218
Gottfried Schille Die urchristliche Kollegialmission

Schille, Gottfried - Die Urchristliche Kollegialmission (AThANT 48, Zwingli Verlag, 1967, 218pp)_OS

Embed Size (px)

Citation preview

  • Gottfried Schille

    Die urchristliche Kollegialmission

  • Gott/ried Schille

    DIE URCHRISTLICHE KOLLEGIAL-MISSION

    Obgleich die Mission fr die weltweite Aus-breitung der ersten Christenheit verantwort lich gemacht werden muss, hat sich die Fach-wissenschaft jahrzehntelang von diesem Gegenstand abgewendet, mehrere zusammen-fassende Darstellungen und die rege Diskussion um den Apostelbegriff ausgenommen. Nach-dem die Mission als eigenes Anliegen der Ur-christenheit erkannt worden ist, fr welches vorchristliche Analogien kaum nachzuweisen sind, wird man wieder auf das Thema auf-merksam. Die vorliegende Untersuchung will die neutestamentliche missionarische Begriff-lichkeit prziser erfassen helfen. Dabei rckt die Frage in den Vordergrund, was hinter den merkwrdigen, von der Forschung hisher bergangenen Listen urchristlicher Apostel und Mitarbeiter stehe. V er bergen sich in sol-chen Listen festere Mitarbeitertraditionen? Darf man diese auf dem Hintergrund der lte-sten Apostelregeln deuten? Sind wir berech-tigt, ein Institut der Missionare zu erschliessen, welche an bestimmten Provinzialorten wie an Missionszentren zu wohnen und von dort aus in das Umland vorzustossen pflegten, wobei die versammelte Missionarsgruppe zugleich das weisungsbefugte Gremium darstellte, das im Namen J esu Christi den Einsatz im Mis-sionsgebiet regelte? Bildeten diese Kollegien eine Vorstufe zur hierarchischen Verfassung? Gab es in der Antike fr den kollegialen Ge-danken Vorbilder? Die vorliegende Unter-suchung stellt vor Fragen, die von unserer nach kollegialen Organisationen und einer kollegialen Neuordnung ihrer Missionsanstren-gungen suchenden Generation bedacht werden sollten.

    ZWINGLI VERLAG ZRICH/STUTTGART

  • ABHANDLUNGEN ZUR THEOLOGIE DES ALTEN UND NEUEN TESTAMENTS HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. W. EICHRODT UND PROF. DR. 0. CULLMANN

    BAND 48

    GOTTFRIED SCHILLE DIE URCHRISTLICHE KOLLEGIALMISSION

  • GOTTFRIED SCHILLE

    Die urchristliche l(ollegialmission

    ZWINGLI VERLAG ZRICH/STUTTGART 1967

  • @1967 Zwingli Verlag Zrich

    Alle Rechte vorbehalten Printed in Switzerland by Buchdruckerei H. Schrch, Zrich

  • Meinen Eltern Pfarrer Alfred Schille und Elise geh. Rsch

    und Schwiegereltern Pfarrer Friedrich Klaholz und Elisaheth geh. Rummel

  • KAPITELl

    Prolegomena

    A. ZUR HERKUNFT DES PAULINISCHEN APOSTELBEGRIFFES

    1. Dieneuere Diskussion

    Die Diskussion um die Ableitung des urchristlichen Apostelbegriffs ist neuerdings wieder in Fluss geraten. Ausgangspunkt der Debatte war eine doppelte Erkenntnis: l. Whrend man gemeinhin beim synoptischen oder Inkanischen Gebrauch zu beginnen pflegte1, hat H. von Campenhausen2 nachgewiesen, dass man nur dann zu glti-gen Erkenntnissen gelangen kann, wenn man bei dem ltesten uns er-haltenen urchristlichen Schrifttum, d. i. bei den echten Paulusbrie-fen, anhebt. Ein V orteil dieses Ausgangspunktes ist die breite Basis, welche eine exakte Erfassung des paulinischen Apostelbegriffs mg-lich macht, der Nachteil, wie die Debatte inzwischen gezeigt hat, dass man den paulinischen Gebrauch nicht nur zum Ausgangspunkt der eigenen Untersuchung, sondern zu dem der Begriffsgeschichte ber-haupt macht, als sei das lteste uns Bekannte mit dem historisch Ersten identisch. Immerhin wird auf jeden Fall verhindert, dass man den paulinischen in falscher Spannung zum allgemein-urchrist-lichen Apostelbegriff sieht. Die synoptischen wie die Inkanischen Notizen werden als relativ spte oder sogar als Sekundrquellen me-thodisch an den ihnen gebhrenden zweiten oder dritten Platz ver wiesen. Dass sie berhaupt nicht bercksichtigt werden drften, dass man also den paulinischen ohne Rcksicht auf die Entfaltung des allgemein-urchristlichen Apostelbegriffs zu definieren imstande sei, ist dagegen abzulehnen. Wer dies von jenem scheidet, wrde sich nur die Last einer Ableitung fr zwei Apostelbegriffe aufbrden.

    2. Die neuerliche Diskussion um den paulinischen Apostelbegriff setzt mit der Frage ein, ob man das Apostolat vom jdischen Scha-Hach-Institut ableiten drfe. Nachdem man dieser Mglichkeit zu-nchst zugestimmt hat3, berwiegen jetzt die Hinweise auf die

    1 So noch K. H. Rengstorf, Artikel d:n;oa-re).).ro usw., Th WB I S. 397 ff. 2 H. v. Campenhausen, Apostolos, Studia Theologica 1948. 3 P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch,

    7

  • Schwierigkeiten einer solchen Ableitung. Das Schaliach-lnstitut hatte sich als religionsgeschichtliche Analogie empfohlen, weil hier wie dort die juristische Identitt zwischen Auftraggeber und Ge-sandtem behauptet wird4, weil man relativ frh begonnen zu haben scheint, die Abgesandten gruppenweise zu beauftragen, was man fr die synoptische Apostelpaarung heranzuziehen empfahl, und weil sich ein festerer rabbinischer Sprachgebrauch herausgebildet hatte, der den urchristlichen Titel zwar nicht im Griechischen vorweg nimmt, wohl aber zu erklren scheint, von anderem abgesehen5 Hin-zu kommt, dass der profane griechische Sprachgebrauch keine dem urchristlichen Aposteltitel vergleichbare Bedeutungsnuance kennt, weil eine vergleichbare Sache fehlt. Schwierigkeiten entstehen der Ableitung allerdings daraus, a) dass das jdische Institut auf den Rechtsbereich beschrnkt geblieben ist, so dass es erst von der ur-christlichen Gemeinde auf den Bereich der Mission bertragen wer-den musste, b) dass die rechtliche Funktion durchaus zeitlich be-grenzt war, z. B. auf die Dauer eines Vertragsabschlusses beschrnkt6, c) dass die Zahl der Gesandten im jdischen Bereich nicht so ein-deutig wie im urchristlichen auf zwei festgelegen hat, und endlich d), wie man jetzt gem hervorhebe, dass das jdische Institut als rechtliches gar keinen eschatologischen Gehalt haben konnte, wh-rend das Apostolat bestimmte eschatologische Grundzge besitzt, insofern man dem Apostel die Stellung eines endzeitliehen Gottes-gesandten zuschreibts, oder seine Sendung an eine Erscheinung des Erhhten bindet9

    Dass diese Schwierigkeiten nicht vllig unberwindlich sind, hat H. v. Campenhausen gezeigt. Selbst der methodische Ansatz der Un-tersuchung im corpus Paulinum macht die Ableitung nicht vllig unmglich. Man muss nur annehmen, Paulus habe die im juristi-

    III S. 2 ff.; ausser K. H. Rengstorf und H. v. Campenhausen u. v. m. auch H. Lietzmann, An die Rmer, 19334, S. 24.

    4 Vgl. Ber. 5, 5 u. . Der ,Abgesandte' eines Menschen ist wie dieser selbst. Stellen bei Bill. 111 S. 2.

    5 Vgl. im einzelnen die Darstellungen von P. Billerbeck, K. H. Rengstorf und H. v. Campenhausen.

    6 H. Vogelstein, Die Entstehung und Entwicklung des Apostolats im Judentum, MGWJ 49/1905, S. 427 ff. (auf S. 429).

    7 E. Ksemann, Verkndigung und Forschung 1953/55, S. 163. s W. Schmithals, Das kirchliche Apostelamt, 1961, Forschungen NF 61, S. 34 ff.

    95. 9 H. v. Campenhausen, a.a.O., S. 112.

    8

  • sehen Bereich entwickelte Methode auf seine Sendung bertragen, wobei jedoch Auftraggeber, Sinngebung und Form neu geprgt wur-den: Anstelle des Auftraggebers bzw. der aussendenden juristischen Person erscheint der Kyrios als Gottes Bevollmchtigter, der den Apo stel an das endzeitliche Werk einer Verkndigung an alle Vlker weist. So wird aus dem rein juristischen Auftrag eine eschatologi-sche Funktion, die einem Auftrag auf Lebenszeit gleichkommt. Der paulinische Apostelbegriff wrde dann eine originale paulinische Schpfung auf dem Hintergrund einer jdischen Rechtsinstitution sein, wobei eine Ausweitung smtlicher Dimensionen vorgenommen worden wre. Man kann das nicht ohne weiteres von der Hand wei-sen, auch wenn einige historische Fragen offen bleiben. So gewiss man dem Apostel eine derartige Ausweitung zutrauen darf, so ist aber doch zu fragen, ob man den paulinischen tatschlich als Ausgangs-punkt des urchristlichen Apostelbegriffs bezeichnen darf, obgleich der paulinische Begriff im nachpaulinischen Schrifttum eine so ge ringfgige Nachwirkung erzielt hat, dass die Apostelgeschichte auf ihn nmdweg verzichten konnte10 Auch bleibt durchaus offen, ob man den allgemeineren Apostelbegriff, der sich bei Paulus nachweisen lsst, mit H. v. Campenhausen wird als historisch bedeutungslos bei-seiteschieben drfen11 Knnte Paulus nicht auch umgekehrt einen allgemeineren, im vorpaulinischen Bereich wurzelnden urchristli chen Apostelbegriff theologisch vertieft haben, so dass der paulini-sche Begriff bereits eine entfaltete Form des urchristlichen dar-stellt, also eine innergemeindliche Geschichte hinter sich hat, wh-rend die allgemein-urchristliche Begriffsgeschichte vom vorpaulini-schen Apostelbegriff ausging?

    Bedenken wider die Ableitung des urchristlichen Apostelbegrif-fes vom SchaHach-Institut spricht schon G. Klein12 aus. Obgleich er dem anderen Problem nachgeht, wie die Verbindung des Zwlfer-kreises mit dem Apostelbegriff zustande kommen konnte, hebt er doch schrfer als zuvor die geringfgige Quellenbasis der Schaliach Theorie hervor und bestreitet vollends, dass es darin eine Gesand-ten-Paarung gegeben habe13 Durchschlagend kann der Hinweis auf

    10 E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, 195912, S. 38. 101 f. 11 H. v. Campenhausen, a.a.O., S. 103. 12 G. Klein, Die zwlf Apostel, Ursprung und Gehalt einer Idee, 1961, For-

    schungen NF 59, S. 26 f. 13 Ebd., S. 27, unter Verweis auf A. Ehrhardt, The Apostolic Succession, S. 15

    ff.; vgl. auch W. Schmithals, a.a.O., S. 97.

    9

  • die geringfgige Quellenbasis jedoch nicht genannt werden, verge-genwrtigt man sich, mit wie geringer Quellenbasis wir bei anderen Fragen zu arbeiten gezwungen sind. Doch wird man in Zukunft die Apostelpaarung als innerchristliches Phnomen anzusprechen ge-neigt sein.

    Mit tzender Radikalitt hat dann W. Schmithals14 jedwede Be-ziehung zwischen SchaHach-Institut und Apostelbegriff bestritten: Ich mchte ... behaupten, dass das sptjdische Rechtsinstitut des SchaHach mit dem urchristlichen Apostolat auch nicht das geringste zu tun hat15. Auch er beginnt die Untersuchung beim paulinischen Apostelbegriff, den er als technische Verwendung von einem all-gemeineren Apostelbegriff abhebt16 Der allgemeinere Begriff sei bei der Untersuchung auszuklammen, wohingegen die technische V er-wendung einer religionsgeschichtlichen Ableitung zugnglich sei, und zwar aus dem gnostischen Apostelbegriff. Leider ist die Quellen-basis fr diesen so schmal17, dass W. Schmithals gezwungen ist, als vorpaulinische Belege einige aus den Paulusbriefen erschlossene Hin-weise auf gnostische Apostel zu verwenden18, von vorchristlichen ganz zu schweigen19 Ja, sogar fr die frhgnostische Schicht christ-lich-gnostischer Schriften gelingt ihm nur der Nachweis einer ver-gleichbaren Sache. Die Bezeichnung des gnostischen Boten als Apo-steh taucht erst relativ spt auf20 Die grosse Stofflle analoger Mo-

    14 V gl. den Titel in Anm. 8. 15 Ebd., S. 94 f. und S. 87 ff. 16 Ebd., S. 49 f. Man wird gut daran tun, an den Stellen Phil. 2, 25 und 2. Kor.

    8, 23 (wie auch Joh. 13, 16 und eventuell Luk. 11, 49 und Mark. 6, 30) von einem allgemeinen Gebrauch des Wortes Apostel im Gegensatz zu der technischen Ver-wendung zu sprechen, die uns bei unserer Untersuchung allein interessiert>> (S. 50).

    17 Das gilt fr die ganze neutestamentliche Epoche, fr welche W. Schmithals, a.a.O., S. 152 ff., nur indirekte, aus kritischen usserungen erschlossene Belege anbietet.

    18 Besonders kommt die Auseinandersetzung des Paulus um sein Apostolat im 2. Korintherbrief in Betracht, die nur dann verstndlich sei, wenn die apostoli-sche Autoritt des Paulus von einer anderen apostolischen Autoritt bezweifelt wird>> (W. Schmithals, a.a.O., S. 164, unter Verweis auf die Falschaposteb 2. Kor. 11, 13 bzw. die {m;t:(!A{av d:n:6a-roAot 11, 5; 12, 11). Aber ist damit schon bewiesen, dass es sich um gnostische Apostel handelte, wie W. Schmithals, Die Gnosis in Korinth, 1956, S. 134 ff., allerdings zu erweisen versucht?

    19 Indem W. Schmithals aber vorchristlich-gnostische Belege nicht beibringen, sondern allenfalls einen Hinweis auf den postulierten Gang der Geschichte geben kann, fehlt seiner These der durchschlagende Beweis.

    20 Leider macht W. Schmithals dabei keine gerraueren Unterschiede, so dass

    10

  • mente aus spteren Zeiten kann den entscheidenden Mangel der Be-weiskette nur schlecht verdecken. Denn erschlossene sind keine ech-ten Belege, so dass die vorpaulinische Grundlage entfllt. Wir brau chen also nicht erst noch auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, die sich aus dem Gnosisbegriff von W. Schmithals ergehen. Wir werden daher fragen, ob die vorchristlichen Gedanken vom gnostischen Him-melsboten zwar nicht die Voraussetzungen fr das urchristlich-pauli-nische Apostolat dargestellt, wohl aber im Zuge der Annherung von Gnosis und Gemeinde allmhlich zur bernahme des urchristlichen Begriffes gefhrt hahen21 Dann liesse sich das gelegentliche Vor-kommen der Bezeichnung Apostel in altgnostischen Schriften gut erklren: als frhchristliches Lehngut.

    Immerhin hat die Kritik von G. Klein und besonders von W. Schmithals gezeigt, dass die Ableitung des paulinischen Apostelhe-griffs vom jdischen Schaliach-Institut schwieriger ist, als man anzu-nehmen neigte, so dass man billigerweise zugehen muss, dass der paulinische Apostelbegriff nicht einfach als Ausweitung eines jdi-schen Erbgutes angesprochen werden darf21". Nur setzt W. Schmithals die religionsgeschichtliche Untersuchung viel zu zeitig an: Noch ehe er den historischen V ersuch einer Klrung des Sachverhaltes unternommen hat. Symptomatisch sind seine Verdikte, allgemeiner und technischer Gehrauch des Begriffs seien zu trennen und jener aus der Untersuchung auszuklammern. Dafr gibt es methodisch keine Begrndung. Man hat doch jedenfalls nicht zwei paulinische Apostelbegriffe zu erklren22, sondern darzulegen, warum es neben dem technischen noch einen allgemeinen Begriff bei Paulus gibt, ehe die religionsgeschichtlichen Erwgungen beginnen knnen. Denn jeder V ersuch einer historischen Ableitung gewinnt erst dadurch die berhaupt erreichbare Wahrscheinlichkeit, dass er alle gegebenen Schwierigkeiten erkennt und bewltigt. Die Wahrscheinlichkeit aber,

    beinahe die ganze Polemik der zweiten christlichen Generation als antignostisch gilt, als habe es seinerzeit nur dies eine Problem gegeben.

    21 W. Schmithals fhrt das sprliche Vorkommen des Titels Apostel in der spteren Gnosis auf eine antichristliche Einschrnkung unter dem Druck des Zwlferapostolates zurck. Damit wird dann auch fr die sptere Zeit zugestanden, wie schwach die Quellenbasis tatschlich ist.

    21 J. Roloff, Apostolat, Verkndigung, Kirche. Ursprung, Inhalt und Funktion des Kirchlichen Apostelamtes nach Paulus, Lukas und den Pastoralbriefen, 1965, rechnet nur noch mit Einflssen der jdischen Rechtsgrundstze.

    22 brigens neigt W. Schmithals, a.a.O., S. 49 f., dazu, den allgemeineren Ge-brauch von Apostolos aus dem jdischen Rechtsinstitut abzuleiten.

    11

  • dass der technische vom allgemeineren Gebrauch des Apostelliegrif-fes bei Paulus unabhngig sein knnte, ist gleich Null, vergegenwr-tigt man sich die geringe Grsse der derzeitigen Christenheit und die angeblich so kleine Zahl von Aposteln, von welcher W. Schmithals spricht23 Nun lsst sich der allgemeinere Apostelbegriff aber auf keinen Fall vom technischen ableiten. Denn es ist schlechterdings unerklrlich, inwiefern ein Titel auf Lebenszeit, dem endzeitliehen Gottesboten - gar noch im gnostischen Sinne - beigelegt, htte zur Bezeichnung eines berbringers von Liebesgaben werden knnen, der diese Bezeichnung sichtlich nur fr die Dauer seines Auftrags erhalten hat24 Htte das eschatologische Wrdeprdikat berhaupt fr billigere Funktionen als die der Verkndigung angewandt wer-den drfen? Und wenn es doch sollte zu einer Art Skularisierung des eschatologischen Titels htte kommen knnen, htte diese nicht erst viel spter einsetzen drfen, nicht aber schon in der Zeit der echten Paulusbriefe? Kurz: Wer berhaupt zugesteht, dass zwischen einem allgemeineren und einem technischen Gebrauch des Apostel-begriffs bei Paulus unterschieden werden muss, darf den technischen Gebrauch nicht zum Ausgangspunkt der Begriffsgeschichte erheben, sondern muss zugestehen, dass dieser eine innerchristliche Entwick-lung hinter sich hat. Die Frage ist also, ob sich der technische Apo-stelbegriff des Paulus als Ausgangspunkt fr die historische Unter-suchung berhaupt empfiehlt, oder ob er bereits als entfaltete Form eines allgemeineren Apostelbegriffs zu gelten habe, den Paulus in der von H. v. Campenhausen bezeichneten Weise vertieft hat. Dann mssen wir aus methodischen Grnden der religionsgeschichtlichen Umfrage einige historische Erwgungen zur innergemeindlichen Ge-schichte des Apostelliegriffs voranschicken. Dass man dies bisher unterlassen hat oder vom Gesichtspunkt des Phnomenologen aus dazu gar nicht gefordert zu sein glaubte, ist das eigentliche Desiderat der Debatte um den urchristlichen Apostelbegriff.

    23 Ebd., S. 50 ff. Als Apostel gelten ausser den bekannten nur noch Junias und Andronikus wegen Rm. 16, 7 und Bamabae (vor allem wegen Apg. 14, 4. 14), eventuell auch der Herrenbruder Jakobus und Silvanus. Aber fhrt der Verzicht auf die Annahme, dass uns nur ein verschwindender Bruchteil von Nachrichten berliefert ist, nicht zu einem methodisch unerlaubten Subtraktionsverfahren, das einem argurnenturn e silentio gleicht?

    24 Epaphroditus wird von Paulus Phil. 2, 25 Bruder, Mitarbeiter und mein Mitstreiter, euer Gesandter aber und Diener meiner Notdurft" genannt, d. h. er ist vom Standpunkt des Paulus aus Mitarbeiter und Diener und nur von den Philippern aus Bote und Beauftragter.

    12

  • 2. Zur Geschichte des Apostelbegriffs

    Fr eine innergemeindliche Entwicklung des Apostelbegriffs spricht zunchst ein Vergleich der allgemeineren mit der technischen V er-wendung bei Paulus. Apostel ist eine in der Gemeinde bekannte und gngige Bezeichnung fr Missionare25 Daneben begegnet die Bezeichnung Entsandte der Gemeinden 2. Kor. 8, 13; einmal (2. Kor. 11, 13) bildet Paulus die Form Falschaposteh, mglicherweise eine paulinische Gelegenheitsbildung, weil sie sich bis z. Z. der Apo-stolischen Vter nicht erneut nachweisen lsst26, whrend vorher Falschpropheten vorgezogen wird27 ; endlich nennt Paulus gele-gentlich den Philipper Epaphroditus euer Abgesandter, als handle es sich um einen Beauftragten der Gemeinde von Philippi. Das V er-hltnis der Apostel der Gemeinden zum Apostel Christi Jesu, das heisst die Relation zwischen allgemeinem und technischem Ge-brauch, kann man unschwer dahin erklren, dass der Bote Christi stets zugleich Abgesandter bestimmter Gemeinden ist, denen er ver-antwortlich gilt, auch wenn diese sich nicht als letzte Instanz ver-stehen. Freilich wehrt sich Paulus zu Beginn des Galaterbriefes und auch sonst hartnckig wider die These, er sei von Menschen zum Apostelamt bestimmt worden28 Seine Berufung geht auf den Kyrios selbst zurck. Frher entnahm man diesen Aussagen, Paulus habe sich gegen die Behauptung einer Abhngigkeit von den lteren Apo-steln gewehrt, indem er die unmittelbare Einsetzung ins Apostolat beanspruchte, geschehen in der Damaskusvision. Nachdem die For-schung eine nicht geringe Anzahl vorpaulinischer Traditionsstcke innerhalb der echten Paulusbriefe erarbeitet hae9, lsst sich diese These nicht mehr ohne weiteres aufrecht erhalten. Paulus hat nicht ohne Vermittlung einer Gemeinde zu missionieren begonnen, einem kynischen W anderphilosophen oder einem jdischen Privatmissionar hnlich, sondern war in einer uns vorerst noch unbekannten Weise

    !5 Rm. 16, 7 Andronikus und Junias, welche unter den Aposteln hervorragen, die auch vor mir in Christus waren; Gal. 1, 17. 19; vgl. auch 1. Kor. 15, 7 u. .

    26 So verzeichnet E. J. Goodspeed, Index patristicus, 1907, S. 246 f.; auch nur einige Belege fr das Wort Falschprophet.

    27 Mark. 13, 22 par.; Matth. 7, 15; 1. Joh. 4, 1; Offenh. 16, 13; 19, 20; 20, 10; Apg. 13, 6; Did. 11 fter.

    28 Gal. 1, 1 (vgl. 1. Kor. 1, 1; Rm. 1, 1, hier allerdings ohne die polemische Spitze) und Gal. 1, 11 ff.

    29 Hier kommen vor allem die Stcke 1. Kor. 15, 1 ff. und 11, 23 ff. wegen ihres Traditionsnachweises in Betracht.

    13

  • lteren Gemeinden verpflichtet. Die Behauptung, er sei nicht von Menschen zum Apostelamt berufen worden, kann also nicht einfach die Ablehnung jeder vorgeordneten Gemeinde-Autoritt bezwecken. Paulus weist nur darauf hin, dass er auch als Beauftragter einer be stimmten Gemeinde, tiefer betrachtet, Bestallter Christi ist, diesem gegenber alleinverantwortlich. Die Gemeinde, die ihn zum Dienst bestellt haben mag, war nur Werkzeug Christi. Wehrt er sich im Ga-laterbrief wider die These, er sei von den lteren Aposteln abhngig, so doch nicht wider den Gedanken einer Bestellung zum Apostolat durch syrische Gemeinden, denen er im Gegenteil viel lngere Zeit an Arbeit und Kraft zugewandt hat30, als die Darstellung der Apostel geschichte anzunehmen erlaubt. So erscheint der technische Ge brauch des Apostelbegriffs bei Paulus als eine Vertiefung des allge meineren. Das ist historisch sehr wichtig. Dabei darf man dem Apo stel Paulus eine solche Vertiefung als originale Leistung ohne wei teres zugestehen. Die beiden Verwendungsmglichkeiten des Apostel-begriffs bei Paulus stehen also nicht widereinander, sondern in einer Relation zueinander.

    Fraglich ist noch, welchen Sinn der allgemeinere Apostelbegriff besessen hat. Aus der paulinischen Wendung Falschaposteh wrde ich erschliessen, dass er fter angewandt wurde, als nach Meinung des Paulus der Sache dienlich war31 Mglicherweise darf man die V ersuche des Paulus und der eventuell hinter ihm stehenden Ge meinden von hier aus erklren, den Aposteltitel auf den Kreis je ner Mnner einzuschrnken, die eine Christuserscheinung bezeu gen konnten32 Dagegen ist die Annahme schwerlich aufrecht zu er halten33, die Erscheinung sei eine Voraussetzung des Apostelamts ge wesen34 Aus der Beschreibung des Epaphroditus geht im brigen hervor, dass Apostolos durchaus verwendet werden konnte, wenn sich die Funktion auf Ttigkeiten beschrnkte, die ausserhalb des

    8o V gl. Gal. 1, 21 ff. 81 Ob man aus der Ablehnung sogleich auf einen gnostischen Lehrbegriff der

    Abgelehnten schliessen darf, ist mir noch immer sehr zweifelhaft. 82 Vgl. 1. Kor. 15,7 Dann erschien er dem Jakobus, danach den Aposteln

    allen; wie man die Erscheinung vor den Zwlfen v. 5 im Blick auf den Verrter kaum anders als im Sinne eines Postulates deuten kann, wrde ich auch hierbei mehr an eine Forderung als an eine Gegebenheit denken.

    33 Vertreten von H. v. Campenhausen, a.a.O., S. 112. 34 Diese These ist schon im Blick auf die rmischen Apostel von Rm. 16, 7

    schwer zu begrnden.

    14

  • Missionarischen lagen35 Und enthlt der Begriff Apostel der Ge-meinden dann doch mehr, so ist es jedenfalls geraten, eine allmh-liche Spezialisierung eines ursprnglich sehr weiten, noch kaum ge-nauer bestimmten Begriffs anzunehmen, derartige Gemeindegesand-te aber nicht sogleich im Sinne des technischen Apostelbegriffs als Vollapostel zu deuten. Die allgemeinere Verwendung des Begriffs bei Paulus drfte also zunchst eine Funktionsbezeichnung fr die Dauer bestimmter Auftrge konkreter Gemeinden gewesen sein und sich allmhlich im Blick auf die alle anderen Auftrge bei weitem an Zahl und Wichtigkeit berragenden V er kndigungsaufgaben der Gemeinden auf den missionarischen Gebrauch eingeengt haben.

    Fr eine innergemeindliche Geschichte des Apostelbegriffs spre-chen eine Reihe weiterer Beobachtungen an spteren berlieferun-gen. In der ltesten urchristlichen Mitarbeiterliste, die uns erhalten ist, in der sog. nordgalilischen Berufungstradition36, fehlt jeder Ti-tel, obgleich es sich um eine Aufzhlung von Mnnern handelt, die die sptere berlieferung zumeist als Apostel bezeichnet hat37 Auch die lteren Apostellegenden verzichten durchweg auf Titel und be-gngen sich mit einer Namensangabe. In Mark. 8, 22-26a bzw. 5, 2-20 ist der Geheilte zwar als Entsandter gezeichnet worden38, aber auch hier fehlt der Titel Apostel. Solche Beobachtungen drngen zu der Frage, ob die Sache zeitiger als der Titel war und d. h.: Ob der Aposteltitel auch nach dem Zeugnis ausserpaulinischer berlieferun-gen erst allmhlich entwickelt worden ist. Die V ermutung39 ist aus-drcklich von der Hand zu weisen, das Fehlen des Titels sei ein An-zeichen fr das Fehlen der Sache.

    Apostolos begegnet spter wieder in den Gemeinderegeln der Didache mit einer eigentmlichen und im ganzen ausgesprochen al-tertmlichen Sinngebung, deren Sinn der Forschung bis zur Stunde

    35 Die Funktion dieses Philippers beschrnkt sich auf die berbringung einer Liebesgabe an den gefangenen Paulus.

    86 Mark. 1, 16-20, wozu aus formalen und traditionsgeschichtlichen Grnden (vgl. Petr. Evg. 14, 59 f. und frgm. 2 des Ebion. Evg.) vermutlich auch Mark. 2, 14 gehrt hat.

    87 Dass Levi nicht mit diesem Titel belegt worden ist, geht mglicherweise einfach auf die Lckenhaftigkeit unserer berlieferung zurck, besagt jedoch im ganzen nichts.

    8S G. Schille, Die Topographie des Markusevangeliums, ihre Hintergrnde und ihre Einordnung, ZDPV 73/1957, S. 139 ff.

    39 Begrndet von G. Klein, a.a.O.; auch: Galater 2, 6-9 und die Geschichte der Jerusalemer Urgemeinde, ZThK 57/1960, S. 287 Anm. 3.

    15

  • noch nicht endgltig klar geworden ist. Lsst man die formelhafte Erwhnung der zwlf Apostel in der berschrift und die ebenso ge prgte (und an Eph. 2, 20 angelehnte) Rubrik 11, 3 beiseite, so be-gegnet Apostolos nur mehr in der einen Regel Did. 11, 4-6, die schon aus diesem Grunde zur berlieferung dieser Quellenschrift gezhlt werden muss40 Merkwrdigerweise heisst der abgewiesene Apostel, von dem die Einleitung unter Verwendung des gngigen Titels spricht (jeder Apostel, der zu euch kommt), im deklarati-ven Schlussatz nicht Falschaposteh, sondern Falschprophet. Schon daraus erhellt, dass es sich um einen alten, ausgeschliffenen Sprachgehrauch handeln muss, der sauher zwischen den Bedeutungs nuancen zu differenzieren weiss. Das besttigt auch die juridische Form der Regel, die deren Gehalt als die amtliche Begrifflichkeit lterer Gemeinden ausweist40". Danach ist der Charismatiker aus-schliesslich whrend seiner Wanderungen Apostel, und sein Titel erlischt im Augenblick, wenn seine Funktion - z. B. durch die dekla-rative Ausscheidung aus einer Gemeinde - heendet wird, whrend sein Charisma, wie die Bezeichnung Falschprophet anzeigt, als Prophetenturn angegeben wird und auch nach Beendigung der inner gemeindlichen Funktionen nicht geleugnet, sondern hchstens als widerchristlich entlarvt werden kann. Apostolos bezeichnet also einen Gemeinde-Charismatiker fr die Dauer des Botendienstes. brigens lsst die Regel nicht einmal erkennen, ob sich der Beur teilte im Verkndigungsdienst oder zu irgend welchen anderen Auf-gaben unterwegs hefindet41

    Auch die Apostelgeschichte sekundiert unserer Annahme eines allgemein-urchristlichen Apostelhegriffs, der sich vom paulinischen charakteristisch unterscheidet. Merkwrdigerweise wird nmlich nicht nur der technische paulinische Begriff bergangen, sondern stattdessen ein anderer Apostelbegriff auf Barnahas und Paulus an gewandt. Gewhnlich interpretiert man die einmalige Bezeichnung der beiden als Apostel in Apg. 14, 4. 14 als Anzeichen einer vorluka-

    40 Im einzelnen: G. Schille, Das Recht der Propheten und Apostel, Theologi-sche Versuche 1966, S. 84 ff.

    40a Dass Did. 11, 5 ff. auf die Zeit des Misstrauens zurckgehe (R. Sohm, Kirchenrecht, I 19232, S. 44 f., 163. 180), ist daher unmglich.

    41 Dagegen weiss W. Schmithals, a.a.O., S.170 ff., dass die Abgewiesenen Gnostiker waren. Also macht bereits dies einen W anderbeauftragten zum Gnosti-ker, dass er drei Tage am Orte verweilt oder Geld fordert? Man darf einer Quelle doch nicht eine Gesamtdeutung unterschieben, die sich an ihrem eigenen Text nicht verifizieren lsst!

    16

  • nischen berlieferung. Das ist richtig, und doch lsst die Darstellung in Apg. 13 f. deutlich erkennen, dass sich Lukas ein festes Bild vom Apostolat der beiden Missionare gemacht hat. Schon die Interpre-tation der vorgegebenen Liste 13, !42 in den Versen 1-3 zeigt dies an. Danach htten fnf Propheten und Lehrer des syrischen Antio-chia auf Weisung des heiligen Geistes aus ihrer eigenen Mitte zwei zur Arbeit entsandt. Dieser Auftrag ist sichtlich ein begrenzter und wird durch den Erfolgsbericht 14, 27 eingelst und erledigt43, Wh-rend der Wanderung heissen die Entsandten trotz ihrer 13, I refe-rierten, ursprnglich anderen Titel Apostel 14, 4. 14; und legt Lukas knftighin seinem Heidenmissionar den Aposteltitel ber-haupt nicht mehr bei, so zeigt er eben, dass er den Titel 14, 4. 14 durchaus im traditionellen Sinne einer vorbergehenden Funktions-hezeichnung verstanden hat44 Kurz: Auch Lukas war bereit, Pau-lus als Apostel zu bezeichnen. Aber er zeichnet ihn nicht im Sinne des paulinischen technischen Begriffs, sondern im allgemein-urchrist-lichen Sinn als Funktionstrger der syrischen Gemeinde Antiochias.

    Unsere These gewinnt allerdings erst dadurch den Grad von Wahrscheinlichkeit, der bei der geringen Quellenbasis berhaupt zu erreichen ist, dass wir in der Lage sind, die urchristliche Begriffs-geschichte darzustellen. Nachzutragen ist nur noch, dass auch vom Begriff des Zwlferapostels aus die Entstehung des allgemeineren Funktionsbegriffs nicht verstndlich gemacht werden kann. Wir mssen die Dinge wieder umkehren. Man braucht nur anzunehmen, dass ein ursprnglich fr alle mglichen Auftragsformen und -gehalte gebruchlicher Funktionsbegriff allmhlich auf die Verkndigungs-arbeit beschrnkt wurde und in einem etwas spteren Stadium der Begriffsgeschichte zum Titel aufstieg, weil er theologisch vertieft wurde, so dass er a) im Falle des Paulus das Lebensamt des Heiden-apostels und b) in dem des Zwlferpostulates die eschatologische Funktion des autorisierten Stmme-Botschafters bezeichnen konnte.

    Fragt man nunmehr nach der religionsgeschichtlichen Ableitung des urchristlichen Apostelbegriffs, so lsst sich die Anknpfung an das jdische Rechtsinstitut nicht mehr von der Hand weisen. Denn

    42 Vgl. M. Dibelius, Aufstze zur Apostelgeschichte, 19532, S.17. 43 Apg. 14, 28 schliesst den Abschnitt mit der Angabe ab, die Entsandten

    htten wieder eine geraume Weile bei den Jngern verweilt. Das bedeutet doch, die beiden galten wieder als regulre Gemeinde-Charismatikr wie in Apg. 13, 1-3.

    44 Das Fehlen des Titels bei den spteren Reisen will dann besagen, dass Pau-lus ber diesen Apostelbegriff hinausgewachsen sei.

    17

  • der lteste uns erreichbare urchristliche Gebrauch des Begriffs Apo-stolos meint a) einen reinen Funktionsbegriff fr kurzfristige Auf-gaben, b) die z. T. mit der eschatologischen Verkndigung nichts zu tun hatten (Phil. 2, 25), und c) setzt als Auftraggeher die Gemein-den (2. Kor. 8, 23; Phil. 2, 25) hzw. ein Gremium von Gemeindeo Charismatikern (Apg. 13, 1-3) voraus. Sogar der bergang von rein juristischen zu evangelistischen Auftrgen ist als innergemeindliche Entfaltung der vorgegebenen Sache verstndlich geworden. Der Ab-leitung des ltesten urchristlichen Apostelbegriffs aus dem jdischen SchaHach-Institut steht dann aber nichts mehr im Wege.

    18

  • B. DAS PROBLEM DER URCHRISTLICHEN MIT ARBEITERLISTEN

    Die Diskussion um die lteste Form der urchristlichen Missionsmetho-de hat sich besonders am urchristlichen und paulinischen ApostelLe-griff entzndet. Leider hat sie dabei nur einen so schmalen Sektor des ganzen Problems zu erhellen vermocht, dass die Anfnge der christlichen Mission allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz noch weithin in tiefstes Dunkel gehllt sind45 Kritische Vorarbeiten zum Problem der ltesten Missionsmethode46 haben die gngigen Thesen nicht besttigt, sondern im Gegenteil auf ein Phnomen auf-merksam gemacht, das die Dringlichkeit einer ins einzelne gehenden Untersuchung der urchristlichen Missionsmethode begrndet, indem sie aus bestimmten Beobachtungen auf die Differenz der in der Apo-stelgeschichte beschriebenen von der ausweislich lterer berlie-ferungen tatschlich gebten Methode schliessen Hessen. Augenfllig ist besonders die Differenz, dass die Apostelgeschichte im Gegensatz zur eschatologisch begndeten Eile der Anfng,e stndig breitere Fristen fr die Arbeit vor Ort ansetzt.

    Wir ziehen daraus einen ersten Schluss. Hlt sich Lukas47 nicht mit der bisher behaupteten Einfalt an die traditionelle Methode48, so knnen wir seine Angaben auch nicht mehr ohne weiteres fr die Beschreibung der urchristlichen Missionsmethode und -geschichte auswerten. Wir versagen uns deshalb in dieser Arbeit eine systema-tische Analyse der einschlgigen Inkanischen Angaben und greifen Probleme der Apostelgeschichte nur von Fall zu Fall auf, wenn uns

    45 Zur Literatur: A. v. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, 19244 ; K. II. Rengstorf, Artikel d:noaTiw usw., Th WB I S. 406; R. Liechtenhan, Die urchristliche Mission, 1946, AbhThANT 9; H. Schlier, Die Entscheidung fr die Heidenmission in der Urchristenheit, Die Zeit der Kirche, Freiburg 1956, S. 90 ff.; M. Meinertz, Jesus und die Heiden mission, 19252 ; Zum Ursprung der Heidenmission, Biblica 40/1959, S. 762 ff.; J. Jeremias, Jesu Verheissung fr die Vlker, 19592; D. Bosch, Die Heidenmission in der Zukunftsschau Jesu, 1959, AbhThANT 36; F. Hahn, Das Verstndnis der Mission im Neuen Testament, 1963, WMANT 13 (dort weitere Literatur).

    46 Vgl. die Hinweise bei G. Schille, Missionstheologie im Neuen Testament, MPTh 50/1961, S. 201 ff.

    47 Ohne dass die Verfasserfrage damit entschieden wird, nehmen wir Lukas als Siglum fr den Verfasser der Apostelgeschichte.

    4s Lukas drfte die Anfnge brigens nicht einfach nach der blichen jngeren Methode verzeichnet haben. Er unternimmt vielmehr den Versuch, die Anfnge zum Symbol einer von ihm empfohlenen Methode zu erheben.

    19

  • die berlieferungsgeschichtliche Fragestellung zur Einordnung ein-zelner von Lukas verarbeiteter Traditionen oder zur Erkenntnis der Hintergrnde einer Inkanischen Reflexion fhrt. Der Verlust der Apostelgeschichte als urchristlicher Primrquelle trgt uns jedoch einen beraus wichtigen Gewinn ein, wie die Forschung noch nicht in der gebotenen Weise erkannt hat. Indem der Inkanische Bericht nur als Sekundrquelle zur Verfgung steht, die selbst erst noch der Besttigung und Erhellung bedarf, wird uns das tiefe Dunkel ur christlicher Geschichte bewusst. Erst dadurch wird die Dringlich keit der Forderung erkennbar, Missionsmethode und -geschichte der ersten Anfnge aus den Quellen der ltesten Zeit selbst und nur aus diesen zu eruieren. Wir werden so unter den heilsamen Zwang ge ntigt, die echten lteren Missions-berlieferungen neu zu erfassen und ihre Feinheiten ohne Seitenblick auf die Inkanische Auswertung aus der Missionsberlieferung selbst zu erklren. Dabei steht, wie man mir nunmehr zugestehen wird, gegenwrtig mehr offen, als bereits gelst werden konnte.

    In dieser Untersuchung wenden wir uns dann einer Einzelfrage zu, die bei der Behandlung der urchristlichen Missionsmethode, so-weit ich sehe, merkwrdigerweise bisher noch nicht errtert worden ist, obgleich sie ein Kernstck des Apostolates der Frhzeit und da-mit der lteren Missionsmethode berhaupt betrifft: Der Frage nach der Apostelliste als Form und deren historischen Hintergrnden. Lsst sich schon die Apostelpaarung kaum noch erklren, nach dem die Analogie des Schaliach-lnstituts fortgefallen ist, so bleibt erst recht die Anhufung von mehr als zwei Apostelnamen un geklrt. Die Forschung hat das Problem bisher mit Geschick um spielt, indem sie die Gruppierung von Zwlferaposteln aus der Exi stenz einer Gruppe von zwlf Jesusjngern erklrte, als sei die Je susgruppe als solche nicht bereits einer Deutung bedrftig, und bei anderen Mitarbeiterlisten hnlicher Art, ich denke an die Listen Apg. 6, 5 oder 13, I, nur eben darauf hinwies, dass beide miteinander und mit der Zwlfertradition nichts zu tun haben49 Wrde man den jesuanischen Zwlferkreis auch nur den geringsten historischen Zwei-feln aussetzen50, wre seine Ausklammerung in unserem Zusammen-hang misslich, obgleich oder gerade weil sich der Aposteltitel primr

    49 E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, 195912, S. 336 Anm. 1. 50 Vgl. F. Schleiermacher, ber die Schriften des Lukas, 1817 (Smtliche

    Werke, Abt. 1: Zur Theologie, II 1836, S. 63-65).

    20

  • nicht sofort mit dieser Tradition verknpft hatte51 Aber auch ohne diese Kritik lsst sich die Besprechung der Zwlfertradition kaum umgehen, weil gewisse berlieferungen um kleinere Gruppierungen im Hintergrund der breiteren Zwlfertradition wissen. Wir nennen nur die eine Liste Joh. 2I, 2, welche fr die erzhlte Erscheinung vom See Tiberias sieben Zwlferapostel beansprucht. Die Nhe zu den oben erwhnten Mitarbeiterlisten allein in der Zahl der Namen ist berraschend. Man knnte daher dazu neigen, schon jetzt die Frage zu stellen, ob etwa hinter der Zwlferliste und -tradition ein Stck Missionspraxis gestanden habe, etwa in der Weise, dass das vom Zwlferpostulat Geforderte tatschlich praktiziert worden wre, nur eben in kleineren Kreisen. Aber verweilen wir vorerst noch ein wenig bei der Beobachtung, dass es Listen gibt, die die Existenz kleinerer Apostel- und Mitarbeitergruppen von mehr als zwei Mn-nern zu belegen scheinen.

    Gegen eine gemeinsame Behandlung der genannten Listen drften im wesentlichen nur die unterschiedlichen Titel sprechen, insofern die Zwlfertradition im allgemeinen, wenn auch nicht von Anfang an, Apostel meint, whrend die Liste Apg.I3, I an Propheten und Lehrer denkt und die andere 6, 5 vermutlich52 an Evangelisten. Man wird von einer allzu raschen V erwischung der Unterschiede daher abraten mssen53, Immerhin wird der Unterschied zwischen einem Apostel und einem Evangelisten nicht gerade im Auftrag, also in der Missionsmethode, begrndet sein 54, eher schon in einer zeit-lichen Distanz55 Noch weniger darf man die Titel Propheten und Lehrer Apg. I3, I wider einen Vergleich mit dem urchristlichen Apostolat ausspielen, da I. in dieser Liste u. a. Paulus begegnet, der ausweislich seiner Briefe den Aposteltitel beansprucht hat, da 2. Apo stel, Propheten und Lehrer die Funktionsbezeichnungen fr die hchsten mter der Gemeinde z. Z. eines Paulus waren und die he-kannte paulinische mtertrias bildeten, und da 3. auch die Dar

    51 G. Klein, Die zwlf Apostel, 1961. 52 Die primre Bezeichnung der Sieben von Apg. 6, 5 drfte sich am Titel des

    Philippus 21, 8 ablesen lassen. 53 Daher ist die von J. Wellhausen, Einleitung in die drei ersten Evangelien,

    19112, S. 144 Anm. 1, begrndete Vermutung abzuweisen, Philippus sei spter unter die Zwlf gerechnet worden.

    54 Doch bemht sich Apg. 6, 1 ff. um die Zeichnung einer Differenz. Aber es bleibt bei der Behauptung v. 2, der die berlieferungen Apg. 6-8 widersprechen.

    55 Evangelist taucht meist erst etwas spter auf: Eph. 4, 11; 2. Tim. 4, 5; Apg. 21, 8.

    2I

  • stellung Apg. 13 f. keinen Anstoss daran nimmt, dass die verarbeitete berlieferung zwei aus dem Kreis der Propheten und Lehrer Ent-sandte unterwegs (14, 4. 14) mit dem Aposteltitel bezeichnet. So different die Mitarbeiterbezeichnungen der ltesten Listen in unseren Augen auch sein mgen, so einheitlich drfte doch die von allen be-folgte und von den Listen vorausgesetzte Missionsmethode gewesen sein. Wrde sich herausstellen, dass zwischen derartigen Listen und der ltesten Missionsmethode innere Zusammenhnge bestanden ha-ben, so wren wir zur Preisgabe der bisher streng gewahrten isolierten Deutung solcher Listen berechtigt.

    Nun kann man die Entstehung einer Mitarbeiterliste nur damit erklren, dass eine bestimmte Mitarbeitergruppe eine gute Weile gemeinsam gearbeitet hat. Das vorbergehende Beisammensein eini-ger Apostel oder Mitarbeiter htte dagegen nur dann eine gewisse Nachwirkung hervorgerufen, wenn es weitgehende Folgen zeitigte. Doch zeigt die Tradition des sogenannten Apostelkonzils, dass sich die Erinnerung sogar in diesem hochbedeutsamen Falle hat nicht lnger halten knnen56 Traditionsgeschichtlich gesehen, ist die Liste das Produkt einer lngeren gemeinsamen Arbeit im Sinne einer Ar-beitsgemeinschaft oder eines Kollegiums, das korporativ zusammen-gehrt hat. hnliches belegt die Beobachtung, dass die Listen im all-gemeinen an bestimmte Orte oder Gebiete gebunden waren57, die zumeist keinerlei dogmatische Bedeutung besessen haben58 Man wird vermuten, dass die in der Liste aufgezhlten Mnner in der betreffenden Stadt stationiert waren oder ihre Arbeit auf das ent-sprechende Gebiet konzentrierten. Traditionsgeschichtlich gesehen, ist die lokale Bindung der Listen das Produkt der auf einen Ort und ein Gebiet beschrnkten Arbeit. Die Mehrzahl der Personennamen solcher Listen weist ber die innerstdtischen Aufgaben der seiner-zeit noch sehr jungen und kleinen Gemeinden durchaus hinaus, so dass die Gruppe mglicherweise berhaupt fr die Arbeit in der Umgebung der betreffenden Stadt bestellt worden ist. Mit dieser An-

    68 Bis zur Zeit der Apostelgeschichte haben sich in diesem Falle von fnf (Gal. 2, 7-9) nur vier Namen erhalten. In Apg. 15 fehlt Johannes!

    57 Der Gebietsangabe entspricht fast stets eine Ortsnotiz. Doch sind unsere berlieferungen mitunter lckenhaft.

    5S Als einzige Ausnahme hiervon scheint sich die Zwlferanschauung, am deutlichsten in der Apostelgeschichte, an Jerusalem als Gemeindezentrum an-geschlossen zu haben, d. h. an eine fr den derzeitigen Gottesvolkgedanken hoch-bedeutsame Stadt.

    22

  • nahme trifft sich jene Angabe Gal. I, 21 aufs trefflichste, Paulus habe lngere Zeit in Syrien und Kilikien gearbeitet, d. i. in der unmittelbaren und etwas ferneren Umgehung der syrischen Provin-zial-Hauptstadt Antiochia, wo Bamahas und Paulus in der Tat nach Gal. 2, 11. 14 von Kefas und einigen Jakobusleuten gesucht und an-getroffen werden, weil aller Wahrscheinlichkeit nach ihr Arbeits-zentrum whrend ihrer Missionsarbeit in Syrien und Kilikien eben in der Provinzialstadt lag. Paulus beziffert die zwischen seinen er-sten beiden Jerusalem-Reisen liegende Zeit Gal. 2, 1 auf vierzehn Jahre, von denen wir sicher die grsste Zeitspanne fr die Arbeit in den Gebieten Syriens und Kilikiens (Gal. 1, 21) beanspruchen drfen. Kein Wunder, dass sich eine syrische Mitarbeiterliste fr Antiochia bilden konnte, die uns Apg. 13, 1 anbietet. Offenbar hat die syrische Mitarbeitergruppe Antiochia als gnstigen Ausgangs-punkt fr eine intensive Verkndigungsarbeit in Syren und Kilikien gewhlt. Wir fragen daran anschliessend, ob das im Falle Antiochias Erkennbare auch an anderen Orten und in benachharten Provinzen blich war, ob wir also den konkreten Fall Syrien und Kilikien ver-allgemeinern und fr die damalige Methode als typisch ansprechen drfen. Sollte sich die Beobachtung, dass sich die Listen vonein-ander unabhngiger Provinzen im allgemeinen nicht berhren, von hier aus erklren? Sind die Listen das traditionsgeschichtliche Pro-dukt bestimmter Mitarbeitergruppen missionarischer Prgung, wel-che von zentralen Stadtgemeinden aus die umliegende Provinz zu christianisieren versuchten?

    So wenig wir ber die Einzelheiten der Mitarbeiterlisten also vor-erst noch wissen, so haben sich doch schon aus diesen Vorerwgun-gen verschiedene Anhaltspunkte ergehen, die zur Interpretation der in derartigen Listen niedergelegten Mitarbeitertraditionen bei-tragen knnten. Unabhngig davon, ob diese Folgerungen bei allen in dieser Untersuchung herangezogenen Stoffen zutreffen, fassen wir diese in fnf vorlufigen Thesen zusammen:

    1. Die Mitarheitertradition, die sich in der Mitarbeiterliste nie-derschlgt, ist das Produkt einer lngeren gemeinsamen Wirksam-keit einer korporativ zusammengehrigen Mitarheitergruppe.

    2. Die Ortshindung der Mitarbeitertradition oder -Iiste ist die Folge der Arbeitskonzentration solcher Mitarbeitergruppen auf ein festliegendes Gebiet.

    3. Die Mitarbeitertradition ist zugleich an einem bestimmten Ge-biet und an dessen zentraler Stadt orientiert, weil die Gruppe ver-

    23

  • mutlieh die Aufgabe zu erfllen suchte, die umliegenden Drfer und Stdte vom Kyrios zu benachrichtigen. Paulus kann sagen, er habe die betreffende Zeit in der Provinz verbracht, whrend man ihn doch im syrischen Antiochia als deren Zentrum antreffen konnte.

    4. Die Mitarbeitergruppe scheint fr den, teilweise vielleicht paar-weisen, Einsatz ihrer Mitglieder gesorgt zu haben. Sie drfte Wei-sungsbefugnis und Sendungsvollmacht besessen haben.

    5. Trotzdem richtet sich die Mitarbeitertradition im allgemeinen an einer ungeraden Zahl aus, etwa an der Fnf (Apg. 13, 1) oder an der runden Sieben (Apg. 6, 5; Joh. 21, 2).

    24

  • KAPITEL 2

    Die Mitarbeiterlisten und -aufzhlungen

    Um unsere Erwgungen auf eine mglichst breite Basis zu stellen, suchen wir das zur Verfgung stehende Material zu sichten. Wir unterwerfen alle Mitarbeiter und Apostel-Aufzhlungen der frh-christlichen berlieferung mit mehr als zwei Namen einer Prfung, ob und inwieweit sie hierher gehren knnten, und wenn, welche Beobachtungen zur derzeitigen Missionsmethode sich diesen selbst oder ihrem Kontext abgewinnen lassen. Wir mssen uns dabei aller-dings stndig der Tatsache bewusst bleiben, dass unsere berliefe-rung allenthalben lckenhaft ist und nur einen Sektor der ver mutbaren Tatbestnde ans Licht der Historie zu bringen erlaubt. Das bedeutet 1., dass man den Aufzhlungen nicht in jedem Falle die zugrundeliegende Methode wird ablauschen knnen, von V oll-zhligkeit ganz zu schweigen. Wir werden uns damit begngen ms-sen, einige Steinehen zu gewinnen, aus denen wir nachtrglich das Mosaik eineshistorisch begrndetenEildes zusammenzusetzen haben. 2. Das zwingt uns ferner, mit dem tatschlich berlieferten Vor-lieb zu nehmen und von voreiligen Folgerungen abzusehen. So ist z. B. die Hoffnung zu weit gespannt, man werde smtliche von unserer berlieferung berhaupt genannten Mitarbeiter und Apostel an ir-gendeiner Stelle in unseren Zusammenhang einordnen knnen, als sei die urchristliche Kollegialmethode die ausschliessliche urchrist liche Missionsmethode gewesen. So gewiss hier und da nur geson dert berlieferte Mitarbeiter bestimmten Kollegien zugehrt haben mgen, warnt uns die Lckenhaftigkeit unserer Tradition doch, die These zu berspannen. Dass dies gut ist, dass also die Lcken der berlieferung eine heilsame Funktion besitzen, werden wir weiter unten noch gelegentlich bestimmter Beobachtungen kennen lemen, die die Annahme nicht korporativ gebundener Mitarbeiter und Apo stel nahelegen. 3. Wir werdeu uns aber auch davor hten, den kriti-schen Ratschlgen von W. Schmithals1 Folge zu leisten, wonach Apo stel nur sein darf, wer in der erhaltenen berlieferung eindeutig als

    25

  • solcher bezeichnet worden ist. Ganz im Gegenteil: Indem wir von Mitarbeitertraditionen sprechen, halten wir uns aus der Diskus-sion um die mgliche Titulatur der Mitarbeiter weitgehend heraus und vermeiden auf diese Weise eine wissenschaftliche Einengung, die sich als modernes Postulat enthllen knnte. 4. Endlich warnen wir vor zwei methodischen Irrwegen, die ausweislich der einschlgi-gen Literatur wie Szylla und Charybdis den Weg des Forschers he-drohen: Auf der einen Seite die Methode der Identifikation von Per-sonennamen und auf der anderen die der schlechthinnigen Leugnung irgendwelcher Verbindungslinien. Hat sich die Legende, teilweise in wissenschaftlichem Gewand, frher besonders gem der ersten Mg-lichkeit bedient, so hat sich die kritische Forschung der Gegenwart weit ber das vertretbare Mass hinaus der zweiten verschrieben, ohne zu bemerken, dass man mit radikaler Kritik nur auf andere Weise der Legende vorarbeitet, indem man die so geringfgige Anzahl ur-christlicher Missionare verdoppelt, ja verdreifacht. Wer nur einmal angefangen hat, die verschiedenen Notizen ber Markos, um ein ein-faches Beispiel zu whlen, systematisch auseinanderzuhalten, als habe es mehrere urchristliche Mitarbeiter dieses Namens gegeben, wird die statistische Forschung bald um einen neuen Sektor berei-chert haben, den wir Potenzialforschung nennen. Wer beiden Irr-wegen entgehen will, wird die begrndeten Identifikationen von den Mglichkeiten hlosser Vermutungen und der Legende unterscheiden mssen. Das argurnenturn e silentio ist hier der sicherste Anwalt der Legende.

    1. Die vormarkinische Liste Nordgalias

    Vormarkinisch und sogar noch dem Zwlferkatalog traditionsge-schichtlich vorgelagert2 ist die sogenannte Berufungstradition Mark. I, I6-20. Hinzuzuziehen ist die Berufung Levis 2, I4, I. weil Levi traditionsgeschichtlich hierher gehrt3, 2. weil man die Grnde un-

    1 W. Schmithals, Das kirchliche Apostelamt, 1961, S. 50 ff. 2 Vgl. die Erwgungen weiter unten und besonders in Kap. IV, die uns er-

    lauben, die nordgalilische Berufungstradition als Grundstock der Zwlfertradi-tion zu beurteilen.

    3 Levi begegnet als Matthaios der Zllner in der parallelen Berufungs-tradition Ebion. Evg. frgm. 2 (s. u.) und in der fragmentarischen Aufzhlung Petr. Evg. 14, 60, die man als traditionsgeschichtliches Zwischenglied zwischen Mark. 1 und J oh. 21, 2 ansprechen darf, hier korrekt als Levi, Alphussohn, den der Kyrios ... (Ende des Fragmentes).

    26

  • schwer erkennen kann, die Markus zur Abtrennung der Levi-Beru-fung von der Berufungstradition bewegt haben\ 3. weil Markus trotz der Trennung in 2, I3 vor Levis Berufung die fr deren Inhalt so wenig vorteilhafte Lokalangabe bei dem Meere5 hergestellt hat, die offenbar der gemeinsamen vormarkinischen Berufungstradition eigen war ( vgl. I, I6), und vor allem 4. weil Markus formal trotz seiner Redaktion die Parallelitt der Stcke I, I6-I8; I, I9 f. und 2, I4 erhalten hat6 Dies Ergebnis setzt uns in Erstaunen, weil die drei Berufungserzhlungen I, I6-I8; I, I9 f. und 2, I4 jeweils ganz andere Situationen voraussetzen7, so dass man sie fr primr selbstndige Traditionseinheiten halten muss. Offenbar hat eine dem ltesten Evangelisten und dem Zwlferkatalog vorgelagerte Traditionsstufe aus verschiedenen Einzelerzhlungen eine einheitliche, dreigestaffel-te Berufungstradition gebildet, die wir daher als vormarkinische Mitarbeiterliste ansprechen mchten.

    Lokal weist die I, I6 einleitend dargebotene und von Markus 2, I3 redaktionell wiederholte Angabe bei dem Meer Galilas zwar si-cher nicht an den Ort der Ereignisse, wie wir am Fall der Berufung Levis erkennen knnen, wohl aber an den Haftort der nordgalili-schen Mitarbeitertradition und d. h. an den Sitz der hinter dieser stehenden Mitarbeitergruppe, einer Gruppe der Fnf, die sich aus den Brderpaaren Sirnon und Andreas bzw. Jakobus und Johannes nebst dem Einzelgnger Levi zusammensetzt. Wir werden spter sehen8, dass diese Gruppierung weniger der Verwandtschaftsverhlt-nisse als missionsgeschichtlicher Gegebenheiten wegen gewhlt ist, insofern z. B. die Zebedaiden wahrscheinlich primr gemeinsam mis-

    4 G. Schille, Bemerkungen zur Formgeschichte des Evangeliums, NTS iv/1957, S. 16: Levi wird von Markus als Beispiel der These verwendet, dass Jesus Ver-gebungsvollmacht hat; Jesus nimmt sogar Zllner an.

    5 Denn man kann sich das Zollhaus, bei dem Levi sitzt, doch gerade nicht am Meere vorstellen, sondern nur an einem der Stadttore oder inmitten der Stadt.

    6 Parallel sind: die Notiz vom Sehen Jesu, die genaue Namensangabe, ein Bericht ber die vom Angerufenen soeben verrichtete Ttigkeit, der Befehl Jesu und die knappe Erzhlung von seiner sofortigen Ausfhrung. Dass der Ver-wandtschaftsgrad zwischen 1, 16-18 und 2, 14 noch etwas grsser als zwischen 1, 16-18 und 19 f. ist, sei angemerkt. Damit entfllt die Mglichkeit, die drei Stcke als getrennte Traditionseinheiten zu bezeichnen.

    7 W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 19592, S. 39 f.: Die ver-schiedenen Ttigkeiten - Auswerfen des Rundnetzes bei Sirnon und Andreas und Auswaschen und Flicken der Netze bei J ohannes und Jakobus - gehren ver-schiedenen Tageszeiten zu und geschehen nicht unmittelbar nebeneinander.>>

    s Vgl. Kapitel IV zur Zwlfertradition.

    27

  • sioniert haben, mglicherweise auch Sirnon und Andreas, wenigstens in einem relativ frhen Stadium der Missionsgeschichte Nordgalilas. So gibt die Liste sicher auch nicht die Reihenfolge der tatschlichen Berufung wieder, und die Tradition im Fragment 2 des Ebioniten-evangeliums kann die beiden Paare unbedenklich vertauschen. Die Gesetzmssigkeiten, die den Aufbau der Berufungstradition bestim-men, sind demzufolge nicht die des historischen Berichtes, sondern die der Mitarbeitertradition. Kein Wunder, dass die frhchristliche Ordinationsterminologie unser Stck prgt9 und ihm die dem Psy-chologischen so abholde Strenge eines Ordinationsprotokolls ein-trgt, die Markus nur mit wenigen Strichen aufzulockem unternom-men hat, wie ein Vergleich mit 2, 14 zeigt10

    Den Charakter eines Ordinationsprotokolls machen folgende Zge aus: l. Jede Einzelszene beginnt mit einer Notiz, dass Jesus die Be-troffenen sah, ein Grundzug, der noch die johanneische Berufungs-erzhlung prgt11 Damit wird mit monotoner Regelmssigkeit die Aktivitt des Kyrios herausgearbeitet, der einer Berufung stndig weit vorausgreift12 2. Sodann erfolgt die genaue Namensangahe, un-tersttzt durch Patronym und gegebenenfalls einen Hinweis auf ein bestimmtes Verwandtschaftsverhltnis zum Partner, aber ohne Be-rufsangabe oder Titel. Fr das Protokoll reicht eine, allerdings mg-lichst genaue Namensangabe aus. 3. Dieser folgt ein usserst knapper Bericht ber die augenblickliche Ttigkeit: im Meer mit Netzwurf fischend 1, 16, in dem Boot die Netze zubereitend 1, 19 und 2, 14 sitzend beim Zollgebude. Es handelt sich nicht um eine Angabe ber den frheren Beruf, sondern um einen Bericht ber die beim

    9 V gl. die in den nchsten Anmerkungen gegebenen Hinweise. Besonders kom-men Vergleiche mit den Angaben Gal. 1, 15 f. und Joh. 1, 35 ff. in Betracht, wo sich eine ganz hnliche Motivreihe ausgewirkt hat.

    10 Auf Markus gehen mindestens folgende Einzelheiten zurck: die Erlute-rung denn sie waren Fischer>> v. 16, die Verknpfung er ging ein wenig wei-ter v. 19, das doppelte sofort>> v. 18 und 20, gewisse Umstilisierungen wie in dem Satz v. 20 statt eines Referats hnlich v. 17 (und 2, 14) und vermutlich auch die Nachfolgenotiz (1, 18. 20 und 2, 14), die den Ab-bruch der bisherigen Ttigkeit als Nachfolge interpretiert und auf diese Weise die Mitarbeiter der Tradition in die mit J esus wandernden Jnger der Markus-Darstellung umprgt.

    11 Vgl. Joh. 1, 38 Jesus wandte sich um und sah sie folgen und sagte ihnen>>; 42 Jesus. blickte ihn an und sagte>>; 47 Jesus sah den Nathanael zu ihm kom-men und sagt ber ihn>>. Wir vergleichen auch das johanneische Finden (z. B. 5, 14; auch 1, 41. 45 als Leistung von Jngern), das unser Motiv nur mit anderen Worten umschreibt.

    28

  • Zusammentreffen mit J esus gerade gebte Ttigkeit. Auf diese Weise tritt scharf heraus, dass es sich nicht um pure Nachfolge im Sinne des Glaubens, sondern um die Nachfolge des Mitarbeiters handelt, der seine beruflichen Pflichten um der Mitarbeit willen zwar nicht endgltig vernachlssigen13, wohl aber aufschieben muss. 4. In die Ttigkeit bricht ein Befehl J esu zur Nachfolge ein. Der Ruf14 hat die Form eines Aufrufes15 zu neuer, anders gearteter Ttigkeit. Er wird ausdrcklich erwhnt, weil er die Mitarbeit der Gerufenen be-grndet. 5. Dass die Gerufenen den Befehl verstehen und richtig als Ende ihrer gegenwrtigen und Anfang einer neuartigen Ttigkeit interpretieren, demonstriert der abschliessende Bericht vom V er lassen des Arbeitsplatzes (2, 14 er stand auf), der Netze (1, 18) bzw. der Arbeitsgemeinschaft ( l, 20: Vater und Lohnknechte blei-ben im Boot zurck). Dieser Bericht ist wichtig, nicht weil er das Symbol der Nachfolge wre, die im Gegenteil jedesmal erst noch nachgetragen wird16, sondern weil der Gerufene damit als rechter Diener des Kyrios charakterisiert wird, der sich nach Ergehen des Befehls nicht mehr umwendet und auf seine unvollendete Arbeit zurckschaut17 Kurz: In den vorgenannten fnf Charakterzgen der

    12 V gl. Gal. 1, 15 Als der aber wollte, der mich von meiner Mutter Leibe an dazu bestimmt hatte und rief durch seine Gnade.>>

    13 Petrus fischt auch spter noch: Joh. 21, 3 ff.; man konnte die vier von Mark. 1, 16-20 auch als Gruppe eine Fischergruppe nennen, wie die Traditions-geschichte und die Entstehung der Metapher vom Menschenfischen zeigt. Schliesslich darf man fragen, ob das Prdikat der Zllner>> deshalb an Levi (-Matthaios) haften blieb, weil er auch weiterhin seinen Berufsobliegenheiten nachgegangen ist. - Bei Paulus wird der Bericht ber die z. Z. der Berufung gebte Ttigkeit in Gal. 1, 13 f. durch den Hinweis auf seinen jdischen Eifer und die Verfolgung der Gemeinde ersetzt, aus der ihn der Ruf gerissen hat.

    14 Dessen Form wird am besten in Mark. 2, 14 bewahrt, wie ein Vergleich mit Joh. 1, 43; 21, 19 lehrt, whrend der Befehl in Mark. 1, 17, wie der Schluss von v. 20 zeigt, von Markus stilisiert sein drfte.

    15 Das steht hinter der Umsetzung des Befehles in 1, 20, wo Markus das "aA.eiv der Taufsprache (nicht der Ordinations-Terminologie) verwendet, weil er an blosse Jngerschaft denkt.

    16 Das geht brigens direkt daraus hervor, dass der Abbruch der Ttigkeit im gegenwrtigen Text an allen drei Stellen jeweils mit zwei Verben erzhlt wird, deren erstes vom Verlassen der alten Ttigkeit, wie in der Tradition gefordert, und deren zweites von der Nachfolge spricht, die das markinische Symbol der Jngerschaft darstellt.

    17 Vgl. das Logion Luk. 9, 62: Keiner, der die Hand auf den Pflug legt und sieht nach hinten, ist fr das Gottesreich brauchbar.>> In diesen Zusammenhang gehren formgeschichtlich alle jene Erzhlungen, die von der versagten Gefolg-

    29

  • drei Einzelstcke unserer Berufungstradition spiegelt sich ein dem Psychologisieren so sprde wie nur mglich gegenberstehendes Re-degenus, das des Protokolls18, das ich hier genauer als Berufungspro-tokoll der aufgezhlten Mitarbeiter bestimmen mchte. Das Wort vom Menschenfischen 1, 17 knnte dem vormarkinischen Protokoll wie eine programmatische Bestimmung19 bereits angehangen haben. Da es aus dem Beruf der ersten Vier erschlossen ist, drfte es einer sekundren Traditionsstufe entstammen, die das Kollegium Nord-galilas des Berufs der Mehrzahl seiner Glieder wegen als Fischer-gruppe zu bezeichnen gelernt hat20 Interessant ist, dass die Gruppe nicht ausschliesslich aus Paaren besteht, wie Markus 6, 7 ff. anzu-nehmen scheint. Das macht auf einen Dissensus zwischen der Mis-sionspraxis (ungerade Zahl der Gruppe) und der literarischen Fik-tion aufmerksam und lehrt uns mglicherweise noch einen zweiten Grund fr die Abtrennung der Levi-Berufung kennen.

    Obgleich Markus die Berufungstradition der nordgalilischen Fnf fr die Komposition seines Werkes nicht ausgewertet hat, dem er vielmehr den spteren Zwlfergedanken unterlegt, knnen wir die von den Fnf augewandte Missionsmethode doch noch mit einiger

    schaft berichten: Mark. 10, 17-22 parr. und Apg. 8, 9 ff., bzw. die Schwierigkeit der Gefolgschaft Jesu herausarbeiten: Matth. 8, 19 f. par. und Matth. 8, 21 f. par.

    18 Da das Protokoll das wesentliche Merkmal der Jngerschaft festhlt, darf man mit A. Schlatter, Der Evangelist Matthus, S. 302 f.,

  • Wahrscheinlichkeit aus seiner Komposition erschliessen, indem wir das ber die Zwlf Gesagte mit gewissen Abstrichen fr sie aus-werten. Mglicherweise sind doch die markinischen Aussagen ber die Zwlf eine theoretische Ausweitung dessen, was man an den Fnf beobachten konnte. Im brigen treffen sich die vom Markusevange-lium vorausgesetzten missionarischen Tatbestnde genau mit dem, was wir der vorangestellten berlegungen wegen ber die Fnf sa-gen knnten21 : Vom Zentrum Kapharnaum-Bethsaida oder einfacher: Vom Jordaneinfluss in den See Genezareth aus stsst J esus mit seinen Jngern in die umliegenden Pltze und die Missionsgebiete Dekapo-lis, Syrien-Phnizien und Sdgalila vor und lsst seine Jnger dort ( 6, 6 f. in Sdgalila) zwei und zwei in die umliegenden Drfer ziehen, um in den Synagogen zu knden, Kranke zu salben und D-monen auszutreiben. Durch diese Komposition versucht Markus, die gegenwrtige Missionsmethode und -arheit auf den Kyrios zurck-zufhren und damit zu legitimieren. Dass die Aussendung in Paaren mehr eine literarische Fiktion ist, die sich besser mit dem Zwlfer-gedanken als mit einer Gruppe der Fnf vereinbaren lsst, ist deut-lich, auch wenn sich fr die beiden Brderpaare von l, 16-20 nun-mehr eine plausible missionsgeschichtliche Begrndung nahelegt, insofern wenigstens diese als Apostelpaare gearbeitet haben knnten. Kritisch wird man ferner beurteilen, dass die Entsendung der Paare bei Markus erst in Sdgalila erfolgt, in einem vom Jordaneinfluss bei Kapharnaum-Bethsaida mglichst weit entfernten Gebiet. Mg-licherweise spiegelt sich darin bereits die etwas abweichende Praxis einer zweiten Traditionsstufe wider, die von der inzwischen gengend informierten nheren Umgehung absieht und ihre neue Aufgabe wei-ter ab vom Zentrum erkannt hat. Dass Kapharnaum-Bethsaida aller-dings als Ausgangs und Zielpunkt der Wanderungen J esu nach Mar-kus22 gedeutet werden drfen, ist fr uns von entscheidender Bedeu-tung. Matth. 9, l wird dann Kapharnaum Jesu eigene Stadt nen-nen, und sogar die Scheltreden Matth. 11, 20-24 par. fhren die mei-sten Wundertaten Jesu eben auf diese Stdte zuzglich Chorazin zu rck, womit deren zentrale Bedeutung fr die nordgalilischen An-

    21 Zu der von Markus vorausgesetzten Missionsmethode vgl. G. Schille, Die Topographie des Markusevangeliums, ihre Hintergrnde und ihre Einordnung, ZDPV 73/1957, S. 133 ff.

    22 Denn Jesu galilische Wanderungen enden nach Mark. 8, 22 vor Beginn seiner Caesarea-Philippi-Reise und d. h. vor dem Hinaufzug zur Hauptstadt eben in Bethsaida.

    31

  • fnge wenigstens indirekt zugestanden wird. Dem entspricht der Haftort der nordgalilischen Berufungstradition am Meer Galilas genau. Dort gab es offenbar nicht nur eine lebensfhige tradierende Gemeinde, sondern ein frhes cMissionszentrum::o der entstehenden Missionskirche.

    2. Verwandte Aufzhlungen im Zeichen des Zwlferpostulats

    Innerhalb der Zwlfertradition lassen sich noch eine ganze Reihe weiterer Aufzhlungen nachweisen, die seltsamerweise wieder nicht an der dogmatisch bedingten Zahl Zwlf ausgerichtet sind, sondern kleinere Zahlenverhltnisse belegen. Eine traditionsgeschichtliche Spur einer dem Zwlfergedanken vorgelagerten kleineren Apostel-gruppe wrde sich schon ergeben, wenn man die Zahl der sieben Brote Mark. 8, 5 und der sieben Krbe mit Brotresten 8, 8 innerhalb der Speisung der Viertausend auf die Zahl der austeilenden und ein-sammelnden Jnger beziehen drfte. Die Tendenz der weiteren Tra-ditionsgeschichte hat in unserem Falle jedenfalls unter dem Druck des Zwlfergedankens gestanden, wie Luk. 9, 12 durch seine Erwh-nung der Zwlf bei der Speisung der Fnftausend23 und Joh. 6, 5 ff. durch die namentliche Nennungzweier Zwlferapostel belegen, wh-rend schon Mark. 6, 43 die Zahl der Krbe mit zwlf angibt. Und doch zeigt sogar noch Mark. 6, 38, wo fnf Brote und zwei Fische gezhlt werden, dass traditionsgeschichtlich vormals ganz andere Zahlen gegolten haben drften.

    Bevor wir die hier in Betracht kommenden Stoffe im einzelnen durchsehen, mssen wir zwei Tatbestnde zur Kenntnis nehmen: I. Alle im folgenden genannten Aufzhlungen einschliesslich der Zwlferliste basieren auf der nordgalilischen Berufungstradition. Der Ausfall des Namens Levi kann darber, dass die nordgalilische Gruppe den Grundstock gebildet hat, ebenso wenig hinwegtuschen wie das Ausbleiben weiterer Namen der nordgalilischen Liste in spteren Aufzhlungen, z. B. in Joh. 21, 2, wo ausser Levi auch Andreas vermisst werden muss24 Man kann daher rundheraus be-

    23 Es handelt sich hierbei um eine Variante der anderen Erzhlung: R. Bult-mann, a.a.O., S. 231 f.

    24 Da Levi und Andreas in Petr. Evg. 14, 60 fr eine vermutlich Joh. 21, 2 ff. analoge Erzhlung belegt sind, kann man ihren Ausfall ausschliesslich traditions geschichtlich erklren.

    32

  • haupten, der Ausfall bestimmter Namen bzw. die Ersetzung gewis ser Personen durch andere, fr die Tradenten einer spteren Zeit vermutlich bedeutsamere, ist ein Grundzug der Zwlfertradition. Keinesfalls wird uns das Fehlen bestimmter Namen abhalten, di-rekte Verbindungslinien zwischen verschiedenen Aufzhlungen zu ziehen. Im Gegenteil: Der Wechsel ist geradezu ein Anzeichen der Geschichtlichkeil der Sache und fordert uns zu einer geschichtlichen Interpretation heraus, auch wenn er sich nicht einfach als der Wechsel innerhalb eines bestehenden Kollegiums wird deuten lassen. 2. Sptere Aufzhlungen der Zwlfertradition ergnzen die ursprng liehe Liste gern auf sieben Namen, aber, und das ist das eigentlich Merkwrdige und einer Deutung Bedrftige, sie ergnzen die Namen durchaus uneinheitlich. In Fragment 2 des Ebionitenevangeliums begegnen ausser den bereits Bekannten die vom Zwlferkatalog vor dem Verrter angebotenen zwei Mnner Thaddus und der Eiferer Simon, whrend J oh. 21, 2 trotz seines recht generellen Hinweises auf zwei weitere Jnger die beiden Neulinge Thomas und Nathanael eingefhrt hat, die in der spteren Zwlfertradition ihre deutlichen Spuren hinterlassen haben25 Man kann die differente Auffllung einer primren Grundliste doch nur mit zwei Erwgungen erklren: a) Offenbar war das grundlegende Zahlenverhltnis unabhngig vom Namen- und d. h. vom Personenbestand verpflichtend. Dass man dabei nicht bei der ursprnglichen Zahl fnf geblieben ist, sondern in allen spteren Belegen einheitlich von sieben Mnnern redet, kann man dann vermutlich damit erklren, dass das ursprngliche Fnferkollegium Nordgalilas in einem zweiten Stadium seiner Ar-beit zur Siebeuergruppe erweitert worden war. b) Vermutlich hat man die bentigte Zahl Zwlferapostel in verschiedenen Gegenden spter unterschiedlich angegeben, weil man die am Ort wertgeach tetsten Mnner in die Liste aufzunehmen pflegte. Hier wird zum ersten Male sichtbar, was wir anlsslich der Untersuchung der Zwl-fertradition immer wieder werden feststellen mssen: Der Zwlfer-gedanke ist ein durchaus dogmatisch geprgtes Theologumenon auf dem Hintergrund der Kollegialarbeit, hat aber nicht zur Ausbildung eines regulren Zwlferkollegiums gefhrt. Oder: Zum Kollegium gehren, bedeutet Anteil an Rechten und Pflichten einer Mitarbei tergruppe, zum Zwlferkreis zhlen, bringt dagegen nur Teilnahme an einer Wrde ein, nicht an einer kollegialen Arbeit hheren Stils,

    25 Im einzelnen vgl. die Aufstellungen in Kapitel IV.

    33

  • an einem gemeinsamen Zentrum der Kirche und dergleichen mehr. Hieraus wird ersichtlich, dass es ausser der vormarkinischen Be-

    rufungstradition im Bereich der Zwlfertradition keine weitere echte Apostelliste gibt. Die berlieferten Zwlfapostel-Aufzhlungen sind, soweit sie die Zahl elf oder zwlf nicht erreichen, durchweg vordog-matische Aufzhlungen bestimmter Mitarbeiternamen und nur als Aufzhlungen, nicht jedoch als Belege einer fester geprgten Mit-arbeitertradition anzusprechen. Dass das Postulat dominiert und nicht irgendwelche kollegialen Hintergrnde bestehen, zeigt auch die von derartigen Aufzhlungen ganz unabhngige und nicht vllig regelmssige Zufgung des Verrters, der sich als Kollegialglied ja gar nicht interpretieren Hesse. Im brigen fehlen derartigen Auf-zhlungen gerade die fr die echten Mitarbeiterlisten typischen Zge der Bindung an bestimmte Orte oder Gebiete, hchstens dass man Rckschlsse auf die Gegend ziehen kann, in welcher die betreffende Aufzhlung entstanden ist. Von da aus erklrt sich noch ein weiterer Tatbestand, der in der Spannung zwischen dem Entstehungsgebiet und dem Geltungsbereich26 der Zwlferliste nachldingt: Dass diese Aufzhlungen gar nicht den Anspruch erheben, gltige Zwlferlisten zu sein, insofern sie den Bruch zwischen Siebenerliste und Zwlfer programm deutlich aussprechen oder wenigstens als Spannung zwi schen Aufzhlung und Anspruch sichtbar werden lassen. Dass die spteren Zwlfer-Aufzhlungen vom Sinn der Mitarbeiterlisten und deren Grundzgen so weitgehend abweichen, findet seine ausrei-chende Erklrung darin, dass das Zwlferpostulat ein dogmatisches Programm war, das sich erst Zug um Zug auf dem Hintergrund der Kollegialarbeit gebildet hat. Und die Tatsache, dass sich berhaupt einige dem Zwlferkatalog vorgelagerte27 Aufzhlungen erhalten konnten, ist schon an und fr sich ein Beleg dafr.

    26 Whrend man die Zwlferanschauung vor allem der Inkanischen Darstel-lung wegen als Programm fr J erusalem bezeichnen darf, ist diese doch in einer ganz anderen Gegend entstanden, vgl. unten Kapitel IV.

    27 Wenn uns diese Spuren lterer Tradition auch erst aus spteren Schriften berliefert sind, so ist ihr Quellenwert doch unanfechtbar. Denn die Aussonde-rung kleinerer Apostelgruppen nach Herstellung der Zwlferliste ist kaum noch denkbar.

    34

  • a) Fragment 2 des Ebionitenevangeliums

    Es trat ein gewisser Mann auf, mit Namen Jesus, ungefhr dreissig Jahre alt, der erwhlte uns. Und als er nach Kaphar-naum kam, trat er in das Haus Simons, der den Beinamen Petrus hatte, ffnete seinen Mund und sprach: Als ich am See Tiberias entlang ging, erwhlte ich J ohannes und J akobus, die Shne des Zebedus, und Sirnon und Andreas und Thaddus und Simon, den Zeloten, und Judas, den lskario-ten, und dich, Matthus, der du am Zoll sassest, berief ich, und du folgtest mir. Von euch nun will ich, dass ihr zwlf Apostel seid, zum Zeugnis fr Israel. Epiphanius haer. 30/13, 2 f.28

    Die Rahmung nach Markus 1, 29 ist von der Liste abzuheben, wel-che den Berufungsort noch genau wie in der Berufungstradition an-gibt ( am See Tiberias). Die Reihenfolge der Paare ist allerdings vertauscht. Ein Paar, das im Zwlferkatalog vor dem Verrter ange-ordnet wird, ist ergnzt worden. Der Verrter folgt den drei Paaren in loser Beiordnung, insofern die Aufzhlung darauf verzichtet, ihn paarweise neben Matthaios zu stellen, der als Verfasser des Evange-liums direkt angeredet und an den Schluss gerckt ist. Ausser dem knappen Hinweis auf die Berufung des Matthaios am Zoll (er ist also der Levi von Mark. 2, 14) sind alle weiteren konkreten Angaben ber Berufungsumstnde getilgt. Wrde man die vormarkinische Beru-fungstradition nicht kennen, wre das Zahlenverhltnis der sieben Berufenen ohne Judas kaum zu erkennen. Spte Erinnerung an frhe Zustnde drfte sich erhalten haben 1. in der Zahl der Siebener-Aufzhlung, 2. in der paarweisen Anordnung der ersten sechs Na-men, 3. in der Einzelstellung des MatthaiosLevi, 4. in dem Wissen um die Namen des zugefgten Apostelpaares und 5. in der prinzi-piellen Erhaltung der vormarkinischen Gruppe der fnf Nordgali-ler. Die Spannung zwischen Aufzhlung und Zwlferprogramm wird in der Anfgung des Verrters und in dem merkwrdigen Schluss-satz sprbar, die aufgezhlten sieben oder mit Judas acht Mnner sollten zwlf Apostel zum Zeugnis fr Israel sein. Kann eine Auf-zhlung deutlicher als hier auf den Anspruch verzichten, eine echte Mitarbeitertradition, d. h. die Erinnerung an eine echte Gruppe zu enthalten?

    28 bersetzung nach E. Hennecke-W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apo-kryphen, I 19613, S. 102.

    35

  • b) Johannes 21,2-13

    Die Erzhlung vom wunderbaren Fischzug gehrt seit Luk. 5 in den Zusammenhang der Berufungstradition. Sie wird hier zur Legitima-tion einer Gruppe wiedergegeben, die v. 2 nennt:

    Es waren zusammen: Sirnon Petrus, und Thomas mit Beinamen Zwilling und Nathanael vom galilischen Kana, und die Shne des Zebedus, und andere zwei von seinen Jngern.

    lter als die Erzhlung mit ihrer Konkurrenz zwischen Petrus und dem Lieblingsjnger ist die Liste, die Sirnon nicht nur mit dem Wrdeprdikat Petrus versieht, sondern ihm auch den Primat ein-rumt. Die brigen sechs Mnner werden paarweise aufgezhlt. Das erste Paar ist durch entsprechende Bemerkungen zur Person der Genannten neu vorgestellt und enthlt deshalb vermutlich die jng sten Glieder der Aufzhlung. Indem Nathanael vom galilischen Kana abgeleitet wird, obgleich traditionell der See Tiberias als Be-rufungsort gilt, zeigt sich eine erste Spannung der Aufzhlung, die offenbar mehr Programm als echte Mitarbeitertradition ist. hnli-ches geht aus der merkwrdigen Behandlung der lteren Berufungs tradition hervor. Nimmt man nmlich an, dass sich die namentlich nicht genannten, im johanneischen Kreis aber beliebten Apostel An-dreas und Philippus29 hinter den anderen zwei von seinen Jngern verbergen, so ist mindestens Levi ausgeschieden: trifft diese An-nahme nicht zu, fordert die Wendung also lediglich die runde Zahl sieben, so wre auch noch Andreas zu vermissen. Gegenber der vormarkinischen Berufungstradition ist vor allem die absolute Erstlingsstellung Simons neu, die wir mit der Stellung des Petrus in den Synoptikern als Apostelfrst vergleichen drfen. Traditions-geschichtlich drfte sich in der Verschiebung zugunsten des Primats Simons ein missionsgeschichtlicher Tatbestand widerspiegeln, etwa das Herauswachsen des Petrus aus dem Apostelpaar Simon-Andreas und ber die ursprngliche Gruppe berhaupt. Man kann die her-vorgehobene Stellung des Petrus in unserer Aufzhlung aber zugleich als ein weiteres Anzeichen dafr nehmen, dass diese Aufzhlung nicht eine wirkliche Gruppe, sondern das kommende Zwlferpostu-lat zum Hintergrund hat.

    29 Dazu s. u. Kapitel IV.

    36

  • c) Die sieben Zwlferapostel im Jobarmesevangelium

    Wenn man, einer methodischen Forderung folgend, Joh. 21 als Nachtragskapitel vom Primrbestand des vierten Evangeliums ab-hebt, lassen sich in diesem Evangelium ausser dem Verrter aber-mals sieben Apostelnamen nachweisen. Zur Berufungserzhlung in Joh. 1 mit dem Lieblingsjnger, Andreas, Petrus, Philippus und Na-thanael kann man aus Joh. ll bzw. 14Thomas und den anderen Ju-das ergnzen. Wieder entstehen die schon bekannten Zahlen fnf oder sieben30, obgleich Johannes gelegentlich durchaus zu erkennen gibt, dass er die Genannten als Zwlferapostel versteht31 Die glei-che Spannnng zwischen der genannten Jngerschar und dem Pro-gramm entnehmen wir der Verschiebung gegenber der vormarki-nischen Berufungstradition, die ber die in Joh. 21,2 belegte noch ein wenig hinausgeht. Jetzt ist auch noch der Zebedaide Jakobus verschwunden. Weil er von Herodes Agrippa I. hingerichtet wor-den32 und dadurch aus dem Kreis der in Syrien besonders geachteten Apostel allmhlich ausgeschieden ist? Wieder einmal hat man die entstandene Lcke sofort durch einen neuen Namen geschlossen33. Offenbar war das zugrundegelegte Zahlenverhltnis verbindlich, ob-gleich es sich um die Zahl sieben handelt, die im Zwlfergedanken keineswegs begrndet ist. Den Verrter drfen wir wegen J oh. 13, 16-18 (vgl. 6, 70 f.) nicht mitzhlen. Er wird von vomherein als Werkzeug des Teufels bezeichnet (auch 13, 2). Fr die Mitarbeiter-Aufzhlung kann er auch deshalb keine Bedeutung haben, weil er weder bei der Berufungserzhlung noch spter an den wesentlichen Punkten angezogen worden ist.

    Eine besonders merkwrdige Beobachtung ergibt sich aus dem Vers Joh. 1, 44, der die ersten vier johanneischen Jnger aus Beth-saida ableitet. Denn wir wissen aus Mark. 1, 29, dass Simons Haus in Kapharnaum stand, wo dessen Schwiegermutter wohnte. Sirnon Petrus und mglicherweise auch Andreas kamen also auf keinen Fall aus Bethsaida. Trotzdem ist gegen die Behauptung Joh. 1, 44

    30 Offen bleibt, ob die erst spter im Evangelium Bercksichtigten die jng sten Vertreter der Zwlf sind.

    31 Vgl. Joh. 6, 67; 20, 24. 32 Mark. 10, 35 ff.; Apg. 12, 1 f.: Zwischen 41 und 44 p. Chr. n. 33 Die Behauptung von K. H. Rengstorf, Th WB II S. 327, die durch des

    Zebedaiden Tod entstandene Lcke sei nicht aufgefllt worden, gilt also nur cum grano salis.

    37

  • nichts einzuwenden, wenn sie nicht den Herkunfts-, sondern den zen-tralen Ort der letzten Arbeitssttte bezeichnen will. Wir wrden aus ihr erschliessen knnen, wo das nordgalilische Zentrum genauer ge-legen hat.

    3. Die Liste Apostelgeschichte 6, 5

    Aus der Inkanischen Rahmung tritt Apg. 6, 5 eine weitere, hierher gehrige Mitarbeiterliste hervor, die wir der Inkanischen Missdeu-tungen wegen als echte Mitarbeitertradition werden ansprechen dr-fen:

    und sie whlten Stefanus, einen Mann voll Glauben und heili-gem Geist, und Philippus und Prochoros und Nikanor und Ti-mn und Parmenas und Nikolaos, einen antiochenischen Pro-selyten ...

    Leider hat die Inkanische Bearbeitung in diesem Falle so gut wie alles Ursprngliche beseitigt, so dass wir auf kritische Erwgungen angewiesen sind, um ber das magere Ergebnis lterer Untersuchun-gen hinauszukommen. Schon die Gliederung der Namen lsst sich nicht auswerten, da deren gegenwrtige Stellung sicher das Werk des Schriftstellers ist, der die beiden fr seine Darstellung wichtigsten Namen voran- und den syrischen Proselyten, vermutlich um dieser Kennzeichnung willen, hintangestellt hat. Wenn drei von sieben Na-men umgestellt worden sind oder wenigstens sein knnen, ist die primre Anordnung der Namen allzu grndlich gestrt, um noch einigermassen zutreffende Schlsse zu ermglichen. Aus den Namen selbst tritt nur hervor, dass es sich um eine hellenistische Gruppe handeJt34 Damit stossen wir auf eine Spur, die uns vielleicht eine gewisse Einordnung der Liste mglich macht. Denn das spricht wider die Inkanische Ableitung der Gruppe aus J erusalem. Die berlie-ferung drfte durch die Kennzeichnung eines Mitarbeiters als an-tiochenischen Proselyten, die Lukas als wohlfeile Vorbereitung auf seinen Antiochia-Bericht Apg. 13, l ff. ausgenutzt und uns dadurch

    34 Doch H. H. Wendt, Die Apostelgeschichte, 19139, S. 132 f., nach einer Durchsicht der bekannteren Namen: Dass auch alle brigen Gewhlten Helleni-sten waren, kann man aus ihren hellenischen Namen, die damals auch bei pa-lst. Juden gebruchlich waren, nicht sicher erschliessen.,, Mglicherweise be-zeichnet das Prdikat Proselyt>> beim letzten die sechs vorangehenden Mnner als Juden. Dass die Gruppe freilich im ganzen eine hellenistische Prgung be-sass, lsst sich kaum bestreiten.

    38

  • erhalten hat, auf einen engen Zusammenhang zwischen der syrischen Mission und der Arbeit der Sieben aufmerksam machen. Auch das ist nicht gerade ein Zug, der die Inkanische Ableitung aus der Hauptgemeinde des Judenchristentums besttigt. Nimmt man hinzu, wie unkritisch Philippus nach Apg. 8, noch ehe Lukas seine Recht-fertigung der Heidentaufe gefhrt hat, einen thiopier und viele Samaritaner getauft hat, so schliesst sich der Ring der wider eine ursprngliche Beziehung zwischen unserer Liste und J erusalems Gemeinde sprechenden Argumente35 Denn das wre fr die Jeru-salemer Altgemeinde und den Herrenbruder Jakobus nach allem, was wir ber diese wissen36, ein Grund zur Exkommunikation ge-wesen. Auch aus traditionsgeschichtlichen Erwgungen kommt die Hauptstadt als Sitz der Siebeuergruppe nicht in Frage, weil sich die Mitarbeitertradition nur auf Grund lngerer gemeinsamer Arbeit im Interesse eines gemeinsamen Zentrums zu bilden pflegte. Nach der Inkanischen Darstellung htte zwischen der Wahl der Sieben und der Zerstreuung der J erusalemer Gemeinde und d. h. der Beendigung ihrer gemeinsamen Arbeit nur eine so knappe Zeitspanne gestanden, dass sich eine Mitarbeitertradition schlechterdings nicht htte bil-den knnen. So zeugt auch die blosse Tatsache, dass die Liste Apg. 6, 5 berhaupt entstanden ist, wider die Inkanische Darstellung. Viel-leicht hatten die Sieben nur insofern etwas mit der Hauptstadt zu tun, als sie den missglckten V ersuch unternommen haben, dort Fuss zu fassen, wobei ausweislich des Stefanus-Martyrologiums einer von ihnen sein Leben eingebsst hat. Ich wrde sie daher als eine Mit-arbeitergruppeeiner judischen Stadt ausserhalb Jerusalems deuten. Trugen deren Glieder, wie man wegen Apg. 21, 8 vermuten kann, den Titel Evangelisten, so gehrt die Gruppe in eine deutlich von den ersten Anfngen abgehobene Zeit. Doch zeigt die Behandlung im Inkanischen Geschichtswerk, dass bereits die zweite Generation von ihrer ursprnglichen Bedeutung keine rechte Vorstellung mehr hatte und sie daher nach der Struktur spterer Gemeinde-mter zu verstehen versuchte37

    35 Trotz der berwiegenden Zustimmung der kritischen Forschung ist die Hypothese einer hellenistischen Urgemeinde J erusalems aus historischen Er-wgungen nicht zu halten: G. Schille, Zur Frage der ersten christlichen Ge-meindebildung, FF 37/1963, S. 120.

    36 Zur Interpretation und Einordnung der Logien Matth. 10, 5 f. und 11, 20-24 par.: G. Schille, Die Topographie, ZDPV 73/1957, S. 160 ff.

    37 Hinter der merkwrdigen Verteilung der Aufgaben Apg. 6, 2 in Wortver-

    39

  • ber das negative Ergebnis fhren uns em1ge weitere nnsswns-geschichtliche Erwgungen hinaus, die uns allerdings aus dem Be-reich der Wahrscheinlichkeit weithin in das Vorfeld der V ermutun-gen fhren. Es handelt sich um eine Reihe von Erwgungen, die das judische Caesarea an der Mittelmeerkste als urchristliches Zen-trum und mglicherweise als Sitz eines Kollegiums zu bezeichnen erlauben. Petrus, der wegen der nordgalilischen Berufungstradition vermutlich von Nordgalila aus nach dem Sden vorgestossen ist, wird von der in Apg. 10 f. verarbeiteten Kornelius-Erzhlung als Gemeindegrnder fr Caesarea beansprucht3s. Falls dies den Tat-sachen entspricht, muss es sich um eine relativ frhe Zeit gehandelt haben. Denn Petrus gilt hier noch unkritisch als Heidenmissionar39 Natrlich knnte Petrus, von Kapharnaum kommend, nach der Ge-meindegrndung in Caesarea stracks weitergewandert sein. Die An-nahme ist jedoch viel ansprechender40, er sei, wie nachher Philip-pus, von einem festen Sitz in einer grsseren Stadt aus in das Gebiet des Saron vorgestossen, in welchem er ausweislich anderer von ihm redender Traditionen41 lngere Zeit gewirkt haben wird. Wer nicht anachronistisch die Hauptstadt vorziehen will, wird zunchst an Caesarea selbst denken42, zumal diese Stadt in der Apostelgeschichte so hufig in Erscheinung tritt43, dass man sie als urchristlichen Haupt-ort hnlich dem syrischen Antiochia ansprechen knnte, wenigstens fr die Inkanische Zeit. Caesarea ist aber noch in einem zweiten Falle, diesmal mit absoluter Gewissheit, als Sitz eines urchristlichen Mitarbeiters bekannt. Nach Apg. 21,8 f. hat der Evangelist Philip-

    waltung und Tischdienst drfte die seit Phil. 1, 1 belegbare, sptere Amtsan schauung stehen, nach welcher Bischfe und Diakonen,, die Gemeinden ver walteten.

    3S Dass die Kornelius-Erzhlung eine ursprngliche Gemeindegrndungstradi-tion gewesen ist, hat schon W. L. Knox, The Acts of the Apostles, S. 33, erkannt.

    39 Wenn Petrus von Nordgalila ausging, kann das nicht befremden (vgl. Matth. 8, 5 ff.). Dagegen illustrieren die Petrus-Erzhlungen von Lydda und Joppe Apg. 9, 32 ff. vermutlich die Gal. 2, 7 f. erwhnte Beschrnkung des Petrus auf die Beschneidung.

    40 V gl. die missionsgeschichtlichen Erwgungen bei G. Schille, Erwgungen zur urchristlichen Kirchenbildung, Theologische Versuche 1966, S. 66 ff., beson-ders S. 75 f.

    41 Apg. 9, 32 ff.; 9, 36 ff. Joppe hzw. Lydda. 42 So denkt z. B. auch die Kornelius-Erzhlung Apg. 10, 5 f. an die Mglich-

    keit einer Herbeirufung des Apostels, und sogar Lnkas hat es nicht gewagt, die Raststtte Petri in Jerusalem zu vermuten.

    43 Apg. 9, 30; 12, 19; 18, 22; 21, 8. 16 u. .

    40

  • pus mit vier weissagenden Tchtern in Caesarea gewohnt. Wertvoll erscheint mir auch die Notiz Apg. 8, 40b, die dasselbe mit einer zu-stzlichen missionsgeschichtlichen Spitze belegt, die es uns erlaubt, Caesarea nicht nur als Alterssitz des Philippus, sondern als die Stadt zu deuten, auf die er sich bei seinen missionarischen Vorstssen sttzte. Nach seinem V orstoss in den Sden 8, 26 ff. kehrt er dorthin zurck, wo nach der Darstellung der Apostelgeschichte eigentlich noch gar keine christliche Gemeinde besteht! Man darf dem nicht vorschnell entnehmen, also sei nicht Petrus, sondern Philippus Cae-sareas Gemeindegrnder gewesen. Denn der Evangelist gehrt je-denfalls einer jngeren Etappe der Missionsgeschichte an als der Apostel. Hier zeigt sich vielmehr ein redaktioneller Bruch, der das Inkanische Geschichtswerk entstellt und uns zu der Annahme der V er-arbeitung lterer Motive fhren kann. Hinter dieser Andeutung ver-birgt sich eine berlieferung, die Caesarea als urchristliches Missions-zentrum kennt, an welchem mindestens Philippus stationiertwar.Eine weitere, an und fr sich ganz unscheinbare Notiz (Apg.ll, 12) sekun-diert dieser These. Danach htte Petrus die Gewinnung einer ersten Schar heidnischer Jnger Caesareas in Jerusalem von sechs Br-dern beglaubigen lassen. Lukas stellt sich die Dinge wie in seiner Darstellung des Apostels Paulus vor: Petrus hatte ein Gefolge44 Er leitet die sechs Brder deshalb aus Joppe und, um ihrer Zeugnis-fhigkeit vor den Jerusalemer Judenchristen willen, aus der Be-schneidung ab. Das ist ganz unwahrscheinlich: I. Caesarea ist vermut-lich vonNorden her,alsovor Joppe, gewonnen worden; Petrus stammt aus Kapharnaum! 2. In dieser Frhzeit ist ein Gefolge des Petrus, das diesen mit Paulus gleichstellt, schon mangels Mitarbeitern kaum denkbar; wer bedenkt, dass seinerzeit vermutlich nur die fnf Nord-galiler gearbeitet haben, wird das zugestehen. 3. Htte Petrus sechs Begleiter z. Z. der Gemeindegrndung Caesareas mit sich gefhrt, so htte die Kornelius-Erzhlung als Gemeindegrndungstradition auf deren namentliche Erwhnung nicht verzichten drfen; denn die Ortstiologie verzichtet nie auf die wichtigen Apostelnamen, und wie begierig griff man in altkirchlicher Zeit nach allen nur verfg-baren Aposteln und Apostelschlern, um nur ja eine irgendwie apostolische Abkunft nachzuweisen! 4. Nach urchristlichen Mass-stben gengten ein oder zwei Apostel zur Missionsarbeit, die Mit-nahme von Begleitern ist ein spterer Gedanke und gehrt mg-

    44 Vgl. Apg. 10, 23 und einige von den Brdern von Joppe kamen mit ihm>>; v. 45 die Glubigen aus der Beschneidung, die mit Petrus gekommen waren.>>

    41

  • lieherweise zum Inkanischen Bild der Hauptapostel Wir deuten die Notiz Apg. 11, 12 daher in der vorliegenden Gestalt als schriftstel lerische Fiktion45 Doch knnte sich hinter der verfehlten Inkani-schen Auswertung eine gute ltere Tradition verbergen. Denn es muss uns doch immerhin auffallen, dass Lukas ausgerechnet sechs Brder erwhnt, als sei ihm die Zahl schon vorgegeben gewesen. V ersucht er etwa mit seiner Notiz, eine spte Mitarbeitergruppe von Caesarea in seine Darstellung einzubeziehen, von welcher er erfahren hatte? Dann wird man die Ableitung der Gruppe von Joppe und damit im weiteren Sinne von J erusalem, dem Petrus und die Sechs nach 11, 12 verantwortlich sind, kaum bernehmen knnen. Hier scheint Lukas im Gegenteil genau wie in der Korneliuserzhlung46 das berkom mene der Komposition einzuschmelzen, die er nicht im Sinne der Geschichte, sondern in dem einer Missionsreise zu verstehen ver sucht. Uns kann es schon gengen, noch einmal eine Spur eines ver mutlieh Caesareensischen Mitarbeiterkreises entdeckt zu haben.

    Nun wre es jedoch seltsam, wenn nur einer der sieben Diako ne47 und nicht alle gemeinsam, d. h. jedoch nach des Stefanus To-de, also in der zweiten, feststellbaren Etappe ihres Wirkens, eben sechs Brder, in Caesarea gewohnt und von dort aus missioniert htten. Dass sie jemals in J erusalem gesessen haben, war uns ohne hin zweifelhaft geworden. Und haben die vorstehenden Ausfhrun gen auch nur den Wert einer Vermutung, so wrden sie doch die dunklen und von Lukas durchaus nicht mehr korrekt verstandenen Einzelangaben gewisser judischer Traditionen im Inkanischen Wer-ke historisch einigermassen verstndlich einzuordnen erlauben.

    4. Die Liste Apostelgeschichte 13, 1

    Es waren aber in Antiochia in der dortigen Gemeinde Prophe-ten und Lehrer: Barnabas und Symeon, Niger genannt, und

    45 M. Dibelius, Aufstze zur Apostelgeschichte, 19532, S. 100, fragend. 46 Denn auch dort ist die Verbindung mit Joppe nur durch die Preisgabe der

    Anschaulichkeit erkauft worden: Whrend die Boten mehrere Tage bentigen, um nach Joppe zu reisen und Petrus abzuholen, versammelt Kornelius, und zwar nicht erst nach Ankunft der Boten ( !) , Apg. 10, 24 seine Freunde und V er-wandten, als habe er das Eintreffen berechnen knnen. Vermutlich hat die ber-lieferung von einer Herbeiholung des Apostels innerhalb der Stadt geredet.

    47 Dieser Titel begegnet allerdings in Apg. 6-8 nirgends, womit Lukas die Fragwrdigkeit seiner Darstellung 6, 1 ff. indirekt eingesteht.

    42

  • Lukios von Kyrene, Manaen, der mit dem Vierfrsten Herodes aufgezogen worden war, und Saulus.

    Eine von den hisher betrachteten Traditionen ganz unabhngige Mitarbeitergruppe belegt die in Apg. 13, 1 verarbeitete Liste fr das syrische Antiochia. Die Fnf gelten als Propheten und Lehrer, ihre zwei Abgesandten nachher 14, 4. 14 als Apostel. hnliche Titel und Aufgaben haben bekanntlich schon die wichtigsten der paulinischen Mitarheiter48, aber auch noch z. Z. der Didache waren diese bekannt, wenn auch nur innerhalb der juridischen Tradition Did. 11-13, wh-rend die Didache selbst in 15, 1 f. der