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1 Schwerpunktbereich Deutsches und Europäisches Privatversicherungsrecht Besonderes Versicherungsvertragsrecht I/1 Grundzüge des Rechts der Personenversicherung Skript Von Prof. Dr. Roland Rixecker [Das Skript ist kein Mitschnitt der Vorlesung. Es gibt die Struktur der Vorlesung wieder, schildert die besprochenen Fälle – Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs oder der Oberlandesgerichte – unter Angabe der (zum Nachlesen gedachten) Fundstelle – ohne Wiedergabe einer ausführlichen Lösung, enthält Klausurbeispiele (Aufgabe und Gliederung der Lösung) und weiter führende Hinweise. Auf diese Weise soll das Skript sowohl informieren als auch zu der eigenständigen Erarbeitung rechtlicher Probleme anregen. Insoweit enthält es keine vollständige Darstellung eines Rechtsgebiets sondern eine kasuistische Annäherung an im Alltag des Versicherungsvertragsrechts relevante Probleme, deren mosaikhafte Zusammenstellung dazu dienen soll, ein Gesamtbild anzudeuten und in einzelnen Teilen zu veranschaulichen]. Die Vorlesung stellt verschiedene Fälle dar, um die rechtspraktischen Probleme des Schwerpunktbereichs insoweit zu veranschaulichen. Es wird erwartet, dass die Studierenden die zitierten und besprochenen Entscheidungen nachlesen.

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Schwerpunktbereich Deutsches und Europäisches

Privatversicherungsrecht

Besonderes Versicherungsvertragsrecht I/1

Grundzüge des Rechts der Personenversicherung

Skript

Von Prof. Dr. Roland Rixecker

[Das Skript ist kein Mitschnitt der Vorlesung. Es gibt die Struktur der Vorlesung wieder,

schildert die besprochenen Fälle – Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs oder der

Oberlandesgerichte – unter Angabe der (zum Nachlesen gedachten) Fundstelle – ohne

Wiedergabe einer ausführlichen Lösung, enthält Klausurbeispiele (Aufgabe und Gliederung

der Lösung) und weiter führende Hinweise. Auf diese Weise soll das Skript sowohl

informieren als auch zu der eigenständigen Erarbeitung rechtlicher Probleme anregen.

Insoweit enthält es keine vollständige Darstellung eines Rechtsgebiets sondern eine

kasuistische Annäherung an im Alltag des Versicherungsvertragsrechts relevante Probleme,

deren mosaikhafte Zusammenstellung dazu dienen soll, ein Gesamtbild anzudeuten und in

einzelnen Teilen zu veranschaulichen].

Die Vorlesung stellt verschiedene Fälle dar, um die rechtspraktischen Probleme des

Schwerpunktbereichs insoweit zu veranschaulichen. Es wird erwartet, dass die

Studierenden die zitierten und besprochenen Entscheidungen nachlesen.

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Abschnitt 1

Grundzüge des Rechts der Unfallversicherung

§§ 178 – 191 VVG

(AVB: AUB 2014)

(Fundstelle: www.gdv.de)

1. Grundlagen und Abgrenzung

Zweck:

Private Absicherung vor den finanziellen Folgen (Personenschäden) eines Unfalls.

Abgrenzung zur gesetzlichen Unfallversicherung, die in SGB VII geregelt ist, und die

(nur) Schäden infolge von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten

gesundheitlichen Gefahren deckt, dafür aber über die private Unfallversicherung

hinaus die Funktionen „Prävention, Rehabilitation und Entschädigung“ (§ 1 SGB VII)

deckt. Neuere Bedingungswerke sehen über die Entschädigung hinaus weitere

Leistungen („managed care“) vor (Hilfen im alltäglichen Leben).

Art:

Personenversicherung: Schutz des VN oder der VP gewissen, durch einen Unfall

eingetretenen wirtschaftlichen Nachteilen

Summenversicherung: Versprechen von Leistungen ohne Nachweis eines konkret

eingetretenen Schadens.

Teilweise Schadensversicherung: Zahlung von Tagegeld oder von Heilungskosten.

2. Versicherungsfall: Unfall

a. Regelfall

Die versicherte Person erleidet durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper

einwirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung.

„Tödliche Schokolade“

BGH 23.10.2013 - IV ZR 98/12 – VersR 2013, 1570

Die mitversicherte K litt an einer angeborenen schweren Entwicklungsstörung (Trisomie 18) sowie an Asthma und an einer schweren Allergie gegen Nüsse. Am Heiligabend 2009 nahm K aus der Weihnachtsdekoration nusshaltige Schokolade und verzehrte sie. Sofort schwollen die Atemwege zu und K erlitt einen tödlichen

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Kreislaufzusammenbruch. VN verlangt die Todesfallleistung, VR beruft sich darauf, der Tod sei allein durch Vorgänge im Körperinnern ausgelöst worden.

1.Versicherungsfall eingetreten? (Beweislast: VN. Maßstab: § 286 ZPO)

Versicherungsfall ist nach § 178 das Unfallereignis (von außen plötzlich auf den

Körper wirkendes Ereignis). VVG kennt kein „Unmittelbarkeitserfordernis“.

(a) „Einwirkung von außen auf den Körper“?

Der Verzehr der Schokolade hat auf die Mundschleimhaut eingewirkt. Dass daraufhin

„im Körper“ allergische Reaktionen ausgelöst wurden ist unerheblich. Folglich liegt

ein „Kontakt des Körpers mit der Außenwelt“ vor.

[Vergleichbar: Sturz auf Skipiste, Ertrinken / Anders: Ersticken an erbrochener

Nahrung nach Einführung einer Magensonde]

(b) Plötzlich

Entweder in zeitlicher Hinsicht objektiv kurzfristige (und nicht allmählich) oder in

subjektiver Hinsicht unerwartete und unentrinnbare Geschehnisse.

2.Unfreiwilligkeit? (§ 178 Abs. 2 Satz 2 VVG) (Beweislast: VR. Maßstab: § 286 ZPO))

Freiwilligkeitserfordernis bezieht sich nicht auf das Unfallereignis (vP hat die

Schokoladenplätzen freiwillig gegessen), sondern auf die Unfallfolge.

3.Ereignisfolge (Invalidität oder Tod)? (Beweislast: VN, Maßstab: § 287 ZPO)

VP ist verstorben.

„Die liebe böse Sonne“

OLG Saarbrücken 13.03.2013 – 5 U 343/12 – NJW-RR 2014, 101VN befährt eine bewaldete Landstraße. Nach einer Kurve auf einer Lichtung blendet ihn plötzlich das Sonnenlicht; er wendet den Kopf ab, ein Lichtblitz zuckt vor seinen Augen, Kopfschmerzen treten auf. VN hat eine Dissektion der aorta carotis interna erlitten und ist invalide.

Entscheidende Frage ist, ob eine Einwirkung von außen vorliegt oder ob es sich um

eine nicht gedeckte Eigenbewegung handelt. Das am Beginn der Kausalkette

stehende äußere Ereignis muss den VN nicht physisch getroffen haben, es kann

über einen Sinneseindruck vermittelt worden sein. Dann muss ein irgendwie

gearteter physischer Wirkungszusammenhang bestehen (z.B. auch bei

unwillkürlichen physiologischen Reaktionen). Hier ist das Sehen der Sonne als

solches jedoch ohne jede körperliche Folge geblieben sondern hat nur eine

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Eigenbewegung ausgelöst und erst diese Eigenbewegung hat die gesundheitliche

Schädigung herbeigeführt.

[Kann ein VN ( in anderen Fällen ) geltend machen, er habe mit seiner

Eigenbewegung nur einen Unfall vermeiden wollen, steht ihm also ein Anspruch auf

„Rettungskostenersatz“ zu? § 184 VVG erklärt aber die Vorschriften über die

Schadenabwendungsobliegenheit gerade für die AUB-V nicht für anwendbar!]

b. Deckungserweiterungen (Unfallfiktion)

„Ein unsportlicher Sportlehrer“

OLG Saarbrücken 28.12.2001 – 5 U 842/00 – VersR 2002, 1096VN ist von Beruf Lehrer an einem Gymnasium und unterrichtet die Fächer Biologie und Sport. Am 26.03.1998 führte er während des Sportunterrichts Muskelanspannungs- und Kräftigungsübungen vor. Er wollte aus der Bauchlage – die Beine leicht gegrätscht und gestreckt gehalten, die Arme über Schulterbreite geöffnet und ebenfalls gestreckt – unter allgemeiner Muskelanspannung des Rumpfes und der Extremitäten den Körper vom Boden abheben und nur noch auf Händen und Füßen ruhen, ohne sich auf die Ellenbogen- und Kniegelenke zu stützen. Dabei kam es zu einem Muskelfaserriss bzw. partiellen Sehnenriss des Musculus rectus femoris, eines der Oberschenkelmuskeln, rechts.

VVG § 178 Abs. 1„bei einem Unfall oder einem vertraglich dem Unfall gleichgestellten Ereignis“

AUB 2008 1.4.Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule

ein Gelenk verrenkt wird oderMuskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden.

Vergleichsmaßstab für die Feststellung einer erhöhten Kraftanstrengung ist der

Kraftaufwand, mit der die normale körperliche Bewegung – im Allgemeinen –

naturgemäß verbunden ist. Erforderlich ist ein gegenüber diesem Kraftaufwand

erhöhter Einsatz von Muskelkraft. Das gilt auch dann, wenn nur der eigene Körper in

Bewegung gesetzt wird. Das gilt auch dann, wenn die Tätigkeit der vP immer wieder

besondere körperliche Kraftanstrengungen erfordert.

3. Besondere Anspruchsvoraussetzung: Ärztliche Feststellung der Invalidität

„Schlimme Folgen einer Quadfahrt“

OLG Naumburg 19.07.2013 – 4 W 6/13 – NJW-RR 2014, 104

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Der versicherte Sohn des VN erlitt am 17.07.2009 einen Unfall mit einem Quad, der zu einer spastischen Querschnittslähmung führte. VN wie VN am 03.03.2010 darauf hin, dass eine Invalidität innerhalb von 15 Monaten ärztlich festgestellt werden müsse, berief sich auf den Ausschluss des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und erwähnte, sie werde ihre Leistungspflicht erneut prüfen, wenn sich herausstellte, dass dieser Einwand nicht greife. Im Rechtsstreit (dort hat sich ergeben, dass eine Straftat nicht vorlag) beruft sie sich auf das Fristversäumnis.

AUB 2008 2.1.1.1. Voraussetzung für die Leistung:„Die Invalidität ist innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten, innerhalb von15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und von Ihnen bei

uns geltend gemacht worden.

VVG § 186:VR hat den VN auf Anzeige eines VersFalls hin auf vertragliche Anspruchs- und

Fälligkeitsvoraussetzungen in Textform hinzuweisen.

Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen „Unfallereignis (plötzlich von außen auf

den Körper einwirkendes Ereignis – Gesundheitsschädigung - Unfallereignis) liegen

vor. Nach den AVB ist aber die (rechtzeitige) ärztliche Feststellung der Invalidität eine

weitere Anspruchsvoraussetzung! Fehlt sie, wie hier, ist ein Anspruch grundsätzlich

nicht gegeben.

Versagung der Berufung auf Fehlen nach § 186 VVG?

Hinweis nach § 186 VVG muss nicht besonders hervorgehoben sein, muss jedoch

den Endzeitpunkt erkennen lassen!

Ist Belehrung erfolgt, kann die Berufung auf Fehlen des Hinweises dennoch

treuwidrig sein (§ 242 BGB), wenn

Invalidität von Anfang an feststeht, oder VR VN in dem Glauben wiegt, er, VR, werde sich um Beschaffung von

Unterlagen selbst kümmern oder Regulierung letztlich nicht davon abhängig

machen.

4. Wesentliche Deckungsausschlüsse

„Das traurige Ende eines sadomasochistischen Nachmittags“

OLG Saarbrücken 18.12.1996 5 U 421/94 VersR 1997, 949

K klagt als Bezugsberechtigte eines von ihrem homosexuell veranlagten Ehemann (VN), einem Arzt, bei B abgeschlossenen Unfallzusatzversicherungsvertrag, auf Zahlung der Todesfallleistung. VN hatte während eines Urlaubs den ebenfalls

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homosexuell veranlagten X kennengelernt, der später ein von VN gemietetes Appartement in S bezog. Dort trafen sich VN und X, um unter dem Einfluss empfindungssteigernder Drogen sadomasochistische Praktiken auszuüben. VN (Masochist) forderte dabei X regelmäßig mit den Worten „kill me“ auf, ihn zu töten oder jedenfalls mit einem mitgeführten Messer zu schneiden. Am 01.12.1991 fanden sich VN und X in der angemieteten Wohnung (alkoholisch beeinflusst {0,54 o/oo} unddrogenberauscht durch Ecstasy und LSD) ein und begannen sich nach Fesselung des VN sexuell zu betätigen. Im Verlauf des Geschehens – „kill me“ – stieß X das mitgeführte Messer mit äußerster Kraft in den Rücken des VN, dem es gelang, das Appartement und alsdann sein Leben zu verlassen. K hält einen Unfall für gegeben und Ausschlussgründe nicht für gegeben.

1. Vorliegen eines Unfallereignisses (Stich mit dem Messer in den Körper) - Vorhersehbarkeit unerheblich („plötzlich“)[Definition des Tatbestandsmerkmals „plötzlich“ als entweder objektiv (kurzer Zeitraum) oder subjektiv („unerwartet und unentrinnbar“]

2. Beweis der Freiwilligkeit durch VR?[Bezugspunkt: Folgen des Unfallereignisses: VN wollte in Wirklichkeit nicht getötet werden]

3. AUB-Ausschluss für „Eingriffe am Körper“?[Medizinische oder kosmetische Behandlungen im weiteren Sinn; VN muss den konkreten, den VersFall auslösenden Eingriff selbst vorgenommen haben oder mit seiner Vornahme im Bewusstsein der Risiken und möglich Folgen einverstanden gewesen sein]

4. Ausschluss von Geistes- oder Bewusstseinsstörungen?[SV: Kein Alkoholrausch, keine Feststellbarkeit der Wirkung der Drogen]

(Ist eine präorgiastische Erregung eine Geistes- oder Bewusstseinsstörung?SV: Nein)

5. Ausschluss infolge der Vollendung oder des Versuchs einer vorsätzlichen Straftat?(VN hat Täter Rauschmittel verabreicht, also eine vorsätzliche BTM-Straftat begangen; aber: nur solche Straftaten, die zu Unfallereignissen führen, die typische Risiken der begangenen Straftat sind, führen zum Ausschluss).

[!!: Sinn des Ausschlusses (wie i.d.R. aller Ausschlüsse) ist es, das erhöhte Unfallrisiko aufgrund besonders gefährlicher Verhaltensweisen von der Deckung auszunehmen, um das Gleichgewicht von Prämie und Absicherung nicht zu stören. Das bedeutet aber, dass es einer teleologischen Interpretation des Ausschlusses bedarf: Hat sich das erhöhte Risiko tatsächlich in dem Versicherungsfall niedergeschlagen?!!]

a.

Kein Versicherungsschutz besteht für Unfälle durch Geistes- oder

Bewusstseinsstörungen

„Straßenspaziergang eines Betrunkenen“

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OLG Saarbrücken 05.04.2006 5 U 633/05 zfs 2006, 338

VN besuchte in der Nacht vom 27.02.2003 auf den 28.02.2003 eine Faschingsveranstaltung in S. Gegen 05.50 Uhr wurde er mitten auf einer Landstraßezwischen Sch-H und S als Fußgänger von dem Kfz des X erfasst und erlag noch an der Unfallstelle seinen Verletzungen. Eine entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 2,15 o/oo.

Bewusstseinsstörung: Beeinträchtigung der vP in seiner Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit in einem Maße, dass sie die Gefahrenlage nicht mehr beherrscht (Erhöhung des Unfallrisikos über das vom VR kalkulierbare Maße hinaus).

Kraftfahrer: in aller Regel 1,1 o/oo: Keine Übertragbarkeit auf Fußgänger! Dort gilt einsich aus den verschiedenen Indizien ergebender Maßstab!

b.

Kein Versicherungsschutz besteht für Unfälle durch vorsätzliche Ausführung einer

Straftat

„Ein „bombiges“ Eishockeyspiel“

OLG Saarbrücken 25.06.2014 – 5 U 83/13 – juris

VN erwarb von einem Arbeitskollegen zwei Kugelbomben, nämlich nicht zugelassene pyrotechnische Gegenstände. Im August 2008 reiste er zu einem BL-Eishockeyspiel nach Garmisch-Partenkirchen. Vor dem Stadion zündete er eine Kugelbombe an und warf sie von sich. Sie explodierte nicht. Daraufhin holte er sie zurück, zündete sie erneut an und beobachtete die Flamme bis zur Explosion. Dadurch wurden ihm beide Hände abgerissen. Er trägt vor: Des Verbotenseins der Verwendung der Kugelbomben sei er sich nicht bewusst gewesen.

Prüfungsschritte:

1. Versicherungsfall: Kugelbomben reißen VN die Hände ab.2. Freiwilligkeit: VN hat die Gesundheitsschädigung gerade nicht freiwillig in Kauf genommen.2. Ausschluss: Vorsätzliche Ausführung einer Straftat:a. Ermittlung des Straftatbestandes (§ 308 StGB)b. Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen (abstrakte oder konkrete Gefährdung müssen nicht in den Vorsatz aufgenommen werden, müssen aber vorliegen – Selbstgefährdung genügt nicht).c. Wirkung des Verbotsirrtums? – Maßgeblich sind strafrechtliche Grundsätze!

c.

Ausgeschlossen sind folgende Beeinträchtigungen:

Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen auch wenn diese durch einen

Unfall verursacht wurden (AUB 2008 5.2.6.)

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„Ein Polizist, ein Hund und ein Hörschaden“

BGH 29.09.2004 – IV ZR 233/03 – VersR 2004, 1449

VN verlangt eine Invaliditätsentschädigung. Am 09.04.1998 wollte er einem Polizisten zu Hilfe kommen, den ein Hund angefallen und gebissen hatte. Als er sich bückte, um den Hund wegzuziehen, erschoss der Polizist den Hund mit seiner Dienstwaffe. Durch den in seiner Nähe abgegebenen Schuss erlitt VN ein Knalltrauma, das nicht nur zu einer (vom VR entschädigten) Schwerhörigkeit führte, sondern auch durch fortdauernde Ohrgeräusche zu schweren Schlafstörungen und Depressionen.

Auslegung der Klausel: Gesundheitsschädigungen, die auf Einwirkungen von außen

über Schock, Schreck, Angst erfolgen oder auf psychischer Fehlverarbeitung

beruhen. Seelische Beschwerden, die Folge einer organischen Schädigung oder

Reaktion sind, lösen den Ausschlusstatbestand nicht aus (Hier:

Sinnzellenschädigung im Innenohr führen zu Tinnitus, psychische Folgen sind also

nicht allein durch ihre psychogene Natur zu erklären)..

5. Voraussetzung einer Invaliditätsentschädigung

a.Bestehen eines Anspruchs dem Grunde nach

§ 180 VVG: Dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit.

Dauerhaftigkeit: Voraussichtlich länger als drei Jahre und keine Änderungserwartung.

Unterscheide: Erstbemessung und Neubemessung!

Streit um den Zeitpunkt der Prognose: OLG Saarbrücken 05.07.2013 – 5 U 25/13 –

juris einerseits und OLG Düsseldorf 06.08.2013 – 4 U 221/11 – VersR 2013, 1571.

b.Bestehen eines Anspruchs der Höhe nach

Für bestimmte Gesundheitsschäden sehen die AVB pauschalierte Sätze vor:

Die sogenannte Gliedertaxe!

Sie regelt für ihren Bereich abschließend und einer individuellen Korrektur nicht

zugänglich abstrakt und generell feste Invaliditätsgrade bei dem vollständigen oder

dem teilweisen Verlust oder der Funktionsunfähigkeit bestimmter Organe und

Glieder.

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Veranschaulichung:

2.1.2.2.1 Bei Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorganegelten ausschließlich, die folgenden Invaliditätsgrade:

Arm 70 % Arm bis oberhalb des Ellenbogengelenks 65 % Arm unterhalb des Ellenbogengelenks 60 % Hand 55 % Daumen 20 % Zeigefinger 10 % anderer Finger 5 % Bein über der Mitte des Oberschenkels 70 % Bein bis zur Mitte des Oberschenkels 60 % Bein bis unterhalb des Knies 50 % Bein bis zur Mitte des Unterschenkels 45 % Fuß 40 % große Zehe 5 % andere Zehe 2 % Auge 50 % Gehör auf einem Ohr 30 % Geruchssinn 10 % Geschmackssinn 5 %

Bei Teilverlust oder teilweiser Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligenProzentsatzes.2.1.2.2.2 Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst sich der Invaliditätsgrad danach, inwieweit die normale körperliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist.

6. Vorinvalidität und mitwirkende Vorerkrankungen

Der Vertrag über eine private Unfallversicherung bietet Schutz vor während seiner

Laufzeit eingetretenen unfallbedingten gesundheitlichen Schäden und ihren Folgen.

War der VN schon vor dem Unfallereignis invalide, so bezieht sich das

Leistungsversprechen des VR verständlicherweise nicht auf die Absicherung der

nach dem Unfallereignis bestehenden Invalidität. Eine Versicherungsleistung will der

VR nur für die unfallbedingte Invalidität erbringen. Daher ist nach dem Unfallereignis

festzustellen, in welchem Maß die körperliche Leistungsfähigkeit nunmehr

beschränkt ist und welcher Anteil davon auf eine bereits vor dem Unfallereignis

bestehende Vorinvalidität entfällt.

Grad der Invalidität nach dem Unfallereignis – Grad der vor dem Unfallereignis

bestehenden Invalidität = Grad der zu entschädigenden Invalidität!

Haben an der durch das Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder

deren Folgen Vorerkrankungen mitgewirkt, so bestimmt der VV regelmäßig, dass die

Versicherungsleistung sich nach dem Maß ihrer Beteiligung mindert oder gar ganz

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entfällt. Viele VV bestimmen, dass das erst ab einem bestimmten Grad der

Mitwirkung der Fall ist. Das Gesetz regelt insoweit nur die Beweislast (§ 182 VVG):

Sie trägt – zwingend – der VR. Allerdings muss es sich um eine vor dem

Unfallereignis bestehende Vorerkrankung oder ein Gebrechen handeln.

Alterstypische (degenerative) Veränderungen fallen darunter nicht.

„Tod eines herzkranken Elektrikers“

BGH 23.11.2011 IV ZR 70/11 zfs 2012, 278

Der verstorbene VN, eine Elektromeister, unterhielt einen AUB-V. Danach galt: Wennan dem Unfalltod Vorerkrankungen zu mindestens 25% mitgewirkt haben, vermindertsich die Todesfallleistung entsprechend dem Anteil der Mitwirkung. Am 26.1.2004 erlitt der VN bei Elektroarbeiten einen Stromschlag. 11 Tage später verstarb er nach Myocardinfarkten an Herz-Kreislaufversagen bei Koronarinsuffizienz. Eine Obduktionergab eine hochgradig stenosierende Koronararteriosklerose.

SV A: Mitwirkung ist offen. SV B: Teilursache, Anteile können nicht angegeben werden. SV C: Ein Gesunder wäre entweder sofort nach dem Stromschlag gestorbenoder hätte ihn unbegrenzt überlebt. Medizinstatistische Wahrscheinlichkeit allein aufgrund des Stromschlags nach 11 Tagen zu versterben 0,5 %. Medizinstatistische Wahrscheinlich bei der konkreten Koronarkrankheit innerhalb von 11 Tagen zu versterben: 1 %.

Die entscheidende Frage ist, ob – zur vollen Überzeugung des Gerichts - bewiesen

ist, dass die Vorerkrankung zu mindestens 25 % mitgewirkt hat; wenn das bewiesen

ist, kann der Anteil der Mitwirkung nach § 287 ZPO auf der Grundlage überwiegender

Wahrscheinlichkeiten geschätzt werden.

Ein besonderes und sehr umstrittenes Problem ist, ob, wenn bei der Bemessung des

Grades der Invalidität eine bestehende Vorinvalidität zu berücksichtigen ist, die diese

Vorinvalidität begründenden funktionellen Einbußen zugleich als mitwirkende

Vorerkrankungen zu berücksichtigen sind und so die Versicherungsleistung -

gewissermaßen ein zweites Mal – mindern (bejahend: OLG Frankfurt 14.06.2013 7 U

98/12 juris)

Prüfungsgesichtspunkte:

1.Vorinvalidität und Vorerkrankungen betreffen unterschiedliche funktionelle Bereiche

des Körpers: Kumulative Berücksichtigung

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2.Vorinvalidität und Vorerkrankungen betreffen identische funktionelle Bereiche des

Körpers: Keine Kumulation der Berücksichtigung

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Abschnitt 2

Grundzüge des Rechts der Berufsunfähigkeitsversicherung

§§ 172-177 VVG

(AVB: BU 2014/ BUZ 2014)

(Fundstelle: www.gdv.de)

1. Grundlagen

a. Allgemeines

Der Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung krankheitsbedingten Ausfall

des aus dem bisherigen Beruf erworbenen Verdienstes ab. Er schützt die versicherte

Person vor dem krankheitsbedingten Verlust des bisherigen beruflich-wirtschaftlichen

Status. Grundlage ist das in § 172 Abs. 1, 2 VVG als nicht zum Nachteil des VN

abdingbares Leistungsversprechen. Die versicherte Person wird vor

Berufsunfähigkeit geschützt. Sie ist berufsunfähig, wenn sie den von ihr zuletzt

ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war,

aus gesundheitlichen Gründen ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht

mehr ausüben kann. Die vertraglichen Modelle knüpfen in aller Regel daran an, dass

die Fortführung des Berufs zu mehr als 50 % gesundheitlich nicht mehr möglich ist.

Allerdings gibt es auf dem Markt eine gewisse Zahl anderer vertraglicher Modelle, die

Leistungen in unterschiedlicher Höhe bei anderen prozentualen Einschränkungen

der beruflichen Fähigkeiten versprechen.

Die Statusbezogenheit des Versicherungsfalls setzt voraus, dass die versicherte

Person eine konkrete berufliche Tätigkeit zuletzt ausgeübt hat, die sie nunmehr nicht

fortführen kann. Das macht es – verfahrensrechtlich – erforderlich, dass die vP im

Einzelnen darlegt, was ihr Beruf war: Arbeitszeiten, Arbeitsinhalte (physische und

psychische Belastungen), Arbeitsabläufe. Das muss sie zugleich unter Beweis

stellen. Erst wenn die letzte konkrete berufliche Tätigkeit bewiesen ist, kann geklärt

werden, ob die vP in dem besingungsgemäßen Maße (25%, 50%, 75%) außerstande

ist, sie fortzuführen. Maßgeblich ist – in keiner Weise – welchen Beruf die vP bei

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Abschluss des VV ausgeübt hat (weil der jeweilige berufliche Status versichert sein

soll); maßgeblich ist auch nicht, ob ihre Tätigkeit einem bestimmten „Berufsbild“

entsprochen hat.

b. Veranschaulichung: Berufe

„Beruf“ ist jede auf Erwerb ausgerichtete Tätigkeit, die sich nicht in einem einmaligen

Erwerbsakt erschöpft. Der Eintritt des VersFalls hängt von der Art und dem Maß der

gesundheitlichen Einschränkungen der letzten konkreten beruflichen Tätigkeit ab.

Daher können Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, ob die vP einen

bestimmten versicherten „Beruf“ und wenn ja, welchen er ausgeübt hat.

„Traditionelle chinesische Medizin“

OLG Saarbrücken 14.01.2004 5 U 137/03 OLGR 2004,263

VN macht nach einem Verkehrsunfall, bei dem Sie ein HWS- Schleudertrauma erlitten hat, Ansprüche auf eine Berufsunfähigkeitsrente geltend. Vor dem Verkehrsunfall leitete sie ein „Institut für traditionelle chinesische Medizin“. Dabei war sie allerdings nur von Zeit zu Zeit an Wochenenden für einige Stunden gegen Entgelttätig. Weitere Einnahmen erzielte sie nicht.

Fragen:

Ist auch eine lediglich gelegentliche berufliche Tätigkeit mit geringem Einkommen einBeruf?

Antwort: (Ja, soweit sie zum Lebensunterhalt beitragen soll! Maßstab ist dann aber auch nur diese (geringfügige) Tätigkeit.

„Eine Hausfrau und Fingernagelstylistin“

OLG Saarbrücken 26.02.2014 – 5 U 248/12 – juris

VN war von 1973 bis 2001 bei verschiedenen Arbeitgebern als kaufmännische Angestellte und Sekretärin, zuletzt im Unternehmen ihres Ehemanns, tätig. Nach zwei Bandscheibenvorfällen orientierte sie sich aus gesundheitlichen Gründen um, arbeitete seither rund drei Stunden wöchentlich als Fingernagelstylistin und führte im Übrigen alle anfallenden Arbeiten im ehelichen Haushalt, Staub saugen, Wäsche waschen, Geschirr spülen etc. (wöchentlich 24 ½ Stunden) aus. Dann verschlechterte sich ihre gesundheitliche Lage ab 2011.

Fragen:

Auf welchen Zeitpunkt kommt es an? (Geltendmachung des VersFalls +

Nichtberücksichtigung „leidensbedingter Berufswechsel“)

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Welchen Beruf hat die vP ausgeübt? (Fingernagelstylistin + Hausfrau?)

Antwort:

Leidensbedingte Berufswechsel (oder Arbeitszeitreduzierungen) gehen nicht zu

Lasten des VN! Es ist an den Umfang und ist an die Anforderungen des letzten

Berufs in gesunden Tagen anzuknüpfen. Und natürlich gibt es mherere Berufe, die

„den“ beruf ausmachen.

„Eine auszubildende Kreissekretärin“

BGH 24.02.2010 – IV ZR 119/09 - VersR 2010, 619

VN, in Ausbildung zur Kreissekretärin, ist seit 1.9.2000 BU-versichert. 2001 erlitt sie Gehirnblutungen. Am 18.7.2002 erkannte VR BU ab 1.11.2001 an. VN setzte die Ausbildung mit Unterbrechungen fort und schloss sie 9/04 ab. Als Auszubildende warsie 6 Stunden täglich tätig, Seit 1.10.2004 arbeitet sie als Sachbearbeiterin 19,25 Std. (reguläre Arbeitszeit 41 Std.). VR stellt Leistungen ein: VN könnte als Auszubildende 6 Stunden täglich arbeiten. VN: Sie könne jedenfalls nicht mehr als teilschichtig als Kreissekretärin arbeiten.

Frage:

Was ist der Beruf eines Auszubildenden/Studenten? Die Ausbildung oder das

Studium oder der spätere Ausbildungsberuf?

Antwort:

Der spätere Ausbildungsberuf, wie sich aus der teleologischen Interpretation des

Vertrages ergibt!

b. Sonderproblem: Selbständige/Mitarbeitende Betriebsinhaber

„Rettungssanitäter als Telefonisten“

BGH 12.06.1996 – IV ZR 117/95 – r+s 1997, 35

VN war ausgebildeter Krankenpfleger und Alleingesellschafter und mitarbeitender eines Unternehmens, das Rettungsfahrten, Kranken- und Behindertentransporte sowie Taxidienste ausführte. VN beschäftigte mehrere Arbeitskräfte im Transportdienst und mehrere Arbeitskräfte im Rettungs- und Taxidienst. Aufgrund vonErkrankungen der Wirbelsäule ist es ihm weit überwiegend nicht mehr möglich, die von ihm bislang ausgeführten Rettungstransporte zu übernehmen. Er beschränkt sich auf verwaltende Tätigkeit, vor allem als Telefonist.

Ist Voraussetzung des Versicherungsfalls die gesundheitliche Hinderung, die

bisherige berufliche Tätigkeit auszuüben, kommt es entscheidend auf die bisherige

berufliche Tätigkeit an. Insoweit gelten für Selbstständige oder jedenfalls über die

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Befugnis zur Organisation ihrer beruflichen Tätigkeit verfügende Berufsträger

Besonderheiten. Erste Voraussetzung des Versicherungsfalls ist es, dass der VN

seine bisherige konkrete Tätigkeit im Unternehmen nicht mehr fortführen kann aus

gesundheitlichen Gründen. Weil er aber über die Befugnis verfügt, seine bisherige

konkrete Tätigkeit im Unternehmen notfalls umzugestalten, kommt es weiterhin

darauf an, dass er auch über keine Möglichkeit einer zumutbaren Umorganisation

verfügt.

Prozessuale Schritte (Darlegungs- und Beweislast):

Ist die vP nicht in der Lage, ihre bisherige Tätigkeit in bedingungsgemäßem

Maße (>50%) fortzuführen? Ist die vP nicht in der Lage, sich durch Umorganisation ein neues

Betätigungsfeld zu erschließen? Ist die vP nicht in der Lage, sich dadurch eine „zumutbare“ (werthaltige)

Beschäftigung zu verschaffen oder kann sie nur eine

Verlegenheitsbeschäftigung wählen? Muss die vP zur Umorganisation wirtschaftliche ins Gewicht fallende

Aufwendungen unternehmen?

2. Gesundheitliche Unfähigkeit zur Ausübung desletzten Berufs

„Ein Studienrat mit halbseitigem Gesichtsfeldausfall“

BGH 11.2010 – IV ZR 208/99 – VersR 2001, 89

Der VN, ein Studienrat für Mathematik und Informatik, litt nach einem Verkehrsunfall an einem halbseitigen Gesichtsfeldausfall auf beiden Augen. Sein Unterrichtspensumwurde nach Anerkennung eines Grades der Schwerbehinderung von 70 % von 24 auf 19 Stunden. Er fürchtet, dass seine weitere Tätigkeit zu einer Verschlechterung seiner Sehfähigkeit führen, benötigt zur Fortführung einen Bild Monitor, kann die Aufsicht bei Klassenarbeiten und in Pausen nicht mehr führen und bedarf zur Besorgung von Unterrichtsmaterialien und den Arbeitsweg der Hilfe von Kollegen und seiner Ehefrau.

Ein VN, der seine bisherige berufliche Tätigkeit fortsetzt, kann berufsunfähig sein,

auch wenn er keine erheblichen finanziellen Einbußen erleidet und keinen

erheblichen zeitlichen Mehraufwand hat. Entscheidend ist lediglich, ob er alle seinen

bisherigen konkreten Beruf prägenden Verrichtungen weiter ausüben kann oder ob

16

er in zeitlicher Hinsicht nicht mehr als die Hälfte seiner bisherigen beruflichen

Tätigkeit fortführen kann.

Das ist anders, wenn der VN

zur Fortführung seiner beruflichen Tätigkeit nicht unerhebliche finanzielle

Mittel zur Anschaffung technischer Hilfen einsetzen muss, oder nur mit der Hilfe und dem Wohlwollen Dritter weiter tätig sein kann, oder seine weitere berufliche Tätigkeit einen Raubbau an der Gesundheit darstellt.

In einem solchen Fall spricht man von einem „überobligationsmäßigen“ Einsatz.

3. Verweisung

Nach § 172 Abs. 3 VVG kann als weitere Voraussetzung der Leistungspflicht eines

BU-VR vereinbart werden, dass der VersFall nur dann eintritt, wenn der VN nicht nur

seinen letzten konkreten Beruf nicht mehr fortführen kann sondern auch keine

andere nach bestimmten Kriterien zu beurteilende andere Tätigkeit – den

sogenannten Verweisungs- oder Vergleichsberuf – ausüben kann.

Die AVB enthalten insoweit ganz unterschiedliche Vertragsmodelle, die sich vor

allem auch durch die Prämienhöhe unterscheiden. Ganz allgemein gesagt gibt es

Modelle mit einer abstrakten Verweisung (preiswert), Modelle mit der Befugnis zur abstrakten Verweisung bis zu einem

bestimmten Lebensalter (nicht ganz so preiswert), Modelle mit einer konkreten Verweisung (teurer) Modelle ohne Verweisung (sehr teuer).

„Der Frauenarzt, der einen Frauenarzt nicht für einen Frauenarzt hielt“

OLG Saarbrücken 31.01.1996 – 5 U 374/95 – NJW-RR 1997, 791

Der VN beanspruchte Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Er ist von Beruf Facharzt für Frauenheilkunde. Seit Februar 1985 war er ständiger Vertreterdes Chefarztes einer bedeutenden Frauenklinik. Wegen einer Latexallergie, einer Allergie gegen aggressive Desinfektionsmittel und eines Wirbelsäulenleidens musste er diese Tätigkeit aufgeben und ist seither als niedergelassener Gynäkologe in einer Praxis tätig. Seine Einkünfte sind höher als bisher. Er hält sich für berufsunfähig.

a.Konkrete Verweisung

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Enthält der VV die Befugnis des VR zur konkreten Verweisung, so ist der VersFall

nicht eingetreten, wenn der VN eine bei wertender Betrachtung vergleichbare andere

Tätigkeit tatsächlich ausübt.

b.Abstrakte Verweisung

aa.Grundsatz

Enthält der VV die Befugnis des VR zur (ggf. zeitlich begrenzten) abstrakten

Verweisung, so kommt es allein darauf an, ob der VN eine bei wertender Betrachtung

vergleichbare andere Tätigkeit ausüben könnte (auch wenn er sie noch nicht

gefunden hat), soweit es sich nicht um lediglich ganz vereinzelt auf dem Arbeitsmarkt

angebotene Arbeitsstellen handelt (Nischenarbeitsplätze) oder um Arbeitsstellen, die

nur intern vergeben werden (Schonarbeitsplätze).

bb.Ausnahme:Verweisbarkeit wegen neu erworbener Kenntnisse und

Fähigkeiten

Einen Sonderfall stellt es dar, wenn der VN einen anderen Beruf deshalb ausüben

könnte, weil er (ohne dass ihm dies oblegen hätte) neue Kenntnisse und Fertigkeiten

erworben hat. In einem solchen Fall wird die Verweisung nur zugelassen, wenn der

VN einen neuen Arbeitsplatz auch tatsächlich gefunden hat (oder es treuwidrig

unterlassen hat, danach zu suchen).

cc.Voraussetzungen der Verweisbarkeit

Nach § 172 Abs. 3 VVG darf der Versicherer seine Leistungspflicht davon abhängig

machen, dass die versicherte Person nicht nur ihren bisherigen konkreten Beruf nicht

mehr in bedingungsgemäßem Maße sondern auch keine andere Tätigkeit ausübt

oder ausüben kann, die zu übernehmen sie aufgrund ihrer Ausbildung und

Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.

Das zeigt sowohl für die konkrete als auch für die abstrakte Verweisung die

maßgeblichen Kriterien:

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die Notwendigkeit eines primären Qualifikationsvergleichs die Notwendigkeit eines sekundären Statusvergleichs.

In erster Linie ist folglich darauf abzustellen, ob die versicherte Person die

„Verweisungstätigkeit“ nach Ausbildung und Fähigkeiten, also nach ihrer beruflichen

Qualifikation, auszuüben in der Lage ist. Naturgemäß kommt hinzu, dass sie auch

gesundheitlich dazu im Stande sein muss.

Im Streitfall kommt es jedoch im Wesentlichen auf den „sekundären Statusvergleich“

an. Insoweit sind verschiedene wertende Kriterien maßgeblich:

Der Verweisung Beruf muss in wirtschaftlicher Hinsicht der bisherigen

Lebensstellung entsprechen, das von der versicherten Person in einem

Verweisungsberuf erzielte oder erzielbare Einkommen darf also nicht

signifikant unter dem früheren Einkommen liegen. Der Verweisungsberuf muss darüber hinaus, weil das Gesetz und weil die

AVG auf die Lebensstellung abstellen, bei wertender Betrachtung weitere

Anforderungen erfüllen. Dabei kann es auf Aufstiegschancen, Ansehen,

Mobilität ankommen.

4. Anerkenntnis

a. Grundlagen

Das Recht der BU-V sieht in § 173 VVG (und den dem entsprechenden AVB) vor,

dass der VR sich nach Prüfung der vom VN mit der Geltendmachung eines

Anspruchs auf die Versicherungsleistung dazu erklären muss, ob er seine

Verpflichtung anerkennt oder nicht. Bei diesem „Anerkenntnis“ handelt es sich weder

um ein dem allgemeinen Zivilrecht bekanntes konstitutives Anerkenntnis noch um ein

ihm gleichfalls bekanntes deklaratorisches Anerkenntnis, sondern um eine

Regulierungserklärung eigener Art, die sich auch von der wortlautgleich

vorgesehenen Anerkenntniserklärung des Unfallversicherungsvertragsrechts

unterscheidet. Das folgt aus der normativen Konzeption (und ihrer vertraglichen

Untermauerung) dieses Anerkenntnisses: Der Vertrag VN/VR sieht auf der

19

Grundlage des Gesetzes vor, dass ein VR sich nach einem Anerkenntnis nur unter

spezifischen Voraussetzungen – jenen der Nachprüfung – von seiner Leistungspflicht

lösen kann. Die von § 173 VVG vorgesehen Erklärung über die Leistungspflicht ist

folglich

eine „gesetzlich Pflicht“ (mit der Folge von Schadensersatzansprüchen nach §

280 Abs. 1 BGB bei ihrer schuldhaften Verletzung) eine rechtliche bindende Festlegung (mit der Folge einer Lösbarkeit von der

Leistungspflicht nur unter den Bedingungen eines Nachprüfungsverfahrens

nach § 174 VVG.

Daraus folgt: Wird ein „an sich“ gebotenes Anerkenntnis nicht abgegeben –

beispielsweise: der VN ist zum Zeitpunkt der Regulierungsentscheidung des VR

berufsunfähig, der VR hält eine künftige Heilung für möglich – so schuldet der VR

Schadensersatz: Der VN ist so zu stellen, als ob der VR anerkannt hätte und damit

künftig auf die Regeln des Nachprüfungsverfahrens verwiesen wäre.

Darstellung der Befugnis des VR zur Abgabe eines zeitlich befristeten

Anerkenntnisses (Befugnis; Voraussetzungen; rechtliche Grenzen; Folgen für das

Nachprüfungsverfahren; Sonderproblematik der „vermuteten Berufsunfähigkeit“)

b. Veranschaulichung

„Krabbenfischer, Traumprinzen von Versicherungssachbearbeiterinnen und

das Problem, nicht in die Zukunft sehen zu können“

BGH 07.02.2007 IV ZR 244/03 VersR 2007,633 (Krabbenfischer)

VN, ein Krabbenfischer mit Kapitänspatent, ist – unstreitig – seit 1995 in seinem alten Beruf berufsunfähig und arbeitet jetzt (1999, nach einer Umschulung zum Einzelhandelskaufmann) im elterlichen Fischhandel. Die meisten seiner BU-Verträgeenthalten keine Befristungserlaubnis und keine Befugnis zur Nachprüfung unter Berücksichtigung neuer Kenntnisse und Fähigkeiten.

BGH 28.2.2007 IV ZR 46/06 VersR 2007, 777 (Versicherungssachbearbeiterin)

VN ist Versicherungssachbearbeiterin. 09/99 zeigt sie wegen depressiver Entwicklungen eine BU an. Hintergrund ist, dass sie einen „Traumprinzen“ als Gefährten suchte, meinte ihn gefunden zu haben und sodann erkennt, dass dessen Mutter (wie auch er) alkoholkrank ist. 05/00 kehrt sie halbtags auf ihren Arbeitsplatz

20

zurück. Daraufhin schließt VR eine 1. Vereinbarung über die Gewährung von Leistungen bis 07/00. In der folgenden Zeit arbeitet VN halbtags, dann vollschichtig, dann scheidet sie 09/01 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Es kommt zwischen 08/00 und 08/02 zu 4 weiteren aufeinander folgenden befristeten Leistungsvereinbarungen.Später stellte ein SV fest, dass VN phasenweise berufsunfähig war. Es ergeben sich Beweisschwierigkeiten.

In diesen und vielen vergleichbaren Fällen beanspruchen VN Fortzahlung einer

Rente (über den „außervertraglich vereinbarten“ Zeitraum hinaus wegen

Berufsunfähigkeit. Sie stützen sich darauf, dass – zu einem in der Vergangenheit

liegenden Zeitpunkt – Berufsunfähigkeit vorgelegen haben soll, und dass der VR sich

von der einmal bestehenden Leistungspflicht ohnehin nicht wirksam lösen könne.

Der VR hingegen beruft sich darauf, dass er durch „außervertragliche

Vereinbarungen“ befristet Leistungen erbracht hat und – nunmehr – prüfen darf, ob

jetzt (!) Berufsunfähigkeit vorliegt.

Dieses „Streitprogramm“ führt (jedenfalls nach dem gegenwärtigen Recht) zu

folgenden Prüfungsschritten:

VN beansprucht auf der Grundlage seines VV eine monatliche BU-Rente.

Anspruchsgrundlage kann (nur) der VV sein. Er verspricht für den Fall des Eintritts

einer wenigstens 50%igen BU Rentenleistungen.

1.

Wirksames Zustandekommen des BU-VV? (Klausurfälle und praktische Fälle

sind häufig mit der Vorfrage „Anfechtung oder Rücktritt?“ befasst).

2.

Eintritt des Versicherungsfalls (zum Zeitpunkt des verlangten Beginns der

Zahlungen oder zu einem späteren Zeitpunkt? (Beweislast: VN)

a.

Prognose auf Dauer bestehender wenigstens 50%iger Einschränkung der

Fähigkeit, den letzten konkreten Beruf fortzuführen

und

Prognose auf Dauer bestehender wenigstens 50%iger Einschränkung der

Fähigkeit, einen zumutbaren Vergleichsberuf auszuüben?

b.

21

Vermutete Berufsunfähigkeit: Bestand irgendwann ab oder nach dem geltend

gemachten Beginn der Leistungen wenigstens 6 Monate und 1 Tag

(Voraussetzung: AVB enthalten eine Fiktion der BU, VVG sieht sie nicht vor,

erlaubt sie aber) BU?

c.

Führt der Abschluss außervertraglicher Vereinbarungen zur zeitlichen

Verlagerung des Beginns des Prognosezeitraums oder führt er sogar zur

Annahme des Anerkenntnisses einer BU mit der Folge der Verweisung des VR

auf das Nachprüfungsverfahren?

aa.

Ob der VR auf das Nachprüfungsverfahren mit seinen formalen und

materiellen Anforderungen verwiesen ist, richtet sich danach, ob er

„anerkannt“ hat oder ob er erkennbar „kulant“ war und kulant sein durfte!

bb.

Hat der VR aufgrund außervertraglicher Vereinbarungen vorübergehend

Leistungen erbracht, folgt daraus ein Anspruch auf weitere fortlaufende

Leistungen nur dann, wenn

- entweder der VR die außervertragliche Vereinbarung nicht hätte abschließen

dürfen, weil der Versicherungsfall eingetreten war und daher ein

vorbehaltloses AE geboten gewesen wäre, (dann ist der VN gemäß § 280 Abs.

1 BGB so zu stellen, als habe er anerkannt (und als dürfe er sich damit nur im

Wege der Nachprüfung von seiner Leistungspflicht lösen)

- oder sich aufgrund der (treuwidrigen) „außervertraglichen Vereinbarungen“

die Beweislage des VN verschlechtert hat, sodass er BU nicht beweisen kann,

VR aber BU auch nicht widerlegen kann.

{Lösung der BGH-Entscheidungen „Krabbenfischer“ und

„Versicherungssachbearbeiterin“}

22

5. Nachprüfung

„Das Lazarus-Syndrom der Berufsunfähigkeitsversicherung - ein

Profihandballspieler wird Wirtschaftsingenieur“

OLG Köln 22.7.2011 20 U 127/10 r+s 2012, 452

VN hat mit Beginn seiner Tätigkeit als Profihandballspieler eine BU-Versicherung (Laufzeit bis zum 35.Lebensjahr) abgeschlossen. Aufgrund einer Sportverletzung ist er berufsunfähig, was VR 2002 anerkennt. 2008 führt VR die Nachprüfung durch, stellt fest, dass VN nach Abschluss seines neben der Sportausübung begonnenen Studiums Projektleiter als Wirtschaftsingenieur ist. Daraufhin stellt sie die Leistungen ein mit der Begründung, VN sei schon als Profihandballer zugleich Student gewesen und in dieser Tätigkeit nicht berufsunfähig geworden, VN habe nunmehr einen Beruf aufgenommen, der eine vergleichbare Lebensstellung gewährleiste.

Der VersFall Berufsunfähigkeitsversicherung ist – anders als Versicherungsfälle in

der Sachversicherung – ein sich im Verlauf der Zeit ereignender VersFall:

Gesundheitliche Zustände verändern sich, Fähigkeiten zur beruflichen Tätigkeit

entwickeln sich. Daher kann ein VN für eine gewisse Zeit Anspruch auf

Versicherungsleistungen haben, und für eine gewisse Zeit danach nicht mehr.

Ungeachtet dessen verlässt er sich auf den Leistungsbezug. Das verlangt eine

Abwägung: Die Interessen des VN verlangen den Schutz des Vertrauens auf die

einer einmal zugesagten Versicherungsleistung, die Interessen des VR (und der

Gemeinschaft der Versicherten) verlangen die Möglichkeit der Revision.

Das Gesetz gestattet daher dem VR, seine Leistungen einzustellen (§ 174 VVG),

wenn

die Voraussetzungen der Leistungspflicht entfallen sind, und der VR dies dem VN in Textform darlegt.

Darstellung der formalen Voraussetzungen des Wegfalls der Leistungspflicht

(„Obliegenheitsausgleich“)

Darstellung der materiellen Voraussetzungen des Wegfalls der Leistungspflicht

(Bindung des VR an seine einmal erklärte Regulierungsbereitschaft)

23

Lösungshinweise zum Streitfall

1.Begründungsansatz:

Anerkenntnis beruht auf der Annahme von BU im Beruf Profihandballer; VR darf sich nicht nachträglich auf das von VN betriebene Studium berufen.

2.Begründungsansatz:Vergleichbarkeit der Lebensstellunga.Prominenz als Profisportler?b.Verdienst 2300 € (als Profisportler) gegenüber 2043 € (als Wirtschaftsingenieur?Aber: 44 Arbeitsstunden als Profisportler ./. 150 Arbeitsstunden als WirtschaftsingenieurKeine Relevanz der zeitlichen Begrenzung des Profisportlereinkommens (Auslegung des Vertrages!)

24

Abschnitt 3

Grundzüge des Rechts der Lebensversicherung

§§ 150-171 VVG

(AVB: ALB 2014 / ARVB 204)

(Fundstelle: www.gdv.de)

A.

Formen der Lebensversicherung. Wirtschaftliche Bedeutung.

Regelungsgrundlagen

1.Formen

Zu unterscheiden: Risikolebensversicherung (Versicherungsfall: Tod), kapitalbildende

Lebensversicherung (Versicherungsfall: Tod oder Erleben eines bestimmten Alters)

(Leistungen je nach Art: Kapitallebensversicherung, Rentenversicherung,

fondsgebundene Kapitallebensversicherung)

Gewichtige Bedeutung im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung als

„Direktversicherung“ des ArbG als VN zugunsten seiner AN (als VT).

2.Bedeutung

Private Altersversorgung (Spezifische Formen: Riester-Rente, Rürup-Rente) und

betriebliche Altersversorgung); hoher Bestand an Versicherungsverträgen (ca. 94

Mio.), Erwirtschaftung eines besonders hohen Anteils der Prämieneinnahmen,

Kapitalsammelbecken (Anlagevermögen ca. 700 Mrd.€).

3.Regelungsgrundlagen

a.

Vertrag über eine LV als privatrechtlicher, durch §§ 150-177 VVG geregelter

Versicherungsvertrag, begleitet von umfangreichen aufsichtsrechtlichen Regelungen

des VAG zur Spartentrennung (§ 8 Abs. Ia Satz 1 VAG), zur Prämienkalkulation (§ 11

VAG), zur Deckungsrückstellung (§§ 11, 65 VAG), zur Kapitalausstattung (§ 53c

VAG) und zum Sicherungsfonds (§ 124, § 127 VAG).

25

Hintergrund der aufsichtsrechtlichen Kontrolle: Langfristigkeit der Verträge,

Insolvenzsicherung, faire (verfassungsrechtlich gebotene Gewinnbeteiligung und

Gewinnverteilung.

[BVerGE 114,1- Bestandsübertragung; BVerfGE 114, 73 - Überschussbeteiligung]

b.

Zu beachten: Richtlinie 2002/83/EG des EP und des Rates vom 05.11.2002 über

Lebensversicherungen (Abl. EG Nr. L 345 S. 1)

c.

ALB 2008 (und versichererspezifische andere AVB).

B.

Wichtige Grundbegriffe

Rechnungszinssatz/Garantiezins: VR nimmt bei der Kalkulation der Prämie einen

bestimmten langfristig anzunehmenden Zinssatz für die Anlage der Kapitalanteile der

Prämie am Markt an; um diesen Zinssatz wird die Prämie (weil die Auszahlung einer

bestimmten Versicherungsleistung versprochen wird) vornherein

reduziert(diskontiert). Dieser Rechnungsbestandteil wird für den jeweiligen

Versicherungsvertrag auf die Dauer seines Bestehens garantiert.

Deckungskapital: Summe der verzinslich angelegten Sparanteile eines bestimmten

Vertrages.

Sicherungsvermögen (Deckungsstock): Vollstreckungsrechtlich gesichertes

Sondervermögen aus Deckungsrückstellung und weiteren Vermögensbeständen.

Sicherungsfonds: Sondervermögen bei der Protektor-Lebensversicherungs AG als

beliehenem Unternehmer des Bundes zum Schutz der Ansprüche der VN bei

Insolvenz des VR.

Überschussbeteiligung (§ 153 VVG): Überschüsse aus günstigem

Kapitalanlageverlauf und nicht benötigten, in die Prämienkalkulation einfließenden

Sicherheitsmargen

26

Zillmerung: Rechenverfahren, nach dem die Prämien werden, soweit sie nicht für

Leistungen im Versicherungsfall (Risikoanteil), Kosten für den Versicherungsbetrieb

in der jeweiligen Versicherungsperiode und die Bildung der Deckungsrückstellung

verwendet werden zunächst zur Tilgung der Abschlusskosten verwendet.

C.

Vertragsrechtliche Besonderheiten kraft Gesetzes

1.

Rechtsstellung des Versicherers

(a) Besondere Informationspflichten nach § 7 Abs. 2 VVG i.V.m. § 2 VVG-Info-VO,

§ 154 VVG(b) Anpassung der Versicherungsleistung bei unrichtiger Altersangabe in

Abweichung von § 19 VVG nach § 157 VVG (c) Geltung der Regelungen über die Gefahrerhöhung nur bei ausdrücklicher und

in Textform erfolgender Vereinbarung von Gefahrerhöhungen(d) Kein ordentliches Kündigungsrecht des VR (keine gesetzliche Regelung aber

Folge des Vertragszwecks)(e) Recht zur Prämien- und Bedingungsanpassung in einem besonderen

Verfahren (§ 163 VVG)(f) Recht zur Ersetzung unwirksamer AVB (§ 164 VVG)

2.

Rechtsstellung des Versicherungsnehmers

(a) Widerrufsrecht innerhalb von 30 Tagen (§ 152 Abs. 1 VVG)(b) Kündigungsrechts des VN (§ 168 Abs. 1 VVG) bei Vereinbarung laufender

Zahlungen oder bei Gewissheit des Eintritts der Verpflichtung des VR (Ausn.:

Reine RisikolebensV gegen Einmalzahlung) mit Ausnahme von

Altersvorsorgeverträgen(c) Anspruch auf Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung (§ 165 VVG)(d) Anspruch auf Zahlung des (nach den anerkannten Regeln der

Versicherungsmathematik … berechneten) Rückkaufswerts bei Auflösung des

Vertrages (§ 169 VVG); Sicherung eines Mindestbetrages bei früher

Stornierung (§ § 169 Abs. 3 Satz 1 2.Halbs.VVG)(e) Anspruch auf Zahlung einer Überschussbeteiligung einschließlich der

Bewertungsreserven (§ 153 VVG, § 169 Abs. 7 VVG)

27

3.Besonderheiten bei Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages als

Anlagegeschäft berichtet am Beispiel „Clerical Medical“

Komplexe Versicherungsprodukte, die im Wesentlichen der Anlage von Kapital und

der Gewinnerzielung dienen sollen, unterliegen der Verpflichtung zur

anlegergerechten Beratung (vgl. bspw. BGH 11.07.2012 IV ZR 271/10 WM 2012,

1577) .

D.

Die Bezugsberechtigung

VN sind – zumindest in der Risikolebensversicherung – bedauerlicherweise

regelmäßig tot, wenn der Versicherungsfall eintritt. Den Anspruch auf die

Versicherungsleistung erwerben dann an sich die Gesamtrechtsnachfolger (§ 1922

BGB). Das liegt häufig nicht im Interesse der VN, die bei Abschluss des VV auch

meist nicht zugleich eine letztwillige Verfügung zur „Vererbung“ des Anspruchs auf

die Versicherungsleistung treffen. Zur Bewältigung dieser und weiterer (vor allem den

Zugriff von Gläubigern) regeln die AVB die „Bezugsberechtigung“.in den §§ 159 –

160 VVG.

Die Regelung einer „Bezugsberechtigung“ macht einen VV zu einem „Vertrag

zugunsten Dritter“ im Sinne der §§ 328 ff. BGB. Ihre Anordnung wendet das Recht

auf die Versicherungsleistung einer begünstigten Person, dem Bezugsberechtigten,

zu. Dabei handelt es sich um ein (im Falle der Widerruflichkeit bedingtes)

Verfügungsgeschäft, das, fehlt eine causa, kondizierbar ist.

Zu unterscheiden:

Widerrufliche Bezugsberechtigung: § 159 Abs. 2 VVG (Erwerb des Rechts auf die

Versicherungsleistung erst mit Eintritt des Versicherungsfalls)

BB hat im VersFall ein eigenes Forderungsrecht gegen den VR; das Recht fällt nicht in den

Nachlass; Gläubiger des VN haben weiterhin – bis zum VersFakk - ein Zugriffsrecht. Von

dem Deckungsverhältnis (VN/VR) ist das Valutaverhältnis (VN/BB)zu unterscheiden. Es

kann Mängel aufweisen, die den Erben des VN einen Bereicherungsanspruch gegen den BB

gewähren können.

Unwiderrufliche Bezugsberechtigung: § 159 Abs. 3 VVG (Erwerb des Rechts mit der

Einräumung der Bezugsberechtigung)

28

BB erwirbt den Anspruch gegen den VR sofort, tritt allerdings nicht in die Rechtsstellung des

VN aus dem VV ein.

ALB 2008 § 13:

(1) Die Leistung aus dem VV erbringen wir an Sie als unseren VN oder an Ihre Erben, falls Sie uns keine andere Person benannt haben, die bei Eintritt des Versicherungsfalls die Ansprüche aus dem VV erwerben soll (Bezugsberechtigter). Bis zum Eintritt des Versicherungsfalls können Sie das Bezugsrecht widerrufen.(2) Sie können ausdrücklich bestimmen, dass der Bezugsberechtigte sofort und unwiderruflich die Ansprüche aus dem Versicherungsfall erwerben soll. Sobald wir ihre Erklärung erhalten haben, kann dieses Bezugsrecht nur noch mit Zustimmung des von Ihnen Benannten aufgehoben werden.…(4) Die Einräumung und der Widerruf eines Bezugsrechts … sind uns gegenüber nur und erst dann wirksam, wenn sie uns vom bisherigen Berechtigten angezeigt worden sind.

„Die widerrufene Botschaft der Witwe an die Geliebte“

BGH 21.05.2008 – IV ZR 238/06 – NJW 2008, 2702

VN war mit B verheiratet. Er unterhielt bei VR eine kapitalbildende LV, für die B widerruflich bezugsberechtigt war. Ab 02/2004 lebte VN mit K nichtehelich zusammen. Er widerrief mit einem Schreiben an VR am 02.03.2004 die ursprüngliche Bezugsberechtigung und setzte K als Bezugsberechtigte ein; er wollte sich von B scheiden lassen. Am Abend des 16.05.2004 stürzte sich VN nach einer Aussprache mit K, die sich von ihm trennen wollte, von einer Autobahnbrücke zu Tode. Der Vater des VN unterrichtete K am 17.05.2004 über ihre Bezugsberechtigung und machte die Versicherungsleistung im Auftrag von K für diese bei VR geltend. VR verlangte von K zunächst weitere Unterlagen an. B und S fochten am 25.05.2014 die Einsetzung von K als Bezugsberechtigte an. VR teilte K am 09.06.2004 die Einräumung der Bezugsberechtigung erstmals mit. Als sowohl K als auch B Anspruch auf die Versicherungsleistung erhoben, hinterlegte VR sie zugunsten von K und von B und S.

Anspruch der K gegen B aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Einwilligung in die Herausgabe des hinterlegten Betrages (erlangtes Etwas: Hinterlegungsberechtigung)!

Rechtsgrundlosigkeit?

VN hat K ein Bezugsrecht i.S.d. §§ 328, 331 BGB eingeräumt (Deckungsverhältnis): Mit dem VersFall hat K eine unentziehbare Rechtsposition erworben, Erben können sie nicht mehr ändern oder widerrufen!

Ob BB die Versicherungsleistung im Verhältnis zum Erben behalten darf, ist eine Frage des Valutaverhältnisses (VN/BB). In Betracht kommt insoweit eine Schenkung.

29

Schenkungsvertrag ist als solcher zwischen VN/BB vor dem Tod des VN nicht abgeschlossen worden.

Das Schenkungsangebot ist nicht durch den Vater der K an K übermittelt worden, sondern erst nach dem in der Anfechtung liegenden Widerruf durch VR.

Die Übermittlung eines Schenkungsangebots des VN durch den VR als Boten ist nicht erfolgt. Sie erfolgt zwar regelmäßig durch Auszahlung der Versicherungsleistung oder Benachrichtigung des BB durch den VR. Hier ist jedoch der Übermittlungsauftrag durch die (in das Auftragsverhältnis einrückende Erbin B) widerrufen worden, bevor das Schenkungsangebot der K übermittelt worden ist. Ein Schenkungsvertrag ist folglich nicht zustande gekommen. Dem Erwerb der Forderung liegt folglich keine causa zugrunde.

E.

Forensisch bedeutsame Fallbeispiele

1.Versicherung fremden Lebens

Versicherte Person kann der VN und ein Dritter sein. Im zweiten Fall bedarf es bei ins

Gewicht fallenden Versicherungsleistungen (mit Ausnahme der Fälle der

betrieblichen Altersversorgung) zur Wirksamkeit des Vertrages der schriftlichen

Einwilligung des VN (§ 150 Abs. 2 VVG). Grund: Schutz vor dem Spiel mit dem

Leben anderer.

„Ein rätselhafter Fachmann für Judaica“

BGH 09.12.1998 – IV ZR 306/97 – BGHZ 140, 167

K verlangt als Bezugsberechtigte 6 Millionen USD aus einer Lebensversicherung, alsderen VN und VP der jüdische Rabbiner S, ein Fachmann für Judaica, genannt sind. S war dem VR nie persönlich gegenüber in Erscheinung getreten. Das Antragsformular wurde nach den Angaben des K bei einem Versicherungsvertreter ausgefüllt. Es wies nur in der Rubrik für die zu versichernde Person als Unterschrift Sauf. K behauptet, die Unterschrift habe sich schon bei der Aufnahme des Antrages auf dem Formular befunden. S habe das Formular zuvor blanko unterschrieben und K zur weiteren Ausfüllung bei dem Versicherungsvertreter übergeben. K will den Versicherungsschein S übergeben und ihn von ihm zurückerhalten haben und hat die Prämien, die ihm von S zur Verfügung gestellt worden sein sollen, bezahlt. Wenigspäter wurde in einem Hotel eine Person aufgefunden, bei der es sich um S gehandelt haben soll. Sie war getötet worden.

1. (Anspruchsgrundlage, Anspruchsvoraussetzungen)

Anspruch auf die Versicherungsleistung setzt wirksamen Abschluss des VV voraus.

Schriftliche Einwilligung des S nach § 150 Abs. 2 VVG als VP erforderlich (obwohl S

auch VN sein sollte? Entsprechende Anwendung, wenn VN am Vertragsschluss (wie

30

auch bei Blankounterschrift, weil VN keinen Einfluss auf den Vertragsschluss mehr

nehmen kann) nicht unmittelbar beteiligt war.

2. (Einwilligung der VP?)

Einwilligung als VP? § 126 Abs. 1 BGB ist an sich gewahrt; jedoch ergibt sich aus

Sinn und Zweck des Schriftformerfordernisses des § 150 Abs. 2 VVG Anderes:

Schriftliche Einwilligung muss Umstände erfassen, von denen das Risiko der VP

abhängt (Höhe der Versicherungssumme, Person des VN und des

Bezugsberechtigten, Dauer der Versicherung).

Nachträgliche Genehmigung? (Einwilligung ist die vorherige Zustimmung: § 183

BGB).

2. Leistungsausschluss Suizid

Keine Deckung besteht bei vorsätzlicher Selbsttötung innerhalb von 3 Jahren nach

Abschluss des VV (§ 163 Abs. 1 Satz 1 VVG); Ausschluss des Wegfalls der Deckung

bei Tatbegehung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand

krankhafter Störung der Geistestätigkeit (§ 163 Abs. 1 Satz 2 VVG)

„Der Selbstmörder, der offenbar nicht rechnen konnte“

OLG Saarbrücken 18.04.2012 – 5 U 293/11 – zfs 2013, 100

VN beantragte am 26.06.2006 eine RLV mit einer Versicherungssumme von 575.000€. Mit Schreiben vom 28.06.2006 erklärte VR, VN genieße vorläufigen Versicherungsschutz. Der Versicherungsschein datiert vom 14.08.2006 und nennt als Versicherungsbeginn des 01.08.2006. Am 10.08.2009 beging der an Krebs leidende VN Selbstmord. Erbe des VN meint, hätte VR den Antrag zügiger bearbeitet, wäre die Police früher ausgestellt worden; dann wäre die Karenzfrist abgelaufen gewesen [Zusatzprobleme im Entscheidungsabdruck: Anfechtung wegenVerschweigens von Vorerkrankungen, Wiederaufleben der vorläufigen Deckung bei Arglistanfechtung].

(1)Anspruch des Erben des VN ./. VR aus dem VV (Versicherungsfall Tod ist eingetreten) (Beweis: Erbe des VN)(2)Ausschluss des Anspruchs nach § 161 Abs. 1 Satz 1 VVG:

(a) Vorsätzliche Selbsttötung (Indizienbeweisproblem)(b) Beginn der Karenzfrist: Abschluss des Vertrages (Ausstellung der Police) [und

nicht Beginn des materiellen Versicherungsschutzes](3)Tatbegehung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit (§ 163 Abs. 1 Satz 2 VVG)?

31

„Ein Ausschuss der freien Willensbestimmung liegt vor, wenn jemand nicht im Stande ist, seinen Willen unbeeinflusst von einer vorliegenden Geistesstörungzu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Abzustellen ist darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider noch möglich war oder ob umgekehrt infolge der Geistesstörung äußere Einflüsse den Willen übermäßig beherrschten… Eine allgemeine emotionale Psychose ist für eine Selbsttötung charakteristisch und noch keinekrankhafte Störung… ebenso wenig eine bloße Willensschwäche, Erschöpfungszustände oder depressive Verstimmungen, solange der steuerbare Wille noch Einfluss auf die Entscheidung des Versicherten hat. Wichtiges Kriterium bei der Beurteilung der Frage ob unkontrollierbar Triebe und Vorstellungen in den Tod getrieben haben, ist in aller Regel des Fehlen nachfühlbarer Motive… Denjenigen, der sich auf den fehlenden freien Willen des Versicherungsnehmers beruft und die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens beantragt, treffen spezifische Anforderungen an die Substantiierung des Sachvortrags“

(4)Schadensersatz wegen verzögerter Bearbeitung (§§ 280 Abs. 1 BGB, § 241 Abs.2 BGB)? (Ggf. wegen Verletzung von Beratungspflichten bei Anschlussverträgen?)

3.Auskunftsanspruch des VN zur Berechnung des Rückkaufswertes

BGH Beschl.v. 07-01.2014 – IV ZR 216/13 – VersR 2014, 822

BGH Urt.v. 11.09.2013 – IV ZR 319/ - VersR 2013,1429

VN verlangt von VR Rückzahlung geleisteter Beiträge zu einer mehrfach beitragsfrei gestellten und zwischenzeitlich gekündigten fondsgebundenen Lebensversicherung, die eine Zillmerung der Abschlusskosten vorsah. VN hat 3.457,20 € an Prämien gezahlt. VR hat einen Rückkaufswert von 36,97 € ermittelt. VN verlangt Auskunft über die Berechnung der Höhe des Mindestrückkaufswerts.

„Besteht ein Anspruch auf den Rückkaufswert nach § 169 VVG, so kann ein Auskunftsanspruch nach Treu und Glauben in Betracht kommen, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Umfang und Inhaltder zu erteilenden Auskunft richten sich danach, welche Informationen der Berechtigte benötigt, um seinen Anspruch geltend machen zu können, soweit dem nicht Zumutbarkeitsgesichtspunkte oder andere Grenzen entgegenstehen. Der Auskunftsanspruch umfasst grundsätzlich nicht die Verpflichtung zur Vorlage der fiktiven versicherungstechnischen Bilanzen oder anderer Geschäftsunterlagen und auch kein Einsichtsrecht.“

Der BGH hat Ansprüche auf Auskunft, mit denen ein VN eine Begründung dafür

verlangt hat, wie und auf welche Weise der VR die mit der Auskunft zur Verfügung zu

stellenden Informationen ermittelt hat, verneint und der VN, der einen höheren

Rückkaufswert als den gezahlten verlangt, die Umstände darzulegen und

gegebenenfalls zu beweisen hat, die den weitergehenden Anspruch stützen sollen.

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Der BGH hat von dem VR verlangt, in geordneter Form Auskunft zu erteilen durch die Benennung folgender Beträge:

der Hälfte des mit den Berechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten und gezimmerten Deckungskapitals bzw. des ungezielten Fondsguthabens,

des Rückkaufswerts, der sich für den Zeitpunkt der Beendigung des Versicherungsvertrages bei Zugrundelegung der Bestimmungen des jeweiligen Versicherungsvertrages ergibt

der während der Vertragslaufzeit zugewiesenen laufenden Überschussbeteiligung und des anlässlich der Vertragsbeendigung zugewiesenen Schlussüberschussanteils, soweit etwaige Überschüsse Bestandteil der Berechnung des ungezillmerten Deckungskapitals und/oder der Berechnung des Rückkaufswerts sind,

sowie der an die Finanzverwaltung abgeführten Kapitalertragssteuern und Solidaritätszuschläge auf die vorerwähnte Überschussbeteiligung.

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Abschnitt 4

Grundzüge des Rechts der privaten Krankversicherung

§§ 192- 208 VVG

(AVB: MB/KK 2009; MB/KT 2009)

(Fundstelle: www.pkv.de)

A.

Gesetzliche Krankenversicherung und private Krankenversicherung

1.

Rechtstatsächliche Bedeutung:

9 Mio. Krankheitskostenvollversicherungsverträge, 23 Mio.

Krankheitskostenzusatzversicherungsverträge, 24 Mrd. € Versicherungsleistungen

jährlich, 192 Mrd. € Rücklagen.

2.Strukturprinzipien

Erstattung der tatsächlichen Aufwendungen des VN gegenüber Ärzten und

anderen Leistungserbringern (KKV: § 192 Abs. 1 VVG i.V.m. MB/KK) + ggf.

zusätzliche Dienstleistungen (§ 192 Abs. 3 VVG)

Zahlung zeitabhängiger vereinbarter Beträge als Krankentagegeld und

Krankenhaustagegeld (MB/KK, MB/KT)

Prämienkalkulation nach dem Äquivalenzprinzip (statt Solidarprinzip)

Vertraglicher Interessenausgleich von Privaten

Versicherungspflicht? (§ 5, § 6 SGB V; § 193 VVG)

SGB V

§ 5 Versicherungspflicht (Auszüge)

(1) Versicherungspflichtig sind

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1.Arbeiter, Angestellte und zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind,...

9.Studenten, die an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eingeschrieben sind, unabhängig davon, ob sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, wenn für sie auf Grund über- oder zwischenstaatlichen Rechts kein Anspruch auf Sachleistungen besteht, biszum Abschluß des vierzehnten Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des dreißigsten Lebensjahres; Studenten nach Abschluß des vierzehnten Fachsemesters oder nach Vollendung des dreißigsten Lebensjahres sind nur versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einerAusbildungsstätte des Zweiten Bildungswegs, die Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit rechtfertigen,...

(5) Nach Absatz 1 Nr. 1 oder 5 bis 12 ist nicht versicherungspflichtig, wer hauptberuflich selbständig erwerbstätig ist....

§ 6 Versicherungsfreiheit

(1) Versicherungsfrei sind

1.Arbeiter und Angestellte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenzenach den Absätzen 6 oder 7 übersteigt; Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahltwerden, bleiben unberücksichtigt,...

2.Beamte, Richter, Soldaten auf Zeit sowie Berufssoldaten der Bundeswehr und sonstige Beschäftigte des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde, von öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten, Stiftungen oder Verbänden öffentlich-rechtlicher Körperschaften oder deren Spitzenverbänden, wenn sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften oderGrundsätzen bei Krankheit Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge und auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben,...

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„Informationsblatt der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gemäߧ 10a Abs. 3 VAG

In der Presse und in der Öffentlichkeit werden im Zusammenhang mit der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung Begriffe gebraucht, die erklärungsbedürftig sind. Dieses Informationsblatt will Ihnen die Prinzipien der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung kurz erläutern.

Prinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung

In der gesetzlichen Krankenversicherung besteht das Solidaritätsprinzip. Dies bedeutet, dass die Höhe des Beitrages nicht in erster Linie vom im Wesentlichen gesetzlich festgelegten Leistungsumfang, sondern von der nach bestimmten Pauschalregeln ermittelten individuellen Leistungsfähigkeit des versicherten Mitglieds abhängt. Die Beiträge werden regelmäßig als Prozentsatz des Einkommens bemessen. Weiterhin wird das Versicherungsentgelt im Umlageverfahren erhoben. Dies bedeutet, dass alle Aufwendungen im Kalenderjahr durch die in diesem Jahr eingehenden Beiträge gedeckt werden. Außer einer gesetzlichen Rücklage werden keine weiteren Rückstellungen gebildet. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Ehegatten und Kinder beitragsfrei mitversichert.

Prinzipien der privaten Krankenversicherung

In der privaten Krankenversicherung ist für jede versicherte Person ein eigener Beitrag zu zahlen. Die Höhe des Beitrages richtet sich nach dem Alter und nach dem Gesundheitszustand der versicherten Person bei Vertragsabschluss sowie nach dem abgeschlossenen Tarif. Es werden nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnete risikogerechte Beiträge erhoben.

Die altersbedingte höhere Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen wird durch eine Alterungsrückstellung berücksichtigt. Bei der Kalkulation wird unterstellt, dass sich die Kosten im Gesundheitswesen nicht erhöhen und die Beiträge nicht allein wegen des Älterwerdens des Versicherten steigen. Dieses Kalkulationsverfahren bezeichnet man als Anwartschaftsdeckungsverfahren oder Kapitaldeckungsverfahren. Ein Wechsel des privaten Krankenversicherungsunternehmens ist in der Regel zum Ablauf des Versicherungsjahres möglich. Dabei ist zu beachten, dass für die Krankenversicherer – mit Ausnahme der Versicherung im Basistarif - keine Annahmeverpflichtung besteht, der neue Versicherer wiederum eine Gesundheitsprüfung durchführt und die Beiträge zum dann erreichten Alter erhoben werden. Ein Teil der kalkulierten Alterungsrückstellung kann an den neuen Versicherer übertragen werden1. Der übrige Teil kann bei Abschluss eines Zusatztarifes auf dessen Prämie angerechnet werden; andernfalls verbleibt er bei dem bisherigen Versichertenkollektiv. Eine Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung ist in der Regel, insbesondere im Alter, ausgeschlossen.

1 Waren Sie bereits vor dem 01.01.2009 privat krankenversichert, gelten für Sie Sonderregelungen. Bitte informieren Sie sich ggf. gesondert über diese Regelungen.“

In dieser neuen Textfassung ist das Informationsblatt zukünftig als Teil der Verbraucherinformationen auszuhändigen.

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B.

Rechtsnatur und Formender privaten Krankheitskostenversicherung

1.

Schadens- oder SummenV? (§ 194 Abs. 1 VVG)

KKV ist einerseits PersonenV, andererseits grundsätzlich SchadensV (konkreter

Bedarf), KTGV ist SummenV (Leistung eines fest vereinbarten Betrages zum Ersatz

des Verdienstausfalls), KHTGV ist SummenV (Leistung einer fest vereinbarten

Summe je Kliniktag zum Ausgleich von Mehraufwendungen). Vorrangige Bedeutung

der Unterscheidung: § 86 VVG ist insoweit nicht anwendbar.

2.

Substitutive und nicht substitutive KrankenV

Substitutive KV: Verträge, die die im gesetzlichen Sozialversicherungssystem

vorgesehene Krankenversicherung ganz oder teilweise ersetzen können“ (§ 12 Abs.

1 VAG, § 195 Abs. 1 VVG). Alle übrigen KV-V (Wahlleistungsabsicherung, KHTG-V,

AuslandsreiseKV) sind nicht substitutive KrankenV-V.

3.

Wichtige Sonderregelungen

Abschluss eines KV-V: Besondere Informationspflichten nach § 3 VVG-InfoV,

§ 10a Abs. 3 VAG. Grundsätzlicher Befristungsausschluss: § 195 Abs. 1 VVG Vorvertragliche Anzeigeobliegenheit: § 194 Abs. 1 Satz 3,4 Versicherungspflicht: § 193 Abs. 3 VVG Kontrahierungszwang: § 193 Abs. 5 VVG und Direktanspruch: § 195 Abs. 7

im Basistarif Besonderheiten bei der Prämienberechnung nach § 12 VAG

(Altersrückstellungen, Gleichbehandlungsgebot) Recht des VR auf (kontrollierte) Prämien- und Bedingungsanpassung nach §

203 VVG Sonderregelung zum Prämienverzug in der PflichtV nach § 193 Abs. 6 VVG

4.

Private KV als Pflichtversicherung mit Kontrahierungszwang: §§ 12 Abs. aa Satz 1

VAG, § 193 Abs. 5 VVG

Angebot flächendeckenden Krankheitskostenversicherungsschutzes zu bezahlbaren

(nicht risikogerechten, keine Leistungsausschlüsse enthaltenden) Konditionen aus

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sozialstaatlichen Gründen; keine unverhältnismäßige Einschränkung der VR-

Beraufsausübungsfreiheit, solange der Basistarif keine bdeutsamen Auswirkungen

auf das normale Krankenversicherungsverhältnis hat (Hier:überschaubarer

Personenkreis,bei allerdings relativ hohem Anteil von Nichtzahlern).

C. Der Versicherungsfall

Versicherungsfall in der PKV ist „die medizinisch notwendige Heilbehandlung

wegen Krankheit oder Unfallfolgen“ (§ 192 Abs. 1, 5 VVG). Im Streitfall ist es

daher erforderlich festzustellen, ob eine Krankheit vorliegt (oder ob Unfallfolgen

bestehen), und ob verlangt wird, Kosten zu erstatten, die auf einer medizinisch

notwendigen Heilbehandlung beruhen.

1. Krankheit

BGH 15.09.2010 – IV ZR 187/07 – VersR 2010, 1485 (Spermien-Injektion)

VN ist verheiratet und wünscht sich ein Kind, seine Ehefrau hat bislang Fehlgeburtenerlitten. Über zwei Jahre hinweg schlugen Inseminationsbehandlungen und in-vitro-Fertilisationen fehl. Für sie verlangt VN Kostenerstattung.

Hat VN das Vorliegen einer Krankheit bewiesen?

Krankheit = Objektiv, nach ärztlichem Urteil bestehender anormaler,

regelwidriger Körper- oder Geisteszustand. Dazu zählt auch die auf

körperlichen Ursachen beruhende Unfähigkeit, auf natürlichem Wege Kinder

zu zeugen.

IvF ist eine Maßnahme, die darauf gerichtet ist, die Unfruchtbarkeit des

Mannes zu lindern!

„Von Viagra, Lasik, Schönheitschirurgen und Wunderheilern“ OLG Karlsruhe 17.01.1991 – 12 U 70/90 – VersR 991, 912

VN, eine Bodybuilderin, litt unter einer Unterentwicklung (Hypoplasie) ihre Brüste undunterzog sich einer Brustoperation mit „Augmentationsplastik“, die allerdings erfolglos blieb. Sie verlangt Ersatz der Operationskosten.

Ob eine Krankheit vorliegt, entscheidet sich nach dem Sprachgebrauch auf der

Grundlage der medizinischen Erkenntnisse. Nicht jede Abweichung der körperlichen

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Beschaffenheit von der Normalität, die subjektiv als „Mangel“ empfunden wird, ist

eine Krankheit. Sie setzt vielmehr Beschwerden oder Funktionsstörungen voraus.

2. Medizinisch notwendige Heilbehandlung

a. Veranschaulichung

OLG Karlsruhe 03.07.2003 – 12 U 32/03 – VersR 2003, 1432

VN verlangt wegen einer durch eine arterielle Hypertonie bedingten erektilen Dysfunktion die Erstattung der Kosten für die Verordnung von Viagra.

Medizinisch notwendige Heilbehandlung ► Objektiver, vom Vertrag VN/Arzt

unabhängiger Maßstab: Notwendig ist die Behandlung, wenn aufgrund der

medizinischen Befunde vertretbar war, die Vornahme der ärztlichen Behandlung als

notwendig anzusehen, wenn also die Behandlung geeignet war, die Krankheit zu

heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken.

b. Alternative und experimentelle Medizin

BGH 30.10.2013 – IV ZR 307/12 – VersR 2013, 1558 (Dendritische Zellen)

VN leidet an einem metastasierenden Prostatakarzinom, das schulmedizinisch als unheilbar gilt. Versuche einer Universitätsklinik befassen sich mit der Frage, ob die „Injektion“ dendritischer Zellen eine Heilungsmöglichkeit ergeben. VN verlangt den Ersatz der dafür erforderlichen Aufwendungen.

Heutige Klausel:VR leistet …für Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die von der

Schulmedizin überwiegend anerkannt sind… (und) für Methoden undArzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend

bewährt haben oder die angewandt werden, weil keineschulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen…

Medizinisch notwendige Heilbehandlung : Objektiver Maßstab (keine Anknüpfung an

den Behandlungsvertrag).

Maßgebend: Medizinische Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Behandlung!

39

Medizinische Vertretbarkeit (Eignung, eine Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer

Verschlimmerung entgegen zu wirken) .

In Fällen der Unheilbarkeit: Zuweilen kommt jeder Behandlung Versuchscharakter

zu! Ist eine unheilbare, lebenszerstörende Krankheit gegeben, sind auch die Kosten

einer Heilbehandlung erstattungsfähig, der Versuchscharakter zukommt, die jedoch

medizinisch begründbar Aussicht auf Heilung oder Linderung verspricht

(nachvollziehbarer Ansatz, der die prognostizierte Wirkungsweise zu erklären

vermag).

c. Betragsmäßige Begrenzung der Aufwendungen

Gesetzliche Regelung: § 192 Abs. 2 VVG (Keine Leistungspflicht, wenn die

Aufwendungen für die Heilbehandlung oder sonstigen Leistungen in einem

auffälligem Missverhältnis zu den erbrachten Leistungen stehen) Übermaßverbot!

Hintergrund:

BGH 12.03.2003 – IV ZR 278/01 – BGHZ 154, 154 („Alphaklinik“)

VN unterzog sich drei minimal-invasiven Bandscheibenoperationen in der PrivatklinikP, die ihm dafür (auf der Grundlage der geschlossenen Krankenhausverträge) selbstdefinierte Fallpauschalen (ca. 45.000 DM) in Rechnung stellte, deren Erstattung er von seinem PKV-V verlangte. Sein PKV-V verweigerte weitgehend die Bezahlung der von sonstigen Kliniken für vergleichbare Behandlungen um 900% überhöhten Vergütungen.

[Hinweise zur Lösung: Anspruchsgrundlage ist der VV (Erstattung der Aufwendungen

des VN aus berechtigten Ansprüchen Dritter + Ansprüche des Klinikträgers gegen VN

auf der Grundlage des Krankenhausaufnahmevertrages oder Sittenwidrigkeit der

Preisklausel (§ 138 Abs. 1 BGB: kein Vergleich mit Kosten herkömmlicher

Operationen in Kliniken der öffentlichen Krankenversorgung; zum damaligen AVB-

Recht: „medizinisch notwendige Heilbehandlung“ ist nicht als „preiswerteste“

Heilbehandlung zu verstehen)].

Heute: § 192 Abs 2 VVG begrenzt die Kostenerstattung.

40

Übermaßbehandlungen und Übermaßvergütungen werden nicht erstattet.

Voraussetzung ist die (vom VR nachzuweisendes „auffälliges“ Missverhältnis

zwischen den geltend gemachten Aufwendungen und den erbrachten Leistungen.

c. Zeitpunkt des „Versicherungsfalls“

„Zahnschmerzen, die keinen Anfang und kein Ende haben wollen“

OLG Köln 18.10.2013 – 20 U 125/13 – VersR 2014, 1200

VN, der seit dem 01.10.2006 bei VR einen MBKK-V unterhält, verlangt die Erstattungder Kosten für die Überkronung und Brückenversorgung seiner Zähne. Schon am 31.10.2005 stellte der Zahnarzt Z das Fehlen von Zähnen fest und riet zu einer – nicht notwendigerweise sofortigen – Extraktion verbliebener Zähne und dem prothetischen Ersatz fehlender anderer.

Versicherungsfall in der PKV ist nicht die Krankheit sondern die medizinisch

notwendige Heilbehandlung (Fehlen von Zähnen führt zur Funktionsbeeinträchtigung

des Kausystems, fehlender zahnmedizinischer Ausgleich birgt die Gefahr von

Folgeschäden). Beschwerdefreiheit ist unerheblich. Versicherungsfall ist allerdings

nicht die Behandlungsbedürftigkeit sondern der Beginn der Heilbehandlung. Also:

Haben vor dem 01.10.2006 Maßnahmen der Zahnversorgung stattgefunden

(Untersuchungen zur Erkennung des Leidens genügen)?

Problematik des „gedehnten Versicherungsfalls“

Von einem gedehnten VF spricht man, wenn sich das versicherte Ereignis

(Heilbehandlung) über längere Zeiträume erstreckt. In der PKV ist beginnt das

versicherte Ereignis mit der Heilbehandlung und endet, wenn nach medizinischem

Befund keine Behandlungsbedürftigkeit mehr besteht (§ 1 (2) Satz 2 MB/KK 2009).

Von Bedeutung ist das für den Zeitraum der Deckung: Hat eine Heilbehandlung vor

dem materiellen Versicherungsbeginn eingesetzt, besteht keine Absicherung!

D. Inhaber des Anspruchs

Unterscheidung Versicherungsnehmer, versicherte Personen, Gefahrpersonen

E. Kündigung des Krankheitskostenversicherungsvertrages

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Kündigung der substitutiven KKV durch den VR ist nach § 206 Abs. 1 VVG

grundsätzlich ausgeschlossen. Gilt das auch für die außerordentliche Kündigung

nach § 314 BGB?

Kündigung der substitutiven KKV durch den VN richtet sich nach § 205 Abs. 1 VVG

(Kündigungsfrist 3 Monate zum Jahresende); in Fällen des Eintritts der gesetzlichen

Krankenversicherung binnen 3 Monaten zum Eintritt der Versicherungspflicht

rückwirkend zu dessen Zeitpunkt.

„Ein klitzekleiner Krankheitsprofit“

BGH 07.12.2011 - IV ZR 50/11 - VersR 2012, 219 „Abrechnungsbetrug“]

VN unterhielt seit 01.08.2008 bei VR eine KKV zur Ergänzung seines Beihilfeanspruchs. VR kündigte den Vertrag am 01.07.2010 fristgemäß und fristlos, weil VN von 2008 bis 2010 eineVielzahl angeblicher Medikamentenbezüge abgerechnet hatte, die er in Wirklichkeit gar nichtbezogen hatte. VN beantragte die Feststellung des Fortbestehens seines VV mit der Begründung, seine Ehefrau habe die Abrechnungen vorgenommen, weil er krankheitsbedingt dazu nicht in der Lage gewesen sei, ihm seien Manipulationen nicht bekannt gewesen.

Lösungsskizze:VN kann gegenüber VR Feststellung des Fortbestehens des VV verlangen, wenn die Kündigung vom 01.07.2010 unwirksam war.1.Auflösung des VV gemäß § 11 Abs. 2 VVG i.V.m. § 206 Abs. 1 VVG?Grundsätzliches Bestehen eines KündigungsR? (§ 193 Abs. 1 VVG begründet Versicherungspflicht für Beihilfeberechtigte)(Ggf. beachten: Befristung des Kündigungsrechts nach § 206 Abs. 2 VVG)2.Auflösung des VV gemäß § 314 BGB?a.Ausschluss des Rechts nach § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG?[BGH: Kein Ausschluss des Rechts zur außerordentlichen Kündigung; für einen Ausschluss spricht zwar Wortlaut und systematischer Zusammenhang zu § 206 Abs. 1 Satz 2 VVG, gegen ihn spricht außerhalb der Sonderregelung zum Prämienverzug (§ 193 Abs. 6 VVG)die Notwendigkeit einer teleologischen Reduktion (Schutz des VNnur vor einem Verlust des Versicherungsschutzes bei Prämienrückständen, nicht aber bei anderen schweren Vertragsverletzungen, auch § 193 Abs. 6 VVG enthält Ansätze eines Schutzes des VR, VR kann sich grundsätzlich auch nach den §§ 19 ff. VVG lösen, VN kann eine KKV zum Basistarif weiterhin abschließen) b.Voraussetzungen des § 314 BGB: Vorliegen besonders schwer wiegender Gründe; Zurechnung des Verhaltens der Ehefrau (Repräsentation)

Rechtsfolgen der Kündigung durch den VN: Bei Neuabschluss eines PKV (§ 204

Abs. 1 Nr. 2 VVG: Teilübertragung (Übertragungswert) der Alterungsrückstellung.

Was ist die Alterungsrückstellung?

42

Weil mit dem Alter eines Menschen die Inanspruchnahme von

Gesundheitsleistungen steigt, werden von der PKV in jüngeren Jahren Prämien

erhoben, die höher sind als es das abgesicherte Risiko an sich erfordern würde. Die

„überschießenden“ Prämienanteile werden „zurückgestellt“, um im Alter Mehrkosten

decken zu können, die von der Prämienkalkulation nicht gedeckt werden. Rechtliche

Grundlage ist § 12 VAG i.V.m. der KalV. Die Höhe ist versicherungsmathematisch

(aktuarisch) zu ermitteln und wird in einem Treuhänderverfahren geprüft.

Rechtspraktischer Hinweis:

Findet ein Wechsel von der PKV in die GKV statt, empfiehlt es sich zu erwägen, die

PKV in eine AnwartschaftsV umzuwandeln. Dann erwirbt der (frühere) VN einen

Anspruch auf „Revitalisierung“ seiner PKV, wenn er später aus der GKV wieder

ausscheiden darf oder kann. Die AnwartschaftsV begründet keine

Leistungsansprüche sondern eine Art Option, die, je nach Ausgestaltung, weitere

Alterungsrückstellungen aufbaut (§ 204 Abs. 4 VVG).

F.

Rechtsprobleme der Krankentagegeldversicherung

„Ein Rechtsanwalt, der nicht mehr lesen konnte“

BGH 03.04.2013 – IV ZR 239/11 – VersR 2013, 615

VN ist Rechtsanwalt und unterhält bei VR eine MB/KT-V. Nach einem leichten Schlaganfall mit der Folge einer Dyslexie (Leseschwäche) ist VN arbeitsunfähig geschrieben ab 23.08.2006; er kann allerdings in geringem Umfang seiner Arbeit als Rechtsanwalt nachgehen. VR stellte nach einiger Zeit die Krankentagegeldzahlungen ein mit der Begründung, es liege Berufsunfähigkeit vor.

AVBMB/KT (Zusammenfassung):1.

VR bietet Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall als Folge von Krankheitenoder Unfällen, sofern dadurch Arbeitsunfähigkeit verursacht wird.

2.Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit

nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auchnicht ausübt und keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgeht.

3.Das Versicherungsverhältnis endet mit dem Eintritt der Berufsunfähigkeit der

versicherten Person.

Lösungsskizze

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Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld? Anspruchsvoraussetzung: AU:

1.Scheitert die Annahme von AU daran, dass in geringem Umfang Arbeit geleistet werden kann?

Rechtsprechung: Eine nur zu Teil gegebene Arbeitsfähigkeit schließt den Anspruch auf KTG aus! Kann VN seinem bislang ausgeübten Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung mindestens teilweise nachgehen?

Fähigkeit zur Ausübung einzelner isoliert keinen Sinn ergebender Tätigkeiten schließtAU nicht aus:

„Vielmehr stellt die Fähigkeit zum flüssigen Lesen und Durcharbeiten von Texten regelmäßig eine Grundvoraussetzung für das Ausüben einesjuristischen Berufs dar; für den Beruf eine Rechtsanwalts ist eine weitgehend erhaltene Lesefähigkeit unabdingbar“

Die Prüfung eines Anspruchs auf Krankentagegeld darf sich nicht darauf

beschränken, ob die VP in zeitlicher Hinsicht noch in gewissem Umfang in der

Lage ist, ihre berufliche Tätigkeit fortzusetzen, sondern muss klären, ob sie

die prägenden Anforderungen ihres bisherigen Berufs wenigstens noch

teilweise erfüllen kann.

2.Scheitert ein Anspruch an dem Bestehen von Berufsunfähigkeit?

MB/KT § 15 (1) b):Das Versicherungsverhältnis endet mit dem Eintritt von Berufsunfähigkeit;

Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befundim bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit zu mehr als 50%

erwerbsunfähig ist.

Darstellung des Sinns und der Problematik der Klausel

Fehlen einer Übereinstimmung mit den AVB der

Berufsunfähigkeitsversicherung

Zeitpunkt des Leistungsendes (Rückwirkung?).