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1 SE/IPS am ZfP-Reichenau - Wie effektiv ist Supported Employment nach dem IPS-Modell im Landkreis Konstanz? Ein Zwischenbericht zum 31.12.2016 Dr. Daniel Nischk Susanne Hauk Sandra Flügel Winfried Klimm Dr. Andrea Temme

SE/IPS am ZfP-Reichenau - Wie effektiv ist Supported ... · mit den verfügbaren Daten zum RPK-Verfahren (Stengler et al., 2014) angestellt. In Tabelle 1 sind die klinischen und demografischen

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SE/IPS am ZfP-Reichenau - Wie effektiv ist Supported Employment nach dem

IPS-Modell im Landkreis Konstanz?

Ein Zwischenbericht zum 31.12.2016

Dr. Daniel Nischk Susanne Hauk Sandra Flügel

Winfried Klimm Dr. Andrea Temme

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Seit dem 1.7.2015 wird Supported Employment nach dem IPS-Ansatz am Zentrum für

Psychiatrie Reichenau angeboten. Es handelt sich um ein innovatives berufliches

Rehabilitationsmodell, das anstrebt Menschen mit psychisch bedingten Einschränkungen direkt auf

den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln.

Dieser Bericht fasst die bisherigen Erfahrungen zum 31.12.2016, d.h. nach 18 Monaten,

zusammen. Zunächst sollen abrissartig 1.) der Hintergrund und die Zielvorstellungen skizziert und

2.) der IPS-Ansatz vorgestellt werden, bevor 3.) einige Effektivitätsmaße entlang verschiedener

Fragestellungen berichtet werden. Abschließend sollen 4.) quantitative wie persönliche

Erfahrungen zusammenfassend diskutiert werden.

1.) Hintergrund und Zielvorstellungen

Das Zentrum für Psychiatrie nimmt in der Regelversorgung psychisch Kranker im Landkreis

Konstanz eine zentrale Rolle ein. Um den langfristigen Verlauf von Menschen mit schweren

psychischen Erkrankungen – hiervon sind besonders Menschen mit Psychosen aus dem

schizophrenen wie affektiven Formenkreis betroffen (s.a. Gühne & Riedel-Heller, 2015) – zu

verbessern, sind möglichst frühzeitige Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation erforderlich. Die

Teilhabe am Berufsleben gilt hierbei als wesentlicher Indikator der Effektivität einer auf „Recovery“

und persönlicher Lebenszufriedenheit ausgelegten langfristigen Behandlung. Frühzeitig eingesetzte

Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitationen sollen dementsprechend im Sinne einer sekundären

Prävention einem negativen sozialen Outcome mit Frühverrentung, Wohnheimversorgung,

Verarmung entgegenwirken.

Die berufliche Rehabilitation in Deutschland weist hingegen zwei Probleme auf, die deren

Effektivität einschränken können. Zum einen wird sie – besonders in Süddeutschland – häufig

gemeindefern organisiert (z.B. in überregionalen Zentren zur Rehabilitation psychisch Kranker

(RPK)). Zwar bedürfen die meisten Rehabilitanden auch nach erfolgreichem Abschluss einer

beruflichen Rehabilitationsmaßnahme einer tätigkeitsbezogenen Unterstützung, jedoch ist eine

solche wohnortnahe und praktische Unterstützung durch die Anbieter von beruflichen

Rehabilitationsmaßnahmen in der Regel nicht möglich bzw. nicht vorgesehen. Zum anderen

überbetonen die bestehenden berufsrehabilitativen Angebote das sog. „train-place“-Prinzip: Vor

einer Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt werden mehr oder weniger umfangreiche

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Trainingsmaßnahmen zur beruflichen Qualifikation bzw. zur Vermittlung von grundlegenden

Arbeitsfähigkeiten durchgeführt. Obgleich dieses gestufte Vorgehen intuitiv plausibel erscheint,

scheint dieses Konzept die Betroffenen nur unzureichend auf eine Tätigkeit auf den allgemeinen

Arbeitsmarkt vorzubereiten (z.B. Gühne & Riedel-Heller, 2015). So sind nach dem regulären

Abschluss der medizinischen wie beruflichen Rehabilitationsphase einer RPK-Maßnahme nur 6,6-

11% auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig (Stengler et al., 2014). Aus den Werkstätten für

Behinderte Menschen (WFBM) finden praktisch keine Übergänge auf den allgemeinen

Arbeitsmarkt statt (z.B. Rekers et al., 1998). RPKs und WFBMs sind überdies aufgrund ihrer

Institutionalisierung recht teure Maßnahmen. Hinzu kommt, dass besonders für junge Betroffene

diese Art der Rehabilitation wenig attraktiv ist, da sie mit einem Wohnortwechsel und mit sozialer

Exklusion verbunden ist.

Im Unterschied dazu ist Supported Employment (SE) ein wohnortnahes, sozial

inkludierendes und vergleichsweise günstiges Rehabilitationsmodell: Rehabilitanden werden direkt

auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt und dort anschließend unbefristet unterstützt. SE

wird in der Regel nach dem „Individual Placement and Support (IPS)“-Modell (Drake & Becker,

2003) durchgeführt, das international am meisten wissenschaftlich untersucht wurde. Die

derzeitige Studienlage weist darauf hin, dass durch SE/IPS Maßnahmen Rehabilitanden häufiger

und auch längerfristiger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt werden als durch

herkömmliche „Train-Place“-Maßnahmen (z.B. Bond et al., 2012; Burns et al., 2008, s.a. die

Metanalyse von Kinoshita et al., 2013). Trotz dieser insgesamt guten internationalen Evidenzlage,

ist die Einführung von IPS in Deutschland bislang unterblieben, obgleich die bestehenden

Rehabilitationsmodelle noch viel weniger wissenschaftlich evaluiert worden sind.

Zielsetzung des Reichenauer SE/IPS-Projektes ist die Einführung dieses Ansatzes in den

Versorgungsbereich des ZfP-Reichenau. Das Reichenauer SE/IPS-Projekt wird durch

Geschäftsleitung der ZfP-Gruppe vorfinanziert, um die Praktikabilität und Effektivität des IPS-

Ansatzes unter den gegebenen sozialrechtlichen Bedingungen in Deutschland zu überprüfen.

Konzeptuell ist das Reichenauer SE/IPS-Projekt dem seit 2012 kontinuierlich ausgebauten

Frühbehandlungsprojekt für Menschen mit schizophrenen Psychosen angegliedert, das darüber

hinaus eine Früherkennungssprechstunde sowie eine stationäre Frühbehandlungseinheit (Soteria)

vorhält. Das SE/IPS-Projekt richtet sich daher besonders an junge Psychosebetroffene, die im

Allgemeinen am stärksten von sozialer wie beruflicher Behinderung bedroht sind (vgl. Richter et

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al., 2006). Je nach Verfügbarkeit werden auch Klienten mit primär depressiven Störungen betreut

oder die infolge von psychischen Störungen von Arbeitsplatzverlust oder Verrentung bedroht sind.

Die langfristigen Verläufe werden in Kooperation mit der Universität Konstanz (FB Psychologie:

Prof. Dr. B. Rockstroh) wissenschaftlich evaluiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

2.) Supported Employment nach dem IPS-Ansatz

Das SE/IPS-Projekt Reichenau folgt dem sog. „Individual Placement and Support (IPS)“-

Ansatz (Becker & Drake, 1993), der international am besten wissenschaftlich evaluiert wurde.

Grundsätze des IPS-Ansatzes sind u.a. die recht unmittelbar nach Einschluss beginnende Suche

nach einer regulären Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, ohne besondere

Eignungsuntersuchungen oder Trainingsmaßnahmen. Der Jobcoach begleitet den Klienten bei

Stellensuche, Bewerbungsgespräch und beim Tätigkeitserhalt und dies unbefristet. Er berät Klient

und Arbeitgeber u.a. über mögliche Tätigkeitsanpassungen und finanzielle Fördermöglichkeiten

und steht bei allen potentiellen Schwierigkeiten zeitnah zur Verfügung. Die Jobcoaches arbeiten

zum großen Teil aufsuchend innerhalb der Gemeinde und achten auf die Abstimmung zwischen

den beteiligten Ärzten, Therapeuten und Angehörigen. Die Teilnahme ist grundsätzlich für alle

Interessenten möglich – es müssen keinerlei “Vorleistungen”, wie etwa der Nachweis von

Belastbarkeit oder Pünktlichkeit durch vorgeschaltete arbeitstherapeutische Maßnahmen erbracht

werden. Parallel dazu wird durch die Jobcoaches sukzessive ein Netzwerk von örtlichen

Arbeitgebern aufgebaut und unterhalten, um die Erwartungen der Arbeitgeber möglichst gut mit

den Fähigkeiten und Einschränkungen des Klienten in Einklang zu bringen und somit eine

Vermittlung nach den Interessen und Fähigkeiten des Klienten zu befördern.

Da sich die Umsetzungstreue des IPS-Ansatzes als wichtiger Prädiktor für deren Effektivität

herausgestellt hat (Henry et al, 2014), wird quartalsweise die Umsetzungstreue anhand der IPS-

Fidelity-Scale (Bond et al. 1997; Hoffmann, 2013) als Selbstbewertung eingeschätzt. Mit einem

über die Quartale konstanten Wert von 67 (von 75 Punkten) kann von einer guten bis sehr guten

Umsetzungsgüte ausgegangen werden.

3.) Platzierungsergebnisse nach 18 Monaten SE/IPS

Die SE/IPS-Prozesse werden im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität

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Konstanz (Prof. Dr. B. Rockstroh) kontinuierlich systematisch evaluiert und ausgewertet. Hierbei

geht es 1.) um die Effektivität von SE/IPS im Hinblick auf die Platzierungsrate auf dem allgemeinen

Arbeitsmarkt, insbesondere in Bezug auf junge Betroffene mit Schizophrenie-Spektrums-Störungen

(3.1). Hierzu werden SE/IPS-Klienten mit einer Gruppe von Interessenten verglichen, die nur

deshalb nicht im hiesigen SE/IPS-Projekt betreut werden können, weil sie zu weit entfernt wohnen.

Während der ersten 18 Monate werden u.a. die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt getätigten

Stunden, die finanziellen Einkünfte und die beruflichen Fehlzeiten erhoben. Darüber hinaus soll 2.)

untersucht werden, ob SE/IPS auch erfolgreich zum Tätigkeitserhalt eingesetzt werden kann. Hierzu

wird eine kleinere Gruppe von Klienten nach einer stationären Behandlung gemäß des SE/IPS-

Ansatzes unterstützt. Bei diesen Teilnehmern wurde übereinstimmend von Klienten und

Arbeitgebern das gegenwärtige Arbeitsverhältnis als „sehr gefährdet“ eingeschätzt (3.2).

Schließlich soll analysiert werden, anhand welcher klinischen und demografischen Merkmale die

erfolgreiche Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt prognostiziert werden kann. Hierzu

werden Ergebnisse jedoch erst nach Abschluss des Modellprojektes vorliegen.

3.1.) Effektivität von SE/IPS zur Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt

Zum 31.12.2016 wurden 31 Klienten mit dem Ziel, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen

Arbeitsmarkt zu finden und zu erhalten nach dem SE/IPS-Protokoll betreut. In der Kontrollgruppe

sind derzeit sechs (von 13) Datensätze auswertbar. Die Kontrollpersonen stammen aus

angrenzenden Landkreisen, in denen kein IPS/SE angeboten wird und die dort entsprechend

lokaler sozialer Unterstützungsangebote betreut werden. Da sich aufgrund der geringen Anzahl

von Kontrollpersonen bislang ein direkter Vergleich verbietet, werden unsere SE/IPS-

Vermittlungsquoten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt mit zwei zusammenfassenden

Untersuchungen (Bond et al., 2012; Burns et al., 2009) verglichen und darüber hinaus ein Vergleich

mit den verfügbaren Daten zum RPK-Verfahren (Stengler et al., 2014) angestellt.

In Tabelle 1 sind die klinischen und demografischen Basisdaten der Gesamtgruppe

zusammengetragen. Entsprechend der primären Ausrichtung des SE/IPS-Projekts als präventive

Maßnahme zur Vermeidung langfristiger psychosozialer Beeinträchtigung von jungen Menschen

mit Psychosen weisen 72,8% eine Störung aus dem schizophrenen Spektrum auf. Diese Gruppe ist

überwiegend unter 30 Jahre alt. Darüber hinaus gibt es einen kleineren Anteil von eher älteren

Teilnehmern mit in der Regel langjährigen affektiven Störungen. Alle Klienten waren vor Einschluss

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ins SE/IPS-Projekt über mindestens sechs Monate nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt

erwerbstätig.

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Tabelle 1: Demografische und klinische Daten der IPS/SE-Gruppe (N = 38)

Alter

31,81 (SD = 9,71) 60% < 30 Jahre

Geschlecht 15 (39,5% weiblich)

Krankheitsjahre 5,11 (SD = 4,90) 70% < 5 Jahre

Hauptdiagnose Suchtstörung Schizophrenie-Spektrum Bipolare Störung Depressionen Zwangsstörung

1 (2,6%) 28 (72,8%) 1 (2,6%) 7 (18,4%) 1 (2,6%

Nebendiagnose keine Sucht gegenwärtig Sucht Lebenszeit Depression Sozialphobie Persönlichkeitsstörung

19 (50%) 3 (7,8 %) 12 (31,5%) 2 (5,3%) 1 (2,6%) 3 (7,9%)

Ausbildung keine Ausbildung

17 (44,7%)

Wohnen selbständig Eltern Wohnheim/ betreute WG

20 (52,2%) 12 (31,6%) 6 (15,8%)

Einschlussdauer IPS zum 31.12.2016

10,08 (SD = 5,41) 48,6% mehr als 10 Monate 31,0 % mehr als 16 Monate

Anmerkung: Angeben werden Mittelwerte/ Standardabweichungen (SD) bzw. Häufigkeiten/ Prozentwerte (%)

Es wurde die in der Forschung üblichen Maßzahlen berechnet (siehe Tabelle 2). Da knapp

die Hälfte der Teilnehmer bislang weniger als ein Jahr betreut wurden, sind diese Angaben

demnach als vorläufige Schätzungen zu betrachten. Zwei Teilnehmer, die zum 13.12.16 weniger als

drei Monate im Projekt eingeschlossen waren, wurden von dieser Berechnung ausgeschlossen. Da

ein Vergleich mit der unbehandelten Kontrollgruppe bislang aufgrund noch zu geringer Fallzahlen

nicht verlässlich ist, dienten die Ergebnisse zweier großer Studien als Vergleich: Zum einen die

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Zusammenfassung von 15 vorwiegend anglo-amerikanischen Studien von Bond, Becker und Drake

(2012) und zum anderen die europäische EQOLISE-Studie, die die Effektivität von SE/IPS in acht

Ländern untersuchte (Burns et al. 2008).

Wie in Tabelle 2 ersichtlich, waren in der SE/IPS-Gruppe innerhalb eines Jahres 17 von 29

(58,6%) Klienten mindestens einen Tag auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig. Die Spannbreite

der Vermittlungsquoten betrug in der zitierten Studie von Bond, Becker und Drake 21-55%. In der

EQOLISE-Studie, die SE/IPS in sechs europäischen Ländern mit train-place Angeboten verglich,

waren – jedoch erst nach 18 Monaten – im Durchschnitt 54,5% der SE/IPS-Teilnehmer (KG: 27,6)

über mindestens einen Tag auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt. Zehn der 29 SE/IPS-

Klienten (34,4%) waren über mindestens zwei Monate mehr als zwanzig Wochenstunden auf dem

allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt (Bond et al.: EG: 43% vs. KG: 14,2).

Betrachtet man lediglich die Gruppe der Klienten mit Schizophrenie-Spektrums-Störungen

(F2-Diagnosen: EG: n = 18), so waren 13/18 (72,2%) Klienten für mindestens einen Tag auf dem

allgemeinen Arbeitsmarkt tätig (KG: 1/6 (16,7%)), während 9/18 (50%) Klienten über mindestens

zwei Monate zu einem Stundendeputat von mindestens 20/ Woche tätig (KG: 1/6 (16,7%)) waren.

Dies ist besonders erfreulich, da diese Gruppe im Allgemeinen am wenigsten von

Rehabilitationsangeboten profitiert. Jedoch scheinen besonders die jungen Psychosebetroffenen

auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelbar zu sein und weniger die schon chronisch

Erkrankten mit Mehrfachunterstützung (siehe Diskussion).

Die Anzahl der real getätigten Tage über zwölf Monate betrug über alle Diagnosen hinweg

in der IPS-Gruppe im Durchschnitt 213 Tage (=469 Stunden). Nach durchschnittlich 128 Tagen

wurde eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angetreten. In der KG war nur ein einziger

Klient (von sechs) bislang auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig. Die Klienten in der KG führten

überwiegend – noch im Krankenhaus vorbereitete – Arbeitserprobung bzw. unbezahlte Praktika

durch. Bei den meisten war eine andere berufliche Rehabilitation, z.B. RPK oder eine

berufsvorbereitende Maßnahme, angedacht oder im Bewilligungsprozess. Auffällig war bei den

meisten Klienten eine deutliche Frustration über die langen Vorlaufzeiten.

Zusammengefasst liegt sowohl die Vermittlungsrate als auch die Tätigkeitsintensität unserer

SE/IPS Klienten über die verschiedenen Kriterien hinweg im oberen bis mittleren Bereich der

internationalen Studien.

Es kam bislang zu sieben regulären Beendigungen und zu vier Behandlungsabbrüchen. Die

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Abbrüche erfolgten zweimal aufgrund inhaltlicher Differenzen; zweimal kam es zu einem

Kontaktabbruch trotz fortgesetzter Kontaktversuche durch den Jobcoach.

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Tabelle 2: Daten zu Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, unentgeltlicher Tätigkeit, Betreuungsintensität, Fehltage und Dauer bis zur ersten Tätigkeit pro Jahr bei KG und EG.

KG (n = 6) IPS/SE (n = 29) Bond (2012)2 EQOLISE3

Anteil (%) oder M (SD)

Anteil (%) oder M (SD)

Anteil (%) oder M (SD) in EG/ KG

Anteil (%) oder M (SD) in EG/ KG

Allgemeiner Arbeitsmarkt tätig AA (>1 Tag) Stunden/ Jahr Tage/Jahr tätig AA > 20h/W. und 2 Monate F2-Diagnosen tätig AA (>1 Tag) tätig AA > 20h/W. und 2 Monate

1/6 (16,7%) 723,0 (-) 87,8 (-) 1/6 (16,7%) 1/6 (16,7%) 1/6 (16,7%)

17/ 29 (58,6%) 469,3 (489,66) 213,4 (212,8) 10/29 (34,4%) 18/18 (72,2%) 9/18 (50%)

58,9% / 23,2% 284,3/ 86,1 100 / 96,5 43 % / 14,2% - -

54,5%/27,6% 285,7/ 79,3 /86,7/20,3 - - -

Unentgelt. Tätigkeit tätig UT (>1 Tag) Stunden/ Jahr Tage/ Jahr

3/6 (50%) 329,7 (293,5) 86,8 (88,3)

15/29 (51,7%) 230,9 (249,5) 64,1 (74,9)

- - -

- - -

SE/IPS-Betreuung tätig (>1 Tag)3 Häufig./ Mon. Stund./ Mon. Indir.Zeit1

4/6 (66,7%) 0,28 (0,56) 0,19 (0,33) -

29/29 (100%) 3,29 (1,27) 1,93 (0,83) 0,66 (0,65)

- - - -

- - - -

Einkommen tätig AA (>1 Tag) Brutto/ Jahr

1/6 (16,7%) 4950,00

17/29 (58,6%) 6148,88 (5965,88)

- -

- -

Fehltage tätig (>1 Tag)4 Anzahl Kliniktage behandelt in KH Anzahl

4/4 (100%) 8,70 (8,90) 4/6 (66,7%) 69,55 (23,58)

9/22 (40,9%) 10,75 (27,20) 9/29 (31%) 68,46 (38,65)

- - - -

- 20,1%/31,3% - -

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Tage bis erste Tätigkeit tätig (>1 Tag)3

Tage bis Tätigkeit3 Tage bis erste Tätigkeit auf AA tätig AA (>1 Tag) Tage bis Tätigkeit

4/6 (66,7%) 23,25 (45,18) 1/6 (16,7%) 0 (-)

22/29 (75,9%) 77,23 (95,36) 17/29 (58,6%) 128,17 (112,41)

- - - 167,7/ 236,3

- - - -

Anmerkung: Angegeben sind Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) für jeweils relevante Anteile der Teilstichroben (z.B. erste Spalte: 1 von 6 waren in der KG (16,7%) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig und haben 723,00 Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gearbeitet).

1 Indirekte Zeit = Zeit für Anreise, Telefonate, Arbeitgeberkontakte ohne den Klienten;

2 Zusammenstellung

internationaler Studien von Bond, Becker und Drake (2012);3

Burns et al., 2008; 4 tätig auf allgemeinen Arbeitsmarkt

oder unentgeltlich

Betrachtet man die Art der Anstellungsverhältnisse (Tabelle 3), so waren 56,3% der

Anstellungsverhältnisse sozialrechtlich im Mini- oder Midijob-Bereich angesiedelt, 7 (23,4%) der

Beschäftigungen sind Vollzeitbeschäftigungen und 6 (20%) waren Teilzeitbeschäftigungen.

Tabelle 3: Art der Tätigkeitsverhältnisse

Vollzeit Ausbildungsberuf Ausbildung Ausbildung Bildungsträger Ungelernte Tätigkeit Gesamt

2 (6,7% 1 (3,3%) 3 (10%) 1 (3,3%) 7 (23,4%)

Teilzeit Ausbildungsberuf Ungelernte Tätigkeit Gesamt

2 (6,7%) 4 (13,3%) 6 (20 %)

Midi- oder Minijob 17 (56,6%)

Allgemein finden wir bislang, dass ältere Klienten mit chronischen Störungen aus dem

schizophrenen Spektrum kaum eine Anstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden; diese

Klienten sind zum großen Teil schon (teil-)berentet und demnach auch keine

„Rehabilitationskandidaten“ im engeren Sinne mehr. Die jüngeren Psychosebetroffenen können in

der Regel Beschäftigungsverhältnisse in einem Umfang von bis zu 20 Wochenstunden bewältigen,

in einigen Fällen auch mehr. Ausbildungsverhältnisse sind bislang besonders dann realistisch, wenn

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IPS mit anderen BfA-Maßnahmen (z.B. BaE) kombiniert werden kann. Die besten Chancen auf eine

höherqualifizierte und sozialversicherungsrelevante Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt

haben Patienten mit chronischen affektiven Störungen.

3.2.) SE/IPS zum Joberhalt

Eine bislang kleine Gruppe (N = 6) von überwiegend etwas älteren Klienten (M = 48,2; SD =

7,6) mit chronischen affektiven Störungen (Krankheitsdauer: M = 10,7, SD = 7,8) wird unter der

Zielstellung des Joberhalts betreut. Alle Klienten wurden im Anschluss an eine längere (teil-)

stationäre Maßnahme aufgenommen und waren von Jobverlust bedroht. Wie in Tabelle 4

ersichtlich, können die Anstellungsverhältnisse in der Regel erhalten werden. Bei zwei Klientinnen

kam es während der Projektphase zu Krankenhausbehandlungen, die jedoch das

Anstellungsverhältnis nicht gefährdeten. Die recht hohe Anzahl von Fehltagen ist primär dem

ambulanten Vorlauf des Wiedereinstiegs in die Arbeit geschuldet, der in allen Fällen durch eine

schrittweise Wiedereingliederung erfolgte. Danach kam es bei allen Klienten nur noch vereinzelt zu

Fehlzeiten. Anzumerken ist, dass Arbeitgeber in der Regel das Unterstützungsangebot durch die SE-

Coaches gerne akzeptieren und konstruktiv mitgestalten. Es wurde auch ein hohes

Informationsbedürfnis seitens der Arbeitgeber deutlich, was Anlass für die Planung der

Arbeitgeberveranstaltung war.

Tabelle 4: Arbeitsplatzbezogene Daten, Betreuungsintensität, Lohn, Fehl- und Krankenhaustage in der Joberhalt-Bedingung

Joberhalt (n = 6)

M (SD)

Allgemeiner Arbeitsmarkt tätig Stunden/ Jahr Tage/Jahr sofern tätig

5/6 (83,3%) 801,6 (573,5) 180,4 (93,2)

SE/IPS-Betreuung Häufigkeit/ Monat Dauer / Monat [h] Indirekte Zeit1

3,1 (0,9) 2,6 (0,9) 0,6 (0,7)

Bruttolohn/ Jahr2 16262,50 (4331,26)

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Fehltage vorhanden Anzahl Krankenhaustage vorhanden Anzahl

5/5 (100%) 54,5 (47,3) 2/5 (60%) 35,5 (21,0)

Anmerkungen:

1 Indirekte Zeit: Zeit für Anreise, Telefonate, Arbeitgeberkontakte ohne den

Klienten

2 Angaben nur von 3 Probanden erhältlich

4.) Zusammenfassung und Ausblick

Die bisherige Projektphase diente vor allem der initialen Implementierung und Festigung

des SE/IPS-Projektes Reichenau im sozialpsychiatrischen Hilfesystem. Vor diesem Hintergrund kann

festgehalten werden, dass das Reichenauer SE/IPS-Projekt einerseits eine hohe IPS-Protokolltreue

aufweist und andererseits von Klienten wie Arbeitgebern sehr gut akzeptiert wird.

Im Folgenden soll die bisherige Effektivität von SE/IPS im Landkreis Konstanz (4.1), die

Prädiktoren für erfolgreiche Vermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (4.2), der Einfluss

bestimmter Diagnosegruppen (4.3.), die „Lotsenfunktion“ des Jobcoaches durch das

sozialpsychiatrische Hilfesystem (4.4.) sowie der zeitliche Aufwand der Jobcoaches (4.5.) diskutiert

werden:

4.1.) Effektivität von SE/IPS

Die Rate der erfolgreichen Vermittlungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (> 1 Tag)

entspricht mit 58,6% relativ genau der Rate, die sowohl in der Zusammenfassung verschiedener

US-amerikanischer Studien (Bond et al., 2012) wie auch in der europäischen EQOLIZE-Studie

(Burns et al., 2008) erreicht wurden. Ein persönlich wie sozialrechtlich relevantes Kriterium stellt

die Rate derjenigen dar, die über mind. 20 Stunden über zwei Monate beschäftigt waren. Diese

liegt im hiesigen Projekt bislang bei 34,4% und somit niedriger als die Bond et al. (2012) über vier

US-amerikanische Studien errechnete Quote von 43,3%.

Besonders erfreulich ist die hohe Vermittlungsquote bei Menschen mit Störungen aus dem

schizophrenen Spektrum. Hier waren 72,2% zumindest für einen Tag auf dem allgemeinen

Arbeitsmarkt tätig, während 50% sogar 20h/Woche über mindestens zwei Monate tätig waren.

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Diese hohen Vermittlungsquoten gehen jedoch insbesondere auf die jüngeren

Psychosebetroffenen zurück, die (noch) keinen hohen zusätzlichen sozialen Unterstützungsbedarf,

etwa im Bereich des Wohnen oder der Tagesstrukturierung, aufweisen.

76,6% der Tätigkeiten innerhalb des SE/IPS-Projektes Reichenau (Jobsuche sowie Joberhalt)

sind Teilzeitbeschäftigungen, die sozialrechtlich überwiegend als Mini- bzw. Midi-Jobs behandelt

werden. Nur wenigen Klienten gelingt eine Vollzeitbeschäftigung. Hier liegen keine Vergleichsdaten

für andere Rehabilitationsformen in Deutschland vor.

4.2. ) Prädiktoren für den Vermittlungserfolg

Nach bisherigem Eindruck gelingt besonders Klienten mit vorheriger Berufserfahrung die

Reintegration auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Besonders erfolgversprechend sind nach

bisheriger Erfahrung SE/IPS-Prozesse zum Joberhalt. Hier gelingt in der Regel eine

Weiterbeschäftigung, zumeist bei einem reduzierten Stundenkontingent und

Tätigkeitsanpassungen. Weniger häufig gelingt die Integration bei Klienten mit schizophrenen

Psychosen, besonders wenn zusätzlicher Unterstützungsbedarf (z.B. Wohnen, Tagesstrukturierung),

bereits eine (Teil)-berentung oder kaum berufliche Erfahrung besteht.

4.3.) Unterschiedliche Klientengruppen

In unserer Arbeit kristallisieren sich derzeit – beeinflusst durch die lokalen Zugangswege ins

Projekt – drei verschiedene Klientengruppen mit jeweils speziellen Zielen, Einschränkungen und

auch Entwicklungspotentialen heraus:

A.) Etwas ältere Klienten mit rezidivierenden Depressionen und z.T. komorbiden

Persönlichkeitsstörungen. Als Mitarbeiter sind sie in Regel durch eine Vielzahl von

Fehltagen auffällig geworden, haben häufiger die Tätigkeiten gewechselt und werden von

ihren Vorgesetzten und Mitarbeitern häufig als „schwierig“ im Umgang beschrieben. Sofern

vorhanden, konnte durch SE/IPS die Anstellung in den meisten Fällen gesichert werden.

Anzumerken ist, dass gerade auch die Arbeitgeber das SE/IPS Unterstützungsangebot

dankbar annahmen, weil hierdurch eine zwar offensichtliche, jedoch in der Regel lange

tabuisierte psychische Problematik des Arbeitnehmers endlich konstruktiv angesprochen

werden konnte.

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B.) Junge Klienten mit Störungen aus dem schizophrenen Spektrums, die im

Vergleich zu ihren Peers zwar deutlich eingeschränkt sind, jedoch im Wesentlichen (noch) in

den normalen sozialen Bezügen innerhalb der Gemeinde leben und zumeist geringfügige

ambulante sozialpsychiatrische Unterstützung in Anspruch nehmen. Diese Klienten, bei

denen die Prävention psychischer und sozialer Behinderung im Vordergrund steht,

erreichen durch kontinuierliche IPS/SE-Unterstützung in vielen Fällen eine dauerhafte,

jedoch zumeist eher geringfügige Beschäftigung. Ein Ausbildungsverhältnis erscheint

besonders dann realistisch, wenn IPS/SE mit anderen Unterstützungsformen der BfA (z.B.

überbetriebliche Ausbildung oder über einen Bildungsträger) kombiniert wird. Wie

berichtet, fühlen sich die Träger anderer BfA-Maßnahmen (z.B. Berufliche

Bildungsmaßnahmen, Unterstützte Beschäftigung, Berufliche Trainingszentren) jedoch in

der Regel mit Rehabilitanden mit Diagnosen aus dem schizophrenen Formenkreis

überfordert bzw. nicht zuständig (s.a. Gühne & Riedel-Heller, 2015). Unabhängig davon ist

anzumerken, dass besonders jungen Psychosebetroffene oft eine recht engmaschige und

zeitintensive Betreuung benötigen, da hier in der Regel neben der Erarbeitung einer

beruflichen Zukunft auch eine Vielzahl von parallelen Entwicklungs- und

Anpassungsaufgaben stattfinden, wie z.B. Krankheitsverarbeitung oder

Verselbständigungsprozesse vom Elternhaus.

C.) Klienten mit chronischen psychischen Erkrankungen und bereits bestehender

psychischer und sozialer Behinderung. Diese Klienten weisen oft einen erheblichen

multidisziplinären Unterstützungsbedarf auf, z.B. im Bereich des Wohnens und der

Tagesstrukturierung. Diese Klienten wünschen in der Regel eine Tätigkeit außerhalb der

Institutionen, besonders der WFBM. Obwohl in der Regel eine einfache Tätigkeit außerhalb

der Institution gefunden und stabilisiert erreicht werden kann, handelt es sich hier bislang

ausschließlich um unbezahlte Tätigkeiten. Diese Klienten können durch SE/IPS als eine

sinnvolle und zielgerichtete Tagesstrukturierung profitieren, was einen Beitrag zur

subjektiven Lebensqualität und – was noch zu untersuchen wäre – psychische Gesundheit

leisten könnte. Viele Klienten aus dem schizophrenen Formenkreis äußern zu Beginn des

SE-Prozesses den Wunsch nach einer vorgeschalteten „Arbeitserprobung“, um die eigenen

Fähigkeiten und Grenzen besser einschätzen zu können. Durch die Jobcoaches wird dies in

der Regel unterstützt, sofern diese unbezahlten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt

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bei potentiellen Arbeitgebern stattfinden und auf wenige Woche befristet sind.

4.1.) Der Job-Coach als Lotse durch das sozialpsychiatrische Hilfesystem

In dieser ersten Projektphase wurden einige spezifische Anforderungen an die Job-Coaches

deutlich, die bei der Projektplanung nicht antizipiert werden konnten: Da das sozialpsychiatrische

Hilfesystem schwer durchschaubar ist, übernimmt der Job-Coach bei vielen Klienten ungewollt oft

eine „Lotsenfunktion“ durch das psychiatrische Hilfesystem. Dass Klienten überfordert sind, betrifft

nach unserer Erfahrung nicht nur die vermeintlich schwer psychisch Erkrankten mit kognitiven

Beeinträchtigungen. Eine Überforderung bei der Einforderung und Beantragung von

Unterstützungsleistungen ist im Gegenteil der Regelfall. Der reibungslose Übergang stationärer

und ambulanter sozialrechtlicher Betreuung wird darüber hinaus bereits durch die Vielzahl von

Bezugspersonen (z.B. SPDi, gesetzliche Betreuer, Sozialbetreuer, zuständige Sachbearbeiter) aus

verschiedenen Institutionen erheblich erschwert. Eine wesentliche Aufgabe der Job-Coaches ist

daher die Bündelung der verschiedenen, oft unzureichend abgestimmten sozialpsychiatrischen

Maßnahmen. Diese Lotsen- und Abstimmungsfunktion ist deshalb möglich, weil das IPS-Protokoll

eine zeitliche Flexibilität einräumt, sodass anfallende Aufgaben zeitnah erledigt werden können

und eben nicht delegiert werden müssen.

5.1.) Der zeitliche Aufwand der Job-Coaches:

Die Dauer der persönlichen Betreuung beläuft sich im Durchschnitt auf ca. zwei Stunden

pro Monat. Die indirekte Zeit, die für zusätzliche Telefonate, Recherchen oder Arbeitgeberkontakte

aufgewendet wird, beträgt im Durchschnitt 40 Minuten pro Monat. Der Aufwand für Fahrtzeiten

und Dokumentation wurde von uns nicht erhoben. Insgesamt dürfte jedoch pro Klient ein

Zeitaufwand von ca. drei Stunden pro Monat entstehen. Dieser Betreuungsaufwand variiert zeitlich

stark und ist besonders am Anfang deutlich höher. Während die Klienten z.B. während der ersten

neun Monate über insgesamt durchschnittlich 15 Stunden persönlich betreut wurden, reduzierte

sich dieser direkte Betreuungsaufwand in der zweiten Hälfte auf nur noch 2-3 Stunden. Da

besonders für die Arbeitgeberkontakte und für die Qualitätssicherung ein ausreichendes (schwer

zu bezifferndes) Zeitkontingent zur Verfügung gestellt werden muss, sollte die Caseload pro Job-

Coach entsprechend des IPS-Protokolls nicht höher sein als 20.

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Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die sich berufliche Rehabilitation nach dem

SE/IPS-Vorgehen nach den ersten 18 Projektenmonaten als sinnvolle gemeindenahe Ergänzung

zum bestehenden beruflichen Rehabilitationswesen darstellt. Nach den bisherigen Erfahrungen

hilft SE/IPS Menschen mit psychischen Störungen in den beruflichen Alltag und darüber hinaus

bedrohte Tätigkeitsverhältnisse zu erhalten. Die Vermittlungsquote auf den allgemeinen

Arbeitsmarkt entspricht im Wesentlichen den Erfahrungen aus internationalen Studien und liegt

höher als im RPK-Verfahren (wenngleich deren Verlaufsdaten hinsichtlich der Datenqualität wenig

aussagekräftig sind). Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass die Stichprobengröße der hiesigen

Untersuchung nicht ausreichend ist, um abschließende Schlussfolgerungen anzustellen und bislang

nicht genügend Kontrollpersonen miteinbezogen werden konnten. In den kommenden Monaten

soll anhand der bisherigen Erfahrungen eine Kalkulation erstellt werden, die es erlaubt, die Kosten

von SE/IPS mit den bestehenden Rehabilitationsangeboten zu vergleichen. Die Begleitstudie ist auf

die Dauer von vier Jahren angelegt, um eine möglichst valide Einschätzung der Effektivität sowie

der Kosten von SE/IPS in Deutschland vorlegen zu können.

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