6
SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 66 Schnupp erlehrlinge Von heissen Eisen, stinkenden Hufen und Maniküre mit Riesenfeilen. Die Luzernerin MIKI SUKALE, 32, zieht mit ihrer mobilen Hufschmiede von Rossstall zu Pferderanch. Besonders wild wirds mit jungen, unerfahrenen Rössli. Die halten sie ganz schön auf Trab. Unverschämt umschwärmt Miki Sukale beim Huf- schneiden, auf einem Hof bei Sempach LU, inmitten neugieriger Jungpferde.

Schnupp erlehrlinge - Gueti Gschichte · 2018. 9. 14. · Schnupp erlehrlinge Von heissen Eisen, stinkenden Hufen und Maniküre mit Riesenfeilen. Die Luzernerin MIKI SUKALE, 32, zieht

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Schnupp erlehrlinge - Gueti Gschichte · 2018. 9. 14. · Schnupp erlehrlinge Von heissen Eisen, stinkenden Hufen und Maniküre mit Riesenfeilen. Die Luzernerin MIKI SUKALE, 32, zieht

SCHWEIZER ILLUSTRIERTE66

Schnupp erlehrlinge

Von heissen Eisen, stinkenden Hufen und Maniküre mit Riesenfeilen. Die Luzernerin MIKI SUKALE, 32,

zieht mit ihrer mobilen Hufschmiede von Rossstall zu Pferderanch. Besonders wild wirds

mit jungen, unerfahrenen Rössli. Die halten sie ganz schön auf Trab.Unverschämt

umschwärmt Miki Sukale beim Huf­schneiden, auf einem Hof bei Sempach LU, inmitten neugieriger Jungpferde.

Page 2: Schnupp erlehrlinge - Gueti Gschichte · 2018. 9. 14. · Schnupp erlehrlinge Von heissen Eisen, stinkenden Hufen und Maniküre mit Riesenfeilen. Die Luzernerin MIKI SUKALE, 32, zieht

SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 69

Wie ein Cowboy. Hufnägel statt Revolver

Praktisch Auf Hüfthöhe trägt Miki Magnete, an denen Hufnägel haften. Das er­leichtert ihr die Arbeit enorm.

Ausgerüstet Ihre Schuhe haben Stahl­kappen, die Jeans sind mit ledernen Chaps geschützt, in den Bein­taschen stecken Hufmesser.

Kundschaft Baazin und Shanaya (r.) warten in ihren Pferdeboxen in Menznau LU auf neue Hufeisen.

Page 3: Schnupp erlehrlinge - Gueti Gschichte · 2018. 9. 14. · Schnupp erlehrlinge Von heissen Eisen, stinkenden Hufen und Maniküre mit Riesenfeilen. Die Luzernerin MIKI SUKALE, 32, zieht

71SCHWEIZER ILLUSTRIERTE

Mikis mobile Schmitte Die fix installierte Werkstatt auf der Ladebrücke ihres Pick­ups ist gut durchdacht eingerichtet.

Page 4: Schnupp erlehrlinge - Gueti Gschichte · 2018. 9. 14. · Schnupp erlehrlinge Von heissen Eisen, stinkenden Hufen und Maniküre mit Riesenfeilen. Die Luzernerin MIKI SUKALE, 32, zieht

SCHWEIZER ILLUSTRIERTE SCHWEIZER ILLUSTRIERTE72 73

Fusspflege, Nagelprobe und Huf-Maniküre. Mikis Nail-Studio der etwas anderen ArtKitzelts? Sepp Villiger hält Hengst Baazin fest, damit Miki sich besser auf ihre Arbeit konzen­trieren kann.

Schuhnummer Für jedes Pferd das passende Eisen. Die Roh­linge kauft Miki beim Händler für sieben Fran­ken das Stück.

Rot glühend Im Gasofen werden die Eisen über 1000 Grad heiss. Als Stift wärmte Miki sogar ihr Zmittag darin.

Hufputz Mit einer Renette wird das nach­gewachsene Horn entfernt. Man nennt das Ausschneiden.

Nagel-Clip Nagelenden abgezwickt und in der Horn­wand versenkt, damit sich das Pferd nicht selbst verletzt.

Rossschwanz Immer mehr Frauen lernen Hufschmied. Es gibt gar hoch­sensible Pferde, die sich nur von Frauen be­schlagen lassen.

Page 5: Schnupp erlehrlinge - Gueti Gschichte · 2018. 9. 14. · Schnupp erlehrlinge Von heissen Eisen, stinkenden Hufen und Maniküre mit Riesenfeilen. Die Luzernerin MIKI SUKALE, 32, zieht

SCHWEIZER ILLUSTRIERTE SCHWEIZER ILLUSTRIERTE74 75

TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS REMO NÄGELI

M it ihrer linken Hand umklam-mert sie das Fesselbein des Pferdes und

drückt ihm mit der rechten, mit einer Zange, ein heisses Hufeisen auf den Huf. Das Geräusch erin-nert an ein rohes Steak auf einem überhitzten Grill.

Der Geruch weniger. Es mottet nach verbranntem

Horn. Nach heissem Huf. Di- cker, grau-grünlich aufquellen-der Rauch qualmt alles zu; für ein paar Sekunden ist nichts mehr zu sehen. Und plötzlich, inmitten der beissenden Schwaden – tau-chen zwei Pferdeschwänze auf.

Der eine – lang, schwarz und wild – ist der Rosshaarschweif von Baazin, einem Hengst, «neun-jährig und verfressen», wie sein Besitzer sagt. Beim anderen – kurz, braun und mit einem Gum-miband domestiziert – handelt es sich um die Haartracht von Miki Sukale. «Lady Farrier» steht auf ihrem T-Shirt, Frau Hufschmied, «mit Herz», wie sie selber wirbt.

Der Dorfschmied früher. Ein Mythos, eine Sagenfigur, ein Kli-schee: da verklärt, dort verhasst. Etwas zwischen Held und Barbar. Mal dargestellt als Anführer, stolz, gerecht, furchtlos. Mal ver-schrien als bärbeissiger Kraft-protz, vierschrötig, raubeinig, dauer fluchend, mit Lederschürze, versoffenem Grind und altgerma-nischem Vornamen. So oder so: Schmiede lassen niemanden kalt, erhitzen die Gemüter. Doch diese Märchenzeiten sind vorbei …

Das Nutztier Pferd – Militär-, Acker- und Transportrösser, wie sie bis in die 1960er-Jahre zum

Einsatz kamen (und dann von Traktor und Lkw verdrängt wurden) – hat sich zum Sport- und Freizeitgefährten gewandelt.

Und zum Frauenliebling. 80 Prozent der lizenzierten

Reiter sind Frauen, bei der Pfer-depflege sind es 90 Prozent. Ein-zige Ausnahme: der Hufschmied, ein Knochenjob, ein Männer-beruf. Bisher. Das ändert sich.

Von derzeit 58 Hufschmied-Lehrlingen sind 14 Frauen. Der Berufsverband Farriertec Suisse dazu: «Frauen engagieren sich sehr stark in der Schnupperlehre und erhalten den Ausbildungs-platz aufgrund ihres eisernen Willens. Nach dem Berufsab-schluss ist es für sie eher schwie-rig, im körperlich anspruchs-vollen Job richtig Fuss zu fassen.»

Miki Sukale, 32, arbeitet seit 2005 als Hufschmiedin, vor vier Jahren kaufte sie eine fahrbare Kleinschmiede und machte sich selbstständig. Sie hat Fuss gefasst.

Und ein paar tausend Hufe.Baazin, der Hengst, der ver-

fressene, ist fertig beschlagen. Es ist morgens um neun in Menz-nau LU. Das zweite Ross trabt an, Shanaya, ein arabisches Vollblut. «Ganz en fiini, echli nervös», sagt Hobby-Rösseler Sepp Villiger. Er hat die Hufschmiedin herbestellt, damit sie drei seiner Pferde be-schlägt. Miki hantiere «anders», sagt Villiger. Mit sensiblen Pfer-den könne sie es sehr gut. Pferde, die ungute Erlebnisse mit groben Hufschmieden hatten und sich seither nicht mehr an die Hufe fassen lassen. Ausser von Miki.

Vor dem Stall parkiert ihre mobile Schmitte, ein schwarzer Pick-up Marke Dodge mit Werk-stattaufbau auf der Ladefläche. Darin verstaut, auf engstem Raum, clever ineinander verschachtelt,

sind alle Geräte: ausklappbarer Amboss, Schleifmaschine, Regale voller Hufeisen in allen «Schuh-nummern», ausschwenkbare Es-se (ein Gasöfeli in der Grösse eines Mikrowellenofens) und Schubladen voller Hufnägel für die Fussnagelpflege der Pferde.

Das etwas andere Nail-Studio der Lady Farrier.

Bereit für die Maniküre. Den Oberkörper vornübergebeugt, den Kopf tief gesenkt, das herun-terfliessende, gebundene Haar wie einen Fliegenvorhang vor sich (wo Pferde sind, hats Fliegen in Unmengen), so steht sie da, ge-bückt und breitbeinig. Sie braucht festen Stand – sonst wird sie von ihrer Kundschaft wegbefördert.

Ihre Freizeitschuhe sind mit Stahlkappen verstärkt, die Jeans mit gstabigen Cowboy-Leder-chaps geschützt, an jeder Hüft-seite ein Magnet, an dem Huf-nägel haften. Ähnlich den Revol-ver-Holstern eines Pistoleros.

Wieder Zischen, Rauch, Ge-stank, ein weiteres heisses Huf-eisen brennt sich auf Shanayas Huf fest. Aufrichten nenne das der Schmied, erklärt Miki Suka-le. Übrigens ist ein Hufeisen, so gebietet es das Schmiede-Latein, niemals «heiss», sondern «warm», man spreche darum auch von einem Warmbeschlag, sagt Miki.

Warm? Bei immerhin so um die 1000 Grad, wenn ein Hufeisen glühend aus dem Gasöfeli gezo-gen wird? Noch ein paar hundert Grad, wenn es auf dem Huf zischt? Wirklich nur … warm? Auf Mikis Händen und Armen prangen klei-ne Narben. «Manchmal spickt beim Hämmern Glut weg, oder ich touchiere ein Hufeisen beim Aufrichten», erklärt sie, «das gibt dann halt Verbrennungen.»

Warm.

Glühende Eisen und stinkende Hufe

Schlagfertig Miki trimmt das «warme» Hufeisen (Schmiede sa­gen nie «heiss») in die ge­wünschte Form.

Stinkfuss Das leicht ab­gekühlte Eisen wird auf den Pferdehuf angepasst. Man nennt das Aufrichten.

Ohne Eisen Es gibt auch Hufeisen aus

Plastik, Duplo genannt. Sie

haben hervor­ragende Eigen­

schaften als Stossdämpfer

und werden geklebt statt

genagelt.

u

Page 6: Schnupp erlehrlinge - Gueti Gschichte · 2018. 9. 14. · Schnupp erlehrlinge Von heissen Eisen, stinkenden Hufen und Maniküre mit Riesenfeilen. Die Luzernerin MIKI SUKALE, 32, zieht

SCHWEIZER ILLUSTRIERTE SCHWEIZER ILLUSTRIERTE76 77

Miki Sukale. Ihr Name … «Nein, der stammt sicher nicht aus dem Luzernischen», meint sie in lupenreinem Luzerner Dia-lekt. Aufgewachsen ist Miki in Berlin, mit 13 Jahren wanderte die Familie in die Schweiz aus. Als Kind liest Miki «Bibi & Tina» und «Wendy», die einschlägige Mädchen-Pferde-Literatur. Schon als Sechsjährige lernt sie reiten. Nach der Matura macht sie eine Schnupperlehre als Hufschmie-din. Und weiss bereits am zweiten Tag: Das ist es! Seither schlägt ihr Herz für beschlagene Pferde.

Natürlich hätten zu Lehrbe-ginn gerade die älteren Bauern gebrummelt, als sich der neue Stift als Frau entpuppte, erinnert sich Miki. Es sei auch für sie anfangs nicht leicht gewesen, vor allem körperlich, etwa die schwe-ren Brauereipferde zu beschlagen, «uhuere Viecher sind das!»

Zum Schluss noch Sina. Ein Pony, 20-jährig. Alle sechs bis acht Wochen braucht ein Ross neue Hufeisen. Mit einer Zange zieht Miki die alten Hufnägel, dann das abgewetzte Eisen von Sinas Huf. Mit einer Renette, ei-nem Messer mit gebogener Spitze, schneidet sie nachgewachsenes Horn ab, raspelt mit einer Feile in Kinderskigrösse die Huffläche und kontrolliert auf Fäulnis oder Abszesse. Hufeisen werden er-hitzt und auf dem Amboss in die gewünschte Form gehämmert.

Danach kommt das Anpassen mit dem heiss … äh, warmen Huf-eisen. Wenns passt, wird das Eisen mit sechs Nägeln auf den Huf geschlagen. Hei-kel. Die Nägel dürfen nur innerhalb eines Be-reichs von zwei bis vier Millime-tern eingeschlagen werden. Zu

weit aussen, und das Horn split-tert wie Holz, zu weit innen, «und es goht is Läbige», sagt Miki.

Sie spricht beim Arbeiten auf Sina ein, sagt «jo, isch guet» oder «schön locker loh» und «feini Muus». Innert Minuten muss sie den Charakter eines Tieres ein-schätzen, seine Körpersprache deuten, ob es zutraulich, scheu oder grantig ist. Ob es ausschlägt. Später, beim Znünikaffee, wird Miki von blauen Oberschenkeln, schmerzenden Schienbeinen und geprellten Rippen erzählen.

Pro Ross nimmt sie sich einein-halb Stunden Zeit und verlangt 210 Franken. In der Lehre hätte sie im Tag bis zu 15 Pferde beschlagen. «Da spürt man dann abends Knie, Handgelenke und Rücken.»

Die mobile Schmitte wird eingeklappt, Lady Farrier zieht weiter. Die schwere Werkstatt aufgesattelt, mööget der Dodge-Motor wie eine brünftige Kuh.

Nächster Kunde, neue Rössli. Ein Hof in Sempach Station. Miki besucht eine Gruppe Fohlen und Jungpferde, ein- bis dreijährig, die noch keine Hufeisen tragen und barhuf herumtollen. Sie soll ihnen die Hufe schneiden.

Die Rössli im Freilaufstall sind übermütig und neugierig. Für sie ist das alles neu. Miki wird beim Arbeiten belagert, beschnuppert, gestupst, abgeschleckt, sogar an ihrem Rossschwanz knabbern die Rosskinder. Eines der Pferde bockt, macht einen auf Diva, und als Miki sich dann doch endlich einen Huf zwischen ihre lederge-

schützten Beine klemmen kann, schlägt es aus – und

Miki wird wegkatapul-tiert. «Du bisch ä Häx!»,

ist alles, was sie zur Sün-derin sagt. Keine Spur von

Wut: «Das sind halt junge

Rössli, sie müssen sich an die Barhufpflege erst gewöhnen.» Es stellt sich heraus, dass das di-venhafte Fohlen Princess heisst. «So typisch», meint Miki, «Weiber sind immer zickig!»

Am Schluss der Übung, nach acht Tieren und über zwei Stun-den, ist Miki geschafft, hat rote Backen und blaue Flecken. Aber sie lacht, es sei doch herrlich, so junge, übermütige Rössli! Wie ein Kindergarten komme ihr das vor.

Erst beim Wegfahren vom Hof entdeckt Miki ein Schild, das über der Stalltür angebracht ist. Da rauf steht «Kindergarten».

Hoch über Wauwil LU ist Miki daheim. Auf ihrem Reithof «Farrierranch», mit 20 Pferden und Ponys, eigenen und Pensio-nären. Zweimal die Woche erteilt sie am Nachmittag Reitunterricht. «Eine gute Abwechslung zum Hufschmieden», versichert sie, setzt einen Reithelm auf und greift mit den Händen hinter den Nacken, um ihr Haar zu verkno-ten. Wie ihre Bizepse spielen …

Was ist das Schönste am Hufschmieden? Miki Sukale sagt: «Mit der richtigen Hufpflege und den passenden Hufeisen kann ich einem Pferd enorm helfen, kann seinen Gang korrigieren, ortho-pädische Probleme beheben und seinen ganzen Bewegungsapparat positiv beeinflussen.»

Sie liebt ihren Beruf, obwohl es ein Knochenjob sei. Von Vorteil, wenn man zäh ist. Eine Rossnatur. Mit viel Erfahrung, guter Technik und auch etwas Glück möchte sie in dem Job alt werden. Etwas Glück … Wer mit so vielen Huf-eisen hantiert, hat ja wohl mehr als genug davon. Sie lächelt. Sagt, es gäbe drum noch mehr Glücks-bringer in ihrem Leben.

Ihr Freund ist Kaminfeger.

Bei dem Job kommen die Muskeln von allein

Schlagkraft Miki zieht ihren Reithelm an und knotet ihr Haar. Dabei kommen ihre Bizepse zur Geltung.

Reitschule Auf ihrem Hof Farrierranch in Wauwil LU erteilt Miki drei Kindern Reitunterricht.

Hoch zu Ross Miki reitet, seit sie sechsjährig war. Hier auf ihrem Pferd

Silencio. Infos zu Miki: ladyfarrier.ch

u