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Schlaganfall Schluckphasen Aspiration Dehydrierung Mangelernährung Pneumonie KEYWORDS Bei einem Schlaganfall kann es zu Schädigungen in den Hirnarealen kommen, die den komplexen Bewegungsablauf des Schluckens steuern. Dysphagie Schluckstörungen nach Schlaganfall erkennen und behandeln D er Schluckvorgang ist ein hochkomplexes Geschehen, das willkürlich initiiert wird und dann als Reflex abläuft. Bei einem einzigen Schlucken sind 100 Muskeln und fünf Hirnnerven aktiv. Diese werden in spezifischen Schluckzentren in verschiedenen Bereichen des Gehirns zentral gesteuert. Der Schlaganfall ist die häufigste Ursachen einer Schluckstörung. Hier kann es zu Schädigungen im Gehirn kommen, die – je nach Lokalisation– unterschiedlich schwere Schluckstörungen verursa- chen. An den Abläufen in der oralen Schluckphase sind vor allem der motorische und sensorische Kortex der beiden Hirnhälften beteiligt. Für die Schluckreflexauslösung und die Muskelbewegungen in der pharyngealen Schluckphase sind zwei spezi- fische Regionen im Hirnstamm zuständig, die auch als Schluckzentren bezeichnet werden. Infolge von Bewegungsstörungen, Lähmungen, Sensibilitäts- und Gefühlsstörungen, aber auch durch- mangelnde Kraft und Koordination der am Kauen und Schlucken beteiligten Organe und Muskeln (Lip- pen, Zunge, Kiefer, Gaumensegel, Rachen- und Kehl- kopfmuskeln) kann es nach einem Schlaganfall zu Problemen bei der Nahrungsaufnahme und dem Schlucken kommen: Kauprobleme, unzureichende Nahrungszerkleine- rung Eingeschränkte Nahrungskontrolle und -transport im Mund Verzögerte Schluckreflexauslösung Vorzeitiges und unkontrolliertes Abgleiten von Nahrung und Flüssigkeiten Eingeschränkter/verlangsamter Transport durch den Rachen Eingeschränkte Kehlkopfbewegung mit unvollstän- digem Verschluss der Luftröhre Eingeschränkte Öffnung der Speiseröhre mit Lie- genbleiben von Nahrungsresten im Rachen und am Eingang der Luftröhre Eingeschränkte Schutzreflexe und Reinigungsfunk- tionen (Husten, Räuspern) Anzeichen und Folgen einer Schluckstörung Eine Schluckstörung ist nicht immer eindeutig er- kennbar. Sie wird von dem Betroffenen oft nicht wahrgenommen. Man unterscheidet zwischen indi- rekten und direkten Symptomen, die während des Schluckens oder einer Mahlzeit beobachtet werden können (Tab. 1). Ein frühzeitiges Erkennen kann Folgeerkrankungen verhindern, die mit einer höheren Morbidität und Mortalität nach einem Schlaganfall assoziieren. Dazu gehören Mangelernährung und Dehydratation. Potenziell gefährlich ist eine Aspira- tionen, das Eindringen von Speichel oder Bolusteilen in die Luftröhre. Eine Aspiration zeigt sich norma- lerweise durch eine heftige Hustenattacke. Der Husten ist ein physiologischer Schutzreflex, der sofort aus- gelöst wird, wenn Fremdkörper in die Luftröhre ge- langen. Durch das Husten wird er wieder in den Rachen befördert, worauf dann ein Schlucken erfolgt. Nach einem Schlaganfall kann allerdings dieser Reflex abgeschwächt oder aufgehoben sein, so dass es zu einer „stillen Aspirationen“ kommt. Speisen und Flüs- sigkeiten gelangen in die Luftröhre, ohne dass der Hustenreflex ausgelöst wird. Lebensbedrohliche Lun- genentzündungen sind die Folge. Weitere Folgen von Schluckstörungen können Angst vor dem Verschlucken, Nahrungsverweige- rung, sozialer Rückzug und Depressionen sein. Diagnostik von Schluckstörungen Die Diagnose einer Schluckstörung sollte sehr früh nach dem Schlaganfalls erfolgen. Das Pflegepersonal spielt hierbei eine zentrale Rolle. Ein erstes Schluck- Screening wird inzwischen auf den meisten Stroke Units von entsprechend geschulten Pflegekräften durchgeführt. Es handelt sich in der Regel um ein kurzes Manual mit dem schrittweise mit einfachen Tests das Schlucken überprüft wird. Bei auffälligen © Britta60/Fotolia DOI: 10.1007/s00058-013-1078-0 Gesunde Menschen genießen ein gutes Essen. Dabei ist die Aufmerksamkeit auf das genussvolle Essen gerichtet und nicht auf das Schlucken. Schlucken geschieht automatisch und täglich bis zu 2.000 Mal. Nach einem Schlaganfall kann es zu Störungen des Schluckvorganges kommen – Schlucken funktioniert nicht mehr richtig und kann zu einem kapitalen Problem im Alltag werden. 22 PflegeKolleg Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (10)

Schluckstörungen nach Schlaganfall erkennen und behandeln

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Page 1: Schluckstörungen nach Schlaganfall erkennen und behandeln

Schlaganfall

SchluckphasenAspiration DehydrierungMangelernährungPneumonie

KEYWORDS

Bei einem Schlaganfall kann es zu

Schädigungen in den Hirnarealen kommen,

die den komplexen Bewegungsablauf des

Schluckens steuern.

Dysphagie

Schluckstörungen nach Schlaganfall erkennen und behandeln

Der Schluckvorgang ist ein hochkomplexes Geschehen, das willkürlich initiiert wird und dann als Reflex abläuft. Bei einem einzigen

Schlucken sind 100 Muskeln und fünf Hirnnerven aktiv. Diese werden in spezifischen Schluckzentren in verschiedenen Bereichen des Gehirns zentral gesteuert. Der Schlaganfall ist die häufigste Ursachen einer Schluckstörung. Hier kann es zu Schädigungen im Gehirn kommen, die – je nach Lokalisation– unterschiedlich schwere Schluckstörungen verursa-chen. An den Abläufen in der oralen Schluckphase sind vor allem der motorische und sensorische Kortex der beiden Hirnhälften beteiligt. Für die Schluckreflexauslösung und die Muskelbewegungen in der pharyngealen Schluckphase sind zwei spezi-fische Regionen im Hirnstamm zuständig, die auch als Schluckzentren bezeichnet werden.

Infolge von Bewegungsstörungen, Lähmungen, Sensibilitäts- und Gefühlsstörungen, aber auch durch-mangelnde Kraft und Koordination der am Kauen und Schlucken beteiligten Organe und Muskeln (Lip-pen, Zunge, Kiefer, Gaumensegel, Rachen- und Kehl-kopfmuskeln) kann es nach einem Schlaganfall zu Problemen bei der Nahrungsaufnahme und dem Schlucken kommen:

▶ Kauprobleme, unzureichende Nahrungszerkleine-rung

▶ Eingeschränkte Nahrungskontrolle und -transport im Mund

▶ Verzögerte Schluckreflexauslösung ▶ Vorzeitiges und unkontrolliertes Abgleiten von Nahrung und Flüssigkeiten

▶ Eingeschränkter/verlangsamter Transport durch den Rachen

▶ Eingeschränkte Kehlkopfbewegung mit unvollstän-digem Verschluss der Luftröhre

▶ Eingeschränkte Öffnung der Speiseröhre mit Lie-genbleiben von Nahrungsresten im Rachen und am Eingang der Luftröhre

▶ Eingeschränkte Schutzreflexe und Reinigungsfunk-tionen (Husten, Räuspern)

Anzeichen und Folgen einer SchluckstörungEine Schluckstörung ist nicht immer eindeutig er-kennbar. Sie wird von dem Betroffenen oft nicht wahrgenommen. Man unterscheidet zwischen indi-rekten und direkten Symptomen, die während des Schluckens oder einer Mahlzeit beobachtet werden können (Tab. 1). Ein frühzeitiges Erkennen kann Folgeerkrankungen verhindern, die mit einer höheren Morbidität und Mortalität nach einem Schlaganfall assoziieren. Dazu gehören Mangelernährung und Dehydratation. Potenziell gefährlich ist eine Aspira-tionen, das Eindringen von Speichel oder Bolusteilen in die Luftröhre. Eine Aspiration zeigt sich norma-lerweise durch eine heftige Hustenattacke. Der Husten ist ein physiologischer Schutzreflex, der sofort aus-gelöst wird, wenn Fremdkörper in die Luftröhre ge-langen. Durch das Husten wird er wieder in den Rachen befördert, worauf dann ein Schlucken erfolgt. Nach einem Schlaganfall kann allerdings dieser Reflex abgeschwächt oder aufgehoben sein, so dass es zu einer „stillen Aspirationen“ kommt. Speisen und Flüs-sigkeiten gelangen in die Luftröhre, ohne dass der Hustenreflex ausgelöst wird. Lebensbedrohliche Lun-genentzündungen sind die Folge.

Weitere Folgen von Schluckstörungen können Angst vor dem Verschlucken, Nahrungsverweige-rung, sozialer Rückzug und Depressionen sein.

Diagnostik von Schluckstörungen Die Diagnose einer Schluckstörung sollte sehr früh nach dem Schlaganfalls erfolgen. Das Pflegepersonal spielt hierbei eine zentrale Rolle. Ein erstes Schluck-Screening wird inzwischen auf den meisten Stroke Units von entsprechend geschulten Pflegekräften durchgeführt. Es handelt sich in der Regel um ein kurzes Manual mit dem schrittweise mit einfachen Tests das Schlucken überprüft wird. Bei auffälligen ©

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Gesunde Menschen genießen ein gutes Essen. Dabei ist die Aufmerksamkeit auf das genussvolle Essen gerichtet und nicht auf das Schlucken. Schlucken geschieht automatisch und täglich bis zu 2.000 Mal. Nach einem Schlaganfall kann es zu Störungen des Schluckvorganges kommen – Schlucken funktioniert nicht mehr richtig und kann zu einem kapitalen Problem im Alltag werden.

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PflegeKolleg

Heilberufe / Das P�egemagazin 2013; 65 (10)

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Befunden muss die weitere Diagnostik durch die Schlucktherapeuten/Logopäden eingeleitet werden. Sie umfasst eine detaillierte Beurteilung der moto-rischen und sensorischen Funktionen in allen Schluckphasen sowie Schluckversuche mit verschie-denen Nahrungskonsistenzen. Anschließend werden vorläufige Ernährungsempfehlung (Kost, Konsistenz, Schlucktechniken, Schluckhilfen) gegeben, die ein sicheres Schlucken gewährleisten und eine orale Nah-rungsaufnahme sicherstellen. Bei Verdacht auf Aspi-ration wird zunächst eine orale Nahrungskarenz ausgesprochen.

Ergänzend zu dieser klinisch-therapeutischen Un-tersuchung können bildgebende Verfahren eingesetzt werden, um Art und Schweregrad der Schluckstörung zu ermitteln. Ein häufig angewandtes Verfahren ist die Fiberoptisch endoskopische evaluierte Schluck-untersuchung (FEES). Dabei wird ein dünner, flexib-ler Schlauch mit einer Kamera über die Nase einge-führt. Dieses Verfahren ermöglicht die direkte Beo-bachtung vor und nach dem Schlucken.

Bei der ebenfalls oft eingesetzten Videofluorosko-pie (VFS) handelt es sich um eine Röntgenunter-suchung, in der mittels eines Kontrastmittels die Schluckfunktion beziehungsweise der gesamte Schluckvorgang beurteilt werden kann. So lassen sich auch Aspirationen darstellen.

Therapie von Schluckstörungen Die Schlucktherapie erfolgt nach ärztlicher Verord-nung durch Schlucktherapeuten/Logopäden. Sie ba-siert auf drei parallel durchgeführten Bereichen mit Übungen und Maßnahmen zur Wiederherstellung der gestörten Funktionen (kausale Therapie), zur Erleichterung des Kauens und Schluckens (kompen-satorische Maßnahmen) und zur Anpassung der Umwelt an die Störung (adaptive Hilfen). Kausale Therapie. Sie beinhaltet Übungen, die die Funktionen der Schluckmuskulatur und -organe so-wie den Schluckablauf trainieren. Zu den Therapie-ansätzen gehört unter anderem die funktionelle Dysphagie-Therapie. Auch Übungen aus der Basalen Stimulation finden hier Anwendung. Kompensatorische Hilfen. Die am häufigsten ge-nutzte Kopfbewegung beim Schlucken ist die Kopf-beugung in Richtung Brust (Chin-Tuck-Manöver). Beim Schlucken wird der Kopf kurz nach vorn unten gebeugt.

Zu den bewährten Schlucktechniken nach Schlag-anfall gehören weiter das „kraftvolle Schlucken“ oder das „leer Nachschlucken“. Adaptive Hilfen. Diätetische Maßnahmen müssen sofort eingeleitet werden. Die Nahrung muss in Kost-art und Konsistenz der individuellen Schluckfähigkeit

TAB. 1 SYMPTOME BEI SCHLUCKSTÖRUNGEN

Direkte Indirekte

▶ Häufiges Husten und Räuspern ▶ Zunehmende Verschleimung der unteren Atemwege

▶ Kauprobleme ▶ Unklare Temperaturerhöhungen oder Fieber

▶ Erschwerte Atmung, rasselnde Atemgeräusche

▶ Ungewollter Gewichtsverlust

▶ Liegenbleiben von Nahrung im Mund und Rachen

▶ Bronchitis und Pneumonie

▶ Viel Trinken beim Essen („Herunterspülen der Nahrung“)

▶ Blaue Verfärbung der Lippen oder des Gesichts (Abfall der Sauerstoffsättigung)

23Heilberufe / Das P�egemagazin 2013; 65 (10)

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des Patienten angepasst werden (Tab. 2). Grundsätz-lich gilt, dass Milchprodukte und süße Speisen redu-ziert werden sollten, da diese zu mukösem, zähen Speichel führen können. Außerdem können Milch-produkte bei einer Aspiration rasch eine Lungenent-zündung initiieren. Angenehmer Geschmack, Geruch und ein appetitliches Aussehen von Speisen fördern die Freude und den Genuss am Essen und begünsti-gen so die Schluckreflexauslösung. Säuerliche Speisen fördern die Speichelbildung und erleichtern den Transport durch Mund und Rachen. Kühle und warme Nahrung und Getränke können im Vergleich zu lauwarmen Speisen besser gespürt werden.

Da bei Patienten mit einer Schluckstörung die Ge-fahr einer Mangelernährung und Dehydration be-steht, müssen Pflegekräfte die aufgenommene Nah-rungsmenge im Blick behalten. Für eine ausreichende Kalorienversorgung nach Schlaganfall sollten immer Diätassistenten hinzugezogen werden. Auch emp-fiehlt sich der Einsatz von hochkalorischen Pro-dukten. Hilfsmittel, beispielsweise ein flacher Teelöf-fel, spezielle Trinkbecher und Trinkhalme, erleichtern die selbstständige uns sichere Nahrungsaufnahme.

Essen anreichen Der Patient muss sicher und aufrecht sitzen. Falls er Prothesen oder andere Hilfsmittel benötigt, werden sie eingesetzt. Störquellen wie Fernsehen oder Radio sollte man abschalten. Das Essen steht sichtbar vor dem Patienten, er kann es identifizieren und daran riechen.

Angereicht werden Nahrung und Getränke bei Dysphagie-Patienten immer von der gesunden Seite. Bei Schlaganfallpatienten mit Hemiparese und ein-seitigen Sensibilitätsstörungen kann es sein, dass die

Die Schlucktherapie erfolgt nach ärztlicher

Verordnung durch Schlucktherapeuten/

Logopäden.

Nahrung nicht gespürt wird, sie kann dann ungehin-dert in den Rachen und in die Lunge gelangen. Beim Schlucken über die gelähmte Seite besteht größte Aspirationsgefahr. Die Kost daher im Mund auf der intakten Zungenseite positionieren und mit Kopfnei-gung zur gesunden Seite schlucken lassen. Der Pati-ent braucht Zeit, damit er in Ruhe kauen, schmecken und schlucken kann. Erfahrungsgemäß kann die Menge von einem Teelöffel (ca. 5mg) am besten ge-schluckt werden. Beachten Sie:

▶ Nicht gleichzeitig sprechen und schlucken. ▶ Regelmäßig Stimme und Nahrungsreste kontrol-lieren, dazu „O“ sagen lassen: Klingt die Stimme feucht, den Patienten zum Räuspern und Schlucken auffordern. Mundinspektion: Sind noch Reste vor-handen, dann nochmal schlucken lassen. Wenn die Stimme klar und der Mund leer ist, die nächste Portion geben.

▶ Bei Husten und Verschlucken ruhig bleiben, nicht klopfen, sondern beruhigen und nachschlucken lassen.

▶ Sobald der Patient wieder selbstständig essen kann, bleiben Sie anfangs noch bei ihm – das gibt ihm Sicherheit.

▶ Patienten mit einer Dysphagie können Tabletten meist am besten mit Apfelmus einnehmen. Die (ganze) Tablette wird dabei auf das Mus gelegt, mit Mus bedeckt („versteckt“) und der Patient aufge-fordert, alles auf einmal herunter zu schlucken. Danach mit Wasser nachtrinken.

▶ Nach dem Essen Mundpflege durchführen, Prothe-se reinigen. Der Patient bleibt noch ca. 20 Minuten aufrecht sitzen, Schluck- und Ernährungsprotokoll führen, Informationen weitergeben.

Nahrungskarenz und enterale Ernährung Einem Patienten, der zunächst oral karent bleiben muss, wird zur Sicherung der Flüssigkeits- und Ka-lorienzufuhr sowie zur Medikamentengabe eine Er-nährungssonde gelegt, in der Regel zunächst eine nasogastrale Sonde, später eine PEG. Der Kostaufbau erfolgt langsam und die Medikamente müssen von

Der normale Schluckvorgang

Der Schluckvorgang besteht aus einer Abfolge von Muskelbewegungen und Mechanismen, die in fein abgestimmter Koordination bewirken, dass Nahrung, Flüssigkeiten, Speichel vom Mund in den Magen gelangen. Der normale Schluckvorgang wird in vier Phasen eingeteilt:

▶ Orale Vorbereitungsphase (Mundphase 1): Die Speise wird in den Mund geführt und – je nach Konsistenz – durch Kauen zerkleinert, mit Speichel vermischt und zu einem Bolus geformt.

▶ Orale Transportphase (Mundphase 2): Durch eine kräftige Zungenbewe-gung wird der Bolus nach hinten befördert, es kommt zur Schluckreflex-auslösung.

▶ Pharyngeale Phase (Rachenphase): Die Schluckreflexauslösung hat zur Fol-ge, dass der Bolus durch den Rachen transportiert wird, die Luftröhre sich schließt, der Kehlkopf sich nach vorne und oben bewegt und die Speise-röhre geöffnet wird. Der Bolus gelangt so in die Speiseröhre.

▶ Ösophageale Phase (Speiseröhrenphase): Der Schließmuskel am Eingang der Speiseröhre öffnet sich kurzzeitig für den Eintritt des Bolus und schließt sich wieder. Danach erfolgt durch peristaltische Bewegungen der Weiter-transport durch die Speiseröhre in den Magen.

TAB. 2 KOSTFORMSTUFE

Stufe 1: Passierte Kost Passierte, dünnbreiige Kost

Stufe 2: Pürierte Kost Dünn- bis dickbreiige Kost

Stufe 3: Weiche Kost (homo-gen) mit püriertem Fleisch

Bietet Kauanreiz

Stufe 4: Weiche Kost (homogen)

Leicht zu kauen

Stufe 5: Adaptierte Vollkost Ausgewählte Vollkost ohne Körner und Krusten

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PflegeKolleg Schlaganfall

Heilberufe / Das P�egemagazin 2013; 65 (10)

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der Apotheke zum Mörsern oder Auflösen freigege-ben sein. Liegt eine Magensonde, sollte parallel eine Schlucktherapie erfolgen. Bei schwersten Schluckstö-rungen, wenn der Patient seinen Speichel nicht mehr schlucken kann, wird eine blockbare Trachealkanüle gebraucht. Sie verhindert eine Aspiration von Speichel und ermöglicht eine ausreichende Belüftung der Lun-ge.

Ein Schlaganfall ist die häufigste Ursache einer Schluckstörung. Etwa 50 % aller Schlaganfallpatienten leiden unter einer akuten Schluckstörung und bei 25 % der Patienten sind die Schluckprobleme dauer-haft (chronische Dysphagie). Eine frühe Diagnose der Schluckstörung und eine sofortige Therapie mit einem auf die individuelle Störung abgestimmten Behandlungskonzept in einem multiprofessionellen Team kann helfen, die Schluckstörung zu reduzieren oder gar zu vermeiden.

▶ Schluckstörungen (Dysphagien) sind ein sehr häufiges Symptom nach einem Schlaganfall und müssen infolge der Aspirationsgefahr sehr ernst genommen werden.

▶ Die spezifischen Anzeichen einer Schluckstörung werden im Pflegealltag leicht übersehen.

▶ Ein frühzeitiges Erkennen mittels eines klinischen Dysphagie-Screenings und die multiprofessionelle Durchführung einer störungsspezifischen Schluck-therapie können die Nahrungsaufnahme und damit ein wichtiges Stück Lebensqualität aufrecht-erhalten.

FA Z IT FÜ R D I E PFLEG E

Christine GebertLogopädin, LSVT Therapeutin Schön Klinik Neustadt Am Kiebitzberg 10 23730 Neustadt/Holstein [email protected]

Svenja FrommannKlinische Linguistin (M.A., M.Sc., bkl.) Asklepios Gesundheitszentrum Harburg Eissendorfer Pferdeweg 52 21075 Hamburg-Harburg [email protected]

Schluck-Screening für P�egekräfte

▶ Voraussetzungen prüfen (Für die Durchführung des Screenings müssen alle fünf Kriterien erfüllt sein)

▶ Der Patient ist wach und ansprechbar, Ja

▶ kann 15 Minuten aufrecht sitzen, Ja

▶ kann willkürlich husten und sich räuspern, Ja

▶ kann seinen Speichel schlucken und Ja

▶ hat keine Lungenentzündung unklarer Ursache. Ja

▶ Test 1: Der Löffeltest

Kann der Patient einen Teelöffel (angefeuchtet) ablecken?

▶ Ja: Dann Test 2 und 3 durchführen.

▶ Nein: Löffeltest wiederholen; Arzt und Logopädin/Schlucktherapeutin informieren!

▶ Test 2: Der Wassertest

Kann der Patient 1. mehrere Löffel Wasser schlucken?2. mehrere Schlucke Wasser hintereinander trinken?3. den Wassertest problemlos und ohne Verschlucken bewerkstelligen?

▶ Ja: Dann alle Getränke möglich, aber Test innerhalb von 12 Stunden wiederholen.

▶ Nein: Dann Arzt und Logopädin/Schlucktherapeutin informieren; geeignete Schluckhilfen absprechen und einleiten (z.B. Getränke andicken und Trinkhilfen auswählen).

▶ Test 3: Die Schluckprüfung (Kostform und Konsistenz)

Kann der Patient 1. mehrere Teelöffel Apfelmus schlucken? 2. ein Stück Graubrot kauen und schlucken?3. ein Stück Apfel kauen und schlucken?4. die Schluckprüfung problemlos und ohne Verschlucken bewerkstelligen?

▶ Ja: Dann Vollkost möglich, aber am ersten Tag noch unter Aufsicht essen.

▶ Nein: Dann Arzt und Logopädin/Schlucktherapeutin informieren; geeignete Kost und Konsistenz festlegen (z.B. pürierte Kost), Schluck- und Esshilfen einleiten.

Sollte einer der Tests nicht durchführbar oder auffällig sein, dann abbrechen und sofort die Schlucktherapeuten/Logopäden informieren.

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