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Vorlesung „Einführung in die Bildungswissenschaft“ (SS 2012) Dr. Hans-Peter Gerstner / Markus Popp (09.05.2011) Schwerpunkt 2: Theorien der Erziehungs- und Bildungswissenschaft (Teil 2) Begrüßung - Organisatorisches Vortrag: „Theorien der Erziehungs- und Bildungswissenschaft“ Input: Kurzfilm: „The colour changing card trickArbeitsphase Aussprache Vortrag: „Theorien der Erziehungs- und Bildungswissenschaft“ Impulsfrage: Was muss eine Theorie der Erziehungs- und Bildungswissenschaft Ihrer Ansicht nach beinhalten? Aussprache - Diskussion

Schwerpunkt 2: Theorien der Erziehungs- und ...gerstner/120509-V-Theorien2.pdf · Herbert Mead (1863-1931), Charles Sanders Peirce (1839-1914) und John Dewey (1859-1951). Pragmatismus

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Vorlesung „Einführung in die Bildungswissenschaft“ (SS 2012)

Dr. Hans-Peter Gerstner / Markus Popp

(09.05.2011)

Schwerpunkt 2:

Theorien der Erziehungs- und Bildungswissenschaft (Teil 2)

• Begrüßung - Organisatorisches

• Vortrag: „Theorien der Erziehungs- und Bildungswissenschaft“

• Input: Kurzfilm: „The colour changing card trick“

• Arbeitsphase – Aussprache

• Vortrag: „Theorien der Erziehungs- und Bildungswissenschaft“

• Impulsfrage: Was muss eine Theorie der Erziehungs- und

Bildungswissenschaft Ihrer Ansicht nach beinhalten?

• Aussprache - Diskussion

Als Begründer der strukturfunktionalen Systemtheorie kann Talcott Parsons

(1902 – 1979) gelten. Sein Schüler Robert Dreeben hat in seinem Buch „On

what is learned in school“ 1968 akribischer und detailgenauer die Annahmen

Parsons ausgearbeitet.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

• Parsons soziologische Wissenschaftsrichtung wird als

»strukturfunktionalistische Systemtheorie« bezeichnet.

• Gesellschaften gelten als komplexe Systeme, die zu ihrem Fortbestand

Strukturen entwickeln, welche spezifische Funktionen für die

Bestandserhaltung des Gesamtsystems erfüllen.

• Für die Stabilität von Gesellschaftssystemen ist die »Zusammenarbeit«

der verschiedenen »Teilsysteme« der Gesellschaft erforderlich, die

unterschiedliche Beiträge (Funktionen) für das gesellschaftliche

Gesamtsystem erbringen.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

• Das ökonomische Teilsystem produziert die materiellen Ressourcen,

Waren und Dienstleistungen für das Überleben der Gesellschaft.

• Das politische Teilsystem entwickelt Zielvorgaben, gleicht Interessen aus

und erlässt Gesetze.

• Das Teilsystem des Bildungswesens sorgt dafür, dass sich die Menschen

in das gesellschaftliche System integrieren und ihrer Leistung gemäß

bestimmte gesellschaftliche Positionen besetzen können.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

Ausgangspunkt: die Interaktionssituation zwischen zwei Personen

Das Set an normativen Interaktionsmustern steuert dann das Verhalten der

Individuen und liefert ihnen einen Bezugsrahmen (»frame of reference«)

gemeinsam geteilter Bedeutungen. Damit ist ein unabhängiges soziales

System mit gemeinsam geteilten Werten, gemeinsam entwickelten

Rollenerwartungen und einer verbindlichen Mitgliedschaft entstanden.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

Um das Handeln der Personen zu verstehen, entwickelt Parsons die

Begriffspaare der Pattern Variables.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

Affektivität

→ ← Affektive

Neutralität

Kollektiv-

Orientierung

Selbst-

Orientierung

Partikularismus

Universalismus

Zuschreibung

Leistung

Diffusität

Spezifität

Sozialisation hat nach Parsons die Aufgabe, den Heranwachsenden einer

Gesellschaft die Fähigkeit zum Handeln in Rollen beizubringen und dafür zu

sorgen, dass sie die Wertorientierungen einer Gesellschaft im Interesse der

Bestandserhaltung des Gesamtsystems und seiner Teilsysteme als

Orientierungsmuster des Handelns übernehmen.

Die Heranwachsenden lernen dabei unterschiedliche Arten von Rollenspielen

auseinander zu halten, ihr Handeln auf die jeweils geltenden Spielregeln

einzurichten und sich mit den an die Rollen geknüpften Erwartungen zu

identifizieren.

Diese Sozialisationsaufgabe kann nach Parsons in modernen, sich in spezi-

fische Systeme differenzierenden Gesellschaften, in denen universalisti-

sches, neutrales und an Leistung orientiertes Rollenverhalten erwartet

wird, von der »Sozialisationsinstanz« Familie so nicht geleistet werden, da

deren eigene Spielregeln partikular, diffus, affektiv und an Zuschreibung

ausgerichtet sind.

Schulen sollen diese Aufgabe in modernen Gesellschaften übernehmen.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

Schule macht aus anfänglicher Gleichheit Differenz - entsprechend den

schulischen und nicht mehr entlang der familialen Muster.

Dieses Elementarmodell von Schule muss seine analytische Kraft erst in der

empirischen Überprüfung zeigen. Vieles, was wir über schulische Leistungsbe-

urteilung und Schulerfolg wissen, widerspricht dem von Parsons angenomme-

nen unpersönlich-universalistischen Leistungsmuster.

So ist empirisch zweifelsfrei erwiesen, dass Lehrer Leistung nicht objektiv be-

urteilen, sondern systematisch askriptiv-partikularistische Tendenzen in

ihrer Leistungsbeurteilung verfolgen.

Zudem lässt sich mit Bestimmtheit sagen, dass Schüler sicher nicht mit glei-

cher Ausstattung in die Schule kommen. Die Selektion, die der schulischen

Leistungssituation zugeschrieben wird, erfolgt außerhalb der Schule.

Gegenüber dem vermeintlichen Leistungsuniversalismus betreten die Schüler

schon als Ungleiche das Klassenzimmer. Der Schulerfolg wird von der

sozialen Herkunft bestimmt und nicht von der Leistungsfähigkeit.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

Als Gegenpol gegenüber der harmonischen Vorstellung von Parsons kann die

Theoriebildung des französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1930 - 2002)

verstanden werden.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

Bourdieus strukturelle Gesellschaftsanalysen haben im Vergleich zu Parsons

eine gesellschaftskritische Spitze:

Die unterschiedlichen Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensformen, welche

die Handelnden abhängig von ihrer Stellung im sozialen Raum in ihrem

Habitus erkennen lassen, werden in der Gesellschaft gerade nicht als

gleichwertig anerkannt, sondern finden ihr Maß auch und besonders in der

Schule an der schmalen oberen Schicht.

Das bedeutet auch, dass die Mehrheit der Bevölkerung kaum die Chance hat,

den «guten« und «richtigen« Geschmack zu erwerben, der im Wettbewerb um

soziale Anerkennung und Vorrechte die höchste Rendite abwirft.

Die jeweilige Position im sozialen Raum hängt nach Bourdieu vom

»Kapitalvolumen« einer Person ab, das sich nicht nur aus ökonomischem

Kapital zusammensetzt, sondern auch aus kulturellem und sozialem Kapital.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

Einwände gegen den Strukturfunktionalismus

Parsons wie Bourdieu scheinen in ihren Konzeptionen hinter die schon

erreichten Positionen der europäischen Aufklärung zurückzufallen.

Parsons dadurch, dass er formale Freiheit und formale Gleichheit schon für

die ganze verwirklichte Freiheit und die ganze verwirklichte Gleichheit

nimmt. Bourdieu dadurch, dass in seiner soziologischen Analyse die Freiheit

keinen systematischen Platz hat, sondern der individuellen Entscheidung

anheim gegeben ist.

Die Funktionen der Schule können mit Bourdieuschen negativen Vorzeichen

versehen auch als Deformierung der menschlichen Natur durch die Schule

verstanden werden, da durch diese schulische Sozialisation Menschen

lediglich nach dem Kriterium der Leistung sortiert und bewertet werden.

Das Schulsystem muss dann notwendig „defizient“ bleiben, da es notwendiger-

weise Erfolgreiche und Versager produziert und andere Momente, die einen

Menschen als wertvoll erscheinen lassen, systematisch ausblendet.

Der idealtypische Grundzug funktionaler Analysen kann bei der Konfrontation

mit der Realität und der Faktizität der Schule auch als verklärende

Rechtfertigung der häufig mangelhaft erscheinenden schulischen Verhältnisse

verstanden werden.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

In Auseinandersetzung und Fortentwicklung der strukturfunktionalistischen

Systemtheorie von Parsons entwickelt der Bielefelder Soziologe Niklas

Luhmann (1927 – 1998) seine Fassung der soziologischen Systemtheorie.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

Grundgedanken

Luhmanns Systemtheorie stellt ein Begriffssystem zur Beschreibung sozialer

Prozesse dar. Allerdings wird nicht mehr von einer vorgängigen Übereinstim-

mung von Individuum und Gesellschaft ausgegangen, sondern Ausgangspunkt

ist der Unterschied zwischen beiden.

Soziale Systeme werden durch die Grenze zwischen System und Umwelt

bestimmt.

Die Systemdifferenzierung ist die Weiterentwicklung der System-Umwelt-

Differenz innerhalb eines Systems. In einem System bilden sich Teilsysteme

aus, die spezifische Aufgaben übernehmen.

Auf der Basis dieser vielstufigen System-Umwelt-Unterscheidungen lassen sich

dann Elemente eines sozialen Systems erkennen.

Diese Elemente sind Ereignisse von Kommunikation, keine Personen. Eine

soziale Beziehung ist dann die Organisation von Differenzen in doppelter

Kontingenz.

Soziale Systeme sind autopoietisch respektive selbstreferentiell.

Aus der Selbstreferenz sozialer Systeme entsteht deren Komplexität. Also

muss Komplexität reduziert werden.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

Systemtheorie und Erziehungswissenschaft

Vertreter der Systemtheorie im Bereich der Erziehungswissenschaft sind etwa

Heinz-Elmar Tenorth (1944) für Erziehungsgeschichte und Bildungsadmini-

stration, Dieter Lenzen (1947) für Erziehungsphilosophie oder Jochen Kade

(1943) für die Erwachsenenbildung.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

Luhmann macht deutlich, in welcher Intensität die Reformresistenz der deut-

schen Schule den Mechanismen von Schule als autopoietischem, aus sich

selbst heraus erschaffendem System geschuldet ist.

Er fragt danach, wie sich schulische Formen der Problembearbeitung ver-

stetigen. Unter seiner gesellschaftstheoretischen Perspektive rücken die Selek-

tionsaufgaben der Schule dabei zur zentralen Funktionsbestimmung auf.

Die zentrale Aufgabe des Schulwesens ist, Handlungsmöglichkeiten zu

eröffnen, auf deren Grundlage ein „besseres oder schlechteres

Abschneiden“ unterscheidbar wird.

Schule behandelt dazu nicht-trivial Lernende als Trivialmaschinen, die auf

einen bestimmten Input dank einer gespeicherten Regel einen bestimmten

Output produzieren.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

Einwände gegen die systemtheoretische Konzeption

Luhmann versteht Kommunikation als Element sozialer Systeme und nicht

Personen, damit vernachlässigt er die Person des Kindes, des Jugendlichen,

des Erwachsenen, des Pädagogen.

Was als soziologische Verunsicherung (Perturbation) sinnvoll sein mag, bietet

pädagogisch keine Orientierungsinhalte, keine Zukunftsperspektiven und

keine Kriterien für pädagogische Interventionen. Die praktischen pädagogi-

schen Fragen werden als technologische reformuliert und können so nicht

mehr diskursiv bearbeitet werden.

Luhmann reduziert die Komplexität der Schule sowohl hinsichtlich des

Unterrichts als auch der Bildung allzu sehr.

Selbst in der Schule gibt es Bildungsmöglichkeiten, so dass Schüler die

Erfahrung machen können, dass es die Dimension der Bildung in der Schule

auch gibt, selbst wenn sie nicht immer verwirklicht werden kann.

Unterricht nähert sich gegenwärtig einer reflexiven Bildung der Schüler selbst

an, die mit Hilfe anderer Menschen und in Auseinandersetzung mit einem

Sachverhalt geschieht. Um sich auf Neues und Anderes einzulassen, müssen

die Reflexionsschleifen nichttrivialer Maschinen notwendig aufgenommen sein,

die längst zur Richtschnur schulischen Lehrens und Lernens geworden sind.

Strukturfunktionalismus und Systemtheorie

Anders als die strukturfunktionalistische Systemtheorie untersuchen der

Pragmatismus und der Symbolische Interaktionismus nicht die soziale

Makroperspektive, sondern die Mikroperspektive des sozialen Handelns. Der

amerikanische Pragmatismus ist verbunden etwa mit den Namen George

Herbert Mead (1863-1931), Charles Sanders Peirce (1839-1914) und John

Dewey (1859-1951).

Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus

Grundlagen des Pragmatismus

Der Pragmatismus wendet sich von der Metaphysik ab und richtet den Blick auf

das Handeln und dessen Folgen. Erkenntnis wird als ein intersubjektiv

vermittelter Zeichenprozess verstanden, dessen Bedeutung in den möglichen

Folgen des Gebrauchs dieser Zeichen liegt. Die Bedeutungszuweisung beruht

auf einer sozialen Konvention.

Die Sicherheit wird nicht durch die Suche nach absoluter Gewissheit durch

kognitive Mittel gewonnen, sondern durch praktische Mittel.

Der Blickwinkel geht nicht deduktiv von einer Gesamtgesellschaft aus auf

Subsysteme und soziale Akteure, sondern induktiv von Individuen und wie

diese die Gesellschaft konstituieren.

Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus

Grundlagen des Pragmatismus

Menschen reagieren daher nicht auf Reize, sondern handeln aufgrund der

Bedeutung, die sie einer Situation geben.

Gesellschaft entsteht dadurch, dass die Individuen miteinander in einen

Austausch treten. Gesellschaft wird durch die Interaktion der Individuen

konstituiert.

Gegenstände, Personen und Situationen besitzen für alle Personen einer

Gruppe eine gemeinsame Bedeutung, die durch Regeln festgelegt ist.

Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus

Grundlagen des Pragmatismus

Symbole entstehen dadurch, dass ein Ego die Gesten von Alter wahrnimmt. In

Handlungen werden diese als Symbole signifikant, Ego antizipiert das

Verhalten von Alter und stimmt seine Handlungen darauf ab.

Der Symbolische Interaktionismus erhält einen Erklärungsansatz für die

Identitätsbildung von Kindern und die Weiterentwicklung von Erwachsenen,

in ihm steckt eine Theorie der Sozialisation. Das Selbst bildet sich dabei

zunächst in der Über- und Vorwegnahme der Reaktionen konkreter einzelner

signifikanter Anderer, später in der Übernahme verallgemeinerter

Reaktionsmuster, eines generalisierten Anderen.

Role-Taking – Role-Making

Gegenstände, Personen und Situationen besitzen für eine Person auch eine

subjektive Bedeutung, bei der allgemeine Verhaltensregeln von der Person

interpretiert werden.

Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus

Wichtige Autoren des Symbolischen Interaktionismus waren unter anderem

Herbert Blumer (1900-1987), auf den die Bezeichnung „Symbolischer

Interaktionismus“ zurückgeht, Erving Goffman (1922-1982), der die

Präsentationen des Selbst im Alltagsleben untersuchte, und Anselm Strauss

(1916 - 1996), der den Ansatz der Grounded Theory entwickelte.

Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus

Folgerungen für die Pädagogik

Kennzeichen schulischer Interaktion nach dem Symbolischen Interaktionismus

ist, dass in der Schule als Institution die Deutungsmacht ungleich verteilt ist.

In der Schule bilden sich stabilisierte Verhaltenserwartungen und Erwar-

tungserwartungen über das Lehrer- und das Schülerverhalten aus. Auf bei-

den Seiten wird typisiert und etikettiert. Deswegen werden etwa wird Kindern

aus „bildungsfernen“ Milieus mangelnde Leistungsfähigkeit zugeschrieben und

ihre Potenziale übersehen und nicht gefördert.

Pygmalion und Andorra Effekt

Die Form von Schule oder institutionalisiertem Lehren und Lernen hat mit dem

Symbol „Schule“ verbundene Rollen ausgebildet, deren Erwartungen und

Erwartungserwartungen den Akteuren immer schon präsent sind.

Die mit Schule verbundenen Rollen und Erwartungen sind relativ statisch.

Dies hat mehrere Ursachen: Schule ist eine stark verregelte Institution, die

Fluktuation der Akteure, vor allem der Lehrkräfte, ist vergleichsweise gering,

die Interaktionen sind nach einem asymmetrischen Muster angelegt.

Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus

Einwände gegen Pragmatismus und Symbolischen Interaktionismus

Das interpretative Paradigma hat sich als Gegenposition zu funktionalisti-

schen Vorstellungen entwickelt. Das Subjekt hat im Symbolischen Interaktionis-

mus eine empirische wie auch normative Bedeutung zurückbekommen,

allerdings fehlt der Blick auf die Makroperspektive der gesellschaftlich

vorhandenen Strukturen. Gesellschaftliche Brauchbarkeit wird zu utilitaristi-

scher Nützlichkeit, wenn Handeln nur individualistisch betrachtet wird.

Der allgemeine Ansatz muss, um die Bedingungen für eine gelingende

Interaktion und eine gelingende Identitätsbildung zu bestimmen, erweitert

werden durch Rollendistanz, Ambiguitätstoleranz, Frustrationstoleranz

und Empathie.

Ein zentrales Problem bleibt die fehlende forschungsmethodische Absicherung,

da die Forderung, die Methoden der im Alltag handelnden Personen auch für

die Wissenschaft zu übernehmen, sie auch anfällig für die Irrtümer und

Missverständnisse des Alltags macht.

Wertfragen werden im Pragmatismus und Symbolischen Interaktionismus

letztlich auf den Erfolg des Handelns reduziert.

Pragmatismus und Symbolischer Interaktionismus

Arbeitsfragen zum Film „The colour changing

card trick “:

Welche Folgerungen ergeben sich hieraus für

die Wahrnehmung und das Wirklichkeits-

verständnis?

Alle genannten Theoriekonzeptionen verstehen sich als konstruktiv und

konstruktivistisch, indem sie aussagen, dass wissenschaftliche Erkenntnis ein

Ergebnis menschlicher Konstruktionstätigkeit ist.

Vertreter des radikalen Konstruktivismus sind etwa Ernst von Glasersfeld

(1917-2010) und Humberto R. Maturana (1928); ein Vertreter des sozialen

Konstruktivismus ist Kenneth J. Gergen (1934).

Konstruktivismus

Grundpositionen

Der Konstruktivismus wendet sich gegen die These, dass Kriterium für

Wissenschaftlichkeit die Übereinstimmung von Aussagen mit der Wirklichkeit

ist. Die adaequatio rei et intellecti wird aufgegeben.

Die Erkenntnis ist stets im Zusammenhang mit dem Beobachter zu sehen.

Eine vom Beobachter unabhängige Erkenntnis gibt es nicht.

Beobachtung und Beschreibung setzen Differenzierungen voraus, die sich

nicht aus der Wirklichkeit ergeben, sondern von dem jeweiligen Beobachter

getroffen werden.

Die Unterscheidungen werden in Handlungszusammenhängen vollzogen. Die

Brauchbarkeit in solchen Handlungszusammenhängen entscheidet über die

Angemessenheit der Unterscheidung.

Konstruktivismus

Die Bedeutung für die wissenschaftstheoretische Grundlegung der

Bildungs- und Erziehungswissenschaft

Bildungs- und erziehungswissenschaftliche Konzepte haben unterschiedliche

Begriffe als Fundament. Diese Begriffe sind nicht aus der Wirklichkeit abzulei-

ten, daher macht es keinen Sinn zu sagen, dass die Erziehungspraxis Ver-

halten, Handeln oder System ist, sondern Verhalten, Handlung, System sind

unsere begrifflichen Konstruktionen, die wir jeweils der bildungswissen-

schaftlichen Forschung und dem pädagogischen Handeln zugrunde legen.

Die begriffliche Unterscheidungen als Fundament erziehungswissenschaftli-

cher Theorien stehen in Handlungszusammenhängen. Dann lassen sich die

Begriffssysteme der Verhaltenstheorie, der Handlungstheorie und der System-

theorie nur mit Blick auf ihrer praktischen Konsequenzen diskutieren und

beurteilen. Helfen diese Begriffssysteme das pädagogische Handeln verläss-

lich zu leiten? Wie gehen Pädagoginnen und Pädagogen auf der Basis dieses

Begriffssystems mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen um?

Konstruktivismus

Probleme und Einwände

Zur Begründung des Konstruktivismus wird als Argumentationsbasis auf

das Wissenschaftskonzept der Naturwissenschaften zurückgegriffen, obwohl

dieses von ihm selbst kritisiert wird.

Auf dem Boden des bildungs- und erziehungswissenschaftlichen Konstruktivis-

mus werden jede Menge pädagogischer Forderungen, Methoden und

Verfahrensweisen empfohlen, die zwar jeweils plausibel sein mögen, aber sie

lassen sich nicht aus der Theorie ableiten wie etwa die normativen

Setzungen der geisteswissenschaftlichen Pädagogik.

In ihm entfällt die Möglichkeit von Bildung in einem gemeinsamen Entwurf

von Welt. Weder radikale Individualisierungen noch systemtheoretische

Auflösungen der Lernenden im System können eine Theorie sozialer

Konstruktion ersetzen, in der mit dem Begriff Tätigkeit und dem Begriff Praxis

die Wirklichkeit als historisch-gesellschaftlich konstruierte gefasst wird.

Als ein wissenschaftstheoretisches Konzept kann der Konstruktivismus Ar-

gumente zur Beurteilung anderer Wissenschaftskonzepte liefern, dann aber

müssen wir uns die Frage stellen:

Welche pädagogische Praxis wollen wir?

Konstruktivismus

Zusammenfassende Schlussbemerkung

Die Theorie der Bildungs- und Erziehungswissenschaft gibt es nicht,

sondern es gibt verschiedene erziehungswissenschaftliche Konzepte, die sich

in den Grundbegriffen (Verhalten, Handeln, System), den Forschungsmetho-

den (Quantitative Empirie, Hermeneutik, Rekonstruktion) und den Folgen für

praktisches Handeln unterscheiden.

Die Bildungs- und Erziehungswissenschaft ist daher durch einen Theorien-

und Methodenpluralismus gekennzeichnet.

Diese unterschiedlichen Konzepte widerstreiten sich, haben aber auch hinsicht-

lich der Forschungsmethoden, der Ergebnisse und der praktischen Folgen

einen Überschneidungsbereich.

Bildungs- und Erziehungswissenschaft haben ihr Ziel nicht nur in der Erkennt-

nis der pädagogischen Wirklichkeit, sondern sie sind auch auf das prakti-

sche Handeln in pädagogischen Situationen bezogen.

Damit sind die Theorien nicht als ein System genereller Gesetzesaussagen

bestimmt, sondern können als Werkzeugkoffer betrachtet werden.

Theorien der Bildungs- und Erziehungswissenschaft

Impulsfrage:

Was muss eine Theorie der Erziehungs- und Bildungswissenschaft Ihrer

Ansicht nach beinhalten?

Fachwissenschaftler an einem Untersuchungsgegenstand - die Erkennt-

nis ist jeweils anders:

Das Bild beschreibt ein Gleichnis von Hampden-Turner "Sechs blinde Weise

versuchen, einen Elefanten durch Tasten zu erkennen. Der erste fühlt seinen

Stoßzahn und vergleicht den Elefanten mit einem Speer. Der zweite ertastet

die Flanke und beschreibt ihn als Wand. Der dritte hat ein Bein vor sich, was

ihn auf die Ähnlichkeit mit einem Baum verweisen läßt. Der vierte fühlt den

Rüssel und vergleicht den Elefanten mit einer Schlange, der fünfte betastet das

Ohr und zieht den Vergleich mit einem Fächer; der letzte schließlich gerät an

den Schwanz und besteht auf der Ähnlichkeit mit einem Seil. Das Ergebnis ist

ein großer Streit: Jeder beharrt auf seinen Erkenntnissen – jeder hat recht, was

den jeweiligen Körperteil betrifft, und alle haben unrecht, weil keiner das Tier

als Ganzes erfaßt hat."

Hampden-Turner 1983, zit. nach Schräder-Naef 1993, S. 22 in Schräder-Naef,

Regula D.: Informationsflut. 3., überarb. u. erg. Aufl. – Weinheim 1993

Impulsfrage:

• Was muss eine Theorie der Erziehungs-

und Bildungswissenschaft Ihrer Ansicht

nach beinhalten?