12
Angelika Rubner Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk 28145 Themenzentrierte Interaktion Anstoß nehmen Anstoß geben. Dr. h.c. Ruth C. Cohn (19122010) 26. Jahrgang, 1/2012, Seite 915 Psychosozial-Verlag ZEITSCHRIFTENARCHIV

Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk - RCI International · Angelika Rubner Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk 1 26. Jahrgang Heft 1 Frühjahr 2012 9 Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben

  • Upload
    lekiet

  • View
    222

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk - RCI International · Angelika Rubner Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk 1 26. Jahrgang Heft 1 Frühjahr 2012 9 Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben

Angelika Rubner

Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk

28145

Themenzentrierte InteraktionAnstoß nehmen – Anstoß geben. Dr. h.c. Ruth C.Cohn (1912–2010)26. Jahrgang, 1/2012, Seite 9–15Psychosozial-Verlag

ZEITSCHRIFTENARCHIV

Page 2: Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk - RCI International · Angelika Rubner Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk 1 26. Jahrgang Heft 1 Frühjahr 2012 9 Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben
Page 3: Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk - RCI International · Angelika Rubner Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk 1 26. Jahrgang Heft 1 Frühjahr 2012 9 Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben

Angelika Rubner

Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk1

26. JahrgangHeft 1

Frühjahr 2012

9

Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk

1 Dieser Text ist ein Ausschnitt aus dem Artikel von Dr. An-gelika Rubner: Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk, erschienen in: Psychothe-rapeutenjournal Heft 1/12, medhochzwei Verlag. Wir danken dem Verlag für die Erlaubnis zum Abdruck.

Zur AutorinAngelika Rubner, Dr. phil., Diplom-Psychologin, Klinische Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, Psychoana-lytikerin. Lehrbeauftragte für die Themenzentrierte Interak-tion am Ruth Cohn Institute for TCI International. Freiberuflich in eigener Praxis, [email protected]

Wer ist Ruth Cohn? Die Autorin stellt den Lebensweg von Ruth C. Cohn und die Einflüsse, die die verschiedenen wissenschaft-lichen Disziplinen (Psychoanalyse, Humanistische Psychologie, Pädagogik und Philosophie) auf ihr Lebenswerk genommen ha-ben, dar.

Who is Ruth Cohn? The author describes the journey that was the life of Ruth C. Cohn, as well as the influences of various academic disciplines (psychoanalysis, humanistic psychology, educational sciences and philosophy) on her life’s work.

Ruth Cohn (geb. am 27.08.1912 in Berlin, gest. am 30.01.2010 in Düsseldorf) gilt als eine der bedeutendsten Vertreter der Hu-manistischen Psychologie. Sie wurde genau vor hundert Jahren in Berlin geboren und wuchs als Tochter jüdischer Eltern wohl-behütet in einem gut bürgerlichen Elternhaus auf. Sie studierte zunächst Nationalökonomie und Psychologie und begann – nach ihrer Emigration in die Schweiz – eine Ausbildung zur Psycho-analytikerin. Früh schon hatte sie die Menschenverachtung und die Gefahren erkannt, die von den in den dreißiger Jahren immer stärker werdenden Nazis ausgingen und war 1933 in die Schweiz geflohen. Die Auseinandersetzung mit den Greueln, die das Nazi-Deutschland beging und die Erkenntnis der Verführbarkeit des einzelnen Menschen und der Massen war eine entscheidende Voraussetzung für die von ihr entwickelte Methode der TZI. Das Spezifische der TZI ist nämlich, dass ihre Methode auf einer präzisen wertebetonten Axiomatik aufbaut mit dem zentralen Anliegen, die Verantwortung des Menschen im Umgang mit sich selbst, mit anderen und mit seiner Umwelt bewusst zu machen und zu fördern.

Ihre eigene Analyse und die Auseinandersetzung mit dem Kon-zept der Psychoanalyse ließen in ihr die Hoffnung wachsen, „dass die Psychoanalyse den Anbruch eines neuen menschlicheren Zeitalters bedeuten würde, weil die vertiefte Selbsterkenntnis, die die Psychoanalyse ermöglicht, Wege zur besseren Selbstleitung

Page 4: Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk - RCI International · Angelika Rubner Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk 1 26. Jahrgang Heft 1 Frühjahr 2012 9 Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben

Themenzentrierte Interaktion

10

Themenschwerpunkt:� Anstoß nehmen – Anstoß geben. Dr. h.c. Ruth C. Cohn (1912–2010)

Sie suchte nach Möglichkeiten, mehr Menschen als es die Zweiersituation der Psychoanalyse ver-mag, zu erreichen

und neue Erziehungsmöglichkeiten eröffnen kann.“ (Farau und Cohn, 1984, 216).

1941 verließ Ruth Cohn mit Mann und Kind die Schweiz und baute sich – gegen viele Widerstände, weil sie keine Medizinerin war und als Psychologin vom „New Yorker Psychoanalytic In-stitute“ keine Arbeitserlaubnis bekam – zunächst eine Existenz als Kinder- und Jugendtherapeutin auf (erst später durfte sie als Psychoanalytikerin auch Erwachsene behandeln). Wegen ihrer schon früh erwachten gesellschaftstherapeutischen Intentionen erschien ihr alsbald die Couch als „zu klein“ („Die Couch war zu klein“ – so lautete ihr Vorschlag für den Titel des Buches, den der Klett-Verlag dann umwandelte in: „Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion“, 1975) und sie suchte nach Möglichkeiten, mehr Menschen als es die Zweiersituation der Psychoanalyse vermag, zu erreichen.

Insofern fielen die in den fünfziger Jahren in den USA aufkom-menden Methoden der Gruppentherapie und der Humanistischen Psychologie bei ihr auf einen fruchtbaren Boden.

In den USA absolviert sie eine Ausbildung in Gruppentherapie bei Pionieren wie Asya Kadis, Sandy Flowermann und Alexan-

der Wolf. Sie hat Kontakt – unter anderem – zu Fritz und Laura Perls (bei Fritz Perls durchlief sie von 1965–1966 eine Ausbildung zur Gestalttherapeutin), zu Kurt Goldstein, Theodor Reik, Frieda Fromm-Reichmann und Erich Fromm. Sie lernt George Bach, Carl Rogers, Virginia Satir, Albert Ellis, Alexander Lowen und die „Experientalisten“, Carl Withaker und John Warkentin, kennen. Die von den beiden letzteren auf den Grundlagen der Humanistischen Psychologie entwickelte Methode der „experiental therapy“ (in deutscher Übersetzung: „Erlebnistherapie“) beeindruckt

Ruth Cohn so sehr, dass sie sich eine Weile als dieser Richtung zugehörig gefühlt hat (Hecker, 2009, 41). Die „Sicht- und Hand-lungsweisen“ der „Erlebnistherapie“, in der sie „keine Abwendung von Freud, sondern die Weiterentwicklung seiner Methode“ sieht (Cohn, 1975, 86), gehen „nahezu lückenlos in das Selbstverständ-nis und die Prinzipien der Themenzentrierten Interaktion ein“ (Johach, 2009, 279).

Es sind die folgenden zentralen Anliegen der Humanistischen Psychologie, die Ruth Cohn ansprechen:

Mit den zentralen Anliegen der Humanistischen Psychologie konnte sie sich entsprechend gut identifizieren. Es sind folgende:➢ im Mittelpunkt steht die Person als psychosomatische und

psychosoziale Einheit mit➢ ihrem Erleben im Hier und Jetzt➢ das Streben nach lebenslangem Lernen und nach Selbstver-

wirklichung

Page 5: Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk - RCI International · Angelika Rubner Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk 1 26. Jahrgang Heft 1 Frühjahr 2012 9 Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben

26. JahrgangHeft 1

Frühjahr 2012

11

Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk

➢ die Betonung des Wertes und der Würde des Menschen➢ die Sicht auf die Ressourcen und die kreativen Möglichkeiten

des Menschen➢ die Forderung nach gleichrangigen bzw. gleichwertigen

sozialen Beziehungen – auch im therapeutischen Raum –, die getragen sein sollen von gegenseitigem Respekt und allseitiger Authentizität.

In der von ihr entwickelten Themenzentrierten Interaktion sind diese Anliegen enthalten und verbunden mit zentralen Erkennt-nissen der Psychoanalyse.

„Die Intensivierung persönlicher Kommunikation und unmit-telbarer Begegnung ist die Fortführung der Auffassung Freuds von Übertragung und Gegenübertragung als aktiven Elementen der Vergangenheit in der Gegenwart.“ (Cohn, 1975, 87).

Die Entdeckung Freuds, dass der Einzelne nicht als vereinzelte Einheit, sondern als Teil und Ausdruck seiner Beziehungen zu seiner Umwelt zu betrachten ist, hat Harry Stuck Sullivan in seiner interpersonellen Beziehungstheorie aufgegriffen und in seiner Konzeption des nicht-neutralen, sondern empathischen Thera-peuten weiterentwickelt. Für ihn ist der Therapeut „ein partizi-pierender Beobachter“ (Sullivan, 1947, 347). Ruth Cohns Konzept der „partizipierenden Gruppenleitung“ geht unmittelbar auf die Einflüsse von Harry Stuck Sullivan zurück, aber auch auf andere Erfahrungen, die sie mit Gruppenpsychoanalytikern gemacht hat, die von ihrer neutral-abstinenten Haltung hin zur existenziellen Partnerschaft mit ihren Patienten gewechselt haben.

Wenn Ruth Cohn immer wieder fordert, dass es um Werte ge-hen muss (Cohn, 1989), und das heißt für sie, sich dafür einzusetzen, dass es in dieser Welt weniger Angst und Elend, weniger Einsamkeit und Erniedrigungen gibt, dann findet auch diese Forderung ihren Vorläufer bei einem Psychoanalytiker, nämlich bei Alfred Adler. Es war Adler, der als erster Tiefenpsychologe Ethos und Pädagogik in die therapeutische Arbeit einbezogen hat, und der die analytische Arbeit weitergeführt hat hinein ins Gesellschaftliche – bis hin zur Entwicklung des Begriffs des „Gemeinschaftsgefühls“ (Adler, 1911). Sein Einfluss wurde allerdings oft übersehen, zunächst auch von Ruth Cohn selbst. Sie nahm Adlers Schriften erstmals – wie sie selbst zugibt – in die Hand, als sie zusammen mit Alfred Farau, einem Adlerianer, die „Gelebte Geschichte der Psychotherapie“ geschrieben hat. (Farau und Cohn, 1983, 442)

Die zunächst in psychoanalytischen Gruppen gesammelte Erfah-rung, dass es möglich ist, durch Echtheit und durch einen offenen und verantwortungsvollen Gefühlsaustausch eine vertrauensvolle Gruppenatmosphäre herzustellen, ließ Ruth Cohn folgern, dass diese Phänomene auch in nicht-therapeutischen Arbeitsgruppen

Page 6: Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk - RCI International · Angelika Rubner Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk 1 26. Jahrgang Heft 1 Frühjahr 2012 9 Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben

Themenzentrierte Interaktion

12

Themenschwerpunkt:� Anstoß nehmen – Anstoß geben. Dr. h.c. Ruth C. Cohn (1912–2010)

zu fördern und zu nutzen seien. Die TZI versucht mit ihrer grup-penpädagogischen Methodik jene Bedingungen herzustellen, die ein vertrauensvolles und kooperatives Miteinander ermöglichen.

Die pädagogischen Grundlagen, die später in das Konzept der TZI eingeflossen sind, wurden bei Ruth Cohn – biografisch gesehen – schon früh gelegt (vgl. Helmut Reiser, 2010, 44ff.). Sie absolvierte während ihrer Ausbildung zur Psychoanalytikerin in Zürich ein Praktikum in einem Kindergarten – mit der Absicht, sich ihre erwachsenen Patienten besser als Kinder vorstellen zu können. Sie behielt „als bleibende Erinnerung“ an diese Zeit den Widerspruch zwischen „äußerer Ordnung und innerem Ordnungssinn“ (Reiser, 2010, 43f.). Die zweite wichtige Station in der Beschäftigung mit Pädagogik war ihre Rolle als Mutter, in der sie – wie sie selbst bemerkt – sehr viel von ihren eigenen Kindern gelernt hat. Da sie als Psychologin zunächst in den USA keine Erlaubnis erhalten hatte, Erwachsene zu therapieren, sondern „nur“ mit Kindern ar-beiten durfte, arbeitete sie als „Student teacher“ in dem berühmten Lehr- und Lerninstitut der „Bankstreet school“. Dort fand sie die Grundlage für ihre spätere pädagogisch-therapeutische Arbeit.

Ihre Jahre später erfolgende Mitarbeit in der Ausbildung von angehenden Psychoanalytikern ließen ihr pädagogisches Inter-esse und ihr Gespür für Erziehen und Lehren weiter wachsen. Schließlich war es ein Ausbildungsseminar für Psychoanalytiker zum Thema der „Gegenübertragung“, das als die Geburtsstunde der TZI betrachtet werden kann (1953). Sie selbst beschreibt ihre damalige Vorgehensweise und das, was sie dadurch entdeckt hat, wie folgt: „Ich förderte den Abbau von Angst vor Gegenübertragung, indem ich den Workshop mit einem eigenen Gegenübertragungs-problem einleitete. (Hier entwickelt sie die Grundidee des „par-tizipierenden Gruppenleiters“, Anmerkung der Verfasserin). Die Methode erwuchs im Prozess (auch das ein wesentliches Element der TZI, Anmerkung der Verfasserin). Wir entdeckten z.B., dass sich die in freien Assoziationen vorgetragenen Schwierigkeiten zwischen Patient und Therapeut in den Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern und dem referendierenden Therapeuten widerspiegelten. Diese wurden zum Gruppenproblem, das entwirrt und verstanden werden konnte. Thema, Gruppe und Person waren mir gleich wichtig (das gleichseitige Dreieck der TZI, bestehend aus dem ICH des Einzelnen, dem ES, also dem Anliegen, um das es geht und dem WIR der Gruppe wirft hier bereits seine Schatten voraus, Anmerkung der Verfasserin)“ (Cohn, 1979, 874f.).

Später – nach ihrer endgültigen Rückkehr nach Europa (1974) – hat sie jahrelang in einem internationalen Landschulheim (in der Ecole d’Humanité in Goldern auf dem Hasliberg in der Schweiz) in der Supervision von Lehrern und in der Unterstützung von Schulentwicklung gearbeitet.

Page 7: Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk - RCI International · Angelika Rubner Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk 1 26. Jahrgang Heft 1 Frühjahr 2012 9 Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben

26. JahrgangHeft 1

Frühjahr 2012

13

Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk

Ruth Cohn will die Wahrnehmungs- und

die Entscheidungs-fähigkeit des Indi-viduums schärfen

Das Angebot der TZI an die Pädagogik gründet auf der „Idee der gegenseitigen Durchdringung von Autonomie und Interdependenz als Motor der Entwicklung“ (Reiser, 2010, 46). Die TZI stellt die intra-psychische und die interaktionelle Selbstregulation ins Zentrum ihres als reformpädagogisch zu bezeichnenden Konzepts. Ruth Cohn will die Wahrnehmungs- und die Entscheidungsfähigkeit des Individuums schärfen, indem sie – im Chairpersonpostulat – einen bewussten Blick nach innen und nach außen fordert, um dann die Entscheidung für eine bestimmte Handlung fällen zu können.

Die philosophischen Grundlagen: Im Chairpersonpostulat sind auch Niederschläge der Existenzphilosophie erkennbar, denn es bestehen unmittelbare Parallelen zur Auffassung Sartres, dass jeder Mensch Verantwortung trägt – sowohl für sich selbst, als auch für andere. Das dialogische Prinzip Martin Bubers und seine Philosophie der Begegnung ge-hören ebenso zum philosophischen Hintergrund der TZI wie der Holismus Kurt Goldsteins, der sich im holistischen Menschenbild der TZI wiederfindet (vgl. Kroeger, 1973). Auch die Frankfurter Schule mit ihrer Kritischen Theorie (Stollberg, 2010, 54) dürfte Ruth Cohn in ihrem Denken beeinflusst haben.

1968 betrat Ruth Cohn zum ersten Mal wieder europäischen Boden. Sie war zum vierten Internationalen Gruppenpsychothera-pie-Kongress nach Wien eingeladen, wo sie auch erstmalig wieder die deutsche Sprache verwendete. Es folgten weitere Einladungen zu verschiedenen Kongressen (so z.B. 1970 zu den Lindauer Psy-chotherapiewochen), auf denen sie jeweils ein lebhaftes Interesse für die TZI wecken konnte. Sie begann TZI-Workshops und Aus-bildungen in Europa abzuhalten, denn hier war das Echo auf ihre Methode vielfacher und größer als in den USA. Anfangs waren es vor allem Psychoanalytiker, die ihre Seminare besuchten, später folgten dann Menschen aus anderen therapeutischen Richtungen und aus theologischen, pädagogischen und beratenden Berufen. Inzwischen hat die TZI auch Eingang in die Wirtschaft gefunden, z.B. in die Fortbildung von Teamleitern und Managern.

Allmählich wurde Ruth Cohn klar, dass sie auf Dauer nicht den Spagat zwischen Amerika und Europa halten könnte, und sie ent-schied sich, ihren Wohnsitz im Berner Oberland auf dem Hasliberg aufzuschlagen. Von hier aus gründete sie im Jahr 1974 das „Work-shop Institute for Living Learning“ (WILL), das 2003 umbenannt wurde in „Ruth Cohn Institut for TCI-international“.

1979 wurde ihr die Ehrendoktorwürde der Psychologischen Fakultät der Universität Hamburg verliehen und 15 Jahre später die des Instituts für Psychologie der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern. Ende der neunziger Jahre zog Ruth Cohn nach Düsseldorf zu ihrer Freundin und Kollegin Helga Her-mann. Hier starb sie im Alter von 97 Jahren am 30. Januar 2010.

Page 8: Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk - RCI International · Angelika Rubner Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk 1 26. Jahrgang Heft 1 Frühjahr 2012 9 Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben

Themenzentrierte Interaktion

14

Themenschwerpunkt:� Anstoß nehmen – Anstoß geben. Dr. h.c. Ruth C. Cohn (1912–2010)

Es gilt Bedrohun-gen und Gefahren

nicht zu verdrängen, sondern sie bewusst wahrzunehmen, sie zu reflektieren und Konsequenzen zu

ziehen

Aus der Darstellung des Lebensweges von Ruth Cohn und der verschiedenen Grundlagen der TZI wird deutlich, mit wel-chen politischen, geistesgeschichtlichen und therapeutischen Strömungen sie Zeit ihres Lebens konfrontiert war und welche sie davon in die TZI eingebaut hat. Aus Europa kommend, von den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus geprägt und dann in den USA lebend, ist es ihr gelungen, eine Synthese aus europäischem und amerikanischem Gedankengut und aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen herzustellen und daraus die TZI zu entwickeln.

Die TZI ist zugleich eine Haltung, ein Modell, eine Methode und ein Handlungskonzept.

Darüber hinaus vertritt sie – wie bereits erwähnt – eine „Ge-meinschaftspädagogik“ bzw. einen gesellschaftsthera-peutischen Anspruch. Ausgehend von der Not des 20. Jahrhunderts, die ihren schrecklichsten Niederschlag im Nationalsozialismus gefunden hat, fordert Ruth Cohn „Ehrfurcht vor allem Leben und seinem Wachstum und Vergehen“ (s. das zweite philosophisch-ethische Axiom), Achtung vor der Würde der einzelnen Person, vor ihren Gruppierungen und – letztendlich – vor der Gemeinschaft allen Lebens und seiner Verflechtungen mit der Umwelt und dem Universum. Es gilt – immer wieder aufs Neue – Bedrohungen und Gefahren nicht zu verdrängen, sondern sie bewusst wahrzunehmen. sie zu reflektieren und Kon-

sequenzen zu ziehen. Es ist das große Verdienst von Ruth Cohn, viele unterschied-

liche Strömungen aus der Psychologie, der Psychoanalyse, der Humanistischen Psychologie, der Pädagogik und der Philosophie im – scheinbar verblüffend einfachen und gleichzeitig so komple-xen – Konzept der TZI zusammengefasst zu haben.

Abschließend soll noch einmal Ruth Cohn selbst zu Worte kommen. In einem im Jahr 1985 geführten Gespräch mit Rolf Birmelin und Anna Reuble zieht sie eine Zwischenbilanz zu ihrem Werk:

„Historisch gesehen war meine Idee, das, was in Einzeltherapien hilft, soweit wie möglich vielen Menschen zugänglich zu machen. Ich glaube, das ist eigentlich ganz wesentlich geschehen. Es geschieht sehr viel Therapeutisches in TZI-Gruppen. … Therapie enthält viel Päda-gogisches und Pädagogik viel Therapeutisches. … Die klinische Psy-chologie kann etwas von der TZI-Pädagogik übernehmen: vor allem, dass es keine Selbstverwirklichung geben kann, wenn diese nicht auch in der Einbeziehung der Gemeinschaftlichkeit gesucht wird. Ebenso stimmt es umgekehrt, dass es keine Gesellschaftstherapie geben kann, die das persönliche (biologische und geistige) Ich vernachlässigt.“ (Cohn, 1985, 22, zitiert nach Johach, 2009, 291).

Page 9: Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk - RCI International · Angelika Rubner Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk 1 26. Jahrgang Heft 1 Frühjahr 2012 9 Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben

26. JahrgangHeft 1

Frühjahr 2012

15

Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk

In diesen Sätzen beschreibt Ruth Cohn nicht nur die Wechsel-wirkung zwischen Individuum und Umwelt, sondern – wieder einmal – ihr über die einzeltherapeutische bzw. -pädagogische In-tention hinausgehendes gesellschaftstherapeutisches Anliegen. Die auf der Basis des humanistischen Weltbildes entwickelte TZI soll in ihrer Anwendung in spezifischen sozialen Zusammenhängen und Berufsfeldern letztendlich – so ihr Vermächtnis – dazu dienen, dass wir uns für gesellschaftspolitische, umwelt- und friedenspolitische Themen engagieren – ein Vermächtnis, dem wir – als ihre Schüler und Schülerinnen – uns verpflichtet fühlen.

Literatur

Adler, Alfred: Theorie und Praxis der Individualpsychologie. Wien 1911.Cohn, C. Ruth: Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion. Stuttgart 1975.Cohn, C. Ruth: Themenzentrierte Interaktion. Ein Ansatz zum Sich-selbst- und Gruppenleiten. In: Heigl-Evers,

Anneliese (Hrsg.): Die Psychologie des 20. Jahrhunderts, Bd. VIII: Lewin und die Folgen. Sozialpsy-chologie – Gruppendynamik – Gruppentherapie. Zürich, 1979, 873–883.

Cohn, C. Ruth. Aus einem Gespräch mit Ruth Cohn, In: Birmelin, Rolf u. a. (Hrsg.): Erfahrungen lebendigen Lernens, Grundlagen und Arbeitsfelder der TZI, Mainz, 1985, 9–22.

Cohn, C. Ruth: Es geht ums Anteilnehmen. Freiburg 1989.Farau, Alfred, Cohn, C. Ruth: Gelebte Geschichte der Psychotherapie. Zwei Perspektiven. Stuttgart 1984.Hecker, Wendy: Einflüsse der Humanistischen Psychologie. In: Schneider-Landolf, Mina, Zitterbarth, Walter

(Hrsg.), 2010, Handbuch Themenzentrierter Interaktion (TZI), Göttingen, 2010, 38- 42.Kroeger, Matthias: Themenzentrierte Seelsorge. Über die Kombination Klientenzentrierter und themenzentrierter

Arbeit nach Carl R. Rogers und Ruth C. Cohn in der Theologie. Stuttgart 1973.Löhmer. C. Standhardt R. (Hrsg.): TZI- Pädagogisch-therapeutische Gruppenarbeit nach Ruth C. Cohn, Stuttgart

1992.Johach, Helmut: Von Freud zur Humanistischen Psychologie, Bielefeld 2009.Reiser, Helmut: Pädagogische Grundlagen. In: Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI). Göttingen 2010,

43–47.Schneider-Landolf, M./Zitterbarth, W. (Hrsg.): Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI). Göttingen 2010.Stollberg, Dietrich: Jüdisch-christliche Einflüsse. In: Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI). Göttingen,

(S. 54–58).Sullivan, H. S.: Conception of modern psychiatry, Washington D. C. 1947.

Page 10: Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk - RCI International · Angelika Rubner Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk 1 26. Jahrgang Heft 1 Frühjahr 2012 9 Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben

Walltorstr. 10 · 35390 Gießen · Tel. 0641-969978-18 · Fax 0641-969978-19 [email protected] · www.psychosozial-verlag.de

Mathias Hirsch

»Mein Körper gehört mir … und ich kann mit ihm

machen, was ich will!«

Ada Borkenhagen, Elmar Brähler (Hg.)

IntimmodifikationenSpielarten und ihre psychosozialen Bedeutungen

2. Aufl. 2012 · 336 Seiten · BroschurISBN 978-3-8379-2091-8

Das Interesse an der psychoanalytischen Bedeu-tung des Körpers hält unvermindert an, und zwar sowohl im großen gesellschaftlichen Rah-men – man denke an Fitness und Schönheits-chirurgie – als auch im pathologischen Sinne: Selbstbeschädigung und Essstörungen sind die modernen Krankheitsbilder der Adoleszenz. Diese Störungen haben hauptsächlich den Zweck, wenigstens den Körper beherrschen zu können, wenn man sonst machtlos ist, und einen (Körper-)Teil zu opfern, um das Ganze zu retten. Zur Identitätssicherung haben die Menschen schon immer ihren Körper verändert und ma-nipuliert, als würde er zwar zum Selbst gehören, gleichzeitig aber wie ein Objekt, wie ein äußeres Stück Natur behandelt und malträtiert werden können. Mathias Hirsch veranschaulicht die oft komplizierten psychischen Verhältnisse durch viele Praxisbeispiele des teilweise skurrilen zeit-genössischen Umgangs mit dem Körper.

2010 · 219 Seiten · BroschurISBN 978-3- 8379-2058-1

Kosmetische Intimoperationen gehören nach der Studie »Körperwelten 2020« zu den erfolg-versprechendsten Märkten der nächsten Jahre. Wie immer man diese Prognose bewerten mag, sie verweist auf die steigende Bedeutung der Intimmodifikationen. Der Band widmet sich den verschiedenen Spielarten der Intimmodifi-kationen wie Intimpiercing, Intimtattoo, Scham-haartrimming und kosmetische Genitalchirurgie und ordnet diese Praxen hinsichtlich ihrer psy-chosozialen Bedeutung ein.

Neben dem aktuellen Trend kosmetischer Ge-nitalchirurgie in westlichen Ländern werden auch die traditionellen Praktiken weiblicher Genital-verstümmelung als Formen der Anpassung und Normierung untersucht. Auch die männlichen Varianten genitaler Bodymodification wie die ri-tuelle Beschneidung, das männliche Genital- und Play-Piercing werden in ihrer individuellen und kulturellen Bedeutung ausführlich dargestellt.

Page 11: Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk - RCI International · Angelika Rubner Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk 1 26. Jahrgang Heft 1 Frühjahr 2012 9 Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben

Walltorstr. 10 · 35390 Gießen · Tel. 0641-969978-18 · Fax 0641-969978-19 [email protected] · www.psychosozial-verlag.de

Tomas Böhm, Suzanne Kaplan

RachePaul-Hermann Gruner, Eckhard Kuhla (Hg.)

Befreiungsbewegung für Männer

2., erg. Aufl. 2012 · 273 Seiten · Broschur ISBN 978-3-8379-2192-2

In diesem Buch wird Rache als primitive, des-truktive Kraft beschrieben, die allen Indivi-duen, Gruppen und Gesellschaften innewohnt – ein zerstörerisches Potenzial, das sich unter bestimmten Umständen mit Macht den Weg an die Oberfläche bahnt. Das Motiv der Rache findet sich in der psychologischen Verknüp-fung von Vorurteilen, Verfolgung, Rassismus und Gewalt. Die Autoren liefern deutliche – und oftmals beunruhigende – Fallbeispiele aus dem Alltag unserer Zeit und stellen Theorien vor, die zum besseren Verstehen von Opfern und Tätern beitragen können. Sie sollen uns helfen, der Versuchung zu widerstehen, selbst Vergeltung zu üben.

2009 · 427 Seiten · Broschur ISBN 978-3-8379-2003-1

Ein Buch, das Widerspruch und Kontroversen auslösen wird und will.

Was kommt eigentlich nach dem Femi-nismus? Die Gleichberechtigung der Frau ist keine Aufgabe mehr in der westlichen Industriegesellschaft. Es gibt sie. Inzwischen sollte es im Geschlechterverhältnis längst um Gleichverpflichtung, Gleichbehandlung und damit Gleichwertigkeit gehen. Mit Analyse und Empirie, mit Ideologie- und Zeitgeistkritik, mit empathischen wie essayistischen Beiträgen debattiert dieses Buch die Realitäten des femi-nistischen Zeitalters – und die Notwendigkeit einer Männerbewegung und -befreiung als Kernaufgabe der Ära danach. Dies anhand von Themenfeldern wie Gleichstellung, Part-nerschaft, Familie, Gefühle, Gewalt, Gesund-heit, Arbeitsleben und Sterblichkeit.

Page 12: Ruth Cohn ihr Leben und ihr Werk - RCI International · Angelika Rubner Ruth Cohn – ihr Leben und ihr Werk 1 26. Jahrgang Heft 1 Frühjahr 2012 9 Rubner, Ruth Cohn – ihr Leben

Psychosozial-Verlag

Walltorstr. 10 · 35390 Gießen · Tel. 0641-969978-18 · Fax [email protected] · www.psychosozial-verlag.de

Sándor Ferenczi

Das klinische TagebuchAngela Mauss-Hanke (Hg.)

Internationale Psychoanalyse Band 8: Weiblichkeit

und Schöpferisches

2013 · 310 Seiten · BroschurISBN 978-3-8379-2266-0

Das International Journal of Psychoanalysis gilt als weltweit wichtigste Fachzeitschrift der Psychoanalyse. Aus diesem reichen Fundus versammelt Internationale Psychoanalyse jähr-lich hervorstechende Beiträge.

Der aktuelle Band befasst sich nicht nur mit weiblicher Sexualität und Verführungs-kunst, sondern auch mit schöpferischen Frauen auf den Gebieten Psychoanalyse (Hanna Segal), Fotografie (Francesca Wood-man) und Philosophie (Hanna Arendt). Daneben gibt es herausragende klinische Aufsätze von international anerkannten Psychoanalytikern wie David Tuckett, Dana Birksted-Breen und Björn Salomonsson.

Die Bände 2009 bis 2012 können Sie jetzt auch im Paket bestellen!

Neuauflage, 2013 · 299 Seiten · BroschurISBN 978-3-8379-2310-0

Sándor Ferenczis klinisches Tagebuch hat ein bewegtes Schicksal hinter sich: Niederge-schrieben im Jahr 1932 – ein Jahr vor seinem rätselhaften Tod und vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten – wurde es erst mehr als 50 Jahre später zunächst auf Französisch veröffentlicht. In der deutschen Originalspra-che erschien es erst Ende der 1980er Jahre.

Das klinische Tagebuch enthält Über-legungen zu wichtigen Aspekten der Be-handlungstechnik, zur Beziehung mit Freud und zahllose Notizen und Gedankensplitter über Ferenczis eigene therapeutische Praxis. Insofern ist es ein zentrales, jedoch zugleich auch wenig erschlossenes Dokument der Geschichte der Psychoanalyse, das so man-cher Legendenbildung über das Verhältnis zwischen Freud und seinem bedeutenden Schüler den Boden entzieht.