40
Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern Concept & Layout: [email protected]

Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Citation preview

Page 1: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagen undLegenden ausdem Kanton Luzern

Concept & Layout: [email protected]

Page 2: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Vorwort

***

Lieber Leser, liebe Leserin,

auf den folgenden Seiten findest du eine Zusammenstel-lung einiger Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern.

Die Geschichten habe ich nicht selber recherchiert, son-dern sind aus dem Internet zusammengetragen. Bitte be-achte also, dass die Geschichten dem Urhebergesetzt des jeweiligen Autors unterliegen. Vielen Dank!

***

Nun wünsche ich dir spannende und kurzweilige Lesestunden.

im November 2013

Page 3: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

2

Inhaltsverzeichnis Luzern, die Licht-Stadt Der Bruder Fritschi und seine Frau Das Gespenst in der Furrengasse Die Muttergotteskapelle im Eigental Die Wildleute am Pilatus Das Toggeli Alpgespenster Der ehemalige Pilatussee Der Drachenstein Der Küfer von Luzern und die Drachen Literaturverzeichnis

Page 4: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

3

Luzern, die Licht-Stadt

Im Jahre 503, also zur Zeit, als das römische Reich von den germanischen Völkern überrannt worden war und sowohl lateinisch, als auch deutsch sprechende Menschen in unserer Gegend lebten, wurde am Ort des heutigen Luzern, auf der Hofstatt, wo man später die St. Leodegarskirche erbaute, ein seltsam leuchtendes Licht gesehen.

Licht heisst in lateinischer Sprache „lucerna“. Man verstand also dieses Licht als Zeichen und Auftrag, an der Stelle dieses Leuchtens ein Gotteshaus zu errichten. So entstand zuerst eine Kapelle und nach Jahrhunderten dann die Hofkirche. Und so erhielt die spätere Stadt ihre Bezeichnung:

Luzern, die edle Stadt, von Licht und Schein den Namen hat.

Page 5: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

4

Der Bruder Fritschi und seine Frau Vor den Toren der Stadt Luzern wohnte einst ein Bauer mit

seiner Frau auf seinem Hof in der Halden, also draussen beim Kursaal am See. Eigentlich hiess er Fridolin. Er wurde aber im Volk nur Fritschi genannt. Um das Jahr 1480 soll er gestorben sein. Der freundliche Mann lebte zurückgezogen auf seinem Landgut und war nie in den Wirtshäusern zu sehen.

Nur jedes Jahr am Schmutzigen Donnerstag kam Bruder Fritschi in das Zunfthaus zu Safran in die Stadt. Diese Zunftstube sagte ihm besonders zu, und hier genehmigte er sich mit lustigen Gesellen einen Trunk. So geschah es Jahr um Jahr, bis zu seinem Tod. In seinem Testament vermachte er der Safranzunft eine stattliche Summe Geldes und legte folgendes fest: Wenn sich die Gesellschaft zu Safran am Schmutzigen Donnerstag versammle, solle sie einen grossen Pokal mit Wein füllen lassen. Dieser solle mit Spielleuten begleitet im fröhlichen Zug durch die Stadt getragen werden. Jeder, der es begehre, ob arm oder reich, ob jung oder alt, solle aus dem Pokal trinken können. Und der Wein solle immer nachgefüllt werden. Alles solle auf Kosten der Gesellschaft zu Safran und zum Gedächtnis an den Bruder Fritschi geschehen. So wurde es denn gehalten. Der Tag wurde Fritschitag genannt. Zu Ehren des Bauern Fridolin liess die Gesellschaft zu Safran die Gesichter des Bruders Fritschi und seiner Frau als Masken schnitzen, damit sie im Umzug mitgetragen werden konnten.

Page 6: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

5

Das Gespenst in der Furrengasse In den Sommernächten des Jahres 1607 wurde in Luzern ein sonderbares Gespenst gesehen. Im Schein der Laternen erschien es als menschliche Gestalt und glich einem hageren, hochgewachsenen Mann mit schwarzem Haar und auffallend langer Nase. Dann veränderte es sein Aussehen und wuchs in die Höhe, bis es das Mass eines Landsknechtsspiesses, also fünf Meter, überragte.

Als man vernahm, das Gespenst gehe um, achtete man auf seinen Weg und verfolgte es sorgfältig. Man fand heraus, dass es unerwartet unter der Egg auftauchte, die Eggtreppe emporstieg, den Kornmarkt durchquerte und dann in die Furrengasse schritt. Es zog einen grausigen Schwanz hinter sich her, der so lang war wie der Kornmarktplatz. Es wandelte durch die Furrengasse zum Kapellplatz, wendete sich und ging die Kapellgasse hinauf. Beim kleinen Gässchen zwischen der Kapellgasse und der Eisengasse verschwand es so plötzlich, wie es aufgetaucht war. Im nächsten Jahr sah man das Gespenst von neuem. Aber nun war es, als höre man eine frohe Gesellschaft mit allerlei Saitenspiel, mit Harfen, Lauten, Geigen, Zithern, Violinen und Triangeln vorüberziehen.

Page 7: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

6

Die Muttergotteskapelle im Eigental

Die Muttergotteskapelle im Eigental ob Kriens ist in schwerer Zeit aus einem Gelöbnis entstanden. Als im Jahre 1517 die Pest wütete und man inständig zu Gott und seiner heiligen Mutter flehte, erschien ein alter Mann und riet den Leuten, im Eigental der Himmelskönigin eine Kapelle zu bauen und darin jährlich drei Messen zu Ehren Marias, St. Wendels und zum Heile der Armen Seelen zu lesen. Man folgte dem Rat. Viele glaubten, es sei der heilige Wendel selbst gewesen, der ihnen so geraten hatte. Eine andere alte Sage aber will wissen, es seien die Pilatus-Hexen gewesen, welche die Pest und auch noch gleich eine verheerende Viehseuche verursacht hätten.

Page 8: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

7

Die Wildleute am Pilatus In den Höhlen des Pilatus wohnten vor Zeiten überall kleine Wildmannen. Bei schönem Wetter zogen sie aus und stiegen bis in das Tal hinab, um den Bauern beim Heuen zu helfen. Wenn der Abend nahte, riefen sie sich zu: „Es will Abend werden“ und eilten hurtig davon. War das Wetter windig, sah man sie nicht.

Als einst die Pest im Lande wütete, hörte man weithin vernehmlich die Wildleute rufen: „Esst schwarze Astrenzen und Bibernellen, dann sterbt ihr nicht alle.“ Die Wildleute hielten sich die Gemsen wie Ziegen und melkten sie des Abends. Einst begegneten sie Jägern, die zur Gemsjagd gingen, und baten sie, ihre Ziegen nicht zu schiessen. Sie versprachen den Jägern ein Geschenk, das für sie alle ausreiche, solange sie keinem andern ein Stück davon geben. Die Jäger verzichteten auf die Jagd und erhielten von den Wildmannen einen Gemskäse, von dem sie allezeit gemeinsam essen konnten, ohne dass der Käse kleiner wurde. Aber aus Neugier liessen sie einst einen andern kosten, und da schwand der Käse rasch.

Page 9: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

8

Das Toggeli Das Toggeli heisst deutsch auch das „Schrätlein“, lateinisch „Incubus“. Es soll eine Krankheit sein und bewirken, dass jemand, der auf dem Rücken liegend schläft, träumt, es lasse sich etwas Schweres auf ihn nieder und drücke ihn hart: ein Mensch, ein Tier oder sonst etwas. Der Geplagte meint, er müsse ersticken.

Das Volk aber hat eine andere Meinung über das Toggeli und glaubt, es sei ein Tier oder ein Geist, der in Gestalt einer Katze sich auf die Brust der Schlafenden niederlasse. Die Frauen glauben, dass das Toggeli in der Nacht die Säuglinge belästige und an ihren Brüstchen sauge, sodass Brüstlein und Wärzlein anschwellen. Um das zu verhindern, hängen sie an die Wiege Objekte, die das Toggeli durch seltsame Töne vertreiben. Wenn nachts in einer Kammer bei gänzlicher Stille sich ein Klappern vernehmen lässt, wie die Unruh einer Uhr, dann glaubt das Volk, dass das Toggeli schmiede.

Page 10: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

9

Alpgespenster

Kein Mensch konnte früher bezweifeln, dass die hohen und wilden Alpen voller Spuk waren und von schrecklichen Gespenstern heimgesucht wurden. Besonders kam die Plage über eine Alp, wenn die Sennen am Abend aus Gleichgültigkeit oder Vergesslichkeit nicht über das Vieh nach uralt christlichem Brauch den Alpsegen riefen.

Wenn der Alpsegen vernachlässigt wurde, kam ein Gespenst daher, das aussah wie ein alter, langbärtiger Zwerg. Es trug eine Salztasche über die Achsel geworfen und hielt in der Hand eine Rute wie ein Hirt. Der kleine bösartige Zwerg trieb das Vieh geschickt vor sich her und hob es plötzlich vom Boden empor in die Lüfte. Oft kam es vor, dass Hirten, durch die Bewegung aufmerksam geworden, noch gerade sahen, wie das Vieh langsam gegen den Himmel schwebte. Wenn die Tiere in die Lüfte erhoben wurden, kamen sie erst am dritten Tage zurück. Sie waren dann elend und mager und gaben zum Schaden der sorglosen Älpler lange Zeit keine Milch mehr.

Page 11: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

10

Der ehemalige Pilatussee Der Chronist Fründ erzählt um 1426 die Pilatus-Sage folgendermassen:

Pontius Pilatus war römischer Landpfleger von Judäa. Er war es, der Jesus den Juden zur Kreuzigung ausgeliefert hatte. Kaiser Tiberius liess ihn nach Rom holen und ins Gefängnis werfen. Dort beging er Selbstmord. Seine Leiche wurde in den Tiber geworfen, und sofort brach ein gewaltiges Gewitter über die Stadt herein. Darum fischte man den Leichnam wieder aus dem Tiber, verbrachte ihn nach Frankreich und warf ihn in die Rhone.

Doch auch in jener Gegend verwüsteten Unwetter die Ländereien. Gleiches geschah wiederum in Lausanne, wohin der Leichnam überführt worden war. Darum beschloss man, den toten Pilatus in das wilde Gebiet des mächtigen Berges Frakmont bei Kriens zu schaffen und den Leichnam auf der Oberalp in den düsteren kleinen See zu werfen. Doch auch hier gab Pilatus keine Ruhe. Erst, als ein fahrender Schüler aus Salamanca auf den Berg stieg und Beschwörungsformeln über den See rief, war Pilatus gebannt. Doch sobald jemand Steine in den See warf oder laut sprach, brachen erneut die schrecklichsten Gewitter los. 1370 verbot die Luzerner Regierung darum jegliche Begehung des Pilatus. Erst 1594 hob sie dieses Verbot wieder auf. Denn der Luzerner Stadtpfarrer Johannes Müller war auf den Berg gestiegen, hatte Steine in den See werfen und Stadtknechte durch das Wasser waten lassen, und kein Unwetter brach aus. So nahm der Aberglaube, der dem Berg den Namen gegeben hat, ein Ende.

Page 12: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

11

Der Drachenstein Renward Cysat erzählt die Geschichte vom Drachenstein:

Im Jahre 1421 war der Sommer brennend heiss. Damals war ein Bauer in Rothenburg mit all seinen Leuten auf den Wiesen am Heuen. Bald nach Mittag, als die Sonne am stärksten brannte, sah er über sich in der Luft einen scheusslichen Drachen dahinziehen. Der Drache kam von der Rigi her und flog

gegen den Pilatus. Er verbreitete flammendes Feuer und einen schrecklichen Gestank. Das Untier senkte sich so nahe zum Erdboden nieder, dass der Bauer ohnmächtig zusammensank. Als er sich wieder erholt hatte, blickte er um sich und sah auf dem Boden etwas Eigenartiges liegen. Sicher hatte es der Drache auf die Erde fallen lassen. Vorsichtig ging der Bauer auf dieses unförmige Etwas zu. Der Drache etwas ausgestossen, das wie geronnenes Blut aussah. Der Bauer berührte ihn mit einem Stock und breitete das Ding, das wie Sulze aussah, auseinander. Da fand er darin einen Drachenstein. Von der Kraft des Drachensteines ist viel gesprochen worden. Wer ihn berührte, wurde von Krankheiten geheilt. Er ist schön glatt und rund, mit wunderlichen Flecken geziert, und wiegt ungefähr 250 Gramm. Dem Bauern, der den Stein fand, und seinen Nachkommen, wurde für diesen Stein viel Geld angeboten. Selbst Kaiser und Könige wollten den Stein als Wunder der Natur in ihre Schatzkammern aufnehmen. Noch heute wird er im Naturmuseum Luzern aufbewahrt.

Page 13: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

12

Der Küfer von Luzern und die Drachen

Im Herbst des Jahres stieg ein Küfer von Luzern ganz allein gegen den Pilatus hinauf. Er wollte Holz für seine neuen Fässer suchen. Wie er über wilde Felsen hinaufkletterte, fiel er unversehens in eine tiefe Spalte. Doch er hatte Glück im Unglück!

Benommen sah er sich in der Dunkelheit um und bemerkte neben sich zwei grosse Drachen, die sich eben für den nahenden Winter einrichteten. Der Küfer erschrak und verhielt sich ganz still. Die Drachen zeigten sich sanft und zahm und taten dem Küfer kein Leid an. Er sah, wie sie immer wieder am Felsen leckten und sich von deren salzigen Absonderungen ernährten. In dieser Weise fristete auch der Küfer sein Leben und brachte den Winter zu, ohne unter Frost zu leiden. Wie nun der Frühling ins Land zog, rüsteten sich die Lindwürmer zum Ausflug. An einem schönen Tage krochen sie langsam aus dem Felsenloch. Da setzte sich der Küfer auf den langen Schwanz des einen Drachen und konnte sich so befreien. Glücklich kehrte er in die Stadt zurück. Doch, wie erstaunt war er, als er bemerkte, dass ihn kein Mensch mehr kannte. Man erzählte ihm, vor hundert Jahren sei ein Küfer am Pilatus verunfallt und nie mehr zurückgekehrt. Und tatsächlich: In seinen altmodischen Kleidern wirkte er wie ein Mensch aus einer vergangenen Welt.

Page 14: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

13

Literaturverzeichnis Müller, Kuno, Luzerner Sagen, Verlag Eugen Haag, Luzern

1964, 1. Aufl. Pfister, Hans, Pilatus, Sagen und Geschichten, Verlag Eugen

Haag, Luzern 1991. Müller-Ermensee, Anton, Sagenhaftes aus der Stadt Luzern

und dem Pilatusgebiet, Comenius Verlag, Hitzkirch 2002.

Page 15: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

14

Die Theatertour für Kinder in die Luzerner Sagenwelt Sagen, Spuk, Pilatusdrachen Was man sich nicht alles vom Pilatus erzählt! Auf einer Bergtour in unserem Museumslager, bis hinauf auf den Gipfel, tauchen wir in die geheimnisvolle eine geheimnisvolle Sagenwelt ein. Dabei entdecken wir auf theatralische, musikalische und spannende Weise die bekanntesten Luzerner Sagen. Gespenster, Drachen, Alpgeister und Wetterhexen schlagen uns in ihren Bann.

Konzept / Text: Roger Pfyl Dramaturgie: Walti Mathis Spiel: Roger Pfyl / Anna Maria Tschopp oder Franziska Senn Technik: Franz Wicki / Peter Hofer Produktion: Historisches Museum Luzern Altersempfehlung: Kinder ab 8 Jahren und Erwachsene

Das Historische Museum macht Geschichte - spannend, lehrreich und lebendig! Mit unseren Schauspielerinnen und Schauspieler im Museumslager unterwegs: Theatertouren vermitteln so die Geschichte hautnah. Fünf mal täglich um 10 / 11 / 14 / 15 / 16 Uhr, weitere Theatertouren nach Vereinbarung. Speziell für Kinder: Zeitreisen, Theatertouren, Abenteuergeschichten und der Kinderclub „historyKids“

Mehr Infos unter Tel 041 228 54 24 oder unter ww.hmluzern.ch. Zusammenstellung: Heinz Horat / Walti Mathis, Historisches Museum Luzern, März 2005

Page 16: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Auszug aus der Sagenwelt des Kantons Luzern bezüglich Sträggele, Türst und Vuotisheer

Inhaltsverzeichnis:

1.  Vorwort 2 

2.  Die Sträggele 3 

3.  Das Sträggele Chäpelli 3 

4.  Der Türst und sein wildes Gefolge 4 

5.  Vom Wirken mächtiger Geister 5 5.1  Der Türst im Pilatusgebirge 5 5.2  Der Nachtjäger 6 5.3  Der Türst 6 5.4  Die Entrückung des Hans Buchmann 6 5.5  Die Entrückung des Lienhard Murei 7 5.6  Weitere Entrückung 7 5.7  Das selige Volk 7 5.8  Weiteres von den seligen Leuten 8 5.9  Eine Ehefrau wandelt mit den seligen Leuten 9 5.10  Cysats Meinung über das Wuot ins Heer 9 5.11  Die Polsternächte 9 

6.  Geschichten nach Lütolf 9 6.1  Türststrassen im Luzerner Land 9 6.2  Das warnende Wesen 11 6.3  Das Muotisei 11 6.4  Die Frau im wilden Heer 11 6.5  Die Sträggele raubt ein Kind 11 6.6  Die Sträggele spielt den Schmutzli 12 6.7  Sträggelejagen 12 6.8  Die gefangene Sträggele 13 6.9  Die Sträggele straft faule Mägde 14 6.10  Die Entführung von Kindbetterinnen 14 

7.  Nach anderen Autoren 14 7.1  Der Türst auf dem Pilatus 14 7.2  Türst-Sagen aus Rickenbach 14 7.3  Der Türst in Horw 15 7.4  Der Türst in Wolhusen 15 7.5  Der Türst in Rothenburg 15 7.6  Die Sträggele in Rickenbach 15 7.7  Die Sträggele im Hinterland 15 7.8  Polsterlijagen 15 7.9  Die Rache des Türst 16 

Page 17: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 2 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

1. Vorwort

Auszug von Kurt Lussi, „Im Reich der Geister und tanzenden Hexen“: In unserer Zeit, die sich in immer kürzeren Abständen mit politischen, gesellschaftli-chen und religiösen Umwälzungen auseinander setzen muss, sind diese weit in die Zeit zurückreichenden Vorstellungen akut gefährdet. Da sie ihren Rückhalt in der Er-zähltradition haben, hängt ihr Überleben von Menschen ab, die mit dem Land ihrer Vor-fahren fest verwurzelt sind. Sowohl mit der gewaltsamen als auch der schleichenden Entwurzelung stirbt die Überlieferung. Gleichzeitig verliert der Mensch den inneren Halt, der ihn gegen die Einflussnahme von aussen schützt. Menschen ohne Verwurze-lung sind leichter als andere zu manipulieren, da sie nur sich selbst verpflichtet sind.

Das Überleben einer Gemeinschaft, ihre Kraft, Unterdrückung zu ertragen und sich vor allem auch der Vereinnahmung durch andere zu widersetzen, hängt somit vom Grad ihrer kulturellen Identifikation ab. Gemeinsame Tradition, Sprache, Lieder, Religion und Geschichte bestärken den Einzelnen im Gefühl der Zusammengehörigkeit und fördern die Widerstandskraft. Die Auslöschung oder Zwangsintegration eines Volkes beginnt deshalb immer mit der Vernichtung seiner Kultur.

Meist erkennt der Mensch erst im Nachhinein, dass er einen Teil seiner Lebensqualität dem Zeitgeist geopfert und dafür keinen oder nur unzureichenden Ersatz erhalten hat. Diese Einsicht - wir wissen es zu Genüge - kommt fast immer zu spät. Und die nach-trägliche Verklärung des Gewesenen kann den Verlust der Realität niemals ersetzen.

Umsomehr gilt es, die Wurzeln unserer Kultur neu zu entdecken und den Menschen zugänglich zu machen.

Nachfolgend finden Sie Erzählungen des Volkes, die von einer Welt zwischen dem Diesseits und dem Jenseits berichten. In ihr haben seit uralten Zeiten die Seelen der Verstorbenen und Geister ihren Aufenthalt. Diese Welt, die unser Leben kaum wahr-nehmbar mitbestimmt, ist nicht sichtbar und trotzdem ein Teil unseres Lebens. Sie ist weit entfernt und dennoch erstaunlich gegenwärtig. Der dem Sterblichen gewöhnlich verschlossene Bereich ist eine Zwischenstation auf dem Weg der Seele ins Jenseits und gleichzeitig Aufenthaltsort jener, denen durch ungesühnte Schuld der Eintritt ins Reich der Toten verwehrt ist.

Beim Tod des Menschen verlässt die Seele den Körper. Eine gewisse Zeit hält sie sich noch in der Nähe des Sterbeortes auf. Dann aber wird sie von gutartigen Seelengelei-tern in Empfang genommen und behutsam in eine Zwischenwelt geleitet. Sowohl nach christlichem als auch nach vorchristlichem Glauben ist unter dieser Zwischenwelt nicht ein räumlich begrenzter Ort zu verstehen, sondern eine andere Bewusstseinsdimensi-on. Diese Dimension ist das Reich der Geister, Dämonen und unerlösten Toten.

Das Christentum hat die alte Auffassung vom Reich der Geister keineswegs verdrängt, sondern sich bloss über die ursprüngliche Kultur geschoben. Im alpenländischen To-tenbrauchtum kommt diese Tatsache in vielen Bereichen zum Vorschein.

Page 18: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 3 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

2. Die Sträggele

In uralter Zeit, als die Menschen noch an Götter glaubten, versetzten oft wilde Geister-züge die Leute in Schrecken. Wenn ein Mensch starb, so glaubte man damals, hauche er mit dem letzten Atemzuge seine Seele in den Wind. Mit diesen Seelen der Verstor-benen hauste Wodan der Götterfürst, im Volksmund auch "Wüetis" oder "Türst" ge-nannt, in eimen Berge. Doch gab es auch Tage und Nächte, da er diesen Ort auf ei-nem milchweissen, achtfüssigen Pferd verliess. Er ritt dann mit Windeseile hoch über Felder, Wälder und Wolken dahin. Sein blauer Mantel flatterte gespenstisch hinter ihm drein.

Ihn begleiteten die Seelen der Abgeschiedenen als schreckliche Gestalten. Ohne Kopf, die Beine oft auf den Schultern tragend, auf zweibeinigen Pferden reitend oder auf Rä-der gebunden, die von selbst rollten, so wälzten sie sich hinter dem Gespensterfürsten her.

Darunter mischten sich Raben und andere Totenvögel, vor allem der Steinkauz. Er rief: "Ku-i-mit, ku-i-mit!" Das bedeutete: "Komm mit, komm mit!" Wer diesen Ruf der "Wigg-le" hörte, musste sich dem Geisterzug bald anschliessen. Das hiess, er werde in nächster Zeit sterben. Doch nicht nur Nacht- und Totenvögel begleiteten diesen grau-sigen Zug. Man hörte auch Pferde wiehern, vernahm Hufschläge und Peitschenknall; es kläfften Hunde, gellten Hörner und wilde Rufe und Befehle erschallten. Die Leute sagten dann: "Die wilde Jagd, Wüetis (Wodans) Heer, fährt durch die Lüfte." Wer es hörte, musste die Fenster schliessen. Es konnte sonst leicht passieren, dass er einen Schlag erhielt, dass die gespenstische Luft sein Gesicht hoch aufschwellen liess, oder dass er sogar vom grässlichen Haufen mitgerissen wurde.

Zu dieser Zeit lebte droben auf dem Emmenberg, auf einer Burg, ein übermütiges Edelfräulein, das eher mehr berüchtigt als berühmt war. Man nannte sie die Sträggele. Ob ihren ausgefallenen Ideen schüttelten die Landleute oft genug die Köpfe. Der haus-fraulichen Tugenden und Pflichten spottete sie. Viel lieber galoppierte sie hinter den Jägern her über Felder und Gräben, durch Stauden und Wälder, um wie die Männer Speer und Pfeil nach einem Wild zu schleudern. Während alle, die sie kannten, ihr nicht gerade jungfräuliches Gebaren missbilligten, hatte allein ihr Verlobter Freude an ihrem rohen Treiben.

3. Das Sträggele Chäpelli

Irgendwo am Rümlig (wer weiss noch wo?) stand vor langer Zeit ein Bauernhaus, zu einem kleinen Gütlein gehörend. Der Bauer hatte einige Jahre zuvor, in der Blüte sei-nes Lebens stehend, das Zeitliche gesegnet. Mit Hilfe eines Knechtes bewirtschaftete nun die Witwe das Land. Doch ihre ganze Liebe und Sorge galt vor allem ihrem neun-jährigen Töchterchen Hedwig. Es war ein herziges Mädchen, gesund gewachsen, mit einem rosigen Gesichtchen, woraus einem zwei hellblaue Augen anlachten. Mitten da-rin thronte ein niedliches Stupsnäschen, und das Ganze wurde umrahmt von einem blonden Lockenschopf mit langen Zöpfen. Wer die kleine sah, hätte meinen können, ein irdisches Englein vor sich zu haben. Doch das war leider nicht so.

So klein Hedwigs Köpfchen war, so gross konnten Starrsinn und Trotz sein, die darin wohnten. Wenn es seine schlechte Laune hatte, nützte das gütigste Zureden nichts.

Page 19: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 4 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

Trotzig konnte es dann mit seinen Füsschen den Boden stampfen und missachtete alle gutgemeinten Mahnungen und Ratschläge seiner Mutter. Die Bäuerin hatte lange Zeit versucht, diesen Trotz aus dem Köpfchen ihres Kindes zu verbannen; doch vergeblich. Als alle möglichen Versuche fehlschlugen, drohte sie Hedwig mit der 'Sträggele': "Kind, wenn du nicht endlich auf deine Mutter hörst und deinen Trotz besiegst, rufe ich die wilde Sträggele. Die nimmt dich dann mit in den Gespensterberg und wird dir dort dei-nen Starrsinn schon abkaufen!"

Doch auch diese Worte schienen keinen grossen Eindruck auf das Mädchen zu ma-chen. Wie eh und je hatte es auch jetzt noch seine 'Trotz-Tage'. Als Hedwig wieder einmal starrköpfig war, und die Mutter sich nicht mehr zu helfen wusste, wandte sie sich an den Knecht. Sie trug ihm auf, er solle am Abend, wenn es finster sei, an das Fenster klopfen und mit verstellter Stimme rufen: "Hallo, die Sträggele ist da. Mach das Fenster auf und reich mir den Trotzkopf heraus!" Der Knecht willigte ein, und als die Finsternis hereingebrochen war, klopfte es wie verabredet an das Fenster und eine krächzende Stimme rief: "Hallo, die Sträggele ist da. Mach das Fenster auf und reich mir den Trotzkopf heraus!" Die Bäuerin, die glaubte, das sei nun der Knecht, öffnete das Fenster, nahm das erschrockene Kind auf die Arme und reichte es zum Fenster hinaus, wo es von zwei gierigen Händen gepackt wurde. Schnell schloss sie das Fens-ter wieder. Da fuhr ein markerschütternder Kinderschrei durch die Nacht, dem ein sich entfernendes Weinen folgte. Die Bäuerin war der Meinung, der Knecht werde jetzt das Kind gelinde strafen und es dann wieder vor die Türe stellen. Da klopfte es schon wie-der an das Fenster, und als die Frau es öffnete, ertönten noch einmal die verabredeten Worte. Jetzt aber erkannte sie an der Stimme sofort ihren Knecht, der das Kind haben wollte. Ein gewaltiger Schreck fuhr ihr durch die Glieder. Wem hatte sie das Kind ge-geben?

Schnell wurden die Sturmlaternen angezündet, und dann suchten die weinende Bäue-rin und der zu Tode erschrockene Knecht nach dem Kinde, zuerst rings um den Hof und schliesslich bei allen Nachbarn. Doch die Mühe war vergeblich. Beim Morgen-grauen ging die Suche weiter. Nicht weit vom Hause entfernt fand der Knecht die schönen blonden Zöpfe des Mädchens mit der Kopfhaut am Boden liegend. Blutspuren wiesen den Suchenden weiter den Weg Richtung Schwarzenberg. In der Dieter-schwand machten sie den zweiten grässlichen Fund: Ein Ärmchen des bedauernswer-ten Mädchens lag am Strassenrand. Sonst fand sich aber nichts mehr. Nun wussten al-le: Die Sträggele hatte Hedwig geholt.

Heute steht in der Dieterschwand eine kleine Kapelle, das 'Sträggele-Chäpelli' ge-nannt.

4. Der Türst und sein wildes Gefolge

Seit alters fürchten sich die Menschen vor den Jahreszeiten, die von Sturm und Unwet-ter begleitet sind. Dies ist besonders in den Fronfastentagen im Dezember der Fall. Wenn am Mittwoch, Freitag und Samstag nach St.Luzia die Winde nachts heulend um die Hausecken toben und an den Fensterläden reissen, dann ist der Türst mit seinem Gefolge unterwegs. Auf einem feurigen Pferd reitend, führt der höllische Jäger die wil-de Jagd an, begleitet von jaulenden Hunden und unheimlichen Hornbläsern. Zu seinem Gefolge gehört die Sträggele, eine alte hässliche Hexe, die angeblich seine Frau ist.

Page 20: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 5 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

Bisweilen ist auch die Pfaffenkellnerin dabei, ein Gespenst mit glühenden Augen, das früher ein Pfaffenliebchen gewesen sein soll.

Der Türst jagt durch Dörfer, Wälder und Tobel im ganzen Kanton. Die Menschen sehen ihn zwar nie, hören aber das Bellen, Wiehern, Schnauben, Stampfen, Heulen und Ru-fen seines wilden Heeres. Durch Mark und Bein dringt seine Aufforderung: "Drei Schritt uswäg, drei Schritt uswäg!" Gnade Gott demjenigen, der seiner Aufforderung nicht nachkommt, er wird nämlich unweigerlich in die Lüfte entrückt.

Der Lärm der unsichtbaren Jagdgesellschaft versetzt das Vieh in derartigen Schre-cken, dass es kopflos auseinanderstiebt. Oft werden die Kühe davon krank und geben keine Milch mehr.

Zwischen Thomastag und Dreikönigen müssen die Bauern ihre Tenntore offen halten, damit der Türst ungehindert durch die Scheune jagen kann. Vergisst man dies, bre-chen Unglück und Krankheit über Stall und Haus herein.

Früher hat der Türst auch in nächster Umgebung von Luzern gejagt, im Würzen-bachtobel und im Megger Wald, am Hundsrücken und im Emmer Schachen, in Kriens und in Horw. Auf der Luzerner Allmend tobte einmal die wilde Jagd eine ganze Nacht hindurch. Am anderen Tag fand man Tausende von Pfotenspuren. Sie stammten alle-samt von den Türsthunden und waren leicht zu erkennen, denn diese haben nur drei Beine. Der Leithund hat noch ein weiteres eigenartiges Merkmal: Er besitzt nur ein ein-ziges Auge.

Wenn man zufälligerweise einem zurückgebliebenen Türsthund begegnet, sollte man ihn auf keinen Fall mitnehmen. Das hat ein alter Sigrist in Kriens erfahren müssen. Dieser fand einmal vor seiner Tür ein leblos daliegendes Tier, das von der nächtlichen Türstjagd zurückgeblieben war. Mitleidig hob er den jungen Hund auf und trug ihn ins Haus, um ihn zu pflegen. Kaum war die Nacht angebrochen, erschien der Türst mit seinem wilden Gefolge. Die wilde Hundeschar jagte solange bellend und jaulend um das Haus, bis der Sigrist das Hündchen wieder vor die Tür setzte.

(nach Erzählung von Michael Riedler)

5. Vom Wirken mächtiger Geister

Vom Türst, der Sträggele und dem Wuotisheer (nach Cysat)

5.1 Der Türst im Pilatusgebirge

Auf den Höhen des Pilatus haust ein Gespenst, das den Sennen viel Mühsal macht und das Vieh auf manche Weise belästigt. Seine Gewalt wird gross, wenn die Hirten vom gottesfürchtigen Lebenswandel abweichen. Es ist ein höllischer Jäger; man nennt es den Türst.

Der Türst rüstet sich bei Anbruch der Nacht zur Jagd. Er treibt das arme Vieh vor sich her, erschreckt und verwirrt es und zerstreut die Herden, dass sie ziellos durcheinan-der rennen und lange Zeit ohne Milch bleiben. Wenn der Geist naht, bläst er ein mäch-

Page 21: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 6 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

tiges Jagdhorn. Die Tiere, die seinen Ton vernehmen, müssen alle herankommen und vor ihm erscheinen. Oft führt er eine Meute höllischer Jagdhunde bei sich. Die stolpern alle, denn sie haben nur drei Beine; ihr Bellen tönt dumpf, hohl und unnatürlich, es ängstigt das Vieh, dass es furchtsam und erschrocken den Menschen zuläuft, in seiner Angst die Hirten bestürmt und ihnen alle Hände voll zu schaffen macht.

Cysat hat das von Leuten erfahren, die wahrhaft ehrlich sind und alles selbst erfahren haben.

5.2 Der Nachtjäger

Das böse Gespenst, das sich nachts in den Bergen und dichten alten Wäldern ver-nehmen lässt, heisst auch der Nachtjäger. Es jagt mit seinen Hunden, ist begleitet von Hornbläsern und andern Gefährten und benimmt sich ganz wie ein Mensch, der zur Jagd zieht. Viele haben die Hunde des Nachtjägers gesehen, auf drei Beinen hüpfend und dumpf, heiser und schrecklich bellend. Ihr Nahen ist dem Vieh gefählich; denn es wird bei dem Lärm scheu, irr und krank.

5.3 Der Türst

Der Türst, der sich in den Alpen des Pilatusberges zeigt, ist ein Gespenst von beson-derer Art. Seine Jagd, die zur Nachtzeit erfolgt, gleicht, wenn man sie hört, mit ihren Hunden, Hörnern, Rufen und Schreien, einer gewöhnlichen Jagd, nur ist das Geschrei undeutlicher und heiserer als bei lebenden Menschen oder Hunden. Die Viehhirten, Jäger und Treiber sehen die Hunde, die nur drei Beine haben oft.

5.4 Die Entrückung des Hans Buchmann

Im Jahre 1572 erlebte Hans Buchmann aus Rothenburg, als er eines Tages nach Sempach fuhr, eine seltsame Geschichte. Er verschwand, wie das schon manchem vor ihm begegnet war, und kam erst lange nachher wieder zum Vor-schein. Er gab über sein Erlebnis selber Bescheid.

An dem Tag, da er verschwand, hatte er sechzehn Gulden Kleingeld zu sich genommen und wollte es einem Manne, dem er diesen Betrag schuldete, brin-gen. Er traf den Gläubiger nicht zu Hause und ging daher nach Sempach, ande-re Geschäfte zu besorgen. In Sempach verweilte er länger, als er anfänglich die Absicht hatte, und trank da und dort einen Schoppen, aber nicht zuviel. Des Abends nahm er den Heimweg unter die Füsse und kam, als die Nacht herein-brach, zum Wald beim Sempacher Schlachtfeld. Plötzlich erhob sich ein selt-sames Getöse und Sausen; anfänglich glich es dem Summen eines Bienen-schwarms, dann war es, als käme ein Saitenspiel auf Buchmann zu. Den Mann überfielen Angst und Grausen, er wusste bald nicht mehr, wo er stand, und was mit ihm geschah, er fasste sich ein Herz, zückte seine Waffe, hieb wild um sich, dann verlor er die Besinnung, Waffen, Mantel, Hut und Handschuhe gingen ihm verloren, er spürte noch, wie er in die Lüfte gehoben und fort in ein fremdes Land getragen wurde. Dort angekommen, kannte er sich nirgends aus, kam

Page 22: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 7 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

auch nicht recht zu sich und wusste mit dem besten Willen nicht, wo er sich be-fand.

Er spürte Schmerzen und Schwellungen an Gesicht und Kopf. Endlich fand er sich in der Stadt Mailand. Es war am Abend von St.Andreas, und somit war seit seinem Verschwinden eine Zeit von vierzehn Tagen verstrichen. Wie er nach Mailand gekommen, konnte er sich nicht erklären. Er fand schliesslich einen deutschen Gardeknecht, mit dem er sprechen konnte, und der sich seiner an-nahm.

5.5 Die Entrückung des Lienhard Murei

Lienhard Murer war Bäcker zu Geiss, Cysat gut bekannt, und er lebte noch, als Cysat seinen Bericht verfasste.

Eines Tages, ungefähr im Jahre 1568, ritt Murer zu Pferd, mit Brot beladen, ins Entle-buch zu Markt. Des Abends, nachdem er etwas Wein getrunken, ritt er nach Hause. Auf dem Weg verspürte er eine wachsende Müdigkeit, und schliesslich focht der Schlaf ihn derart an, dass er vom Pferde stieg, das Tier an einen Baum band und sich selbst darunter schlafen legte. Im Schlaf fasste ihn das Nachtgespenst, hob ihn empor in die Lüfte, trug ihn hinweg, und als er erwachte, befand er sich an einem Wasserlauf nahe bei der Stadt Mailand. Er fühlte sich elend, matt und schwach. Statt nach Hause zu zu-rückzukehren, zog er nach Venedig, nahm dort Dienst, kämpfte mit den Venezianern gegen die Türken und war bei der grossen Schlacht von Lepanto 1571 mit dabei.

5.6 Weitere Entrückung

In Emmen lebte ein Mann, der war arm und etwas liederlich, und er pflegte sein Brot mit Fischen in der Reuss zu verdienen.

Leichtsinnig und unverständig, nahm er wenig Rücksicht auf Feiertage und geweihte Zeiten. An einem Samstagabend weilte er noch, als die Betglocken längst verklungen waren, in den Gebüschen am Ufer der Reuss. Da wurde er unversehens von einem Gespenst in die Lüfte erhoben und weit weggetragen. Als er zu sich kam, befahl er sich rasch Gott und sprach einen Segensspruch. Da liess ihn das Gespenst los, und er fiel in ein dickes Dorngebüsch. Dort blieb er in seiner Schwäche bis zum nächsten Morgen liegen, und auch zu Hause fühlte er sich noch lange Zeit krank.

5.7 Das selige Volk

Ein seltsames Gespenst, das des Nachts wandelt, heisst 'Wuot ins Heer'. Das gewöhn-liche Volk und die andächtigen Weiber nennen es auch Guot ins Heer oder die seligen Leute. Cysat wüsste darüber, so schreibt er, des weiten und des breiten zu erzählen. Es ist das Gespenst, das viele ehrliche Männer der Landschaft Luzern in den Lüften fortgetragen hat.

Vor dem Gespenst haben die Alten, besonders die aus dem Volke, eine grosse Ach-tung. Sie halten es samt seinem Gefolge für heilig und selig. Sie meinen, das selige Volk schare sich aus den Seelen der Menschen, die vor ihrer festgesetzten Zeit und

Page 23: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 8 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

Stunde und ohne den natürlichen Tod zu erwarten aus diesem Leben abgeschieden sind. Diese Seelen müssen nun, so meint das Volk, nach ihrem Tode auf Erden wan-deln, bis sie die ihnen gesetzte Stunde erreicht haben. Sie ziehen zusammen wie in Prozessionen, wandern von einem Ort zum andern. Wer durch Waffen umgekommen ist, trägt sie als Wahrzeichen mit sich. Andere deuten mit andern Zeichen an, wie sie ihr Leben verloren haben.

Von der Schar der seligen Leute geht einer her, der ruft: "Vom Weg ab, vom Weg ab, es kommen die Seligen!" Sie führen bei sich ein liebliches Saitenspiel, das hört sich gar weich an, aber undeutlich.

Als Cysat noch jung war, lebten viele, die ein geisterhaftes Saitenspiel in den Gassen Luzerns hörten und den Zug der Seligen vorübergehen sahen. Noch 1568 vernahm Cysat mancherlei davon. Menschen, die sich einer besondern Andacht befleissen, un-terhalten mit den Seligen Freundschaft und Geselligkeit. Sie wandeln zuweilen mit ihnen, und die Seligen besuchen sie zu Hause als Freunde. Eine Frau erzählte Cysat, sie habe in ihrer Jugend, um 1530, bei einem alten Ratsherrn gedient. Dieser und sei-ne alte Hausmutter standen im Rufe, mit den Seligen in Gesellschaft zu stehen, und die Erzählerin sah und hörte das auch selbst. Im Winter schlugen die beiden alten Leu-te ihr Nachtlager zuweilen in der Wohnstube auf und verlangten dann immer, dass die Dienstboten des Nachts aus dem Zimmer gingen. Da verbarg sich die Magd einmal des Nachts hinter dem Ofen und hörte, wie ein ganzer Schwarm Volkes durch die Stu-bentüre kam. Im Mondschein sah die Magd, wie eine Menge Köpfe sich um die Schlaf-stätte der Alten erhoben, und sie hörte, wie alle heimlich miteinander raunten und flüs-terten; doch verstand die Magd nichts davon. Die Gäste, "das Gespenst", begaben sich darauf in die Küche und feuerten, kochten, sotten, brieten und zechten. Wie aber am Morgen die Magd in die Küche ging, waren Speise und Trank nicht im geringsten ver-mindert und von dem nächtlichen Besuch keine Spur zu bemerken. Die beiden Eheleu-te schätzte man ob ihres Verkehrs in der ganzen Stadt höher und achtete sie für selig. Und Cysat selbst hat davon in seiner Jugend noch oft sprechen hören.

5.8 Weiteres von den seligen Leuten

Die seligen Leute ziehen des Nachts über Berge, Alpen und Einöden. Sie wandeln auch durch Städte und Dörfer. Von den Alten und dem Weibervolk werden sie hoch in Ehren gehalten und die seligen Leute oder das 'Wuotis-Heer' genannt. Cysat nennt sie das Nachtgespenst und hält sie für einen "Schwarm" oder vielmehr ein Gespenst.

Nach Ansicht der Alten sind sie den Menschen freundlich zugetan und besuchen sie des Nachts in den Häusern, wenn sie wissen, dass die Gastgeber gut von ihnen reden und etwas auf ihnen halten.

Wenn sie bei ihnen feuern, kochen und essen, stiften sie keinen Schaden, und die Speisen schwinden nicht. Lebende Menschen gehen oft mit ihnen wandeln. Das bringt ihnen Glück, und man ehrt sie darob und schätzt sie als besonders fromm, andächtig, ja fast als heilig. Oft kommen die Wesen bei Nacht, ohne in Gemeinschaft zu treten mit den Besuchten, die sich dann still verhalten und sich nichts anmerken lassen.

Page 24: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 9 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

5.9 Eine Ehefrau wandelt mit den seligen Leuten

Cysat kannte einen Bauer, der etwa zwei Stunden von der Stadt entfernt wohnte, des-sen Frau oft verlauten liess, sie wandle des Nachts mit den seligen Leuten und lieben Seelen. Sie erklärte, dass die Seligen es übel vermerkten, wenn in den Häusern die Küche nicht gut aufgeräumt wäre, und erzählte, dass sie sich oft für kurze Zeit in Ein-siedeln oder an andern entfernten Orten befände. Sie sprach auch von Leuten, die in fremden Ländern umgekommen waren, als sei sie bei ihnen gewesen und habe ihnen die Hand gereicht. Oft seien solche Menschen gestorben, bevor man in der Heimat von ihrem Tode erfahren habe. Wenn sich die Nachbarn darüber wunderten und fragten, wie das zuginge, sagte die Frau, ihr Mann merke nichts davon, ihr Leib bleibe im Bett liegen, nur ihr Geist oder ihre Seele wandle in die Ferne.

5.10 Cysats Meinung über das Wuot ins Heer

Was darüber zu sagen ist, das wollen wir den Gelehrten befohlen haben. Aber ver-ständige Leute haben diesen Schwarm nie für selige Leute, noch für ein gutes Heer gehalten, sondern für ein teuflisches Gespenst, ein Wuot ins Heer. Dieser Ansicht ist Cysat, obwohl andere behaupten, wer das Gespenst Wuot ins Heer nenne, den treffe der Fluch, und der werde vom bösen Geist zerrissen, wer sie aber Guotis Heer nenne, der würde durch Gott geehrt werden. Andere bleiben dabei, dass es der Schwarm und das Gespenst ist, das bisweilen des Nachts die Leute vom Felde und von den Strassen hochhebt und schnell in weite Länder trägt.

5.11 Die Polsternächte

Bis 1577 war in Luzern eine alte Sitte, dass man in den Donnerstagnächten vor Weih-nachten durch die Stadt ein ungestümes Wesen und Poltern trieb. Man hiess diese Sit-te die Polsternächte oder das Sträggelenjagen. 1577 wurde das Treiben abgestellt und für immer verboten.

6. Geschichten nach Lütolf

6.1 Türststrassen im Luzerner Land

Überall im Kanton Luzern jagte einst der Türst.

In Kriens nahm er seinen Weg durch die nunmehr verschwundene Klausengass. Er stürzte dort mit grossen und kleinen, alten und jungen Hunden vorbei. Ein Sigrist, der ihn des Nachts gehört hatte, fand am Morgen vor dem Haus ein Hündchen der Schar. Er nahm das Tierchen in die Wohnung, um es zu pflegen. Am nächsten Abend kam die Schar wieder daher, hielt vor dem Hause und lärmte, bis der Sigrist das Hündchen herausreichte.

In Horw, auf der Allmend, tobte einst der Türst die ganze Nacht. Am Morgen fand man auf dem Platze viele tausend Hundestapfen, und abseits lag einer der Hunde tot.

Oft jagte der Türst in Wäldern und durch Bachbett, so im Entlebuch, im Wiggerntal, im Schiltwald, am Hundsrücken, im Würzenbachtobel bei Luzern, im Meggerwald, in Gun-terswil und Seltenbach. Fast in jedem Ort des Kantons ist ein Weg, den der Türst be-

Page 25: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 10 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

nützt. Besonders wild geht es in den Fasten und Adventsnächten zu. Zu diesen Zeiten vernehmen die Leute das Bellen der Hunde, das Wiehern der Pferde, Schnauben, Stampfen, Grunzen, Kreischen, Rufen und Heulen des Heeres.

In Escholzmatt gibt es eine Türstegg, in Hergiswil fliesst ein Türstbach. In Hergiswil hörte man oft eine grosse Schar kleiner Hunde vorbeirennen, einer aus der Meute sprang ihnen voraus und warnte die Leute, drei Schritte rechts vom Wege zu halten; wer nicht auswich, musste mitjagen. Meistens wurde das Wetter anders, wenn der Türst sich hören liess. Am Türstbach fand einer einst eine schnurrende Katze. Sie sträubte sich gegen den Mann, und dieser schlug mit dem Fuss nach ihr. Das Tier wuchs sofort zu einem fuderhohen Ungetüm auf, dem Mann schwollen die Füsse, und er lag lange Zeit krank darnieder.

Auf dem Brestenberg bei Ettiswil muss man abends die Tennstore offen lassen, damit der Türst durch die Scheune jagen kann. Schliesst man die Tore aus Versehen, wer-den sie von unsichtbaren Gewalten aufgerissen.

In Hohenrain jagt der Türst als grunzende Sau mit vielen kleinen Ferkeln. Wenn er ein Kind erwischt, frisst er es.

Der Türst jagt zwischen Grossdietwil und Altbüron vom Nebensbergwald über den Rotbach nach dem Riserwald. In Egolzwil stürmt er nördlich vom Dorf gegen den Buchwald. Zwischen Nebikon und Altishofen geht er gegen den Flüggenwald. Bei Lu-thern lässt er sich in der Ebene des Barren hören. In Sursee musste im Küngenhaus in der Vorstadt die Türe offen stehen, der Türst jagte dort gegen die Suhre.

An vielen Orten errichtete man Bildstöcke und Kreuze wegen des Türsts. Zu Zinzerswil bei Buttisholz schützte eine alte Tafel, ein Marienbild, gegen das Gespenst. Der Bauer wollte einst die Tafel wegnehmen, aber nun umtobte die Jagd das Haus, und unter dem Vieh brachen Seuchen aus. Erst als die Tafel wieder aufgehängt wurde, zog Ruhe ein. In Grossdietwil war an einem Scheunentor ein altes hölzernes Kreuz befestigt, weil der Türst durch das Tenn jagte.

Besonders wild tobte der Türst über die Bergegg zwischen Werthenstein und Entle-buch. Man errichtete deshalb die drei Kreuze, je in einer Entfernung, dass man vom ei-nen das andere erblickte. Seither blieb der Türst aus.

In Escholzmatt sah man in der Türstjagd wenige Hunde, aber viele Schweine. Man nannte sie das Irligspor, weil man glaubte, wenn einer in ihre Spuren trete, gehe er irre, bis ein Bekannter ihn mit dem Taufnamen anrufe. Fand sich kein solcher Helfer, lief der Irrende, bis er ermattet hinsank und den Geist aufgab.

Viele meinen, die Schweine seien jene Tiere, in die einst am See Genezareth die bö-sen Geister fuhren.

Wie der Türst an gewisse Strassen gebunden ist, hat er auch gewisse Zeiten für sein Treiben. Er kann in der Nacht nur von einer Betglockenzeit zur andern jagen. Kommt ein Hündchen aus Müdigkeit nicht mehr weiter und wird es am Morgen vom Glocken-schlag ereilt, muss es liegenbleiben, bis die Glocke am Abend wieder läutet.

In der Huben bei Grosswangen fanden die Knechte eines Morgens ein halbes Dutzend solcher Hündchen. Sie lagen wie tot auf dem Miststock. Der eine der Knechte nahm

Page 26: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 11 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

das schönste, weil es ihm gut gefiel, in den Stall und legte es dort aufs Heu. Es gab kein Lebenszeichen, als aber des Abends die Betglocke erklang, brach vor der Scheu-ne ein Getümmel los, und ein grosser Hund schrie: "Gib uns das Gragöri heraus!" Dies rief er, bis sie ihm den kleinen Gefährten herausreichten.

6.2 Das warnende Wesen

Der Türstjagd geht ein warnendes Wesen voraus. In Sursee besuchte ein Mädchen, das in der "Sonne" diente, abends ausserhalb des Städtchens seine Eltern. An der Stelle, wo der alte Weg von Zell in die Hauptstrasse einmündet, kam der Türst. Das Mädchen sah nichts, aber es hörte die Stimme dem Zug voraus erklingen: "Drei Schrit-te rechts auf die Seite!" Dann jagte der Zug vorbei gegen die Grabenmühle, wo in ei-nem Hause die Türe offen gelassen werden musste, und von dort nach dem Mohrental gegen Knutwil.

6.3 Das Muotisei

Wenn einer sich wild gebärdet und tobt, sagte man früher, er benimmt sich wie am Muotiseil.

6.4 Die Frau im wilden Heer

Der Türst hat meist eine Begleiterin, die 'Sträggele', Grosskellerin oder Pfaffengälern heisst. Zuweilen erscheint diese Frau allein. Die Sträggele erscheint häufig als Kinder-entführerin. Von ihr wird folgendes erzählt:

Vor Zeiten lebte ein schönes Edelfräulein. Es war stolzen Sinnes und liebte es, seinen Entschlüssen Nachdruck zu verleihen. Wildbrett war ihre besondere Liebhaberei, be-sonders an Festtagen, wo man nicht jagen durfte.

Einst gab es sich, dass der Namenstag des Fräuleins auf einen Freitag fiel. Mehr als je gelüstete es sie nach frischem Wildbret. Sie bekannte den Rittern, die immer um sie scharwenzelten, ihr Gelüste. Aber keiner wagte es, an einem Freitag auf die Jagd zu ziehen. Nur einer, dem sie besonders zugetan war, versprach verliebt, er wolle sie ger-ne auf die Pirsch begleiten. Das Fräulein liess satteln, die beiden zogen aus, laut um-kläfften sie die Hunde, und wie der Wind ging es davon. Die andern warteten bestürzt auf die Rückkehr der Vermessenen. Sie harrten umsonst: Edelfräulein, Buhle und Meu-te blieben verschwunden.

Aber an den Freitagen in der heiligen Zeit kehren sie als Geister zurück und umheulen wie Sturmwind die alte Burg.

6.5 Die Sträggele raubt ein Kind

Die Sträggele erscheint in den Nächten vor Weihnachten, besonders am Fronfasten-mittwoch. Man nennt diese Abende daher die 'Sträggelenächte'.

Auf dem Hofe Tschäggelen zu Fischbach war einst ein Kind, das durch kein Schelten und Strafen von seinen Unarten abzubringen war. In einer Sträggelenacht, als es draussen umging, drohten die Eltern dem widerspenstigen Kind, wenn es nicht artig

Page 27: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 12 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

sei, hole es die Sträggele. Aber das Kind kehrte sich nicht daran und verblieb bei sei-nem Trotz. Um den Starrsinn zu brechen, taten die Eltern, als ob sie Ernst machten, hielten das böse Kind vors offene Fenster und riefen der Sträggele, sie solle es holen. Da wurde ihnen, ehe sie sich recht versahen, das Kind aus den Händen gerissen und im Sturm entführt. Die Eltern erschraken, aber schon sahen sie nichts mehr von dem Kleinen; nur aus der Ferne hörten sie lange sein Schreien.

Ähnliches hat sich in Urswil zugetragen. Man fand später die zerrissenen Glieder des Kindes über die Felder zerstreut.

Auch in Lombach bei Escholzmatt wurde ein Kind derart entführt und zerrissen. Der entsetzten Mutter fiel dabei ein Beinchen des Kleinen in den Schoss.

6.6 Die Sträggele spielt den Schmutzli

In Rützligen bei Grosswangen lebte einst ein ungehorsames Kind, bei dem alle Vorstel-lungen der Mutter nichts fruchteten.

Schliesslich drohte die Frau dem Kind, sie werde es dem Schmutzli geben. Auch das nützte nichts. So verabredete die Mutter mit dem Knecht, sie wolle das Kind, wenn es sich wieder unflätig benehme, durch das offene Fenster hinaushalten, und der Knecht soll es fassen und tüchtig ausklopfen.

Die Gelegenheit gab sich bald. Der Knecht ging in die Küche, um ungesehen ins Freie zu gelangen, die Mutter reichte das Kind zum Fenster hinaus und fragte: "Bist du da, Schmutzli?"; eine dumpfe Stimme antwortete "Ja", und das Kind wurde der Mutter ent-rissen.

Kurz darauf trat der Knecht vor das offene Fenster und wollte das Kind fassen. Da merkten Mutter und Knecht, dass das Kind verschwunden war. Es wurde nicht mehr gesehen.

Aus dem nahen Walde hörte man darauf zuweilen ein leises Rufen: "Im Nienerlis-Grabe, do muess i gnage."

6.7 Sträggelejagen

Vielerorts im Lande war es früher Übung, dass junge Burschen in bestimmten Nächten eine Sträggelejagd nachahmten, indem sie einen von ihnen jauchzend und lärmend verfolgten. Der Rat von Luzern musste oft gegen dieses Sträggelejagen einschreiten.

Im Entlebuch verschwanden einst alle Burschen, die eine solche Jagd veranstaltetet hatten. Beim Sträggelejagen zeigte es sich immer, dass einer mehr dabei war, als die Gesellschaft anfänglich zählte. Wie oft man auch die Probe machte, immer ergab sie einen Überzähligen. Und nie brachte man es heraus, welcher der Überzählige war.

Im Entlebuch ahmten einst sieben Burschen am Schüpfer Berg die Sträggelenacht nach. Als sie des Treibens müde waren, beschlossen sie, in Türsts und der Sträggelen Namen auf einem Schlitten zu Tal zu fahren. Sie setzten sich auf den Schlitten und glit-ten ab. Wie einer zur Seite blickte und im weissen Schnee die Schatten zählte, sah er, dass acht Gestalten auf dem Schlitten sassen. Einer warf einen riesengrossen Schat-

Page 28: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 13 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

ten. Auch die andern zählten, als er sie darauf aufmerksam machte, dass einer zuviel unter ihnen sass.

Der Schlitten fuhr unterdessen immer schneller. Die Burschen spürten, dass er den Boden nicht mehr berührte, und dass die Fahrt nun hoch in den Lüften ging. Da vergingen ihnen Übermut und Lustigkeit, Todesangst befiel sie, und sie gelobten, wenn Gott sie aus dieser Not erlöse, so wollen sie zum Dank eine Kapelle errichten. Kaum hatten sie das Gelübde getan, verloren sie die Besinnung.

Als sie langsam wieder zu sich kamen, lagen sie neben dem umgestürzten Schlitten tief im Schnee, und als sie sich in der Gegend umsahen, fanden sie sich zu Füssen des Hügels, auf dem ihr Heimwesen stand.

Die sieben Burschen gingen bedrückt nach Hause und machten sich unverzüglich an die Erfüllung des Gelübdes. Als sie den Grund zu der Kapelle zu legen begannen, stiessen sie auf einen ansehnlichen vergrabenen Schatz. Es war ein Topf voll alter Berner Taler. Sie verwendeten das Geld zum Bau der Kapelle, die darob schöner und grösser wurde, als die Gründer es vorgesehen hatten. - Die Kapelle ist St.Josef ge-weiht und steht am Fuss des Schüpfer Berges.

6.8 Die gefangene Sträggele

In der Sträggelenacht zogen junge Leute aus Triengen in den Buchwald ob dem Dorfe und ins Oelerhölzli, um die Sträggele zu jagen und zu fangen. Zwei der Burschen, von denen einer Ruckli hiess, hielten einen Sack geöffnet zwischen sich und streiften so durch den Wald. Die andern spielten die Jäger.

Nun war verabredet, dass einer von ihnen sich im Walde versteckt halte, um sich als Sträggele fangen und in den Sack stecken zu lassen. Dieser Bursche verspätete sich ein wenig, und als er an Ort und Stelle kam, befanden sich seine Freunde schon auf dem Heimweg. Sie zogen bereits lärmend und jauchzend ins Dorf ein, betraten ein Haus, legten den Sack, in dem sie den Verspäteten gefangen glaubten, in der Stube hinter den Ofen, setzten sich zu Tisch und trieben lachend Spott mit der gefangenen Sträggele. Man fragte: "Ragöri, wo bist du?", und aus dem Sack antwortete eine un-heimliche Stimme: "Hinter dem Ofen in Rucklis Sack!"

In diesem Augenblick trat der Verspätete in die Stube, und die andern merkten, dass er nicht im Sacke steckte, und dass darin die wahre Sträggele lag.

Die Burschen wurden still und kleinlaut und kamen endlich überein, das Unding mit Kreuz und Fahnen feierlich in den Wald zurückzubringen und dort freizulassen.

Andere erzählen, aus dem Sack sei ein katzenartiges Wesen geschlüpft und spurlos, ohne dass eine Türe sich öffnete, verschwunden. In der Türe habe man nachher ein Loch wahrgenommen durch das die Sträggele entschlüpft sei. Der Bursche, der den Sack mit der Sträggele trug, ist bald darauf gestorben.

Eine gleiche Geschichte hat sich in Sempach zugetragen.

Page 29: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 14 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

6.9 Die Sträggele straft faule Mägde

Früher wurde im Luzerner Land erzählt, dass die Sträggele in der Nacht des Fronfas-tenmittwochs vor Weihnachten erscheine, um faule Mägde zu bestrafen.

6.10 Die Entführung von Kindbetterinnen

Eine Kindbetterin im Willisauer Graben ging des Morgens früh nach der Kirche, um sich aussegnen zu lassen. Eine Freundin begleitete sie, aber auf dem Wege blieb sie etwas zurück, und als sie die Kindbetterin wieder einholen wollte, konnte sie sie nicht mehr erreichen. Die Frau war verschwunden und wurde nicht wieder gesehen. Ein Hei-ligenstöcklein bezeichnet die Stelle, wo sie verschwunden ist. Ähnliches erzählt man von einer Frau im Nollentalwald. Zu Weissemmen bei Escholz-matt lachte einst eine Kindbetterin darüber, dass die Frauen nicht allein zur Ausseg-nung in die Kirche gehen können. Sie unternahm den Weg allein und um sich vor dem Bösen zu schützen, bekreuzte sie sich, bevor sie aus dem Hause ging. Aber der Teufel ergriff sie doch, entführte sie hoch in die Lüfte, zog ihren Leib durch ein feuriges Rohr, zerriss ihre Glieder und zerstreute sie ringsum. An der Stelle, wo man den Arm der Unglücklichen fand, errichtete man ein Kreuz.

7. Nach anderen Autoren

7.1 Der Türst auf dem Pilatus

Die Sennen auf dem Pilatus erzählten, es hause auf den Alpen ein Ungeheuer wie ein Raubtier, es heisse der Türst, renne über die Alpen hinweg, als ob es der Jagd fröne, gehe zwischen den Sennenhütten und dem Vieh durch, jage dieses auseinander und erhebe ein scheussliches Bellen, dass einem die Haare zu Berge ständen, wenn man es höre.

7.2 Türst-Sagen aus Rickenbach

Der Türst jagt besonders zur Winterszeit. In der Gegend von Rickenbach war Walters-wil vor allem verrufen. Die Jagd nahm von dort ihren Verlauf über den Holdernberg o-der zwischen Saffental und Kagiswil gegen den Werniswald. Sie dauerte von der abendlichen Betglockzeit bis zur morgendlichen.

Ein Türsthündchen wurde einst in Kagiswil von der Frühglocke überrascht, als es sich etwas versäumt hatte. Augenblicklich schlief es da auf einem Miststock ein. Als der Bauer am Morgen zur Scheune ging, meinte er, er fände ein Schweinchen. Er erbarm-te sich seiner, und da es kalt war, nahm er es in die Stube und legte es unter den Ofen. Das Tierchen schlief den ganzen Tag. Als es Abend wurde und die Betglocke wieder klang, war es verschwunden, ohne dass jemand gesehen hätte, wie das geschah.

Der Türst als Anführer der Wilden Jagd erscheint im grünen Jagdanzug. Sein Gefolge besteht aus Tieren, die halb Hund und halb Schwein sind. Sie machen ein bellendes Gebrüll. Wer der Jagd begegnet, muss ihr ausweichen, und zwar drei Schritt, dann ge-schieht ihm nichts. Der Türst ruft auch, wenn ihm jemand entgegenkommt: "Drei Schritt

Page 30: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 15 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

vom Weg, sonst wirst du zerrissen!" Man sieht oft die Spuren einer vorübergegange-nen Türst-Jagd.

7.3 Der Türst in Horw

Der Türst zeigt sich häufig. Meist ist er in Begleitung der Sträggele. Er führt mit sich ei-ne Schar kleiner Hunde. An ihrer Spitze geht ein grosser Hund mit einem einzigen Au-ge. Auch die Pfaffenkellnerin ist mit dabei. Sie hat glühende Augen und einen zottigen Pelz. Von ihr hat das Bachtobel zwischen St. Niklausen und Unterwil den Namen.

7.4 Der Türst in Wolhusen

Auf dem Steinhuserberg stehen zahlreiche Holzkreuze, so in der Kommetsrüti, ober-halb dem Bergliwald, bei der Schruffenegg, bei Mettenlehn, auf der Schonig, unter dem Balmgut und bei der Neumatt. Das Volk erzählt, die Kreuze seien errichtet worden ge-gen die Türstplage. Der Türst habe früher auf dem Weg, den diese Kreuze nun be-zeichnen, in Gestalt eines grossen schwarzen Hundes mit einem einzigen feurigen Au-ge auf der Stirne gejagt. Hinter ihm zogen zwölf junge Hunde. Er raste der Strasse ent-lang, fuhr heulend und bellend mitten durch die Scheunen und rief beständig: "Rächts uswäg, drei Schrett, oder au ned!" Ging ihm einer nicht aus dem Weg, so musste er augenblicklich die Gestalt eines Hundes annehmen und von Stunde an mitrennen und mitbellen ohne Rast und Ruh.

Solange die Kreuze stehen, geht der Türst nicht um. Stürzt eines der Zeichen, so ha-ben die Bauern Unglück, bis es wieder errichtet ist.

7.5 Der Türst in Rothenburg

In Rothenburg jagt der Türst am Kernsbächlein und vom Rothenburger Wald hinab ge-gen den Schiltwald.

7.6 Die Sträggele in Rickenbach

Der Türst erschreckt nächtliche Wanderer, die Sträggele träge, ungehorsame oder wi-derspenstige Mädchen. Besonders in der Sträggelenacht, der Nacht vom Fronfasten-mittwoch im Advent, geht das weibliche Ungeheuer um. Wenn Eltern ihre Kinder in dieser Nacht zum Fenster hinaushalten, sind sie verloren. Sie werden ergriffen und in der Luft zerrissen.

7.7 Die Sträggele im Hinterland

Die Sträggele sieht aus wie ein altes zerlumptes Weib mit scharfgekrümmter Nase, ge-bogenem Rücken und hagern Gliedern.

7.8 Polsterlijagen

Im Entlebuch jagte man früher am Donnerstag vor Fronfasten im Advent das Polsterli. Das Jungvolk zog mit grossem Tumult und mit allerlei knallenden und schallenden In-strumenten in benachbarte Gemeinden. Wer dem Zug begegnete, verhüllte sich das

Page 31: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 16 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

Gesicht. An der Spitze der Schar ging einer als Polsterli. Er war als altes Weib, als Zie-ge oder Esel verkleidet. Wenn die Jungen aus dem Nachbardorf heimkehrten, liessen sie das Gespenst in einem Winkel des Dorfes zurück.

7.9 Die Rache des Türst

Oder wie sich die Kobolde des Santenberges zu giftigen Zecken wandelten

Unterwegs im Christmonat! Seltene und seltsame Eindrücke warten dem Wanderer indieser Zeit, wo Heidentum und Christentum aufeinander prallen ja oft gar in Sagenund Bräuchen verschmelzen. So stand ich auf dem Santenberg ob Wauwil unvermit-telt vor einem hölzernen, doppelbalkigen Lothringerkreuz.

Ich starrte auf die sonderbare Inschrift: HIER JAGTE DER TÜRST. Vergebens suchte ich nach Erklärungen und Deutungen. Und seltsam spielte derweil auch die Natur.Dunkle Wolken waren am Winterhimmel aufgezogen, aus denen die ersten Blitze her-ausschossen und in den entblätterten Baumkronen rauschten schon heftige Windstös-se, als ich mich vom Holzkreuze und von meinem Sinnieren losriss. Ein Wintergewit-ter! Ich eilte von der Chätzigerhöchi hinunter, um noch rechtzeitig einen schützenden Unterstand zu finden. Und da war auch schon diese alte Scheune auf Engelberg, de-ren Tennstore beidseits noch weit offen standen, trotz der Kälte. Der Bauer werktewas nebenan, und so griff ich nach einem der Tore: "Grüss euch Gott, guter Mann! Ichhelfe euch, das Gewitter ist gleich da!" Doch wortlos drückte mich der Bauer zur Seite, griff seinerseits nach dem Tor und öffnete es wieder. "Ein Wintergewitter kommt,stimmt, und der Türst mit ihm" brummte er und begab sich ins Haus. Die Tennstoreblieben speerangelweit offen, beidseits, zeitwährend des ganzen eisigen Gewitter-sturmes, der gar heftig losbrach und mich fast durch das Tenn hindurch gefegt hätte. Ich drückte mich in eine Ecke und umklammerte mit kaltstarren Fingern einen Holz-pfosten.

Anderthalb Stunden später zu Altishofen hielt ich der alten Kornschütte oberhalb desSchlosses zu. Das Gewitter, das frostigen Regen in die Landschaft gewirbelt hatte,war längst verzogen, der Himmel wieder klar und eine kalte Nacht hereingebrochen.Das Wasser vom angeschwollenen Schlossbach stürzte noch erdbraun zu Tal. Ichwusch noch meine schmutzigen Schuhe im Schlossbrunnen, misstrauisch vom her-beigeeilten Bäri beschnuppert, und sass wenig später beim alten Karrer in der wohlig-warmen Stube. Ich taute meine Finger am Kachelofen auf. Der gastfreundliche Mannholte vorfärndrigen Most vom Keller und goss mir ein, schaute zum regenverspritzten Fenster hinaus und seine Augen verweilten lange auf dem im Mondschein fahl leuch-tenden Santenberg jenseits der Wigger. "Ja von dort, wo Ihr eben hergekommen seid, gibt’s auch so eine alte Geschichte, zugetragen vor Hunderten von Jahren", begann ernach einer langen Weile mit bedächtiger Stimme:

"Damals herrschten harte Zeiten. Doch Moral und Ehre standen beim einfachen Volküber dem Erbarmen und über der Nachsicht. So auch bei diesem Mädchen. Es warvom Vater verstossen worden, weil es von ihrem geliebten Burschen ein Kind bekom-men hatte, einem fahrenden Gesellen, der bei einem Tischler gewerkt hatte und dendie Eltern einem nichtsnutzigen Zigeuner gleichsetzten und der längst durchs Wigger-tal abwärts weitergezogen war. Das armselige Mädchen suchte Unterkunft, Arbeit undHilfe bei wohlgesinnten Leuten und gelangte alsdann bei Alberswil an den reichen Burgherrn vom Kastelen. Doch der verruchte Herr, kinderlos verheiratet, nahm ihr nur

Page 32: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 17 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

das Kind weg, ein hübsches Mädchen, und jagte die junge Mutter vondannen.

Die Frau eilte die Wigger abwärts und durchstreifte schluchzend die Gegend am Fus-se des Santenberges. Sie hielt dem Armensünderchäppeli in Egolzwil zu, um die Hei-ligen anzuflehen. Vor der Kapelle aber stand ein stattlicher Mann mit stechenden Ad-leraugen und sprach sie ihrer verweinten Augen wegen an. Die Frau spürte, dass die-ser Mann mehr als nur Brot essen konnte. Es war der Türst. Er bot ihr seine Hilfe an für das Versprechen allerdings, dass ihr Töchterlein später mit siebzehn Jahren seineGeliebte werde. In ihrer Not willigte die arme Frau ein, konnte sie doch wenigstens ih-re Tochter für viele Jahre wieder bei sich haben und ausserdem, wer weiss, in sieb-zehn Jahren würden einetwegen nur noch der Mond und die Sterne am selbigen Ortestehen.

Türst aber war niemand anders als der heidnische Wodan, der Beherrscher der Lüfte,der sich zur selbigen Zeit als Jäger unter die Menschen gesellt hatte und die Wälder des Santenberges nach Wild durchstreifte, aber auch als Wildhüter. Ein sagenhaftes Einhorn wurde unlängst auf dem Santenberg gesichtet und seither von Jägern ausnah und fern gejagt. Türst aber wies die zahlreichen Kobolde des Santenberges an, die Jäger auf Biegen und Brechen daran zu hindern. Und so stellten sie den Jägernallerlei Fallen, warfen ihnen Knüppel zwischen die Beine sodass sie stolperten, oder stüpften ihnen mit spitzen Stecklein in die Waden. Kamen die Jäger dennoch durch, so stellte sich Türst unsichtlich vor das Einhorn, sodass es den Jägern immer wieder entkam.

Auch die prächtigsten Hirsche und die stolzesten Adler, die damals noch über demSantenberg kreisten, bewahrte Türst vor dem Jägertod, um dem Walde so die besten Vatertiere zu erhalten.

Die Mutter erhielt ihr Kind auf wundersame Weise zurück, ohne dass ihr der geheim-nisvolle Held auch nur eine Frage nach dem Wie und dem Womit beantwortet hätte,und heiratete bald einen lieben Mann, einen Köhler vom Cholirütiwald.

Als das Kind erwachsen war, klopfte eines frühen Morgens tatsächlich der Türst an dieTüre des Köhlers, der schon zur Arbeit aufgebrochen war, und verlangte von der über-raschten Frau die Einlösung des Versprechens. Sie erbleichte. Doch ihre Tochter fand sogleich Gefallen an dem stattlichen Manne, der zum Erstaunen der Mutter kein Biss-chen gealtert schien. Die Mutter blieb nun ohne ihre Tochter zurück. Zu ihrem Trostehatte sie inzwischen drei Söhne von ihrem Manne und verkraftete so den Verlust ihrer unehelichen Tochter.

Diese Geliebte des Türst war eine barmherzige Frau und eine begnadete Hellseherin,die vor grossen Stürmen, Erdbeben und Wasserfluten irgendwo um den Santenbergauftauchte, um gefährdete arme Leute vor dem nahenden Unheil zu warnen, die sonst Leib, Kinder oder Gut verloren hätten. Sie soll auch den Ruf einer wundersamen Hei-lerin gehabt haben.

Einst, in der Fronfastenzeit nach Pfingsten, als sie eben unweit von Alberswil eine ar-me Familie vor einem gruseligen Quatembersturm warnen wollte, wurde sie vom ro-hen Ritter der nahen Trutzburg erspäht, derselbige der sie einst ihrer Mutter beraubt hatte. Das allerdings stand ihm nicht mehr zugegen und er war noch immer der glei-che Unflat. Unter dem Vorwand, sie möge doch seiner todkranken Magd helfen, was

Page 33: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 18 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

gelogen war, lockte er die schöne Frau in seine Burg. Doch kaum in seinen Mauren legte der Ruchlose Hand an die Frau und entehrte sie. Darnach jagte er sie, wie einstihre Mutter, vor die Tore. Weinend suchte die Frau das Weite und fand Unterkunft in einem Ziegengaden am Dachsenberg, denn eine Sturmnacht brach bald herein.

Noch am selbigen Abend berichtete dem Ritter ein vorüberziehender Reiterbote, dereine Eilbulle des Bischofs von Basel an die Hohen Herren zu Luzern mit sich trug,dass er einer jungen Frau in einem gar jämmerlichen Zustande begegnet sei. Sie habe vor Schluchzen kein vernünftiges Wort herausgebracht und er habe ihr geholfen, eineGadentüre zu öffnen. Dort habe sie bestimmt Schutz vor Sturm und Regen gesucht. Leute in der Dorfschenke hätten ihm dann zugetragen, bei dieser Frau handle es sichsicherlich - bhüetisgott! - um die Geliebte des mächtigen Jägers Türst vom Santen-berg. Der wüste Ritter befürchtete nun Vergeltung. Kaum dass der Reiterbote weiter-gezogen war, suchte er mit seinen Knechten nach der Frau, liess den Gaden verrie-geln und mitsamt der jungen Frau darin abbrennen, um jegliche Spuren seinesschändlichen Tuns zu verwischen.

Derweilen sass Türst vor seinem Jagdzelt. Gewitter und Sturm hatten den Santenberg verschont und Türst sah besorgt mit an, wie die Hauswurz auf dem morschen Baum-strunk plötzlich einen Stengel trieb, aus dem sodann die Blüten der Todesnähe her-vorsprossen. Und gleichzeitig flogen auch schon die beiden Zwillingsvögel zur alten Helgeneiche nebenan und sangen das Elendlied:

Feuer heiss, Feuer rot - sei schnell bereit, gen Süden reit - gross, o gross die Not!

Türst sprang auf und erstarrte. Aus den stechenden Adleraugen schossen feurige Blit-ze. Er schwang sich auf seinen Jagdschimmel und flog in Windeseile den Berg hinab, sodann die Wigger aufwärts und stürzte sich in den lichterloh brennenden Gaden. Zu spät!

Der wilde Jäger nahm furchtbare Rache. Er rief seine Freunde und Gehilfen aus uri-gen Zeiten zu sich. Von Büron eilte der Hüne aus dem Helgenholz herbei, von Willisau der schnaubende Stadtstier und der feuerhalsige Strassenhund aus dem Enziwald, von St. Urban donnerte die Feuerkutsche los und lud unterwegs die beiden Geistervom Nebensbergwald und vom Santenberg trabte das prächtige Einhorn an.

Mit Türst an der Spitze stürmte die illustre Schar gegen die Zwingburg, pochte an dasTor und begehrte Einlass. Der Ritter dachte nicht daran und befahl seinen Waffen-knechten den Widerstand. Mit einem mordsgrossen Eichenstamm, den die Wigger bei einer Gewitterflut vom Napf bis hierher getragen hatte, rammten Türst und seineKampfgesellen das Tor. Türst nagelte den ruchlosen Ritter in einen rohen Holzschaftund verbrannte diesen mitsamt dem Inhalt. Dann verjagte er die Waffen- und Ross-knechte des Übeltäters und brannte die Burg nieder.

Doch die urigen Gesellen und der Türst trennten sich nimmermehr. In den kaltenStürmen im Christmonat, im Jänner und im Horner jagt er seit selbiger Zeit in einemwilden Tross, zu dem sich lechzende dreibeinige und einäugige Hunde, schnaubende Pferde und schreiende Raubvögel mit Menschenköpfen gesellt haben, durch die Lüfteund versetzt die Menschen vom Santenberg in Angst und Furcht. Es geht die Mär,Türst suche dabei in allen Gaden und Tennen nach seiner Geliebten. Wehe, sollte er ein Tenn verschlossen antreffen! In wilder Wut werden die Tore gerammt und der

Page 34: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 19 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

ganze Tross donnert hindurch. Stehen die Tore aber weit offen, so werden Haus undHof verschont.

Und Türst holte eines Tages auch die Mutter seiner elendiglich umgekommenen Ge-liebten in seinen Tross. Diese Frau hatte in einem Kriege alle drei Söhne verloren. Siewollte ihren Erdenwandel verbittert beenden, verliess an Sankt Luzei ihr Haus amLängstrich und rief während eines heftigen Quatembersturmes auf der Chätzigerhöhenach dem wilden Jäger. Seit jener Stund jagt sie als Strichele mit dem Türst in der wil-den Horde durch die Lüfte. Und sie versuche, so geht die Sage, unterwegs kleineMädchen zu entführen vom Wahn erfüllt, es könnte jeweils ihre ermordete Tochtersein. Und seit jener Zeit steht da auf der Chätzigerhöchi ein hölzernes, doppelbalkiges Wetterkreuz, um den Türst und seine wilde Horde zu besänftigen.

Den Kobolden aber in den Wäldern des Santenberges verweigerte Türst die Aufnah-me in seinen Sturmestross. Stattdessen wandelten sie sich im Laufe der Zeiten zu gif-tigen Zecken, die Vorüberziehende anfallen und oft mit wüsten und todbringendenKrankheiten beladen.

Quatemberzeiten und Fronfasten

Ursprünglich aus heidnischem Brauchtum stammen die vierteljährlichen Fastenwo-chen mit den Fronfastentagen Mittwoch, Freitag und Samstag. Die Quatemberzeitenwaren besonders geheimnis- und sagenumwoben.

Luzei

ist der Tag der St. Luzia (13. Dezember), ein Quatembertag, dem eine Fronfastenwo-che folgt. Dieser Tag taucht oft in Sagen aus katholischen Gegenden auf.

Die Hauswurz

blüht nur einmal in ihrem Leben und zwar kurz vor ihrem Absterben. Man glaubte da-her, ihr Erblühen künde den Tod eines nahestehenden Menschen an.

Das Einhorn

hat, wie viele andere Wesen aus der abendländischen Sagenwelt, seinen Ursprung in der griechischen Mythologie und gehörte zur Artemis, der Göttin des Mondes und derJagd.

Kobolde

sind kleine gewitzte Männchen, die gerne Schabernack treiben. Sie leben in Bäumenund alten Tierbauten.

Die Feuerkutsche von St. Urban

und die Geister vom Nebensbergwald sind Sagenfiguren nahe dem Bernbiet

Der Hüne aus dem Helgenholz

Page 35: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

Sagenwelt des Kantons Luzern

sagen.doc - 20 / 20 - Unterlagen / © Vuotisheer Lozärn

stellt sich als riesiger nackter Mann gelegentlich Leuten in den Weg, welche den Hel-genwald ob Büron durchqueren wollen.

Der Strassenhund vom Enziwald

ist ein gewaltiger Hund mit leuchtenden Augen und feurigem Hals, welcher in der Ad-ventszeit aus dem Enziwald heraustritt, die Gegend um Hergiswil und Willisau verun-sichert und dann wieder in den Wald zurückkehrt.

Der Willisauer Stadtstier

trabt in der Adventszeit schnaubend und brüllend durch Willisau, nimmt dabei immerden gleichen Weg und verschwindet wieder.

Die Zecken

auf dem Santenberg zählen zu den gefährlichsten des Mittellandes.

Türst

Die Sagenfigur Türst stammt aus heidnischen Zeiten und wurde von Wodan oder Wo-tan abgeleitet. Seit alters her fürchten sich die Menschen vor den Jahreszeiten, dievon Sturm und Unwetter begleitet sind. Dies ist besonders in den Fronfastentagen imDezember der Fall, aber vereinzelt auch noch nach Neujahr. Wenn die Winde nachts,oder tags, heulend um die Hausecken toben und an den Fensterläden reissen, dann ist der Türst mit seinem Gefolge unterwegs. Er jagt durch Dörfer, Wälder und Tobel. Auf einem schnaubenden oder feurigen Pferd reitend führt der höllische Jäger die wil-de Jagd an, begleitet von jaulenden Hunden, wilden Pferden und unheimlichen Horn-bläsern. Es ist ratsam dem wilden Tross sofort aus dem Wege zu gehen. (drü Schrittrechts, gang uswägs!) Der Türst (oder Dürst) kommt in vielen Sagen verschiedenerGegenden vor.

Die Strichele

oder Sträggele, wie man sie auch nennt, zieht an der Seite von Türst im wilden Stur-mestross mit. Mal wird sie als Kinderschreck beschrieben, dann wieder als Hexe odergar als Wohltäterin. Gelegentlich tritt sie unabhängig vom Türst als selbständige Sa-genfigur auf.

Der Burgherr vom Kastelen

ob Alberswil kommt auch in andern Sagen vor, z.B. als geldgieriger Machtmensch.

Das doppelbalkige Wetterkreuz

auch als Lothringer- oder Caravacakreuz bekannt, errichtete das Bauernvolk zur Ab-wehr der Mächte des Sturmes.

Quelle für „Die Rache des Türst“: Gehört und aufgeschrieben von Sepp Arnold, Oftringen (Schweiz)

Page 36: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

1

Stefan Jäggi:

Hexen im Rontal und im Habsburgeramt

Abgedruckt in: Rontaler Brattig 2004, S. 73-76

Wohl noch nie war das Interesse an der Geschichte der Hexenverfolgungen so gross wie heute.

Die wissenschaftliche Hexenforschung hat in den letzten zwanzig Jahren enorme Fortschritte

gemacht: Zahlreiche Studien über viele verschiedene Regionen Europas haben aufgezeigt, dass

es eine ganze Reihe von Gründen gegeben hat, die je nach Ort und Zeit ausschlaggebend für die

Verfolgung vermeintlicher Hexen waren. Dies ändert jedoch nichts daran, dass in den populären

Vorstellungen immer noch viele Klischees wirksam sind. So wird die Verfolgung von Hexen

gerne dem „finsteren Mittelalter“ und der Inquisition zugewiesen; dabei erreichten die Verfol-

gungen ihren absoluten Höhepunkt erst im 16. und 17. Jahrhundert. Auch kann keineswegs ein-

fach der Kirche als Institution die Verantwortung für die Hexenprozesse zugeschoben werden;

gerade im Kanton Luzern führte ausschliesslich die weltliche Obrigkeit Hexenprozesse. Es wa-

ren zudem nicht nur heilkundige Frauen und Hebammen, die wegen ihres angeblichen geheimen

Wissens verfolgt wurden; Frauen und Männer jeden Alters und aus den verschiedensten sozialen

Schichten waren die Opfer.

Wichtige Auslöser von Hexenverfolgungen waren unter anderen nachbarschaftliche und inner-

dörfliche Konflikte, familiäre Streitigkeiten, wirtschaftliche Krisensituationen und obrigkeitliche

Machtdemonstrationen (nicht von ungefähr führte die Luzerner Obrigkeit in den Jahren um den

Bauernkrieg von 1653 besonders viele Hexenprozesse, darunter denjenigen gegen die elfjährige

Katharina Schmidlin aus Romoos, bekannt durch Eveline Haslers Roman „Die Vogelmacherin“).

Hier kann nicht auf diese Aspekte eingegangen werden; anhand der Hexenprozesse gegen Frau-

en aus dem Rontal soll eine Facette der Luzerner Geschichte beleuchtet werden, die wenig mit

Ruhm und Grösse, viel jedoch mit menschlichen Schicksalen und Leiden zu tun hat.

Aus dem Raum der ehemaligen Landvogtei Habsburg bzw. aus dem Rontal kennen wir aufgrund

der Quellen im Luzerner Staatsarchiv die Fälle von 22 Frauen, die zwischen 1463 und 1675 der

Hexerei oder Zauberei verdächtigt wurden und deswegen in die Mühlen der Justiz gerieten. Tat-

sächlich waren es im Kanton Luzern fast ausschliesslich Frauen, denen Hexerei angelastet wur-

de. Es ist natürlich nicht möglich, alle diese Prozesse im Detail darzustellen; ein paar ausge-

wählte Beispiele müssen genügen.

Liest man die Verhörprotokolle in den Turmbüchern, der wichtigsten Quelle zu den Luzerner

Hexenverfolgungen, fällt die Gleichförmigkeit der Aussagen in verschiedenen Punkten der unter

Page 37: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

2

der Folter erpressten „Geständnisse“ auf. Man kann daraus schliessen, dass die Richter sehr ge-

nau wussten, wonach sie zu fragen hatten: Beziehungen zum Teufel, die Teilnahme am „He-

xensabbat“, der Hexenflug auf einem Stecken, Schadenzauber gegen Mensch und Vieh sowie

Wettermachen waren die typischen „Delikte“, die schliesslich aus vielen Angeklagten herausge-

presst wurden. Seltener kommen die Verwandlung in Tiere und Hostienschändung vor. In den

Kundschaften von Leuten aus dem Umfeld der Beklagten dagegen stehen Schadenzauber gegen

Mensch, Vieh und Kulturen sowie das Wettermachen im Vordergrund; hier spielten eben kon-

krete Erfahrungen krisenhafter Art (Missernten, Naturereignisse, Krankheit und Tod von Mensch

und Tier) eine wichtige Rolle.

Geständnisse hatten unfehlbar ein Todesurteil zur Folge; die Hälfte der hier erfassten Frauen

wurde davon betroffen. Bis ins 17. Jahrhundert hinein wurden die Hexen lebendig verbrannt,

wobei ihnen manchmal als „Strafmilderung“ ein Pulversäcklein um den Hals gehängt wurde.

Allmählich ging man jedoch dazu über, die Frauen zuerst zu erdrosseln und die Leichen zu ver-

brennen; in einem Fall wurde die Frau zuerst enthauptet. Wer hingegen die Folter aushielt und

nichts gestand, wurde auf freien Fuss gesetzt (Anna Arnet aus Root wurde jedoch 1660 zur Ein-

schliessung verurteilt). In Einzelfällen wurde ausdrücklich festgehalten, dass der Hexereivorwurf

unberechtigt war und die betroffenen Frauen als unschuldig zu gelten hatten.

Der erste bekannte Fall ging noch glimpflich aus: Anna Reysers und Greta Zugmeyerin aus Butt-

wil (Gde. Inwil) wurden wegen eines Liebeszaubers aus der Eidgenossenschaft verwiesen. Um

sich die Liebe eines Mannes zu sichern, hatte Anna von Greta den Rat erhalten, sie solle diesem

von ihrem Menstruationsblut ins Essen mischen. Als der Mann daraufhin starb, wurde sein Tod

mit diesem magischen Vorgehen in Verbindung gebracht und den beiden Frauen angelastet. Sie

wurden zwar nicht ausdrücklich als Hexen bezeichnet; Liebeszauber erscheint aber gerade im 15.

und frühen 16. Jh. häufig als Hexereidelikt. Mehr als 100 Jahre später, 1591, wurde Maria Meyer

aus Udligenswil des selben Vergehens bezichtigt.

Eva Koler aus Root, auch als „Sagerin“ bekannt, mag manchem ihrer Zeitgenossen als die typi-

sche „Unholdin“ erschienen sein (mit dazu beigetragen haben könnte, dass sie wahrscheinlich

Epileptikerin war). Eva wurde 1569 erstmals ins Gefängnis geworfen, als die Beschuldigungen

gegen sie immer lauter wurden. Die Obrigkeit begnügte sich jedoch diesmal damit, der Familie

aufzutragen, die Frau einzuschliessen und zu überwachen. 1572 griff die Obrigkeit wieder ein,

und nun erfahren wir, dass hier ein Familienkonflikt ausgetragen wurde: Evas Ehemann, Hans

Effinger (Eva war bereits seine dritte Frau) erhob schwere Vorwürfe gegen sie; so soll sie ihm

Impotenz angehext haben. Eva dagegen beschuldigte ihren Mann, sie geschlagen zu haben. Da-

gegen versuchte ihr Sohn Kaspar Sager sie zu entlasten. Die Obrigkeit liess erste Kundschaften

(Zeugenaussagen) einholen, die den Verdacht auf Hexerei erhärteten. Anfang Juli 1573 wurden

Page 38: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

3

neue Kundschaften angefordert, unter anderem vom Pfarrer von Root, und Eva Koler wurde

Mitte Juli in den Judenturm gesteckt. Mehrere Zeugen erwähnten das seltsame Verhalten von

Raben beim Haus der Eva Koler, was mit dem Wirken des Teufels in Verbindung gebracht wur-

de. Trotz mehrerer Verhöre unter der Folter gestand Eva nichts. Freigelassen wurde sie aber

nicht, sondern im St. Jakobsspital eingeschlossen, wie dies z. B. auch bei Geistesgestörten

(„Tauben“) üblich war. Als jedoch eine weit herum berüchtigte „Unholdin“, die sog. Seelen-

mutter von Küssnacht, die in Schwyz verbrannt wurde, sie als Hexe denunzierte, war es auch um

Eva Koler geschehen. Am 2. Dezember 1573 wurde sie erneut im Judenturm verhört, und nun

gab sie zu, eine Hexe zu sein: Sie habe Menschen und Tiere geschädigt, mit dem Teufel verkehrt

und Bekanntschaft mit der Seelenmutter gehabt. Noch in der selben Nacht starb Eva Koler unter

mysteriösen Begleitumständen im Turm; die Leiche wurde verbrannt.

Die aus Honau gebürtige Verena Bütler wohnte in Luzern, wo sie ihren Nachbarn durch ihr auf-

dringliches Wesen unangenehm auffiel. Anfang Juni 1577 wurde sie verhaftet und zunächst we-

gen Verdachts auf Diebstahl oder Veruntreuung unter der Folter befragt. Erst nach zwei Wochen

und mehreren Verhören gestand sie eine Beziehung zum „bösen Feind“, wie der Teufel übli-

cherweise genannt wurde. Dieser habe sie zur Verübung von Schadenzauber angestiftet; mehr-

mals habe sie Unwetter verursacht und Vieh geschädigt. Als erste Frau aus dem Amt Habsburg

wurde Verena Bütler zum Tod durch Verbrennen verurteilt und hingerichtet.

Ziemlich geschmacklos mutet es an, wenn eine als vermeintliche Hexe verfolgte, gefolterte und

hingerichtete Frau zur Fasnachtsfigur gemacht wird. Genau dies passierte mit der 85jährigen

Verena Haumüller vom Rotsee, die als Vorbild der alljährlich verbrannten Emmer Fasnachtsfi-

gur „Ämmali“ herhalten musste. Am 30. Juli 1652 wurde die Greisin verhaftet und bis zum 6.

August täglich unter der Folter verhört. Nach anfänglichem Widerstand „gestand“ sie ihre Be-

ziehung zum Teufel. Auf einem Stuhl sei sie zum Hexensabbat geflogen, wo sie Hostien und ein

Kruzifix geschändet habe. Mittels einer Salbe und schwarzem Samen habe sie viele Leute und

Tiere geschädigt, Unwetter bewirkt und insbesondere immer wieder die Klosterfrauen von Rat-

hausen heimgesucht. Auch habe sie sich bis in jüngste Zeit in einen Hund, eine Katze oder eine

Elster verwandelt und so ihr Unwesen getrieben. Schliesslich beschuldigte sie sogar ihren Sohn

der Komplizenschaft, was sie jedoch nach einer Konfrontation widerrief. Das Urteil des Luzer-

ner Rats fiel hart aus: Auf dem Weg zur Richtstätte solle Verena Haumüller viermal mit einer

glühenden Zange gezwickt werden, dann soll ihr der Henker die rechte Hand abschlagen und sie

lebendig verbrennen.

Als eine der letzten Hexen im Kanton Luzern wurde 1675 die 70jährige Juliana Scherer von

Meggen zum Tod verurteilt. Wie viele ihrer Leidensgenossinnen gestand sie, mit dem Teufel auf

den Hexensabbat geflogen zu sein, in ihrem Fall auf die Zuger Allmend und über die Rengg nach

Page 39: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

4

Unterwalden. Auf Anstiften des Teufels habe sie mit Pulver viel Vieh verderbt und Menschen

umgebracht. Auch wurde sie beschuldigt, sie habe die 18jährige Maria Barbara Müller zum He-

xenwerk verführen wollen. Juliana wurde auf der Richtstätte an einem Pfahl erwürgt, die Leiche

verbrannt.

Nach 1675 wurden im Kanton Luzern keine Hexen mehr verbrannt. Andernorts hingegen ging

die Verfolgung weiter. So wurde noch 1737 die aus Root stammende Barbara Gunz im Rahmen

eines Zuger Hexenprozesses zum Tod verurteilt, starb aber vor der Urteilsvollstreckung im Ge-

fängnis.

Liste († = zum Tod verurteilt und hingerichtet)

Reysers Anna Buttwil (Inwil) 1463 Liebeszauber (Verbannung)Zugmeyerin Greta Buttwil (Inwil) 1463 Liebeszauber (Verbannung)Koler Eva (Sagerin) Root 1573 † Teufelsbeziehung, Schadenzauber, WetterzauberBütler Verena Honau/Luzern 1577 † Teufelsbeziehung, Schadenzauber, WetterzauberStenk Barbara Udligenswil 1577 † Teufelsbeziehung, SchadenzauberStalder Anna (Ziliaxin) Meggen 1579 † Teufelsbeziehung, SchadenzauberHubler Barbara Udligenswil/Ennethorw 1588 Verdacht auf Hexerei (kein Geständnis; Freilassung)Stenk Katharina Udligenswil 1589 Schadenzauber, Wetterzauber (kein Geständnis;

Verbannung)Schächli Margret Dierikon 1590 Verdacht auf Hexerei (kein Geständnis; Freilassung)Meyer Maria Udligenswil 1591 Liebeszauber (kein Geständnis; Freilassung)Müller Anna Dierikon 1622 † Teufelsbeziehung, SchadenzauberMeier Maria Buchrain 1627 † Teufelsbeziehung, Schadenzauber, Wetterzauber,

Sabbat, TierverwandlungFluder Margret Root 1629 Verdacht auf Hexerei (kein Geständnis; Urteil unbe-

kannt)Haumüller Anna Honau/Littau 1640 † Teufelsbeziehung, Schadenzauber, Wetterzauber,

Hexenflug, SabbatSidler Barbara Inwil 1650 Verdacht auf Hexerei (unschuldig; Freilassung)Wysshaupt Brigitta Ebikon 1652 † Teufelsbeziehung, Schadenzauber, HexenflugMattmann Anna Moos/Root 1652 † Teufelsbeziehung, Schadenzauber, Wetterzauber,

Hexenflug, Sabbat, Tierverwandlung, Hostienschän-dung

Haumüller Verena Rotsee 1652 † Teufelsbeziehung, Schadenzauber, Wetterzauber,Hexenflug, Sabbat, Tierverwandlung, Hostienschän-dung

Haslimann Elsbeth Udligenswil 1652 Verdacht auf Hexerei (unschuldig; Freilassung)Schwendimann Anna Ebikon 1654 † Teufelsbeziehung, Schadenzauber, Wetterzauber,

Hexenflug, SabbatArnet Anna Root 1657,1660 Verdacht auf Hexerei (kein Geständnis; Einschlie-

ssung)Scherer Juliana Meggen 1675 † Teufelsbeziehung, Schadenzauber, Hexenflug, Sab-

bat

Quellen im Staatsarchiv Luzern

Turmbücher (COD 4440, 4445, 4450, 4465, 4470, 4475, 510, 4515, 4525, 4535, 4545, 4555)Ratsprotokolle (RP 29, 32, 70-72)Akten (AKT A1 F6 Schachteln 829-830)Urkunden (URK 396/7320-7321)

Literatur

Page 40: Sagen und Legenden aus dem Kanton Luzern

5

Wolfgang Behringer, Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung, München 1998 (Beck'sche Reihe 2082)Susanna Burghartz, Hexenverfolgung als Frauenverfolgung? Zur Gleichsetzung von Hexen und Frauen am Beispielder Luzerner und Lausanner Hexenprozesse des 15. und 16. Jahrhunderts, in: 3. Schweizer Historikerinnentagung,12.-13. Okt. 1985, Beiträge, Zürich 1986, S. 86-105Stefan Jäggi, Luzerner Verfahren wegen Zauberei und Hexerei bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, in: SchweizerZeitschrift für Geschichte 52 (2002), S. 143-150Theodor von Liebenau, Die Seelenmutter von Küssnacht und der starke Bopfart, in: Katholische Schweizer Blätter1899, S. 390-416Josef Schacher, Das Hexenwesen im Kanton Luzern nach den Prozessen von Luzern und Sursee 1400-1675, Luzern1947