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Ruth mag Wörter, vor allem Homophone, so wie »Ruth« · Ruth mag Wörter, vor allem Homophone, so wie »Ruth« und »ruht«. Ihr alleinerziehender Vater kann damit nichts anfangen

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Ruth mag Wörter, vor allem Homophone, so wie »Ruth«

und »ruht«. Ihr alleinerziehender Vater kann damit nichts

anfangen. Warum kann Ruth sich nicht wie andere Kinder

benehmen? Die beste Idee, die er je hatte, ist, Ruth einen

Hund mitzubringen. Sie nennt ihn Regen, denn er wurde im

Regen gefunden – und das Wort ist ein Homophon.

Als ein Hurrikan die kleine Stadt heimsucht, geht Regen im

Unwetter verloren. Ihr Vater hätte den Hund nie rauslassen

dürfen. Bei Sturm! Ohne Halsband! Verzweifelt macht sich

Ruth auf die Suche. Ein Glück, dass sie noch Onkel Weldon

hat, der sie so viel besser versteht.

ANN M. MARTIN wurde in Princeton, New Jersey (USA), geboren. Sie

war Lehrerin und arbeitete als Lektorin in einem New Yorker Kinderbuch-

verlag. Mittlerweile lebt sie vom Schreiben und hat zahlreiche Romane

veröffentlicht, die vielfach ausgezeichnet wurden, unter anderem mit der

renommierten Newbery Medal.

Erscheint im Mai 2015

Ab 12 Jahren

ANN M. MARTIN

Die wahre Geschichte von Regen und Sturm

Aus dem Englischen von Gabriele Haefs

Umschlaggestaltung von Suse Kopp

Hardcover

Ca. 256 Seiten, 13,9 x 19,2 cm

€(D) 14,99 | €(A) 15,50 | sFr 21,90

ISBN 978-3-551-56013-1

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Wer ich bin – ein Mädchen

namens Ruth (ruht)

Ich bin Ruth Howard, und mein Vorname ist ein Homonym. Um ge-

nau zu sein, er ist ein Homophon, also ein Wort, das ausgesprochen

wird wie ein anderes, aber nicht so geschrieben. Mein Homophon-

name ist Ruht.

Die meisten Leute sagen »Homonym«, wenn sie »Homophon«

meinen. Meine Lehrerin, Mrs Kushel, sagt, das sei ein sehr häufiger

Irrtum.

»Was ist der Unterschied, ob man einen Irrtum begeht oder eine

Regel bricht?«, will ich wissen.

»Einen Irrtum begeht man aus Versehen. Eine Regel bricht man

bewusst.«

»Aber wenn …«, fange ich an.

Mrs Kushel redet eilig weiter. »Du kannst gern ›Homonym‹ sa-

gen, wenn du ›Homophon‹ meinst. Das nennt man den allgemeinen

Sprachgebrauch.«

»›Regel‹ ist auch ein Homophon«, sage ich zu mir. »›Die Regel‹

und ›ich regel(e)‹.«

Ich finde Homophone einfach toll. Und Homonyme. Und Wörter

überhaupt. Und Regeln und Zahlen. Hier kommt die Reihenfolge, in

der ich diese Dinge gut finde:

1. Wörter (vor allem Homophone)

2. Regeln

3. Zahlen (vor allem Primzahlen)

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Ich werde euch jetzt eine Geschichte erzählen. Es ist eine wahre Ge-

schichte und damit ein Stück Sachprosa.

So erzählt man eine Geschichte: Zuerst führt man die Hauptper-

son ein. Ich schreibe diese Geschichte über mich, also bin ich die

Hauptperson.

Mein Vorname ist ein Homophon und ich habe auch meinem Hund

einen Homophonnamen gegeben. Mein Hund ist eine Hündin und

sie heißt Regen, und Regen ist ein schönes Wort, weil es ein Homo-

phon ist: Es gibt »der Regen« und »sich regen«. Im zweiten Kapitel

schreibe ich mehr über Regen. Das zweite Kapitel soll »Mein Hund

Regen (regen)« heißen.

Das Blöde am Wort »schreiben« ist, dass es kein einziges Homo-

phon dazu gibt. Andere Wörter haben manchmal sogar zwei oder

drei. Wenn mir je eine Gruppe von vier Homophonen oder Homony-

men einfällt, streiche ich den Tag im Kalender rot an.

Ich wohne mit meinem Vater zusammen. Er heißt Wesley Ho-

ward, und von seinen Namen (nahmen) ist keiner ein Homophon.

Von unserer Veranda aus sehe ich den Garten vor unserem Haus

und die Auffahrt und unsere Straße, die Hud Road heißt. Auf der an-

deren Seite (Saite) steht ein kleiner Wald, und zwischen den Bäumen

sieht man den New York Thruway. Zu »ich seh(e)« gibt es das Ho-

mophon »der See«. Es gibt aber auch »die See«, und stattdessen kann

man auch »Meer« sagen, und »Meer« hat das Homophon »mehr«.

Ich gehe in die 5. Klasse der Hatford Elementary. In Hatford, New

York, gibt es nur diese eine Grundschule und in dieser Schule nur

eine einzige 5. Klasse, und da gehe ich hin. Die meisten in meiner

Klasse sind 10 oder fast (fasst) 11. Ich bin schon fast 12, weil sie in der

Schule nicht so richtig wissen, was sie mit mir anfangen sollen. Ich

musste zwei Halbjahre wiederholen, das macht insgesamt ein Jahr

(½+½ = 1).

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Manchmal werde ich aufgezogen, weil ich die Regeln einhalten

will und immer über Homophone und Homonyme rede (Reede).

Mrs Leibler ist meine Betreuerin und sitzt in Mrs Kushels Zimmer

neben mir. Sie sitzt auf einem Erwachsenenstuhl neben meinem

5.-Klasse-Stuhl und legt mir die Hand auf den Arm (arm), wenn ich

mitten in der Mathestunde plötzlich etwas rufe. Und wenn ich mir

vor den Kopf schlage und anfange zu weinen, dann sagt sie: »Ruth,

möchtest du mal kurz vor die Tür gehen?«

Mrs Leibler sagt, dass neben Homophonen und Regeln und Prim-

zahlen auch noch andere Dinge der Rede wert sind (sinnt). Sie schlägt

oft vor, ich solle mir den Anfang einer Unterhaltung ausdenken. Und

Anfänge, die nichts mit Homophonen oder Regeln oder Primzahlen

zu tun haben, sind:

Die Fenster meines Hauses gehen nach Nordosten hinaus.

(Nachdem ich das gesagt habe, frage ich den Menschen, mit

dem ich das Gespräch zu führen versuche: »Und in welche

Richtung gehen deine Fenster?«)

Ein Stück die Straße hinunter, 0,7 Meilen von meinem Haus

entfernt, liegt die J & R Werkstatt, wo mein Vater manchmal

als Mechaniker arbeitet, und noch 0,1 Meilen weiter kommt

die Bar (bar!) Das Irische Glück, und da geht mein Vater nach

Feierabend hin. Zwischen meinem Haus und der J & R Werk-

statt gibt es nur Bäume und die Straße. (Erzähl mir doch

etwas über die Gegend, wo du wohnst.)

Ich habe einen Onkel namens Weldon, der ist der jüngere

Bruder meines Vaters. (Und wen hast du so in deiner Familie?)

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Meine offizielle Diagnose ist Hochfunktionaler Autismus.

(Hast du auch eine Diagnose?)

Ich beende diesen Teil meiner Einleitung jetzt mit der Auskunft, dass

meine Mutter nicht bei meinem Vater und mir wohnt. Sie hat un-

sere Familie sitzenlassen, als ich zwei war (wahr). Deshalb sind die

Menschen, die in meinem Haus wohnen, mein Vater und ich. Der

Hund, der in unserem Haus wohnt, ist Regen. Onkel Weldon wohnt

3,4 Meilen entfernt auf der anderen Seite von Hatford.

Der nächste Teil meiner Einleitung sind Ort und Zeit der Ge-

schichte. Den Ort habe ich ja schon gesagt – Hud Road in Hatford,

New York, USA. Der Erzählzeitpunkt, zu dem die Geschichte ein-

setzt, ist der Oktober meines Jahres in der 5. Klasse.

Und jetzt werde ich etwas Besorgniserregendes über die 5. Klas-

se erzählen. Es ist nicht so besorgniserregend wie das, was später in

meiner Geschichte passiert (»passieren« ist ein großartiges Homo-

nym, ein Ereignis kann passieren und ein Schiff kann ein anderes

passieren und man kann Püree durch ein Sieb passieren! Das sind drei

Homonyme und das ist ganz schön gut, aber wie gesagt, wenn ich

jemals ein Wort mit vier Homonymen oder auch Homophonen finde,

dann streiche – Streiche – ich den Tag im Kalender rot an!), als mein

Vater Regen bei einem Wirbelsturm hinauslässt, aber es ist jedenfalls

besorgniserregend. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich ohne

den Wochenbericht für meinen Vater nach Hause geschickt. Der Be-

richt wird von Mrs Leibler geschrieben und von Mrs Kushel (das

ist ein Homophon! Das Verb »kuscheln«!) unterschrieben, und auf

diese Weise sagen meine Lehrerinnen, dass sie mein Betragen gleich

beurteilen (»gleich« wie: ohne Unterschied, nicht wie: ganz bald).

Die Berichte führen mein Betragen von Montag bis (biss) Freitag

auf. Einige Kommentare sind nett, zum Beispiel wenn da steht, dass

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ich mich angemessen an einer Diskussion in der Klasse beteiligt habe.

Aber bei den meisten Kommentaren knallt mein Vater den Bericht

auf den Tisch und sagt: »Ruth, um Himmels willen, halt einfach den

Mund, wenn dir ein Homophon einfällt!«, oder: »Hast du je erlebt,

dass die anderen Kinder sich die Ohren zuhalten und loskreischen,

nur weil draußen eine Polizeisirene zu hören ist?«

Im letzten Bericht baten Mrs Leibler und Mrs Kushel meinen Va-

ter, monatliche Besprechungen mit ihnen zu verabreden. Jetzt soll

er an jedem dritten Freitag im Monat um 3:45 Uhr in die Hatford

Elementary gehen, um über mich zu reden. Folgendes hat er gesagt,

als er das gelesen hatte: »Ich hab keine Zeit für solche Treffen. Das

macht viel zu große Mühe, Ruth. Warum tust du so was?« Er sagte

das um 3:48 Uhr an einem Freitag, als es in der J & R Werkstatt keine

Arbeit für ihn gab.

Onkel Weldon erfuhr am 3. Oktober um 20:10 Uhr von diesen Be-

sprechungen, als er meinen Vater und Regen und mich besuchte.

Mein Vater stand bei der Haustür, hielt den Bericht in der Hand

und starrte (starte) auf die Bäume und in die Dunkelheit hinaus.

»Solche Besprechungen sind doch Quatsch«, sagte er.

Onkel Weldon, der am Resopalküchentisch saß, schaute von un-

ten her (Heer!, hehr!) zu meinem Vater hoch und sagte: »Wenn du

willst, könnte ich an deiner Stelle (stelle) hingehen.« Onkel Weldon

hat eine sehr sanfte Stimme.

Mein Vater fuhr herum und richtete seinen Finger auf Weldon.

»Nein! Ich bin für Ruth verantwortlich. Ich kann mich selbst um

alles kümmern!«

Weldon senkte den Kopf und gab keine Antwort. Aber als mein Va-

ter sich wieder umdrehte, um weiter in die Dunkelheit zu schauen,

hielt mein Onkel zwei gekreuzte Finger hoch, um mir zu sagen, dass

alles in Ordnung kommen würde (Würde). Ich hob auch zwei Fin-

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ger und wir berührten beide damit unser Herz (Hertz).

Danach kam Regen in die Küche und setzte sich für eine Weile auf

meine Füße.

Dann ging mein Onkel.

Dann zerknüllte mein Vater den Bericht mit der Mitteilung von

Mrs Leibler und Mrs Kushel und warf ihn in den Garten.

Und damit habe ich mich genug vorgestellt, finde ich.

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Mein Hund Regen (regen)

Die nächste Person aus meiner wahren Geschichte ist Regen. Eine

Person in einer Geschichte muss nicht unbedingt ein Mensch sein, sie

kann auch ein Tier sein, zum Beispiel ein Hund namens Regen.

Regen wiegt 23 Pfund. Und so wiegt man einen Hund: Man stellt

sich auf die Waage und wiegt sich selbst. Dann hebt man den Hund

hoch und wiegt sich und den Hund zusammen. Danach zieht man

das eigene Gewicht vom Gewicht von sich und dem Hund zusammen

ab, und so viel wiegt also der Hund.

(Man wiegt mit einer Waage oder man wiegt das Baby in der Wiege.)

Regens Rücken (rücken) ist 54 cm lang. Von ihrer Schnauze bis

zur Schwanzspitze misst (Mist) sie 112 cm.

Regens Fell ist so ziemlich überall gelb. 7 von ihren Zehen sind

weiß – zwei an ihrer rechten Vorderpfote, eine an der linken

Vorderpfote, drei an ihrer rechten Hinterpfote und eine an ihrer

linken Hinterpfote. Ihr rechtes Ohr hat braune Sprenkel. Ihr Fell

ist kurz. Onkel Weldon sagt, sie sieht ein bisschen aus wie ein gelber

Labrador-Retriever. Da ein reinrassiges gelbes Labrador- Retriever-

Weibchen 55 bis 70 Pfund wiegen sollte, ist Regen aller Wahrschein-

lichkeit nach kein reinrassiger gelber Labrador.

Wenn Regen und ich allein zu Hause sind, sitzen wir drinnen oder

auf der Veranda vor dem Haus und Regen legt mir eine von ihren

(Iren) Vorderpfoten in den Schoß. Ich reibe ihre Zehen und sie starrt

(Start) mit ihren Augen, die die Farbe einer Tafel Schokolade haben,

in meine blauen Augen. Nach einer Weile schläft sie dann langsam

ein. Ihre braunen Augen schließen sich, bis sie ganz zu sind. Abends,

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wenn ich schlafen gehe, kriecht sie mit mir unter die Decke. Wenn

ich in der Nacht aufwache, liegt Regen ganz oft dicht neben mir und

hat den Kopf auf meinen Hals gelegt.

Regens Atem riecht nach Hundefutter.

Regen lebt seit 11 Monaten bei uns, und das ist fast 1 Jahr. Ich wer-

de in einem anderen Kapitel mehr über die Nacht erzählen, in der

mein Vater sie mit nach Hause gebracht hat. Das Kapitel, Kapitel 5,

soll heißen: »Wie wir Regen bekommen haben«.

Regen und ich haben unsere Gewohnheiten. Gewohnheiten finden

wir gut. Unter der Woche bleibt Regen zu Hause, während ich in der

Hatford Elementary bin und mein Vater bei seiner Arbeit in der J &

R Werkstatt. Wenn es für meinen Vater in der J & R Werkstatt keine

Arbeit gibt, geht er meistens ins Irische Glück und trinkt Bier und

sieht fern. Zu Hause ist er jedenfalls nicht. Regen bleibt allein dort.

Um 2:42 Uhr, wenn die Schule aufhört, holt Onkel Weldon mich ab.

Dann fährt er mich nach Hause, und wir kommen zwischen 2:58 Uhr

und 3:01 Uhr an. Regen und ich sitzen eine Weile auf der Veranda und

ich reibe ihre Zehen. Dann machen wir einen Spaziergang. Dann

mache ich Essen für meinen Vater und mich. Dann füttere ich Regen.

Regen bekommt My Pet-Hundefutter aus der Dose – morgens eine

halbe Dose und abends eine halbe Dose –, vermischt mit My Pet-Tro-

ckenfutter. Als mein Vater Regen damals mitgebracht hat, meinte er,

dass sie kein Dosenfutter brauche, denn das sei teurer als Trockenfut-

ter, aber ich sagte, dass wilde Hunde wildes Fleisch fressen, und mein

Vater sagte: »Da hast du Recht, Ruth.«

Wenn Regen gegessen hat, warten wir darauf, dass mein Vater

nach Hause kommt. Wenn er den ganzen Tag im Irischen Glück war,

ist er vielleicht nicht gut gelaunt. Oder er ist vielleicht sehr gut ge-

launt. Wenn er in der J & R Werkstatt gearbeitet hat, ist er vielleicht

nicht gut gelaunt. Oder er ist überhaupt nicht besonders gelaunt.

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Regen ist klug. Sie geht nie sofort zu meinem Vater. Sie steht in

meiner Schlafzimmertür, während wir abwarten, ob mein Vater

fragt: »Was gibt’s zu essen?« Wenn er fragt: »Was gibt’s zu essen?«,

dann kann ich ihm unbesorgt das Essen servieren und Regen kann

neben dem Tisch sitzen, während wir essen. Sie kann uns anstarren

und uns die Pfoten auf den Schoß legen und um Essen betteln, bis ich

sehe, dass die Augen meines Vaters schwarz und hart werden, und

das ist das Zeichen dafür, dass Regen lieber wieder in mein Schlaf-

zimmer gehen sollte.

Wenn mein Vater nach Hause kommt und gar (gar) nichts sagt,

sondern gleich in sein Zimmer geht, dann machen Regen und ich

besser einen großen Bogen um ihn. Und ich muss dafür sorgen, dass

Regen ganz still ist und ihm nicht auf die Nerven geht oder ihm

Kopfschmerzen macht.

Regen weiß (weis! Die Farbe Weiß!), dass (das) sie dann besser die

Füße meines Vaters und seine Schuhe in Ruhe lässt.

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Die Regeln der Homonyme

und Homophone

Ich bin die Einzige in der Klasse, die sich für Homonyme und Homo-

phone interessiert. Deshalb gehe ich davon aus, dass sich die meisten

Kinder nicht für Homophone interessieren. Wenn ihr dieses Kapitel

also lieber überschlagt, ist das kein Problem.

Aber wenn ihr es lest, interessiert ihr euch danach vielleicht auch

für Homophone.*

*Wenn ihr euch nicht für Homophone interessiert, dann hört jetzt auf

zu lesen und macht bei Kapitel 4 weiter.

Homonyme und Homophone können überraschen und ganz viel

(fiel) Spaß machen, und deshalb habe ich angefangen, Listen zu füh-

ren. Die Listen sind sehr lang. Inzwischen ist jede schon 4 Blätter

lang. Ich schreibe die Wörter in alphabetischer Reihenfolge auf. Ich

versuche, zwischen den Paaren und Trios von homonymen und ho-

mophonen Wörtern Platz zu lassen, damit ich problemlos neue dazu-

schreiben kann. Aber wenn der Platz aufgebraucht ist und mir noch

neue Wörter einfallen, dann muss ich die Liste von da an neu schrei-

ben. Manchmal muss ich dann weinen, denn ich muss die Wörter

ganz (Gans) richtig schreiben, ohne irgendeinen Fehler zu machen.

Wenn ich einen Fehler mache, muss ich von vorne anfangen. Josh

Bartel, ein 1,46 m großer Junge aus meiner Klasse, hat vorige Woche

zu mir gesagt: »Ruth, gib die Listen doch einfach in deinen Compu-

ter ein. Dann kannst du neue Wörter hinzufügen, wann immer du

willst. Der Computer macht für dich Platz. Und dann brauchst du die

Liste nicht neu zu schreiben.«

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Aber mein Vater und ich haben keinen Computer. Oder ein Mobil-

telefon oder eine Digitalkamera oder einen iPod oder ein DVD-Ge-

rät. Mein Vater sagt, diese Dinge sind teuer und überflüssig. Er sagt,

wir können uns so was nicht leisten, und so was braucht ja eigentlich

auch kein Mensch.

Also stehen meine Listen auf Papier.

In diesem Kapitel werde ich euch meine Listen für Homonyme und

Homophone erklären. Aber da ich schon begriffen habe, dass sich die

meisten Kinder für Regeln so wenig interessieren wie für Homopho-

ne, erzähle ich euch zuerst etwas Witziges über Homophone. Dann

komme ich zu den Regeln, und wenn ihr das immer noch interessant

findet, lest ihr weiter.

Was bei Homophonen Spaß macht, ist, in einem Satz ein Wort

zu hören und dann plötzlich zu begreifen, dass dieses Wort ein Ho-

mophon ist, vielleicht sogar ein doppeltes (oder dreifaches, aber das

kommt so selten vor, dass ich nicht oft an Homophonvierer denke),

und dann zu merken, dass man noch nie an dieses Homophonpaar

oder -trio gedacht hat. Gestern zum Beispiel hat Onkel Weldon zu

mir gesagt: »Sieh nur, wie sorgfältig Regen ihr Futter kaut.« Und

schon hatte ich ein neues Paar Homophone für meine Liste.

Onkel Weldon und ich saßen am Küchentisch, als er das sagte, und

ich fuhr hoch und rief: »Oh! ›Sieh‹ und ›sie‹! Das ist ein neues Ho-

mophonpaar!«

Onkel Weldon findet Homophone und Homonyme auch spannend,

deshalb sagte er: »Wunderbar, Ruth. Dann hol mal deine Liste. Wol-

len doch mal sehen, ob da noch Platz für zwei weitere Wörter ist.«

Während ich die Liste aus meiner Schultasche zog, dachte ich über

das Wort »sieh« nach und darüber, dass es sich auf »Vieh« reimt,

und als ich zu Onkel Weldon zurücklief, fiel mir irgendwie »fettes

Vieh« ein und ich rief: »Und dann gibt es noch ›fetter‹ und ›Vetter‹.

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Das ist ein richtig gutes Paar. Gleich zwei neue Paare für meine Liste.

Den Tag heute kann ich fast im Kalender rot anstreichen.«

Also, kurz und gut, deshalb finde ich Homophone so witzig.*

*Wenn ihr jetzt genug über Homophone gehört habt und meine Regeln

nicht wissen wollt, dann hört hier auf zu lesen und macht bei Kapitel 4

weiter.

Und jetzt kommen meine Regeln für Homophone. Es ist wichtig,

Regeln zu haben, denn ohne Regeln könnte man einfach umgehau-

en werden, wenn man über Wörter nachdenkt, die gleich klingen.

So eine Liste könnte unendlich viele Seiten lang werden. Aber meine

Listen sollen vor allem Homophone enthalten, die klar und deutlich

sind und außerdem keine Fremdwörter.

RUTH HOWARDS HOMOPHONREGELN

1. In einem echten Homophonpaar oder -trio gibt es keine

Eigennamen. Ein Eigenname ist der Name einer Person

oder eines Ortes oder einer Warenmarke, also so was wie

»Rainer« oder »Rhein«. Ich hatte ja überlegt, ob ich »Tem-

po« aufnehmen sollte, aber das ist eine Warenmarke.

Wenn ich Eigennamen dazunähme, würde meine Liste viel

zu lang werden. Zum Glück ist »Regen« ein Eigenname und

auch ein echtes Wort, da konnte ich es doch aufnehmen.

2. Ein echtes Homophonpaar oder -trio enthält kein

Fremdwort. Ich hatte die Wörter »Kot« und »Code« auf

meiner Liste, aber ich habe sie dann doch wieder gestri-

chen, weil »Code« ein Fremdwort ist. Es wäre sehr schwie-

rig, Wörter aus anderen Sprachen in meine Liste aufzuneh-

men, ich kann die Sprachen doch gar nicht alle.

3. Ein echtes Homophonpaar oder -trio enthält keine

Zusammenziehungen. Ich hatte zuerst »steht’s« und

»stets« auf meiner Liste, das ging aber nicht, denn

»steht’s« ist ja eine Zusammenziehung aus den Wörtern

»steht« und »es«. Deshalb kann es nicht als rich tiges Wort

durchgehen.

4. Ein echtes Homophonpaar oder -trio enthält keine

Abkürzungen. Ich hatte zuerst »es« und »ess« auf meiner

Liste, aber das ging dann doch nicht, denn »ess« ist ab-

gekürzt für »(ich) esse«, und das ist einwandfrei kein

Homophon zu »es«.

5. Ein echtes Homophonpaar oder -trio enthält nur Wörter,

die genau gleich klingen. Da »hart« und »haart« nicht ge-

nau gleich klingen, stehen sie nicht auf meiner Liste. Und

»er« und »eher« auch nicht.

Ich geh mal davon aus, dass es für den Moment mit den Homophonen

reicht. Ihr möchtet sicher wissen, wie meine Geschichte weitergeht,

und da wird es Zeit, euch die nächste Person vorzustellen. Die nächs-

te Person ist mein Vater, Wesley Howard.

Ach, übrigens, auch das ist witzig bei Homonymen: »Ein Paar«

bedeutet immer »zwei«, aber »ein paar« kann auch »drei« oder

mehr bedeuten.