit reinem Wasser anfüllt. Weil er be-merkt, daß die gläsernen Prismen, deren Querschnitt eingleichseitiges Dreieck ist, wegen der starken Verbreiterungder Farbenerscheinung dem Beobachter oft hinderlich sind,läßt er seinem großen Prisma den Querschnitt eines gleich-schenkeligen Dreieckes geben, dessen kleinster Winkel nurfünfzehn bis zwanzig Grade groß ist. Die Versuche, welchein der Weise angestellt werden, daß das Auge durch dasPrisma auf einen Gegenstand blickt, nennt Goethe subjektiv,

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Sie stellen sich dem Auge dar, sind aber nicht in der Außen-welt fixiert. Er will zu diesen noch objektive hinzufügen.Dazu bedient er sich des Wasserprismas. Das Licht scheintdurch ein Prisma durch, und hinter dem Prisma wird dasFarbenbild auf einem Schirme aufgefangen. Goethe läßtnun das Sonnenlicht durch die Öffnungen ausgeschnittenerPappen hindurchgehen. Er erhält dadurch einen erleuchte-ten Raum, der ringsherum von Dunkelheit begrenzt ist.Diese begrenzte Lichtmasse geht durch das Prisma undwird durch dasselbe von ihrer Richtung abgelenkt. Hältman der aus dem Prisma kommenden Lichtmasse einenSchirm entgegen, so entsteht auf demselben ein Bild, das imallgemeinen an den Rändern oben und unten gefärbt ist. Istdas Prisma so gestellt, daß sein Querschnitt von oben nachunten schmäler wird, so ist der obere Rand des Bildes blau,der untere gelb gefärbt. Das Blau geht gegen den dunklenRaum in Violett, gegen die helle Mitte zu in Hellblau über;das Gelbe gegen die Dunkelheit zu in Rot. Auch bei dieserErscheinung leitet Goethe die Farbenerscheinung von derGrenze her. Oben strahlt die helle Lichtmasse in den dunk-len Raum hinein; sie erhellt ein Dunkles, das dadurch blauerscheint. Unten strahlt der dunkle Raum in die Lichtmassehinein; er verdunkelt ein Helles und läßt es gelb erscheinen.Durch Entfernung des Schirmes von dem Prisma werdendie Farbenränder breiter, das Gelbe nähert sich dem Blauen.Durch Einstrahlung des Blauen in das Gelbe erscheint beihinlänglicher Entfernung des Schirmes vom Prisma in derMitte des Bildes Grün. Goethe macht sich das Hineinstrah-len des Hellen in das Dunkle und des Dunklen in das Helledadurch anschaulich, daß er in der Linie, in welcher dieLichtmasse durch den dunklen Raum geht, eine weiße feine

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Staubwolke erregt, die er durch feinen trockenen Haar-puder hervorbringt. «Die mehr oder weniger gefärbte Er-scheinung wird nun durch die weißen Atome aufgefangenund dem Auge in ihrer ganzen Breite und Länge darge-stellt.» (Farbenlehre, didaktischer Teil § 3 26.) Goethe findetseine Ansicht, die er an den subjektiven Erscheinungen ge-wonnen, durch die objektiven bestätigt. Die Farben werdendurch das Zusammenwirken von Hell und Dunkel hervor-gebracht. Das Prisma dient nur dazu, Hell und Dunkel über-einander zu schieben.

Goethe kann, nachdem er diese Versuche gemacht hat, dieNewtonische Ansicht nicht zu der seinigen machen. Es gehtihm mit ihr ähnlich, wie mit der Hallerschen Einschachte-lungslehre. Wie diese den ausgebildeten Organismus be-reits mit allen seinen Teilen im Keime enthalten denkt, soglauben die Newtonianer, daß die Farben, die unter gewis-sen Bedingungen am Lichte erscheinen, in diesem schoneingeschlossen seien. Er könnte gegen diesen Glauben die-selben Worte gebrauchen, die er der Einschachtelungslehreentgegengehalten hat, sie «beruhe auf einer bloßen außer-sinnlichen Einbildung, auf einer Annahme, die man zu den-ken glaubt, aber in der Sinnen weit niemals darstellen kann.»(Vgl. den Aufsatz über K. Fr. WolfT, Kürschner, Band 33.)Ihm sind die Farben Neubildungen, die an dem Lichte ent-wickelt werden, nicht Wesenheiten, die aus dem Lichte bloßausgewickelt werden. Wegen seiner «der Idee gemäßenDenkweise» muß er die Newtonsche Ansicht ablehnen.Diese kennt das Wesen des Ideellen nicht. Nur was tatsäch-lich vorhanden ist, erkennt sie an; was in derselben Weisevorhanden ist wie das Sinnlich-Wahrnehmbare. Und wo sie

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die Tatsächlichkeit nicht durch die Sinne nachweisen kann,da nimmt sie dieselbe hypothetisch an. Weil am Lichte dieFarben sich entwickeln, also der Idee nach schon in demselbenenthalten sein müssen, glaubt sie, sie seien auch tatsächlich,materiell in demselben enthalten und werden durch das Pris-ma und die dunkle Umgrenzung nur hervorgeholt. Goetheweiß, daß die Idee in der Sinnenwelt wirksam ist; deshalbversetzt er etwas, was als Idee vorhanden ist, nicht in denBereich des Tatsächlichen. In der unorganischen Naturwirkt das Ideelle ebenso wie in der organischen, nur nichtals sinnlich-übersinnliche Form. Seine äußere Erscheinungist ganz materiell, bloß sinnlich. Es dringt nicht ein in dasSinnliche; es durchgeistigt dieses nicht. Die Vorgänge derunorganischen Natur verlaufen gesetzmäßig, und diese Ge-setzmäßigkeit stellt sich dem Beobachter als Idee dar. Wennman an einer Stelle des Raumes weißes Licht und an einerandern Farben wahrnimmt, die an demselben entstehen, sobesteht zwischen den beiden Wahrnehmungen ein gesetz-mäßiger Zusammenhang, der als Idee vorgestellt werdenkann. Wenn aber jemand diese Idee verkörperlicht und alsTatsächliches in den Raum hinaus versetzt, das von demGegenstande der einen Wahrnehmung in den der andernhinüberzieht, so entspringt das aus einer grob sinnlichenVorstellungsweise. Dieses Grobsinnliche ist es, was Goethevon der Newtonschen Anschauung zurückstößt. Die Ideeist es, die einen unorganischen Vorgang in den andern hin-überleitet, nicht ein Tatsächliches, das von dem einen zudem andern wandert.

Die Goethesche Weltanschauung kann nur zwei Quellenfür alle Erkenntnis der unorganischen Naturvorgänge an-erkennen: dasjenige, was an diesen Vorgängen sinnlich

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wahrnehmbar ist, und die ideellen Zusammenhänge des Sinn-lich-Wahrnehmbaren, die sich dem Denken offenbaren. Dieideellen Zusammenhänge innerhalb der Sinneswelt sindnicht gleicher Art. Es gibt solche, die unmittelbar einleuch-tend sind, wenn sinnliche Wahrnehmungen nebeneinanderoder nacheinander auftreten, und andere, die man erstdurchschauen kann, wenn man sie auf solche der ersten Artzurückführt. In der Erscheinung, die sich dem Auge dar-bietet, wenn es ein Dunkles durch ein Helles ansieht undBlau wahrnimmt, glaubt Goethe einen Zusammenhang derersten Art zwischen Licht, Finsternis und Farbe zu erken-nen. Ebenso ist es, wenn Helles durch ein Dunkles ange-schaut, gelb ergibt. Die Randerscheinungen des Spektrumslassen einen Zusammenhang erkennen, der durch unmittel-bares Beobachten klar wird. Das Spektrum, das in einerStufenfolge sieben Farben vom Rot bis zum Violett zeigt,kann nur verstanden werden, wenn man sieht, wie zu denBedingungen, durch welche die Randerscheinungen ent-stehen, andere hinzugefügt werden. Die einfachen Rand-erscheinungen haben sich in dem Spektrum zu einem kom-plizierten Phänomen verbunden, das nur verstanden wer-den kann, wenn man es aus den Grunderscheinungen ablei-tet. Was in dem Grundphänomen in seiner Reinheit vordem Beobachter steht, das erscheint in dem komplizierten,durch die hinzugefügten Bedingungen, unrein, modifiziert.Die einfachen Tatbestände sind nicht mehr unmittelbar zuerkennen. Goethe sucht daher die komplizierten Phäno-mene überall auf die einfachen, reinen zurückzuführen. Indieser Zurückführung sieht er die Erklärung der unorgani-schen Natur. Vom reinen Phänomen geht er nicht mehrweiter. In demselben offenbart sich ein ideeller Zusammen-

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hang sinnlicher Wahrnehmungen, der sich durch sich selbsterklärt. Das reine Phänomen nennt Goethe Urphänomen.Er sieht es als müßige Spekulation an, über das Urphäno-men weiter nachzudenken. «Der Magnet ist ein Urphäno-men, das man nur aussprechen darf, um es erklärt zu haben.»(Sprüche in Prosa, Kürschner, Bd. 36, S.415) Ein zusam-mengesetztes Phänomen wird erklärt, wenn man zeigt, wiees sich aus Urphänomenen aufbaut.

Die moderne Naturwissenschaft verfährt anders als Goe-the. Sie will die Vorgänge in der Sinnenwelt auf Bewegun-gen kleinster Körperteile zurückführen und bedient sichzur Erklärung dieser Bewegungen derselben Gesetze, durchdie sie die Bewegungen begreift, die sichtbar im Räume vorsich gehen. Diese sichtbaren Bewegungen zu erklären, istAufgabe der Mechanik. Wird die Bewegung eines Körpersbeobachtet, so fragt die Mechanik: Durch welche Kraft ister in Bewegung versetzt worden; welchen Weg legt er ineiner bestimmten Zeit zurück; welche Form hat die Linie,in der er sich bewegt usw. Die Beziehungen der Kraft, deszurückgelegten Weges, der Form der Bahn sucht sie mathe-matisch darzustellen. Nun sagt der Naturforscher: Das roteLicht kann auf eine schwingende Bewegung kleinster Kör-perteile zurückgeführt werden, die sich im Räume fort-pflanzt. Begriffen wird diese Bewegung dadurch, daß mandie in der Mechanik gewonnenen Gesetze auf sie anwendet.Die Wissenschaft der unorganischen Natur betrachtet es alsihr Ziel, allmählich vollständig in angewandte Mechanik über-zugehen.

Die moderne Physik fragt nach der Anzahl der Schwingun-

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genin der Zeiteinheit, welche einer bestimmtenFarbenquali-tät entsprechen. Aus der Anzahl der Schwingungen, die demRot entsprechen und aus derjenigen, welche dem Violettentsprechen, sucht sie den physikalischen Zusammenhangder beiden Farben zu bestimmen. Vor ihren Blicken ver-schwindet das Qualitative; sie betrachtet das Räumlicheund Zeitliche der Vorgänge. Goethe fragt: Welcher Zu-sammenhang besteht zwischen Rot und Violett, wenn manvom Räumlichen und Zeitlichen absieht und bloß das Qua-litative der Farben betrachtet. Die Goethesche Betrach-tungsweise hat zur Voraussetzung, daß das Qualitativewirklich auch in der Außenwelt vorhanden ist und mit demZeitlichen und Räumlichen ein untrennbares Ganzes ist.Die moderne Physik muß dagegen von der Grundanschau-ung ausgehen, daß in der Außenwelt nur Quantitatives,licht- und farblose Bewegungsvorgänge vorhanden seien,und daß alles Qualitative erst als Wirkung des Quantitativenauf den sinn- und geistbegabten Organismus entstehe. Wärediese Annahme richtig, dann könnten die gesetzmäßigenZusammenhänge des Qualitativen auch nicht in der Außen-welt gesucht, sie müßten aus dem Wesen der Sinneswerk-zeuge, des Nervenapparates und des Vorstellungsorganesabgeleitet werden. Die qualitativen Elemente der Vorgängewären dann nicht Gegenstand der physikalischen Untersu-chung, sondern der physiologischen und psychologischen.Dieser Voraussetzung gemäß verfährt die moderne Natur-wissenschaft. Der Organismus übersetzt, nach ihrer An-sicht, entsprechend der Einrichtung seiner Augen, seinesSehnervs und seines Gehirns einen Bewegungsvorgang indie Empfindung des Rot, einen andern in die des Violett.Daher ist alles Äußere der Farbenwelt erklärt, wenn man

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den Zusammenhang der Bewegungsvorgänge durchschauthat, von denen diese Welt bestimmt wird.

Ein Beweis für diese Ansicht wird in folgender Beobach-tung gesucht. Der Sehnerv empfindet jeden äußeren Ein-druck als Lichtempfindung. Nicht nur Licht, sondern auchein Stoß oder Druck auf das Auge, eine Zerrung der Netz-haut bei schneller Bewegung des Auges, ein elektrischerStrom, der durch den Kopf geleitet wird: das alles bewirktLichtempfindung. Dieselben Dinge empfindet ein andererSinn in anderer Weise. Stoß, Druck, Zerrung, elektrischerStrom bewirken, wenn sie die Haut erregen, Tastempfin-dungen. Elektrizität erregt im Ohr eine Gehör-, auf derZunge eine Geschmacksempfindung. Daraus schließt man,daß der Empfindungsinhalt, der im Organismus durch eineEinwirkung von außen auftritt, verschieden ist von demäußeren Vorgange, durch den er veranlaßt wird. Die roteFarbe wird von dem Organismus nicht empfunden, weil siean einen entsprechenden Bewegungsvorgang draußen imRäume gebunden ist, sondern weil Auge, Sehnerv und Ge-hirn des Organismus so eingerichtet sind, daß sie einen farb-losen Bewegungsvorgang in eine Farbe übersetzen. Dashiermit ausgesprochene Gesetz wurde von dem Physiolo-gen Johannes Müller, der es zuerst aufgestellt hat, das Ge-setz der spezifischen Sinnesenergien genannt.

Die angeführte Beobachtung beweist nur, daß der sinn-und geistbegabte Organismus die verschiedenartigsten Ein-drücke in die Sprache der Sinne übersetzen kann, auf die sieausgeübt werden. Nicht aber, daß der Inhalt jeder Sinnes-empfindung auch nur im Innern des Organismus vorhan-den ist. Bei einer Zerrung des Sehnervs entsteht eine unbe-stimmte, ganz allgemeine Erregung, die nichts enthält, was

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veranlaßt, ihren Inhalt in den Raum hinaus zu versetzen.Eine Empfindung, die durch einen wirklichen Lichtein-druck entsteht, ist inhaltlich unzertrennlich verbunden mitdem Räumlich-Zeitlichen, das ihr entspricht. Die Bewe-gung eines Körpers und seine Farbe sind auf ganz gleicheWeise Wahrnehmungsinhalt. Wenn man die Bewegung fürsich vorstellt, so abstrahiert man von dem, was man nochsonst an dem Körper wahrnimmt. Wie die Bewegung, sosind alle übrigen mechanischen und mathematischen Vor-stellungen der Wahrnehmungswelt entnommen. Mathema-tik und Mechanik entstehen dadurch, daß von dem Inhalteder Wahrnehmungswelt ein Teil ausgesondert und für sichbetrachtet wird. In der Wirklichkeit gibt es keine Gegen-stände oder Vorgänge, deren Inhalt erschöpft ist, wenn mandas an ihnen begriffen hat, was durch Mathematik und Me-chanik auszudrücken ist. Alles Mathematische und Mecha-nische ist an Farbe, Wärme und andere Qualitäten gebun-den. Wenn der Physik nötig ist, anzunehmen, daß der Wahr-nehmung einer Farbe Schwingungen im Räume entspre-chen, denen eine sehr kleine Ausdehnung und eine sehrgroße Geschwindigkeit eigen ist, so können diese Bewe-gungen nur analog den Bewegungen gedacht werden, diesichtbar im Räume vorgehen. Das heißt, wenn die Körper-welt bis in ihre kleinsten Elemente bewegt gedacht wird, somuß sie auch bis in ihre kleinsten Elemente hinein mit Farbe,Wärme und andern Eigenschaften ausgestattet vorgestelltwerden. Wer Farben, Wärme, Töne usw. als Qualitäten auf-faßt, die als Wirkungen äußerer Vorgänge durch den vor-stellenden Organismus nur im Innern desselben existieren,der muß auch alles Mathematische und Mechanische, dasmit diesen Qualitäten zusammenhängt, in dieses Innere ver-

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legen. Dann aber bleibt ihm für seine Außenwelt nichtsmehr übrig. Das Rot, das ich sehe, und die Lichtschwingun-gen, die der Physiker als diesem Rot entsprechend nach-weist, sind in Wirklichkeit eine Einheit, die nur der abstra-hierende Verstand voneinander trennen kann. Die Schwin-gungen im Räume, die der Qualität «Rot» entsprechen,würde ich als Bewegung sehen, wenn mein Auge dazu orga-nisiert wäre. Aber ich würde verbunden mit der Bewegungden Eindruck der roten Farbe haben.

Die moderne Naturwissenschaft versetzt ein unwirk-liches Abstraktum, ein aller Empfindungsqualitäten entklei-detes, schwingendes Substrat in den Raum und wundertsich, daß nicht begriffen werden kann, was den vorstellen-den mit Nervenapparaten und Gehirn ausgestatteten Orga-nismus veranlassen kann, diese gleichgültigen Bewegungs-vorgänge in die bunte, von Wärmegraden und Tönendurchsetzte Sinnenwelt zu übersetzen. Du Bois-Reymondnimmt deshalb an, daß der Mensch wegen einer unüber-schreitbaren Grenze seines Erkennens nie verstehen werde,wie die Tatsache: «ich schmecke süß, rieche Rosenduft,höre Orgelton, sehe Rot», zusammenhängt mit bestimmtenBewegungen kleinster Körperteile im Gehirn, welche Be-wegungen wieder veranlaßt werden durch die Schwingun-gen der geschmack-, geruch-, ton- und farbenlosen Ele-mente der äußeren Körperwelt. «Es ist eben durchaus undfür immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlen-stoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomennicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewe-gen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen undsich bewegen werden.» («Grenzen des Naturerkennens»,Leipzig 1882, S. 33 f.) Es liegt aber hier durchaus keine Er-

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kenntnisgrenze vor. Wo im Räume eine Anzahl von Ato-men in einer bestimmten Bewegung ist, da ist notwendigauch eine bestimmte Qualität (z.B. Rot) vorhanden. Undumgekehrt, wo Rot auftritt, da muß die Bewegung vorhan-den sein. Nur das abstrahierende Denken kann das eine vondem andern trennen. Wer die Bewegung von dem übrigenInhalte des Vorganges, zu dem die Bewegung gehört, inder Wirklichkeit abgetrennt denkt, der kann den Übergangvon dem einen zu dem andern nicht wieder finden.

Nur was an einem Vorgang Bewegung ist, kann wiedervon Bewegung abgeleitet werden; was dem Qualitativender Farben- und Lichtwelt angehört, kann auch nur auf einebensolches Qualitatives innerhalb desselben Gebietes zu-rückgeführt werden. Die Mechanik führt zusammenge-setzte Bewegungen auf einfache zurück, die unmittelbar be-greiflich sind. Die Farbentheorie muß komplizierte Farben-erscheinungen auf einfache zurückführen, die in gleicherWeise durchschaut werden können. Ein einfacher Bewe-gungsvorgang ist ebenso ein Urphänomen, wie das Entste-hen des Gelben aus dem Zusammenwirken von Hell undDunkel. Goethe weiß, was die mechanischen Urphänomenefür die Erklärung der unorganischen Natur leisten können.Was innerhalb der Körperwelt nicht mechanisch ist, dasführt er auf Urphänomene zurück, die nicht mechanischerArt sind. Man hat Goethe den Vorwurf gemacht, er habedie mechanische Betrachtung der Natur verworfen und sichnur auf die Beobachtung und Aneinanderreihung des Sinn-lich-Anschaulichen beschränkt. (Vgl. z. B. Harnack in sei-nem Buche «Goethe in der Epoche seiner Vollendung»,Leipzig 1887, S. 12.) Du Bois-Reymond findet («Goetheund kein Ende», Leipzig 1883, S. 29): «Goethes Theore-

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tisieren beschränkt sich darauf, aus einem Urphänomen,wie er es nennt, andere Phänomene hervorgehen zu lassen,etwa wie ein Nebelbild dem andern folgt, ohne einleuch-tenden ursächlichen Zusammenhang. Der Begriff der mecha-nischen Kausalität war es, der Goethe gänzlich abging». Was tut

aber die Mechanik anderes, als verwickelte Vorgänge auseinfachen Urphänomenen hervorgehen lassen? Goethehat auf dem Gebiete der Farbenwelt genau dasselbe ge-macht, was der Mechaniker im Gebiete der Bewegungs-vorgänge leistet. Weil Goethe nicht der Ansicht ist, alleVorgänge in der unorganischen Natur seien rein mecha-nische, deshalb hat man ihm den Begriff der mechanischenKausalität aberkannt. Wer das tut, der zeigt nur, daß erselbst im Irrtum darüber ist, was mechanische Kausalitätinnerhalb der Körperwelt bedeutet. Goethe bleibt inner-halb des Qualitativen der Licht- und Farbenwelt stehen;das Quantitative, Mechanische, das mathematisch auszu-drücken ist, überläßt er andern. Er «hat die Farbenlehredurchaus von der Mathematik entfernt zu halten gesucht,ob sich gleich gewisse Punkte deutlich genug ergeben, wodie Beihilfe der Meßkunst wünschenswert sein würde ...Aber so mag denn auch dieser Mangel zum Vorteil ge-reichen, indem es nunmehr des geistreichen MathematikersGeschäft werden kann, selbst aufzusuchen, wo denn dieFarbenlehre seiner Hilfe bedarf, und wie er zur Vollen-dung dieses Teils der Naturwissenschaft das Seinige bei-tragen kann.» (§ 727 des didaktischen Teiles der Farben-lehre.) Die qualitativen Elemente des Gesichtssinnes: Licht,Finsternis, Farben müssen erst aus ihren eigenen Zusam-menhängen begriffen, auf Urphänomene zurückgeführtwerden; dann kann auf einer höheren Stufe des Denkens

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untersucht werden, welcher Bezug besteht zwischen diesenZusammenhängen und dem Quantitativen, dem Mecha-nisch-Mathematischen in der Licht- und Farbenwelt.

Die Zusammenhänge innerhalb des Qualitativen der Far-benwelt will Goethe in ebenso strengem Sinne auf die ein-fachsten Elemente zurückführen, wie das der Mathematikeroder Mechaniker auf seinem Gebiete tut. Die «Bedächtlich-keit,nur das Nächste ans Nächste zu reihen, oder vielmehr dasNächsteaus demNächstenzufolgem,habenwirw/z^/zAftfAfo-matikern %u lernen und selbst da, wo wir uns keiner Rechnungbedienen, müssen wir immer so zu Werke gehen, als wennwir dem strengsten Geometer Rechenschaft ̂ u geben schuldig wä-

ren. -Denn eigentlich ist es die mathematische Methode, wel-che wegen ihrer Bedächtlichkeit und Reinheit gleich jedenSprung in der Assertion offenbart, und ihre Beweise sind ei-gentlich nur umständliche Ausführungen, daß das j enige, wasin Verbindung vorgebracht wird, schon in seinen einfachenTeilen und in seiner ganzen Folge da gewesen, in seinem gan-zen Umfange übersehen und unter allen Bedingungen rich-tig und unumstößlich erfunden worden.» («Der Versuch alsVermittler von Subjekt und Objekt» Kürschner,Band 34).

Goethe entnimmt die Erklärung s£>rinzipien für die Er-scheinungen unmittelbar aus dem Bereich der Beobachtung.Er zeigt, wie innerhalb der erfahrbaren Welt die Er-scheinungen zusammenhängen. Vorstellungen, welcheüber das Gebiet der Beobachtung hinausweisen, lehnter für die Naturauffassung ab. Alle Erklärungsarten, diedas Feld der Erfahrung dadurch überschreiten, daß siefür die Naturerklärung Faktoren herbeiziehen, die ihrer

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Wesenheit nach nicht beobachtbar sind, widersprechen derGoetheschen Weltanschauung. Eine solche Erklärungsartist diejenige, welche das Wesen des Lichtes in einem Licht-stoff sucht, der als solcher nicht selbst wahrgenommen, son-dern nur in seiner Wirkungsweise als Licht beobachtet wer-den kann. Auch gehört zu diesen Erklärungsarten die in dermodernen Naturwissenschaft herrschende, nach welcherdie Bewegungsvorgänge der Lichtwelt nicht von den wahr-nehmbaren Qualitäten, die dem Gesichtssinn gegeben sind,sondern von den kleinsten Teilen des nicht wahrnehmbarenStoffes ausgeführt werden. Es widerspricht der Goethe-schen Weltanschauung nicht, sich vorzustellen, daß einebestimmte Farbe mit einem bestimmten Bewegungsvor-gang im Räume verknüpft sei. Aber es widerspricht ihrdurchaus, wenn behauptet wird, dieser Bewegungsvorganggehöre einem außerhalb der Erfahrung gelegenen Wirklich-keitsgebiete an, der Welt des Stoffes, die zwar in ihren Wir-kungen, nicht aber ihrer eigenen Wesenheit nach beobach-tet werden kann. Für einen Anhänger der GoetheschenWeltanschauung sind die Lichtschwingungen im RäumeVorgänge, denen keine andere Art von Wirklichkeit zu-kommt als dem übrigen Wahrnehmungsinhalt. Sie entzie-hen sich der unmittelbaren Beobachtung nicht deshalb, weilsie jenseits des Gebietes der Erfahrung liegen, sondern weildie menschlichen Sinnesorgane nicht so fein organisiertsind, daß sie Bewegungen von solcher Kleinheit noch un-mittelbar wahrnehmen. Wäre ein Auge so organisiert, daßes das Hin- und Herschwingen eines Dinges, das in einerSekunde sich vierhundert billionenmal wiederholt, noch inallen Einzelheiten beobachten könnte, so würde sich ein sol-cher Vorgang genau so darstellen wie einer der grob-sinn-

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liehen Welt. Das heißt, das schwingende Ding würde die-selben Eigenschaften zeigen, wie andere Wahrnehmungs-dinge.

Jede Erklärungsart, welche die Dinge und Vorgänge derErfahrung aus anderen, nicht innerhalb des Erfahrungsfel-des gelegenen ableitet, kann zu inhaltvollen Vorstellungenvon diesem jenseits der Beobachtung befindlichen Wirk-lichkeitsgebiete nur dadurch gelangen, daß sie gewisseEigenschaften aus der Erfahrungswelt entlehnt und auf dasUnerfahrbare überträgt. So überträgt der Physiker Härte,Undurchdringlichkeit auf die kleinsten Körperelemente,denen er außerdem noch die Fähigkeit zuschreibt, ihres-gleichen anzuziehen und abzustoßen; dagegen erkennt erdiesen Elementen Farbe, Wärme und andere Eigenschaftennicht zu. Er glaubt einen erfahrbaren Vorgang der Natur da-durch zu erklären, daß er ihn auf einen nicht erfahrbarenzurückführt. Nach Du Bois-Reymonds Ansicht ist Natur-erkennen Zurückführen der Vorgänge in der Körperweltauf Bewegungen von Atomen, die durch deren anziehendeund abstoßende Kräfte bewirkt werden («Grenzen desNa-turerkennens», Leipzig 1882, S. 10). Als das Beweglichewird dabei die Materie, der den Raum erfüllende Stoff, an-genommen. Dieser Stoff soll von Ewigkeit her dagewesensein und wird in alle Ewigkeit hinein da sein. Dem Gebieteder Beobachtung soll aber die Materie nicht angehören, son-dern jenseits desselben vorhanden sein. Du Bois-Reymondnimmt deshalb an, daß der Mensch unfähig sei, das Wesender Materie selbst zu erkennen, daß er also die Vorgängeder Körperwelt auf etwas zurückführe, dessen Natur ihmimmer unbekannt bleiben wird. «Nie werden wir besser alsheute wissen, was hier im Räume, wo Materie ist, spukt.»

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(«Grenzen des Naturerkennens », S. 22.) Vor einer genauenÜberlegung löst sich dieser Begriff der Materie in Nichtsauf. Der wirkliche Inhalt, den man diesem Begriffe gibt, istaus der Erfahrungswelt entlehnt. Man nimmt Bewegungeninnerhalb der Erfahrungswelt wahr. Man fühlt einen Zug,wenn man ein Gewicht in der Hand hält, und einen Druck,wenn man auf die horizontal hingehaltenene Handflächeein Gewicht legt. Um diese Wahrnehmung zu erklären, bil-det man den Begriff der Kraft. Man stellt sich vor, daß dieErde das Gewicht anzieht. Die Kraft selbst kann nicht wahr-genommen werden. Sie ist ideell. Sie gehört aber doch demBeobachtungsgebiete an. Der Geist beobachtet sie, weil erdie ideellen Bezüge der Wahrnehmungen untereinander an-schaut. Zu dem Begriffe einer Abstoßungskraft wird mangeführt, wenn man ein Stück Kautschuk zusammendrückt,und es sich dann selbst überläßt. Es stellt sich in seiner frühe-ren Gestalt und Größe wieder her. Man stellt sich vor, diezusammengedrängten Teile des Kautschuks stoßen sichab und nehmen den früheren Rauminhalt wieder ein. Sol-che aus der Beobachtung geschöpfte Vorstellungen über-trägt die angedeutete Denkart auf das unerfahrbare Wirk-lichkeitsgebiet. Sie tut in Wirklichkeit also nichts, als einErfahrbares aus einem andern Erfahrbaren herleiten. Nurversetzt sie willkürlich das letztere in das Gebiet des Uner-fahrbaren. Jeder Vorstellungsart, die innerhalb der Natur-anschauung von einem Unerfahrbaren spricht, ist nachzu-weisen, daß sie einige Lappen aus dem Gebiete der Erfah-rung aufnimmt und in ein jenseits der Beobachtung gelege-nes Wirklichkeitsgebiet verweist. Nimmt man die Erfah-rungslappen aus der Vorstellung des Unerfahrbaren her-aus, so bleibt ein inhaltloser Begriff, ein Unbegriff, zu-

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rück. Die Erklärung eines Erfahrbaren kann nur darin be-stehen, daß man es auf ein anderes Erfahrbares zurück-führt. Zuletzt gelangt man zu Elementen innerhalb derErfahrung, die nicht mehr auf andere zurückgeführt werdenkönnen. Diese sind nicht weiter zu erklären, weil sie keinerErklärung bedürftig sind. Sie enthalten ihre Erklärungin sich selbst. Ihr unmittelbares Wesen besteht in dem, wassie der Beobachtung darbieten. Ein solches Element ist fürGoethe das Licht. Nach seiner Ansicht hat das Licht erkannt,wer es unbefangen in der Erscheinung wahrnimmt. Die Far-ben entstehen am Lichte und ihre Entstehung wird begriffen,wenn man zeigt, wie sie an demselben entstehen. Das Lichtselbst ist in unmittelbarer Wahrnehmung gegeben. Was inihm ideell veranlagt ist, erkennt man, wenn man beobachtet,welcher Zusammenhang zwischen ihm und den Farben ist.Nach dem Wesen des Lichtes zu fragen, nach einem Uner-fahrbaren, das der Erscheinung «Licht» entspricht, ist vomStandpunkte der Goetheschen Weltanschauung aus unmög-lich. «Denn eigentlich unternehmen wir umsonst, das Weseneines Dinges auszudrücken. Wirkungen werden wir gewahr,und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßtewohl allenfalls das Wesen jenes Dinges.» Das heißt eine voll-ständige Darstellung der Wirkungen eines Erfahrbaren um-faßt alle Erscheinungen, die in ihm ideell veranlagt sind. «Ver-gebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zuschildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Tatenzusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegen-treten.-DieFarben sind Taten desLichtes, Taten undLeiden.In diesem Sinne können wir von denselben Aufschlüsse überdas Licht erwarten.» (Didaktischer Teil der Farbenlehre,Vorwort.) ^

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Das Licht stellt sich der Beobachtung dar als «das einfachste,unzerlegteste, homogenste Wesen, das wir kennen.» (Brief-wechsel mit Jacobi, S. 167.) Ihm entgegengesetzt ist dieFinsternis. Für Goethe ist die Finsternis nicht die vollkom-men kraftlose Abwesenheit des Lichtes. Sie ist einWirksames.Sie stellt sich dem Licht entgegen und tritt mit ihm in Wech-selwirkung. Die moderne Naturwissenschaft sieht die Fin-sternis an als ein vollkommenes Nichts. Das Licht, das in ei-nen finstern Raum einströmt, hat, nach dieser Ansicht, kei-nen Widerstand der Finsternis zu überwinden. Goethe stelltsich vor, daß Licht und Finsternis sich zueinander ähn-lich verhalten wie der Nord- und Südpol eines Magneten.Die Finsternis kann das Licht in seiner Wirkungskraftschwächen. Umgekehrt kann das Licht die Energie derFinsternis beschränken. In beiden Fällen entsteht die Farbe.Eine physikalische Anschauung, die sich die Finsternis alsdas vollkommen Unwirksame denkt, kann von einer sol-chen Wechselwirkung nicht sprechen. Sie muß daher dieFarben allein aus dem Lichte herleiten. Die Finsternis trittfür die Beobachtung ebenso als Erscheinung auf wie dasLicht. Das Dunkel ist in demselben Sinne Wahrnehmungs-inhalt wie die Helle. Das eine ist nur der Gegensatz des an-dern. Das Auge, das in die Nacht hinausblickt, vermitteltdie reale Wahrnehmung der Finsternis. Wäre die Finsternisdas absolute Nichts, so entstände gar keine Wahrnehmung,wenn der Mensch in das Dunkel hinaussieht.

Das Gelb ist ein durch die Finsternis gedämpftes Licht;das Blau eine durch das Licht abgeschwächte Finsternis.

Das Auge ist dazu eingerichtet, dem vorstellenden Organis-

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mus die Erscheinungen der Licht- und Farbenwelt und dieBezüge dieser Erscheinungen zu vermitteln. Es verhält sichdabei nicht bloß aufnehmend, sondern tritt in lebendigeWechselwirkung mit den Erscheinungen. Goethe ist be-strebt, die Art dieser Wechselwirkung £u erkennen. Er be-trachtet das Auge als ein durchaus Lebendiges und will seineLebensäußerungen durchschauen. Wie verhält sich dasAuge zu der einzelnen Erscheinung? Wie verhält es sich zuden Bezügen der Erscheinungen? Das sind Fragen, die ersich vorlegt. Licht und Finsternis, Gelb und Blau sind Ge-gensätze. Wie empfindet das Auge diese Gegensätze? Esmuß in der Natur des Auges begründet sein, daß es dieWechselbeziehungen, die zwischen den einzelnen Wahrneh-mungen bestehen, auch empfinde. Denn « das Auge hat seinDasein dem Lichte zu danken. Aus gleichgültigen tierischenHilfsorganen ruft sich das Licht ein Organ hervor, das sei-nesgleichen werde; und so bildet sich das Auge am Lichtefürs Licht, damit das innere Licht dem äußern entgegentrete.»(Didaktischer Teil der Farbenlehre. Einleitung.)

So wie Licht und Finsternis sich in der äußeren Naturgegensätzlich verhalten, so stehen die beiden Zustände ein-ander entgegen, in die das Auge durch die beiden Erschei-nungen versetzt wird. Wenn man das Auge innerhalb einesfinstern Raumes offen hält, so wird ein gewisser Mangelempfindbar. Wird es dagegen einer stark beleuchteten wei-ßen Fläche zugewendet, so wird es für eine gewisse Zeitunfähig, mäßig beleuchtete Gegenstände zu unterscheiden.Das Sehen ins Dunkle steigert die Empfänglichkeit; das-jenige in das Helle schwächt sie ab.

Jeder Eindruck aufs Auge bleibt eine Zeitlang in dem-selben. Wer ein schwarzes Fensterkreuz auf einem hellen

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Hintergrunde ansieht, wird, wenn er die Augen schließt,die Erscheinung noch eine Weile vor sich haben. Blicktman, während der Eindruck noch dauert, auf eine hellgraueFläche, so erscheint das Kreuz hell, der Scheibenraum da-gegen dunkel. Es findet eine Umkehrung der Erscheinungstatt. Daraus folgt, daß das Auge durch den einen Eindruckdisponiert wird, den entgegengesetzten aus sich selbst zuerzeugen. Wie in der Außenwelt Licht und Finsternis in Be-ziehung zu einander stehen, so auch die entsprechenden Zu-stände im Auge. Goethe stellt sich vor, daß der Ort im Au-ge, auf den das dunkle Kreuz fiel, ausgeruht und empfäng-lich für einen neuen Eindruck ist. Deshalb wirkt auf ihn diegraue Fläche lebhafter als auf die übrigen Orte im Auge, dievorher das stärkere Licht von den Fensterscheiben empfan-gen haben. Hell erzeugt im Auge die Hinneigung zum Dun-kel ; Dunkel die zum Hellen. Wenn man ein dunkles Bild voreine hellgraue Fläche hält und unverwandt, indem es weg-genommen wird, auf denselben Fleck sieht, so erscheint derRaum, den das dunkle Bild eingenommen hat, um vielesheller als die übrige Fläche. Ein graues Bild auf dunklemGrund erscheint heller als dasselbe Bild auf hellem. DasAuge wird durch den dunklen Grund disponiert, das Bildheller; durch den hellen, es dunkler zu sehen. Goethe wirddurch diese Erscheinungen auf die große Regsamkeit desAuges verwiesen «und den stillen Widerspruch, den jedesLebendige zu äußern gedrungen ist, wenn ihm irgend einbestimmter Zustand dargeboten wird. So setzt das Ein-atmen schon das Ausatmen voraus und umgekehrt ... Esist die ewige Formel des Lebens, die sich auch hier äußert.Wie dem Auge das Dunkle geboten wird, so fordert esdas Helle; es fordert Dunkel, wenn man ihm Hell ent-

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gegenbringt und zeigt eben dadurch seine Lebendigkeit,sein Recht, das Objekt zu fassen, indem es etwas, das demObjekt entgegengesetzt ist, aus sich selbst hervorbringt.»(§38 des didaktischen Teiles der Farbenlehre.)

In ähnlicher Weise wie Licht und Finsternis rufen auchFarbenwahrnehmungen eine Gegenwirkung im Auge her-vor. Man halte ein kleines Stück gelbgefärbten Papiers voreine mäßig erleuchtete weiße Tafel, und schaue unverwandtauf die kleine gelbe Fläche. Nach einiger Zeit hebe man dasPapier hinweg. Man wird die Stelle, die das Papier ausge-füllt hat, violett sehen. Das Auge wird durch den Eindruckdes Gelb disponiert, das Violett aus sich selbst zu erzeugen.Ebenso wird das Blaue das Orange, das Rote das Grünals Gegenwirkung hervorbringen. Jede Farbenempfin-dung hat also im Auge einen lebendigen Bezug zu einerandern. Die Zustände, in die das Auge durch Wahrneh-mungen versetzt wird, stehen in einem ähnlichen Zu-sammenhange wie die Inhalte dieser Wahrnehmun-gen in der Außenwelt.

Wenn Licht und Finsternis, Hell und Dunkel aufs Augewirken, so tritt ihnen dieses lebendige Organ mit seinen For-derungen entgegen; wirken sie auf die Dinge draußen imRäume, so treten diese mit ihnen in Wechselwirkung. Derleere Raum hat die Eigenschaft der Durchsichtigkeit. Erwirkt auf Licht und Finsternis gar nicht. Diese scheinendurch ihn in ihrer eigenen Lebhaftigkeit durch. Anders istes, wenn der Raum mit Dingen gefüllt ist. Diese Füllungkann eine solche sein, daß das Auge sie nicht gewahr wird,weil Licht und Finsternis in ihrer ursprünglichen Gestalt

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durch sie hindurch scheinen. Dann spricht man von durch-sichtigen Dingen. Scheinen Licht und Finsternis nicht un-geschwächt durch ein Ding hindurch, so wird es als trübbezeichnet. Die trübe Raumausfüllung bietet die Möglich-keit, Licht und Finsternis, Hell und Dunkel in ihrem gegen-seitigen Verhältnis zu beobachten. Ein Helles durch einTrübes gesehen, erscheint gelb, ein Dunkles blau. Das Trübeist ein Materielles, das vom Lichte durchhellt wird. Gegen-über einem hinter ihm befindlichen helleren, lebhafterenLicht ist das Trübe dunkel; gegen eine durchscheinendeFinsternis verhält es sich als Helles. Es wirken also, wennein Trübes sich dem Licht oder der Finsternis entgegenstellt,wirklich ein vorhandenes Helles und ein ebensolches Dunk-les ineinander.

Nimmt die Trübe, durch welche das Licht scheint, ali-mählich 2u, so geht das Gelb in Gelbrot und dann in Rubin-rot über. Vermindert sich die Trübe, durch die das Dunkeldringt, so geht das Blau in Indigo und zuletzt in Violettüber. Gelb und Blau sind Grundfarben. Sie entstehen durchZusammenwirken des Hellen oder Dunklen mit der Trübe.Beide können einen rötlichen Ton annehmen, jenes durchVermehrung, dieses durch Verminderung der Trübe. DasRot ist somit keine Grundfarbe. Es erscheint als Farbentonan dem Gelben oder Blauen. Gelb mit seinen rötlichenNuancen, die sich bis zum reinen Rot steigern, steht demLichte nahe, Blau mit seinen Abtönungen ist der Finster-nis verwandt. Wenn sich Blau und Gelb vermischen,entsteht Grün; mischt sich das bis zum Violetten gestei-gerte Blau mit dem zum Roten verfinsterten Gelb, soentsteht die Purpurfarbe.

Diese Grunderscheinungen verfolgt Goethe innerhalb

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der Natur. Die helle Sonnenscheibe durch einen Flor vontrüben Dünsten gesehen, erscheint gelb. Der dunkle Welt-raum durch die vom Tageslicht erleuchteten Dünste derAtmosphäre angeschaut, stellt sich als das Blau des Him-mels dar. «Ebenso scheinen uns auch die Berge blau: denn,indem wir sie in einer solchen Ferne erblicken, daß wir dieLokalfarben nicht mehr sehen, und kein Licht von ihrerOberfläche mehr auf unser Auge wirkte so gelten sie als einreiner finsterer Gegenstand, der nun durch die dazwischentretenden Dünste blau erscheint.» (§ 156 des didaktischenTeiles der Farbenlehre.)

Aus der Vertiefung in die Kunstwerke der Maler istGoethe das Bedürfnis erwachsen, in die Gesetze einzu-dringen, denen die Erscheinungen des Gesichtssinnes un-terworfen sind. Jedes Gemälde gab ihm Rätsel auf. Wieverhält sich das Hell-Dunkel zu den Farben? In welchenBeziehungen stehen die einzelnen Farben zueinander? War-um bewirkt Gelb eine heitere, Blau eine ernste Stimmung?Aus der Newton sehen Farbenlehre war kein Gesichtspunktzu gewinnen, von dem aus diese Geheimnisse zu lüften ge-wesen wären. Sie leitet alle Farben aus dem Licht ab, stelltsie stufenweise nebeneinander und sagt nichts über ihre Be-ziehungen zum Dunkeln und auch nichts über ihre leben-digen Bezüge zueinander. Aus den auf eigenem Wege ge-wonnenen Einsichten konnte Goethe die Rätsel lösen, dieihm die Kunst aufgegeben hatte. Das Gelb muß eine heitere,muntere, sanft reizende Eigenschaft besitzen, denn es istdie nächste Farbe am Licht. Es entsteht durch die gelindesteMäßigkeit desselben. Das Blau weist auf das Dunkle hin,das in ihm wirkt. Deshalb gibt es ein Gefühl von Kälte, sowie «es auch an Schatten erinnert». Das rötliche Gelb ent-

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steht durch Steigerung des Gelben nach der Seite desDunkeln. Durch diese Steigerung wächst seine Energie.Das Heitere, Muntere geht in das Wonnige über. Sobalddie Steigerung noch weitergeht, vom Rotgelben ins Gelb-rote, verwandelt sich das heitere, wonnige Gefühl in denEindruck des Gewaltsamen. Das Violett ist das zum Hellenstrebende Blau. Die Ruhe und Kälte des Blauen wird da-durch zur Unruhe. Eine weitere Zunahme erfährt diese Un-ruhe im Blauroten. Das reine Rot steht in der Mitte zwi-schen Gelbrot und Blaurot. Das Stürmische des Gelben er-scheint gemindert, die lässige Ruhe des Blauen belebt sich.Das Rote macht den Eindruck der idealen Befriedigung,der Ausgleichung der Gegensätze. Ein Gefühl der Befrie-digung entsteht auch durch das Grün, das eine Mischungvon Gelb und Blau ist. Weil aber hier das Heitere des Gel-ben nicht gesteigert, die Ruhe des Blauen nicht gestört durchden rötlichen Ton ist, so wird die Befriedigung eine reineresein als die, welche das Rot hervorbringt.

Das Auge fordert, wenn ihm eine Farbe entgegengebrachtwird, sogleich eine andere. Erblickt es Gelb, so entsteht inihm die Sehnsucht nach dem Violetten; nimmt es Blau wahr,so verlangt es Orange; sieht es Rot, so begehrt es Grün. Esist begreiflich, daß das Gefühl der Befriedigung entsteht,wenn neben eine Farbe, die dem Auge dargeboten wird,eine andere gesetzt wird, die es seiner Natur nach erstrebt.Aus dem Wesen des Auges ergibt sich das Gesetz der Far-benharmonie. Farben, die das Auge nebeneinander fordert,wirken harmonisch. Treten zwei Farben nebeneinander auf,von denen die eine nicht die andere fordert, so wird das

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Auge zur Gegenwirkung aufgeregt. Die Zusammenstellungvon Gelb und Purpur hat etwas Einseitiges, aber Heiteresund Prächtiges. Das Auge will Violett neben Gelb, umsich naturgemäß ausleben zu können. Tritt Purpur an dieStelle des Violetten, so macht der Gegenstand seine An-sprüche gegenüber denen des Auges geltend. Er fügt sichden Forderungen des Organs nicht. Zusammenstellungendieser Art dienen dazu, auf das Bedeutende der Dinge hinzu-weisen. Sie wollen nicht unbedingt befriedigen, sonderncharakterisieren. Zu solchen charakteristischen Verbindun-gen eignen sich Farben, die nicht in vollem Gegensatz zu-einander stehen, die aber doch auch nicht unmittelbar in-einander übergehen. Zusammenstellungen der letzteren Artgeben den Dingen, an denen sie vorkommen, etwas Cha-rakterloses.

Das Werden und Wesen der Licht- und Farbenerscheinun-gen hat sich Goethe in der Natur offenbart. Er hat es auchwiedererkannt in den Schöpfungen der Maler, in denen esauf eine höhere Stufe gehoben, ins Geistige übersetzt ist.Einen tiefen Einblick in das Verhältnis von Natur undKunst hat Goethe durch seine Beobachtungen der Gesichts-wahrnehmungen gewonnen. Daran mag er wohl gedachthaben, als er nach Vollendung der «Farbenlehre » über dieseBeobachtungen an Frau von Stein schrieb: «Es reut michnicht, ihnen soviel Zeit aufgeopfert zu haben. Ich bin da-durch zu einer Kultur gelangt, die ich mir von einer andernSeite her schwerlich verschafft hätte.»

Die Goethesche Farbenlehre ist verschieden von derjeni-gen Newtons und derjenigen Physiker, die auf NewtonsVorstellungen ihre Anschauungen aufbauen, weil der er-

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stere von einer andern Weltanschauung ausgeht als die letz-teren. Wer nicht den hier dargestellten Zusammenhang zwi-schen Goethes allgemeinen Naturvorstellungen und seinerFarbenlehre ins Auge faßt, der wird nicht anders können,als glauben, Goethe sei zu seinen Farbenanschauungen ge-kommen, weil ihm der Sinn für die echten Beobachtungs-methoden des Physikers gemangelt habe. Wer diesen Zu-sammenhang durchschaut, der wird auch einsehen, daß in-nerhalb der Goetheschen Weltanschauung keine andereFarbenlehre möglich ist als die seinige. Er würde über dasWesen der Farbenerscheinungen nicht anders haben denkenkönnen, als er es tat, auch wenn alle seit seiner Zeit gemach-ten Entdeckungen auf diesem Gebiete vor ihm wären ausge-breitet gewesen, und wenn er die gegenwärtig so vervoll-kommneten Versuchsmethoden hätte selbst exakt handha-ben können. Wenn er auch, nachdem er mit der Entdeckungder Fraunhoferschen Linien bekannt wird, diese auch imSinne seiner Naturanschauung nicht völlig in diese einrei-hen kann, so sind doch weder sie noch sonst eine Entdek-kung auf optischem Gebiete ein Einwand gegen seine Auf-fassung. Es handelt sich bei alledem nur darum, diese Goe-thesche Auffassung so auszubauen, daß diese Erscheinun-gen in ihrem Sinne in sie sich einfügen. Zuzugeben ist, daßwer auf dem Gesichtspunkte der Newtonschea Auffassungsteht, sich bei Goethes Farbenansichten nichts vorstellenkönne. Das rührt aber nicht davon her, weil ein solcher Phy-siker Erscheinungen kennt, die der Goetheschen Auffas-sung widersprechen, sondern weil er sich in eine Naturan-schauung eingewöhnt hat, die ihn verhindert, zu erkennen,was die Goethesche Naturansicht eigentlich will.

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GEDANKEN ÜBER

ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER ERDE

UND LUFTERSCHEINUNGEN

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GEDANKEN ÜBER ENTWICKLUNGSGESCHICHTE

DER ERDE

Durch seine Beschäftigung mit dem Ilmenauer Bergbauwurde Goethe angeregt, das Reich der Mineralien, Gesteineund Felsarten, sowie die übereinander geschichteten Mas-sen der Erdrinde zu betrachten. Im Juli 1776 begleitete erden Herzog Karl August nach Ilmenau. Sie wollten sehen,ob das alte Bergwerk wieder in Bewegung gesetzt werdenkönne. Goethe widmete dieser Bergwerksangelegenheitauch weiter seine Fürsorge. Dabei wuchs in ihm immermehr der Trieb, zu erkennen, wie die Natur bei der Bildungder Stein- und Gebirgsmassen verfährt. Er bestieg die ho-hen Gipfel und kroch in die Tiefen der Erde, um «der gro-ßen formenden Hand nächste Spuren zu entdecken ». SeineFreude, die schaffende Natur auch von dieser Seite kennenzu lernen, teilte er am 8. September 1780 von Ilmenau ausder Frau von Stein mit. «Jetzt leb* ich mit Leib und Seel inStein und Bergen und bin sehr vergnügt über die weitenAussichten, die sich mir auftun. Diese zwei letzten Tage ha-ben wir ein groß Fleck erobert und können auf vieles schlie-ßen. Die Welt kriegt mir nun ein neu ungeheuer Ansehen.»Immer mehr befestigt sich bei ihm die Hoffnung, daß es ihmgelingen werde, einen Faden zu spinnen, der durch die un-terirdischen Labyrinthe durchführen und eine Übersicht inder Verwirrung geben könne. (Brief an Frau von Stein vom12. Juni 1784.) Allmählich dehnt er seine Beobachtungenüber weitere Gebiete der Erdoberfläche aus. Auf seinenHarzreisen glaubt er zu erkennen, wie sich große anorgani-sche Massen gestalten. Er schreibt ihnen die Tendenz zu,sich «in mannigfachen, regelmäßigen Richtungen zu tren-

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nen, so daß Parallelepipeden entstehen, welche wieder inder Diagonale sich zu durchschneiden die Geneigtheit ha-ben.» (Vergl. den Aufsatz «Gestaltung großer anorgani-scher Massen», Kürschner, Band 34.) Er denkt sich dieSteinmassen von einem ideellen Gitterwerk durchzogen,und zwar sechsseitig. Dadurch werden kubische, parallel-epipedische, rhombische, rhomboidische, säulen- und plat-tenförmige Körper aus einer Grundmasse herausgeschnit-ten. Er stellt sich innerhalb dieser Grundmasse Kräftewir-kungen vor, die sie in dem Sinne trennen, wie das ideelleGitterwerk es veranschaulicht. Wie in der organischen Na-tur, so sucht Goethe auch in dem Steinreiche das wirksameIdeelle. Auch hier forscht er mit Geistesaugen. Wo die Tren-nung in regelmäßige Formen nicht in die Erscheinung tritt,da nimmt er an, daß sie ideell in den Massen vorhanden ist.Auf einer Harzreise, die er 1784 unternimmt, läßt er vondem ihn begleitenden Rat Kraus Kreidezeichnungen aus-führen, in denen das Unsichtbare, Ideelle durch das Sicht-bare verdeutlicht und zur Anschauung gebracht ist. Er istder Ansicht, daß das Tatsächliche vom Zeichner nur dannwahrhaft dargestellt werden kann, wenn dieser auf die In-tentionen der Natur achtet, die in der äußeren Erscheinungoft nicht deutlich genug hervortreten. «... im Übergang ausdem Weichen in das Starre ergibt sich eine Scheidung, sie seinun dem Ganzen angehörig oder sie ereigne sich im Inner-sten der Massen.» (Kürschner, Band 34. Aufsatz: «Gebirgs-Gestaltung im ganzen und einzelnen.») In den organischenFormen ist, nach Goethes Ansicht, ein sinnlich-übersinn-liches Urbild lebendig gegenwärtig; ein Ideelles tritt in diesinnliche Wahrnehmung ein und durchsetzt sie. In der regel-mäßigen Gestaltung anorganischer Massen wirkt ein Ideel-

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les, das als solches nicht in die sinnliche Form eingeht, aberdoch eine sinnliche Form schafft. Die unorganische Formist in der Erscheinung nicht sinnlich-übersinnlich, sondernnur sinnlich; sie muß aber als Wirkung einer übersinnlichenKraft aufgefaßt werden. Sie ist ein Zwischending zwischendem unorganischen Vorgang, dessen Verlauf noch von ei-nem Ideellen beherrscht wird, der aber von demselben einegeschlossene Form erhält, und dem Organischen, in demdas Idelle selbst zur sinnlichen Form wird.

Die Bildung zusammengesetzter Gesteine denkt sichGoethe dadurch bewirkt, daß die ursprünglich nur ideell ineiner Masse vorhandenen Substanzen tatsächlich auseinan-der getrennt werden. In einem Briefe an Leonhard, vom25.November 1807, schreibt er: «So gestehe ich gern, daßich da noch oft simultane Wirkungen erblicke, wo andereschon eine sukzessive sehen; daß ich in manchem Gestein,das andere für ein Konglomerat, für ein aus Trümmern Zu-sammengeführtes und Zusammengebackenes halten, ein ...aus einer heterogenen Masse in sich selbst Geschiedenes undGetrenntes und sodann durch Konsolidation Festgehalte-nes zu schauen glaube.»

Goethe ist nicht dazu gekommen, diese Gedanken füreine größere Zahl unorganischer Formenbildungen frucht-bar zu machen. Es ist seiner Denkweise gemäß, auch dieAnordnung der geologischen Schichten aus ideellen Bil-dungsprinzipien zu erklären, die dem Stoff, seinem Wesennach, innewohnen. Den damals weit verbreiteten geologi-schen Ansichten Werners konnte er sich aus dem Grundenicht anschließen, weil dieser solche Bildungsprinzipiennicht kannte, sondern alles auf die rein mechanischen Wirkun-gen des Wassers zurückführte. Noch unsympathischer war

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ihm der von Hutton aufgestellte und von Alexander vonHumboldt, Leopold von Buch und anderen verteidigte Vul-kanismus, der die Entwicklung der einzelnen Erdperiodendurch gewaltsame, von materiellen Ursachen bewirkte Re-volutionen erklärte. Durch vulkanische Kräfte läßt dieseAnschauung große Gebirgssysteme plötzlich aus der Erdeemporschießen. Solche unermeßliche Kraftleistungen schie-nen Goethe dem Wesen der Natur zu widersprechen. Er sahkeinen Grund, warum die Gesetze der Erdentwicklung sichzu gewissen Zeiten plötzlich ändern und nach langandau-ernder allmählicher Wirksamkeit sich in einem gewissen Zeit-punkte durch «Heben und Drängen, Aufwälzen und Quet-schen, Schleudern und Schmeißen» äußern sollen. DieNatur erschien ihm in allen ihren Teilen konsequent, sodaß selbst eine Gottheit an den ihr eingeborenen Gesetzennichts ändern könnte. Ihre Gesetze hält er für unwandel-bar. Die Kräfte, die heute an der Bildung der Erdoberflächewirken, müssen dem Wesen nach, zu allen Zeiten gewirkthaben.

Von diesem Gesichtspunkte aus kommt er auch zu einernaturgemäßen Ansicht darüber, auf welche Weise die Ge-steinblöcke an ihre Plätze gelangt sind, die in der Nähe desGenfer Sees zerstreut sich vorfinden und die, ihrer Beschaf-fenheit nach, von weit entfernten Gebirgen abgetrennt sind.Es trat ihm die Meinung entgegen, daß diese Gesteinsmas-sen bei dem tumultarischen Aufstand der weit rückwärts imLande gelegenen Gebirge an ihren jetzigen Ort geschleu-dert worden seien. Goethe suchte nach Kräften, die gegen-wärtig beobachtet werden können, und die geeignet sind,diese Erscheinung zu erklären. Er fand solche bei der Bil-dung der Gletscher tätig. Nun brauchte er nur anzunehmen,

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daß die Gle'tscher, die heute noch das Gestein vom Gebirgein die Ebenen befördern, einstmals eine ungeheuer viel grö-ßere Ausdehnung gehabt haben als gegenwärtig. Sie habendann die Steinmassen viel weiter von den Gebirgen wegge-tragen, als sie es in der Gegenwart tun. Als die Gletscherwieder an Ausdehnung verloren, sind diese Gesteine liegengeblieben. In analoger Weise, dachte Goethe, müssen auchdie in der norddeutschen Tiefebene umherliegenden Gra-nitblöcke an ihre jetzigen Fundorte gelangt sein. Um sichvorstellen zu können, daß die von erratischen Blöcken be-deckten Landesteile einst von Gletschereis bedeckt waren,bedarf es der Annahme einer Epoche großer Kälte. Ge-meingut der Wissenschaft wurde diese Annahme durch A.gas-si\y der selbständig auf sie kam und sie 1837 in der Schwei-zerischen Gesellschaft für Naturforschung darlegte. In neue-rer Zeit ist diese Kälteepoche, die über die Kontinente derErde hereinbrach, als bereits ein reiches Tier- und Pflanzen-leben entwickelt war, zum Lieblingsstudium bedeutenderGeologen geworden. Was Goethe im einzelnen über die Er-scheinungen dieser «Eiszeit» vorbringt, ist gegenüber denBeobachtungen, die spätere Forscher gemacht haben, be-langlos.

Ebenso wie zur Annahme einer Epoche großer Kältewird Goethe durch seine allgemeine Naturanschauung zueiner richtigen Ansicht über das Wesen der Versteinerun-gen geführt. Zwar haben schon frühere Denker in diesenGebilden Überreste vorweltlicher Organismen erkannt.Diese richtige Ansicht ist aber so langsam allgemein herr-schend geworden, daß noch Voltaire die versteinerten Mu-scheln als Naturspiele ansehen konnte. Goethe erkanntebald, nachdem er einige Erfahrung auf diesem Gebiete ge-

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wonnen hatte, daß die Versteinerungen als Reste von Or-ganismen in einem naturgemäßen Zusammenhange mitdenjenigen Erdschichten stehen, in denen sie gefunden wer-den. Das heißt, daß diese Organismen in den Epochen derErde gelebt haben, in denen sich die entsprechenden Schich-ten gebildet haben. In dieser Weise spricht er sich über Ver-steinerungen in einem Briefe an Merck vom 27. Oktober1782 aus: «Alle die Knochentrümmer, von denen Dusprichst und die in dem obern Sande des Erdreichs überallgefunden werden, sind, wie ich völlig überzeugt bin, aus derneuesten Epoche, welche aber doch gegen unsere gewöhn-liche Zeitrechnung ungeheuer alt ist. In dieser war das Meerschon zurückgetreten; hingegen flössen die Ströme nochin großer Breite, doch verhältnismäßig zum Niveau desMeeres, nicht schneller und vielleicht nicht einmal soschnell als jetzt. Zu derselbigen Zeit setzte sich der Sand,mit Leimen gemischt, in allen breiten Tälern nieder, dienach und nach, als das Meer sank, von dem Wasser ver-lassen wurden und die Flüsse sich in ihrer Mitte nur ge-ringe Beete gruben. Zu jener Zeit waren die Elefanten undRhinozerosse auf den entblößten Bergen bei uns zu Hause,und ihre Reste konnten gar leicht durch die Waldströmein jene großen Stromtäler oder Seeflächen heruntergespültwerden, wo sie mehr oder weniger mit dem Steinsaftdurchdrungen sich erhielten und wo wir sie nun mit demPfluge oder durch andere Zufälle ausgraben. In diesemSinne sagte ich vorher, man finde sie in dem oberen Sande,nämlich in dem, der durch die alten Flüsse zusammen-gespült worden, da schon die Hauptrinde des Erdbodensvöllig gebildet war. Es wird nun bald die Zeit kommen,wo man Versteinerungen nicht mehr durcheinander wer-

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fen, sondern verhältnismäßig zu den Epochen der Weltrangieren wird.»

Goethe ist wiederholt ein Vorläufer der durch Lyell be-gründeten Geologie genannt worden. Auch diese nimmtnicht mehr gewaltsame Revolutionen oder Katastrophenan, um die Entstehung einer Erdperiode aus der andern zuerklären. Sie führt die früheren Veränderungen der Erd-oberfläche auf dieselben Vorgänge zurück, die sich auchjetzt noch abspielen. Es darf aber nicht außer acht gelassenwerden, daß die moderne Geologie bloß physikalische undchemische Kräfte heranzieht, um die Erdbildung zu erklä-ren. Daß dagegen Goethe gestaltende Kräfte annimmt, dieinnerhalb der Massen wirksam sind und die eine höhere Artvon Bildungsprinzipien darstellen, als die Physik und Che-mie sie kennen.

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BETRACHTUNGEN ÜBER ATMOSPHÄRISCHE

ERSCHEINUNGEN

Im Jahre 1815 lernt Goethe Luke Howards «Versuch einerNaturgeschichte und Physik der Wolken » kennen. Er wirddadurch zu schärferem Nachdenken über Wolkenbildungenund Witterungsverhältnisse angeregt. Zwar hat er schonfrüher mancherlei Beobachtungen über diese Erscheinun-gen gemacht und aufgezeichnet. Das Erfahrene jedoch zu-sammenzustellen fehlten ihm «Umsicht und wissenschaft-liche Verknüpfungszweige». In dem Howardschen Auf-satze sind die mannigfaltigen Wolkenbildungen auf gewisseGrundformen zurückgeführt. Goethe findet nun einen Ein-gang in die Witterungskunde, die ihm bisher fremd geblie-ben ist, weil es seiner Natur unmöglich war, aus der Art, wiedieser Wissenszweig zu seiner Zeit behandelt wurde, etwaszu gewinnen. «Den ganzen Komplex der Witterungskunde,wie er tabellarisch durch Zahlen und Zeichen aufgestelltwird, zu erfassen... war meiner Natur unmöglich; ich freutemich daher, einen integrierenden Teil derselben meinerNeigung und Lebensweise angemessen zu rinden, und weilin diesem unendlichen All alles in ewiger, sicherer Bezie-hung steht, eins das andere hervorbringt oder wechsels-weise hervorgebracht wird, so schärfte ich meinen Blickauf das dem Sinne der Augen Erfaßliche und gewöhntemich, die Bezüge der atmosphärischen und irdischen Er-scheinungen mit Barometer und Thermometer in Ein-klang zu setzen ...»

Da der Stand des Barometers in genauem Bezug zu allenWitterungsverhältnissen steht, so tritt er auch bald für Goe-the in den Mittelpunkt seiner Beobachtungen über atmo-

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sphärische Verhältnisse. Je länger er diese Beobachtungenfortsetzt, um so mehr glaubt er zu erkennen, daß das Steigenund Fallen des Quecksilbers im Barometer an verschiedenen«näher und ferner, nicht weniger in unterschiedenen Län-gen, Breiten und Höhen gelegenen Beobachtungsorten » sogeschieht, daß einem Steigen oder Fallen an einem Orte einfast gleich großes Steigen oder Fallen an allen andern Ortenzu gleichen Zeiten entspricht. Aus dieser Regelmäßigkeitder Barometerveränderungen zieht Goethe die Folgerung,daß auf dieselben keine außerirdischen Einflüsse wirkenkönnen. Wenn man dem Monde, den Planeten, den Jahres-zeiten einen solchen Einfluß zuschreibt, wenn man vonEbbe und Flut in der Atmosphäre spricht, so wird die Re-gelmäßigkeit nicht erklärt. Alle diese Einflüsse müßten sichzu gleichen Zeiten in der verschiedensten Weise an verschie-denen Orten geltend machen. Nur wenn innerhalb der Erdeselbst die Ursache für diese Veränderungen liegt, sind sieerklärbar, meint Goethe. Da nun der Stand des Quecksil-bers von dem Druck der Luft abhängt, so stellt sich Goethevor, daß die Erde abwechselnd die ganze Atmosphäre zu-sammenpreßt und wieder ausdehnt. Wird die Luft zusam-mengepreßt, so erhöht sich ihr Druck und das Quecksilbersteigt; das Umgekehrte findet bei der Ausdehnung statt.Goethe schreibt diese abwechselnde Zusammenziehungund Ausdehnung der ganzen Luftmasse einer Veränderlich-keit zu, welcher die Anziehungskraft der Erde unterworfenist. Das Vermehren und Vermindern dieser Kraft sieht er ineinem gewissen Eigenleben der Erde begründet und ver-gleicht es mit dem Ein- und Ausatmen eines Organismus.

Demnach denkt sich Goethe auch die Erde nicht in bloßmechanischer Weise wirksam. So wenig er die geologischen

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Vorgänge rein mechanisch und physikalisch erklärt, eben-sowenig tut er dies bei den Barometerschwankungen. SeineNaturansicht steht in scharfem Gegensatz zu der modernen.Diese sucht, ihren allgemeinen Grundsätzen gemäß, die at-mosphärischen Vorgänge physikalisch zu begreifen. DieTemperaturunterschiede in der Atmosphäre bewirken eineVerschiedenheit des Luftdrucks an verschiedenen Orten,erzeugen Luftströmungen von wärmeren nach kälteren Ge-bieten, vermehren oder vermindern den Feuchtigkeitsge-halt, bringen Wolkenbildungen und Niederschläge hervor.Aus solchen und ähnlichen Faktoren werden die Schwan-kungen des Luftdrucks und damit das Steigen und Fallendes Barometers erklärt. Auch widerspricht Goethes Vor-stellung von einer Vermehrung und Verminderung der An-ziehungskraft den modernen mechanischen Begriffen. Nachdiesen ist die Stärke der Anziehungskraft an einem Ortestets dieselbe.

Goethe wendet mechanische Vorstellungen nur so weitan, als es ihm durch die Beobachtung geboten erscheint.

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GOETHE UND HEGEL

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GOETHE UND HEGEL

Goethes Weltbetrachtung geht nur bis zu einer gewissenGrenze. Er beobachtet die Licht- und Farbenerscheinungenund dringt bis zum Urphänomen vor; er sucht sich inner-halb der Mannigfaltigkeit des Pflanzenwesens zurechtzufin-den und gelangt zu seiner sinnlich-übersinnlichen Urpflan-ze. Von dem Urphänomen oder der Urpflanze steigt er nichtzu höheren Erklärungsprinzipien auf. Das überläßt er denPhilosophen. Er ist befriedigt, wenn «er sich auf der empi-rischen Höhe befindet, wo er rückwärts die Erfahrung inallen ihren Stufen überschauen, und vorwärts in das Reichder Theorie, wo nicht eintreten, doch einblicken kann».Goethe geht in der Betrachtung des Wirklichen so weit, bisihm die Ideen entgegenblicken. In welchem Zusammen-hange die Ideen untereinander stehen; wie innerhalb desIdeellen das eine aus dem andern hervorgeht; das sind Auf-gaben, die auf der empirischen Hohe erst beginnen, auf derGoethe stehen bleibt. «Die Idee ist ewig und einzig », meinter, « daß wir auch den Plural brauchen, ist nicht wohlgetan.Alles, was wir gewahr werden und wovon wir reden kön-nen, sind nur Manifestationen der Idee.» Da aber doch inder Erscheinung die Idee als eine Vielheit von Einzelideenauftritt, z. B. Idee der Pflanze, Idee des Tieres, so müssendiese sich auf eine Grundform zurückführen lassen, wie diePflanze sich auf das Blatt zurückführen läßt. Auch die ein-zelnen Ideen sind nur in ihrer Erscheinung verschieden; inihrem wahren Wesen sind sie identisch. Es ist also ebenso imSinne der Goetheschen Weltanschauung, von einer Meta-morphose der Ideen wie von einer Metamorphose der Pflan-zen zu reden. Der Philosoph, der diese Metamorphose der

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Ideen darzustellen versucht hat, ist Hegel. Er ist dadurchder Philosoph der Goetheschen Weltanschauung. Von dereinfachsten Idee, dem reinen « Sein » geht er aus. In diesemverbirgt sich die wahrhafte Gestalt der Welterscheinungenvollständig. Deren reicher Inhalt wird zum blutarmen Ab-straktum. Man hat Hegel vorgeworfen, daß er aus dem reinen«Sein» die ganze inhaltvolle Welt der Ideen ableitet. Aberdas reine Sein enthält «der Idee nach» die ganze Ideenwelt,wie das Blatt der Idee nach die ganze Pflanze enthält. Hegelverfolgt die Metamorphosen der Idee von dem reinen ab-strakten Sein bis zu der Stufe, in der die Idee unmittelbarwirkliche Erscheinung wird. Er betrachtet als diese höchsteStufe die Erscheinung der Philosophie selbst. Denn in derPhilosophie werden die in der Welt wirksamen Ideen in ih-rer ureigenen Gestalt angeschaut. In Goethes Weise gespro-chen könnte man etwa sagen: die Philosophie ist die Idee inihrer größten Ausbreitung; das reine Sein ist die Idee in ih-rer äußersten Zusammenziehung. Daß Hegel in der Philo-sophie die vollkommenste Metamorphose der Idee sieht,beweist, daß ihm die wahre Selbstbeobachtung ebenso ferneliegt wie Goethe. Ein Ding hat seine höchste Metamorphoseerreicht, wenn es in der Wahrnehmung, im unmittelbarenLeben seinen vollen Inhalt herausarbeitet. Die Philosophieaber enthält den Ideengehalt der Welt nicht in Form des Le-bens, sondern in Form von Gedanken. Die lebendige Idee,die Idee als Wahrnehmung, ist allein der menschlichenSelbstbeobachtung gegeben. Hegels Philosophie ist keineWeltanschauung der Freiheit, weil sie den Weltinhalt in sei-ner höchsten Form nicht auf dem Grunde der menschlichenPersönlichkeit sucht. Auf diesem Grunde wird aller Inhaltganz individuell. Nicht dieses Individuelle sucht Hegel, son-

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dem das Allgemeine, die Gattung. Er verlegt den Ursprungdes Sittlichen daher auch nicht in das menschliche Individu-um, sondern in die außer dem Menschen liegende Weltord-nung, welche die sittlichen Ideen enthalten soll. Der Menschgibt sich nicht selbst sein sittliches Ziel, sondern er hat sichder sittlichen Weltordnung einzugliedern. Das Einzelne, In-dividuelle gilt Hegel geradezu als das Schlechte, wenn es inseiner Einzelheit verharrt. Erst innerhalb des Ganzen erhältes seinen Wert. Dies ist die Gesinnung der Bourgeoisie,meint Max Stirner «und ihr Dichter Goethe, wie ihr Philo-soph Hegel haben die Abhängigkeit des Subjekts vom Ob-jekte, den Gehorsam gegen die objektive Welt usw. zu ver-herrlichen gewußt». Damit ist wieder eine andere einseitigeVorstellungsart hingestellt. Hegel wie Goethe fehlt die An-schauung der Freiheit, weil beiden die Anschauung des in-nersten Wesens der Gedankenwelt abgeht. Hegel fühlt sichdurchaus als Philosoph der Goetheschen Weltanschauung.Er schreibt am 20.Februar 1821 an Goethe: «Das Einfacheund Abstrakte, was Sie sehr treffend das Urphänomen nen-nen, stellen Sie an die Spitze, zeigen dann die konkretenErscheinungen auf als entstehend durch das Hinzukommenweiterer Einwirkungsweisen und Umstände und regierenden ganzen Verlauf so, daß die Reihenfolge von den einfa-chen Bedingungen zu den zusammengesetztem fortschrei-tet, und so rangiert, das Verwickelte nun durch diese De-komposition in seiner Klarheit erscheint. Das Urphänomenauszuspüren, es von den andern, ihm selbst zufälligen Um-gebungen zu befreien, - es abstrakt, wie wir dies heißen,aufzufassen, dies halte ich für eine Sache des großen geisti-gen Natursinns, sowie jenen Gang überhaupt für das wahr-haft Wissenschaftliche der Erkenntnis in diesem Felde.» ...

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«Darf ich Ew. usw. aber nun auch noch von dem besondernInteresse sprechen, welches ein so herausgehobenes Urphä-nomen für uns Philosophen hat, daß wir nämlich ein solchesPräparat geradezu in den philosophischen Nutzen verwen-den können! - Haben wir nämlich endlich unser zunächstausternhaftes, graues oder ganz schwarzes... Absolutes dochgegen Luft und Licht hingearbeitet, daß es desselben be-gehrlich geworden, so brauchen wir Fensterstellen, um esvollends an das Licht des Tages herauszuführen; unsereSchemen würden zu Dunst verschweben, wenn wir sie sogeradezu in die bunte verworrene Gesellschaft der wider-hältigen Welt versetzen wollten. Hier kommen uns nun Ew.usw. Urphänomene vortrefflich zustatten; in diesem Zwie-lichte, geistig und begreiflich durch seine Einfachheit,sichtlich oder greif lieh durch seine Sinnlichkeit, begrüßensich die beiden Welten - unser Abstruses und das erschei-nende Dasein einander.»

Wenn auch Goethes Weltanschauung und Hegels Philo-sophie einander vollkommen entsprechen, so würde mansich doch sehr irren, wenn man den Gedanken-LeistungenGoethes und denen Hegels den gleichen Wert zuerkennenwollte. In beiden lebt dieselbe Vorstellungsweise. Beidewollen die Selbstwahrnehmung vermeiden. Doch hat Goe-the seine Reflexionen auf Gebieten angestellt, in denen derMangel der Wahrnehmung nicht schädlich wirkt. Hat erauch nie die Ideenwelt als Wahrnehmung gesehen; er hatdoch in der Ideenwelt gelebt und seine Beobachtungen vonihr durchdringen lassen. Hegel hat die Ideenwelt ebenso-wenig wie Goethe als Wahrnehmung, als individuellesGeist-Dasein geschaut. Er hat aber gerade über die Ideen-welt seine Reflexionen angestellt. Diese sind daher nach vie-

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len Richtungen hin schief und unwahr. Hätte Hegel Beob-achtungen über die Natur angestellt, so wären sie wohlebenso wertvoll geworden wie diejenigen Goethes; hätteGoethe ein philosophisches Gedankengebäude aufstellenwollen, so hätte ihn wohl die sichere Anschauung der wah-ren Wirklichkeit verlassen, die ihn bei seinen Naturbetrach-tungen geleitet hat.

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NACHWORT ZUR NEUAUFLAGE (1918)

Von Beurteilern dieser Schrift wurde gleich nach ihrem Er-scheinen gesagt, daß sie nicht ein Bild von Goethes «Welt-anschauung », sondern nur von seiner «Naturanschauung»gebe. Ich bin nicht der Ansicht, daß dieses Urteil von einemberechtigten Gesichtspunkte aus gefällt ist, wenn auch, äu-ßerlich betrachtet, in dem Buche fast ausschließlich vonGoethes Naturideen die Rede ist. Denn ich glaube im Ver-laufe meiner Ausführungen gezeigt zu haben, daß diese Na-turideen auf einer ganz bestimmten Art, die Welterschei-nungen anzusehen, beruhen. Und ich meine, durch dieSchrift selbst, angedeutet zu haben, daß das Einnehmen ei-nes Gesichtspunktes gegenüber den Naturerscheinungen,wie ihn Goethe gehabt hat, zu bestimmten Ansichten, überpsychologische, historische und weitergehende Weltener-scheinungen führen kann. Was sich in Goethes Naturan-schauung auf einem bestimmten Gebiete ausspricht, ist ebeneine Weltanschauung, nicht eine bloße Naturanschauung,die auch eine Persönlichkeit haben könnte, deren Gedankenfür ein weiteres Weltbild keine Bedeutung haben. Andrer-seits aber glaubte ich in diesem Buche nichts anderes dar-stellen zu sollen, als was sich in unmittelbarem Anschlüssean das Gebiet sagen läßt, das Goethe selbst aus dem Gesamt-umfange seiner Weltanschauung herausgearbeitet hat. DasWeltbild zu zeichnen, das sich in Goethes Dichtungen, inseinen kunstgeschichtlichen Ideen usw. offenbart, ist selbst-verständlich durchaus möglich und zweifellos von dem al-lerhöchsten Interesse. Wer die Haltung der vorliegendenSchrift ins Auge faßt, wird in derselben ein solches Weltbildaber nicht suchen. Ein solcher wird erkennen, daß ich mir

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zur Aufgabe gemacht habe, denjenigen Teil des Goethe-schen Weltbildes nachzuzeichnen, für den in seinen eigenenSchriften Ausführungen vorhanden sind, deren eine aus deranderen lückenlos hervorgeht. Ich habe ja auch an den ver-schiedensten Stellen angedeutet, wo die Punkte liegen, andenen Goethe steckengeblieben ist in dieser lückenlosenHerausarbeitung seines Weltbildes, die ihm für gewisse Na-turgebiete gelungen ist. Goethes Ansichten über die Weltund das Leben offenbaren sich in weitestem Umfange. DasHervorgehen dieser Ansichten aus seiner ihm ureigenenWeltanschauung ist aber aus seinen Werken über das Ge-biet der Naturerscheinungen hinaus nicht in der gleichenArt anschaulich wie auf diesem Gebiete. Auf anderen Ge-bieten wird anschaulich, was Goethes Seele der Welt zuoffenbaren hatte; auf dem Gebiete seiner Naturideen wirdersichtlich, wie der Grundzug seines Geistes eine Weltan-schauung bis zu einer gewissen Grenze Schritt für Schrittsich erobert. Gerade dadurch, daß man in der Zeichnungvon Goethes Gedankenarbeit einmal nicht weiter geht als inder Ausführung desjenigen liegt, was sich in ihm selbst zueinem gedanklich geschlossenen Stück Weltanschauungherausgebildet hat, wird man ein Licht gewinnen für die be-sondere Färbung dessen, was sich sonst in seinem Lebens-werk offenbart. Deshalb wollte ich nicht das Weltbild ma-len, das aus Goethes Lebenswerk im Ganzen spricht, son-dern denjenigen Teil, der bei ihm selbst in der Form zu Tagetritt, in der man eine Weltanschauung gedanklich zum Aus-drucke bringt. Aus einer noch so großen Persönlichkeithervorquellende Anschauungen sind noch nicht Teile einesin sich geschlossenen und von der Persönlichkeit selbst zu-sammenhängend gedachten Weltanschauungsbildes. Aber

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Goethes Naturideen sind ein solches in sich geschlossenesStück eines Weltanschauungsbildes. Und sie sind als Be-leuchtung von Naturerscheinungen nicht eine bloße Natur-ansicht, sondern das Glied einer Weltanschauung.

Daß man mir auch angesichts dieses Buches vorgeworfenhat, meine Anschauungen haben sich seit dem Erscheinendesselben geändert, wundert mich nicht, da ich nicht unbe-kannt bin mit den Voraussetzungen, von denen man sichbei solchen Urteilen leiten läßt. Ich habe mich in der Vor-rede zum ersten Bande meiner «Rätsel der Philosophie»und in einem Aufsatze in der Zeitschrift «Das Reich » («DieGeisteswissenschaft als Anthroposophie und die zeitgenös-sische Erkenntnistheorie», 2. Jahrgang, 2.Buch des «Rei-ches ») über dieses Suchen nach Widersprüchen in meinenSchriften ausgesprochen. Ein solches Suchen ist nur bei Be-urteilern möglich, die völlig verkennen, wie gerade meineWeltanschauung sich verhalten muß> wenn sie verschiedeneGebiete des Lebens ins Auge fassen will. Ich will hier nichtim allgemeinen auf diese Frage noch einmal eingehen, son-dern nur kurz einiges mit Bezug auf dieses Goethebuch be-merken. Ich selber sehe in der anthroposophisch orientier-ten Geisteswissenschaft, die ich in meinen Schriften seit 16Jahren zur Darstellung bringe, diejenige Erkenntnisart fürden dem Menschen zugänglichen geistigen Weltgehalt, zuwelcher derjenige kommen muß, der dieGoetheschenNatur-ideen als etwas ihm Gemäßes in seiner Seele belebt hat undvon da ausgehend zu Erkenntniserlebnissen über das Geist-gebiet der Welt strebt. Ich bin der Ansicht, daß diese Geistes-wissenschaft eine Naturwissenschaft voraussetzt, die der

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Goetheschen entspricht. Nicht so nur meine ich das, daß dievon mir zur Darstellung gebrachte Geisteswissenschaft die-ser Naturwissenschaft nicht widerspricht. Denn ich weiß,daß es wenig besagen will, wenn zwischen verschiedenenBehauptungen nur kein logischer Widerspruch ist. Sie könn-ten deshalb doch in der Wirklichkeit durchaus unverträglichsein. Sondern ich glaube einzusehen, daß Goethes Ideenüber das Naturgebiet, wirklich erlebt, zu den von mir darge-legten anthroposophischen Erkenntnissen notwendig füh-ren müssen, wenn man, was Goethe noch nicht getan hat,die Erlebnisse im Naturgebiet überleitet zu Erlebnissen imGeistgebiet. Wie diese letzteren Erlebnisse geartet sind, dasfindet man in meinen geisteswissenschaftlichen Werken be-schrieben. Aus diesem Grunde findet man den wesentlichenInhalt des vorliegenden Buches, das ich 1897 zum erstenMale veröffentlicht habe, als meine Wiedergabe der Goethe-schen Weltanschauung auch jetzt, nach der Veröffentli-chung meiner geisteswissenschaftlichen Schriften, wiederabgedruckt. Alle darin dargestellten Gedanken gelten mirunverändert auch heute. Ich habe nur an einzelnen StellenÄnderungen angebracht, die sich nicht auf die Haltung derGedanken, sondern nur auf Stilisierung einzelner Ausfüh-rungen erstrecken. Und daß man, nach zwanzig Jahren, beieinem Buche da oder dort einiges anders zu stilisierenwünscht, kann am Ende begreiflich erscheinen. Was sonstin der Neuauflage anders ist als in der vorigen sind einigeErweiterungen, nicht Änderungen des Inhalts. Ich bin derMeinung, daß wer einen naturwissenschaftlichen Unterbaufür die Geisteswissenschaft sucht, ihn durch Goethes Welt-anschauung finden kann. Deshalb scheint mir, daß eineSchrift über Goethes Weltanschauung auch dem von Be-

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deutung sein kann, der sich mit der anthroposophisch orien-tierten Geisteswissenschaft beschäftigen will. Meine Schriftist aber so gehalten, daß sie Goethes Weltanschauung ganzfür sich, ohne Be^ug^ur eigentlichen Geisteswissenschaft, betrach-ten will. (Einiges von dem, was von besonderem geisteswis-senschaftlichen Gesichtspunkte über Goethe zu sagen ist,wird man in meiner Schrift über «Goethes Faust und dasMärchen von der grünen Schlange » finden.)

Nachträgliche Anmerkung: Ein Kritiker dieses Goethe-buches (in den Kantstudien III, 1898) hat geglaubt, einenbesonderen Fund in bezug auf meine «Widersprüche » zumachen, indem er, was ich in diesem Buche über den Plato-nismus sage (in der ersten Auflage 1897) zusammenstelltmit einem Ausspruche, den ich fast ganz zur selben Zeit inmeiner Einleitung zum 4. Band von Goethes naturwissen-schaftlichen Schriften (Kürschnersche Ausgabe) getan ha-be: «Die Philosophie Platos ist eines der erhabensten Ge-dankengebäude, die je aus dem Geiste der Menschheit ent-sprungen sind. Es gehört zu den traurigsten Zeichen unse-rer Zeit, daß platonische Anschauungsweise in der Philoso-phie geradezu für das Gegenteil von gesunder Vernunftgilt.» Es wird gewissen Geistern eben schwer begreiflich,daß ein jeglich Ding von verschiedenen Seiten betrachtet,verschieden sich darstellt. Daß meine verschiedenen Aus-sprüche über den Piatonismus keinen wirklichen Wider-spruch darstellen, wird derjenige leicht einsehen, der nichtan die bloßen Wortklänge sich hält, sondern auf die ver-schiedenen Beziehungen eingeht, in die ich das eine und dasandere Mal den Piatonismus, durch seine eigene Wesenheit,

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bringen mußte. Es ist einerseits ein trauriges Zeichen, wennman den Piatonismus als der gesunden Vernunft widerstre-bend ansieht, weil man dieser nur gemäß findet das Stehen-bleiben bei der bloßen Sinnesanschauung als der einzigenWirklichkeit. Und es ist auch einer gesunden Anschauungvon Idee und Sinneswelt widerstrebend, wenn man den Pla-tonismus so wendet, daß durch ihn eine ungesunde Tren-nung von Idee und Sinnesanschauung bewirkt wird. Werauf eine solche Art gedanklicher Durchdringung der Er-scheinungen des Lebens nicht eingehen kann, der bleibt,mit dem, was er begreift, immer außerhalb der Wirklichkeitstehen. Wer - um mit Goethe zu reden - einen Begriff hin-pfahlt, um einen reichen Lebensinhalt zu begrenzen, der hatkeinen Sinn dafür, daß sich das Leben in Beziehungen aus-gestaltet, die nach den verschiedenen Richtungen hin ver-schieden wirken. Es ist allerdings bequemer, an die Stelleeiner Ansicht des vollen Lebens einen schematischen Begriffzu setzen; man kann mit solchen Begriffen eben leicht sche-matisch urteilen. Man lebt aber durch einen solchen Vor-gang in wesenlosen Abstraktionen. Die menschlichen Be-griffe werden gerade dadurch zu solchen Abstraktionen, daßman meint, man könne sie im Verstande so behandeln, wiedie Dinge einander behandeln. Aber diese Begriffe gleichenvielmehr Bildern, die man von verschiedenen Seiten her voneinem Dinge aufnimmt. Das Ding ist eines; der Bilder sindviele. Und nicht die Einstellung auf ein Bild, sondern dasZusammen schauen mehrerer Bilder führt zu einer An-schauung des Dinges. Da ich nun leider sehen mußte, wieviel Neigung bei manchen Beurteilern vorhanden ist, auseinem solchen, nach Durchdringung mit der Wirklichkeitstrebenden Betrachten einer Erscheinung unter verschiede-

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nen Gesichtspunkten «Widersprüche » zu konstruieren, sofühlte ich mich veranlaßt, in dieser Neuauflage bei den Aus-führungen über den Piatonismus erstens durch eine etwasveränderte Stilisierung der in der ersten Auflage gegebenenDarstellung dasjenige noch besonders deutlich zu machen,was mir vor zwanzig Jahren wahrlich klar genug aus demZusammenhange, in dem er steht, zu sein schien; zweitensdurch unmittelbares Setzen des Ausspruches aus meiner an-dern Schrift neben das, was in diesem Buche gesagt ist, zuzeigen, wie die beiden Aussprüche in vollem Einklang mit-einander stehen. Wer nun aber doch den Geschmack hat,in solchen Dingen Widersprüche zu finden, dem habe ichdadurch die Mühe erspart, sie erst aus zwei Büchern zusam-mensuchen zu müssen.

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HINWEISE DES HERAUSGEBERS

NAMENREGISTER

ÜBERSICHT ÜBER DIERUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE

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HINWEISE DES HERAUSGEBERS

dieser Ausgabe

Seit 1882 war Rudolf Steiner auf Empfehlung seines Lehrers, desGermanisten Karl Julius Schröer, Herausgeber der naturwissen-schaftlichen Schriften Goethes. Die fünf von Steiner besorgtenBände waren Teil der sechsunddreißigbändigen Goethe-Ausgabeund erschienen zwischen 1884 und 1897 in Joseph Kürschners«Deutsche National-Litteratur». Im Jahre 1890 übersiedelte RudolfSteiner von Wien nach Weimar und wurde ständiger Mitarbeiter amdortigen Goethe- und Schiller-Archiv. In dieser Eigenschaft gab ervon 1891 bis 1897 sechs Bände von Goethes naturwissenschaftlichenSchriften in der großen Weimarer Sophien-Ausgabe heraus.

Sein Plan zu einem Werk über Goethes Weltanschauung läßt sichbis ins Jahr 1890 zurückverfolgen. Wie aus seinen Briefen hervor-geht, dachte Steiner damals daran, eine «Goethe-Philosophie» zuschreiben. (Brief an R. Specht, 18. 10. 1890 und an P. Specht,22. 11. 1890, in «Briefe II, 1890-1925», GA 39.) Am 19. Dezember1891 forderte der Verleger Emil Felber in einem Brief Rudolf Steinerauf, aufgrund seiner umfassenden Erfahrung ein Buch über dieBedeutung Goethes für die Naturwissenschaft zu schreiben. Steinerplante darauf eine Schrift mit dem Titel «Goethes Verhältnis zurWissenschaft» oder «Goethe als Naturforscher» (an P. u. L. Specht,31. 12. 1891 und an P.Specht, 25. 2. 1892), und noch Ende 1896 undAnfang 1897 betitelte er in seinen Briefen das im Entstehen begriffe-ne Werk: «Goethes Naturanschauung». (An A. Eunike, 19. 12. 1896und 11.1. 1897.) Im Februar 1897 tauchte zum ersten Mal derendgültige Titel «Goethes Weltanschauung» auf in Steiners Brief anAnna Eunike vom 8. 2. 1897. Das Manuskript zu diesem Buchwurde Ende April 1897 abgeschlossen. Noch im selben Jahr erschieneine zweite (unveränderte) Auflage.

Im Bestreben, die Kontinuität seiner eigenen Weltanschauungvon der ersten Goethe-Schrift bis zur Anthroposophie darzustellen,legte Rudolf Steiner seit 1918 seine frühen, «voranthroposophi-schen» Schriften neu auf. Die Neuausgabe von «Goethes Weltan-schauung» erschien 1918 im Philosophisch-AnthroposophischenVerlag (Berlin). Bei dieser Ausgabe wurden im selben Jahr sogarzwei Nachauflagen nötig. 1918 legte Steiner auch sein vor über

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zwanzig Jahren erschienenes philosophisches Hauptwerk «Die Phi-losophie der Freiheit» wieder auf. Während es sich bei dieserNeuauflage aber um eine Überarbeitung des Textes handelte, beton-te Steiner, daß «Goethes Weltanschauung» ohne wesentliche Ände-rungen, nur mit einigen Erweiterungen und Ergänzungen wieder-aufgelegt wurde. (Die zwei Kapitel über die platonische Weltan-schauung sind allerdings nicht nur stilistisch, sondern inhaltlichentscheidend überarbeitet.)

Erläuterungen über die Entstehungsbedingungen dieses Buchesfinden sich in Rudolf Steiners Autobiographie «Mein Lebensgang»,GA28, S. 312-315.

Textgrundlage: 5. Auflage (bezeichnet als 5.-12. Auflage), Philo-sophisch-Anthroposophischer Verlag, Berlin 1921 (Ausgabe letzterHand).

Die 7. Anfluge (1963, zugleich erste Auflage innerhalb der Ge-samtausgabe) wurde besorgt von Andreas Dollfus. Für diese Ausga-be, und zusätzlich für die Taschenbuchausgabe (1979, besorgt vonCaroline Wispler und Andreas Dollfus) wurde der Text in Ortho-graphie, Interpunktion und Abkürzungen vereinheitlicht. Die Zita-te wurden überprüft und in bezug auf zahlreiche Unstimmigkeitenkorrigiert und ergänzt; Stellen, die Rudolf Steiner offensichtlichzum Zwecke einer bestimmten Verdeutlichung abgeändert hat,wurden so belassen und in den Hinweisen zum Text im ursprüngli-chen Wortlaut angeführt. Die Hervorhebungen in den Zitatenstammen meist von Rudolf Steiner. Die Quellenangaben im Textwurden kontrolliert und, wenn nötig, ergänzt, korrigiert und ver-einheitlicht (siehe die unten angeführten Goethe-Ausgaben). Hin-weise zum Text und ein Personenregister wurden dieser Ausgabehinzugefügt.

Die 8. Auflage (1990) wurde besorgt von David Hoff mann. DerText wurde mit der letzten von Rudolf Steiner besorgten Ausgabe(1921, Ausgabe letzter Hand) genau verglichen. Alle seit dieserAusgabe von Herausgebern vorgenommenen Änderungen wurdengeprüft und entweder rückgängig gemacht oder, wo nötig, sobelassen und in nachfolgendem Verzeichnis der Textkorrekturennachgewiesen. Nicht besonders erwähnt wurden Druckfehlerkor-rekturen, die behutsamen Modernisierungen in Orthographie undInterpunktion sowie die Korrekturen in den Zitaten und die Verein-

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heitlichungen der Quellenangaben. Die Hinweise und das Namen-register wurden ergänzt.

Textkorrek turen

Verzeichnis der inhaltlichen Herausgeberkorrekturen gegenüberdem Text der Ausgabe letzter Hand (1921):Seite Zeile

8 1 Daß mich statt Daß ich mich Sinngemäße Korrekturdes Herausgebers.

79 8 Wahrnehmung statt Wahrheit Korrektur nach 1. Aufl.83 30 Gegenstände statt Gegensätze Korrektur nach 1. Aufl.

108 8 sein statt ein Korrektur nach 1. Aufl.126 10 und des Wasserstoffs Ergänzung nach 1. Aufl.177 5 nur Ergänzung nach 1. Aufl.183 17 f. weggenommen statt vorgenommen Korrektur nach

1. Aufl.186 24 f. gewonnenen statt genommenen Korrektur nach

1. Aufl.201 2 daß statt da Korrektur nach 1. Aufl.201 23 steigt statt fällt Sinngemäße Korrektur des Herausge-

bers.215 30 einem statt einer Korrektur des Herausgebers.

Für den Nachweis der Zitate verwendete Goethe-Ausgaben

WA/Weimarer Ausgabe: Goethes Werke, herausgegeben im Auf-trag der Großherzogin Sophie von Sachsen, 4 Abt., 133 Bde.,Weimar 1887-1917. Photomech. Nachdruck München 1987.

Kürschner: Goethes Werke, Naturwissenschaftliche Schriften, her-ausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Rudolf Steiner inKürschners «Deutsche National-Litteratur», Bde. 33-36/2, Berlinu. Stuttgart 1884—1897. In den Hinweisen zum Text zitiert nach demphotomechanischen Nachdruck Rudolf Steiner GesamtausgabeDornach 1975, GA 1 a-e, Sonderausgabe Dornach 1982.

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Eckermann: Johann Peter Eckermann, «Gespräche mit Goethe inden letzten Jahren seines Lebens» (1836-1848). Siehe v. a. dieAusgabe von Regine Otto unter Mitarbeit von Peter Wersig, Berlinund Weimar 1982, München 1984, mit Nachwort, Kommentar undRegister.

Goethes Gespräche: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenös-sischer Berichte aus seinem Umgang, auf Grund der Ausgabe unddes Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann, ergänztund herausgegeben von Wolfgang Herwig, 5 Bde., Zürich undStuttgart 1965-1987.

Hinweise zum Text

Werke Rudolf Steiners, welche innerhalb der Gesamtausgabe (GA) erschie-nen sind, werden in den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer angege-ben. Siehe auch das Namenregister und die Übersicht am Schluß des Bandes.

Zu Seite

9 daß «wir durch nichts so sehr veranlaßt werden . . .»: Tag- undJahreshefte, Schluß vom Jahre 1805. WA 1. Abt., Bd. 35, S. 244/245.

10 Sie ließen . . . die Ideen reifen, die ich vor mehr als zehn JahrenSiehe die Einleitungen in Goethes Natw. Sehr.; gesondert gedrucktals «Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftliche Schriften», GA1. - Über die Zeit der Herausgebertätigkeit, siehe Rudolf Steiner,«Mein Lebensgang», Kapitel VI, IX ff., GA 28.

14 «Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme . . .»: Johann PeterEckermann, «Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seinesLebens», Gespräch vom 15. Oktober 1825.

15 «Man sagt, zwischen zwei entgegengesetzten . . .»: Sprüche in Prosa,Kürschner Band V, S. 362.

16 Eckermann, Johann Peter, 1792-1854, aus ärmlichsten VerhältnissenNiedersachens stammend hat er weitgehend autodidaktisch seinemalerische, schriftstellerische und wissenschaftliche Begabung aus-gebildet; 1823 wurde er Gehilfe und Mitarbeiter Goethes für dieAusgabe letzter Hand und zusammen mit Riemer der Herausgebervon Goethes Nachlaß; seine «Gespräche mit Goethe» erschienen1836-1848.

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16 Zelter, Carl Friedrich, 1758-1832, Musiker und Komponist, wurde1800 Leiter der Berliner Singakademie, gründete das Institut fürKirchenmusik und erhielt eine Professur an der Akademie derKünste. Die langjährige Brieffreundschaft mit Goethe begann 1799,nachdem Zelter bereits einige Gedichte Goethes vertont hatte.

21 Goethe erzählt von einem Gespräch ...: Siehe den Aufsatz: Glückli-ches Ereignis. Kürschner Band I, S. 108-113 (darin auch die folgen-den Zitate). Das erwähnte Gespräch fand vmtl. zwischen dem 20. und23. Juli 1794 statt.

Schiller, Friedrich, 1759-1805, kam 1787 nach Weimar, übernahm1789 eine Geschichtsprofessur in Jena, aber erst 1794 kam es zu derfür Schiller und Goethe lebensbestimmenden Begegnung.

24 Xenophanes, um 570 - um 490 v. Chr., vorsokratischer Philosophund Dichter.

ParmenideSy 5. Jh. v. Chr., vorsokratischer Philosoph, Begründer dereleatischen Schule.

26 Plato, 427-347 v. Chr.

«Die Dinge dieser Welt, welche unsere Sinne wahrnehmen . . .»: Beidem ganzen Abschnitt und dem folgenden, nicht nachgewiesenenZitat handelt es sich um eine freie Zusammenfassung der Stelle überdas Höhlengleichnis im 7. Buch von Platos «Staat».

31 Augustinus, Aurelius, 354—430, Kirchenvater.

«Ohne jedes Schwanken wollen wir glauben . . .»: Augustinus, Ep.140, 7; zitiert nach Otto Willmann, Geschichte des Idealismus,2. Band, Braunschweig 1896, S. 266.

34 Aristoteles, 384-322 v. Chr.

35 Thomas von Aquino, um 1225-1274, der größte christliche Theologedes Mittelalters.

Bacon, Francis, 1561-1626, englischer Philosoph.

Descartes, Rene, 1596-1650, französischer Philosoph, Mathematikerund Naturforscher.

36 «Denn oh er schon selbst immer darauf hindeutet. . .»: Geschichteder Farbenlehre, Baco von Verulam. Kürschner Band IV, S. 171.

38 Spinoza, Baruch von, 1632-1677, Philosoph aus Amsterdam, portu-giesisch-jüdischer Abstammung. - Lessing und Herder erschlossendie Bedeutung seiner All-Einheitslehre dem deutschen Geistesleben.

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39 Hume, David, 1711-1776, englischer Philosoph und Geschichts-schreiber.

40 Kant, Immanuel, 1724-1804.

48 «Die hohen Kunstwerke sind zugleich . . .»: Italienische Reise, Rom6. September 1787. WA 1. Abt., Band 32, S. 77/78.

«Ich habe eine Vermutung, daß sie . . .»: Italienische Reise, Rom 28.Januar 1787. WA 1. Abt., Band 30, S. 265.

Winckelmann, Johann Joachim, 1717-1768, Altertumsforscher, ei-gentlicher Begründer der Kunstgeschichte des Altertums.

«indem der Mensch auf den Gipfel der Natur . . .»: Winckelmann,Kapitel: Schönheit. WA 1. Abt., Band 46, S. 29.

49 «wenn er zu seinem Talente noch . . .»: Einfache Nachahmung derNatur, Manier, Stil. WA 1. Abt., Band 47, S. 82.

daß er «auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis . . .»: Ebenda,S. 80.

51 (vgl. meinen Nachweis von Goethes Urheberschaft . . .): RudolfSteiner, Zu dem <Fragment> über die Natur. Wiedergedruckt in:«Methodische Grundlagen der Anthroposophie. Gesammelte Auf-sätze 1884-1901», GA 30, S. 320-327.

«Natur! Wir sind von ihr umgeben . . .»: Die Natur. Aphoristisch.Kürschner Band II, S. 5.

52 In Rom hat er «über Kunst und ihre theoretischen Forderungen . . .»:Einwirkung der neueren Philosophie. Kürschner Band II, S. 26.

Moritz, Karl Philipp, 1757-1793, Schriftsteller, Ästhetiker; FreundGoethes seit dem Herbst in Rom, 1786. Der rege Austausch über alleFragen der bildenden Kunst und der Poesie sowie der Naturanschau-ung bedeutete für beide intensivste Förderung in der Ausgestaltungihrer Ideen.

«Denn als die Vegetation . . .»: Einwirkung der neueren Philosophie,Kürschner Band II, S. 26 f.

«Beiphysischen Untersuchungen . . .»: Ebenda.

53 «friedliche Wirkung» (Spinozas auf Goethe): Dichtung und Wahr-heit, IV. Teil, 16. Buch. WA 1. Abt., Band 29, S. 11.

«Denke man aber nicht, daß ich . . .»: Ebenda.

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54 «Durch die Pendelschläge wird die Zeit .. .»: Sprüche in Prosa.Kürschner Band V, S. 430.

daß sie «eine Entwicklung aus einem lebendigen . . .*; Einwirkungder neueren Philosophie. Kürschner Band II, S. 28.

«Die Idee ist ewig und einzig; . . .»: Sprüche in Prosa. KürschnerBand V, S. 379.

«das Ideelle im Reellen anerkennen . . .»: Ebenda, S. 425/26: «Wirleben in einer Zeit, wo wir uns täglich mehr angeregt fühlen, diebeiden Welten, denen wir angehören, die obere und die untere, alsverbunden zu betrachten, das Ideelle im Reellen anzuerkennen undunser jeweiliges Mißbehagen mit dem Endlichen durch Erhebung insUnendliche zu beschwichtigen».

daß «die Natur nach Ideen verfahre . . .»: Ebenda.

56 «Mit einiger Aufmerksamkeit konnte ich bemerken .. .*; Einwir-kung der neueren Philosophie. Kürschner Band II, S. 27.

57 Der Eingang (der Kritik der reinen Vernunft) war es . . .»: Ebenda,S.28.

«Sie hörten mich wohly konnten mir aber. , .»: Ebenda, S. 29.

60 «Herr Dr. Heinroth . . . spricht von meinem Wesen. . .»: BedeutendeFördernis durch ein einziges geistreiches Wort. Kürschner Band II,S.31.

Heinroth, Johann Christian, 1773-1843, Anthropologe und Natur-forscher in Leipzig; in seinem «Lehrbuch der Anthropologie», 1822,geht er auf Goethes Denkart ein; Goethe antwortet 1823 darauf mitdem Aufsatz: Bedeutende Fördernis durch ein einziges geistreichesWort,

61 «Hier ruhst du unmittelbar auf einem Grunde, ,.»: Über denGranit. Kürschner Band V, S. 588.

64 «Wenn die gesunde Natur des Menschen .. .»: Winckelmann. Kapi-tel: Antikes. WA 1. Abt., Band 46, S. 22.

66 «Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst ,. .»: Sprüche in Prosa.Kürschner Band V, S. 349.

«Die Theorie an und für sich ist nichts nutze. . .»: Ebenda, S. 357.

70 «Der Mensch an sich selbst^ insofern er . ..»: Ebenda, S. 351.

71/72 «Jacobi <Von den göttlichen Dingern machte mir nicht wohl .. .»:Tag- und Jahreshefte 1811. WA 1. Abt., Band 36, S. 71/72.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:6 Seite:225

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71/72 Jacobi, Friedrich Heinrich, 1743-1819, Kaufmann, Jurist, Philosophund Schriftsteiler; seit der ersten Begegnung mit Goethe 1774verband sie eine herzliche Freundschaft, die aber immer wiedergetrübt wurde durch die grundsätzlich verschiedenen Ausgangs-punkte beider.

72 In einem Briefe an Jacobi: Vom 5. Mai 1786, wörtlich: «. .. Dagegenhat dich aber auch Gott mit der Metaphisick gestraft und dir einenPfal ins Fleisch gesetzt, mich dagegen mit der Phisick geseegnet,damit es im Anschauen seiner Wercke wohl werde, deren er mir nurwenige zu eigen hat geben wollen.»

73 «Das Höchste wäre, zu begreifen . . .»: Sprüche in Prosa. KürschnerBand V, S. 376.

74 «Wenn wir ja im Sittlichen, durch Glauben . . .»: AnschauendeUrteilskraft. Kürschner Band I, S. 116.

«zu erforschen, zu erfahren, wie Natur im Schaffen lebt.»: GedichtParabase, Vers 3 und 4; aus der Gedichtsammlung: Gott und Welt.WA1. Abt., Band 3, S. 84.

75 «Hypothesen sind Gerüste, die man . . .»: Sprüche in Prosa.Kürschner Band V, S. 358.

76/77 «Es sind am Ende doch nur, wie mich dünkt . . .»: Erfahrung undWissenschaft. Kürschner Band V, S. 595.

77 «Wofass* ich dich, unendliche Natur? . . .»: Faust I, Studierzimmer.Vers 455 ff.

78 «In den Blüten tritt das vegetabilische Gesetz. . ,»: Sprüche in Prosa.Kürschner Band V, S. 495.

79 «daß die Natur kein Geheimnis habe . . .*; Tag- und Jahreshefte1790. WA 1. Abt., Band 35, S. 15/16.

« . . . vom Ziegelstein, der dem Dache entstürzt. . .»: Paralipomenazur Chromatik. Kürschner Band V^ S. 294.

«Alle Wirkungen, von welcher Art sie seien . . . » : und «Ein Ziegelsteinlöst sich vom Dache los ...»: Ebenda, S. 293 bzw. S. 294.

81 Holbach, Paul Heinrich Dietrich, 1723-1789, Freund Diderots undmit ihm Träger der Enzyklopädistenbewegung in Paris. «Systeme dela nature - ou des lois du monde physique et du monde moral»,London, Amsterdam 1770, 2 Bände.

«Eine Materie sollte sein von Ewigkeit . . .»: WA 1. Abt., Band 28,S. 70.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:6 Seite:226

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81 Du Bois-Reymond, Emil, 1818-18%, Naturwissenschafter an derUniversität zu Berlin. «Über die Grenzen des Naturerkennens.»Vortrag, gehalten in der 2. öffentlichen Sitzung der 45. Versammlungdeutscher Naturforscher und Ärzte, Leipzig 1872.

82/83 «Das Gesetz, das in die Erscheinung tritt . . .» : Sprüche in Prosa.Kürschner Band V, S. 495.

83 als Naturforscher will er «die Gesetze kennen . . .»: Ebenda.

nach «tausendfältigen Pflanzen» .. .; Eckermann, Gespräch vom20. Februar 1831.

83 «Wer sie (meine Schriften) und mein Wesen überhaupt.. .»: GoethesGespräche, Bd. III/2, S. 743, Nr. 6751.

84 «Die Umfassenden, die man in einem stolzern Sinne . ..»: Vorarbei-ten zu einer Physiologie der Pflanzen. Kürschner Band V, S. 563.

85 «Wie hast du's denn so weit gebracht? . . .»: Zahme Xenien, VII.Abteilung. WA 1. Abt., Band 5 ,1 , S. 92.

87 «die Probleme der Welt zu lösen . . .»: Siehe den Hinweis zu S. 14.«Kant hat unstreitig am meisten genützt.. .*: Eckermann, Gesprächvom 1. September 1829.

87/88 als «durch geregelte Erfahrung zu einer Art von bedingter . . .»:Sprüche in Prosa. Kürschner Band V, S. 449.

88 daß «ein höherer Einfluß die Standhaften . . .»: Des jungen Feldjä-gers Kriegskamerad, gefangen und strandend, immer getrost undtätig. Vorwort von Goethe (1826). WA 1. Abt., Band 42,1, S. 125/126. Dort heißt es wörtlich: «Ein höherer Einfluß begünstigt dieStandhaften, die Tätigen, die Verständigen, die Geregelten undRegelnden, die Menschlichen, die Frommen. Und hier erscheint diemoralische Weltordnung in ihrer schönsten Offenbarung, da wo siedem guten, dem wackern Leidenden mittelbar zu Hülfe kommt.»

89 «Pflicht: wo man liebt, was man sich selbst befiehlt.»: Sprüche inProsa, Kürschner Band V, S. 460 (nach <Pflicht> bei Goethe einKomma).

«Lessing, der mancherlei Beschränkung unwillig fühlte. . .»: Ebenda.

Lessing, Gotthold Ephraim, 1729-1781. Die Haltung des Dichters,Denkers und Kritikers Lessing gegenüber den Werken des jungenGoethe war skeptisch und ablehnend; nur allmählich bildete sichAnerkennung. Goethe hingegen hegte Zeit seines Lebens die größte

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:6 Seite:227

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Achtung und Verehrung für Lessing. Eine Begegnung ist nichtzustande gekommen.

90 Der Wille «muß, um vollkommen zu werden .. .»: Sprüche in Prosa.Kürschner Band V, S. 412.

«Der Mensch, wie sehr ihn auch die Erde anzieht. . .*; Tagebuch desKanzlers von Müller, 29. April 1818, Goethes Gespräche, Bd. III/l ,S. 62, Nr. 4561.

«Was gar nicht aufzulösen ist, überlassen wir Gott . . .»: Nichtnachgewiesen.

«Hierbei bekenn* ich, daß mir von jeher. . .»: Bedeutende Fördernisdurch ein einziges geistreiches Wort. Kürschner Band II, S. 32.

91 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, 1775-1854; auf Goethes Veran-lassungwurde der Philosoph 1798 nach Jena berufen; er lehrte späterin Erlangen, München und Berlin. Goethe war besonders seinerNaturphilosophie verbunden; den späteren Mystizismus Schellingslehnte er ab.

«Ich würde ihn (Schelling) Öfters sehen. . .».- Brief an Schüler vom 19.Februar 1802.

92 die Natur sei «in dem Reichtum der Schöpfung so groß . . .»:Eckermann, Gespräch vom 20. Februar 1831.

93 Max Stirner, 1806-1856, deutscher individualanarchistischer Philo-soph, von Rudolf Steiner in den neunziger Jahren äußerst geschätzt,vgl. dazu Steiners Briefe an den Stirner-Wiederentdecker, -Biogra-phen und -Herausgeber John Henry Mackay in «Briefe II,1890-1925», GA 39; und die Erwähnungen in «Friedrich Nietzsche,ein Kampfer gegen seine Zeit» (1895), GA 5, S. 96-99, und im Aufsatz«Der Individualismus in der Philosophie» (1899), GA 30, S. 143-148.Die zitierte Stelle bildet den Schluß von Stirners Hauptwerk «DerEinzige und sein Eigentum», Leipzig 1845.

«In deinem Nichts hoff ich das All zu finden»: Faust II, 1. Akt,Finstere Galerie, Vers 6256.

«Du gleichst dem Geist, den du begreifst. . .»: Faust I, Nacht, Vers512.

94 «In Lebensfluten, im Tatensturm . . .»: Ebenda, Vers 501 ff.

97 Als Förster die Ansicht aussprach . . .: Gespräch mit Friedrich Förstervmtl. im Jahre 1828, Goethes Gespräche, Bd. III/2, S. 295, Nr. 6187.

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:6 Seite:228

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97 Förster, Friedrieb, 1791-1868, historischer Schriftsteller und Lehrerin Berlin, später Kustos am königlichen Museum und Journalist.

98 «Ich war mir edler, großer Zwecke bewußt .. .»: BiographischeEinzelheiten. Aus meinem Leben. Fragmentarisches. Späte Zeit.W A L Abt. Band 36,5.231.

101 Knebel, Karl Ludwig, 1744-1834, Jurist und Offizier in preußischenDiensten; wurde 1774 als Erzieher des Prinzen Konstantin nachWeimar berufen und arrangierte in dem Jahr die erste BegegnungKarl Augusts mit Goethe. 1781 zog er sich nach Jena zurück undwidmete sich dem Studium der alten Literatur. Mit Goethe verbandihn zeitlebens eine tiefe Freundschaft.

101 Emil Du Bois-Reymond, Goethe und kein Ende, Rektoratsrede am15. Oktober 1882 an der Berliner Universität, Leipzig 1883.

103 das leibliche Auge . . . das geistige Auge: Zu diesem GoetheschenAusdruck vgl. das Zitat auf S. 150/51, sowie im: Entwurf einerEinleitung in die vergleichende Anatomie, Kürschner Band I, S. 262:«Wir lernen mit den Augen des Geistes sehen, ohne die wir, wieüberall, so besonders auch in der Naturforschung, blind umherta-sten.»

Die Metamorphose der Pflanzen: Kürschner Band I, S. 92 ff.,innerhalb des Aufsatzes: Schicksal der Druckschrift.

Die Metamorphose der Tiere: Ebenda, S. 344 ff., innerhalb derVorträge über vergleichende Anatomie.

104 «Das arme Tier zittert im Netze . . .»: Brief an Hetzler jun.,abgedruckt in WA 4. Abt., Band 1, S. 237.

105 «Wer will was Lebendig's erkennen und beschreiben . , .»: Faust I,Studierzimmer, Vers 1936-1939.

Karl August, 1757-1828, regierender Herzog von Sachsen-Weimarseit 1775, Großherzog seit 1815. Er hatte Goethe 1774 auf einer Reisein Frankfurt kennengelernt und berief ihn Ende 1775 nach Weimar;Goethe wurde sein Freund, Erzieher und nächster Vertrauter; sievermochten es, alle die produktiven Geister Deutschlands anzuzie-hen, die Weimar und das benachbarte Jena zum Zentrum derdamaligen kulturellen Welt machten.

106 Stein, Charlotte Albertine Ernestine von, geb. von Schardt,1742-1827, war 15 jährig in den Hof dienst der Herzogin AnnaAmalia getreten, seit 1764 mit dem herzoglichen Oberstallmeistervon Stein in Weimar verheiratet. Die Tiefe der Begegnung mit

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Goethe, den Bruch nach der Italienischen Reise und die allmählicheVersöhnung spiegeln die Briefe Goethes an sie.

107 Linne, Karl von, 17Q7-X778, schwedischer Naturforscher, Arzt mitProfessur für Medizin und für Botanik in Uppsala.

Er gesteht, daß nach Shakespeare und Spinoza . . .: Siehe den Briefvom 7. November 1816 an Zelter; sowie: Geschichte meines botani-schen Studiums. Kürschner Band I, S. 68.

Shakespeare, William, 1564-1616. Goethe lernte die Dramen desgroßen englischen Dramatikers in Straßburg durch Herder kennenund widmete sich ihnen mit uneingeschränkter Begeisterung (siehedie Rede über Shakespeare am 14.10. 1771); es folgten Phasenkritischer Auseinandersetzung mit Shakespeares Werk, insbesondereihre Aufführbarkeit betreffend; siehe die BühnenbearbeitungGoethes von «Romeo und Julia» und die Auseinandersetzung umden «Hamlet» in «Wilhelm Meisters Lehrjahren».

108 was Linne «mit Gewalt auseinander zu halten suchte . . .»: Geschich-te meines botanischen Studiums. Kürschner Band I, S. 68.

«Spezies zählen wir so viel. . .»: Die Stelle lautet bei Linne, Generaplantarum, Frankfurt 1789, S. XII: «Species tot sunt diversae, quotdiversas formas ab inkio creavit infinitum ens.»

Rousseau, Jean-Jacques, 1712-1778, französischer Philosoph undSchriftsteller, dessen Ideen in bezug auf ein neues Verhältnis zurNatur, sowie zur Pädagogik beherrschend auf das europäischeGeistesleben des 18. Jahrhunderts wirkten. Goethe hat vielfältigeAnregungen von ihm empfangen, sowohl im Dichterischen wie inbezug auf seine botanischen Studien.

«Sein Verhältnis zu Pflanzenfreunden . . .»: Kürschner Band I, S. 73.

109 Gleichen, Wilhelm Friedrich von, 1717-1783, Botaniker.

Merck, Johann Heinrich, 1741-1791, vielseitig gebildeter und inter-essierter Schriftsteller und Kritiker; Kriegsrat in Darmstadt. Er lernteGoethe 1771 kennen, erkannte sein Genie und zog ihn zur Mitarbeitan seinem «Frankfurter Gelehrten Anzeiger» hinzu. Nach intensiverFreundschaft, gegenseitiger Förderung und Teilnahme folgte Di-stanz und Entfremdung nach der Italienischen Reise Goethes.

Lavater, Johann Kaspar, 1741-1801, Prediger und Schriftsteller inZürich. Goethe und Lavater standen seit 1773 in Briefwechsel; dieBegegnungen in Frankfurt (1774) und Zürich (1775 und 1779)

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begründeten eine zunächst innige Freundschaft und Teilnahme anden Produktionen; nach 1780 folgte eine zunehmende Entfremdung.

111 Einsiedel, August Hildebrand von, 1721-1793, Geheimer Rat;Goethe war mit der Familie eng verbunden und setzte sich in privatenSchwierigkeiten für sie ein. Der älteste Sohn gehörte zum engstenFreundeskreis um Anna-Amalia, Herzog Karl August und Goethe.

Loderjmtm Christian von, 1753-1832, war 1778-1803 Professor fürAnatomie und Medizin in Jena, später Leibarzt am Moskauer Hof.Goethe arbeitete viel mit ihm zusammen, und Loder veröffentlichte1788 in seinem anatomischen Handbuch Goethes Entdeckung vommenschlichen Zwischenkieferknochen.

an den Herzog vom 4. November: Wörtlich: «Auf den Mittwochfang ich auf der Akademie abends an, das Skelett den jungen Leutenzu erklären und sie zur Kenntnis des menschlichen Körpers anzufüh-ren. Ich tue es zugleich um meinet- und ihretwillen, die Methode, dieich erwählt habe, wird sie diesen Winter über völlig mit denGrundsäulen des Körpers bekannt machen.»

112 Herder, Johann Gottfried, 1744-1803. In Straßburg 1770 lernte dergroße Denker und Dichter den jungen Goethe kennen, der von ihmentscheidenden Einfluß empfing. Herder war es, der als SchülerHamanns, Verkünder Shakespeares und Verehrer des Altertums undder Volkspoesie zum Zentrum der jungen literarischen Bewegungdes «Sturm und Drang» wurde. - 1776 veranlaßte Goethe dieBerufung Herders zum Generalsuperintendenten nach Weimar. -Die 80er Jahre sind die Zeit intensivsten Austausches ihrer Gedankenund Dichtungen.Frau von Stein an Knebel: Siehe: Zur deutschen Literatur undGeschichte, hg. von H. Düntzer, Band I, Nürnberg 1857, S. 120.

113 «Das Menschengeschlecht» ist «der große Zusammenfluß .. .*: J. G.Herder, Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit,l.Teil, 5. Buch, III.«Und so können wir den vierten Satz annehmen . ~.»: Ebenda,l.Teil, 2. Buch, IV, 4.Sömmering . . . an Merck: Briefe an H. J. Merck, Darmstadt 1835,S. 354 f.Sömmering, Samuel Thomas von, 1755-1830, Anatom, Physiologeund praktizierender Arzt, den Goethe 1783 in Kassel kennenlernte.Es entstand ein reger wissenschaftlicher Austausch (vgl. KürschnerBd. I, S. 401 f.), und 1791 anerkannte Sömmering Goethes Entdek-kung des menschlichen Zwischenkieferknochens.

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113 Blumenbach, Johann Friedrich, 1752-1840, Mediziner, Anthropolo-ge, vergleichender Anatom an der Universität Gottingen, den Goetheseit 1783 persönlich kannte und mit dem er seit 1793 in regemwissenschaftlichem Austausch stand.

Camper, Peter, 1722-1789, holländischer Chirurg und bekannterAnatom. Er prüfte und bestätigte alle Beobachtungen Goethes überden Bau des Zwischenkieferknochens, lehnte aber, wie fast allezeitgenössischen Wissenschaftler, Goethes Feststellung, daß er auchdem Menschen zuzuschreiben sei, ab.

114 «daß die Natur kein Geheimnis habe . . .»; Siehe Hinweis zu S. 79.

im November 1784 an Knebel: Am 17. 11. 1784.

115 im Jahre 1786 an Frau von Stein: Am 9. 7. 1786.

117 «bei einer eigensinnigen, gegnerischen. . .»: Kürschner Band I, S. 79.

118 im November teilt er Knebel mit: Am 17. 11. 1786.

119 Goethe legt sich ein botanisches Tagebuch an: Paralipomenon unterdem Titel: Morphologische Studien in Italien.

120 «Hypothese: Alles ist Blatt. ..»: Ebenda, S. 282.

«Ferner muß ich Dir vertrauen . . .» und «Vorwärts und rückwärts istdie Pflanze immer nur Blatt.. .»: Italienische Reise, Bericht Juli 1787(Der Auszug aus dem Brief an Herder wird hier von Goethewiederholt).

122 Bunge, Gustav, 1844-1920, Professor für Physiologie in Basel.

127 «£5 mag nun die Pflanze sprossen, blühen ...»: Die Metamorphoseder Pflanzen § 115, Kürschner Band I, S. 57.

128 nachdem sie «ihre Hüllen mehr oder weniger...» ( und z u m folgen-den Text): Siehe ebenda § 10 ff. Wörtlich heißt es im § 10: «Sie läßtihre Hüllen mehr oder weniger in der Erde zurück, welche wir auchgegenwärtig nicht untersuchen, und bringt in vielen Fällen, wenn dieWurzel sich in den Boden befestigt hat, die ersten Organe ihresoberen Wachstums . . . an das Licht hervor.»

130 «An allen Körpern, die wir lebendig nennen . . .»: Auch: Sprüche inProsa. Kürschner Band V, S. 434.

132 « Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären»: So der Titelder Erstausgabe 1790. Unter dem Titei «Die Metamorphose derPflanzen» in Kürschner Bd. I, S. 17-59.

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132 «Auf Anatomie bin ich so ziemlich vorbereitet .. .»: ItalienischeReise, 20. Januar 1787.

133 (Weimarer Ausgabe, 2. Abt., Band 8, S. 360): Paralipomenon auseinem Notizbuch von der venezianischen Reise 1790: «Das Gehirnselbst nur ein großes Hauptganglion. Die Organisation des Gehirnswird in jedem Ganglion wiederholt, sodaß jedes Ganglion (als) einkleines subordiniertes Gehirn anzusehen ist.»

im Jahre 1790 auf den Dünen des Lido .. .; Tag- und Jahreshefte1790. WA 1. Abt., Band 55, S. 15. Zitiert wird dies Ereignis in denAnmerkungen Rudolf Steiners zur Abhandlung über den Zwischen-knochen. Kürschner Band I, S. 316. - Siehe auch: BedeutendeFördeniis durch ein einziges geistreiches Wort. Kürschner Band II,S.34.

134 Untersuchungen Carl Gegenbaurs, 1826-1903, Anatom; Untersu-chungen über das Kopfskelett der Wirbeltiere, Leipzig 1872, und:Über das Kopfskelett der Selachier, 1872.

135 In dem Brief vom 30. April 1790 schreibt Goethe an Frau von Kalb:«Sagen Sie Herdern, daß ich der Tiergestalt und ihren mancherleiUmbildungen um eine ganze Formel naher gerückt bin und zwardurch den sonderbarsten Zufall. Auch habe ich durch die Betrach-tung der Fische und Seekrebse viel gewonnen.»

Kalb, Charlotte von, geb. Marschalk von Ostheim, 1761-1843, lebtein Weimar oder Walthershausen in enger Beziehung zu Schiller, JeanPaul, Familie Herder; Hölderlin war Erzieher ihres Sohnes; mitGoethe stand sie in freundschaftlichem Briefverkehr.

Briefwechsel mit Knebel: Siehe die Briefe vom 9. Juü und 17. Oktober1790 und 1. Januar 1791.

136 Erster Entwurf einer allgemeinen Einleitung in die vergleichendeAnatomie, ausgehend von der Osteologie: Kürschner Band I, S.239-275.

136/137 Vorträge über die drei ersten Kapitel des Entwurfs einer allgemeinenEinleitung in die vergleichende Anatomie: Ebenda S. 325-346. Darinheißt es (S. 333/334): «Sollte es denn aber unmöglich sein, da wireinmal anerkennen, daß die schaffende Gewalt nach einem allgemei-nen Schema die vollkommeneren organischen Naturen erzeugt undentwickelt, dieses Urbild, wo nicht den Sinnen, doch dem Geistedarzustellen, nach ihm als nach einer Norm unsere Beschreibungenauszuarbeiten und, indem solche von der Gestalt der verschiedenenTiere abgezogen wäre, die verschiedensten Gestalten wieder auf siezurückzuführen?»

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140 «Die Vorstellungsart, daß ein lebendiges Wesen .. .»: Einleitung zueiner allgemeinen Vergleichungslehre. - Versuch einer allgemeinenVergleichungslehre. Kürschner Band V, S. 573/574.

140 « . . . die Existenz eines Geschöpfes ...»: Ebenda, S. 576.

143 « Und wie würdig ist es der Natur...»: Ebenda, S. 577.

144 Diderot, Denis, 1713-1784, Philosoph und Schriftsteller der franzö-sischen Aufklärung. Goethes Achtung vor ihm kommt in derTatsache zum Ausdruck, daß er 1804/05 das noch nicht veröffent-lichte Manuskript des Dialogs «Le neveu de Rameau» übersetzte undveröffentlichte.

Darwin, Charles, 1809-1882, englischer Naturforscher, Begründerder modernen Abstammungslehre.

Haeckel, Ernst, 1834-1919, deutscher Naturforscher, Zoologe inJena; setzte die Abstammungslehre Darwins in die Anthropologiehinein fort. Zu Rudolf Steiners Haeckel-Verehrung in den neunzigerJahren und um die Jahrhundertwende siehe die Aufsätze «Haeckelund seine Gegner» (1899), «Ernst Haeckel und die <Welträtsel>»(1899), «Die Kämpfe um Haeckels <Welträtsel>» (1900), wiederabge-druckt in «Methodische Grundlagen der Anthroposophie», GA 30,und Rudolf Steiners Briefwechsel mit Haeckel in «Briefe II,1890-1925», GA 39.

145 Sachs, Julius, 1832-1897, Professor für Botanik in Freiburg undWürzburg; Pflanzenphysiologe.

Schmidt, Oscar, 1823-1868, Naturforscher.

146 Kepler, Johannes, 1571-1630, Astronom, Mathematiker, der aufTycho Brahe aufbauend, Gesetze der Planetenbewegung entdeckte.

«gewagtes Abenteuer der Vernunft»: Kant, Kritik der Urteilskraft,Methodenlehre der teleoiogischen Urteilskraft. § 80 (Fußnote).

148 * Vorarbeiten zu einer Physiologie der Pflanzen»: Auch in KürschnerBand V, S. 552-572.

148/149 «zwar nicht dem Gegenstande nach ...»: Ebenda, S. 557.

149 Er war aber überzeugt, daß es nichts Neues unter der Sonne gebe:Siehe: Verfolg. Schicksal der Druckschrift. Kürschner Band I, S. 102:«Da mir nun alle Gelegenheit entzogen war, in Büchern michumzusehen (während der Feldzüge nach Schlesien, Frankreich undder Belagerung von Mainz), benutzte ich meine Druckschrift gele-gentlich, daß ich gelehrte Freunde, welche der Gegenstand interes-

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sierte, bittend anging, mir zu Liebe in ihrem weit verbreitetenLesekreis gefällig acht zu geben, was schon über diese Materiegeschrieben und überliefert wäre; denn ich war längst überzeugt, esgebe nichts Neues unter der Sonne, und man könne gar wohl in denÜberlieferungen schon angedeutet finden, was wir selbst gewahrwerden und denken oder wohl gar hervorbringen. Wir sind nurOriginale, weil wir nichts wissen.» — Zu dieser Überzeugung Goethesvgl. auch die «Einleitung zur Geschichte der Farbenlehre», Kürsch-ner Band IV, S. 5 f. und die Anmerkungen Rudolf Steiners.

149 Wolf, Friedrich August, 1759-1824, Professor für Philosophie undklassische Philologie in Halle, später in Berlin. Durch Vermittlungvon W. v. Humboldt hatte er 1795 Goethe kennengelernt, und esentwickelte sich ein wissenschaftlicher und freundschaftlicher per-sönlicher und brieflicher Kontakt, der bis 1814 wahrte.

Wolffy Kaspar Friedrieb, 1733-1794, als Anatom und Physiologelehrte er in Breslau, Berlin und Petersburg. Zu Kaspar FriedrichWolff siehe den Aufsatz Goethes: Entdeckung eines trefflichenVorarbeiters. Kürschner Band I, S. 102-108.

150 Haller, Albrecht von, 1708-1777, als Botaniker und Anatom hatteder Schweizer bedeutenden Einfluß auf die Entwicklung dieserWissenschaften im 18. Jahrhundert. Er erwarb sich auch einenNamen in der deutschen Literatur durch umfangreiche Lehrgedichte.

152 K. F. Pb. Martins über die «Vertikal- und Spiraltendenz der Vegeta-tion»: Kürschner Band I, S. 225,229. - In der Anmerkung nennt R.Steiner weitere Äußerungen Goethes, die dessen Anteil an denArbeiten Martius' bezeugen: Eckermann, Gespräch vom 6. 10. 1828und 28. 3. 1831, sowie den Brief vom 15. 12.1828 an S. Boisseree.

Martius, Karl Friedrieb Philipp von, 1794-1868, Direktor des botani-schen Gartens in München. Goethe kannte ihn persönlich und standin Briefkontakt mit ihm über die Blattstellungsgesetze.

Geoffroy St.-Hilaire, Etienne, 1722-1884, Professor für Zoologie amJardin des Plantes in Paris und an der medizinischen Fakultät;Forschungsreisen nach Ägypten und Portugal. Seine Grundidee, das«Prinzip typischer Einheit in der Organisation», verteidigte er mitgroßer Schärfe gegen Cuvier.

Cuvier, George Baron von, 1769-1832, Naturforscher, vergleichen-der Anatom und Lehrer für Naturgeschichte am Jardin des Plantes inParis, zusammen mit dem befreundeten Geoffroy St.-Hilaire; Be-gründer einer der umfangreichsten anatomischen Sammlungen Euro-pas; auch als Bildungspolitiker und Staatsmann tätig.

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152 «Wir mußten annehmen: es walte in der Vegetation .. .»: Über dieSpiraltendenz in der Vegetation, Kürschner Band I, S. 226.

153 «Nichts ist der Natur gemäßer. . .»: Ebenda, S. 219/220.

«Man trete zur Sommerzeit vor eine .. .»: Ebenda, S. 229.

«Freilich paßt dies Gleichnis nicht ganz . . .»: Zitiert wurde die ganzefolgende Stelle nach: Ferdinand Cohn, Goethe als Botaniker [Leipzig1885], S. 128; um den Brief vom 15. 3. 1832 handelt es sich jedochnicht, wohl auch nicht um den Adressaten Graf Kaspar von Stern-berg, den Goethe nicht duzte. - Zu E Cohn siehe die WürdigungRudolf Steiners in: «Methodische Grundlagen der Anthroposophie.Gesammelte Aufsätze 1884-1901», GA 30.

154 Cohn, Ferdinand Julius, 1828-1898, Botaniker an der Universität zuBreslau.

Darwin meint, von fast allen Pflanzenorganen . . .: Charles Darwin,Das Bewegungsvermögen der Pflanzen, London 1880 (zit. nachCohn, a. a. O., S. 154, Anm. 67).

Aufsatz über den Streit der beiden Naturforscher: Principes dePhilosophie zoologique. Kürschner Band I, S. 385-417.

zu «einer hohen, der Idee gemäßen Denkweise . . .»: Ebenda, S. 412.

«einem allgemeinen, nur hier und da modifizierten Plan . . .»:Ebenda, S. 392.

155 Jungius, Joachim, 1587-1657, Naturforscher, Mathematiker undMediziner, dessen Leben und Werk Goethe intensiv studiert hat.

den Aufsatz über /. Jungius: Leben und Verdienst des DoktorJoachim Jungius, Rektors zu Hamburg. Kürschner Band II, S.98-113; S. 102/103: «Allein es findet sich auch nicht die geringsteSpur dessen, was wir Metamorphose der Pflanzen genannt haben;keine Andeutung, daß ein Organ sich aus dem andern entwickele,durch Umgestaltung seiner Verwandtschaft seine Identität mit demVorhergehenden verberge, verleugne und sich in Bestimmung wie inBildung in dem Grade verändere, daß keine Vergleichung nachäußern Kennzeichen mehr mit dem Vorhergehenden stattfindenkönne.»

159 daß die «hohen Kunstwerke . . .»: Italienische Reise, 6. September1787.

«Zum Glück konnte ich mich an einigen . . .»: Kürschner Band V,S. 123.

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160 Mehrere Gemälde werden «in seiner Gegenwart . ..»: Ebenda, S.123/124. Wörtlich: «Mehrere Gemälde waren in meiner Gegenwarterfunden, komponiert, die Teile, der Stellung und Form nach,sorgfältig durchstudiert worden, und über alles dieses konnten mirdie Künstler, konnte ich mir und ihnen Rechenschaft, ja sogarmanchmal Rat erteilen.»

«Wie alle Welt war ich überzeugt. . .»: Ebenda, S. 126.

161 Newton, Isaac, 1643-1727, Vertreter der neueren mathematischenPhysik, insbesondere die Gravitationsgesetze und die Optik betref-fend. Professor an der Universität Cambridge, später auch Politikerin London. Im Alter wandte er sich von der Physik ab und einermystischen Religiosität zu.

162 Er wendet sich an Hofrat Büttner: Die Episode sowie die folgendeEntwicklung wird ausführlich in der «Konfession des Verfassers»geschildert, Kürschner Band V, S. 126 ff.

Büttner, Christian Wilhelm, 1716-1801, Hofrat, Professor an derGÖttinger Universität für Natur- und Sprachwissenschaft. Goethesorgte 1783 für einen Kaufvertrag von Büttners wissenschaftlichenSammlungen und bes. einer umfangreichen Bibliothek mit demHerzog Karl August.

166 Aufsatz über K. Fr. Wolff: Wenige Bemerkungen. Kürschner Band I,S. 107. Darin heißt es: «Weil nämlich die Präformations- undEinschachtelungslehre, die er bekämpft, auf einer bloßen außersinn-lichen Einbildung beruht, auf einer Annahme, die man zu denkenglaubt, aber in der Sinnenwelt niemals darstellen kann, so setzt er alsGrundmaxime aller seiner Forderungen, daß man nichts annehmen,zugeben und behaupten könne, als was man mit Augen gesehen undanderen jederzeit wieder vorzuzeigen imstande sei.»

171 Müller, Johannes, 1801-1858, Professor für Anatomie und Physiolo-gie in Berlin.

Johannes Müller . . . das Gesetz der spezifischen Sinnesenergien:Siehe J. Müller, Handbuch der Physiologie des Menschen, Band I,Koblenz 1834: «Von den Sinnesnerven» (S. 752 ff.) und Band II,Koblenz 1840: «Von den Sinnen»; S. 254 heißt es: «Die Sinnesemp-findung ist nicht die Leitung einer Qualität oder eines Zustandes deräußeren Körper zum Bewußtsein, sondern die Leitung einer Quali-tät, eines Zustandes eines Sinnesnerven zum Bewußtsein, veranlaßtdurch eine äußere Ursache, und diese Qualitäten sind in den verschie-denen Sinnesnerven verschieden, die Sinnesenergien.» - Siehe auchvon J. Müller, Zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes,1826.

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174 Harnack, Otto, 1857-1914, Historiker und Literarhistoriker, inDarmstadt lehrend; als Goetheherausgeber war er u. a. an derWeimarer Ausgabe beteiligt, mit den Bänden über bildende Kunst(Bd. 46-49).

Du Bois-Reymond findet. . .: Wörtlich: «Sein [Goethes] Theoreti-sieren beschränkt sich darauf, aus einem Urphänomen, wie er esnennt, welches aber schon ein sehr verwickeltes ist, andere Phänome-ne ohne erkennbaren ursächlichen Zusammenhang hervorgehen zulassen, etwa wie im Feld der Zauberlaterne ein Nebelbild demanderen folgt. Der Begriff der mechanischen Kausalität war es> derGoethe gänzlich abging.»

175 Er «hat die Farbenlehre durchaus . . .»: Kürschner Band III, S. 277/278.

176 Die «Bedächtlichkeit, nur das Nächste . . .» : Kürschner Band II,5. 19.

178 «Nie werden wir besser als heute wissen . . .»: Wörtlich bei Du Bois-Reymond: «Nie werden wir besser als heute wissen, was, wie PaulErman zu sagen pflegte, <hier>, wo Materie ist, <im Räume spukt>».

180 «Denn eigentlich unternehmen wir umsonst . . .»: Kürschner BandIII, S. 77.

181 Das Licht. . . «das einfachste, . . .»: Beilage zu einem Brief an Jacobivom 15. Juli 1793, «Resultate meiner Erfahrungen»; abgedruckt inGoethes Gesamt-Ausgabe, Cotta Stuttgart, II. Abt. Bd. 22, S. 144.

186 Aus der Vertiefung in die Kunstwerke . . .: Zu dem Folgenden vgl. die6. Abteilung der Farbenlehre: Sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe.Kürschner Band III, S. 287.

wie «es auch an Schatten erinnert»: Ebenda § 782, S. 294.

188 «Es reut mich nicht. . .»;An Frau von Stein, am 11. Mai 1810.

189 Fraunhofersehe Linien: Vgl. Sprüche in Prosa; Kürschner Band V,S. 419.

193 in die Tiefen der Erde, um «der großen formenden Hand. . .»: Sieheden Brief an Frau von Stein vom 7. Sept. 1780 in der WA 4. Abt.,Band 4, S. 283: «Wir sind auf die hohen Gipfel gestiegen und in dieTiefen der Erde eingekrochen, und möchten gar zu gern der großenformenden Hand nächste Spuren entdecken.»

(Brief an Frau von Stein vom 12. Juni 1784): Dort heißt es: «Heutehaben wir eine mineralogische Spazierfahrt gemacht und uns auf gut

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bergmännisch wacker erlustigt. Der einfache Faden, den ich mirgesponnen habe, führt mich durch alle diese unterirdische Labyrin-the gar schön durch, und gibt mir Übersicht selbst in der Verwir-rung».

194 Kraus, Georg Melchior, 1733-1806. Zeichner, Maler und Kupferste-cher aus Frankfurt, kam 1775 nach Weimar und trat in nähereBeziehung zu Goethe, auf dessen Betreiben er 1780 Leiter derneugegründeten Zeichenschule in Weimar wurde.

195 In einem Briefe an Leonbard. . .: Abgedruckt in Kürschner Band II,S. 154-161, das Zitat S. 155.

Leonbard, Karl Cäsar von, 1779-1862, Professor für Geologie undMineralogie in München und Heidelberg. Goethe lieferte für sein«Taschenbuch der Mineralogie» einige Beiträge und arbeitete wohlauch an Leonhards geologischen Tabellen mit.

195 Werner, Abraham Gottlob, 1749-1817, Professor für Mineralogieund Bergbaukunde in Freiberg.

196 Hutton, James, 1726-1797, der Edinburger Geologe wurde mitseiner «Theory of the Earth» (1796) der Begründer des Vulkanismus,dem L. von Buch zum Durchbruch verhalf.

Humboldt, Alexander von, 1769-1859, der universale Naturforscherwar mit L. von Buch Schüler Werners in Freiberg gewesen; 1797weüte er in Jena, in Kontakt mit Goethe, Schiller und Loden

Buch, Leopold von, 1774-^1853, Geologe, zunächst Schüler undAnhänger des Neptunismus bei Bergrat Werner in Freiberg; erstzahlreiche Forschungsreisen in nord- und südeuropäische Vulkange-biete führten zu einer dogmatischen Verfechtung des Vulkanismus.

«Heben und Drängen, Aufwälzen und Quetschen . . .»; Siehe dienachgelassene Schrift: Verschiedene Bekenntnisse. Kürschner BandII, S. 313: «Die Sicherheit, womit dieser treffliche Mann (einSalinendirektor) zu Werke ging . .. bestätigte meinen alten Glaubenan die Konsequenz der Flözbildung und vermehrte den Unglauben inbetreff des Hebens und Drängens, Aufwälzens und Quetschens(refouiement), Schleuderns und Schmeißens, welches mir nach mei-nem obigen Bekenntnisse durchaus widerwärtig von jeher erscheinenmußte.»

197 Agassiz, Louis, 1807-1873, Schweizer Naturforscher, bes. der ver-gleichenden Zoologie und Geologie; Professur in New Cambridge.

Voltaire, Francis Marie Arouet, 1694-1778, französischer Philosophund Schriftsteller.

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199 Lyell, Charles, 1797-1875, englischer Geologe.

Howard, Lukey 1772-1864, englischer Pharmazeut und praktischerChemiker, der Meteorologie und Botanik aus Neigung und mitbesonderer Beobachtungsfähigkeit betrieb. Zu «Howards Ehrenge-dächtnis» schrieb Goethe seine Wolkengedichte (WA 2. Abt. Band12, S. 39-42) und nahm auch die von ihm erbetene und übersetztekurze Selbstbiographie Howards in den 2. Band «Zur Naturwissen-schaft» auf. (Luke Howard an Goethe. WA, ebenda; Natw. Sehr.Band II, S. 352.)

Howards «Versuch einer Naturgeschichte . . .»: Luke Howard, «Es-say on the modification of clouds» (1803).

200 «Umsicht und wissenschaftliche Verknüpfungszweige» und «Denganzen Komplex der Witterungskunde . . .»: Wolkengestalt nachHoward. Vorwort. Kürschner Band II, S. 324.

201 da das Steigen und Fallen des Quecksilbers . . . an verschiedenen«näher und ferner . . . gelegenen Beobachtungsorten»: Versuch einerWitterungslehre, ebenda, S. 379.

201 Eigenleben der Erde . . . Ein- und Ausatmen eines Organismus: Vgl.ebenda, S. 380 und 393/394; sowie Eckermann, Gespräch vom 11.April 1827.

205 Er ist befriedigt, wenn «er sich auf der empirischen Höhe befin-det...»: Kürschner Band III, S. 275 f.

«Die Idee ist ewig und einzig.. .»: Sprüche in Prosa. Kürschner BandV, S. 379.

206 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, 1770-1831, war während seinerProfessur für Philosophie in Jena 1801-1807 in naher Beziehung zuGoethe; ihr wissenschaftlicher Austausch und die gegenseitige För-derung währte das ganze Leben hindurch; insbesondere unterstützteHegel den Kampf Goethes gegen Newton in bezug auf die Grundla-gen der Farbenlehre.

207 Max Stirner «und ihr Dichter Goethe . . .»: Max Stirner, Der Einzigeund sein Eigenthum, Leipzig 1882, S. 108 (Kap. 3, § 1: Der politischeLiberalismus). Vgl. Hinweis zu S. 93.

Der Brief von Hegel wurde von Goethe gekürzt und stilistischvereinfacht unter dem Titel «Neuste aufmunternde Teilnahme» inden Heften «Zur Naturwissenschaft» wiedergegeben. Statt des ur-sprünglichen Datums (24. Februar) setzte Goethe den 20. Februar. —Kürschner Band V, S. 272-275; siehe die Anmerkungen R. Steinerszur Stelle.

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210 Von Beurteilern dieser Schrift .. .: Karl Vorländer, «Kant, Schiller,Goethe», Kantstudien III, 1899, S. 133. (Vgl Hinweis zu S. 214)Vielleicht handelt es sich auch um eine mündliche Äußerung desGoethe-Forschers Max Koch (1855-1931), mit dem Rudolf Steiner inseiner Weimarer Zeit in Kontakt stand. Vgl. dazu «Rudolf Steinerund Max Koch. Briefe und Aufsätze im Zusammenhang mit derHerausgabe von Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften.1888-1901» in «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Nr.95/96, Ostern 1987, S. 36-54. Dort auch eine ausführliche Bespre-chung Max Kochs von «Goethes Weltanschauung». Der Titel«Goethes Weltanschauung» scheint erst kurz vor Drucklegung desWerkes definitiv geworden zu sein. Der Plan zu dieser Schrift geht bisins Jahr 1890 zurück, als Steiner eine «Goethe-Philosophie» zuschreiben gedachte. Im Jahre 1891 und 1892 trat dann die Naturwis-senschaft in den Vordergrund: «Goethes Verhältnis zur Wissen-schaft», «Goethe als Naturforscher» lauteten die vorgesehenen Titel.Ende 1896/Anfang 1897 betitelte Steiner in Briefen sein Werknoch «Goethes Naturanschauung». Siehe R. Steiner, «Briefe II,1890-1925», GA 39, S. 16, 34, 135, 143, 310, 314.

212 Die Geisteswissenschaft als Anthroposophie und die zeitgenössischeErkenntnistheorie: Wiedergedruckt in: «Philosophie und Anthropo-sophie. Gesammelte Aufsätze 1904-1918», GA 35, S. 307-331.

214 Goethes Faust und das Märchen von der grünen Schlange: Siehe:«Goethes Geistesart in ihrer Offenbarung durch seinen <Faust> unddurch das <Märchen von der Schlange und der Lilie>» (1918), GA 22.

Ein Kritiker dieses meines Goethebuches: Karl Vorländer, «Kant,Schiller, Goethe», Kantstudien III, 1899, S. 130-141; vgl. auch R.Steiners Auseinandersetzung damit in Kürschner Band V, S. 343,Fußnote zur Einleitung der «Sprüche in Prosa» (in GA 1, 1973, S.336/337).

«Die Philosophie Platos ist eines der erhabensten Gedankenge-bäude . . .»: Fußnote R. Steiners zum Kapitel über «Plato» in der«Geschichte der Farbenlehre», Kürschner Band IV, S. 26.

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N A M E N R E G I S T E R

Agassiz, Louis 197Aristoteles, 34,35,110Augustinus 31

B acon, Francis 3 5-3 7Blumenbach, Johann Friedrich

113Buch, Leopold von 196Büttner, Christian Wilhelm

(Hofrat) 162Bunge, Gustav 122

Camper, Peter 113Cohn, Ferdinand 153Cuvier, Georges Baron von 152,

154 f.

Darwin, Charles 144,154Descartes, Rene 35,37 f., 53Diderot, Denis 144DuBois-Reymond,Emil 81,101,

104,105,173,174,178

Eckermann, Johann Peter 16,154Einsiedel, August Hildebrand von

111

Förster, Friedrich 97Fraunhofer, Josef von 189

Gegenbaur, Carl 134Geoffroy de St. Hilaire, Etienne

152,154 f.Gleichen-Ruß wurm, Freiherr von

109

Haeckel, Ernst 144Haller, Albrecht von 150,166Harnack, Otto 174Hegel, Georg Wilhelm Friedrich

206-209

Heinroth, Johann Christian 60 f.Herder, Johann Gottfried

112-114,118,120,135Holbach, Paul Heinrich Diedrich

von 81Howard, Luke 200Humboldt, Alexander von 196Hume, David 39-41Hutton, James 196

Jacobi, Friedrich Heinrich 71 f.,82,95,109,181

Jungius, Joachim 155

Kalb, Charlotte Sophie Juliane von135

Kant, Immanuel 40-46,55-57,73,76,87,104,146 f.

Karl August, Herzog 105,108,193Kepler, Johannes 146Knebel, Karl Ludwig 101,109,

112,114,115,118,132,135Kraus, Georg Melchior, Rat 194

Laplace, Pierre Simone 104Lavater, Johann Kaspar 110 f.

(140)Leonhard, Karl Cäsar von 195Lessing, Gotthold Ephraim 89Linne,Karlvon 107 f., 115Loder, Justus Christian von 111,

114Lyell, Charles 199

Martius, Karl Friedrich Philippvon 152

Merck, Johann Heinrich 109,111,113,198

Moritz, Karl Philipp 52Müllerjohannes 171

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Newton, Isaac 161-164,166,167,186,188,189

Parmenides 24 f., 28Plato 26-28,36,43,46,48,

214-216Portland, Herzogin von 108

Rousseau, Jean-Jacques 108

Sachs, Julius 145Schelling, Friedrich Wilhelm

Joseph 91Schiller, Friedrich 21-24,29,

57-59Schmidt, Oscar 145Shakespeare, William 107SÖmmering, Samuel Thomas von

113Spinoza, Baruch 38,39,53,72,107Stein, Charlotte von 106,107,

111 f., 114,115,188,193Steiner, Rudolf 8,13

Goethe, NaturwissenschaftlicheSchriften(GAldu.le) 214Die Philosophie der Freiheit(GA4) 94Die Rätsel der Philosophie(GA18) 212

Goethes Geistesart in ihrer Of-fenbarung durch seinen «Faust»und durch das «Märchen von derSchlange und der Lilie» (GA 22)214Zu dem «Fragment» über die Na-tur (in GA 30) 51Die Geisteswissenschaft als An-throposophie und die zeitgenös-sische Erkenntnistheorie (in GA35) 212«meine Schriften» 212

Sternberg, Graf Caspar 153Stirner, Max 93 f., 207

Thomas von Aquino 35

Voltaire, Franc,ois Marie Arouet197

Vorländer, Karl (214)

Werner, Abraham Gottlob 195Winckelmann, Johann Joachim 48Wolf, Friedrich August 149Wolff, Kaspar Friedrich 149-151,

166

Xenophanes 24

Zelter, Carl Friedrich 16

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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE

Gliederung nach: Rudolf Steiner - Das literarischeund künstlerische Werk. Eine bibliographische Übersicht

(Bibliographie-Nrn. kursiv in Klammern)

A. SCHRIFTEN

/. WerkeGoethes Naturwissenschaftliche Schriften, eingeleitet und kommentiert von R.

Steiner, 5 Bände, 1884-1897, Nachdruck 1975, (la-e); separate Ausgabe derEinleitungen, 1925 (1)

Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, 1886 (2)Wahrheit und Wissenschaft. Vorspiel einer <Phüosophie der Freiheit^ 1892 (3)Die Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung, 1894

Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer gegen seine Zeit, 1895 (5)Goethes Weltanschauung, 1897 (6)Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur

modernen Weltanschauung, 1901 (7)Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums, 1902

(8)Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestim-

mung, 1904 (9)Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? 1904/05 (10)Aus der Akasha-Chronik, 1904-1908 (11)Die Stufen der höheren Erkenntnis, 1905-1908 (12)Die Geheimwissenschaft im Umriß, 1910 (13)Vier Mysteriendramen, 1910-1913 (14)Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit, 1911 (15)Anthroposophischer Seelenkalender, 1912 (in 40)Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen, 1912 (16)Die Schwelle der geistigen Welt, 1913 (17)Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt, 1914 (18)Vom Menschenrätsel, 1916 (20)Von Seelenrätseln, 1917 (21)Goethes Geistesart in ihrer Offenbarung durch seinen Faust und durch das

Märchen von der Schlange und der Lilie, 1918 (22)Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart

und Zukunft, 1919 (23)Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage

1915-1921 (24)Kosmologie, Religion und Philosophie, 1922 (25)Anthroposophische Leitsätze, 1924/25 (26)Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaft-

lichen Erkenntnissen, 1925. Von Dr. R. Steiner und Dr. I. Wegman (27)Mein Lebensgang, 1923-1925 (28)

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:6 Seite:245

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/ / . Gesammelte Aufsätze

Aufsätze zur Dramaturgie 1889-1901 (29) ~ Methodische Grundlagen der Anthro-posophie 1884-1901 (30) - Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte 1887-1901(31) - Aufsätze zur Literatur 1886-1902 (32) - Biographien und biographischeSkizzen 1894-1905 (33) - Aufsätze aus «Lucifer-Gnosis» 1903-1908 (34) - Philo-sophie und Anthroposophie 1904-1918 (35) - Aufsätze aus «Das Goetheanum»1921-1925 (36)

111. Veröffentlichungen aus dem Nachlaß

Briefe - Wahrspruchworte - Bühnenbearbeitungen - Entwürfe zu den VierMysteriendramen 1910-1913 - Anthroposophie. Ein Fragment - GesammelteSkizzen und Fragmente - Aus Notizbüchern und -blättern - (38-47)

B. DAS VORTRAGSWERK

/. Öffentliche Vorträge

Die Berliner öffentlichen Vortragsreihen, 1903/04 bis 1917/18 (51-67) - Öffent-liche Vorträge, Vortragsreihen und Hochschulkurse an anderen Orten Europas1906-1924 (68-84)

II. Vorträge vor Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft

Vorträge und Vortragszyklen allgemein-anthroposophischen Inhalts - Christolo-gie und Evangelien-Betrachtungen - Geisteswissenschaftliche Menschenkunde -Kosmische und menschliche Geschichte - Die geistigen Hintergründe der sozia-len Frage - Der Mensch in seinem Zusammenhang mit dem Kosmos - Karma-Betrachtungen - (91-244).Vorträge und Schriften zur Geschichte der anthroposophischen Bewegung undder Anthroposophischen Gesellschaft (251—263)

III. Vorträge und Kurse zu einzelnen Lebensgebieten

Vorträge über Kunst: Allgemein-Künstlerisches - Eurythmie - Sprachgestaltungund Dramatische Kunst - Musik - Bildende Künste - Kunstgeschichte - (271-292) - Vorträge über Erziehung (293-311) - Vorträge über Medizin (312-319) -Vorträge über Naturwissenschaft (320-327) - Vorträge über das soziale Lebenund die Dreigliederung des sozialen Organismus (328-341) - Vorträge für dieArbeiter am Goetheanumbau (347-354)

C. DAS KÜNSTLERISCHE WERK

Originalgetreue Wiedergaben von malerischen und graphischen Entwürfen undSkizzen Rudolf Steiners in Kunstmappen oder als Einzelblätter: Entwürfe für dieMalerei des Ersten Goetheanum - Schulungsskizzen für Maler - Programmbilderfür Eurythmie-Aufführungen - Eurythmieformen - Entwürfe zu den Eurythmie-figuren, u. a.

Die Bände der Rudolf Steiner Gesamtausgabesind innerhalb einzelner Gruppen einheitlich ausgestattet.

Jeder Band ist einzeln erhältlich.

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