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Service-Wohnen als zukunftsorientiertes Wohnkonzept Dokumentation des vierten Workshops im Rahmen des Modellprogramms „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 14. und 15. September 1999 in Halle/ Saale Bearbeiter: Dr. Heike Engel und Dr. Dietrich Engels unter Mitarbeit von Ulrike Schüller und Miriam Martin ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH Köln, im April 2000

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Service-Wohnen alszukunftsorientiertes Wohnkonzept

Dokumentation des vierten Workshops im Rahmen des

Modellprogramms „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“

des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

am 14. und 15. September 1999 in Halle/ Saale

Bearbeiter:Dr. Heike Engel und Dr. Dietrich Engelsunter Mitarbeit von Ulrike Schüller und Miriam Martin

ISG Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH

Köln, im April 2000

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Inhaltsverzeichnis Seite

Vorwort 5

BegrüßungHeike Joachimsthaler, Koordinierungsstelle Halle

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GrußwortFrau Bürgermeisterin Szabados, Stadt Halle

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Thematische EinführungIst das Service-Wohnen ein Wohnkonzept der Zukunft?Dr. Dietrich Engels, ISG Sozialforschung undGesellschaftspolitik GmbH

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Konzepte und Entwicklungsstand des Service-WohnensZum Entwicklungsstand des betreuten Wohnens inDeutschlandUrsula Kremer-Preiß, Kuratorium Deutsche Altershilfe

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Diskussion 37

Wohnen mit Service: Ein Markt der Zukunft?Britta Steves, empirica – qualitative Marktforschung

39

Betreutes Wohnen ohne UmzugDr. Gerrit Köster, Leitstelle „Älter werden“ der Stadt Aachen

61

Diskussion 81

Service-Wohnen in Halle-TrothaEntwicklung des Senioren-Kreativ-Vereins undVorstellung der Mitarbeiter/innen derKoordinierungsstelleHeike Joachimsthaler, Koordinierungsstelle Halle

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Bedarfsanalyse zum Service-Wohnen in Halle:Empirische ErgebnisseDr. Heike Engel, ISG Sozialforschung undGesellschaftspolitik GmbH

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Ansätze zur Weiterentwicklung des Service-Wohnensin HalleKonrad Potthoff, Senioren-Kreativ-Verein Halle

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Qualitätsstandards des Service-WohnensQualitätsanforderungen an Betreutes Wohnen: WelcheHilfen brauchen Berater?Ursula Kremer-Preiß, Kuratorium Deutsche Altershilfe

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Mindestanforderungen an Architektur undBetreuungsrealität des Service-WohnensProfessor Dr. Winfried Saup, Universität Augsburg

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Diskussion 141

Berichte aus den Arbeitsgruppen 149

Service-Wohnen: Bedarf und Marktchancen in denneuen BundesländernPodiumsdiskussionTeilnehmer/innen: Frau Dr. Theren (SozialministeriumSachsen-Anhalt), Herr Professor Nentwig (Bauhaus-Universität Weimar), Herr Eisenberg (Projektentwickler),Herr Dr. Bartaune (Hallesche Wohnungsgesellschaft),Herr Eberhard (Stadtseniorenrat Halle)Moderation: Dr. Engels

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Anhang: 180Anhang 1: Aachener Fragebogen zur Ermittlung des

Betreuungsbedarfs181

Anhang 2: Muster eines Betreuungsvertrags des betreutenWohnens im Bestand in Aachen

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Anhang 3: Leistungsdokumentation in den Service-Wohnhäusern Trotha (ISG)

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Vorwort

Im „Service-Wohnen“ wird eine Wohnform mit einem Dienstleis-tungsangebot verknüpft mit dem Ziel, eine möglichst selbstständigeLebensführung im Privathaushalt mit professioneller Unterstützungund Absicherung zu verbinden. Eine altengerechte Bauweise ist dieVoraussetzung für diese Wohnform; darauf aufbauend wird ein Setan Dienstleistungen angeboten, das von Hausmeistertätigkeit/ tech-nischen Hilfen über hauswirtschaftliche Leistungen bis zu Betreuung,Beratung und Vermittlung von Hilfe- und Pflegeleistungen reicht.Unterschiedlich ist das Spektrum der angebotenen Serviceleistungenebenso wie die Form der Leistungserbringung, die i.d.R. pauschalabgegoltene Grundleistungen mit einzeln zu vergütenden Zusatz-leistungen kombiniert. Unterschiedlich ist weiterhin, ob ein Verbleib inder Wohnung auch bei (zunehmender) Pflegebedürftigkeit möglich istoder nicht.

Im Rahmen des Bundesmodellprogramms „Selbstbestimmt Woh-nen im Alter“ hat die Koordinierungsstelle Halle am 14. und 15.September 1999 einen Workshop mit dem Titel „Service-Wohnenals zukunftsorientiertes Wohnkonzept“ durchgeführt. Im Rahmen derSchwerpunktberatung hat die ISG Sozialforschung und Gesell-schaftspolitik GmbH diesen Workshop inhaltlich vorbereitet unddokumentiert.

Zur Einführung in den Workshop wurden einige zentrale Konzepte,der Entwicklungsstand und die bisherigen Erfahrungen des Service-Wohnens vorgestellt und erörtert. Dabei kamen unter anderem auchdie Rolle der Bewohner als „Kunde“ von Service-Leistungen und dieErweiterung des Konzeptes auf „normale“ Wohngebiete zur Sprache.Im Einzelnen orientierten sich die Vorträge an den Fragestellungen

• Wie hat sich das betreute Wohnen in den letzten Jahren inDeutschland entwickelt? Welcher Trend ist absehbar?

• Sollte ein Konzept angestrebt werden, in dem der Bewohner alsselbstbewusster Kunde einzelne Service-Leistungen einkauft,oder hat auch der Ansatz einer umfassenden „Betreuung“ seineBerechtigung?

• Bleibt Service-Wohnen in der Praxis auf Wohnanlagen be-schränkt, oder gibt es auch erfolgreiche Beispiele für betreutesWohnen in „normalen“ Wohngebieten?

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Das Service-Wohnen in Halle wurde als Praxisbeispiel vorgestelltund erörtert. Dazu gehörten Informationen zum Trägerverein, eineSituationsbeschreibung aus der Sicht der Praxis und empirischeUntersuchungsergebnisse der wissenschaftlichen Schwerpunkt-beratung. Vor dem Hintergrund dieser Fallstudie besuchten dieWorkshop-Teilnehmer die Service-Wohnanlagen in Halle-Trotha.

Empirische Erfahrungsberichte über das Service-Wohnen sind unmit-telbar mit der normativen Fragestellung verknüpft,

• welche Qualitätsstandards in architektonischer Hinsicht zugrundezu legen sind,

• welches Spektrum an Dienstleistungen und welche Servicequalitätdes betreuten Wohnens zu fordern sind,

• durch welche vertragliche Konstruktion ein hinreichender Schutzder Bewohner gewährleistet ist und

• welche Verfahren geeignet sind, die Einhaltung von Qualitäts-anforderungen zu überprüfen.

Im Rahmen des Workshops wurden verschiedene Ansätze, solcheQualitätsstandards zu erarbeiten, vorgestellt.

Die Einschätzungen des Bedarfs an betreuten Wohnangebotenschwanken zwischen Euphorie und Skepsis: Eröffnet sich hier einneuer Dienstleistungsbereich, der zur weiteren Expansion tendiert,oder ist die Begeisterung über die neue Wohnform bereits einer Ent-täuschung gewichen? Wie stellen sich die Marktchancen dieser An-gebotsform speziell in den neuen Bundesländern dar? Diese Fra-gestellungen wurden im Rahmen des Workshops zunächst inArbeitsgruppen und dann in Form einer Podiumsdiskussion erörtert.

Allen, die inhaltlich und organisatorisch an dem Workshop und seinerDokumentation mitgearbeitet haben, möchten wir an dieser Stelleherzlich danken!

Heike Engel und Dietrich Engels

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Begrüßung

Heike Joachimsthaler, Koordinierungsstelle Halle

Meine Damen und Herren, liebe Gäste in der Saale-Stadt Halle, ichmöchte Sie als Leiterin der Koordinierungsstelle und Ausrichter die-ses Workshops hier im Maritim-Hotel in Halle begrüßen. Ich hoffe,Sie hatten eine angenehme Anreise und haben sich gut eingerichtet.Ich wünsche uns eine interessante und erfolgreiche Tagung.

Zunächst etwas Organisatorisches zum heutigen Ablauf der Tagung:Wir haben ab 16:00 Uhr die Vorträge zu unserem Service-Wohnenvorgesehen und werden anschließend mit der Straßenbahn in dasWohnprojekt fahren. Nachdem wir dort das Wohnprojekt besichtigthaben, lade ich Sie in die Begegnungsstätte Delta ein, wo die Mög-lichkeit besteht, gemeinsam abend zu essen. Anschließend bestehtdie Möglichkeit, an einem Stadtrundgang durch die historischeAltstadt von Halle teilzunehmen. Und wir können dann in dem Gast-haus „Althalle“ den ersten Tag des Workshops gemütlich ausklingenlassen. So viel nur zum Ablauf heute. Morgen geht es dann hier imHotel weiter.

Sie haben es ja vielleicht schon erfahren: Frau Sachse arbeitet nichtmehr im Modellprogramm mit, sie ist aus dem IES ausgeschieden.Frau Mette, die Nachfolgerin, möchte sich jetzt kurz vorstellen.

Mette:Ich möchte den Start dieses Workshops nutzen, um mich kurz vor-zustellen, sehr geehrte Damen und Herren. Mein Name ist IngeMette vom Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung.Ich bin die Nachfolgerin von Frau Sachse. Ich habe es gerne über-nommen, von Frau Sachse noch einmal herzliche Grüße an Sie alleauszurichten und Ihnen ein gutes Gelingen des Modellprojektes zuwünschen. Frau Sachse hat ganz kurzfristig eine neue beruflichePerspektive ergriffen und ist deswegen zum Ende des Monats Julibei uns aus dem Institut ausgestiegen. Für mich ist dies der Auftakt-Workshop. Ich freue mich darauf, Sie alle kennenzulernen. Ich wün-sche uns allen, besonders bei den interessanten Themen, die unsheute und morgen geboten werden, einen wunderschönen, interes-santen und sehr diskussionsreichen Workshop.

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Joachimsthaler:Ich möchte nun Frau Bürgermeisterin Szabados um ihr Grußwortbitten, bevor dann Herr Engels den Einführungsvortrag hält und unsauf die Thematik des Workshops einstimmt.

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Grußwort

Frau Bürgermeisterin Szabados, Stadt Halle

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Sie in der StadtHalle herzlich willkommen heißen. Im Rahmen des Bundesmodell-projektes „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“ sind Sie hierher gekom-men, um darüber zu diskutieren, ob Service-Wohnen als zukunfts-orientierte Wohnform die Anerkennung findet, die es finden sollte.

Ich bin der Meinung, dass es sehr wichtig ist, dass darüber diskutiertwird - und das möglichst nicht nur in Fachkreisen, sondern unter Ein-beziehung der Betroffenen, nämlich der älteren Menschen: Was istdenn nun wirklich gewollt? Damit nicht irgendetwas drüber gestülptwird. Deswegen freue ich mich ganz besonders, dass ich den Vor-sitzenden unseres Seniorenbeirates, Herrn Dr. Fiedler, mit einigenanderen Vertretern des Seniorenbeirates auch hier unter Ihnen sehe.

Meine Damen und Herren, zu Zeiten der DDR war es so, dass vieleältere Menschen in Heime gingen oder „gegangen wurden“; ganzspeziell hier bei uns in Halle mit einem großen Anteil an Neubauge-bieten - gut 2/3 der Menschen wohnten hier in Halle 1989 in Neubau-gebieten. Wir haben große Neubaugebiete, wie Halle Neustadt,Silberhöhe, Heide Nord, deswegen hatten wir zur Wendezeit etwa2.500 Altenheimplätze. Und in den Altenheimen waren von Schwer-pflegebedürftigen bis „nur alten“ Menschen (auch psychisch krankenMenschen) doch alles recht zusammen gewürfelt. Das hatte dieUrsache, dass es in den kleinen Wohnungen, wir hatten DDR-weitetwa einen Schnitt von 25 qm pro Person, natürlich schwierig war,auch noch die alten Menschen dort mit zu behalten. Die Familien-strukturen und die Wohnungen passten schlicht und einfach nichtzusammen.

Nach der Wende ist hier sehr massiv versucht worden, sagen wirmal, diese Ungleichgewichte abzubauen – es war an vielen Stellennicht menschenwürdig, auch in den Altenheimen dominierten nochdie 4-, 5- und 6-Bett-Zimmer, die Menschen wurden an vielen Stellenabgeschoben, ruhig gestellt. Man ging im Großen und Ganzen davonaus: Dort sind sie jetzt und da haben sie es trocken und warm. Abervon einem wirklich „selbstbestimmten“ Leben im Alter konnte dort(zumindestens in den Großstädten) nicht in jedem Falle die Redesein. Die Situation in unseren Altenheimen war nicht vorzeigenswert.Wir haben dann versucht, die Altenheime umzustrukturieren, und ich

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war auch ganz froh, als wir dann endlich das Pflegeversicherungs-gesetz hatten, was uns in der Finanzierung erheblich unterstützt hat.Wir werden jetzt mittelfristig etwa 1.600 stationäre Pflegeplätze in derStadt haben, wir haben im Moment noch 1.900 bis 2.000. Die Alten-pflegeheime sind die Einrichtungen, in die in den letzten Jahren sehrviel Geld geflossen ist. Wenn ich das in solchen Diskussionen dar-stelle, hat es immer so ein bisschen den Anschein, wir würden dortsparen wollen. Wir gehen ja von vielen Plätzen, die wir hatten, aufweniger. Deshalb ist es mir immer ein ganz großes Anliegen, zuerläutern, dass es kein Qualitätsverlust, sondern im Gegenteil eineVerbesserung der Qualität ist, wenn wir alternativ Wohnformenanbieten, damit ältere und alte Menschen möglichst lange in ihremangestammten Wohnumfeld bleiben können.

Wir haben seit den ersten Anfängen 1992 schon 1.300 Wohnungenin dieser Stadt, die als alten- und behindertengerecht bezeichnetwerden können. Aber ich wehre mich auch immer dagegen, wennman Barrierefreiheit sofort gleichsetzt mit altengerechtem Wohnen.Ich denke, wenn man mit den älteren Menschen redet, wollen dieetwas ganz anderes. Und da, glaube ich, sind wir an dem Punkt: Siewollen nämlich so viel Hilfe, wie sie brauchen, und so viel Hilfe, wiesie nötig haben. Aber sie wollen nicht überversorgt werden. Des-wegen diese alternativen Wohnangebote, die wirklich den sub-jektiven Einstellungen von Senioren entsprechen – und „Senioren“ istja bitte nicht gleichzusetzen mit „Pflegebedürftigkeit“. Das ist einAnliegen, das wir hier in dieser Stadt insgesamt hatten. Wir habendas lange diskutiert, das ist in dem ersten Altenhilfeplan dieser Stadtfestgelegt worden, und wir haben uns daran in den letzten Jahrenentlang gehangelt. Ich glaube, wir haben im Moment eine Situation,die uns doch recht optimistisch in die Zukunft blicken lässt.

Das konnte aber auch nur erreicht werden, weil es in dieser StadtMenschen gibt, die sich in Vereinen und Verbänden gefunden haben.Die Wohlfahrtsverbände und die freien Träger von Sozialleistun-gen haben uns hierbei unterstützt, indem sie kreativ Vorstellungenentwickelt haben und es verstanden haben, auch Wohnungsgesell-schaften mit ins Boot zu nehmen. Das ist nämlich nicht so alltäglich.Der Senioren-Kreativ-Verein war einer der ersten Vereine, der sicheines Hochhauses oder mehrerer Hochhäuser angenommen hat undzusammen mit einer kommunalen Wohnungsgesellschaft die-ses Service-Wohnen hier angeboten hat. Das war auch nicht gleichso selbstverständlich. Da gab es andere Wohlfahrtsverbände, dienun meinten, man nehme ihnen dort etwas weg. Das war ein

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Findungsprozess. Aber ich denke, mittlerweile ist es so, dass dieeinzelnen Anbieter ihren Platz gefunden haben. Wenn dann immermal noch so ein bisschen Konkurrenz ist, kann das ja nicht verkehrtsein.

Meine Damen und Herren, danke, dass Sie hierher gekommen sind,danke, dass Sie hier diskutieren. Ich werde mich informieren lassen,was am Ende als Ergebnis steht, um uns daran auch bei unsererweiteren Arbeit zu orientieren. Aber Eines lassen Sie mich bitte nochsagen: Lassen Sie sich bitte nicht nur in diesem, wenn auch schönenRaum festhalten. Sehen Sie sich in der Stadt um; es lohnt sich wirk-lich. Nicht nur, weil das Goethe zu Schiller gesagt hat, sondern es istwirklich so. Gucken Sie, was hier in den letzten Jahren gelaufen ist:die Häuser, die saniert worden sind. Das ist nur ein Teil - das, wasdas meiste Geld gekostet hat, sehen Sie nicht, nämlich die Infra-struktur, die Kanäle usw., zur Stabilisierung der Verhältnisse dort. Ichhabe etwas in der Tagungsmappe vermisst: Wir haben ein Papierüber die Kulturmeile bei Tag und bei Nacht. Ich könnte mir vorstellen,dass das nicht ganz uninteressant für Sie ist.

Herzlich willkommen und alles Gute! Danke.

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Thematische Einführung

Ist das Service-Wohnen ein Wohnkonzept der Zukunft?

Dr. Dietrich Engels, ISG Sozialforschung undGesellschaftspolitik GmbH

Das „betreute Wohnen“ oder „Service-Wohnen“ hat in den 90er-Jah-ren eine enorme Konjunktur erlebt; es ist so „schick“ geworden, dassmancher Anbieter sich dieser Bezeichnung bedient, noch bevor ersich über die damit verbundenen Leistungen Gedanken gemacht hat.Unser Workshop dient dazu, das Konzept des Service-Wohnens klarzu profilieren, verschiedene Varianten zu vergleichen und offeneFragen zu beantworten.

Was macht das Wohnen mit Service so attraktiv?

Die Wohnbedürfnisse älterer Menschen sind in den letzten Jahrenprägnanter bewusst geworden: Das selbstständige Leben im eigenenHaushalt hat einen hohen Stellenwert, während ein Umzug in einAltenpflegeheim nur als letzte Möglichkeit in Betracht kommt.Allerdings nimmt die Kompetenz zu völlig eigenständiger Haushalts-führung mit zunehmendem Alter ab. Wer dann nicht durch Fami-lienangehörige oder Nachbarn regelmäßige Hilfe erhält, wird durchalltägliche Anforderungen wie einkaufen, Wäsche waschen, Woh-nung putzen usw. bald überfordert. Und er lebt riskant: Vor allem dieÄlteren, die allein leben, sind bei einem Sturz oder anderen Unfall inihrer Wohnung kaum geschützt. Daher ist die Attraktivität derVerknüpfung des Wohnens im Privathaushalt mit einem Dienstleis-tungsangebot verständlich: Sie erlaubt eine weitgehend selbststän-dige Haushaltsführung, das Service-Team leistet bei Bedarf Unter-stützung und ist im Notfall schnell erreichbar. Selbstständiges Woh-nen einerseits, Hilfeleistung und Absicherung andererseits: Für einspezielles Wohnbedürfnis älterer Menschen, die in einer Zwischen-phase leben, wird hier ein differenziertes Angebot gemacht. Aber woliegen die Grenzen dieser Wohnform? Dazu einige Fragen:

1. Wie viele Schwellen sind zu überwinden?

Schwellen im Fußboden gibt es beim Service-Wohnen nicht mehr –eine altengerecht bzw. behindertengerecht gestaltete Wohnung isthier vorausgesetzt. Aber werden andere Schwellen aufgebaut?Zunächst die Frage:

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1.1 Muss ich zum Service-Wohnen hingehen, oder kommt derService zu mir?

• Das „Leben in der eigenen Wohnung“ wird häufig als „Weiterlebenin der gewohnten Wohnung“ verstanden. Um dort einServiceangebot machen zu können, müssen der Zuschnitt derWohnung, die Zugänge zur Wohnung und die Wohnumgebungauch für Gehbehinderte und Pflegebedürftige geeignet sein.Außerdem muss die Struktur der Dienstleistungsanbieter in derWohnumgebung gut ausgebaut sein (Pflegedienste, hauswirt-schaftliche Hilfsdienste, Mahlzeitendienste und Fahrdienste müs-sen gut erreichbar sein). Aus der Perspektive des Anbieters stelltsich die Frage, ob eine ständige Erreichbarkeit in wirtschaftlicherWeise garantiert werden kann, wenn die betreuten Wohnungenweit voneinander entfernt liegen.

• In einer betreuten Wohnanlage sind beide Probleme gelöst: DieWohnungen sind geeignet, und die ständige Erreichbarkeit desDienstleisters ist gesichert – allerdings um den Preis einesUmzugs, die langjährig gewohnte Wohnung muss verlassen wer-den.

Dies ist ein Vorteil für Personen, deren Wohnung von schlechterQualität war und nicht bedarfsgerecht angepasst werden konnte. Fürwelche Personengruppen wäre dagegen ein Service-Angebot in dergewohnten Wohnung die bessere Lösung?

1.2 Bleibt es bei einem Umzug, oder droht ein weiterer?

Wer sich für das Service-Wohnen entscheidet, kann sicher sein, dasser im Bedarfsfalle Hilfe- und Pflegeleistungen erhält. Aber gilt diesesAngebot auch noch bei schwerster Pflegebedürftigkeit, oder wird indiesem Falle ein weiterer Umzug in ein Pflegeheim erforderlich?Manche Einrichtungen (wie etwa das Haus am Weinberg in Stuttgart)sind stolz darauf, dass sie im Rahmen ihres Service-Wohnens allePhasen des zu Ende gehenden Lebens, von leichtem Hilfebedarf biszum schwersten Pflegebedarf, ohne weiteren Umzug ermöglichen.Dazu ist eine Personal- und Sachstruktur erforderlich, die auchschwere Pflege erlaubt (etwa die mitgenutzte Pflegestruktur einesbenachbarten Pflegeheims oder ein eigener Pflegebaustein).

Die Nachteile sind allerdings, dass die Bewohnerstruktur einer sol-chen Einrichtung im Laufe der Zeit altert und sich zunehmend eine

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Pflegeheim-Atmosphäre verbreitet – die typischen Adressaten desService-Wohnens in der „Zwischenphase“ werden dadurch eherabgeschreckt. Daher schränken andere Einrichtungen ihr Service-Angebot von vorn herein auf leichteren Hilfe- und Pflegebedarf ein(und stimmen darauf auch ihre Personalkapazität ab).

Es bleibt also die Frage: Das Service-Wohnen ist primär ein Angebotfür ältere Menschen in einer „Zwischenphase“ – welche Lösungenwerden aber angeboten, wenn ein Bewohner auf Grund gesundheit-licher Verschlechterung aus dieser Phase herauswächst?

2. Welchen Service umfasst das Angebot?

Ein häufiger Einwand gegen das Service-Wohnen ist, dass dieerbrachten Leistungen nicht immer in einer angemessenen Relationzu ihrem Preis stehen. Die Beurteilung der Service-Qualität ist um soschwieriger, als es hier um zwei unterschiedliche Arten vonLeistungen geht: Einerseits um einzelne, überprüfbare Dienstleistun-gen - hier muss der Preis der in Anspruch genommenen Leistunggenau entsprechen; und andererseits um die Vorhaltung von „Sicher-heit“ – hier ist es wie mit Polizei oder Feuerwehr: man zahlt Steuerndafür, um sich sicher zu fühlen, und hofft gleichzeitig, die Leistungnicht in Anspruch nehmen zu müssen.

Beim Service-Wohnen wird unterschieden zwischen Grundleistungenmit pauschaler Berechnung und Zusatzleistungen, die in der Regeleinzeln abgerechnet werden. Zu den Grundleistungen gehört z.B.,dass ein Hausmeister ansprechbar ist, dass ein Sozialarbeiteransprechbar ist und dass ein Notrufsystem installiert ist. Hiermitwerden also ein Sicherheitsrahmen und grundlegende Dienstleistun-gen abgegolten (was genau zu den Grundleistungen gehört, wird vonEinrichtung zu Einrichtung unterschiedlich abgegrenzt). Zu denZusatzleistungen gehören Einkaufsdienst, Wäschedienst, Mahlzei-tendienst usw. Bei der Beurteilung beider Verfahren spielen unter-schiedliche Interessen eine Rolle: Pauschale Preise machen dieDienstleistungsstruktur für den Anbieter besser kalkulierbar; Einzel-abrechnungen machen dagegen die Leistungen für die Bewohnertransparenter. In welcher Relation sollten Grundleistungen und Ein-zelleistungen angeboten werden, um beide Interessen berücksich-tigen zu können? Wie sehen die Leistungen genau aus, die alsGrund- oder Zusatzservice angeboten werden, und wie kann dieQualität der unterschiedlichen Leistungsarten kontrolliert werden?

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Vor diesem Hintergrund ist das sog. „Düsseldorfer Urteil“ zu sehen,das auf Grund des Instanzenweges jetzt „Münsteraner Urteil“ heißt.Dort war das Service-Wohnen in einem konkreten Fall als „heim-ähnliche Leistung“ eingestuft worden, weil der Mietvertrag mit einerpauschal vergüteten Vollversorgung gekoppelt war. Heißt das nun,dass generell das Heimgesetz für das Service-Wohnen gilt, unddieses damit der Qualitätskontrolle der Heimaufsicht unterliegt? EineAusweitung stationärer Kriterien auf eine nicht-stationäre Angebots-form ist nach Auskunft des zuständigen Referatsleiters im Bundes-ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nicht beab-sichtigt. Es ist auch klar: Das Service-Wohnen will kein Heim sein,und seine Bewohner wollen keine Heimbewohner sein. Diese Dis-kussion ist nur durch die Sorge über unsichere Leistungsqualität zuerklären; daher die Frage: Gibt es ein Schutzbedürfnis der Bewoh-ner, das gesetzliche Regelungen erfordert?

3. Ist Service-Wohnen bezahlbar?

Nur mit einem klar profilierten Leistungsangebot kann man auf eineZahlungsbereitschaft der Kunden hoffen. Aber wie lässt sich ermit-teln, welche Preise für welche Leistungen akzeptiert werden?

Im Service-Wohnen in Trotha bezahlen allein lebende Bewohner fürein 25 m²-Appartement monatlich 460,- DM Warmmiete (bzw. 18,40DM/m²). Hinzu kommt eine Pauschale für Grundleistungen in Höhevon 60,- DM, weitere Einzelleistungen werden zu 10,- DM pro Stundein Rechnung gestellt (Stand: Jahresende 1998). Der im Sinne einerbesseren Planbarkeit verständliche Versuch des Anbieters, auch dieZusatzleistungen zu pauschalieren (gedacht war an 50,- DM proMonat, also insgesamt 110,- DM für einen erweiterten Leistungsan-spruch auf Grund- und Zusatzleistungen) wurde seitens der Bewoh-ner nicht akzeptiert und daraufhin zurück genommen. Vergleicht mandamit die Kosten in dem o.g. Haus am Weinberg, so wurde dort imJahre 1993 für ein Ein-Personen-Appartement (mit 41 m² Wohn-fläche, Warmmiete von 382,- DM bzw. 9,30 DM/m²) eine Grund-pauschale in Höhe von 566,- DM pro Monat berechnet.1 Durch dieseBetreuungspauschale wurden Kosten für das bereitstehende Perso-nal sowie für Notruf und den Betrieb der Gemeinschaftseinrichtungenabgedeckt, während „zuwählbare Dienstleistungen“ gesondertberechnet wurden. 1 Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg (Hg.), Wohnungen für ältere

Menschen, Stuttgart 1993

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In Stuttgart lag der Quadratmeter-Preis inklusive der Grundpauschaleim Jahr 1993 bei 23,12 DM/m², in Halle 1998 bei 20,80 DM/m². DasPreisniveau ist bei einem Zeitabstand von fünf Jahren in etwa ver-gleichbar (auch wenn der Neubau in Stuttgart mit seiner großzügigenAusstattung nicht unmittelbar mit den Häusern in Halle-Trothavergleichbar ist), sehr unterschiedlich sind aber die Aufteilungen inWohnungsmiete und Service-Pauschale.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Spielräumeder Anbieter zur Preisgestaltung hat: Kann er beim Personal einspa-ren, wenn der Preis nicht mehr zu erhöhen ist? Und weiterhin: Wel-che finanziellen Mittel können (objektiv) bzw. wollen (subjektiv) dieBewohner einsetzen, und bei welchem Preisniveau liegt die Grenze,ab der man lieber auf die Inanspruchnahme einer Leistung ver-zichtet?

4. Für welchen Personenkreis ist Service-Wohnen attraktiv?

Im Zusammenhang mit Ein- und Auszug wurde erwähnt, dass eineSpannung besteht zwischen dem Zuschnitt des Service-Wohnensauf den Adressaten in einer „Zwischenphase“ und der Entwicklungseiner Kompetenz im weiteren Alterungsprozess, d.h. selbst wenndie typischen Adressaten bei Einzug im Alter von 65 bis 75 Jahrensind, ergibt sich zehn Jahre später eine ganz andere Altersstruktur.

Zugespitzt stellt sich die Frage: Kann das Service-Wohnen ein Alten-pflegeheim ersetzen? Dieser hohe Anspruch wurde häufig erhoben(und mit einem Seitenblick auf geringere Kosten schmackhaftgemacht). In einer Broschüre der Westfälischen Hypothekenbankheißt es, dass Service-Wohnungen „stationäre Einrichtungen vomMarkt verdrängt haben“.2 Dies kann jedoch, genau betrachtet, nur aufAltenheime oder Altenwohnheime bezogen sein, die früher die einzi-ge Alternative für Ältere zwischen bisheriger Privatwohnung und Pfle-geheim waren, und die von ihrem Profil her quasi ein Vorläufer desService-Wohnens waren. Für die typischen Bewohner von Pflege-heimen mit schwerstem Pflegebedarf kann das Service-Wohnendagegen in der Regel keine gleichwertige Alternative bieten. Zudemsind heute ca. 2/3 bis 3/4 der Pflegeheimbewohner dement undwären mit einer eigenständigen Haushaltsführung überfordert.

2 Westfälische Hypothekenbank (Hg.), Der Markt für Seniorenimmobilien.

Entwicklungen, Einflussfaktoren, Trends, Dortmund 1999, S. 9

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Demente Bewohner stellen das Service-Team vor besondere Proble-me. In Trotha ist deren Anteil nicht unbeträchtlich, da die Bezeich-nung „betreutes Wohnen“ von den Angehörigen im Sinne einer heim-ähnlichen Betreuung interpretiert wurde. Hieran knüpfen sich zweiFragestellungen an:

• Welche Ausschlusskriterien sollen bei der Auswahl der Bewohnerangelegt werden, und welche Einflussmöglichkeiten auf den Ver-tragsabschluss setzt dies voraus? In Trotha ist der Service-Ver-trag nicht an den Mietvertrag gekoppelt, sodass der Service-Träger keinen Einfluss auf die Belegungsstruktur hat.

• Wie geht man damit um, wenn Bewohner des Service-Wohnensdement sind oder zunehmend dement werden? Welche Service-Funktionen sind erforderlich, um diese Gruppe zu betreuen, undsind diese Formen vom vorhandenen Personal leistbar? WelcheFormen des „betreuten Wohnens“ in dem Sinne, wie es in derPsychiatrie praktiziert wird, kommen in Betracht, und welche orga-nisatorischen Vorkehrungen erfordert dies? Wo liegt die Grenzedes Service-Wohnens, ab der ein Umzug ins Pflegeheim unaus-weichlich wird?

5. Wie müssen die Wohnungen ausgestattet sein, und wie mussder Service gestaltet sein?

Zu den wünschenswerten Standards des Service-Wohnens im Hin-blick auf Wohnung, Wohnumgebung und Service existiert bereitseine Reihe von Vorstellungen; einen hohen Bekanntheitsgrad habenz.B. die von Schweikart und Wessel zusammen gestellten „Qualitäts-merkmale des betreuten Wohnens“.3 Bezüglich der architektonischenVoraussetzungen fällt auf, dass die Appartements in Trotha mit 25 m²für Einzelpersonen recht klein sind, es ist auch keine Trennungzwischen Schlaf- und Wohnraum möglich. Bei einer Zusammenle-gung zweier Appartements für Paare wird dagegen eine zufrieden-stellende Wohnungsgröße erreicht.

Weitere Qualitätskriterien sind ein Balkon, ein ansprechend gestalte-tes Außengelände mit Garten- oder Parkcharakter, verschiedeneGemeinschaftsräume und Anderes mehr. Allerdings entscheidet die

3 R. Schweikart/ W. Wessel, Qualitätsmerkmale des betreuten Wohnens,

hrsg. von der Wüstenrot-Stiftung, Ludwigsburg 1995

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Ausstattungsqualität nicht allein über die Attraktivität eines Ange-botes; eine neuere Untersuchung hat ergeben: „Entgegen der Erwar-tung konnte kein Zusammenhang zwischen dem Erfolg einer Einrich-tung und ihrer Ausstattungs- und Dienstleistungsqualität nachge-wiesen werden.“4 Genau so wichtig ist etwa der regionale Bekannt-heitsgrad. In Halle kommt hinzu, dass die in den 60er-Jahren imPlattenbau-Verfahren gebauten Hochhäuser gerade unter den altEingesessenen als qualitativ gut bewertet werden im Vergleich zurüblichen Bausubstanz in der Stadt. Diese Wertschätzung dürfte sichnach der Sanierung im Jahr 1996 noch verstärkt haben.

Bauliche Qualitätsstandards sind objektivierbar, deshalb lässt sichhierüber eine Verständigung erzielen. Aber welchen Qualitätskriterienmüssen die Service-Leistungen genügen, und welche Qualität solldas Versprechen von Sicherheit im Notfall haben? In diesem Bereichist die Festlegung von Standards schwieriger.

Damit will ich die Reihe meiner einleitenden Fragen beenden. DieFrage der Wohn- und Service-Qualität wird letztlich dafür entschei-dend sein, ob es sich beim Service-Wohnen um ein zukunftsträch-tiges Wohnkonzept handelt. Gelingt es, eine hohe Qualität des Woh-nens mit einer hohen Qualität der Service-Leistungen zu verbinden,und dieses Angebot für die Adressaten auch bezahlbar zu gestalten?Diese Frage wird sich wie ein Motto durch den gesamten Workshopziehen.

4 Westfälische Hypothekenbank 1999, a.a.O. S. 18

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Konzepte und Entwicklungsstand des Service-Wohnens

Zum Entwicklungsstand des betreuten Wohnens in Deutschland

Ursula Kremer-Preiß, Kuratorium Deutsche Altershilfe

1. Problemeinführung

Betreutes oder Service-Wohnen wird schon seit einiger Zeit mit einergewissen Euphorie als eine der Zukunftslösungen für das Wohnenälterer Menschen propagiert. Und wenn man die Grundidee desBetreuten Wohnens betrachtet, muss man eingestehen, dass demBetreuten Wohnen im Gesamtsystem der Wohn- und Betreuungs-angebote für ältere Menschen tatsächlich eine besondere Stellungzukommt. Es verbindet die Vorteile privater Wohnformen mit deneninstitutioneller Wohnformen. Die Privatheit, Autonomie und Selbst-ständigkeit des Einzelnen soll erhalten bleiben, wobei gleichzeitig einhohes Maß an Sicherheit und Verfügbarkeit von Hilfs- und Betreu-ungsangeboten gewährleistet werden soll.

Vom Konzept verfolgt das Betreute Senioren-Wohnen schwerpunkt-mäßig drei Ziele:

⇒ Absicherung oder Wiederherstellung einer selbstständigenLebens- und Haushaltsführung auch im Falle von Hilfe- undPflegebedürftigkeit

⇒ Vermeidung der sozialen Isolation alter Menschen,Erhaltung gewachsener sozialer Beziehungen und Förderungder Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft

⇒ Hinausschieben oder Vermeidung einer Heimunterbringung.

Auch bei den älteren Menschen selbst scheint diese Wohnform aufbreite Akzeptanz zu stoßen. Nach Untersuchungen zu den Woh-nungswünschen älterer Menschen schwankt der Anteil zwischen30% und knapp 40% der Älteren, die sich Service-Wohnen alsLebensform vorstellen können, nur 16% lehnen diese Wohnform fürsich ab (Krings-Heckemeier 1996). Die Schader-Stiftung hat in ihrerUntersuchung zu den Wohnungswünschen älterer Menschen ermit-telt, dass das Service-Wohnen an dritter Stelle aller bevorzugtenWohnalternativen bei den umzugswilligen älteren Menschen steht(Heinze u.a. 1997).

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Die älteren Menschen verbinden mit dieser Wohnform vielfältigeErwartungen. In einer aktuellen Baden-Württemberger Untersuchungwurde bei ca. 350 Personen nach den Gründen für den Einzug ineine Wohnanlage gefragt (Sozialministerium Baden-Württemberg1999). Neben dem Vorsorgeaspekt kommt ein großer Teil der Be-wohner in die Einrichtung, weil sie in ihrer selbstständigen Lebens-führung eingeschränkt sind: Über die Hälfte ziehen ein, weil ihrefrühere Wohnung zu groß oder nicht altersgemäß ausgestattet ist,jeder Dritte wechselt, weil er pflegerische Hilfe oder Hilfe bei derHaushaltsführung braucht, bei rund der Hälfte ist soziale Verein-samung ein wesentlicher Grund für den Umzug.

Wie sieht nun die Praxis aus, erfüllen die derzeit realisierten Projektedes Betreuten Wohnens diese konzeptionellen Ziele und Erwartun-gen?

Betrachtet man die in der Praxis realisierten Projekte, so wird deut-lich, dass man von „dem“ Betreuten Wohnen oder „dem“ Service-Wohnen nicht sprechen kann. Die praktische Vielfalt wird schon inden unterschiedlichen Begriffen, die man zu Beschreibung dieserVersorgungsform wählt, deutlich: Man spricht von Betreutem Woh-nen, Service-Wohnen, begleitetem Wohnen, unterstütztem Wohnen,auch Senioren-Residenzen und Senioren-Wohnstifte werden darun-ter subsummiert.

2. Darstellung unterschiedlicher Konzepte betreuter Wohnan-gebote für ältere Menschen

Die Vielfalt der in der Praxis laufenden Projekte zum BetreutenWohnen begründet sich zum einen aus unterschiedlichen Betreu-ungskonzepten. Betreutes Wohnen ist kein einheitlich geschlossenesKonzept. Missverständlich ist die häufig vorgenommene Gleich-setzung des Prinzips „betreutes Wohnen“ mit der Wohnform „Betreu-te Wohnanlage“. Die Entkoppelung von Betreuung und Wohnformeröffnet einen viel größeren Spielraum für die Entwicklung vonWohnformen, als das etwa in der „Betreuten Wohnanlage“ der Fallist. Mit zunehmender Verbreitung ambulanter Pflegedienste ein-schließlich der Sicherstellung eines sozialen Austauschs durchflächendeckende offene Altenhilfe, verbunden mit dem Angeboteines quartiersbezogenen Hausnotrufsystems kann prinzipiell jedenormale Wohnung zu einer betreuten Wohnung werden.

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Zu gliedern ist das Feld neuer betreuter Wohnangebote für ältereMenschen – neben den konventionellen Wohnangeboten wie Alten-wohnungen, Altenheim, Altenwohnheim, Altenpflegeheim – nach fol-genden Schwerpunkten:

⇒ Zum einen gibt es neue Wohnformen, deren Betreuungskonzepteine Weiterentwicklung des normalen Wohnens darstellt, wiedas „Wohnen Plus“ oder das „Betreute Wohnen im Bestand“.Hierunter fällt auch eine Reihe von Gruppenwohnprojekten.

⇒ Zum anderen sind betreute Wohnformen Sonderwohnformen,die eine Weiterentwicklung der traditionellen Heimunterbringungsind.

Die wichtigste und am weitesten entwickelte Form des BetreutenWohnens sind zurzeit Wohnprojekte mit integrierten Serviceange-boten/ Betreutes Wohnen in Wohnanlagen: Hier werden imWesentlichen Serviceleistungen von professionellen Diensten vorge-halten und erbracht. Zu unterscheiden sind nach der Art, wie dieseLeistungen organisiert werden:

- Eigenständige Wohnanlagen mit Service-Büro

- Eigenständige Wohnanlagen mit integrierten Serviceleistun-gen

- Heimverbundene Wohnprojekte

- Wohnprojekte im Hotelverbund

- Wohnstifte/ Senioren-Residenzen

Nach Untersuchungen des InWIS-Instituts nimmt im Bundesdurch-schnitt das Betreute Wohnen, also altersgerechte Wohnanlagen mitintegriertem Dienstleistungsangebot, bei den unterschiedlichenWohnformen im Alter einen Anteil von ca. 38% ein, dazu kommennoch einmal 6% Senioren-Residenzen mit hotelähnlichem Service-angebot sowie 20% Verbundkonzepte, die verschiedene Formenaltersgerechten Wohnens von der reinen Altenwohnung über dieService-Wohnung bis hin zur stationären Pflege miteinander kombi-nieren (InWis-Institut 1999).

Neben der Organisationsform unterscheiden sich die Wohnprojektenach der Betreuungskonzeption. Tendenziell lassen sich hier zwei

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Modelle unterscheiden: Das Betreuungsmodell und das Service-Modell:

- Das Betreuungsmodell geht von der Notwendigkeit einesbesonderen Angebots für Hilfemanagement aus. DiesesAngebot durch qualifiziertes Personal ist zentraler Bestandteileines pauschalen Grundservice. Als Klientel werden vor allemältere Menschen ab 70 Jahren mit größerem Hilfebedarfangenommen.

- Das Service-Modell geht eher von einer Klientel aus, diezwar Serviceangebote zur Verfügung haben möchte, an-sonsten aber unabhängig wohnen will. Im Vordergrund stehtder abrufbare und nur nach Bedarf bezahlte Service.

Kontrovers wird in der Fachöffentlichkeit diskutiert, welche Betreu-ungskonzepte angemessen sind, d.h. wie weit die Hilfen zu gehenhaben und wie die Hilfen organisiert werden sollen:

- Die einen betonen den Selbstständigkeitsaspekt und sehenBetreutes Wohnen maximal als Ersatz für das klassischeAltenheim und mehr nicht. Pflege kann hier als leichte bzw.vorübergehende pflegerische Betreuung erbracht werden, istaber kein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes. Die Fähig-keit zu einer selbstständigen Haushaltsführung ist ein ent-scheidendes Kriterium für den Eintritt. Kritiker werfen dieserPosition vor, dass Betreutes Senioren-Wohnen mit einemverengten Leistungsspektrum bis zum Altenheimniveau füreinige Bewohner erneut einen Umzug mit all seinen negativenBegleitumständen erforderlich mache. Betreutes Wohnen mitgeringeren Leistungsangeboten sollte ersetzt werden durchverbesserte Wohnberatung und Wohnungsanpassung sowieden Ausbau sozialpflegerischer Dienste.

- Die anderen betonen den Sicherheitsaspekt. BetreutesWohnen soll älteren Menschen bei Wahrung des selbststän-digen Mieterstatus alle benötigten Dienste, je nach Bedarfauch die gesicherte Pflege wie im Pflegeheim bieten. DieAbsicherung von Dauer- und Schwerstpflege gehört mit zumKonzept und bestimmt auch das bauliche Angebot. BetreutesWohnen wird in diesem Kontext als Ergänzung zum Pflege-heim gesehen. Kritiker meinen, die Ausrichtung des BetreutenSenioren-Wohnens auf einen universalen Betreuungsan-spruch sei mit eine Ursache dafür, dass Betreutes Senioren-Wohnen gegenwärtig in Deutschland noch kein attraktives

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Angebot für rüstige Senioren ist und so werde in Deutschlanddie Chance vertan, eine Wohnform für jüngere Senioren zuentwickeln. Zudem könne die Konzeption, ein umfassendesAngebot zur Verfügung zu stellen, leicht mit dazu führen,dass Überversorgungsstrukturen geschaffen werden.

Diese Aufstellung macht deutlich, dass Betreutes Wohnen keineinheitlich geschlossenes Konzept ist und auch der Entwicklungs-prozess noch nicht abgeschlossen ist. Auch in Zukunft wird es eherauf eine Bandbreite von Projektmodellen hinauslaufen, die zwar demgemeinsamen Ziel der Verbindung von selbstständigem Wohnen unddem Angebot von Hilfe- und Kommunikationsnetzen verpflichtet sind,aber dies in unterschiedlicher Weise umsetzen. Eine Begriffsklärungwird wahrscheinlich eher in der Ausdifferenzierung der Betreuungs-modelle als in deren Vereinheitlichung bestehen.

3. Probleme bei der praktischen Umsetzung

In dieser praktischen Vielfalt manifestieren sich u.a. die unterschied-lichen regionalen Bedingungen und vielfältigen Bedarfslagen ver-schiedener Zielgruppen. Die praktische Vielfalt ist durchaus positiv zusehen, weil nur so ein hohes Maß an Wahlfreiheit und bedürfnis-orientierter Bedarfsdeckung gewährleistet werden kann.

Problematisch ist aber, dass das Betreute Wohnen in Deutschlandimmer noch ein „Experimentierfeld“ ist:

- Es fehlen Qualitätsstandards.

- Es besteht immer noch eine mangelnde Transparenz diesesAngebots.

- Es gibt noch rechtliche Unklarheiten.

3.1 Fehlende Qualitätsstandards

Das Gesamtangebot wird – von wenigen Ausnahmen abgesehen –nicht im Rahmen von definierten Mindestqualitätsstandards undentsprechenden Qualitätskontrollen praktiziert. Das Fehlen verbind-licher Qualitätsnormen für das Betreute Wohnen hat in der Praxisauch qualitativ zu einer großen Variationsbreite geführt, die nichtimmer bedarfsgerecht ist. Die in der Praxis realisierten Projektereichen von Angeboten, die ein überzeugendes Preis-Leistungs-

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Verhältnis bieten bis zu Angeboten, die als völlig unzureichend undüberteuert einzustufen sind. Z.T. werden Betreute Wohnungen alsAlternative zum Heim angeboten, ohne auch nur annähernd für eineentsprechende Betreuung zu sorgen. Bei frei finanzierten Wohn-anlagen werden nicht selten Mieten verlangt, die weit über den orts-üblichen Vergleichsmieten liegen.

Seit einiger Zeit gibt es regionale Bemühungen, entsprechende Qua-litätskriterien zu formulieren. Eine Reihe von Bundesländern (z.B.Baden-Württemberg) fördert Betreute Senioren-Wohnanlagen nur,wenn bestimmte Standards der Wohn- und Betreuungsqualitätgewährleistet sind. Das KDA hat eine Übersicht erstellt, welche Bun-desländer mit welchen qualitativen Standards Betreute Wohneinrich-tungen fördern.

Zur Qualitätsicherung für frei finanzierte Betreute Wohnungsangebo-te hat Baden-Württemberg ein Qualitätssiegel entwickelt, das Anla-gen erwerben können, wenn bestimmte Anforderungen an dasBauen, das Umfeld, den Grund- und Wahlservice sowie an die Ver-tragsgestaltung eingehalten werden. Diese Form der freiwilligen Qua-litätskontrolle stößt auf relativ geringe Akzeptanz in der Praxis. Bisherwurden erst neun Einrichtungen nach dieser freiwilligen Qualitäts-prüfung zertifiziert, eine ganze Reihe von Einrichtungen steht aberkurz vor der Zertifizierung.

3.2 Mangelnde Transparenz

Ein weiteres Problem ist, dass die große Unterschiedlichkeit undVariationsbreite der Projekte zur mangelnden Transparenz des Ge-samtangebotes sowie mangelnden Überschaubarkeit für interessierteÄltere geführt hat. Die mangelnde Überschaubarkeit hat in manchenFällen Erwartungen und Vorstellungen der Bewohner geweckt, dienicht erfüllt wurden. Teilweise wurde bereits bei einem eintretendenleichten Hilfebedarf ein erneuter Umzug notwendig.

Verstärkt wurden in diesem Kontext Forderungen nach mehr Ver-braucherschutz laut. Verschiedene Institutionen reagierten daraufund haben einen Fragenkatalog oder sog. Checklisten oder die Ent-wicklung eines Mustervertrages als Orientierungshilfen für die Nutzerzum Vergleich verschiedener Projekte entwickelt.

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3.3 Rechtliche Unklarheiten

Ebenfalls problematisch ist, dass es im Bereich des BetreutenSenioren-Wohnens eine Reihe juristisch ungeklärter Probleme undrechtlicher Unklarheiten gibt. Das zentrale Problem in diesemZusammenhang dürfte die Diskussion sein, inwieweit Einrichtungendes Betreuten Wohnens rechtlich „normale“ Wohnungen sind, dieunter die Schutzbestimmungen des Mietrechts fallen, oder alsAltenhilfeeinrichtungen unter die Bestimmungen des Heimgesetzeseinzuordnen sind, mit der Wirksamkeit aller entsprechenden Verord-nungen des Heimgesetzes sowie Kontrollen durch die Heimaufsicht.

Seit 28. Januar 1999 gibt es ein Urteil des OberverwaltungsgerichtesMünster, dass Einrichtungen des Betreuten Wohnens als Heimeangesehen werden können und dann unter die Schutzbestimmungendes Heimgesetzes fallen (AZ 50.423-31/7). Die Betreuten Wohnein-richtungen sind nach diesem Richterspruch Heime, weil sie, wiediese, neben der Überlassung der Unterkunft auch die Gewährungund Vorhaltung von Verpflegung und Betreuung bieten, wie nach § 1HeimG. Damit das Heimgesetz gilt, müsse für die Mieter keineswegsdie Verpflichtung bestehen, bestimmte Verpflegungs- und Betreu-ungsleistungen auch tatsächlich abzunehmen. Es reiche aus, wenndiese Verpflegungs- und Betreuungsleistungen vorgehalten, also imBedarfsfall ermöglicht und sichergestellt werden. Damit das Heim-gesetz gilt, ist auch unerheblich, ob die Leistungen direkt vom Trägeroder von Dritten erbracht werden, wenn mit diesen verbindlicheBetreuungsverträge abgeschlossen werden.

Es herrscht zurzeit eine große Verunsicherung bei den Anbietern undden Nutzern. In einzelnen Bundesländern hat dies bereits dazugeführt, dass jetzt die Heimaufsichten beauftragt werden, dieBetreuten Wohnanlagen im Sinne des Heimgesetzes zu prüfen (wiez.B. in Mecklenburg-Vorpommern). Nach dem Richterspruch ist jetztder Bund gefragt, im Rahmen der angekündigten Novellierung desHeimgesetzes die Position des Betreuten Wohnens gesetzlich zuregeln.

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4. Quantitativer Bestand und quantitative Entwicklung

4.1 Bestand

Einen genauen Überblick, wie viele ältere Menschen in Deutschlandderzeit im Betreuten Wohnen leben, gibt es nicht. Zum einen liegenkeine verlässlichen Zahlen vor, weil diese Sonderwohnform nicht inder Heimstatistik aufgeführt wird. Zum anderen wird eine genaueBestandsaufnahme durch die unterschiedlichen Definitionen, was alsBetreute Wohnplätze zu zählen ist, erschwert.

Auch die Schätzungen, wie viele ältere Menschen im Service-Woh-nen leben, sind sehr unterschiedlich. Nach Berechnungen der Sach-verständigen-Kommission Zweiter Altenbericht dürften in Alten-wohnungen bzw. im Betreuten Wohnen etwa 200.000 – 250.000Menschen leben. Davon macht das Betreute Wohnen weniger als einFünftel aus, also ca. 30.000 ältere Menschen. Hiernach leben – be-zogen auf die Gesamtzahl der älteren Menschen mit 65 und mehrJahren – in Deutschland etwa 0,25% aller 65-Jährigen und Älteren imBetreuten Wohnen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauenund Jugend: Zweiter Altenbericht – Wohnen im Alter, Bonn 1998).Aktuellere Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Zahl derWohnprojekte mit Serviceangeboten für Senioren seit 1995 von rd.1.500 auf schätzungsweise rd. 3.600 verdoppelt hat (empirica 1999).Hier wird noch von einer Versorgungsquote von 1,6% der 65-Jähri-gen und Älteren ausgegangen. Jedoch gibt es sehr unterschiedlicheregionale Entwicklungen.

Vergleicht man internationale Zahlen, so wird deutlich, dass Deutsch-land im Bereich des Betreuten Senioren-Wohnens noch am Anfangder Entwicklung steht. In Großbritannien und den USA leben 5% der65-Jährigen in solchen Wohnanlagen.

4.2 Bedarf

Auch hinsichtlich der Einschätzung der Bedarfsentwicklung gehendie Auffassungen sehr auseinander. Ein Anteil in Höhe von 3 – 4%der über 60-jährigen, die angeblich ihren Lebensabend am liebstenim Betreuten Wohnen verbringen wollen, wird immer wieder alsOrientierungsgröße genannt. Die Verlässlichkeit dieser Größe wirdaber zunehmend in Frage gestellt. In Baden-Württemberg wird alsBedarfswert 1,5 – 2% der ab 70-Jährigen genannt. Andere schätzen

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das Gesamtpotenzial an Veränderungsbedarf bestehender Wohnver-hältnisse weitaus höher ein. Die Wüstenrot Stiftung geht davon aus,dass die Potenziale die vorhandenen Kapazitäten derzeit um das 14-bis 31-fache übersteigen (Wüstenrot Stiftung 1997). Die Schader-Stiftung ermittelte in ihrer Studie zu den Wohnungswünschen, dasssich 27% der westdeutschen und 25% der ostdeutschen Mieter-haushalte über 55 Jahre bei einem Wohnungswechsel im AlterService-Wohnen als Wohnform vorstellen können (Heinze u.a. 1997).

Es ist insgesamt wenig praktikabel, bundes- oder landesweit einheit-liche Richtwerte zur Bedarfsabschätzung zu benennen, da Bedarfs-aussagen nur unter Berücksichtigung konkreter regionaler und ört-licher Gegebenheiten und Bedingungen gemacht werden können.Dabei sind verschiedene Kriterien für eine regionale Bedarfsein-schätzung zu beachten. Bedeutsam für die quantitative Entwicklungist vor allem, inwieweit diese neue Wohnform bereits in der Regionpraktiziert wird. Praxisberichte zeigen, dass die Nachfrage nach die-ser neuen Wohnform bei weitem das Angebot übersteigt, wenn dortentsprechende Projekte bereits realisiert wurden.

4.3 Entwicklung

Von der Entwicklung her scheint sich die erste Euphorie bei der Ver-marktung der Sozialimmobilie „Betreutes Wohnen“ abzuschwächen.Auch hier ist es, wie bei Heimeinrichtungen, in den letzten Jahren zuLeerständen gekommen. Frei finanzierte Einrichtungen, die sichbaulich und organisatorisch am Vorbild des Wohnstifts orientierten(große kompakte Gebäudekomplexe, hohe Mieten, kleine Wohnun-gen), haben zunehmend Vermarktungsschwierigkeiten. Im Gegen-satz dazu ist die Nachfrage nach Anlagen im geförderten Miet-wohnungsbau noch keineswegs befriedigt. Angebotslücken bestehenauch für ältere Menschen der mittleren Einkommensgruppe, die diehohen Preise der frei finanzierten Wohnanlagen nicht tragen können,aber andererseits wegen ihres gehobenen Einkommens nichtberechtigt sind, in geförderte Mietwohnungen einzuziehen.

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5. Qualitative Strukturaspekte

Die Diskussion um Qualitätsstandards von betreuten Wohnanlagenkonzentriert sich auf drei Themen

• Qualität der Wohnsituation• Qualität des Leistungsangebotes• Qualität der Vertragsgestaltung.

5.1 Qualität der Wohnsituation

Bei der Qualität der Wohnsituation geht es vor allem um den Stand-ort der Einrichtung, die baulichen Standards und die Konzep-tionierung der Gemeinschaftseinrichtungen.

⇒ Standort:

Das Ziel, durch betreute Wohnangebote die Selbstständigkeit ältererMenschen so lange wie möglich zu erhalten, macht besondereAnforderungen an den Standort der Betreuten Senioren-Wohnlagenerforderlich. Konzeptionell wird gefordert, dass diese

- in unmittelbarer Nähe von Orts- oder Stadtteilzentren liegen,

- den Zugang zu den wichtigsten Einrichtungen zur Deckung destäglichen Bedarf auch für mobilitätseingeschränkte Menschengarantieren,

- in das allgemeine soziale und kulturelle Umfeld integriert seinund

- eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gewähr-leisten sollen.

Strukturanalysen belegen, dass die Mehrzahl der Einrichtungen die-se Qualitätskriterien erfüllen, es gibt jedoch auch Schwachstellen.Nach Selbsteinschätzung der Einrichtungsbetreiber in Baden-Württemberg sind nur bei einem kleinen Teil der Wohnanlagenzentrale Standorte zu finden, auch wenn dies bei der Mehrheit derAnlagen durch eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehrausgeglichen wird. Auch fehlt bei einigen die Nähe zu entspre-chenden Versorgungsinstitutionen sowie Beratungsstellen oder

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Begegnungsstätten zur sozialen und kulturellen Integration (Sozial-ministerium Baden-Württemberg 1999).

⇒ Gemeinschaftseinrichtungen

Gemeinschaftseinrichtungen sollen nach den konzeptionellen Überle-gungen Möglichkeiten zum sozialen Austausch außerhalb der Woh-nung, aber innerhalb der Anlagen schaffen. In der Praxis gehörenGemeinschaftseinrichtungen zum Standardangebot Betreuter Senio-ren-Einrichtungen.

Insgesamt fehlt es aber an einer bedarfsgerechten Konzeption für dieVorhaltung von Gemeinschaftseinrichtungen. Praxisberichte zeigen,dass Gemeinschaftseinrichtungen häufig zu groß sind und dadurchzu hohe Kosten verursachen, ohne die Wohnqualität zu steigern.Zum Teil werden Räume für Tätigkeiten vorgesehen, die auf wenigAkzeptanz bei den Bewohner stoßen. Experten verweisen darauf,dass bei der Planung dieses Angebot einerseits auf ein Minimumreduziert und auf die lokalen Gegebenheiten sowie die anzuspre-chenden Zielgruppen abgestimmt werden sollte. Andererseits solltendie Gemeinschaftseinrichtungen flexibel konzipiert werden, sodasssie je nach sich verändernden Bedarfssituationen anders genutztwerden können.

⇒ Bauliche Standards

Untersuchungen belegen, dass ältere Menschen in eine BetreuteSenioren-Wohnung u.a. auch deshalb umziehen, weil ihre alteWohnung nicht altersgerecht ausgestattet ist (SozialministeriumBaden-Württemberg 1999). Ein wesentliches Qualitätskriterium fürBetreute Wohnanlagen ist die Bereitstellung von altersgerechtemWohnraum. Die Frage, was eine für ältere Menschen geeigneteWohnung ist, wird heute weitgehend mit dem Begriff „Barrierefreiheit“gleichgesetzt. Die Wohnung, die Wohnanlage und der Zugang zurWohnung sollen grundsätzlich so gestaltet sein, dass keine baulichenBarrieren der Nutzung durch ältere Menschen entgegenstehen. DieStandards für barrierfreies Bauen sind durch die DIN 18025, Teil 1und 2 geregelt.

Wesentliches Qualitätskriterium für Betreutes Wohnen ist daher derbarrierefreie Zugang. Strukturuntersuchungen belegen, dass diebarrierefreie Erschließung Betreuter Altenwohnprojekte gegenüberfrüheren Altenwohnungen weitgehend gegeben ist, jedoch gibt es

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auch hier in der horizontalen und vertikalen Erschließung immer nochMängel. So sind nicht immer alle Räume der Wohnungen stufenloserreichbar oder es fehlt an ausreichenden Bewegungsflächen in derWohnung. Bei einer bundesweit untersuchten Stichprobe vonbetreuten Altenwohnanlagen weist rund ein Viertel diese Mängel auf(Kremer-Preiß 1997). Auffallend ist auch, dass in den wenigstenAnlagen des betreuten Wohnens die Empfehlungen der DIN 18025,Teil 2 vollständig befolgt werden. Beklagt werden vor allem die zugeringen Bewegungsflächen auf Grund zu kleiner Wohnungen. Auchbei der Vergabe des Gütesiegels zum Betreuten Wohnen in Baden-Württemberg scheitern viele Wohnanlagen eher an der Nichtreali-sierung der baulichen Standards und weniger an den Betreuungs-konzeptionen.

5.2 Qualität der Betreuungs- und Serviceleistungen

Neben einer altersgerechten Wohnung setzt eine selbstständigeLebensführung im Alter voraus, dass im Falle von Hilfe- und Pflege-bedürftigkeit bedarfsspezifische Hilfeangebote zur Verfügung stehen.Zu den qualitativen Bausteinen Betreuter Wohnanlagen gehört daherauch ein entsprechendes Serviceangebot.

Das Dienstleistungsangebot setzt sich zusammen aus den Bereichen

- Soziale und kulturelle Betreuung

- Hauswirtschaftliche Hilfen

- Pflegerische Hilfen

- Haustechnischer Service.

Diese Leistungsbereiche werden in Form von Grundleistungen undwählbaren Dienstleistungspaketen angeboten. Interessant für dieEinschätzung der Qualität der Einrichtungen ist vor allem derenGrundleistungspaket. Ein umfassendes Angebot an Wahlleistungenkann bei einer guten sozialen Infrastruktur durch externe Dienst-leister gewährleistet werden. Dies ist weniger ein Zeichen für dieLeistungsqualität, als vielmehr für die Standortqualität der Einrich-tung.

Das Kernstück der Grundleistungen bildet der Betreuungsservice.Hierzu gehören persönliche Beratung und psycho-soziale Betreuungsowie organisatorische Leistungen zur Bewältigung des Alltags undVermittlung von Leistungen bei auftretender Hilfebedürftigkeit.

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Daneben gehören die Notrufsicherung und ein haustechnischerService zum Standard der Grundleistungen. Pflegerische und haus-wirtschaftliche Hilfen sind demgegenüber i.d.R. Bestandteile derwählbaren Zusatzleistungen.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Frage: Was ist an Leis-tungsangeboten notwendig und sinnvoll? Zum minimalen Service-angebot gehört die regelmäßige persönliche Betreuung im Einzelfall.Dieses minimale Angebot muss gegeben sein, damit man von„Betreutem Wohnen“ sprechen kann. Eine Notrufsicherung alleinekann auch in normalen Wohnungen zu Hause gewährleistet werden,aber nicht die regelmäßige Einzelfallbetreuung. Wie die regelmäßigeEinzelfallbetreuung aussehen soll, kann sehr unterschiedlich geregeltsein – von Hausmeistermodellen bis zur fest angestellten Fachkraftzur Betreuung ist alles möglich. Von allen in Baden-Württemberguntersuchten Einrichtungen bietet rund die Hälfte nur die-sen minimalen Standard an Grundserviceleistungen an (Sozial-ministerium Baden-Württemberg 1999).

Die andere Hälfte bietet ein größeres Servicepaket. Einrichtungen,die über das minimale Leistungsangebot hinaus Hilfen bei der Ge-staltung der Hausgemeinschaft leisten und Gemeinschaftsver-anstaltungen durchführen, können als Einrichtungen des BetreutenWohnens mit mittlerem Leistungsniveau eingestuft werden. Beidiesen Einrichtungen dürfte von der konzeptionellen Ausrichtung herneben der altersgerechten Wohnraumsicherung ein Schwerpunkt aufder sozialen Integration der älteren Menschen liegen. Rund 1/4 alleruntersuchten Einrichtungen in Baden-Württemberg lassen sich dieserKategorie zuordnen.

Von einem erweiterten Leistungsangebot kann ausgegangen wer-den, wenn neben der Notrufsicherung und den allgemeinen Betreu-ungsleistungen regelmäßige Beratung durch eine Betreuungskraftmit festen Sprechzeiten, die Versorgung bei akuter Erkrankung sowieder Betrieb eines Pflegestützpunktes, der auch eine Versorgung beidauernder Pflegebedürftigkeit ermöglicht, zum Serviceangebotzählen. Rund 24% der untersuchten Einrichtungen in Baden-Württemberg haben ein solches erweitertes Grundserviceangebot.Nur diese Einrichtungen können auf den Einzelfall bezogen alsAlternative zur stationären Versorgung eingestuft werden.

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5.3 Qualität der Vertragsgestaltung

Zu den Qualitätsaspekten des Betreuten Senioren-Wohnens gehörtauch eine eindeutige und klare Vertragsgestaltung. Vertragsanalysenzeigen aber, dass hier noch eine Reihe von Problemen juristischungeklärt ist und eine Vielzahl vertragsrechtlicher Unklarheiten in derPraxis besteht. Dies betrifft sowohl die Vertragsform als auch dieVertragsgestaltung.

Vertragsgestaltung

Hinsichtlich der Vertragsgestaltung ist die mangelnde Transparenzdes Gesamtangebotes das wesentliche Problem. Die meisten Ver-träge zeichnen sich durch eine unpräzise Beschreibung der Leis-tungspflichten des Trägers aus. Insbesondere fehlt eine Konkreti-sierung der einzelnen Leistungspakete im Bereich der Grundleis-tungen. Bei den Wahlleistungen fehlen Hinweise, wer diese erbringtund ob entsprechende verbindliche Absprachen mit externen Koope-rationspartnern bestehen.

Vertragsform

Bezüglich der Vertragsform stehen zwei juristische Probleme im Vor-dergrund. Die Mehrheit der Betreuten Einrichtungen schließt mit denBewohnern neben dem Mietvertrag einen Betreuungsvertrag, beidesind i.d.R. aneinander gekoppelt. Nur bei einer Minderheit deruntersuchten Einrichtungen kann der Betreuungsvertrag unabhängigvom Mietvertrag gekündigt werden. Juristisch ist zurzeit noch nichtgeklärt, ob eine solche Koppelung nicht rechtswidrig ist bzw. ob einsolches heimvertragsähnliches Gebilde den speziellen Schutzbestim-mungen des Heimgesetzes unterliegt.

Ein weiteres juristisches Problem betrifft die Kündigungsregelungen.Die Miet- und Betreuungsverträge werden i.d.R. unbefristet abge-schlossen. Rund 1/3 aller Einrichtungen in Baden-Württemberg legtjedoch vertraglich fest, dass neben allgemeinen Kündigungsbestim-mungen im Sinne der Regelungen des BGB bei erhöhter Pflege-bedürftigkeit oder Verwirrtheit ein Verbleiben in der Wohnung nichtmehr möglich ist (Sozialministerium Baden-Württemberg 1999).Juristisch ist zu prüfen, ob Pflegebedürftigkeit vertragsrechtlich alsKündigungsgrund genannt werden darf. Wenn das Wohnen im Vor-dergrund der Vertragsgestaltung steht, ist das Mietrecht maßgeblich,

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und hier stellt der Eintritt von Pflegebedürftigkeit kein Kündigungs-grund dar.

6. Kostenstrukturen

Neben den Qualitätsunterschieden ist auch das sehr unterschiedlicheKostenvolumen in den verschiedenen Wohnprojekten auffallend.Dies betrifft die monatlichen Fixkosten für Miete, Betriebskosten,Nebenkosten und die monatliche Betreuungspauschale.

Alleine bei der Nettokaltmiete ermittelte die Untersuchung desInWis-Instituts im

- öffentlich geförderten Bereich eine Spanne von 4,15 DM/qmbis 30,50 DM/qm

- frei finanzierten Bereich eine Spanne von 6,43 DM/qm bis70,-- DM/qm.

Auch bei den Betreuungspauschalen sind die Spannen groß. DasInWis-Institut kommt auf eine Spanne von 20,-- DM bis 1.000,-- DMfür eine Einpersonenwohnung pro Monat (InWis-Institut 1999).

Die verschiedenen Kostenpauschalen lassen sich z.T. aus demunterschiedlichen Leistungsangebot erklären. Dies betrifft aber nichtalle Preisunterschiede. Marktanalysen zeigen, dass die Unterschiedezwischen den Miethöhen nur zu 46% mit zusätzlichen Ausstattungs-und Dienstleistungsqualitäten zu erklären sind. Die Hälfte der Miet-preisunterschiede bleiben ungeklärt. Und bei den Betreuungs-pauschalen schwanken die Preise bei identischen Leistungsange-boten zwischen 70,-- und 500,-- DM im Monat.

7. Zukünftige Anforderungen

Betreutes Wohnen ist kein einheitlich geschlossenes Konzept, undauch die zukünftige Entwicklung wird nach bisherigen Erfahrungennicht auf ein einheitliches Konzept hinauslaufen, sondern wahr-scheinlich eher zu einer weiteren Ausdifferenzierung führen. Dies istauch nicht negativ zu sehen, da nur so den unterschiedlichen Bedürf-nislagen älterer Menschen begegnet werden kann.

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Wesentlich ist aber,

- dass Mindestqualitätsstandards klar definiert und verbindlichgemacht werden,

- dass für die Nutzer das Leistungsangebot Betreuter Wohn-einrichtungen transparent und überschaubar im Sinne einesVerbraucherschutzes gemacht wird und

- dass rechtliche Unklarheiten beseitigt werden, vor allem abwann Einrichtungen unter die Schutzbestimmungen desHeimgesetzes fallen.

Nur dann wird Betreutes Wohnen seiner Konzeption gerecht werdenkönnen, eine selbstbestimmte Lebensführung auch bei Hilfe- undPflegebedürftigkeit zu ermöglichen und eine bedarfsgerechte Alter-native zu anderen Wohnformen im Alter sein.

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Diskussion

Engels:Vielen Dank für diese ausführlichen Informationen. Wir haben Ihnenüber eine Stunde Gelegenheit zum Zuhören gegeben und möchtenIhnen jetzt auch Gelegenheit zu Rückfragen geben. Am bestenzuerst einmal unmittelbare Rückfragen an die Referentin. Wir werdensicherlich im Laufe des Workshops noch Gelegenheit zur Diskussionvon Grundsatzfragen haben.

Klose:Mein Name ist Wolfgang Klose, ich komme vom Paritätischen ausLüneburg. Wir haben in Lüneburg auch fünf Wohnanlagen mitunterschiedlichen Betreuungskonzepten. Die rechtlichen Probleme,die Sie angesprochen haben, machen uns auch ein bisschen Sorge.Ich frage mich, inwieweit wir wie das Kaninchen auf die Schlangestarren und warten, bis nun Düsseldorf bzw. Münster irgendwannsagt: „Heimgesetz ja oder nein“. Oder gibt es Bestrebungen, z.B.auch über das KDA oder über das Bundesministerium, hier vonvorne herein für rechtliche Klarheit zu sorgen und dafür zu sorgen,dass das Betreute Wohnen im ambulanten Bereich verankert wird,wo es eigentlich, zumindest ist das unsere Auffassung, auch hingehört? Das ist der eine Punkt.

Der zweite Punkt, mit dem ich immer Probleme habe, der mir auchnoch nie beantwortet werden konnte, ist folgender: Ist es juristischhaltbar, Mietverträge an Betreuungsverträge zu koppeln? Wirmachen das ja, zumindest in Lüneburg. Aber irgendwo höre ich dannimmer: Das ist eigentlich nicht so ganz korrekt. Fällt das auch indiesen schwammigen juristischen Bereich, oder gibt es dazu einklares Ja oder Nein?

Kremer-Preiß:Diese Kopplung von Miet- und Betreuungsverträgen hat letztendlichja dazu geführt, dass es dieses Gerichtsurteil gegeben hat. SobaldSie koppeln, sobald Sie sagen: „Sie können im Grunde den Betreu-ungsvertrag nur kündigen, wenn Sie den Mietvertrag auch kündigen“,stehen Sie im Grunde mit einem Bein (oder demnächst vielleicht mitbeiden Beinen) im Heimgesetz. Das war der Grund.

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Zu ihrer anderen Frage, was man tun kann: Es gab in Nordrhein-Westfalen einen „runden Tisch“, an dem verschiedene Interessen-gruppen, unter anderem auch das KDA, vertreten waren, um zudefinieren, was denn jetzt Qualitätsstandards sein sollten, dieunabhängig vom Heimgesetz gelten sollten. Im Grunde wurde ver-sucht, Abgrenzungskriterien zu entwickeln, dass Betreutes Wohnennicht unter das Heimgesetz fällt. Da hat uns aber dieses Gerichts-urteil im Grunde eingeholt, wir können momentan empfehlen, was wirwollen – rechtlich wird das ganz anders aussehen, deswegenbraucht man eine gesetzliche Entscheidung. Man muss dann sagen:„Unter den und den Bedingungen fällt man nicht ins Heimgesetz.“Aber das ist eine Sache, die auch nur vom Bundesgesetzgebergeklärt werden kann und auch geklärt werden muss. Empfehlungenkönnen wir viele geben, aber es nutzt Ihnen als Einrichtungsträgernichts, weil Sie letztendlich mit diesen rechtlichen Folgen leben müs-sen.

Engels:Nun möchte ich Frau Steves bitten, uns ihren Vortrag zu den Markt-chancen zu präsentieren.

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Wohnen mit Service: Ein Markt der Zukunft?

Britta Steves, empirica – qualitative Marktforschung

Vorbemerkung

Die Entwicklung des Betreuten- oder Service-Wohnens steht in direk-tem Zusammenhang mit den tief greifenden demografischen undstrukturellen Veränderungen in unserer Gesellschaft und den damiteinher gegangenen Entwicklungen in den konventionellen Wohnan-geboten der Altenhilfe (Stichwort: Gesundheitsreform, Pflegever-sicherung und Landespflegegesetze).

Schwerpunkt meines Vortrages sind die aktuelle Marktsituationebenso wie absehbare Trends im „Service-Wohnen“ in der Bundes-republik Deutschland. Gegenstand sind hier u.a. auch die Erfolgs-faktoren, die geeignet erscheinen, die aktuelle Qualitätsdiskussion imSinne der dringend notwendigen Qualitätssicherung im Service-Wohnen voranzutreiben. Denn die Entwicklung und uns aus vieleneigenen Untersuchungen vorliegende Erkenntnisse und Erfahrungenim Service-Wohnen5 zeigen, dass letztlich nur die Angebote Akzep-tanz und somit auch eine zukunftsträchtige Vermarktung finden wer-den, die die Qualität im Service-Wohnen zur entscheidenden Pla-nungsgrundlage machen.

1. Überblick über die Nachfragerseite

In Deutschland leben zur Zeit rd. 13 Mio. über 65-Jährige. Von die-sen leben rd. 95% in privaten Haushalten in „normalen“ Wohnungen.Dies stellt die dominante Wohnform im Alter dar. Die Älteren - Mieterwie Eigentümer - haben in der Vergangenheit die Lösung „Weiter-leben wie bisher“ bevorzugt. Sie sind weder nach dem Auszug derKinder noch beim Eintritt in den Ruhestand oder nach dem Tod einesEhegatten aus der Familienwohnung in eine kleinere Wohnungumgezogen.

5 Erfahrungsspektrum von empirica: Standortanalysen in ganz Deutschland,

Untersuchungen zu Qualität, Konzeption, Bedarfs- und Potenzialabschät-zungen; empirica-Datenbank „Seniorenimmobilien“, die rd. 3.500 altersge-rechte Wohnanlagen umfasst, in denen ergänzende Serviceleistungenangeboten werden, und die Ergebnisse von über 5.000 Senioreninterviews.

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Ältere Menschen wollen gerne in der „vertrauten“ Nachbarschaftleben. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt jedoch, dass dasVerbleiben in der gewohnten Nachbarschaft auch Nachteile mit sichbringt. Häufig kommt es zur parallelen Alterung in Wohngebieten. Inder Familienwohnung, die z.B. für eine Familie mit vier Personengeplant war, wohnt oft nur noch eine Person. Die Kinder sind erwach-sen, haben selbst einen Haushalt gegründet und sind fortgezogen.Andere Mitbewohner sind gestorben. Viele der Älteren bleiben isoliertzurück. Die Folge: Die Wohngebiete werden ereignisärmer.

Schließlich kommt es zu einer räumlichen Konzentration älterer Men-schen in bestimmten Gebieten. So werden absehbar die in den 60erund 70er Jahren entstandenen Wachstumsregionen im Umland dergroßen Städte (30 bis 35 Jahre später) zu „Rentnernachbarschaften“.

Mit der einseitigen Altersstruktur nimmt die Möglichkeit gegenseitigerNachbarschaftshilfe ab. Ein weiterer Nachteil ist die zunehmendungünstige Versorgungsdichte. Da die Haushalte kleiner werden,verringert sich mit der Bewohnerzahl auch die Kaufkraft. Einzel-handelsgeschäfte werden unrentabel. Die für eine selbstständigeLebensführung notwendigen Angebote und Geschäfte fallen weg.

Auf Grund der starken Eigentumsbildung in den 60er und 70er Jah-ren lebt über die Hälfte der heute 50- bis 60-Jährigen in gut aus-gestatteten Eigenheimen. Sollte sich das Mobilitätsverhalten derEigentümerhaushalte in den nächsten Jahren nicht grundsätzlichändern, so wird um die Jahrtausendwende die Mehrzahl der 65- bis75-Jährigen in Einfamilienhäusern wohnen, die nicht altengerechtausgestattet sind. Gegenwärtig wächst die Zahl der älteren Haus-halte, die sich mit zu großen, kaum eigenständig zu bewirtschaf-tenden Häusern und Gärten auseinander setzen. Mit zunehmendemAlter wird diese Wohnsituation mehr und mehr als Last empfunden.

Trotz der Nachteile, die das Leben in der „vertrauten“ Nachbarschaftmit sich bringt, wählt die Mehrzahl der Älteren die Lösung „Weiter-leben wie bisher“. Sie wollen ihre Selbstständigkeit und ihren eigenenLebensstil bewahren. Die Alternativen, die zur normalen Wohnungangeboten werden, sind meist wenig attraktiv. Institutionelle Wohn-formen wie Altenpflegeheim, Altenheim und Altenwohnheim werdenallenfalls als „Notlösung“ akzeptiert. So leben nur rd. 5% der über 65-Jährigen in Sonderwohnformen der Altenhilfe. Diese Wohnangebote,die im Rahmen der Altenhilfe durch öffentliche und private Trägererrichtet und betrieben werden, entsprechen nicht den Lebens- und

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Wohnvorstellungen der heutigen und zukünftigen Generation derÄlteren.6

3,9 Mio. der über 65-Jährigen sind Hilfe-/ Pflegebedürftige (2,34 Mio.Hilfebedürftige und 1,60 Mio. Pflegebedürftige). 3,2 Mio. der Hilfe-/Pflegebedürftigen leben in privaten Haushalten, wo sie bisher i.d.R.durch die Familie versorgt bzw. gepflegt werden. So leben etwa 70%der Pflegebedürftigen zu Hause und erhalten Hilfen im Rahmeninformeller Unterstützungssysteme. Die rd. 2,3 Mio. „Hilfebedürf-tigen“, die regelmäßig z.B. hauswirtschaftliche Unterstützung benöti-gen, werden zu fast 90% informell versorgt.

Die Anzahl der Senioren wächst, da die Lebenserwartung steigt: Sonehmen die über 60-Jährigen in den nächsten 15 Jahren um rd. 2Mio. zu, bei gleichzeitig überproportionaler Zunahme der Hoch-altrigen und damit der Hilfe- und Pflegebedürftigen. Die Zahl der über80-Jährigen wird sich in der Zeitspanne von 1950 bis zum Jahre2040 vervierfachen; dies bedeutet einen Anstieg von 1 Mio. auf ca.4,4 Mio. Dagegen wird sich die Zahl der 60- bis 79-Jährigen imgleichen Zeitraum in etwa verdoppeln. Mit der Zunahme der Hoch-altrigkeit wächst die Anzahl der Personen, die auf Unterstützung imAlter bis hin zur Hilfe bei Pflegebedürftigkeit angewiesen sind.

Die damit einhergehenden strukturellen Veränderungen, wie Rück-gang der überwiegend durch Kinder erbrachten Hilfs- und Betreu-ungsleistungen, sinkende Geburtenzahlen, Zunahme der Kinder-losigkeit und der Erwerbsquote der Frauen gehen einher mit verän-derten subjektiven Einstellungen und Lebensstilen heutiger undzukünftiger Senioren.

2. Veränderte Nachfragetrends nach Wohnangeboten für dasAlter

Heute schon deutet sich bei der älteren Generation ein Werte- undEinstellungswandel an. Selbst die „alten Alten“ akzeptieren dieinstitutionellen Wohnformen Altenwohnheim, Altenheim und Alten-pflegeheim immer weniger. Gleichzeitig wächst bei ihnen aber auchdie Sorge, wie sie in ihrer oft nicht altengerechten und häufig zugroßen Wohnung auf Dauer alleine zurechtkommen werden. Die

6 Vgl. empirica: Altersgerechtes Wohnen, Antworten auf die demografische

Herausforderung. LBS (Hrsg.), Bonn 1993.

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Frage, ob Kinder, Verwandte oder Nachbarn Pflege und Versorgungauf sich nehmen können, ist vielfach ungeklärt.

Während die „alten Alten“ hoffen, dass sie nicht zu denjenigen gehö-ren, die notfalls ins ungeliebte Heim umziehen müssen, zeigt sich beider Generation, die in den kommenden Jahren aus dem Berufslebenscheiden wird, eine hohe Mobilitätsbereitschaft.

Die Hauptgründe für den Mobilitätswunsch sind:

• Man möchte Isolation und Abhängigkeit im Alter möglichst weit-gehend vermeiden.

• Man will im Alter „eigenständig“ (in einer „normalen“ Privatwoh-nung) wohnen mit der Option, dass für Krankheit und PflegebedarfVorsorge getroffen ist.

• Vorsorge für den Fall eintretender Hilfs- und/ oder Pflegebedürf-tigkeit

• Der Mobilitätsbedarf beschränkt sich nicht nur auf die Überlegung,noch einmal umzuziehen. Er beinhaltet auch Initiativen zurbaulichen, altersgerechten Veränderung am Haus bzw. in derWohnung.

3. Service-Wohnen: Ein neuer Markt mit Zukunft

Service-Wohnen ist eine Wohnkonzeption, die den subjektivenEinstellungen der jungen und zukünftigen Senioren entspricht undden veränderten Rahmenbedingungen Rechnung trägt. Der Grund-gedanke ist, dass jeder (sei es als Eigentümer oder als Mieter) inseinen „eigenen vier Wänden“ lebt (unabhängig davon, ob als Wohn-eigentümer oder Mieter) und den Alltag mehr oder weniger alleinebzw. im Haus- oder Nachbarschaftsverbund organisiert. Durch eineGestaltung und Ausstattung der Wohnung, die den möglichenBewegungseinschränkungen älterer Menschen Rechnung trägt, wirddas eigenständige Wohnen gefördert. Als Ergänzung werdenprofessionelle Serviceleistungen (bis hin zur Pflege) angeboten, dieman nach Bedarf abrufen kann und auch nur bei Inanspruchnahmebezahlen muss.

In Anbetracht der zunehmend teuren Dienstleistungen und des Wun-sches der Älteren, möglichst weitgehend aktiv den Alltag zu gestal-ten, müssen die Wohnangebote so ausgerichtet sein, dass ein Teil

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der im Alter anfallenden Hilfeleistungen von den älteren Menschenselbst organisiert werden kann. Allerdings darf die Selbsthilfestrukturnicht überfordert werden. Professionelle Hilfeleistungen, vor allem,wenn es sich um Pflege handelt, sind als flankierende Ergänzungenunverzichtbar.

Wohnen mit Service ist eine Antwort auf die in den „normalen“Nachbarschaften zunehmend ungünstigeren Lebensbedingungen fürältere Menschen. Es schafft ein zusätzliches Angebot, das zwischender familialen Unterstützung in der angestammten Privatwohnungund der stationären Heimpflege angesiedelt ist. Wohnen mit Serviceist kein „abgespeckter“ Ersatz für ein Pflegeheim. Es ist ein „Wohnenplus“, das Ersatz bzw. Ergänzung für die zunehmend geringerenfamilialen Unterstützungskapazitäten bietet.

Mit der Bezeichnung Wohnen mit Service werden verschiedeneOrganisationsformen umschrieben. Sie alle verbindet das Ziel, dasWohnprojekt so zu konzipieren, dass für die Bewohner neben derMiete (bzw. dem Kaufpreis) keine bzw. kaum verpflichtende Grund-pauschalen anfallen. Vielmehr wird in einem Leistungskatalog klarfestgelegt, welche konkreten Leistungen in welchem Umfang und zuwelchen Kosten und von wem bei Bedarf erbracht werden. Service-Wohnungen sind somit „richtige“ Wohnungen, kombiniert mit Ser-viceleistungen, die entweder vor Ort (d.h. innerhalb des Wohn-projektes) bereit gestellt oder durch externe Dienste erbracht werden.Die Bewohner schließen in der Regel neben einem Kauf- oder Miet-vertrag einen ergänzenden Betreuungs- bzw. Service-Vertrag ab.7

4. Verschiedene Varianten des Service-Wohnens

Je nachdem, ob Individualität stärker betont, mehr Eigenleistungenerwünscht bzw. professionelle Hilfeleistungen von Dritten bean-sprucht werden, sind verschiedene Kombinationen von Wohn- undServiceangeboten denkbar:

7 Bei einigen Projekten entsprechen die abgeschlossenen Verträge Heim-

verträgen. Sie werden oft nur anders genannt, um nicht einen Heim-charakter des Wohnprojektes zu signalisieren.

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Abbildung 1: Verschiedene Varianten des Service-Wohnens

Wohnprojekte mit integrierten Serviceangeboten

Wohnprojektemit flankierendenServiceangeboten

Altengerechte An-passungsmaßnahmenim Wohnungsbestand

Selbstorganisierte Gruppenwohnprojekte

Wohnprojekte imHotelverbund

HOTEL

Wohnprojekteim Heimverbund

S

empirica

Altengerechte Anpassungsmaßnahmen im Wohnungsbestand

Vor dem Hintergrund, dass ca. 95% der Älteren in Deutschland zuHause wohnen bleiben, stellen altengerechte Anpassungsmaßnah-men im Wohnungsbestand eine wesentliche wohnungspolitischeHerausforderung und Aufgabe der Wohnungswirtschaft dar. Es ist,mit Blick auf die vorhandenen baulichen Gegebenheiten, vor allemauch in Ostdeutschland ein zentrales Thema.

Altengerechte Anpassungsmaßnahmen im Wohnungsbestand be-deuten, dass in Wohngebieten mit einem hohen Anteil älterer Bewoh-ner altengerechte Um-/ und Anbauten durchgeführt werden, sodasskleinere altengerechte Wohnungen entstehen, die Selbstständigkeitund Sicherheit bis ins hohe Alter garantieren. Dadurch können Heim-aufenthalte vermieden und größere Wohnungen für jüngere Familienfreigemacht werden. Die wieder engere räumliche Beziehung zwi-schen den Generationen setzt gegenseitige Unterstützungsleistun-gen frei. Bei dieser Konzeption sind drei Varianten denkbar:

• Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen an vorhandenen Gebäu-den;

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• Kauf einer Gebrauchtimmobilie und anschließender Umbau inkleine, altengerechte Wohnungen;

• Neubau altengerechter Wohnungen, falls entsprechende Grund-stücke verfügbar sind.

Die Serviceleistungen stellen eine Mischung aus Eigenleistungen,selbstorganisierter Nachbarschaftshilfe sowie flankierenden profes-sionellen Leistungen dar.

Selbstorganisierte Gruppenwohnprojekte

Bei selbst organisierten Gruppenwohnprojekten als weitere Variantedes Service-Wohnens bestimmen die Bewohner möglichst weitge-hend selbst die Wohnform, die Bewirtschaftung und die Betreuungs-leistungen. Je nach gewünschter Individualität sind drei Variantendenkbar:

• Wohngemeinschaft (persönlicher Wohnbereich für jeden)• Hausgemeinschaft (in sich abgeschlossene Wohnung für jeden)

• Nachbarschaftsgemeinschaft (Zusammenschluss mehrerer Häu-ser)

Die Nachfrage nach selbst organisierten Gruppenwohnprojekten isthoch; z.Zt. sind uns bundesweit jedoch nicht mehr als rund 100Projekte bekannt. Viele, die ein solches Projekt realisieren möch-ten, scheitern an den gegebenen schlechten finanziellen und organi-satorischen Rahmenbedingungen sowie an mangelnder Unter-stützung bzw. begleitendem professionellen Know-how. Insbeson-dere bei öffentlich geförderten Projekten mit verschiedenen invol-vierten Entscheidungsträgern kommt es häufig zu Interessenkon-flikten, z.B. wenn es um die Regelung des Belegungsrechtes geht.

Wohnprojekte mit flankierenden Serviceangeboten

Wohnprojekte mit flankierenden Serviceangeboten sind altenge-rechte Wohnungen8 (z.T. auch barrierefreie Wohnungen), in die

8 Altengerechte Wohnungen sind „normale“ Wohnungen, die durch fach-

gerechte Anpassungsmaßnahmen (z.B. verringerte Schwellen, Haltegriffe,bodengleiche Duschen, rutschfeste Bodenbeläge) auf die Wohnbedürfnisseälterer Menschen zugeschnitten sind, sodass die selbstständige Lebens-und Haushaltsführung möglichst lange aufrecht erhalten werden kann.

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Nachbarschaft eingebunden bzw. in einem Wohnprojekt zusam-mengefasst. Die flankierenden Serviceleistungen (Hilfen bei derWohnungsreinigung, Versorgungen mit Essen, Vermittlung häus-licher Pflegeleistungen u.ä.) werden nicht vertraglich abgesichert unddemgemäß auch nicht pauschal, sondern nur entsprechend dertatsächlichen Inanspruchnahme vergütet. Der Vorteil gegenübereiner „einfachen“ altengerechten Wohnung besteht darin, dass dieBewohner ggf. notwendige Betreuungsleistungen aus einem zwarunverbindlichen, aber leicht zugänglichen und professionell unterbrei-teten Zusatzangebot abrufen können. Solange diese Option nichtwahrgenommen wird, wird ausschließlich der Miet- (inkl. Neben-kosten) bzw. der Kaufpreis fällig.

Wohnprojekte mit integrierten Serviceangeboten

Bei Wohnprojekten mit integrierten Serviceangeboten bestimmen„Profis“ weitgehend die Wohnform und deren organisatorische Rah-menbedingungen. Altengerechte Wohnungen (z. T. barrierefreieWohnungen9) werden mit einem vertraglich fixierten Dienstleistungs-angebot kombiniert, das im Gegensatz zu nur flankierender Bereit-stellung auch Entlastung und Sicherheit im Alter garantiert. DieWohn- und Betreuungskonzepte sind verschieden organisiert.

Es werden im Wesentlichen professionelle Dienstleistungen vorge-halten und erbracht. Denkbar sind folgende Varianten:

• Wohnprojekte mit integriertem Service-Stützpunkt (Serviceleis-tungen stehen direkt vor Ort zur Verfügung)

• Wohnprojekte mit Service-Büro (Serviceleistungen werden voneinem in das Projekt integrierten Büro vermittelt)

Die zusätzlichen Leistungsangebote werden über eine sog. Grund-pauschale vergütet, die zusätzlich zur Miete (inkl. Nebenkosten) bzw.Kaufpreis erhoben wird.

9 Barrierefreie Wohnungen garantieren älteren Bewohnern mit Behinde-

rungen weitgehende Unabhängigkeit von fremder Hilfe. BarrierefreieWohnungen haben keine Schwellen, verfügen über ausreichende Bewe-gungsflächen. Die im Einzelnen zu berücksichtigenden Ausstattungs-merkmale sind in der DIN 18025 Teil 2 festgelegt.

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Wohnprojekte im Heimverbund

Bei Wohnprojekten im Heimverbund ist eine altengerechte Wohn-anlage räumlich und/ oder organisatorisch an ein Pflegeheim ange-bunden. Die Serviceleistungen werden durch dieses Pflegeheimvorgehalten und erbracht. Hier steht die Pflege im Vordergrund.

Wohnprojekte im Hotelverbund

Eine altengerechte Wohnanlage ist räumlich und/ oder organisa-torisch an ein Hotel angebunden, das die Serviceleistungen vorhältund erbringt. Bei dieser Konzeption stehen hauswirtschaftliche Unter-stützungsleistungen und die Möglichkeit, die Hotelinfrastruktur(Schwimmbad, Restaurant u.ä.) mit zu nutzen, im Vordergrund.

Mit dem Pflege-Versicherungsgesetz ist eine langfristige Verlagerungvom stationären zum ambulanten Pflegeangebot vorgezeichnet. Vordem Hintergrund, dass mittel- bis langfristig familiale Hilfeleistungenzurück gehen, finden neue Wohnprojekte, die über die Pflegever-sicherung abrechenbare ambulante Pflegedienste integrieren bzw.flankierend organisieren, eine erhöhte Nachfrage. Altengerechte An-passungsmaßnahmen im Wohnungsbestand und selbst organisierteGruppenwohnprojekte sind Varianten, die trotz entsprechenderNachfrage bisher nur vereinzelt realisiert wurden. Das Gleiche gilt fürWohnprojekte im Hotelverbund, die in den nächsten Jahren verstärktauf den Markt kommen werden. Bei den realisierten Projekten über-wiegen zur Zeit die „Wohnprojekte mit integrierten Serviceangeboten“und die Wohnprojekte im Heimverbund.

Die eher konventionell ausgerichteten Wohnstifte bzw. Senioren-residenzen10 entsprechen durch ihre hauswirtschaftliche Teil- bzw.Vollversorgung nur partiell dem Grundgedanken des Service-Woh-nens. In jüngster Zeit ist bei diesem Angebotssegment jedoch eineverstärkte Umorientierung in Richtung Service-Wohnen zu beob-achten. Eigenständige Wohneinheiten (Appartements und z.T. auchWohnungen) werden mit einem Pauschalpaket von Service-leistungen kombiniert, wobei die Möglichkeit der Abwahl von Leis-tungen besteht.

10 „Seniorenresidenz“ und „Wohnstifte“ sind Bezeichnungen, die synonym

verwendet werden.

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5. Serviceleistungen, Vertragsformen und Finanzierungshilfen

Gewünschte Serviceleistungen

Nach den Ergebnissen unserer Untersuchungen rangieren unter dengewünschten Serviceleistungen medizinische und pflegerische Leis-tungen an erster Stelle, da sie im Falle einer längeren Krankheit bzw.bei eintretender Pflegebedürftigkeit entsprechende Sicherheiten bie-ten. An zweiter Stelle stehen Hilfen zur Bewältigung des Alltags.Dazu gehören Unterstützungen im Haushalt (Wohnungsreinigung,Wäscheservice etc.), Hausmeisterdienste (Aufsichtsfunktion undkleinere Reparaturen) sowie Fahr- und Bringdienste. In der Praxisführt gerade die Schwierigkeit, kleinere Erledigungen des Alltagsselbst vorzunehmen, häufig dazu, dass ein Weiterleben in derangestammten Wohnung nicht mehr möglich ist. Am wenigstenNachfrage besteht bei informellen Hilfen, z.B. Beratung bei Fragenund Problemen usw. Aus Sicht der potentiellen Nachfrager sind diesLeistungen, die nicht ständig vorgehalten werden müssen und diesich in vielen Fällen von den Bewohnern selbst erbringen lassenbzw. privat organisiert werden können. Allerdings besteht Bedarf anHilfeleistungen bei der Organisation von Freizeitaktivitäten. Dabeigeht es weniger um geselliges Beisammensein in der Wohnanlage;gewünscht ist vielmehr die Teilnahme am „normalen“ gesellschaft-lichen Leben. Besonders gefragt sind: Management von Städtereisenund Ausflügen, das Besorgen von Karten für kulturelle Veranstal-tungen u.ä.

Vertragsvarianten

Bei der Konzeption des Service-Wohnens („Betreuten Wohnens“)sind auf Grund der Kombination: „Wohnangebot plus Dienstleis-tungen“ vertragliche Regelungen erforderlich, die vielfach rechtlichesNeuland betreten. Neben reinen Mietverträgen für Wohnungen mitflankierenden Serviceangeboten stehen kombinierte Miet- (Kauf-)und Serviceverträge in Wohnanlagen mit integrierten Serviceange-boten sowie Heimverträge (überwiegend bei Wohnstiften/ Senioren-residenzen). Die Frage, welche Vertragsvariante gewählt wird, ist inzweierlei Hinsicht relevant:

• Zum einen ist zu beachten, dass mit dem Heimbegriff verbundeneemotionale Zugangsbarrieren auch auf den Heimvertrag über-tragen werden.

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• Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Kombination vonWohn- und zusätzlichen Serviceleistungsangeboten in Vielemdem durch das Heimgesetz vorgegebenen Vertragskonzept ent-spricht. Bei einigen Projekten entsprechen die abgeschlossenenVerträge Heimverträgen. Sie werden jedoch anders genannt, umnicht einen Heimcharakter des Wohnprojektes zu signalisieren.Die rechtssystematische Frage, ob Wohnprojekte mit integriertenServiceangeboten Einrichtungen im Sinne des Heimgesetzessind, ist nach wie vor offen.

Vor diesem Hintergrund wird die Frage, welcher Vertragstyp in einerSeniorenimmobilie einzusetzen ist bzw. eingesetzt werden darf,angesichts der unterschiedlichen Leistungsangebote z.Zt. nur aufden Einzelfall bezogen zu bestimmen sein. Vorrangig ist zu prüfen,ob und inwieweit die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen diebesonderen Vorschriften des Heimgesetzes Anwendung findenmüssen. In jedem Fall hat die Frage, welche vertragsrechtlichenSchwerpunkte die fixierten Leistungen haben, sowohl aus der Sichtder Bewohner als auch aus der Sicht der Investoren/ BetreiberGewicht. Während letztere darauf zu achten haben, dass ihre Mittelwirtschaftlich und Gewinn bringend verwendet werden, werden erste-re auf ein qualitativ und quantitativ bestandssicheres Leistungsange-bot Wert legen. Daraus folgt, dass die mit unterschiedlichen sozialenSchutzbestimmungen ausgestatteten rechtlichen Vorschriften, dieüber die Anpassung und über die Kündigung des Vertrags sowieüber die Erhöhung des Entgelts entscheiden, maßgeblichen Einflussauf die Vertragsgestaltung der Wohnprojekte haben.

In der bisherigen Praxis werden sogenannte additive Verträge be-vorzugt, die neben einem auf das Wohnrecht gerichteten Miet- bzw.Kaufvertrag zusätzlich einen ergänzenden Betreuungs- bzw. Service-leistungsvertrag beinhalten. Gelegentlich werden auch sogenannteintegrierte Verträge vereinbart, die sowohl die Abwicklung der miet-als auch der dienstrechtlichen Leistungen in einem Vertrag regeln. Inbeiden Fällen werden die verschiedenen Vertragselemente somiteinander kombiniert, dass sie entsprechend dem Rechtscharaktergemischter Verträge nur in ihrer Gesamtheit ein sinnvolles Ganzesergeben. Am deutlichsten realisiert der Heimvertrag, der seit der1990 in Kraft getretenen Novelle des Heimgesetzes Miet- undBetreuungsleistungen untrennbar miteinander verbindet, die Ver-schmelzung der verschiedenen Vertragstypen. Darüber hinaus gibtes spezielle Vertragsformen, die z.B. den auf Nachbarschaftshilfe

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gerichteten Zusammenschluss in selbst organisierten Wohnverbin-dungen/ Wohngemeinschaften regeln.

Additive Wohn-Serviceverträge bestehen aus einem Miet- bzw.Kaufvertrag mit einem zusätzlichen Pauschalvertrag über Service-grundleistungen. Beide Verträge sind, obwohl sie getrennt ausge-fertigt und unterzeichnet sowie gesondert abgerechnet werden,rechtlich miteinander gekoppelt. Der Betreuungsvertrag kann nur imZusammenhang mit der Auflösung des Wohnverhältnisses beendetwerden. Diese häufigste und damit auch geläufigste Vertragsformdes Service-Wohnens wird sowohl bei Wohnprojekten mit aus-schließlich Mietwohnungen wie auch bei gemischten Strukturen(Eigentumswohnungen und öffentlich geförderte sowie freifinanzierteWohnungen) eingesetzt. Die Wohnanlagen verfügen über einService-Büro oder über einen Service-Stützpunkt. Die dort vermittel-ten oder angebotenen Leistungen werden von entsprechend qualifi-zierten, rechtlich selbstständig organisierten Betreuungskräftenerbracht. Auffällig sind die unterschiedlichen Vereinbarungen überdie Fortsetzung, Änderung oder Aufhebung des Vertrages beimEintritt dauernder schwerer Pflegebedürftigkeit.

Die integrierten Wohn-Serviceverträge bestehen aus einem Ver-trag, in dem alle einschlägigen miet- und leistungsrelevanten Fragenabschließend geregelt werden. Der Vermieter erfüllt entweder dieServiceleistungen mit eigenem Personal oder legt vertraglich fest,dass die Leistungen von qualifizierten Dritten (Vertrag zwischenVermieter und Betreuer) erbracht werden. Auch im letzten Fall ver-bleiben alle den Bewohner betreffenden Abrechnungsvorgänge inder Hand des Vermieters. Diese Vertragsform des Service-Wohnensentspricht in Vielem dem Konzept des Heimvertrages, ohne sich al-lerdings den dafür gesetzlich fixierten Bestimmungen, z.B. über dieKündigung sowie über die Erhöhung des Entgelts, zu unterwerfen.Angesichts noch fehlender praktischer und rechtlicher Erfahrungenmuss vorerst offenbleiben, ob und inwieweit den integriertenVerträgen eine unzulässige Umgehung des Heimgesetzes angelastetwerden kann.

Heimverträge regeln alle Vermietungs-, Verpflegungs-, und Betreu-ungsleistungen in einem grundsätzlich auf Dauer abgeschlossenenVertrag. Den Vorschriften des Heimgesetzes (HeimG) entsprechendsind sie in allen Einrichtungen anzuwenden, die alte Menschen sowiepflegebedürftige oder behinderte Volljährige nicht nur vorübergehendzum Zwecke der Unterbringung aufnehmen. Die Unterbringung

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umfasst neben der Überlassung der Unterkunft die Gewährung oderVorhaltung von Verpflegung, Betreuung oder auch - im Sinne einergesteigerten Betreuung - Pflege. Insbesondere fallen unter dasHeimG Altenwohnheime, Altenheime, Pflegeheime und Behinder-tenheime, da sie alte Menschen sowie pflegebedürftige oder behin-derte Volljährige nicht nur vorübergehend aufnehmen und betreuen.Auch Mischeinrichtungen oder mehrgliedrige Heime, die in der Alten-hilfe üblich sind, werden, soweit es sich nicht um Wohnungenhandelt, erfasst. Dies gilt vor allem für die Verbindung von Alten-wohnheimen, Altenheim und Altenpflegeheim. Entscheidend istallein, ob und inwieweit die tatbestandlichen Voraussetzungenobjektiv erfüllt sind, unter denen die besonderen Vorschriften desHeimG Anwendung finden. Es kommt also nicht auf die Bezeichnungdes Heimes an. Daher werden auch Wohnstifte, Altersruhesitze undAltenpensionen vom Gesetz erfasst.

Das HeimG ist nicht anwendbar auf Anlagen, die nicht heimmäßigbetrieben werden, d.h., wo eine Betreuung und Versorgung nichterforderlich ist und auch nicht bereit gehalten wird. Eine Vermietungvon Räumen oder das Angebot von Reinigungsdiensten alleingenügen also nicht. Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass Tages-einrichtungen und Krankenhäuser nicht vom Gesetz erfasst werden.Soweit Krankenhausträger auch ein Heim betreiben, findet das Heim-gesetz nur Anwendung, wenn das Heim wirtschaftlich und orga-nisatorisch vom Krankenhaus getrennt ist. Bei Rehabilitations-einrichtungen gilt das HeimG nur für die Einrichtungsteile, die dieVoraussetzungen des o.a. Heimbegriffs erfüllen, d.h. dass neben derUnterbringung auch Verpflegung und Betreuung gewährt undvorgehalten wird. Auch Ferien- und Kurheime sowie alle Einrich-tungen, in denen der Aufenthalt nur vorübergehend ist (z.B. Probe-wohnen oder Kurzzeitpflege), zählen nicht zu den Heimen desGesetzes. Ebenso wenig fallen Wohngemeinschaften alter Men-schen und Behinderter, die in der Regel nicht unter der Verant-wortung eines Trägers betrieben werden, unter das Heimgesetz.

Finanzierungshilfen der Länder

Zielgruppe der Nutzer von Seniorenimmobilien (Käufer/ Mieter) sindnicht nur einkommensstarke Haushalte. Auch Personengruppen, diesich aus Einkommensgründen keine frei finanzierte Wohnung leistenkönnen, werden in steigender Zahl Wohnprojekte mit integriertenServiceangeboten nachfragen. Für sie kommt eine Versorgung mit

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Sozialwohnungen in Frage, für die öffentliche Finanzierungshilfeneinkalkuliert werden können.

Die staatliche Wohnungsbauförderung berücksichtigt bei der Woh-nungsversorgung unter ihren Zielgruppen insbesondere auch dieälteren Bürger. Grundlage der direkten Wohnungsbauförderung istdas Zweite Wohnungsbaugesetz (II. WoBauG). Auf seiner Grundlageerlassen die Länder Verwaltungsvorschriften als Durchführungs-bestimmungen und setzen mit den jährlichen Wohnungsbaupro-grammen ihren Förderungsschwerpunkt. Hinzu kommen steuerlicheFörderungsinstrumente, deren Abschreibungserleichterungen vorallem für diejenigen zukünftigen Ruheständler interessant sind, diesich frühzeitig für den Erwerb einer zunächst vermieteten oder denEltern überlassenen, später selbst zu nutzenden, altengerechtenWohnung entscheiden.

Die speziellen Förderbestimmungen, die die Mehrzahl der Länder fürden Bau altengerechter Wohnungen erlassen, ergänzen die allge-meinen Bewilligungsansätze des sozialen Wohnungsbaus, die inallen Ländern bei der Vergabe von Fördermitteln von Altenwohnun-gen zu berücksichtigen sind.

In Sachsen-Anhalt sieht die Förderungspraxis im Bereich der Schaf-fung alten- und behindertengerechter Wohnungen sehr schlecht aus.Das im Rahmen des sozialen Mietwohnungsbaus erst 1997 aufge-legte Landesprogramm zur „Gewährung von Zuwendungen zur Neu-schaffung von alten- und/ oder behindertengerechten Mietwohnun-gen“ wurde bereits 1998, auf Grund der allgemeinen Haushaltslage,wieder gestrichen. Wie wir aus dem zuständigen Ressort des Woh-nungsbauministeriums Sachsen-Anhalt wissen, werden z.Zt. nurnoch Zuwendungen zur Wohnungsanpassung für ältere und behin-derte Personen gewährt. Weitere Sonderförderungen gibt es noch imRahmen des Programms der Sanierung unbewohnbarer Wohnge-bäude (hier wird der Umbau von leer stehenden und nicht mehrbewohnbaren Alten- und Pflegeheimen zu altengerechten Mietwoh-nungen gefördert) und im Programm für die Neuschaffung bzw. denErsterwerb von neu erbauten Eigenheimen und Eigentumswohnun-gen zur Selbstnutzung.

Sowohl organisatorisch als auch fördersystematisch ist von der Woh-nungsbauförderung die Investitionskostenförderung der Pflegeein-richtungen zu trennen. Auf- und Ausbau der pflegerischen Infra-struktur gehören zu den Aufgaben der Länder. Das Pflege-

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Versicherungsgesetz weist ihnen die Verantwortung für die Vorhal-tung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirt-schaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur zu. Das Nähere zurPlanung und zur Förderung der Pflegeeinrichtungen wird durchLandesrecht bestimmt.

In Sachsen-Anhalt können beim Bau von Altenpflegeheimen (§ 52Pflegeversicherungsgesetz) die verbleibenden 10% Eigenanteil ander Gesamtfinanzierung erlassen werden, wenn in der gleichenGrößenordnung (10%) altengerechte Mietwohnungen geschaffenwerden.

6. Die Marktsituation – Status quo

Standorttypen

Je nach Zentralität, Einzugsbereich und Attraktivität als Wohnstand-ort für Senioren lassen sich innerhalb Deutschlands verschiedeneStandorttypen für Seniorenimmobilien unterscheiden.

Abbildung 2: Verteilung der Seniorenimmobilien mit eigenständigenWohnungen/ Appartements auf verschiedene Makro-standorttypen

0 %

10 %

20 %

30 %

40 %

50 %

Überregionale Zentren Mittelstädte Ländlicher Raum

Seniorenwohnanlagen

Whgn in Seniorenwohnanlagen

über 65jährige

ÜberregionaleZentren

LändlicherRaum

Großstädte Verdichtungs- raum

Urlaubs-regionen

Mittelstädte

Quelle: empirica-Datenbank, 1996 empirica

In den überregionalen Zentren München, Hamburg und Berlin be-finden sich mehr als 5% der Einrichtungen, in den Großstädten undden sie umgebenden Verdichtungsräumen jeweils ca. 20%, in denMittelstädten ca. 12% und im ländlichen Raum ca. 35%. EineSonderstellung nehmen die - zumeist ländlichen - Regionen mit

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Urlaubscharakter ein. Obwohl sie zahlenmäßig gering sind, liegenhier im gesamtdeutschen Vergleich ca. 8% der Seniorenimmobilien.

Die Verteilung der Einrichtungen auf die verschiedenen Regions-typen entspricht den relativen Anteilen der Senioren an der Gesamt-bevölkerung. Nur im ländlichen Raum übersteigt der Anteil der über65jährigen den Anteil der Seniorenimmobilien in diesem Gebietstyp.

Regionale Marktsituation

Von den im Bundesgebiet realisierten Seniorenwohnanlagen miteigenständigen Wohnungen/ Appartements lagen vor gut zwei Jah-ren nur ca. 6% in Ostdeutschland. In den letzten zwei Jahren sindjedoch viele neue Angebote hinzu gekommen, vor allem in Leipzigund Dresden. Aktuelle Zahlen hierzu werden z.Zt. in unserem Hauseerarbeitet. In Ostdeutschland befindet sich fast die Hälfte allerAnlagen in kleinen Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern.Häufig ist dabei auf Betreiben der Gemeinde oder eines örtlichenBauträgers auf eine bestehende Nachfragesituation reagiert worden.Entsprechend groß ist der Anteil der Wohnanlagen mit weniger als30 Wohnungen. Bei ca. zwei Dritteln handelt es sich um Wohn-anlagen mit integrierten Service-Büros. Heimverbundene Anlagenmachen ca. ein Viertel aus. Der Großteil der Wohnungen wirdvermietet, wobei die Mieten 20 DM/qm in der Regel nicht über-schreiten.

Im Schnitt ist rd. die Hälfte der im gesamten Bundesgebiet erbautenSenioren-Wohnanlagen mit öffentlichen Mitteln gefördert worden.Innerhalb Westdeutschlands hat sich der Markt für Senioren-immobilien vor allem in den Bundesländern entwickelt, die dem Baualtengerechter Wohnungen eine besondere Förderpriorität einräu-men und die Vergabe der Mittel an die Gewährleistung von Betreu-ungsleistungen binden. Dazu gehören vor allem Baden-Württembergund Nordrhein-Westfalen.

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7. Die aktuelle und zukünftige Marktentwicklung:

Wachsendes Angebot

Abbildung 3: Angebotsentwicklung Service-Wohnen (Neue Projekte proJahr)

0

50

100

150

200

250

300

350

400

450

500

vor1990

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 *

empirica

* Fertiggestellte Anlagen und bekannte Planungen bis August

Quelle: empirica-Datenbank mit rund 3.600 Projekten (davon rd. 2.500 mit genauer Angabe des Baujahrs)

Der Markt für Service-Wohnungen ist einer der letzten großenWachstumsmärkte der Immobilienbranche. Bundesweit hat sich dieZahl der Wohnprojekte mit Service-, Betreuungs- und Pflegeange-boten für Senioren seit 1995 von rund 1.500 auf schätzungsweise3.600 mehr als verdoppelt.

Die Größe und die Ausstattung der neuen Service-Wohnprojektesowie die Art und der Umfang der Serviceleistungen werden vielfäl-tiger. Neben großen, anspruchsvoll ausgestatteten Seniorenresiden-zen/ Wohnstiften, die auch überregionale Nachfrage binden, werdenverstärkt kleinere, auf die lokale Nachfrage ausgerichtete Wohn-anlagen gebaut.

Derzeit liegt der Versorgungsgrad mit Service-Wohnungen im Bun-desdurchschnitt bei rd. 1,6 Wohneinheiten je 100 über 65-Jährige.Diese Zahl schwankt in Abhängigkeit von der Standortattraktivitätzwischen 0,9% und 2,4%.

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Die aktuellen Neubauprojekte sind auf einfach ausgestattete, preis-günstige Wohnanlagen für „Durchschnittsverdiener“ und auf Wohn-anlagen mit überdurchschnittlichem Komfort für solventere Haushalteausgerichtet. In beiden Marktsegmenten ist es zu einem verstärktenWettbewerbsdruck gekommen. Akzeptanz und Vermarktungschan-cen des Service-Wohnens werden deshalb künftig noch stärker alsbisher davon abhängen, inwieweit die Gesamtkonzeption mit denspezifischen Rahmenbedingungen des Standorts und der konkretenNachfragesituation vor Ort abgestimmt ist.

Der Markt für Seniorenimmobilien in der aktuellen Umsetzung ist einKrisenmarkt. Die rückläufigen Entwicklungen am Wohnungsmarktund im Bürosektor haben dazu geführt, dass sich viele Newcomeram Senioren-Immobilienmarkt versuchen. Der anhaltende Bauboomlockt immer mehr Trittbrettfahrer an, die die Service-Wohnansprücheder Kunden nicht erfüllen können. Das passiert beispielsweise, wennschwer zu vermarktende Standard-Wohnanlagen oder sogar Büro-und Gewerbeflächen „kurzerhand“ zu Service-Wohnprojekten „umge-strickt“ werden. Die Zahl der an falschen Standorten platzierten, nichtnachfragegerechten Projekte ist gestiegen; es fehlt an standortbe-zogenen Bedarfsabschätzungen und Nachfrageanalysen sowie anentsprechenden Konzeptionsentwicklungen und an Qualität imDetail. Investoren, die ihre Planungen auf fehlerhafte Markteinschät-zungen und nicht realisierbare Mieten gestützt haben, sind zu Anpas-sungsreaktionen gezwungen. Dementsprechend passt sich derPreistrend für Wohnungen und Serviceleistungen dem Niveau desnormalen Wohnungsmarktes an. Der verstärkte Wettbewerbsdruckführt jedoch durch wachsendes Verbraucherbewusstsein, Preisver-gleichslisten gemäß Pflegeversicherungsgesetz und zunehmendeQualität als Auswahlkriterium dazu, dass der reine, oft am einseitigenAnlegerdruck orientierte Anlegermarkt geht und der Nutzermarktkommt. Im Vordergrund steht derzeit ein Abbau von Engpässen.Jedoch werden wir noch im nächsten Jahr (2000) Projekte in derRealisierung haben, die mit falschen Konzeptionen auf den Marktgehen.

Angesichts der Einrichtungsvielfalt ist die Aussagekraft der durch-schnittlichen Marktpreise für Service-Wohnprojekte begrenzt. Jenach Wohnungsgröße und -ausstattung und abhängig vom Umfangder jeweils bereit gestellten Serviceleistungen und Gemeinschafts-flächen variieren die Preisspannen sehr stark. Trotzdem bieten die inder empirica-Datenbank gespeicherten Preisangaben eine Orientie-rungshilfe, auf deren Grundlage (rd. 3.600 gespeicherte Projekte)

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z.Zt. Preisspannen bei Service-Wohnprojekten errechnet werden,deren Zahlen im Herbst 1999 veröffentlicht werden können.

8. Die Qualität

Schwierige Auswahlentscheidung

Das deutlich vergrößerte, sehr viel differenziertere Service-Wohnan-gebot und die erheblichen Preisunterschiede haben den Marktunübersichtlicher gemacht. Interessierten Kunden fällt es zunehmendschwerer, sich zwischen den vielfältigen Angeboten zurecht zu findenund die richtige Wahl zu treffen. Zwar werben alle Projekte mit demVersprechen, die Anforderungen an ein altengerechtes, selbststän-diges und sicheres Wohnen zu erfüllen - aber längst nicht alle haltensich daran. Wer sich deshalb nicht nur auf die wohlklingendeProspekte verlassen, sondern selber Angebotsvergleiche vornehmenmöchte, erkennt schnell, dass es kaum neutrale Informationshilfenzur Qualitätsbewertung gibt. Welche Anforderungen ein Service-Wohnprojekt mindestens erfüllen sollte, und wie es sich mit demAngebot, der Qualität und dem Preis einer bestimmten Einrichtungverhält, können bisher nur Marktexperten beurteilen. Entsprechendgroß ist die Unsicherheit der Kunden.

Ein allgemein anerkannter Qualitätsbegriff für Service-Wohnprojekte,der einheitliche Mindeststandards für unterschiedlich kombinierteWohn- und Dienstleistungsangebote vorgibt, ist bisher nicht geprägtworden. Ansätze zur Qualitätskontrolle beschränken sich auf freiwil-lige, interne Prüfverfahren. Beispiele aus Baden-Württemberg (Qua-litätssiegel „Betreutes Wohnen“) und Süddeutschland (TÜV-Zertifikatfür Pflegeeinrichtungen) stoßen bei den Einrichtungsträgern aber nurauf geringe Akzeptanz. Zertifizierungen, zu denen auch die doku-mentierte Einhaltung bestimmter Qualitätsnormen auf der Grundlageder internationalen Norm ISO 9000 ff. gehören, formulieren keinequalitativen Ausstattungs- und Leistungsanforderungen. Sie stellenKriterien für ein wirksames Qualitätsmanagementsystem auf, daseine systematische Verhütung von Fehlern möglich macht.

Kunden und Bewohnern von Service-Wohnprojekten stehen keineStandards für eine eigenständige Qualitätsbewertung zur Verfügung.Ihre Angebotsprüfungen bleiben auf die Anwendung von Checklistenohne praktikable, selber anzulegende Qualitätsmaßstäbe beschränkt.Die unvollständige Nachfragersouveränität hat zwangsläufig einen

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zeitlich verzögerten Qualitätswettbewerb zur Folge. Er bietet nachwie vor Freiräume für schwarze Schafe und undurchsichtige Ange-bote.

Die wichtigsten Qualitätsstandards

Zur Umsetzung des Service-Wohnens bedarf es der abgestimmtenVerbindung räumlich-institutioneller Angebote (geeignete Wohnun-gen, evtl. stationäre bzw. teilstationäre oder ambulante Pflegeange-bote) mit Dienstleistungsbereichen (z.B. Verpflegungsangebote,hauswirtschaftliche Hilfe, Fahr- und Bringdienste) und einer organi-satorisch-administrativen Struktur (öffentliche und/ oder freie Träger).Neben den besonderen baulich-architektonischen Ansprüchen an dieWohnung sind sozialräumliche und städtebauliche Anforderungen(Verkehr, soziale Infrastruktur, Wohnumfeldgestaltung) zu berück-sichtigen.

Auf Anregung der Landesbausparkassen, die ja schon seit Jahren indem Bereich Service-Wohnen mit dem Ziel aktiv sind, durch vielerleiUntersuchungen, Gutachten und Veranstaltungen die Qualität imService-Wohnen voranzubringen, hat ein unabhängiges Experten-gremium 1999 qualitative Ausstattungs- und Leistungsanforderungenfür Service-Wohnprojekte unter der Federführung unseres Hauseserarbeitet. Es haben mehr als 20 Fachleute aus Politik (Bundes- undLänderministerien), Wissenschaft und Praxis (Investoren, Betreiberund Bewohner) gemeinsam eine konsensfähige Lösung vorgelegt,deren Ergebnisse am 29. Oktober 1999 in Köln der Öffentlichkeitvorgestellt werden. Was wir Ihnen, ohne dieser Veranstaltung zumAbschluss dieses Vortrages vorweg zu greifen, kurz vorstellen kön-nen, sind die 10 Prüfsteine zur bedarfsgerechten Qualitätsbewertungvon Service-Wohnprojekten, auf die sich die Marktexperten weit-gehend einvernehmlich verständigt haben.

Aufbau und Gliederung der vorgelegten Qualitätsanforderungen fol-gen einer abgestuften Vorgehensweise. Ausgangspunkt sind 10Qualitätskomponenten, die schlagwortartig darüber informieren, wel-che Kriterien mit welchen Regelungsinhalten geprüft werden müssen.

Die Qualitätsprüfsteine sind kein Ersatz für Qualitätssiegel und Fach-zertifizierungen. Sie beschreiben vielmehr „vorab definierte“ Qua-litätsanforderungen, damit Ausstattungs- und Leistungsmerkmale vonService-Wohnprojekten objektiv festgestellt werden können. Dabeierfüllen die Qualitätsprüfsteine einen doppelten Zweck: Auf der Seite

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der Anbieter können sie als Orientierungshilfe zur baulich und kon-zeptionell bedarfsgerechten Projektgestaltung eingesetzt werden, aufder Seite der interessierten Mieter und Käufer als Orientierungshilfezur bedarfsgerechten Bewertung und Auswahl einer Service-Woh-nung.

1. Wohnlage Erreichbarkeit der Einkaufs-/Versorgungs-und Freizeitangebote

2. Erschließung Zugänglichkeit innerhalb des Wohnpro-jekts und zum Wohnprojekt

3. Wohnumfeld Lebensqualität durch Sichtbeziehungenund Nachbarschaftsnutzungen

4. Wohnsituation Privatheit und Wohnqualität

5. GesellschaftlichesLeben

Teilnahme ohne Zwangskontakte

6. Serviceangebote Grundpauschale und Wahlleistungen

7. Pflegeangebote Versorgungssicherheit für den Bedarfsfall

8. Vertragsgestal-tung

Autonomie, Wahlfreiheit und Mitwirkungs-rechte

9. Information undBeratung

Umfassende Information und persönlicheBeratung

10. Preise Transparenzgebot

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Betreutes Wohnen ohne Umzug

Dr. Gerrit Köster, Leitstelle „Älter werden“ der Stadt Aachen

„Komm, wir finden einen Schatz“, sagte der kleine Tiger zum kleinenBären. Und nachdem sie den glücklichen Maulwurf, den Löwen mitder blauen Hose, das verrückte Huhn und den Reiseesel Mallorcaum Rat gefragt hatten, fanden sie ihren Schatz!

„Oh Tiger“, rief der kleine Bär, „was sehen denn da unsere scharfenAugen, sag‘?“ – „Ein Haus, Bär. Ein wunderbar, wundervoll schönesHaus - mit Schornstein. Das schönste Haus der Welt, Bär. Darin wol-len wir wohnen.“

Der kleine Bär baute einen Tisch, zwei Stühle und zwei Betten. „Ichbrauche zuerst einen Schaukelstuhl“, sagte der kleine Tiger, „dennsonst kann ich mich nicht schaukeln“.

Dann pflanzten sie im Garten Pflanzen. Der kleine Bär ging fischen;der kleine Tiger Pilze finden. Das kleine Haus bei den Sträuchernkam ihnen jetzt so schön vor, wie kein Platz auf der Welt. „Ja“, sagteder kleine Tiger, „da wollen wir nie, nie wieder weggehen.“11

1. Einführung

Für viele ältere Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ist esein zentrales Anliegen, in einer optimal ausgestatteten Wohnung undin einem Wohnumfeld leben zu können, in dem sie alle Angebote zurBefriedigung ihrer Bedürfnisse vorfinden.

Legt man etwa die Ergebnisse des Sozio-Ökonomischen Panelszugrunde,12 so sind 64% der Mieter und 86% der Eigentümer aufkeinen Fall bereit, in eine andere Wohnung umzuziehen (Abb. 1). Nur19% der Mieter und lediglich 3% der Eigentümer können sich einenUmzug in eine andere Wohnung oder in ein anderes Haus vorstellen- allerdings auch nur dann, wenn die neue Wohnung altengerechtausgestattet ist und man beim Umzug Unterstützung erhalten kann.

11 Nach Janosch: „Komm, wir finden einen Schatz“ und „Oh, wie schön ist

Panama“12 Nach: HEINZE; R.G. u.a. : Neue Wohnung auch im Alter. Schader-Stiftung,

Darmstadt 1997, S. 19 und 20

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Abbildung 1: Bereitschaft der älteren Bevölkerung in der BRDzum Wohnungswechsel

Bereitschaft zum WohnungswechselMieter (SOEP)

Auf keinen Fall64%

"Richtige" Wohnung

nicht gefunden6%

Umzugsbereit19%

Unspezifische Bereitschaft

11%

Bereitschaft zum WohnungswechselEigentümer (SOEP)

Auf keinen Fall86%

Umzugsbereit 3%

Unspezifische Bereitschaft

10%

"Richtige" Wohnung

nicht gefunden (1%)

Bereitschaft zum WohnungswechselMieter (SOEP)

Auf keinen Fall64%

"Richtige" Wohnung

nicht gefunden6%

Umzugsbereit19%

Unspezifische Bereitschaft

11%

Bereitschaft zum WohnungswechselEigentümer (SOEP)

Auf keinen Fall86%

Umzugsbereit 3%

Unspezifische Bereitschaft

10%

"Richtige" Wohnung

nicht gefunden (1%)

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Berücksichtigt man zudem die Fülle von Anfragen, die z.B. beimSeniorentelefon der Stadt Aachen als der zentralen Informations- undBeratungsstelle zu Alternsfragen zum Thema „Betreutes Wohnen“tagtäglich eingehen,13 ergab sich für die Leitstelle „Älter werden inAachen“14 die Notwendigkeit nach Möglichkeiten zu suchen, ältereMenschen an einem System des „Betreuten Wohnens“ teilhaben zulassen, ohne dass sie dazu aber die eigenen vier Wände, ihre seitlangem vertraute Umgebung, verlassen müssen.

Im folgenden wird nun ein Konzept entwickelt und vorgestellt, dasdiese beiden Optionen – Verbleib in der eigenen Wohnung undgleichzeitig die Möglichkeit, die individuell gewünschten Dienste inAnspruch nehmen zu können – miteinander verbindet. Dabei wurdebesonderer Wert darauf gelegt, dass diese neue Form des „Betreu-ten Wohnens“ auch für Personen zugänglich ist, die lediglich über eingeringes Einkommen verfügen.

2. Methodik

Voraussetzung für dieses Vorhaben war es, sich zunächst ein Bildüber die „individuell gewünschten Dienste“ zu verschaffen. Dazu hatdie Leitstelle „Älter werden in Aachen“ in Zusammenarbeit mit demGeographischen Institut der RWTH Aachen eine Befragung durchge-führt. Ziel der Befragung war es, den Begriff des „Betreuten Woh-nens“ insofern klarer fassen zu können, als die Zielgruppe selbstAuskunft darüber geben sollte, was sie sich unter einem „BetreutenWohnen“ vorstellt, welche Dienstleistungen sie damit verbindet undwelchen Stellenwert sie jedem einzelnen dieser Angebote beimessenwürde.

Die Befragung selbst erfolgte als qualitative Erhebung in Form vonTiefengesprächen durch Studierende des Geographischen Institutsder RWTH Aachen. Der Fragebogen diente lediglich als Gesprächs-leitfaden und enthielt eine Reihe offener Fragen.15 Damit wurde

13 Im Jahre 1999 registrierte das Seniorentelefon insgesamt 3.518 Anfragen.

15% bezogen sich auf den Bereich „Wohnen“ mit dem Schwerpunkt„Betreutes Wohnen“.

14 Die Leitstelle „Älter werden in Aachen“ ist eine Einrichtung der StadtAachen, die die Aufgabe hat, die Altenarbeit zu fördern und zu koordi-nieren.

15 Vgl. Anhang 1

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bezweckt, möglichst spontane und reichhaltige Antworten zu erhal-ten.

Die Auswahl der insgesamt 198 Probanden stellte eine geschichteteZufallsstichprobe dar, in der nur die 60- bis 75-jährige Bevölkerungeingegangen ist, d.h. Personen, die zu den jüngeren älteren oderzukünftigen älteren Personen zu zählen sind.

Die Befragung fand im Haushalt der Interviewpartner statt. Dasgestattete es den Befragern, sich auch ein Bild von der gesamtenWohnsituation zu verschaffen und ggf. auf Hilfsmöglichkeiten durchdie Leitstelle „Älter werden in Aachen“ aufmerksam machen zu kön-nen.

3. Der Untersuchungsraum

Für die Befragung wurden zwei Aachener Wohnquartiere ausge-wählt. Die beiden Viertel, Richterich und Haaren, liegen an derPeripherie von Aachen (Abb. 2). Es handelt sich hierbei um zweiehemals unabhängige Gemeinden16 mit einem alten Dorfkern, umden herum ab den 60er Jahren eine Reihe neuer Siedlungen mitEinfamilienhäusern und Wohnblocks entstanden sind. Es konntenachgewiesen werden, dass damals 30- bis 40-Jährige – oft inZusammenhang mit einer Familiengründung – hierher gezogensind.17 Für sie - inzwischen selbst 60 bis 70 Jahre alt – wird dasThema „Alter“ zu einer immer zentraleren Fragestellung.

Die Bevölkerung von Richterich und Haaren ist dadurch charak-terisiert, dass 61% der Befragten als Eigentümer in ihren Wohnun-gen/ Häusern leben; 30% sind Selbstständige und Beamte. Nur 10%der befragten Bewohner sind Arbeiter, d.h. es handelt sich umWohnquartiere der Mittelschicht, die in Zukunft generell für die Pla-nung und die Konzeptentwicklung für ältere Menschen von beson-derer Bedeutung sein werden. Derzeit leben drei Viertel von ihnennoch mit ihren Partnern oder im Familienverband.

16 Die Eingemeindung erfolgte 1972 im Rahmen der kommunalen Neu-

gliederung17 KÖSTER, Gerrit: Gesamtkonzept Altenarbeit in Aachen. Erster Bericht zur

Altenplanung, Aachen 1991; KÖSTER, Gerrit: Richterich – Altenarbeit ineinem Aachener Stadtteil. Fünter Bericht zur Altenplanung, Aachen 1995

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Haaren

Richterich

Abb. 2: Übersichtskarte AachenLage der Untersuchungsgebiete

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Das Problem des Alleinlebens ist für sie deshalb zwar noch nichtrelevant und 60% fühlen sich körperlich in bester Verfassung.18

Dennoch wurde versucht, sie im Laufe des Gesprächs auch mit einerZukunft zu konfrontieren, in der diese Kennzeichen vielleicht nurnoch bedingt zutreffen.

4. Ergebnisse

4.1 Anforderungen an die Wohnung und an das Wohnumfeld

Es stellte sich zunächst die Frage, warum ältere Menschen so gerneda leben, wo sie derzeit wohnen. Wie Tabelle 1 zeigt, gibt es dazuauf die Wohnung selbst bezogen insgesamt vier große Themen-gruppen.

Wichtigstes Argument ist die Tatsache, dass rund ein Drittel derBefragten in Eigentum oder in einer Wohnung mit einer niedrigenMiete lebt. Allein 26% sind Eigentümer - wichtigstes Kriterium für dieso positive Bewertung der derzeitigen Wohnsituation.

Tabelle 1: Positive Bewertungskriterien für die Wohnungen (in %)

DerzeitigeWohnung

Wohnungnach Umzug

EigentumNiedrige Miete

263 3

Ausstattung der Wohnung, KomfortBewegungsfreiheit (barrierefrei)

1810

3024

Ruhige Lage, schöne Aussicht,Grünflächen in der Nähe, Balkon 27 35Gute Nachbarschaft, Nähe zur Familie,Lange Verweildauer

124

Nennungen insgesamt (absolut) 147 62

Ein zweites Drittel hob die bereits jetzt komfortable Ausstattung derWohnung und ihre Barrierefreiheit hervor, d.h. die Tatsache, dass sie

18 Sie haben weder beim Gehen noch beim Treppensteigen irgendwelche

Probleme. 4% der Befragten sagten, beim Gehen, 6% beim Treppen-steigen erhebliche Probleme zu haben.

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in vollem Umfang den Bedürfnissen, die man zumindest zum Zeit-punkt der Erhebung hatte, entspricht.

Eine dritte Gruppe nannte die schöne Lage, die Nähe von Grün-flächen oder das Vorhandensein eines Balkons als besondersattraktiv. Damit tritt ein Gesichtspunkt in den Vordergrund, der einevermittelnde Stellung zwischen den rein wohnungsbezogenen undden umfeldbezogenen Kriterien darstellt. Er zeigt aber, wie wichtig esist, auch für das Wohlbefinden innerhalb der Wohnung diese Rah-menbedingungen im Umfeld genießen zu können, gewissermaßen inpassiver Form.

Diese vermittelnde Rolle zwischen Wohnung und Wohnumfeld über-nimmt auch der letzte Punkt, der die Einbindung in das sozialeUmfeld umschreibt. Besonders hervorzuheben ist, dass man bei demPunkt „Familie in der Nähe“ in erster Linie an die Nähe der Kinderdenkt, d.h. ein generationsübergreifender Aspekt von Bedeutung ist.Gut die Hälfte der befragten Personen haben Kinder in Aachen, einFünftel sogar innerhalb der Viertel, in denen die Befragungen statt-fanden (Tab. 2). Der Hinweis auf eine lange Verweildauer in derWohnung kann in ähnlicher Weise interpretiert werden.

In beiden Fällen scheint sich das Bewusstsein, in ein soziales Umfeldintegriert zu sein, in sehr hohem Maße auf das Wohlbefinden in deneigenen vier Wänden auszuwirken.

Tabelle 2: Anzahl und Wohnorte der Kinder

Kind Nr.Wohnort der Kinder1 2 3 4 5 6 7 8

Insg. %

Gleicher Ortsteil 40 15 6 2 - - - - 63 18Stadt/Kreis Aachen 65 34 13 5 3 2 2 - 124 36Bis 100 km 29 22 9 4 - - - - 74 21100 – 500 km 12 12 10 2 1 - - - 37 11Über 500 km 7 17 13 3 4 3 1 1 48 14Insgesamt 153 110 51 16 8 5 3 1 345 100

Es wurde darauf hingewiesen, dass die weitaus überwiegende Zahlälterer Menschen zwar in ihren Wohnungen bleiben möchte, abervon einigen auch ein Umzug in Erwägung gezogen wird. Deshalb sollnoch ein Blick auf die Anforderungen an eine neue Wohnung gewor-fen werden. Wie Tabelle 1 zeigt, spielen dann die altersgerechte

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Ausstattung (54%) sowie die Lagefaktoren (35%) eine noch sehr vielprägnantere Rolle.

Überraschen mag, dass der sozialen Einbindung scheinbar keineBedeutung beigemessen wird. Das ist in sofern zu relativieren, alsder Umzug in eine neue Wohnung mit dem Umzug in eine betreuteWohnung verbunden sein soll. Viele Hilfen, die man jetzt durch Nach-barn oder die Familie erhält, wird man dann - so stellen sich dieBefragten das vor - durch die Betreuungsdienste erhalten. Auf diesenThemenkomplex wird später noch einmal eingegangen.19

Zunächst sollen jedoch die Vorteile des Wohnumfeldes kurz umris-sen werden (Tab. 3). Interessant scheint, dass neben dem allge-meinen Hinweis auf ein angenehmes Umfeld die Ausstattung miteiner Basisinfrastruktur einen besonders hohen Stellenwert einnimmt(32%). Dazu zählt an erster Stelle das Vorhandensein von Ge-schäften des täglichen und periodischen Bedarfs (Bäcker, Metzger,Lebensmittel, Friseur u.ä.), d.h. die Erreichbarkeit von Dienstleis-tungen; aber ebenso eine gute Anbindung an den öffentlichen Nah-verkehr oder die Möglichkeit, sich im Umfeld frei bewegen zu kön-nen.

Nach den Erfahrungen mit den Bewertungskriterien für die Wohnungist klar, dass natürlich auch für das Wohnumfeld die ruhige Lage imGrünen und die Einbindung in soziale Netzwerke nicht fehlen dürfen.

Tabelle 3: Positive Bewertungskriterien für das Wohnumfeld (in %)

DerzeitigesUmfeld

Umfeldnach Umzug

Angenehmes Umfeld (allgemein) 21 4Geschäfte in der NäheStadtnähe, gute VerkehrsanbindungBarrierefreies Umfeld

20 5 7

733 5

Ruhige Lage, schöne Aussicht,Grünflächen in Nähe, Balkon 29 45Gute Nachbarschaft, Nähe zur Familie 16 2

Nennungen insgesamt (absolut) 143 48

19 Vgl. S. 10f

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Weiterhin ist zu erkennen, dass die Anforderungen an das Wohn-umfeld nach einem möglichen Umzug sich auch hier noch deutlicherauf wenige Aspekte konzentrierten. Interessant ist beim Stichwort„Mobilität“, dass dann weniger die Geschäfte in der Nähe als dieStadtnähe insgesamt und ihre gute Erreichbarkeit in den Vorder-grund rücken. Das kann einmal als Hinweis darauf gelten, dass manüber das doch bescheidene Angebot in einer ehemals unabhängigenGemeinde Wert auf die vielfältigere Auswahl legt, die das Zentrumder Großstadt bietet. Zum anderen dürfte hier die noch gute Beweg-lichkeit der Probanden eine Rolle spielen.20

4.2 Anforderungen an ein „Betreutes Wohnen“

Nach diesen einleitenden Analysen zur Wohnsituation soll nun unter-sucht werden, was sich ältere Menschen über die genanntenAspekte hinaus unter einem altersgerechten Wohnen vorstellen undwelche Erwartungen sie an den Begriff des „Betreuten Wohnens“knüpfen.

Dazu wurde in zwei Schritten vorgegangen. Zunächst sollten dieBefragten spontan erläutern, was sie sich unter einem BetreutenWohnen vorstellen.

Besonders interessant ist der große Anteil derjenigen, die mit„Betreuung zu Hause“ geantwortet haben und zwar „dort, wo ich jetztwohne“ (Tab. 4). Zusammen mit denjenigen, für die Betreutes Woh-nen „Hilfe bei Bedarf“ und „karitative Hilfe“ - immer unter demGesichtspunkt „bei mir Zuhause“ – ist, wünschten sich 62% derProbanden ein Betreutes Wohnen „in den jetzigen, eigenen vierWänden“. Nur 16% der Befragten stellten sich unter Betreutem Woh-nen ein Wohnen in einer Wohnanlage vor, weitere 14% das Leben ineinem Altenheim, zwei Alternativen, die mit einem Umzug verbundensind. Diese Werte korrelieren in auffälliger Weise mit denjenigen, diesich auf die Bereitschaft der älteren Bevölkerung in der BRD zueinem Wohnungswechsel beziehen.21

20 Vgl. Kap. 321 Vgl. Kap. 1

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70

Tabelle 4: Vorstellungen älterer Menschen vom Betreuten Wohnen

Absolut %Betreuung zu Hause

Hilfe bei Bedarf in meiner jetzigen WohnungCaritative Hilfe in meiner jetzigen Wohnung

34

30 16

27

2312

Wohnen in einer Anlage (mit Umzug) 20 16Wohnen im Altersheim 18 14Sonstiges 10 8

Insgesamt 128 100

Anschließend wurden den Befragten rund 30 verschiedene Service-leistungen vorgelegt.22 Sie sollten nun zwei Entscheidungen treffen:

1. Welcher Service soll in der Wohnung angeboten werden, wel-cher nicht?

2. Welche Wichtigkeit kommt diesem Service zu? Hier war ein Wertzwischen 1 (höchste Priorität) und 4 (niedrigste Priorität) anzu-geben.

Wie Abbildung 3 zeigt, kann anhand dieser beiden Kriterien sehrdeutlich zwischen verschiedenen Gruppen von Diensten differenziertwerden. In eine erste Gruppe fallen Dienste, die von vielen Befragtensowohl als gewünscht, als auch mit höchster Priorität versehenworden sind (beide Säulen sind hoch). Andere Serviceleistungenwurden zwar von vielen gewünscht, aber ihnen wurde nur vonwenigen eine hohe Priorität zugebilligt (linke Säule hoch, rechteniedrig). Und eine weitere Gruppe von Diensten ist dadurchgekennzeichnet, dass sie von wenigen gewünscht und gleichzeitigvon wenigen die höchste Priorität erhalten haben (beide Säulen sindniedrig).

Die Bewertung der einzelnen Dienste in einer Rangfolge ergab sichnun anhand eines Indexes, der aus der Summe von Wunsch undPriorität gebildet wurde. Die Gruppenbildung erfolgte innerhalb dieserRangfolge durch das Verhältnis von Wunsch und Priorität.

22 Vgl. Anlage 1

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Abb. 3: Gewünschte Serviceleistungen für das

Betreute Wohnen(Nennungen in %)

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Abb. 3: Gewünschte Serviceleistungen für das

Betreute Wohnen(Nennungen in %)

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In die erste Gruppe mit den höchsten Anteilen von Wunsch undPriorität fällt die Möglichkeit, bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeitgepflegt zu werden. Viele der Befragten ließen sich dabei von derVorstellung leiten, auf diese Weise einen Umzug in ein Altenheim soweit wie möglich verhindern zu können. Der Einsatz eines ambulan-ten Pflegedienstes wäre eine erste Möglichkeit, diesem Anliegen zuentsprechen.

Praktisch gleichwertig ist der Wunsch, im Notfall Hilfe abrufen zukönnen. In diesem Zusammenhang ist es von zentralem Interesse zuwissen, wie nach der Vorstellung der Befragten die Möglichkeit einesNotrufes organisiert sein soll. Deshalb wurde dieser Frage genauernachgegangen und erkundet, welche Kennzeichen für einenAnsprechpartner gelten sollten. Das Ergebnis ist erstaunlich (Abb. 4):65% der Befragten möchten zwar einen festen Ansprechpartnerhaben, aber nur 31% meinen, dass dieser rund um die Uhr erreich-bar sein soll. Und für lediglich 16% sollte der Ansprechpartnerinnerhalb des Hauses erreichbar sein! Das ist eine klare Absage anWohnanlagen, die eine Betreuung rund um die Uhr im Hausvorhalten. Dieser Service ist wegen der dadurch entstehenden Per-sonalkosten nicht nur sehr teuer, er stellt diesem Ergebnis nach aucheine völlige Überversorgung der Bewohner dar – ebenso wie dieprophylaktische Installation eines Hausnotrufsystems.

Abbildung 4: Die Erreichbarkeit des Ansprechpartners (in %)

65

31

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Soll vorhandensein

Erreichbarkeit 24Std.

Im Hauserreichbar

%

Eine zweite wichtige Serviceleistung bezieht sich auf die Essensver-sorgung. Für 75% der Befragten sollte dabei das Essen im Rahmen

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des „Essens auf Rädern“ nach Hause geliefert werden. Nur 25%konnten sich einen stadtviertelbezogen stationären Mittagstisch vor-stellen, der die Möglichkeit bieten würde, einer Vereinsamung ältererMenschen in ihrer Wohnung entgegenzuwirken.23

Die Dienste mit geringerer Anzahl von Nennungen und geringerenPrioritäten umfassen Arbeiten wie Waschen, Fenster putzen, Winter-dienst, Putzen des Treppenhauses und die Erledigung von Behör-dengängen. Es handelt sich hierbei also vorwiegend um die Verrich-tung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten, wie sie von Mobilen SozialenDiensten angeboten werden.

Erstaunlich für die letzte Gruppe von Diensten mit Nagelpflege,Begleitdienst, Besuchsdienst, Kochen und die Pflege von Grünan-lagen ist, dass die Begleit- und Besuchsdienste so weit hinten in denWünschen der Befragten angesiedelt sind. Diese geringe Bewertungsteht schließlich in keinem Verhältnis zu dem Stellenwert, dem dieEinbindung in das soziale Umfeld für die Befragten bei der Analysevon Wohnung und Wohnumfeld zukam. Offensichtlich gehört dieEinbindung in ein soziales Umfeld nun doch zur privaten Sphäre undkann und soll nicht durch Dienstleistungserbringer ersetzt werden.

Fasst man die Ergebnisse zusammen, kommt man zu den folgendenKriterien für ein bedarfsgerechtes Wohnen im Alter (Übersicht 1):

Übersicht 1: Bedarfsgerechtes Wohnen im Alter

Anspruch an die Wohnung

1. Verbleib in der eigenen Wohnung2. Altersgerechte Ausstattung der Wohnung3. Möglichkeit, Serviceleistungen in Anspruch zu nehmen

(Vorhandensein eines festen Ansprechpartners zu denDienstzeiten, Hauswirtschaft, Pflege)

Anspruch an das Wohnumfeld

4. Gute Nachbarschaft5. Ausreichende Infrastruktur in der Umgebung

(Geschäfte, ÖPNV, Grünflächen)6. Bei Umzug: Umzugshilfe

23 Diese Form der Essensversorgung wird deshalb von der Leitstelle „Älter

werden in Aachen“ besonders propagiert.

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Von besonderer Bedeutung ist, dass die Möglichkeit besteht, in dereigenen Wohnung bleiben zu können. Voraussetzung hierfür ist aber,dass diese Wohnung altersgerecht ausgestattet ist und man hier eineReihe von Serviceleistungen – in erster Linie einen festen Ansprech-partner im Bedarfsfall, Hauswirtschaft und Pflege - in Anspruch neh-men kann.

Wichtig ist weiterhin, dass der ältere Mensch in ein positives sozialesUmfeld eingebettet ist und er Zugang zu einer ausreichenden Basis-infrastruktur in der Umgebung hat.

Ist schließlich ein Wohnungswechsel unvermeidbar, so soll dieserUmzug durch eine Umzugshilfe begleitet werden können.

5. Ableitung eines Konzeptes für ein Betreutes Wohnen ohneUmzug

Anhand der beschriebenen Kriterien kann nun ein Konzept für einBetreutes Wohnen ohne Umzug abgeleitet werden. Der Verbleib inder eigenen Wohnung bei gleichzeitiger Verbindlichkeit, einen festenAnsprechpartner zur Verfügung zu haben, ist dadurch sicher zu stel-len, dass zwischen dem interessierten Bewohner und einem Anbieterdes Betreuungskonzeptes ein Betreuungsvertrag abgeschlossenwird.24 Dadurch erhält der Bewohner die von ihm gewünschte Sicher-heit zu wissen, an wen er sich im Notfall wenden kann. In diesemBetreuungsvertrag sollte sich der Anbieter im Sinne eines Minimal-angebotes zumindest zu den folgenden vier Dienstleistungen ver-pflichten:

1. Als Ansprechpartner während der regulären Dienstzeiten zurVerfügung stehen

2. Über Aktivitäten im Stadtviertel für ältere Menschen oder zumThema Alter informieren25

24 Vgl. das Muster für einen Betreuungsvertrag in Anlage 225 In Aachen kann dabei u.a. auf die Publikationen der Leitstelle “Älter werden

in Aachen” zurückgegriffen werden. So erscheint ½ jährlich die Broschüre„Wir machen mit!“, in der die Freizeit- und Fortbildungsveranstaltungen allerFortbildungsträger insgesamt und auf Stadtviertelebene bezogen zusam-mengestellt sind.

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3. Hilfe leisten in organisatorischen Dingen auf Anfrage, insbe-sondere bei der Vermittlung von Hilfen in den BereichenHauswirtschaft und Pflege

4. Monatlich einen Hausbesuch durchführen

Gerade der letzte Punkt erscheint von besonderer Bedeutung. Denndurch den monatlichen Hausbesuch soll zum einen sichergestelltwerden, dass sich der ältere Mensch tatsächlich in einem sozialenNetzwerk aufgehoben fühlt, das auch persönlichen Charakter hat.Dadurch wird ein Vertrauensverhältnis geschaffen, das den Bewoh-ner im Bedarfsfall nicht in ein „schwarzes Loch“ fallen lässt. Vielmehrweiß er - ebenso wie die betreuende Institution - bereits im Vorfeld,mit wem er es zu tun haben wird.

Zudem erlaubt es der Hausbesuch, das Wohlbefinden eines älterenMenschen und seine Entwicklung durch eine externe Fachkraft zubeurteilen. Hierdurch lässt sich verhindern, dass der Zeitpunkt, zudem eine Unterstützung für einen älteren Menschen gebotenerscheint, verpasst wird und es ggf. zu Vereinsamung oder sogar zuVerwahrlosung kommt.

Als Anbieter für ein derartiges Betreuungskonzept sind verschiedeneInstitutionstypen denkbar. Primär ist hier an Mobile Soziale Diensteoder Sozialstationen zu denken, die ohnehin hauswirtschaftliche oderambulante pflegerische Hilfen anbieten. Im Unterschied zu derentraditionellen Einsätzen ist das Betreuungsangebot jedoch einprophylaktischer Einsatz ohne die Möglichkeit, diesen bereits vonBeginn an über Pflegeleistungen gewinnbringend abrechnen zu kön-nen. Andererseits werden besondere Vorteile darin gesehen, überdas Angebot des Betreuungspaketes zukünftige Kunden an sich zubinden, denen im Bedarfsfall dann natürlich die eigenen (abrech-nungsfähigen) Dienstleistungen angeboten werden können. Als vor-teilhaft wird – im Rahmen der Wohlfahrtspflege – weiterhin gewertet,den karitativen Charakter der präventiven Dienstleistung unter-streichen zu können.

Gerade dieser karitative Gesichtspunkt erhält einen besonderen Stel-lenwert, wenn Beratungsstellen, Besuchsdienste oder Einrichtungender Kirchengemeinden das Betreuungspaket anbieten. Da diesenämlich nicht gleichzeitig Anbieter hauswirtschaftlicher oder pfle-gerischer ambulanter Dienste sind, entfällt für sie die Möglichkeit, ausden anfangs investitionsintensiven Kunden in Zukunft lukrative„abrechnungsfähige“ Kunden zu bekommen. Der Schwerpunkt der

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Tätigkeit liegt hier vielmehr ausschließlich auf der persönlichen Kon-taktebene. Für den Kunden liegt dabei ein besonderer Vorteil darin,sicher sein zu können, nicht früher als vielleicht notwendig eine(abrechnungsfähige) Dienstleistung aufgedrängt zu bekommen - auswirtschaftlichen Gründen für den Anbieter.

Prinzipiell ist der Einsatz von Ehrenamtlern für einen Teil der Haus-besuche denkbar. Voraussetzung dafür muss dann aber eine aus-reichende Vorbereitung und Begleitung der Mitglieder der Dienstesein. Jeder dritte oder vierte Einsatz sollte dennoch durch eine pro-fessionelle Fachkraft durchgeführt werden, so dass sich eine sinn-volle Ergänzung von Ehrenamt und professioneller Tätigkeit ergibt.

Das Konzept versteht sich als ein Minimalkonzept, das dem Sicher-heitsbedürfnis älterer Menschen entspricht, ohne eine Überversor-gung herbeizuführen. Bei Bedarf lässt sich der Leistungskatalog imEinvernehmen zwischen Bewohner und Anbieter im Laufe der Zeiterweitern oder ggf. auch wieder einschränken.

Ergänzt wird das Konzept in Aachen durch vier Angebote der kom-munalen Leitstelle „Älter werden in Aachen“:

1. WohnungsanpassungUnter Wohnungsanpassung sind Änderungen an der Bau-substanz, Maßnahmen an Einrichtungsgegenständen und dieBeschaffung von Hilfsmitteln zu verstehen26. Das Angebot richtetsich an Bewohner von Miet- oder Genossenschaftswohnungenund private Eigentümer im selbstgenutzten Wohnraum, die das60. Lebensjahr vollendet haben und wegen Altersbeschwerdenoder Pflegebedürftigkeit einer gezielten Verbesserung ihrerWohnverhältnisse bedürfen. Die Beratung ist kostenfrei. Da-rüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Maßnahmen durch dieStadt Aachen zu finanzieren bzw. einen Zuschuss zu denKosten zu erhalten27. Die Höhe des Zuschusses richtet sichnach Einkommen und Vermögen des Antragstellers.

26 Z.B. Einbau und Umbau eines Bades, Verbreiterung des Türdurchgangs,

Einbau von Geräten zur Warmwasserbereitung, Erhöhung der Sitzmöbel,Beschaffung eines Wannenliftes u.ä.

27 Dazu stehen in der Stadt Aachen Haushaltsmittel in Höhe von 100.000,--DM jährlich zur Verfügung

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2. WohnungstauschLässt sich eine Wohnung nicht anpassen, ist eine Anpassungunangebracht28 oder wird der Bezug einer neuen Wohnunggewünscht, können Organisation, Vorbereitung und Durchfüh-rung eines Umzugs unterstützt werden.29 Die Hilfen sind kosten-frei.

3. Finanzielle Hilfen zu Installation und Betrieb von Hausnotruf-systemenIn Abhängigkeit von Einkommen und Vermögen können finan-zielle Hilfen zu Installation und Betrieb eines Hausnotrufsystemsgewährt werden.

4. Information und Beratung durch das städtische SeniorentelefonUnabhängig von der unmittelbaren Betreuung durch den Anbie-ter kann jeder Bürger der Stadt Aachen sich zu allen Fragenrund um das Älterwerden beim städtischen Seniorentelefoninformieren und beraten lassen.

6. Kosten und Finanzierung in Aachen

Ziel bei der Entwicklung des Konzept für ein Betreutes Wohnen ohneUmzug war es in Aachen, ein Angebot zu schaffen, das auch allenPersonen mit geringem Einkommen offen steht und von ihnengenutzt werden kann. Deshalb wurde eine Kostenpauschale für dieBetreuung in Höhe von 30,00 DM im Monat angesetzt, die vomBewohner an den Anbieter zu zahlen ist.

Für Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt ist eine Finanzierungder Pauschale – soweit sie 30,- DM monatlich nicht übersteigt – nachdem Bundessozialhilfegesetz möglich (BSHG § 23 Abs. 1, ggf. mitAufstockung des Mehrbedarfs über die vorgesehenen 20% desmaßgebenden Regelsatzes).

28 Das kann z.B. der Fall sein, wenn eine Wohnung in der dritten Etage eines

Hauses ohne Aufzug liegt und der Bewohner keine Treppen mehr steigenkann.

29 Die Hilfen umfassen z.B. Hausbesuche, Analysen des Wohnumfeldes,Suche einer neuen Wohnung mit Besichtigungen, Gespräche mit Ver-mietern, Nachmietersuche, Planung des Umzugs, Einholen von Kosten-voranschlägen, Ummeldung von Strom und Gas, Mitteilungen an Behördeno.ä.

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Zudem wurde in Absprache mit dem Wohnungsamt der StadtAachen vereinbart, dass die Betreuungspauschale - soweit sie 30,00DM monatlich nicht übersteigt - bei der Kalkulation des Wohngeldesnicht angerechnet wird.

Damit sind in Aachen die wichtigsten Komponenten, die sich bei derBefragung ergeben haben, im Konzept kostengünstig berücksichtigt:

- Die Möglichkeit, in der eigenen Wohnung bleiben zu könnenbei gleichzeitiger Anpassung oder Gestaltung/ Herrichtungder Wohnung an die Bedürfnisse älterer Menschen.

- Über den Abschluss eines Betreuungsvertrages die Sicher-heit zu gewähren, die ältere Menschen suchen.

- Durch die Vermeidung einer Überversorgung ein Angebot zuschaffen, das für jeden erschwinglich, gleichzeitig aberflexibel und erweiterbar ist.

7. Erste Erfahrungen mit der Umsetzung des Konzeptes inAachen

Die Umsetzung des Konzeptes eines Betreuten Wohnens ohneUmzug ist in Aachen zunächst nur zögerlich angelaufen. Die Sozial-stationen der Wohlfahrtspflege haben bisher noch keine Betreuungenübernommen. Wichtigstes Argument sind für sie die Kosten für denmonatlichen Hausbesuch, die durch die Kostenbeteiligung derInteressenten in Höhe von 30,- DM nicht abgedeckt werden können.Die Möglichkeit, über das Angebot zukünftige Kunden an sich zu bin-den, wird von den Aachener Sozialstationen der Wohlfahrtspflege sonicht bewertet.

Inzwischen werden aber Überlegungen angestellt, durch den kombi-nierten Einsatz von Ehrenamtlern und Professionellen für denBesuchsdienst in das Konzept einzusteigen.

Im Unterschied dazu hat eine private Sozialstation bereits sehr guteErfahrungen mit dem Konzept gemacht. Innerhalb des letzten Jahreswurden insgesamt acht Personen von ihr begleitet. Von diesen sindvier später in die ambulante Pflege der Sozialstation übernommenworden. Nach Auskunft des Leiters der Station hat sich der ursprüng-liche Einsatz damit auch wirtschaftlich gelohnt.

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Wichtig war für diesen Einsatzleiter, die monatlichen prophylak-tischen Besuche selbst durchzuführen und nicht an MitarbeiterInnenzu delegieren. Dadurch hat sich ein für ihn wertvolles Vertrauens-verhältnis gebildet, das nicht nur für die älteren Menschen, sondernauch für den Einsatzleiter von Vorteil war, erlaubte es diesem doch,die im Laufe der Zeit notwendig werdenden Einsätze im Voraus zuplanen.

Interesse an der Umsetzung des Konzeptes wird nun auch voneinigen Mobilen Sozialen Diensten signalisiert. Die Eigenbeteiligungder Interessenten wird zwar auch von diesen als nicht kosten-deckend gesehen, zumal die monatlichen Besuche von der jeweili-gen Einsatzleitung bzw. ihrer Vertretung durchgeführt werden sollen.Für die Dienste entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass eineReihe von älteren Menschen ohnedies zu einem Zeitpunkt mit denMSD in Kontakt treten und dann auch besucht werden, zu dem einhauswirtschaftlicher Hilfebedarf eigentlich noch nicht vorhanden ist.Das Betreute Wohnen ohne Umzug würde diesem Bedarf in vollemUmfang entsprechen.

Eine weitere viel versprechende Alternative bildet die Anbindung desBetreuungsdienstes an eine stadtviertelbezogene Beratungsstelle.30

Im konkreten Fall bildet die Beratungsstelle ein Teilangebot einesVereins (Altenarbeit in Forst e.V.31), in dem alle im Viertel in derAltenarbeit tätigen Institutionen sowie Ehrenamtler zusammenge-schlossen sind.32 Die Beratungsstelle wird trägerübergreifend finan-ziert.

Derzeit (März 2000) liegen vier Anträge von älteren Menschen vor,die an dem Betreuungskonzept teilnehmen möchten. Der Besuchs-dienst soll in einer Kombination von Ehrenamtlern und Professionel-len und unter Ausnutzung aller im Verein zusammengeschlossenen

30 Forster Seniorenberatung31 Weitere Angebote des Vereins sind: Kontaktstelle mit Frühstückstreff,

Begleitung ehrenamtlich Tätiger im Viertel, Organisation von Fortbildungs-veranstaltungen in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Aachen

32 Zum Trägerverein gehören: Caritasverband für die Regionen Aachen-Stadtund Aachen-Land (einschl. Sozialstation), Deutsches Rotes Kreuz, Ev.Kirchengemeinde Aachen (Begegnungsstätten, Sonntagsküche), ein priva-tes Altenheim, ein Altenheim eines Ordens, zwei katholische Pfarrge-meinden (drei Begegnungsstätten, Kranken-Besuchsdienst), SozialdienstKatholischer Männer e.V. und das Sozialwerk Aachener Christen e.V.(Mobiler Sozialer Dienst)

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Kompetenzen organisiert werden. Der Verein ist sich im klarendarüber, dass eine Kostendeckung nicht zu erreichen ist. Er hält dasAngebot für seine Arbeit im Stadtviertel aber für so wichtig, dass eres dennoch unterbreiten möchte.

8. Perspektiven

Das Angebot eines Betreuten Wohnens ohne Umzug wird in Aacheneine weitere Akzeptanz finden können, wenn die Öffentlichkeitsarbeitfür dieses Projekt intensiviert wird. Die bisher eingebundenenInstitutionen sind daran sehr interessiert, sodass eine gemeinsameträgerübergreifende Öffentlichkeitsarbeit in Erwägung gezogen wer-den kann.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass das Konzept in die richtigeRichtung weist. So sind nach seiner Veröffentlichung in den Fach-zeitschriften „Forum Sozialstation“33 und „Pro Alter“34 inzwischen 41Pflegedienste, Verbände und Kommunen aus der ganzen Bundes-republik an die Leitstelle „Älter werden in Aachen“ herangetreten, umzusätzliche Informationen zu dem Angebot zu erhalten, die eineUmsetzung vorbereiten helfen sollen. Es bleibt zu wünschen, dassdieses Vorhaben auch in diesen Regionen auf fruchtbaren Bodenfällt.

33 Köster, G.: Betreut Wohnen – aber wie? In: Forum Sozialstation, Nr. 96,

Bonn, Februar 1999, S. 60-6234 Kremer-Preiß, U.: Betreutes Wohnen ohne Umzug. In: Kuratorium

Deutsche Altershilfe, Pro Alter 4, Köln 1999, S. 80-81

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Diskussion

Joachimsthaler:Vielen Dank, Herr Dr. Köster. Ich glaube, wir haben als Koordi-nierungsstelle Halle davon viele Anregungen mitbekommen, ich habeauch heftig mitgeschrieben. Das sind doch Ideen, die man auch hierprobieren könnte – gerade für den kleinen Geldbeutel.

Teilnehmerin:Mich interessiert noch ein Punkt, der angesprochen, aber nicht erläu-tert wurde. Und zwar hatten Sie gesagt, Sie hätten eine „aktivieren-de Befragung“ gemacht, und dieser Aspekt würde mich noch mal –zumindest kurz – interessieren.

Köster:Innerhalb unserer Befragung versuchen wir (während der Befra-gungssituation oder meistens im Anschluss an diese Befragungs-situation), den älteren Leuten die Angebote, die es in der StadtAachen gibt, vorzustellen. Die Befrager haben immer ein ganzesPaket an Broschüren mit, etwa die Broschüre „Einrichtungen derAltenarbeit“, wo alle Institutionen, die in der Altenarbeit engagiertsind, von wenig Hilfe – sprich Beratung, Kommunikation, Begeg-nungsstätten – über Wohnen, Wohnungsanpassung, über ambulanteHilfen zu Hause bis zu stationären Hilfen mit Ansprechpartnern, mitTelefonnummern, mit Öffnungszeiten/ Besonderheiten verzeichnetsind, sodass man sich frühzeitig darüber informieren kann, um wases geht. Wir haben z.B. die Broschüre „Wir machen mit“, Freizeit-und Fortbildungsangebote, die ich eben schon genannt hatte. Die-ses Heft wird zweimal im Jahr herausgegeben, und hier fassen wiralles zusammen, was in Aachen von Bildungsträgern, an Angebotenspeziell für ältere Menschen oder zum Thema ältere Menschengemacht wird. Also von Führungen über Gedächtnistraining,Französisch für 50+ oder einfach Fahrten, geselliges Beisam-mensein; alles einmal nach Sachgebieten und einmal nach Stadt-vierteln geordnet, um einen stadtviertelbezogenen Ansatz miteinzu-beziehen. Für mich in der Planung und in der Koordination vonAltenarbeit sind auch Informationen über den Senioren-Beiratwichtig, weil ich über den Senioren-Beirat die Möglichkeit habe, dieInteressen älterer Menschen unmittelbar auch selber herauszube-kommen. Wenn ich also eine örtliche „Arbeitsgemeinschaft Alten-arbeit“ einberufe, dann ist es normalerweise einfach, die Institutionen

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an einen Tisch zu bekommen, aber wie soll ich den älterenMenschen an den Tisch bekommen? Dadurch habe ich hier dieMöglichkeit, das Ganze zu machen. Desweiteren unsere Broschüren„Wohnungsanpassung“, „Wohnungstausch“ - was machen wir? Inwas für einem Umfang machen wir das? An wen kann man sichwenden? Wie wird so etwas finanziert? bzw. unsere zentraleInformations- und Beratungsstelle, das „Senioren-Telefon“, wo manalle Fragen rund um das Älterwerden einholen kann. Oder, was wirjetzt neuerdings – seit einem Jahr – haben: unsere Hotline „FreiePlätze in der Pflege“, wo alle Einrichtungen, die Pflege anbieten(Kurzzeitpflege, vollstationäre Pflege oder ambulante Pflege) mor-gens bis 10.00 Uhr in der Leitstelle per Telefon oder Fax ihre freienKapazitäten melden können, und wir um 11.00 Uhr ein Bandbesprechen mit allem, was an freien Kapazitäten gemeldet wird - dasman dann rund um die Uhr und auch am Wochenende abhörenkann. Also das wären alles Informationen und Broschüren, die wirdann den älteren Menschen bei der Befragung auch überreichen –kurz erläutern, was das ist und was man damit machen kann.Dadurch, glaube ich, kann man auch eine gewisse Angst nehmen:Was passiert denn im Fall x, wenn jetzt ich oder mein Nachbar odermein Ehepartner pflegebedürftig wird? Dass man auf jeden Fallschon mal weiß: Da gibt es eine Institution, die mir helfen kann. Dasist für uns die Idee, diese Information zu geben, auch z.B.Information darüber zu geben, wo und wie man sich ehrenamtlichengagieren kann.

Teilnehmerin:Ich habe aufgenommen, dass Sie nicht ganz zufrieden sind mit derUmsetzung Ihres Konzeptes - und habe nicht ganz verstanden,woran das liegt. Liegt das an den Sozialstationen, die nicht bereitsind, für diese 30 DM-Pauschale da einzusteigen oder liegt es dochan den Älteren, die sagen: „Ich brauche auch dieses Minimalkonzeptnicht.“ Wie wird Ihre Idee an die Älteren herangetragen, erreichen Siepraktisch nur die, die in Ihre Leitstelle kommen, oder arbeiten Siez.B. mit Vermietern zusammen?

Köster:Ich weiß auch nicht, woran es hakt. Es hakt sicherlich einmal daran,dass die Sozialstationen sagen: für 30 DM kann ich keine Fachkraftrausschicken – das ist zu teuer. Sie akzeptieren auch das Argumentnicht, dass es auch subventionierte Öffentlichkeitsarbeit ist.

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Weswegen es auch wenig angenommen wird, ist Folgendes: Wirarbeiten in einer Koordinationsstelle für Altenarbeit. Ich kann, wennbestimmte Anbietergruppen das Konzept in Aachen blockieren, nichtan die Presse gehen und sagen: Das ist unser Konzept, wer möchteda mitmachen? Dann habe ich gleich diesen Anbieterblock gegenmich, das kann ich mir als Koordinationsstelle nicht leisten. Es isteine leichte Gratwanderung. Wie gesagt: Über die Angebote bei deneingestreuten Altenwohnungen bin ich guten Mutes, dass sichzumindest ein Teil der Anbieter aus der Wohlfahrtspflege in diesemFall auch mit diesem System anfreunden könnte; denn das ist genauunser Konzept, was sie dort anwenden. Ich fände es ganz schön,wenn z.B. die privaten Anbieter, die eigentlich geschlossen dahinterstehen, von sich aus an die Öffentlichkeit treten und sagen, welcheErfahrungen sie gemacht haben. Ich kann das nicht. Wie erreichtman die älteren Leute? Einmal ist dieses Konzept hier in unseremLeitfaden, in unserer „Bibel“, beschrieben. Dann kriegen wir beimSenioren-Telefon sehr viele Anfragen zum Betreuten Wohnen, weiles en vogue ist. Dort informieren wir über die Institutionen undHäuser, die speziell für Betreutes Wohnen errichtet worden sind. Wirverschicken aber darüber hinaus auch immer die Liste der Sozial-stationen inkl. Konzept, die an diesem Konzept teilnehmen. Für michist aber verwunderlich, dass bisher so wenige ältere Leute sich dannihrerseits an die Sozialstationen wenden, und sagen: Das möchte ichganz gerne machen. Also das hakt noch, aber wie gesagt: In denletzten 10 Jahren gab es immer Höhen und Tiefen in der Koordi-nation von Altenarbeit. Das ist jetzt eine Teiltiefe und ich hoffe, dassich die demnächst auch überwinden kann.

Joachimsthaler:Vielleicht können wir das morgen noch in den Arbeitsgruppen ver-tiefen. Gerade das ist ja ein Thema, denke ich, was viele interessiert.

Die nächsten Vorträge beschreiben die Situation bei uns in Halle. Ichwerde kurz den Senioren-Kreativ-Verein und die Arbeit der Koordi-nierungsstelle Halle vorstellen. Anschließend wird Frau Engel dieForschungsergebnisse der Befragung in Halle-Trotha vorstellen. HerrPotthoff wird dann im Anschluss die aktuelle Situation in Trothadarstellen: Die Ansätze zur Weiterentwicklung und die Professiona-lisierung der Dienstleistungsstruktur. Wir fassen das dann zusammenund werden im Anschluss daran nach Trotha ins Wohnprojekt fahren.

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Service-Wohnen in Halle-Trotha

Entwicklung des Senioren-Kreativ-Vereinsund Vorstellung der Mitarbeiter/innen der Koordinierungsstelle

Heike Joachimsthaler, Koordinierungsstelle Halle

Der Senioren-Kreativ-Verein wurde 1993 als Kulturverein – haupt-sächlich für ältere Bürger – in Halle gegründet. Zweck des Vereins istdie Förderung der kulturellen, sozio-kulturellen und kreativen Betä-tigung älterer Menschen; ihnen Möglichkeiten für Aktivitäten, Kom-munikation und Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Von Anfang an habenwir die Förderung generationsübergreifender Projekte als ein wesent-liches Vereinsziel formuliert, weil die Arbeit nur für ältere Menschenein Beitrag dazu ist, sie zu isolieren. Der Senioren-Kreativ-Verein istauf Grund dieser Aktivitäten auch anerkannter Träger der freienJugendarbeit.

Im Prozess der Arbeit über mehrere Jahre stieß unser Verein auf dasPhänomen, dass Kulturarbeit nicht losgelöst von Sozialarbeitbetrachtet werden kann. Wir bemühen uns deshalb um eine ganz-heitliche Betrachtungsweise mit dem Ziel einer vernünftigen Selbst-bestimmung. Deshalb haben wir unsere kreativen und kulturellenAngebote mit sozialen Projekten verknüpft.

Seit 1994 betreibt der Verein Begegnungsstätten in Stadtgebietenvon Halle und dabei überwiegend in den von Frau Szabados erwähn-ten großen Neubaugebieten, die in der Infrastruktur doch wesentlichvernachlässigt sind. Das ist einmal auf der Silberhöhe die „Schöpfkel-le“; in Heide-Nord das „Schöpfwerk“ und in Halle-Trotha die Begeg-nungsstätte „Delta“ in Zusammenarbeit mit dem Wohnprojekt dort.1997 haben wir noch die Begegnungsstätte „Drogerie“ in einem ganzkleinen Stadtteil „frohe Zukunft“ eröffnet. Diese Begegnungsstättentragen wesentlich zur Verbesserung des Wohnklimas bei, weil sie indiesen traditionellen Schlaf- und Wohngebieten Kulturangebotemachen, Betätigungsangebote für sinnstiftende Freizeitangebote un-terbreiten und Möglichkeiten geben, sich zu betätigen.

Wir versuchen auch Randgruppen, sowohl Senioren, aber auch Vor-ruheständler, ältere Arbeitslose und Jugendliche, zu integrieren. DerSenioren-Kreativ-Verein hat eine Jugendfreizeiteinrichtung in freierTrägerschaft, die ebenfalls in der Silberhöhe ist.

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In den Begegnungsstätten findet ein reger Kontakt zwischen denGenerationen statt, weil die Räumlichkeiten sowohl von jungen wievon älteren Menschen genutzt werden. Nicht zuletzt bieten dieBegegnungsstätten auch Möglichkeiten für Arbeitsplätze auf demZweiten aber auch auf dem Ersten Arbeitsmarkt.

Seit 1996 haben wir angefangen, in Halle-Trotha das Wohnprojektaufzubauen – worauf ich aber jetzt nicht näher eingehen möchte.1995 und 1997 wurde der Senioren-Kreativ-Verein mit Bundes-preisen ausgezeichnet. Zum einen in dem Wettbewerb „Solidaritätder Generationen“, und ‘97 in dem Wettbewerb „Spiel, Sport undBewegung im Alter“. Der Senioren-Kreativ-Verein ist Träger von 10Kindertagesstätten und zwei Horten. Auch hier wollen wir die gene-rationsüberschreitenden Ansätze ausbauen und vertiefen. Das ganzkurz zum Verein.

Nun noch zur Koordinierungsstelle: Seit August ’98 arbeiten wir indem Bundesmodellprojekt mit. Wir haben unsere Arbeit in drei Teil-bereiche eingeteilt:

• Einmal das Wohnprojekt Trotha, wo Frau Dohndorf die Leiterin ist.Wir wollen versuchen, dieses Modell auf standhafte Füße zu stel-len, Weiterentwicklungen zu suchen (auch in die Richtung, dieHerr Dr. Köster eben dargestellt hat), einen Konsens zu findenzwischen den Bedürfnissen nach Dienstleistung und dem kleinenGeldbeutel, der doch bestimmte Zusatzleistungen nicht bezahlbarmacht. Es ist ein Modell, wo ältere Leute, die einen Wohnberech-tigungsschein und geringe finanzielle Möglichkeiten haben, aufGrund der Lage dort wohnen. Wir möchten erreichen, dass auchdiese Menschen ein Service-Wohnen haben.

• Der zweite Teil ist die Beratungsstelle für Wohnraumanpassung,die leitet Frau Winter. Die Ziele der Wohnraumanpassung wurdenja ausgiebig in Kassel diskutiert. Der Schwerpunkt hier liegt einmalin der individuellen Beratung der Mieter bzw. Eigentümer überMöglichkeiten der Wohnraumanpassung, über Möglichkeiten vonHilfsmitteln, wie man sie erreicht, aber auch, wie man sie finan-zieren kann und welche Fördermittel es dafür gibt. Wir bemühenuns, für Rat suchende Bürger Kontakte zur Pflegekasse, Kranken-kasse und auch zu den Vermietern herzustellen, um Wohnungs-anpassungsmaßnahmen zu ermöglichen. Wesentlich für uns istes, dass wir in den drei Jahren ein Konzept entwickeln, wie dieWohnberatungsstelle darüber hinaus kostenmäßig arbeiten kann

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und wie auch Wohnungsgesellschaften und Privatvermieter einenBeitrag dazu leisten können, so eine Finanzierbarkeit durchzu-führen.

• Der dritte Teilbereich ist die Entwicklung neuer Wohnmodelle inHalle. Wir wollen Anstoß geben, Mehrgenerations-Wohnprojekteoder Senioren-Wohngemeinschaften zu initiieren, aber auch neueWohnanlagen mit Service für ältere Leute aufzubauen. Geplant istz.B., im Hafen ein altes Speichergebäude auszubauen. Dazuhaben wir einen Arbeitskreis „Wohnfantasien“ gegründet, in demauch ältere Menschen und Wohnungsgesellschaften mitarbeiten –wo wir zusammen neue Wege suchen wollen.

Frau Engel wird jetzt die Ergebnisse einer Befragung in Trotha vor-stellen.

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Bedarfsanalyse zum Service-Wohnen in Halle:Empirische Ergebnisse

Dr. Heike Engel, ISG Sozialforschung undGesellschaftspolitik GmbH

Die Koordinierungsstelle in Halle bietet in Trotha neben Beratungenzu Wohnraumanpassungen „Service-Wohnen“ an. Hier leben in dreiHäusern insgesamt 368 Personen in 350 Ein- und Zwei-Zimmer-Wohnungen, wobei 155 (Stand September 1999) Bewohner/inneneinen Servicevertrag abgeschlossen haben und derzeit eine Pau-schale von 60,- DM für den Grundservice bezahlen. Darüber hinauswerden Zusatzleistungen angeboten, die ermäßigt mit 10,- DM proStunde abgerechnet werden, sofern ein Service-Vertrag abgeschlos-sen wurde.

Diese Service-Leistungen werden derzeit zwar mit hohem Personal-einsatz (des 2. Arbeitsmarktes), aber wirtschaftlich nicht tragfähigerbracht. Eine Aufgabe der Koordinierungsstelle ist es deshalb, denGrundservice und die Leistungsstruktur für die (gesondert berech-neten) Zusatzleistungen auf eine solide Finanzierungsbasis zu stel-len.

Eine erfolgreiche Änderung der Angebots- und Preisstruktur bezogenauf den Grundservice und die Zusatzleistungen setzt die Klärungfolgender Fragen voraus:

• Welche Leistungen werden derzeit von den MitarbeiterInnen desService-Wohnens erbracht?

• Wie groß ist das potentielle Klientel, das an derartigen Zusatz-leistungen interessiert ist?

• In welchem Umfang werden die Zusatzleistungen voraussichtlichnachgefragt werden?

• In welcher Relation steht die Inanspruchnahme dieser Zusatz-leistungen zu deren Preis? Wie müssen die Preise kalkuliert sein,um einerseits rentabel und andererseits für die Klienten akzep-tabel zu sein?

Zur Klärung dieser Fragen soll die derzeitige Betreuungssituation inTrotha analysiert werden. Es wurden hierzu zwei Instrumentarienentworfen, wobei das erste Instrumentarium, die Leistungsdokumen-tation, der Analyse der derzeitigen Angebotsstruktur dient. Zweitenswurde eine Bewohnerbefragung zur Analyse der Nachfrageseite

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durchgeführt, wobei hier Wünsche und Zufriedenheit der Bewohnerund Bewohnerinnen sowie die Zahlungsbereitschaft für die zu erbrin-genden Dienstleistungen abgefragt wurden.

1. Die Leistungsdokumentation

Zur Dokumentation der Leistungserbringung wurde ein einseitigerErhebungsbogen entwickelt,35 der in drei Teile gegliedert ist. Zu-nächst werden die betreuten Bewohner/innen anhand von Alter,Demenz, Pflegestufe sowie Geschlecht beschrieben, und anschlie-ßend werden die für diese Bewohner/innen individuell erbrachtenLeistungen jeweils in Minutenwerten dokumentiert. Diese individuel-len Leistungen werden nach

• personenbezogenen Leistungen (getrennt in: leichte Hilfen, Kör-perpflege, medizinische Hilfen, Beratung und Hilfe bei Anträgensowie Kommunikation),

• haushaltsbezogenen Leistungen (getrennt in: kleinere Handgriffe,Einzelhilfe bei den Mahlzeiten, Wäschedienst sowie Wohnungs-reinigung) und

• außerhäuslichen Leistungen (getrennt in: kleine Erledigungen,großer Einkauf für eine Person sowie Begleitung einer Person)

aufgesplittet. Neben diesen individuellen Leistungen werden auchübergreifende Leistungen erbracht, die im dritten Teil des Erhe-bungsbogens abgefragt wurden. Hierunter sind sowohl informelle alsauch formelle Kommunikation mit KollegInnen, die Tätigkeiten in derBegegnungsstätte, die Erledigungen für mehrere Kunden gleichzei-tig, sonstige Tätigkeiten sowie Fahrt- und Gehwege subsumiert.

Die Erhebung wurde in Trotha über den Zeitraum von einer Wochedurchgeführt: In diesen sieben Tagen wurden insgesamt 51 Doku-mentationsbögen erstellt. Von den zwölf MitarbeiterInnen, die indiesem Zeitraum arbeiteten, waren jeden Tag durchschnittlich etwa 7MitarbeiterInnen im Einsatz, und es wurden insgesamt in 670 Ein-sätzen 284,5 Stunden erbracht.

35 Der Erhebungsbogen ist im Anhang abgedruckt.

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Abbildung 1: Erbrachte Stundenzahl und Einsätze

StundenIndividuelle Leistungen

45,7%

Übergreifende Leistungen

54,3%

EinsätzeIndividuelle Leistungen

54,6%

Übergreifende Leistungen

45,4%

ISG 1999

Diese Leistungen wurden in individuelle Leistungen und übergrei-fende Leistungen aufgeteilt. Es ist in Abbildung 1 zu sehen, dass dieüberwiegenden Zeitanteile für übergreifende Leistungen aufgebrachtwerden, während individuelle Leistungen häufiger erbracht werden.Dies bedeutet, dass die übergreifenden Leistungen zeitintensiver proEinsatz sind.

Eine nähere Betrachtung der übergreifenden Leistungen zeigt, dassfür die verschiedenen Tätigkeiten ungefähr die gleiche Anzahl anEinsätzen erbracht wurde (50 bis 51 Einsätze innerhalb der Wocheinsgesamt). Die Analyse der jeweils aufgewändeten Zeit ergabjedoch, dass die Tätigkeiten in der Begegnungsstätte mit Abstand diemeiste Zeit in Anspruch nehmen, und zwar wurden insgesamt 54,7Stunden an Zeit für die Begegnungsstätte erbracht. Die Kommuni-kation (formell oder informell) und die Fahrt- und Gehwege nehmen17 bis 18 Stunden in Anspruch. Für die Erledigungen für mehrereKunden wird mit nur 10,9 Stunden verhältnismäßig wenig Zeitaufgewändet. Sonstige Leistungen sind ein relativ großer Posten,was deshalb nicht überraschend ist, weil im Tagesverlauf recht häu-fig Leistungen nebenbei erbracht werden, die nicht genau zugeordnetwerden können und dann den sonstigen Leistungen zugeordnet wer-den.

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Abbildung 2: Übergreifende Leistungen

51

51

50

51

51

50

54,7

18,7

18,6

17,8

10,9

34

Tätigkeiten in der Begegnungstätte

Formelle Kommunikation

Inform elle Kommunikation

Fahrt-Gehwege

Erledigungen f. mehrere Kunden

Sonstige Tätigkeiten

0 10 20 30 40 50 60 70

Einsätze

Stunden

ISG 1999

Die Darstellung der individuellen Leistungen erfolgt anhand derhaushaltsbezogenen, der personenbezogenen und der außerhäusli-chen Leistungen; aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde daraufverzichtet, die individuellen Leistungen nach allen 12 Leistungsartenaufzuteilen. Anhand von Abbildung 3 ist zu erkennen, dass haus-haltsbezogene Leistungen am häufigsten erbracht werden und hier-für die meiste Zeit benötigt wird. So werden hier 77,5 Stunden in 195Einsätzen erbracht, und es bezogen insgesamt 72 Bewohner oderBewohnerinnen diese Leistungen. Bei etwa gleicher Anzahl derBewohner/innen, die personenbezogene Leistungen erhalten haben,wurden hier deutlich weniger Stunden (34) in weniger Einsätzen(140) erbracht. Außerhäusliche Leistungen nahmen 26 Bewohnerund Bewohnerinnen in Anspruch, und es wurden 17 Stunden anLeistungen erbracht.

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Abbildung 3: Individuelle Leistungen

72

71

26

195

140

35

77,5

34,5

17,8

Haushaltsbezogene Leistungen

Personenbezogene Leistungen

Außerhäusliche Leistungen

0 50 100 150 200 250

BewohnerInnen

Einsätze

Stunden

ISG 1999

Auf der Basis dieser Leistungsdokumentation können erste Rück-schlüsse auf die notwendige Qualifikation der MitarbeiterInnen gezo-gen werden: So können beispielsweise außerhäusliche Leistungensowie Teile der haushaltsbezogenen Leistungen oder Erledigungenfür mehrere Personen von Zivildienstleistenden oder entsprechendgering qualifizierten MitarbeiterInnen erbracht werden, während per-sonenbezogene Leistungen von gelernten oder geschulten Mitarbei-terInnen erbracht werden sollten. Dies bedeutet, dass etwa 57 Stun-den pro Woche von gut qualifizierten MitarbeiterInnen erbracht wer-den müssen, wovon 35 Stunden pro Woche auf personenbezogeneLeistungen und ca. 22 Stunden pro Woche auf Einzelhilfe bei denMahlzeiten entfallen.

2. Die Bewohnerbefragung

Die Befragung der Bewohner/innen in Trotha erfolgte anhand einesBefragungsbogens, der neben Fragen zur Person, zum Gesundheits-zustand und zu sozialen Kontakten einen großen Block zum Service-Wohnen in Trotha enthält. Bevor die Auswertung des Service-Woh-nens dargelegt wird, erscheint es sinnvoll, vorab die Bewoh-nerstruktur in Trotha vorzustellen. In den drei Hochhäusern mitService-Wohnen in Trotha existieren ungefähr 350 Haushalte. DieFragebögen wurden nur an 305 Haushalte verteilt, weil etwa 45Haushalte, in denen Bewohner/innen mit schwerer Demenz leben,nicht in die Befragung einbezogen wurden. Wir haben von diesen

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305 Haushalten, an die die Bögen verteilt wurden, 90 zurückerhalten– das entspricht einer Rücklaufquote von 30%. Da bei älterenBefragten mit einer Rücklaufquote von 20% bis 30% gerechnet wer-den kann, ist dieses Ergebnis zufriedenstellend.

Tabelle 1: Alter und Geschlecht

unter 70Jahren

70-79 Jahre 80 Jahre undälter

Zusammen

Anzahl Anteil Anzahl Anteil Anzahl Anteil Anzahl Anteil

Gesamt 15 18,3% 34 41,5% 33 40,2% 82 100,0%

davon:

Frauen 9 11,0% 31 37,8% 27 32,9% 67 81,7%

Männer 6 7,3% 3 3,7% 6 7,3% 15 18,0%

Die Altersstruktur der Befragungsteilnehmer/innen zeigt, dass über80% der Bewohner/innen älter als 70 Jahre alt sind und ein sehrgroßer Prozentsatz (40,2%) 80 Jahre und älter ist. Eine Unterteilungnach dem Geschlecht zeigt des weiteren, dass die Männer vor allemin den höheren Alterskohorten unterrepräsentiert sind.

Die Frage nach dem Gesundheitszustand beantworteten immerhin18 der Befragten (21,2%) positiv (es geht ihnen gut), 55 der Befrag-ten (64%) waren indifferent und antworteten: „es geht so“ und unge-fähr 14% - also 12 Befragten - geht es schlecht oder sehr schlecht.Bezogen auf die Bewohnerstruktur wird abschließend die Einkom-menstruktur der Befragten vorgestellt, weil sich hieraus auch Rück-schlüsse auf die jeweiligen Zahlungsbereitschaften ziehen lassen.Fragen nach dem Einkommen sind immer etwas heikel und werdenungern beantwortet, was sich auch hier in der Anzahl der Antwortenwiderspiegelt (N=51).

Tabelle 2: Einkommen der Befragten

Anzahl Anteil

800,- DM bis 999,- DM 4 7,8%

1.000,- DM bis 1.999,- DM 31 60,8%

2.000,- DM bis 2.999,- DM 13 25,5%

3.000,- DM o. mehr 3 5,9%

gesamt 51 100,0%

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Drei Fünftel der Befragten, die diese Frage beantwortet haben,haben ein Monatseinkommen zwischen 1.000,- DM und 2.000,- DMund ein Viertel verfügt über ein Monatseinkommen von über 2.000,-DM und unter 3.000,- DM.

Die Befragung der Bewohner/innen wurde mit dem Ziel durchgeführt,die Angebotsstruktur an Grund- und Zusatzleistungen optimieren undPreisspielräume für die angebotenen Zusatzleistungen ermitteln zukönnen. Eine zentrale Rolle nehmen deshalb Fragen zum „Service-Wohnen“ ein: Hier werden sowohl die derzeitige Nutzung des Ange-bots an Grund- und Zusatzleistungen als auch (bezogen auf dieZusatzleistungen) die Präferenzen und die preislichen Spielräumeermittelt. Denn: Während die Servicepauschale in Höhe von 60,- DMfür allein Stehende und 110,- DM für Ehepaare pro Monat für dieGrundleistungen weiterhin bestehen bleibt, sollen die Preise für dieZusatzleistungen von derzeit pauschal 10,- DM pro Stunde in Zukunftje nach Leistung differenziert werden.

Ein erster Überblick über den Grundservice zeigt, dass die Begeg-nungsstätte und die Mieterzeitung von den Befragungsteilneh-merInnen mit 34 bzw. 33 Nennungen am häufigsten nachgefragt wer-den, also zentrale Leistungen darstellen, für die entsprechend Per-sonal bereitgestellt werden muss. Die Vermittlung von Dienstleis-tungen sowie von medizinischen Hilfen und die Preisermäßigung/Bevorzugung einer Zusatzleistung stellen ebenfalls Leistungen dar,die recht häufig nachgefragt werden, gefolgt von dem dritten Block(mobiles Notrufsystem, 24-Stunden-Bereitschaft und Beratung in per-sönlichen Angelegenheiten mit 11 bzw. 10 Nennungen). Auf deranderen Seite wird weniger Personal für Kontakte zu Angehörigensowie für Hilfe und Beratung beim Einzug/ Umzugmanagementbenötigt, weil hier die Nachfrage geringer ausfällt.

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Abbildung 4: Nachfrage nach den Grundleistungen

34

33

19

17

17

11

10

10

4

2

Offene Begegnungsstätte

Bereitstellung einer Mieterzeitung

Organisation und Vermittlung vonDienstleistungen

Vermittlung medizinischer Hilfen

Preisermäßigung/bevorzugte Nutzungder Zusatzleist

Mobiles Notrufsystem

24 Stunden Bereitschaft

Beratung in pers. Angelegenheiten

Kontakte zu Angehörigen

Hilfe und Beratung beim Einzug/Umzugsmanagement

0 5 10 15 20 25 30 35 40

ISG 1999

Des weiteren wurde festgestellt, dass etwa 85% der 85 Befragungs-teilnehmer/innen, die diese Frage beantwortet haben, sehr zufriedenoder zufrieden mit dem angebotenen Grundservice sind. Dieses Er-gebnis ist sehr erfreulich, weil es zeigt, dass die Arbeit des Senioren-Kreativ-Vereins bei den Bewohner/innen, die die Leistungen in An-spruch nehmen, auf positive Resonanz stößt. Allerdings kann es zuAkzeptanzproblemen kommen, wenn dieses Leistungsniveau aufGrund der Kürzungen im zweiten Arbeitsmarkt nicht aufrechterhaltenwerden kann.

Die Analyse der Zusatzleistungen erfolgte, indem drei aufeinanderfolgende Fragen gestellt wurden:

1. Wie wichtig ist Ihnen das folgende Angebot an Zusatzleistungen?(ohne Nennung der Preise)

2. Wie würden Sie die Preise für die folgenden Leistungen beur-teilen?

3. Welche der Angebote würden Sie (zu diesen Preisen) gern inAnspruch nehmen?

Die folgende Tabelle zeigt, dass die Beurteilung der Preise einendeutlichen Einfluss auf die potentielle Nachfrage nach den Leistun-gen hat. So werden beispielsweise Begleitleistungen von mehr als

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vier Fünfteln der BefragungsteilnehmerInnen als wichtig eingestuft,der Preis für diese Leistung aber überwiegend als zu teuer empfun-den, sodass die potentielle Nachfrage gegenüber der eigentlichenPräferenz auf 77% absinkt. Ein genau gegenteiliges Beispiel findetsich für den Mittagstisch in der Begegnungsstätte. Hier steigt diepotentielle Nachfrage – wie angenommen wird, auch durch die alsangemessen empfundenen Preise – von etwa 84% auf über 95% derBefragungsteilnehmer/innen.

Tabelle 3: Analyse der Zusatzleistungen

Präferenzen(N = 56)

Preise (N = 54) Nachfrage (N = 64)

wichtignicht

wichtigange-

messenteuer/

zu teuer eher ja eher nein

HauswirtschaftlicheHilfe

94,3% 5,7% 37,0% 63,0% 84,6% 15,4%

Reparaturservice 91,2% 8,8% 53,8% 46,2% 94,9% 5,1%

Begleitleistungen/kleine Erledigungen

85,3% 14,7% 22,5% 77,5% 77,1% 22,9%

Mittagstisch in derBegegnungsstätte

84,4% 15,6% 73,8% 26,2% 95,3% 4,7%

Waschsalon 84,4% 15,6% 70,0% 30,0% 83,6% 16,4%

Hilfen bei der Kör-perpflege

70,4% 29,6% 30,8% 69,2% 79,4% 20,6%

Anmietungen Gäste-zimmer

67,6% 32,4% 36,6% 63,4% 85,0% 15,0%

Anmietung d. Be-gegnungsstätte bis 3Std.

66,7% 33,3%

80,6% 19,4% 81,3% 18,7%

Anm. d. Begeg-nungsstätte jedeweitere Std.

71,9% 28,1% 74,1% 25,9%

Eine weitere sehr wichtige Frage für die Weiterentwicklung derAngebotsstruktur in Trotha stellt sich in Bezug auf das Angebot einesPflegedienstes im eigenen Haus. Aus diesem Grund wurden dieBefragungsteilnehmerInnen nach ihren Wünschen bezüglich einesPflegedienstes befragt. 13 BewohnerInnen gaben an, einen Pflege-dienst im Haus oder in der Nähe zu wünschen, wobei 3 dieserBewohnerInnen bereits heute pflegebedürftig sind.

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Dieses Ergebnis lässt folgende Aussagen zu:

1. Die Einrichtung eines eigenen Pflegedienstes oder eine Koope-ration mit einem Pflegedienst erscheint zur Zeit dann sinnvoll,wenn Leistungen dieses Pflegedienstes auch in benachbartenSiedlungen nachgefragt würden. Dieses Nachfragepotential müss-te analysiert werden.

2. Immerhin 10 Bewohner/innen, die heute noch nicht pflegebedürftigsind, wünschen sich einen Pflegedienst im Haus oder in der Nähe;dies bedeutet, dass die Einrichtung eines Pflegedienstes in einemder drei Punkthochhäuser in Trotha eine von den Bewohner/innenwahrgenommene Qualitätsverbesserung darstellen kann.

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Ansätze zur Weiterentwicklung des Service-Wohnens in Halle

Konrad Potthoff, Senioren-Kreativ-Verein Halle

Mein Name ist Konrad Potthoff, ich bin geschäftsführender Vorsitzen-der des Senioren-Kreativ-Vereins. Ich bin jetzt in der etwas schwie-rigen Situation, dass ich in einer halben Stunde drei Tagesordnungs-punkte abarbeiten muss. Ich werde es versuchen so zu packen,indem ich es mit These, Antithese und Synthese versuche (heute hatja Hegel schon eine gewisse Rolle gespielt, indem vom Allgemeinenzum Besonderen gegangen worden ist). Ich möchte zunächst denursprünglichen Ausgangspunkt schildern, wie wir zum Wohnprojektgekommen sind; zum Zweiten aufzählen, was wir als gescheitertansehen, und wo wir denken, dass – wenn wir darauf nicht reagierenwürden – dieses Wohnprojekt früher oder später als gescheitertangesehen werden müsste; und dann versuchen, die Synthese zuschildern, nämlich wie wir auf diese Probleme antworten, wie wir ver-suchen, das in den Griff zu bekommen und das Projekt umzuge-stalten.

Vielleicht noch eine kurze Ergänzung zum Senioren-Kreativ-Verein:Wir sind kein reiner Praktikerverein, sondern wir haben 500 Mitglie-der, davon erscheinen bei Versammlungen 400. Wir organisieren imMonat ca. 500 Veranstaltungen, die 4.000 bis 5.000 Leute erreichen.Wir haben ca. 300 Mitarbeiter, viele auch aus dem zweiten Arbeits-markt. Wir haben 1.000 Kinder in den Kindergärten, also 150 derMitarbeiterinnen sind allein schon Kindergärtnerinnen.

Nun zum Wohnprojekt. Wie schon gesagt: Als Kulturverein gegrün-det, wurde Wohnen immer mehr zum Thema in unserem Verein.Unter den Mitgliedern wurde verstärkt auch die Frage gestellt, ob wirin dieser Richtung nicht etwas machen möchten. Trotha war eigent-lich ganz anders angedacht, als es sich jetzt darstellt. Wir wolltenursprünglich ein Projekt schaffen, in dem sozusagen in einem vor-handenen Wohnumfeld (in einer ganz normalen Wohnsituation) eineService-Station eingerichtet wird, die – wenn man so will – flankie-rende Dienstleistungen, die das Wohnen im Alter erleichtern, organi-siert. Das hatte zwei Hintergründe: Einmal die Verbesserung desWohnumfeldes älterer Menschen und zum Zweiten, dass wir ver-suchen, Arbeitsplätze zu schaffen, denn man muss auch die Situa-tion im Osten im Blick haben - wir haben den Verein ja auch alsReflex auf die Wende und die auftretende Arbeitslosigkeit entstehenlassen. Wir vertreten ziemlich strikt die Philosophie, dass wir sagen:

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wir wollen Arbeitsplätze in einem zweiten Arbeitsmarkt schaffen, dienicht davon leben, dass sie Sandhaufen von einer Seite auf dieandere schütten, sondern, dass sie, z.B. im sozialen Bereich, sinn-volle Aufgaben bekommen. Das stellte sich damals, 1995, als wir unsdieses Wohnprojekt haben einfallen lassen, auch noch ganz andersdar. Da gab es z.B. im Chemiebereich allein 40.000 - 50.000 Entlas-sungen binnen kürzester Zeit, und über einen Fonds für ältereBeschäftigte sollte der Übergang in den Vorruhestand erleichtertwerden. Die Initiatoren des Vereins waren der Meinung – damalsnoch –, dass ihre Arbeitskräfte, die von ihnen finanziert wurden undnur z.T. vom Arbeitsamt finanziert wurden, direkt im Dienstleistungs-gewerbe tätig werden können. Da hat uns natürlich irgendwannfrüher oder später das Finanzamt mal zurückgepfiffen, und uns wur-de klar, dass das im Grunde genommen nicht geht – aber so habenwir angefangen, speziell mit solchen Mitarbeitern. Und dann kam einseltsamer Effekt - ich versuche jetzt einfach, das Projekt für Sienachvollziehbar zu machen. Es gibt ja eine seltsame Sogwirkung beisolchen Projekten. Es gibt z.B. auch viele, die gern bei einem relativerfolgreichen Projektansatz mitgehen – sagen wir es mal so vorsich-tig ausgedrückt. Das war in diesem Falle das Land. Das Land warbereit, der Halleschen Wohnungsgesellschaft (HWG) speziell fürdiese drei Häuser Fördermittel zur Verfügung zu stellen, damit sietotal saniert werden können. Das war von uns in dem Sinne nichterwartet worden, denn wie hatten wir die Häuser vorgefunden? Wirhatten Häuser gesucht, in denen überdurchschnittlich viele ältereMenschen leben. Und wir kannten diese Häuser in Trotha als solcheHäuser (ich sage das jetzt mal für die, die nicht hier aus dieser Eckekommen), die zu DDR-Zeiten „Wohnklo mit Kochnische“ genanntwurden. Aber man muss Folgendes dazu sagen: Als diese Anfangder 60er Jahre gebaut wurden, waren das ganz begehrte Einraum-wohnungen. Es bestand damals ein hoher Mangel an Einraum-wohnungen. Aber 1990 waren die Häuser in einem Zustand, in demsie schlicht und einfach „verslumten“. Die Hälfte der Bewohnerschaftwar noch der alte Stamm, aber mittlerweile hat es auch vieleUmsetzungen gegeben, z.B. von Alkoholkranken. Von den Wohnun-gen waren anfangs ca. 50 von Alkoholkranken belegt, jetzt haben wirnoch immer einen ziemlich hohen Prozentsatz von ihnen; und das isteine sehr problematische Bewohnergruppe.

Wir konnten nun davon ausgehen, dass unser Projekt in der Form,wie wir es angedacht hatten, erst einmal gescheitert war, weil wirnicht in der angedachten Art und Weise Dienstleistungen anbietenkonnten, sondern es war ein ganz anderes Phänomen, auf das erst

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einmal reagiert werden musste. Diese drei Häuser wurden imbewohnten Zustand total saniert. Man stelle sich das vor: 27 qm, damüssen die Möbel früh von der einen Ecke in die andere gerücktwerden und abgedeckt werden. Am Abend wieder an die alte Stelle,damit man überhaupt darin wohnen kann. Nun waren wir in derSituation, dass wir gesagt haben: O.K., wir engagieren uns dort. Dasist auch eine Chance, wenn wir jetzt, in dieser schwierigen Zeit, fürdie Mieter da sind, dann haben wir danach auch einen besserenStand. Denn man darf dieses Projekt nicht verwechseln mit irgend-einem Neubau, wo unter diesen Bedingungen Menschen einziehen,sondern die ursprünglichen Mieter wohnten weiter dort, und wirkamen dann als „Projekt“ eigentlich nur hinzu. Das bedeutet schoneine bestimmte Qualität, eine bestimmte Arbeit und eine bestimmteLeistung, wenn man es tatsächlich schafft, binnen zwei Jahren 150Mieter – also fast die Hälfte – davon zu überzeugen, dass sie einesolche Service-Vereinbarung abschließen und sich auf das Projekteinlassen. Denn es wohnen ja auch noch viele jüngere Leute in denWohnhäusern, und es geht nicht darum, diese herauszudrängen - wirsind ja auch kein Freund von Gettoisierung des Wohnens von älterenLeuten. Es ist uns dann das Kunststück gelungen, eine Maßnahmemit 30 ABM-Mitarbeitern zu organisieren, die dann im Schichtsystemden Mietern geholfen haben, diese Sanierung zu überstehen. Daswar hoch dramatisch. In dieser Zeit entstand die BegegnungsstätteDelta. Diese war auch ein Reflex auf die ganze Geschichte, da wir indieser Begnungsstätte Betten aufgebaut hatten und man am Mittags-tisch teilnehmen konnte. Wir haben dort Kulturarbeit gemacht, damitdie Bewohner dieser Häuser die Möglichkeit hatten, sich tagsüberetwas von diesem Baugeschehen zu entfernen.

Nun entstand ein neuer verrückter Effekt, an dem wir heute nochkranken und mit dem wir noch Riesenprobleme haben. Als dieseRekonstruktionsmaßnahmen beendet waren, hatten wir nach wie vordiese 30 Mitarbeiter und zusätzlich noch unsere anderen Mitarbeiter,die schon vorher in das Projekt einbezogen waren. So, was passiertenun? Wir hatten ja damals auch noch nicht allzu viele Service-Verein-barungen. Die Folge war, dass wir (ich übertreibe etwas) einen bes-seren „Betreuungsschlüssel“ hatten als ein Intensivbett in einemKrankenhaus. Und diese Geschichte wirkt noch fort, weil die Anfor-derung an das Wohnen in diesem Hause teilweise wirklich von unan-gemessenen Erwartungen begleitet wird (deswegen bekomme ichbei der hohen Zufriedenheit, die in der Befragung ermittelt wurde,auch etwas Bauchschmerzen). Wir stehen nun vor der undankbarenAufgabe, durch ein „Tal der Tränen“ zu marschieren, und dieses

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ganze Projekt wieder auf ein Maß zurück zu bringen, in dem esmachbar ist; und vor allen Dingen, wo es sich „rechnet“. Ich weißnicht, ob Sie wissen, was im Augenblick hier im Osten los ist? DieseRiesenmogelpackung, die hier entstanden ist, kracht zusammen. Eshat faktisch kein Verein in dem letzten halben Jahr eine ABM-Maß-nahme verlängert oder eine neue Maßnahme genehmigt bekommen.Keiner weiß so richtig, wie der zweite Arbeitsmarkt hier im Ostenüberhaupt weitergeht. Die Tendenz geht mehr in die Richtung wie imWesten.

Das Zweite ist: In dem laufenden Haushaltsjahr sind von der Kom-mune 20% Haushaltskürzungen für freie Träger angemeldet worden.(Im Sommer waren wir schon mal so depressiv, dass wir uns besorgtgefragt haben, ob wir nicht evtl. hier bei dieser Gelegenheit die Grab-rede auf unseren Verein halten müssen.) Es geht uns also im Augen-blick tagtäglich darum, dass Vereine die Vereinslandschaft einiger-maßen überstehen, und ich sage deswegen „Mogelpackung“, weilnach der Wende im Grunde genommen eine wunderbare Infra-struktur an sozialen und kulturellen Möglichkeiten, Vereinen usw. ent-standen ist, aber diese Infrastruktur baut im Wesentlichen auf demzweiten Arbeitsmarkt auf. Wenn das jetzt alles weg bricht, dann gehtmehr verloren als nur diese (relativ sinnvollen) Arbeitsstellen deszweiten Arbeitsmarkts; dann brechen eben tatsächlich auch vieleInitiativen, soziale Projekte usw. weg.

Uns war das klar. Seit einem Jahr versuchen wir im Grunde genom-men, dieses Wohnprojekt umzubauen, indem wir versuchen, vomzweiten Arbeitsmarkt unabhängig zu werden. Das ist eine riesen-große Aufgabe und ist im Grunde genommen ein Feilschen um jedenPosten, ein Feilschen um jede Tätigkeit, die wir eingeführt haben –wie können wir die halten? Unser ursprünglicher Anspruch war der,dass wir (das ist schon ein hoher Anspruch) für drei Hochhäuser eine24-Stunden-Präsenz gewährleisten wollten. Das war deswegen not-wendig (und das ist heute auch noch so), weil es dort sehr vielRandale gibt, wenn keiner aufpasst. Ein wichtiges Ergebnis dieserersten Phase war letztlich, dass es uns gelungen ist, einen in meinenAugen relativ vorbildlichen und interessanten Vertrag zwischeneinem gemeinnützigen Verein und einer Wohnungsgesellschaft aus-zuhandeln, dass sich eine Wohnungsgesellschaft und ein Vereingemeinsam darauf eingelassen haben, ein solches Projekt mitein-ander zu wagen. Das war sehr wichtig, jeder hat etwas davon. Wirhaben davon, dass wir versuchen können, ein soziales Projekt auf-zubauen. Die Wohnungsgesellschaft hat im Zweifelsfalle davon, dass

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sie tatsächlich einen hohen Vermietungsstandard hat, eine fast100%-ige Auslastung, also wenig Leerstand. Zum Zweiten hat siedurch unsere ständige Präsenz den Vorteil, dass ein Werterhalt dortin dieser Anlage stattfindet, und dass das, was dort investiert ist,tatsächlich noch ein Weilchen bestehen bleibt.

Das war ein Ergebnis; und das zweite war schlicht und einfach, dasses damals noch keine solchen Workshops wie den heutigen hier gab- wir waren damals, als wir angefangen haben, relativ einsam mitdem Wissen und der Erkenntnis dessen, was eigentlich ältere Bürgeran Dienstleistung wünschen und möchten. Wir konnten es relativgroßzügig angehen, das herauszubekommen und ich denke, wirhaben eine ganze Menge herausbekommen. Das wird uns auch hel-fen, z.B. in Zukunft den Preiskatalog der notwendigen Dienstleis-tungen etwas differenzierter zu gestalten, diese magischen 20 DM zudurchbrechen, anders heranzugehen und anders darüber nachzu-denken. Dass man z.B. nicht mehr sagt: „für 20 DM gibt es einepauschale Haushaltshilfe“, sondern dass man auch Fenster putzenanbietet, und dann weiß der, der Fenster putzt: Es darf nur 10Minuten dauern, sonst ist es nicht bezahlt. Dann kann man dasjedenfalls nicht für 5 DM machen. In dieser Richtung müssen wirmehr arbeiten. Die Antithese ist eigentlich die: Wir sind zu derErkenntnis gekommen, so wie es jetzt läuft, geht es nicht weiter. Einsolches Wohnprojekt in so starkem Maße von dem Zweiten Arbeits-markt abhängig zu machen, führt früher oder später ins Nichts, weilkein Verlass darauf ist. Deswegen besteht schon seit einem Jahrunsere Überlegung, wie wir das ganze umgestalten.

Wie gestalten wir es nun um? Unser ganzes Nachdenken ist zwangs-läufig zielorientiert in einer Richtung. In diesen Häusern wohnenMenschen mit dem so genannten „WBS“ (Wohnberechtigungs-schein). Einen Wohnberechtigungsschein bekommt derjenige, derweniger als 23.000 DM im Jahr zur Verfügung hat. D.h. dass es nureine bestimmte Summe Geld gibt, die z.B. für ein solches Service-Wohnen von der Grundpauschale bis hin zur Dienstleistung ausge-geben werden kann. Wir wollen aber genau für diese Gruppe auchein Projekt machen, denn – zumindest hier im Osten – werden balddie Renten in katastrophale Tiefen absacken. Das hängt schlicht undeinfach damit zusammen, dass wir z.B. noch einen hohen Anteil vonälteren Frauen hatten, die zu DDR-Zeiten voll berufstätig waren.Dieser Anteil von Frauen wird immer weniger werden, weil nämlichdie damals jüngeren Frauen nun ins Rentenalter kommen, die nachder Wende arbeitslos waren. Also geht die ganze Geschichte mit der

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Rente nochmals herunter. Gleichzeitig werden es mehr Menschen indem Alter sein. Wir werden also immer größere Gruppen haben,durch die auf die Gesellschaft ein Druck zukommt, dass irgendetwasfür sie getan werden muss. Deswegen halten wir an diesem Modellfest. Denn es ist natürlich ganz einfach alles damit zu beantworten,dass man nur noch Projekte macht, in denen ein größeres Entgeltentgegen genommen wird, womit man z.B. das Personal durchfinan-zieren kann. Unser Ehrgeiz ist der, mit dem spitzen Bleistift ganzdifferenziert zu rechnen, bei möglichst optimalen Service-Leistungen;das wirkt sich dann auf die Grundpauschale aus.

Wir müssen auch das Notrufsystem ändern. Wir haben im Augen-blick Notrufgeräte, die im Notfall am besten funktionieren, wenn mansie durchs Fenster wirft und es kracht dann unten. (Es sind Hand-sprechgeräte, die langsam ein bisschen veraltet sind.) Wir kommenwahrscheinlich auch im Zusammenhang mit dem Ändern des Notruf-systems zwangsläufig in einen Bereich, wo wir irgendwann mal 100DM berechnen müssen. Die Pauschale von 60 DM wird wahrschein-lich unterm Strich nicht zu halten sein. Für diese 100 DM wird esdann allerdings – wie schon gesagt – eine 24-Stunden-Präsenzgeben. Es wird tagsüber einen Ansprechpartner geben, der Service-Leistungen vermittelt, der berät etc. Wie viele das unterm Strich nut-zen werden, kann man im Augenblick nicht beantworten, weil wir janoch diesen Spielraum nach oben haben. Wir haben ja erst 150Verträge, und rein theoretisch schließt jeder, der nun neu einzieht,einen Vertrag mit uns ab. Dadurch entsteht längerfristig die Bedarfs-grundlage, auf der wir ein Grundleistungspaket zusammen stellenund kalkulieren können; und dann gibt es einen Service vor Ort, alsoeine Service-Gruppe, die nur für diese Häuser tätig ist, und wir kön-nen natürlich nur so viele einstellen, wie tatsächlich Service ange-fordert wird.

Ich versuche jetzt einmal zu erklären, wie dieses Modell sozusagenin Zukunft betrieben werden soll: Wir begreifen dieses Projekt mitt-lerweile als Projekt von vier Partnern. Das ist einmal einer von uns.Wir haben jetzt eine Dienstleistungs-GmbH gegründet, „49 PlusDienstleistung“, die faktisch die Wohnprojekte betreiben und dieDienstleistung bereitstellen soll. Wenn wir nur diesen Betreiber hät-ten, würden wir uns nicht wesentlich von anderen kommerziel-len Modellen unterscheiden. Der zweite Partner und gleichzeitigGesamt-Koordinator ist nach wie vor der Senioren-Kreativ-Verein,der das gemeinnützige Element hineinbringt. Er wird nämlich inZukunft die Begegnungsstätten betreiben. Wir haben insgesamt drei

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Begegnungsstätten in dem Objekt und wir hoffen, dass es we-nigstens für die Begegnungsstätten eine Möglichkeit gibt, Mitarbeiterüber den zweiten Arbeitsmarkt zu beschäftigen. Der dritte Partner istMediPart. Das ist ein Pflegedienst, der mit uns eng und vertraglichverbunden ist. Er wird eventuell – das ist noch nicht hundertprozentiggeklärt – jetzt in den Häusern übergangsweise eine Kurzzeitpflegeeinrichten. Es soll von der HWG aus ein Verbindungsbau zwischenden Hochhäusern, die unmittelbar nebeneinander stehen, gebautwerden, und dann kommt dort die Kurzzeitpflege hinein. Das hat nunwieder den Vorteil, dass wir, wenn wir die Kurzzeitpflege in engervertraglicher Bindung haben, auch das Problem der 24-Stunden-Prä-senz teilweise mitgelöst haben.

Wir haben dann auch eine höhere Qualität, was den Notruf anbetrifft.Denn das ist kein anonymer Notruf, der irgendwo aufläuft, sonderngeschultes Personal kann Erste Hilfe leisten. Das ist zum Beispiel einQualitätsfaktor, den wir versuchen, damit zu erreichen. Außerdemgibt dieser Pflegedienst der „49 Plus GmbH“ Aufgaben ab. Also siebetreiben sozusagen die unmittelbare medizinische Pflege undbeschäftigen die „49 Plus“ als Subunternehmer für alle hauswirt-schaftlichen Tätigkeiten, sodass beides in einander greift. Der viertePartner ist die Hallesche Wohnungsgesellschaft, also der Besitzerder Häuser. Sie stellen uns einmal bestimmte Räumlichkeitenkostenlos zur Verfügung, unterstützen uns aber noch in einer ganzwichtigen Frage - das muss auch noch konsequent weiter ausgebautwerden: Zum Beispiel hat jetzt „49 Plus“ die Hausmeisterdienst-leistungen in den Häusern übernommen. Wir stellen also der HWGden Hausmeister, den wir dort beschäftigen, in Rechnung. Der Haus-meister ist dann nicht dieser „anonyme Hausmeister“, sondern istgleichzeitig mit dem entsprechenden Hintergrundwissen in unserProjekt eingebunden. Die HWG hilft auch, dass „49 Plus“ am Lebengehalten werden kann dadurch, dass andere Dienstleistungen, dievon der HWG für diese Objekte gebraucht werden, von „49 Plus“ miterledigt werden. Diese Vierer-Konstellation soll im Grunde genom-men in Zukunft das Projekt dort händeln und uns in zunehmendemMaße von dem Zweiten Arbeitsmarkt unabhängig machen. DieBegegnung wird dann auch in aufsuchender Arbeit von den Begeg-nungsstätten ausgehen.

Noch ein paar Worte dazu, was wir in Zukunft als Schwerpunkte die-ses Projektes sehen: Wir haben ca. 35 demente Bewohner, die einebesondere Betreuung benötigen. Wir versuchen jetzt, ein „Projekt imProjekt“ zu organisieren: Wir entsprechen der Problemsituation, wie

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sie besteht, indem wir mit bestimmten Menschen zusätzliche Sozial-arbeit und Betreuungsarbeit organisieren wollen.

Dann versuchen wir, von diesen Häusern aus auch ins Territorium zukommen: Einmal mit „49 Plus“, aber auch mit dem Pflegedienst. Wirversuchen, weitere Dienstleistungen von Seiten der HWG zu über-nehmen, um „49 Plus“ tatsächlich stabil zu machen, damit auchgenügend Leute gehalten werden können, die bei Anforderung vonDienstleistungen reagieren können.

Dann, was ganz wichtig ist: Wir legen sehr viel Wert auf das Ehren-amt. Ich denke, wir können vieles organisieren (und dadurchinsgesamt für die Bewohner billiger machen), wenn wir bestimmteDinge über das Ehrenamt organisieren. Es muss z.B. nicht immerden ganzen Tag ein hoch bezahlter Pförtner in der Loge sitzen, daskönnte auch ein Ehrenamtlicher sein. Am besten wäre natürlich, eswäre jemand aus den Häusern, der noch die wichtige Komponentedes „kleinen Schwätzchens“ mit einbezieht. Also: Erweiterung desEhrenamts, natürlich auch im Bereich der Begegnungsstätte.

Hinzu kommen all diese Dinge, die wir potenziell als Verein nutzenkönnen. Zum Beispiel hat jetzt eine der ältesten Bewohnerinnendieses Wohnprojektes ihre Lebenserinnerung geschrieben, und wirhaben sie in dem vereinseigenen Verlag veröffentlicht. Man kannLesungen von unseren schreibenden Senioren durchführen und ähn-liche Angebote machen. Wir versuchen dabei sauber zu trennen: DieDienstleistung, die getan werden muss, soll durch „49 Plus“ soerledigt werden, dass sie sich rechnet. Das Personal, das ich dortvorhalte, muss sich tatsächlich rechnen. Aber diese Komponente desGespräches, des Herzlichen etc. muss dann in irgendeiner Formauch in Kommunikation miteinander von den Begegnungsstätten ausgeleistet werden.

Dann sind wir noch auf etwas ganz Wichtiges gestoßen, und damitmöchte ich abschließen: Wir sind über das Phänomen der Begriff-lichkeit gestolpert. Wir wagen es nicht mehr, unser Projekt „BetreutesWohnen“ zu nennen, sondern wir machen ein „Service-Wohnen“. Wirkönnen „betreute Wohnprojekte“, etwa für Demente, zusätzlich zumService-Wohnen anstreben. Wir können bestimmte Projekte mitintensiverer Betreuung dort integrieren, aber insgesamt bieten wir einService-Wohnen an. Es handelt sich sozusagen um freie Menschen,die freie Mieter in normalen Mietverhältnissen sind, und wir bietenzusätzlich diese Service-Vereinbarung an. Wenn wir das nicht sauber

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trennen, dann rächt sich das früher oder später, weil wir denAnspruch, der hinter dem „Betreuten Wohnen“ im Sinne einer Inten-sivbetreuung steht, unterm Strich nicht erfüllen können.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß: Schauen Sie sich unser Projekt an.Und ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Aufenthalt hier inunserer Stadt.

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Qualitätsstandards des Service-Wohnens

Qualitätsanforderungen an Betreutes Wohnen: Welche Hilfenbrauchen Berater?

Ursula Kremer-Preiß, Kuratorium Deutsche Altershilfe

Eines der zentralen Probleme beim Betreuten Wohnen ist, dass eskeine fest definierten Qualitätsstandards gibt und dass es keine Qua-litätskontrollen auf dem Markt des Service-Wohnens gibt. Ich will hiernicht darüber sprechen, welche Mindestanforderungen im Bereichder baulichen Standards und in Bezug auf die Betreuungskonzeptionerfüllt sein müssten, um von einem qualitativ wertvollen Angebotausgehen zu können, das Betreutes Wohnen von normalem Wohnenunterscheidet und auch die Erhebung einer Betreuungspauschale ingewissen Grenzen erlaubt. Darüber wird das nachfolgende Referatvon Herrn Prof. Saup auf Grund seiner interessanten Untersu-chungsergebnisse ausführlicher informieren können.

Ich möchte an dieser Stelle nur einen kurzen Überblick geben überdie Instrumente, die erforderlich sind, um den Markt des BetreutenSenioren-Wohnens „zu zivilisieren“. Ich denke, dass man hierfür andrei Punkten ansetzen muss

1. Markttransparenz verbessern durch bessere Aufklärung der älte-ren Menschen

2. Unterstützung bieten bei der Wahrung und Durchsetzung derRechte der Nutzer

3. Qualifizierung der Berater in kommunalen wie gemeinnützigenSenioren-Beratungsstellen

Hierzu wurde ein Projektentwurf erarbeitet, den das KDA in Koopera-tion mit der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände und demInstitut für angewandte Verbraucherforschung in Köln durchführenwird. Die Untersuchung umfasst drei Teilprojekte

⇒ Qualitative Interviews mit tatsächlichen und potentiellen Nutzern,um die Bewohnerzufriedenheit zu ermitteln (IFAV)

⇒ Erstellung eines Ratgeber mit Checklisten (AgV)

⇒ Erstellung einer Arbeitshilfe für Berater (KDA)

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Ich will hier etwas näher auf die „Arbeitshilfe für Berater“ eingehen.Wie kann diese dazu beitragen, den Markt des Betreuten Senioren-Wohnens zu zivilisieren?

1. Mehr Markttransparenz durch bessere Informationsmög-lichkeiten

Erfassung des lokalen Angebotes durch ein lokales Verzeichnis

Wichtig ist zunächst einmal, dass Berater sich einen genauen Über-blick über das lokale Angebot verschaffen. Es gibt keine zentraleErfassung der Versorgungsangebote des Betreuten Wohnens, wiedies z.B. für andere Altenhilfeeinrichtungen in den Heimstatistikenerfolgt. Dies führt zu einer mangelnden Transparenz des Gesamt-angebotes. Eine bundesweite und damit flächendeckende Über-schaubarkeit des Gesamtangebotes ist kaum zu erreichen. Versuchein dieser Hinsicht sind problematisch, weil es keine klaren Begriffs-definitionen gibt, welche Einrichtungen unter das Betreute Wohnenfallen und weil dieses Marktsegment zurzeit eine dynamische Ent-wicklung durchläuft. Dies wird schon an der Verdoppelung desGesamtangebotes in den letzten Jahren deutlich. Nur auf lokalerEbene wird man einen stets aktuellen Überblick herstellen können.

Wünschenswert sind daher lokale Verzeichnisse. Vor allem aufregionaler Ebene muss der Markt des Betreuten Wohnens transpa-rent gemacht werden. Es gibt mittlerweile eine Reihe von Verzeich-nissen auf regionaler Ebene, die das Angebot des Betreuten Woh-nens erfassen. Dies ist ein erster Schritt, um potenzielle Nutzer überdas örtliche Angebot informieren zu können.

Aber wie geht man methodisch vor, um das lokale Spektrum auchder geplanten Angebote zu erfassen? Wie und wo macht man eineAdressenrecherche? Wie geht man vor, damit die Anbieter für dieBestandserhebung gewonnen werden können? An diesem Punktsetzt die Arbeitshilfe für Berater an. Die Arbeitshilfe für Berater sollbeschreiben, mit welcher methodischen Vorgehensweise man dasregionale Gesamtangebot erfassen kann.

Qualitative Bewertung des lokalen Angebotes

Um qualifiziert beraten zu können, reicht es nicht, dass man über dieAnzahl und Verteilung der Angebote genau Bescheid weiß. Wichtig

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ist, dass man das Angebot vor Ort qualitativ einschätzen kann unddie Leistungsstandards der einzelnen Angebote vergleichen kann. Esgibt zurzeit vereinzelte Versuche von kommunalen Beratungsstellen,das regionale Angebot für sich zu erschließen und die Angebote mitLeistungen und Entgelten in vergleichender Form aufzuführen. DieStadt Nürnberg ist hier beispielhaft hervorzuheben. Sie hat einenLeitfaden zur Beurteilung der Leistungen und der Qualität von Ein-richtungen des Betreuten Wohnens in Nürnberg heraus gebracht, derauch überörtlich wichtige Informationen enthält, aber vor allem ver-sucht, das lokale Angebot qualitativ transparent zu machen.

Problematisch ist, dass jede einzelne Beratungsstelle darauf ange-wiesen ist, eigene Erhebungsinstrumente zur qualitativen Bewertungdes Angebotes zu entwickeln. Dies bedeutet letztlich eine eigeneEntwicklung von qualitativen Mindeststandards, die von den Bera-tungsstellen jeweils neu vorgenommen werden müssen. Bei derErfassung der Angebote beschränkt man sich wegen dieser Proble-matik zumeist auf eine Adressenrecherche oder auf die Frage nacheinigen wenigen quantitativen Strukturmerkmalen des regionalenGesamtangebotes.

An diesem Punkt setzt die Beraterhandreichung an. Sie soll Informa-tionen darüber enthalten, wie man das regionale Gesamtangebotnach qualitativen Kriterien bewerten und kontrollieren kann.

Die Kriterien zur Bestandsanalyse und Qualitätsbewertung sollten dieBerater aber nicht nur in die Lage versetzen, die Nutzer bedarfsge-recht zu informieren, sondern auch interessierte ältere Menschensowie Altenhilfeplaner für bestimmte grundlegende Problemaspektedes Betreuten Wohnens zu sensibilisieren und den Ausbau des loka-len Angebotes an Betreuten Wohneinrichtungen bedürfnisgerecht zusteuern. Die Beraterhandreichung soll deshalb auch Informationenenthalten, was bei der Bedarfsplanung vor Ort zu berücksichtigen ist.Sie sollte daher auch die Darstellung quantitativer und qualitativerBedarfsplanungskriterien umfassen.

2. Fortlaufende Qualifizierung der Berater

Wichtig ist aber nicht nur, dass das Angebot durch qualifizierte Infor-mationen transparent gemacht wird, sondern dass die Berater vor Ortauch fortlaufend qualifiziert werden, damit sie entsprechend beraten

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können. Die Arbeitshilfe sieht daher auch vor, Hilfen zur Qualifizie-rung und Fortbildung von Beratern zu geben:

Die Beraterhandreichung soll deshalb auch Informations- und Fortbil-dungsmaterialien zu spezifischen Themen enthalten, die grundlegen-de Fragen zum Betreuten Wohnen umfassen, wie z.B.

⇒ Betreutes Wohnen und das Heimgesetz

⇒ Betreutes Wohnen und Sozialhilfe

⇒ Betreutes Wohnen und Vertragsgestaltung

⇒ Mitbestimmungsmöglichkeiten in Betreuten Wohnanlagen usw.

3. Unterstützung bei der Wahrung und Durchsetzung derRechte der Nutzer

Zur Zivilisierung des Marktes des Betreuten Senioren-Wohnensgehört aber nicht nur eine Optimierung der Markttransparenz durchbessere Information und Qualifizierung der Berater, sondern aucheine Unterstützung der Bewohner/Nutzer bei der Wahrung undDurchsetzung ihrer Rechte.

Rechtlich ist noch nicht geklärt, ob die Heimaufsicht zukünftig alsKontrollorgan und Anlaufstelle für Beschwerden von Bewohnernzuständig ist. Wenn das Betreute Wohnen im Rahmen der Novelledes Heimgesetzes nicht unter das Heimgesetz gestellt wird unddamit nicht unter die staatliche Aufsicht fällt, müssen andere Kontroll-organe aufgebaut werden.

Hier ist vor allem an eine Aktivierung von Selbsthilfepotenzialen zudenken. SeniorenBeiräte, Senioren-Büros, Selbsthilfegruppen vonSenioren-Organisationen, alte Menschen in Altenbegegnungsstättenund Altenklubs sollen als Kontrollinstanzen für den Markt des Betreu-ten Senioren-Wohnens gewonnen und damit die Selbsthilfepoten-ziale der älteren Menschen zur Zivilisierung des Marktes für Betreu-tes Wohnen aktiviert werden. Es sollen die regionalen Selbsthilfe-gruppen in ihrer Rolle als kontrollierende Instanzen für den Markt desBetreuten Senioren-Wohnens gewonnen werden, sodass siesensibilisiert werden für die Missstände und bei der Planung oder beiAngeboten im Bestand korrigierend eingreifen können.

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Die Arbeitshilfe für Berater wird deshalb beispielhafte Interventions-formen mit entsprechenden Hinweisen auf weiterführende Informa-tionen darstellen. Sie wird Adressen und Konzepte von bereits beste-henden örtlichen Initiativen, die sich als Kontrollorgane des BetreutenSenioren-Wohnens verstehen, enthalten und Hinweise geben, wieein Erfahrungsaustausch unter diesen Gruppen initiiert werden kann.

Ich denke, dies sind Ansatzpunkte, um den Markt des BetreutenSenioren-Wohnens zu zivilisieren. Der erste/ wichtigste Schritt hierfürist eine Definition von Mindestanforderungen an das Leistungs-angebot im Bereich des Betreuten Senioren-Wohnens, um Miss-ständen zu begegnen. Man braucht eine Definition von Mindestan-forderungen, die von jeder altersgerechten Wohnanlage erfüllt wer-den sollten. Diese werden Maßstab für interne und externe Qualitäts-prüfung sein, um den Markt des Betreutes Senioren- Wohnens zuzivilisieren.

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Mindestanforderungen an Architektur und Betreuungsrealitätdes Service-Wohnens

Professor Dr. Winfried Saup, Universität Augsburg

Bevor ich mich zu Mindestanforderungen an Architektur und Betreu-ungsrealität des Service-Wohnens äußere, möchte ich einige Vorbe-merkungen zur Begrifflichkeit meines Vortragstitels machen:„Service-Wohnen“ ist für mich ein zu hinterfragendes Konzept: Hatfür die Älteren ein Service-Angebot überhaupt diese dominante Be-deutung, wie uns manche Bedarfsprognosen suggerieren? Für denAnbieter von Betreuungs- und Pflegedienstleistungen scheint dasInteresse klarer zu sein; er möchte seine Dienstleistung verkaufen.Aber haben viele Ältere überhaupt die finanziellen Möglichkeiten, umdiese Dienstleistungen einzukaufen? „Betreutes Wohnen“, auch dasist ein Begriffspaar, das in seiner Bedeutung so weit geht, dass derBegriff „Betreuung“ Erwartungen weckt, die selten einlösbar sind. Ichpersönlich präferiere das Begriffspaar „Begleitetes Wohnen“: denKern des „neuartigen“ Wohn- und Versorgungsangebotes für Ältere,das unter den oben genannten Begriffspaaren angeboten wird, seheich vor allem darin, dass im Lebens- und Wohnalltag jemand da ist,der nach mir schaut und der in Notfallsituationen für mich dasNotwendige organisiert. Noch eine Vorbemerkung: Mindestanfor-derungen sind nach meinem Verständnis Minimalstandards, es sindkeine anzustrebenden Planungsziele. Wir unterliegen bei der Anwen-dung der Heimmindestbauverordnung schon diesem Missverständ-nis; „Mindest“-Vorgaben für den Bau von Alten- und Pflegeheimenwerden als anzustrebende Planungsziele missinterpretiert.

Im folgenden ersten Teil meines Vortrags möchte ich Ihnen meineempirische Basis kurz vorstellen, auf der meine nachfolgenden Über-legungen zu den Mindestanforderungen an Architektur und Betreu-ungsrealität (in der Regel) basieren.

1. Empirische Basis: Augsburger Längsschnittstudie zum Be-treuten Wohnen im Alter

Die Augsburger Studie zum Betreuten Wohnen sei kurz im Tele-grammstil charakterisiert: Unser konzeptioneller Ansatz ist ein multi-perspektivischer, d.h. wir lassen uns anregen von Fragestellungenund von Konzepten aus der Alterspsychologie, aus der ÖkologischenGerontologie - der umweltbezogenen Alterswissenschaft – wie auch

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aus der psychologischen Life-Eventforschung, denn der Einzug in diebetreute Wohnanlage ist u.U. ein wichtiger Lebens-Wendepunkt oderauch ein kritisches Lebensereignis im Lebenslauf einer Person. Auchlassen wir uns anregen von Fragestellungen und Konzepten aus denPflegewissenschaften.

Wir möchten auch einer „Bewohnerperspektive“ mehr Gewicht ver-leihen: Wir wissen viel zum Betreuten Wohnen aus Planerperspek-tive, und auch die Betreuungsträger können sich artikulieren. Aber esist bislang zu wenig von den Nutzern und über die Nutzer- also von den älteren Bewohnern - bekannt. Unsere Fragestellungensind auch alltagsnah und anwendungsrelevant. Ich möchte IhnenBeispiele von Einzelfragen, die uns interessieren, geben:

• Wie informiert sind ältere Menschen über das Betreute Wohnenund über alternative Betreuungs- und Versorgungsangebote vorOrt? Betreutes Wohnen stellt ja nur einen spezifischen Lösungs-versuch von mehreren möglichen für eine aktuelle Problemlagedes Alterswohnens dar.

• Welche Vorstellungen, welche Erwartungen verknüpfen Ältere mitdem Einzug in eine Betreute Wohnung? Was sind die Einzugs-gründe? Wer sind die Entscheidungsbeteiligten und wie sind diekonkreten Entscheidungsabläufe, die letztlich zum Einzug führen?

• Wie ist der körperliche und der psychische Gesundheitszustand?Wie ist die Alltagskompetenz zur Lebensführung der Älteren vordem Einzug, und wie verändern sich diese Kompetenzbereiche imLaufe des Wohnens in einer Betreuten Wohnanlage?

• Wie sind die sozialen Kontakt- und Hilfenetzwerke der Älteren zuFamilienangehörigen, Nachbarn, Freunden vor und nach demEinzug?

• Was zeichnet das Wohnverhalten der Älteren in der Senioren-wohnanlage, in der Wohnung und im Wohngebäude sowie dasaktionsräumliche Verhalten im nahen Wohnumfeld aus?

• Welche Nutzungsmuster des Notrufsystems lassen sich bei denÄlteren im Betreuten Wohnen feststellen?

• Wie bewerten die Älteren subjektiv ihre neue Wohnung, dasWohngebäude, das neue Wohnumfeld?

• Wie informiert sind die Älteren im Betreuten Wohnen über dasKontakt- und Betreuungsangebot des Betreuungsträgers? Wieintensiv nutzen sie die angebotenen Betreuungs- und Pflege-dienstleistungen, und wie zufrieden oder unzufrieden sind siedamit?

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Dies sind nur Beispiele einiger Fragestellungen, denen wir nachge-hen.

Wodurch zeichnet sich unsere Untersuchungsanlage aus? ZweiMerkmale sind wesentlich: Erstens haben wir verschiedene Unter-suchungsgruppen und zweitens mehrere Erhebungszeitpunkte.

Zum Ersten: Wir führen eine Vergleichsgruppen-Untersuchung durch,d.h. wir haben ältere Menschen im Betreuten Wohnen aus heimver-bundenen Wohnanlagen, aus Wohnanlagen mit einem integriertenPflegestützpunkt und aus sogenannten solitären Wohnanlagen.Durch die Probandenauswahl sind also unterschiedliche Organisa-tionskonzepte des Betreuten Wohnens berücksichtigt.

Zum Zweiten: Wir haben eine Untersuchung mit Mehrfacherhebun-gen. Wir kontaktieren die älteren Menschen bereits vor ihrem Einzugins Betreute Wohnen das erste Mal; drei Monate nach Einzug ist diezweite Erhebungswelle, die dritte Erhebungswelle zwölf Monate nachEinzug. Zwei Jahre nach Einzug machen wir nur einen kurzenCheck: Wer wohnt noch im Betreuten Wohnen, wer ist verstorben,wer ist in ein Heim umgezogen? Ein weiterer Erhebungszeitpunkt istdrei Jahre nach Einzug geplant. Wir begleiten also den Lebenswegälterer Menschen im Betreuten Wohnen über einen diachronischerstreckten Zeitraum.

Wie ist unser methodischer Forschungsansatz? Ich möchte ihn skiz-zieren als quantitativ-qualitativ, wobei der Schwerpunkt auf derQuantifizierung liegt. Es ist eine Interviewstudie mit offenen undgeschlossenen Fragen. Sehr charakteristisch ist für unsere Arbeits-weise in den letzten zehn Jahren, dass wir ein Kärtchen-Verfahren imInterview einsetzen, wo wir Items und Antwortmöglichkeiten inKärtchen-Form vorgeben. Probanden und Interviewer können wohlauch ein kurzes Gespräch über die thematisierten Sachverhalte füh-ren, danach aber muss sich der Proband für eine der Antwort-alternativen entscheiden. Wir setzen auch einen Zeitverwendungs-bogen ein, weil wir wissen wollen, wann die Älteren aufstehen und zuBett gehen und wie sie tagsüber die verschiedenen Räume in derWohnung nutzen. Der dritte methodische Zugang: Wir observierenauch den ehemaligen Wohnstandort, d.h. durch einen „walk-around-the-block“ begehen wir das nähere Wohnumfeld - 300 Meter imUmkreis des Wohnstandortes - und halten die Infrastruktur desWohnumfeldes fest. Wir haben auch Fremdratings über die inter-viewten Personen zu verschiedenen Aspekten.

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Wie schaut die Stichprobengenerierung aus? Wir haben in die Studieneu gebaute Seniorenanlagen einbezogen, die also noch im Bauwaren, als wir sie auswählten. Die Auswahl folgte auch pragma-tischen Überlegungen, die Wohnanlagen sollten für uns von der Uni-versität aus mit dem Auto innerhalb einer halben Stunde nocherreichbar sein. Sieben Wohnanlagen aus der Region Augsburg wur-den ausgewählt: eine Wohnanlage ist heimverbunden mit 26 Woh-nungen, eine andere ist ebenfalls heimverbunden mit 31 Wohnun-gen, eine dritte Wohnanlage ist eine Wohnanlage mit integriertemPflegestützpunkt mit 45 Wohnungen, und die restlichen Wohnanla-gen sind so genannte solitäre Wohnanlagen mit 53 Wohnungen bzw.30 und 16 Wohnungen. Eine weitere solitäre Wohnanlage mit 34Wohnungen könnte man als eine Modellwohnanlage betrachten, weilwir die Bauherren durch einen gerontologischen Advokatenplanungs-ansatz bereits in der Planungsphase beraten haben, d.h. dasArchitekturkonzept und das Betreuungskonzept wurde bereits in derPlanungsphase nach gerontologischen und architekturpsychologi-schen Gesichtspunkten modifiziert und sicherlich auch optimiert.

Zu unserer Stichprobe: In diesen 7 Wohnanlagen gab es insgesamt240 Seniorenwohnungen. Von diesen Wohnungen waren 33 im Zeit-raum von 12 Monaten nach Bezugsfertigkeit nicht belegt. In 9 Woh-nungen lebten Menschen unter 60 Jahren. Somit lag die potenzielleAusgangs-Stichprobe bei 198 älteren Personen. Es gelang uns, vondiesen 198 Personen 173 in die erste Erhebungswelle einzubezie-hen, dies entspricht einer Response-Rate von 87,4%. Die anderen25 Personen waren entweder vor Einzug verstorben, verweigerteneine Teilnahme oder zogen in die Wohnung, die sie gekauft hatten,(noch) nicht ein. Bei der zweiten Erhebungswelle konnten wir vonden 173 Personen der Ausgangsstichprobe noch 149 ein zweites Malinterviewen, dies entspricht einer Response-Rate von 86,1%. Auchbei der dritten Erhebungswelle ist die Beteiligung der älteren Bewoh-ner wiederum hoch. Die sehr hohe Beteiligungsquote führen wir ins-besondere auf eine Reihe von Motivierungs-Maßnahmen (wie per-sönliche Weihnachtsgrüße, Danke-Schön-Nachmittag, etc.) zurück.Eine hohe Beteiligungsquote ist uns sehr wichtig, weil durch selektiveStichprobenausfälle im Vorfeld einer Studie oder während derenDurchführung die Validität der Forschungsergebnisse bedroht seinkann.

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2. Mindestanforderungen an Architektur

Ich komme zum zweiten Teil, zu Mindestanforderungen an Architek-tur und Betreuung. Diese betrachte ich als Gerontologe und alsArchitekturpsychologe. Die ökologische Gerontologie legt ihrenFokus auf die Mensch-Umwelt-Beziehung im Alter, und Umweltbe-ziehungen im Alter sind vor allem Wohn-Umfeld-Beziehungen.

Das Qualitätsspektrum Betreuter Wohnanlagen ist sehr breit, Sie wis-sen das aus Ihrem Umfeld. Nur teilweise gibt es in Bezug auf dieArchitektur und auf das Betreuungsangebot überzeugende Lösun-gen. Nicht selten gibt es überzogene Versprechungen auf Anbieter-seite; dies kann zu Enttäuschungen auf der Bewohnerseite und zuKlagen über bauliche Mängel, über unzureichende Betreuung, überunangemessene Grundpauschalen führen. Aus meiner Sicht – diesedürfte wenigstens für Baden-Württemberg, teilweise auch fürBayern stimmen – ist die „Expansions- und Boomphase“ des Be-treuten Wohnens vorbei. Wir befinden uns derzeit in einer gesun-den – so möchte ich es bewerten – „Konsolidierungsphase“. Be-treutes Wohnen ist aus meiner Sicht ein joint venture von Architekt/Bauträger und Betreuungs- und Pflegediensten. Der Architekt schafftbauliche Voraussetzungen, setzt Rahmenbedingungen. Manchmalvergleiche ich sein Produkt mit der Hardware eines Computer-systems. Aber die Pflege- und Betreuungsdienste, vor allem dieKontaktpersonen des Betreuungsträgers, stehen vor der Herausfor-derung, das Gebäude mit Leben zu füllen, eine Atmosphäre zuschaffen. Betreutes Wohnen ist aus meiner Sicht also mehr als nurPlanen, Bauen, Verkaufen und Vermieten - das möchten ja oft dieBauträger nur. Es ist auch mehr als Betreiben, Begleiten undBetreuen. Betreutes Wohnen verbindet Schnittstellen von Architektur,Sozialplanung, Management, Betreuung und Qualitätssicherung. Esbedarf also eines multiperspektivischen und ganzheitlichen Lösungs-ansatzes.

Worauf kommt es für die verschiedenen Gruppen an? Worauf kommtes für die Architekten und Baufachleute an? Dazu zwölf Aspekte:

1. Die Planung muss ganzheitlich sein. Alltag im Alter ist Wohnalltag.Unsere Umweltbezüge schrumpfen im hohen Alter oft auf die Größedes nahen Wohnumfeldes von 300 Meter um den Wohnstandortherum, manchmal auf die Größe der Wohnung, im Pflegeheimmanchmal sogar auf die Größe des Zimmers und bei Bettlägerigenauf die Größe des Bettes. Alltag im Alter ist Wohnalltag: Die

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Wohnung hat für die Alltagsgestaltung im Alter eine sehr großeBedeutung. Welche Funktion hat denn die Wohnung? Nun, die Woh-nung ist zum einen ein Handlungsraum für die Durchführung unter-schiedlicher Tätigkeiten. Beispielsweise, ich schaue fern und bügledabei vielleicht Hemden. Aber die Wohnung ist auch Wahrneh-mungsraum. Ich möchte optische, akustische, taktile Anmutungser-fahrungen haben. Beim Blick auf eine Wand mutet mich dieseoptisch an. Ich erkenne Muster, Farben, Kontraste usw. Die Woh-nung ist auch Wahrnehmungsraum für Geräusche, für Töne, ichmöchte dort auch etwas hören. Die Wohnung ist auch Wahrneh-mungsraum für mein „Takt-Gefühl“. Die Wohnung ist aber nicht nurHandlungs- und nicht nur Wahrnehmungsraum, sondern sie istdrittens auch Gefühlsraum. Ich möchte mich in meiner Wohnungbehaglich fühlen, ich möchte mich dort zu Hause fühlen. Diesestimmt mich emotional. Die Wohnung ist darüber hinaus aber auchIdentifikationsraum, sie ist ein Teil von mir, ich wohne als ältererMensch oft Jahrzehnte schon in dieser Wohnung, sie ist Teil meinereigenen Biografie. Architektur, wenn sie Seniorenwohnungen plant,soll nicht nur für den Handlungsraum planen. Ich komme noch daraufzurück.

2. Grundlegend aus meiner Sicht ist auch die Standortwahl. Es isteine grundlegende Entscheidung mit weitreichenden Folgen für denLebensalltag der Älteren. Nicht jedes Spekulationsobjekt eignet sichals Standort für eine Seniorenwohnanlage. Eine Seniorenwohn-anlage müsste zentrumsnah platziert werden, mit sehr guter Infra-struktur im unmittelbaren Wohnumfeld. Wir wissen aus der gerontolo-gischen Forschung, wie distanzempfindlich die außerhäuslichenAktivitätsmuster alter Menschen sind. Es ist ein wesentlicher Ge-sichtspunkt. Aber es gibt noch weitere Gesichtspunkte. Wenn Siesich mal anschauen, aus welcher Wohnumgebung ältere Menschenins Betreute Wohnen ziehen: Nach unseren Forschungsergebnissenkommen viele aus einem Wohnumfeld mit relativ guter Infrastruktur.Bushaltestellen haben sie fast alle, Briefkästen auch, Gaststättenauch, Frisör, Bäckerei 60%, Bank, Sparkasse 50%, Apotheke, Arzt-praxis. Und jeder Zweite hat das im unmittelbaren Umfeld von 300Metern im Umkreis der Wohnung.

Noch ein weiterer Gesichtspunkt ist relevant in Bezug auf die Stand-ortwahl. Viele ältere Menschen, die ins Betreute Wohnen ziehen,haben zum Zeitpunkt des Einzugs bereits gesundheitliche Beschwer-den: 71% unserer Probanden haben beispielsweise Geh- und

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Bewegungsbeschwerden. Deshalb ist dieses „Distancing“ so ent-scheidend. 80% haben andauernde oder wiederkehrende Beschwer-den, 70% Geh- oder Bewegungsbeschwerden, 65% Herz-Kreis-laufbeschwerden. Auch haben - und das scheint mir sehr wichtig zusein - über 50% Sehbeschwerden, 50% Hörbeschwerden. Das sindAspekte, die eigentlich bei jeder Planung mit bedacht werden müss-ten.

Dass die Standortfrage für ältere Menschen sensibel ist, lässt sichauch an der subjektiven Bewertung von Merkmalen der Wohnung,des Wohngebäudes und des Wohnumfeldes erkennen. Die Wohnungund das Wohngebäude sind in unserer Untersuchung zur zweitenErhebungswelle deutlich besser bewertet worden, als das aktuelleWohnumfeld der Betreuten Senioren-Wohnanlage. 55% bewerten dieEinkaufsmöglichkeiten um die Betreuten Wohnanlagen herum alsgut. Nur 35% bewerten die Freizeitgestaltungsmöglichkeiten als gut.Die Möglichkeit, in der Wohnumgebung im Freien auf einer Bankoder einer anderen Sitzgelegenheit Platz nehmen zu können, bewer-ten 44% als gut. Durch unsere 3. Erhebungswelle werden wir etwasdarüber erfahren, wie erreichbar die infrastrukturellen Einrichtungenin der Wohnumgebung für die Älteren im Betreuten Wohnen sind,und wir werden auch mehr wissen über außerhäusliche Nutzungs-muster der Infrastruktur.

3. Bauen für Senioren braucht erweiterte Planungsgrundlagen. DieDIN 18025 ist sicherlich eine Errungenschaft, eine wichtige Pla-nungsgrundlage, aber aus meiner Sicht müssten Barrieren- undSchwellenfreiheit eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. DIN-Normen alleine reichen nicht aus, weder DIN-Norm 18024 über diehorizontale und vertikale Erschließung des Gebäudes, noch die DIN18025, Teil 1 zur rollstuhlgerechten Wohnung, noch Teil 2 zurBarrierefreiheit. Aus meiner Sicht ist die DIN-Norm 18025 eine not-wendige, aber keine hinreichende Planungsgrundlage.

Man könnte auch fragen, ist diese DIN-Norm nicht eine etwas reali-tätsferne Betrachtung des Alltags alter Menschen? Ich tippe nur zweiAspekte etwas provozierend an: Stigmatisiert eigentlich diese DIN-Norm nicht die Älteren zu häufig als Rollstuhlfahrer? Ältere werden indieser Norm zu sehr als Behinderte, als Rollstuhlfahrer betrachtet. Istdas nicht ein falsches Bild vom Wohnen in Betreuten Wohnanlagen?Nur ein kleiner Teil der Älteren im Betreuten Wohnen hat einenRollstuhl, schon mehr Personen haben eine Gehhilfe. Aber Gehen

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mit einem Gehwagen oder Gehstock - dies ist ein ganz andererBewegungsablauf - impliziert andere Anforderungen an die Wohn-Umwelt als die Fortbewegung im Rollstuhl. Eine für einen Rollstuhl-fahrer passende Greifhöhe (von 85 cm) kann dysfunktional für denHandlungs- und Bewegungsablauf eines rüstigen älteren Menschenoder eines Menschen mit einer Gehhilfe sein. Wir sind gewohnt, ineiner bestimmten Höhe nach einem Lichtschalter zu greifen. Wir sindgewohnt, in einer bestimmten Höhe nach einem Türgriff zu greifen.Die durch die DIN 18025 nahegelegte Normierung auf 85 cm wider-spricht unseren Wohngewohnheiten, unseren biografisch erworbe-nen Wohnerfahrungen. Wir sind es in der Regel nicht gewohnt, aufdieser Höhe nach Schalter und Griffen zu suchen.

Die zweite Provokation: Signalisiert die DIN-Norm 18025 nicht auchein rudimentäres Verständnis des Lebensalltags Älterer? Alltag imAlter ist Wohnalltag. Aber Wohnen ist mehr, als nur sich in der Woh-nung bewegen (können). Das ist sicherlich wichtig und deshalb wirdin der Planung auch so sehr auf Bewegungsräume geachtet. DieBewegungsradien, die von Architekten in ihre Grundrisspläne einge-zeichnet werden, sind Hinweise dafür. Aber Wohnen ist nicht nurherumlaufen! Wohnen ist auch Platz nehmen, ist Ausschau habenauf etwas Schönes. Wir brauchen eine ganzheitlichere Sicht desAlters-Wohnens, als sie in dieser Norm zum Ausdruck kommt.

Wenn man sich zu einseitig, zu blind an dieser DIN-Norm 18025orientiert, wird manches verabsolutiert, und dies kann zu Problemenführen; übrigens auch, wenn man sich an der DIN-Norm wohlorientiert, sie aber bei manch wichtigen Planungsaspekten danndoch missachtet: So werden beispielsweise Griffe und Lichtschalterauf einer Höhe von 85 cm plaziert, dann aber – in Abweichung vonder Planungsvorgabe - der Rollladengurt deutlich höher, sodass derältere Mensch sich strecken muss oder es gar nicht mehr schafft,diesen herunterzuziehen. Stimmig ist eine Planung auch nicht, wennder Griff des Küchenfensters so hoch angebracht ist, dass selbsteine jüngere, rüstige Person nur mit Mühe danach greifen kann. Ichhabe mehrere solcher Fehlplanungen im Betreuten Wohnen gese-hen. Oder der Schließzylinder zur (Haus- bzw. Wohnungs-) Ein-gangstüre ist so niedrig angebracht, dass man sich bücken muss, umden Schlüssel ins Schloss zu führen. Man muss sich nicht nurbücken, sondern wirft oft dabei seinen eigenen Schatten auf dasTürschloss; bei solch einer Planung soll es dann gelingen, denSchlüssel zielgenau in den Schließzylinder zu führen.

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Die DIN-Norm 18025 orientiert sich zu sehr an Rollstuhlfahrern, sieist für normale Ältere unter Umständen (manchmal, nicht immer)dysfunktional. Wir brauchen mehr als diese Orientierung an der-artigen Planungsempfehlungen und -vorgaben. Meines Erachtensbrauchen wir Architekten mit fundiertem Wissen über die Alltags-routinen und die Kompetenzveränderungen alter Menschen, und siebrauchen zudem auch noch eine Sensibilität, ein Gespür für dieWohnwünsche und die Gewohnheiten von Älteren. Beides kann manerlernen, das eine, indem man Befunde aus der ÖkologischenGerontologie zur Kenntnis nimmt, das andere, indem man sich selbsteinmal einer Umwelterfahrung aussetzt, die der von älteren Men-schen entspricht oder wenigstens nahe kommt. Fort- und Weiter-bildung von Planern (auch) durch einen „age-simulator“ oder Umwelt-Sensibilisierungs-Übungen wären hier wichtig.

4. Es geht auch darum, ein durchdachtes Raumprogramm für eineSenioren-Wohnanlage zu entwickeln. Dazu gehört aus meiner Sichtnicht nur die Raumplanung, sondern auch das Setting-Programm.Das Setting-Programm ist die Vorstellung darüber, was in den Räu-men geschehen soll.

Was ist denn die Ausgangsproblematik? Ich will das an wenigenBeispielen illustrieren:

a) In betreuten Wohnanlagen gibt es immer wieder auch Einraum-wohnungen ohne getrennten Wohn- und Schlafbereich. DieseWohnungen sind weder bei Älteren noch beim Pflegepersonalbeliebt. Zudem haben diese auch ein sehr hohes Vermietungs-risiko: An Kapitalanleger, die oft wenig über die WohnwünscheÄlterer wissen, sind sie eigentlich noch relativ gut zu verkaufen,aber danach an Ältere eher schlecht zu vermieten. In unsererStichprobe lebten nur 5,2% der Probanden in solchen Einraum-wohnungen. In den von uns untersuchten Wohnanlagen waren dieEinraumwohnungen eher vom Leerstand betroffen als die anderenWohnungen.

b) Als ein spezifisches Kennzeichen von betreuten Seniorenwohn-anlagen werden in der Regel auch zusätzliche Gemeinschafts-und Betreuungsräumlichkeiten angesehen. Aber wir stellen fest,dass die Kommunikationsräumlichkeiten wie Cafeteria, Gruppen-raum, Sitzecken, Sitznischen oft unterfrequentiert sind. Das heißt,das bloße Vorhandensein von Gemeinschaftsräumlichkeiten, von

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Kommunikationsräumlichkeiten, garantiert noch nicht deren Nut-zung.

c) Auch beim Pflegebad – auch manchmal ein spezifisches Kenn-zeichen des Betreuten Wohnens – stellen wir eine sehr geringeNutzungsfrequenz fest. Das Pflegebad bleibt oft ungenutzt – nunja, es wird einmal im Jahr zum Sektempfang des Betreuungs-dienstes genutzt. Aber ich finde, das ist eigentlich zu teuer.Warum wird es nicht genutzt? Vielleicht, weil derzeit kein Bedarfda ist? Möglicherweise wird sich dieser Bedarf erst in Zukunftentwickeln? Aber vielleicht ist es auch die schlechte Platzierungdes Pflegebades, das oft im Kellergeschoss gelegen ist, manch-mal nur über einen Außenflur erreichbar: Oft ist es so funktionalausgestattet, dass es einen wenig zur Nutzung einladendenEindruck vermittelt, sogar eher als ein Raum in einem anatomi-schen oder pathologischen Institut anmutet als an ein Bad erin-nert.

d) Auch die Einzelbäder zeichnen sich nicht selten durch eine gewis-se Gestaltungsarmut und Monotonie aus: Das Bad wird gefliest,meist deckenhoch, oft mit hellen/ weißen Fliesen. Welch eineAnmutungsqualität vermittelt denn ein solches Bad? Für mich istBaden nicht nur ein Akt der Säuberung. Wenn ich bade, dannbade ich bei Kerzenlicht, dann bade ich bei einem Glas Rotwein,dann bade ich bei Musik von Maria Callas.

Die Beispiele sollten zeigen: Wir können nicht einfach drauf losbauen, sondern wir benötigen ein differenziertes Raumprogramm fürdie Wohnanlage. Welche Gebäudegröße, welche Anzahl der Wohn-einheiten? Wie soll das Lay-out des Baukörpers sein, welche Woh-nungsgrößen, welche Zimmer-Anzahl, welche Raumsyntax, welcheinnenarchitektonische Gestaltung usw.? Was müsste also bei derPlanung, beim Raumprogramm mitbedacht werden? Auch dazueinige Anregungen (jetzt kommt die positive Wendung):

Zu den Kommunikationsräumlichkeiten Cafeteria, Gruppenraum: Beidiesen kommt es vor allem auch auf deren Platzierung innerhalb desGebäudes an. Die Cafeteria/ der Gruppen- oder Aufenthaltsraummüsste eher im Erdgeschoss liegen, an Verhaltensknotenpunkten,dort wo die Bewohner im Lebensalltag auch mal vorbeikommen.Dieser Raum/ diese Cafeteria/ dieser Gruppenraum sollte auch einenAufforderungscharakter haben: Die innenarchitektonische Gestaltungund die Möblierung müssten zur Attraktivität des Raumes beitragen.

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Einen Aufforderungscharakter hat dieser Raum zusätzlich dann,wenn das Setting-Programm attraktiv ist. Ein anderer Gesichtspunkt:Halb-öffentliche, halb-private Sitzbereiche - Übergangszonen zwi-schen privaten und öffentlichen Bereichen des Wohngebäudes - sindganz wichtig für die Initiierung von sozialen Kontakten. An solchenArealen können sogenannte „Gartenzaun-Situationen“ entstehen, dieein Spiel der Annäherung und der Vermeidung sozialer Interaktionen– also den Prozess der Privatheitsregulation – begünstigen.

Dass solche Gesichtspunkte, wenn sie bei der Planung beachtet wer-den, sich auch tatsächlich im Raum-Nutzungsverhalten der älterenBewohner niederschlagen, will ich kurz andeuten. In unserer Studiehaben wir auch untersucht, wie lange sich ältere Menschen imBetreuten Wohnen innerhalb bestimmter Räume aufhalten: im Badoder in der Küche, im Wohnzimmer, in der eigenen Wohnung, imWohngebäude, in anderen Wohnungen des Wohngebäudes, außer-halb des Gebäudes. Die mittlere Aufenthaltsdauer von Bewohnerninnerhalb des Wohngebäudes (z.B. halb-öffentlichen Sitzgruppen, inCafeteria, in Gruppenräumen) variiert zwischen den sieben Wohn-anlagen deutlich. In jener Seniorenwohnanlage, in der besonders aufdie Gestaltung von Sozialräumlichkeiten und von halb-öffentlichen/halb-privaten Übergangszonen geachtet wurde, war die Nut-zungsdauer mit Abstand am höchsten.

5. Bei Wohnungs- und Raumgrößen sollte man nicht zu sehr sparenwollen. Einraumwohnungen sind „mega-out“, sind längst überholt,auch wenn sie immer wieder vorkommen. Sie haben zu geringe Stell-flächen, sie haben nicht die Möglichkeit einer differentiellen Regelungder Heizungstemperatur am Tag und in der Nacht; eine für den Auf-enthalt tagsüber angenehme Raumtemperatur ist für einen erhol-samen Schlaf in der Nacht meist zu hoch. Sie verhindern auch diePrivatheitsregulation der Bewohner, wenn sie Besuch bekommen.Ich will das nicht vertiefen. Auch wenn die Herstellungskosten derWohnungen niedriger sind, sollte bei der Wirtschaftlichkeitsberech-nung das höhere Vermietungsrisiko von Einraumwohnungen mit ein-kalkuliert werden. Einraumwohnungen lassen sich meist besser anKapitalanleger verkaufen, als anschließend an Ältere vermieten.

Welche Wohnfläche sollte die Wohnung haben? Nun, ich kann undwill keine Norm definieren, ich kann nur Zusammenhänge aufzeigenzwischen der faktischen Wohnfläche und dem subjektiven Erlebender Wohnsituation, nämlich der Bewertung der Wohnungsgröße. Wir

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haben Ältere ihre Wohnungsgrößen bewerten lassen: Wenn Ältereihre Wohnungsgröße als gut bewerten, dann haben sie meistens imSchnitt eine Wohnung von 54, 55 qm, schlechter bewertete Woh-nungsgrößen sind etwa 10 qm geringer. Die tatsächlichen Wohnbe-dingungen spiegeln sich also im subjektiven Erleben der Wohnungs-situation wider. Wobei die Bewertung der Wohnsituation mit beein-flusst ist vom Wohnstandard, den ich „gewohnt“ bin, den ich bereitskenne.

Wie groß sollte die Küche im Betreuten Wohnen sein? Wir habenauch die Küchengröße subjektiv bewerten lassen. Bei einer gutenBewertung haben wir eine durchschnittliche Küchengröße von 6,2qm, bei einer schlechten Bewertung von 5,2 bis 5,3 qm. Darüberhinaus haben wir Raumnutzungsmuster untersucht und haben gefun-den, dass ältere Menschen im Betreuten Wohnen sich durchschnitt-lich gesehen zwei Stunden und 29 Minuten am Tag in der Kücheaufhalten. Das entspricht 16,6% der durchschnittlichen Wachzeit.Zum Vergleich: im Bad halten sich die Älteren nur 6,8% der Wachzeitauf. Nach meiner Auffassung brauchen wir im Betreuten Wohnenetwas größere Küchen, ich denke so etwa an 8 qm. Warum? DieBegründung kann ich hier nur andeuten: Die Reaktionsgeschwin-digkeit im Alter wird geringer, in der Regel brauchen Ältere auchdeshalb mehr Zeit, um Alltagstätigkeiten auszuführen. Sie brauchenauch mehr Zeit für die Hausarbeit, für das Kochen, für die Zube-reitung der Mahlzeit usw. Die Hausarbeit ist also zeitlich gestreckt.Zudem können körperliche Beweglichkeit und körperliche Kräfteeingeschränkt sein, sodass viele die angesprochenen Alltagstätig-keiten im Sitzen ausführen möchten. Oft aber fehlt in der Küche dieFläche für einen ausreichend großen Sitzplatz, an dem die Küchen-arbeit ausgeübt und an dem eine kleine Mahlzeit eingenommenwerden könnte. Warum muss eine Mahlzeit im Wohnzimmereingenommen werden? Stellen Sie sich doch einmal eine ältereDame mit Gehwagen vor, die auf einem Tablett einen Sektkelch undeine Lachsschnitte ins Wohnzimmer jongliert.

Wie ist es mit der Größe des Schlafzimmers? Überrascht war ich, alsich die subjektiven Bewertungen der Älteren von Wohnungsgröße,Küchengröße, Schlafzimmergröße miteinander verglich. Am wenigs-ten positiv wurde die Größe des Schlafzimmers bewertet. Dies magmit eingeschränkten Stellmöglichkeiten für einen Kleiderschrank zu-sammenhängen, oder auch damit, dass das Schlafzimmer meist füreine Ehepaar geplant wurde (z.B. mit Platzierung von Lichtschaltern

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neben einem Doppelbett), die Wohnung aber dann doch an einealleinstehende Person vermietet wurde.

6. Die Erschließung der Wohnung scheint eine besondere Heraus-forderung für die Planer zu sein: offener Laubengang, geschlossenerLaubengang oder doch Innenflur? Wir haben die Gestaltung derFlure bewerten lassen. Der offene Laubengang wird von älterenMenschen im Betreuten Wohnen häufiger negativ bewertet als eingebäudeinterner Mittelflur. Offene Laubengänge werden von Älterennicht selten als Gefahrenherde erlebt: Spritzwasser durch Nieder-schläge, Laub im Herbst, Regen, Schnee und gefrierendes Regen-wasser im Winter; auch ist der Wohnungszugang zu wenig vorFremden abgeschirmt. Das Sicherheitsrisiko des Laubengangsscheint höher zu sein als sein Nutzungswert.

7. Nun folgt ein ganz wichtiger Punkt: Wohnräume für Ältere müssenbis ins Detail durchdacht werden. Es kommt auch auf die vielen klein-räumlichen Wohnungsmerkmale an. Diese müssen mehr Beachtungbei der Planung und bei der Ausführung finden. Der Organismus imAlter ist störanfälliger als in jüngeren Jahren. Er reagiert empfind-licher, verletzbarer auf die kleinen Belastungen in der Wohnung,andererseits – und das ist die positive Wendung – sie sind auchsensitiver, ansprechbarer für günstige Wohnmerkmale. Die vielenkleinen Details in der Planung können in ihrer Summe zu einerentscheidenden Verbesserung des Wohnalltags im Alter beitragen.Ich nenne Beispiele:

• Eine Farbgestaltung sollte abgestimmt sein auf die Wahrneh-mungsfähigkeiten älterer Menschen. Deshalb müsste z.B. mehrauf Kontrastbildungen geachtet werden: Eine Säule, die imgleichen Farbton gehalten ist wie der Hintergrund, kann von Älte-ren schlechter wahrgenommen werden. Oder die Treppenstufen,die alle – also auch die erste und letzte Treppenstufe - dieidentische Farbe haben und optisch auch nicht vom Fußboden-belag abgesetzt sind, können sehbeeinträchtigten MenschenProbleme bereiten. Große Glas- oder Fensterflächen, so schönsie mir heute anmuten, können dysfunktional für ältere Menschensein, weil sie – wenn sie nicht optisch unterbrochen werden –vielleicht in ihren Abgrenzungen nicht richtig wahrgenommenwerden.

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• Denken Sie auch an die eingeschränkte Beweglichkeit der Arm-und Schultergelenke und an die nachlassende Muskelkraft imAlter. Solche Veränderungen müssten von Planern antizipiert wer-den: wenn man aus Kostengründen z.B. keinen elektrischen Roll-ladenöffner installieren möchte, so sollte man doch wenigstens füreinen Minimalbetrag Leerrohre, die bei Bedarf eine Nachrüstungermöglichen, vorsehen.

• Oder denken Sie doch mal an die Sitzhöhe der Toiletten: Werdendie Toiletten auf Standardhöhe (vom Installateur) platziert, dannsind sie in der Regel für ältere Menschen zwei bis drei Zentimeterzu tief angebracht. Den Älteren fällt es dann schwer aufzustehen.Das muss nicht sein.

• Oder denken Sie einmal an die Gängigkeit der Gebäudezugangs-und Zwischentüren: Diese Türen gehen manchmal sehr schwerauf. Wir haben in den Seniorenwohnanlagen, in welchen unsereProbanden wohnen, den Kraftaufwand gemessen, der nötig ist,um solche Türen zu öffnen. Ich war überrascht, dass die nötigeZugkraft manchmal bei 8 und 10 Kilopond lag! Wir konnten beieinigen Älteren dann ein spezifisches Bewegungsmuster beimZutritt bzw. beim Verlassen des Gebäudes beobachten, wie ich eseigentlich nur Kriminal- oder Spionagefilmen kenne: Man öffnetdie Türe nur einen Spalt weit und schiebt sich dann, weil mannicht genug Kraft hat, die Türe weiter zu öffnen, seitwärts durchden geöffneten Spalt. Das ist für mich ein klarer Planungs- undEinstellungsfehler.

• Oder denken Sie an die Platzierung von Fenstergriffen, besondersdes Küchenfensters. Das ist meist zu hoch angebracht.

• Nur 71% in unserer Stichprobe bewerten die Bedienbarkeit derRollläden als gut, 70,9% die Bedienbarkeit der Fenster. 70%bewerten das Haustürschloss als gut zu benutzen.

M.E. müsste es zum guten Ton bei Architekten gehören, selbst ein-mal in dem Gebäude, das man für Senioren geplant hat, „Probe zuwohnen“. Dann würde man vielleicht spüren, wo Planungsmängelliegen. Und wenn die Architekten beim Probe-Wohnen noch ihresensorische und körperliche Kompetenz einschränken, dadurch dasssie eine Klarsichtfolie auf die Brille kleben (oder eine Sonnenbrilleaufsetzen), Ohropax in die Ohren stopfen, die Fingerkuppenmit Tesafilm bekleben und mit elastischen Binden Knie- und

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Ellbogengelenke fest umwickeln, dann könnten die Planer vielleichtsogar ein wenig nachempfinden (oder vorausahnen), wie man sichals alter Mensch in diesem Gebäude (wohl- oder unwohl-) fühlt.

8. Wirtschaftlichkeit ist m.E. auch ein Gebot des Bauen und desBetriebs von Betreuten Wohnanlagen. Es geht darum, die Kosten fürdie Wohnungen vernünftig zu gestalten. Und zwar nicht nur dieInvestitionskosten, sondern auch die Betriebskosten, dies wirdmanchmal etwas vergessen. Wir haben bei älteren Menschen sehrgroße Einkommensunterschiede. Wir haben Sozialhilfeempfän-ger, wir haben aber auch – und das sind vor allem ältere Frauen –Personengruppen mit niedrigem Einkommen, die aus Scham keineSozialhilfe beantragen und trotzdem ein Minimaleinkommen haben.Andererseits haben wir natürlich auch Ältere, die gut betucht sindund eine Seniorenwohnung kaufen, ohne eine Hypothek aufnehmenzu müssen. Wir brauchen Wohnraum für unterschiedliche Einkom-mensgruppen, für unterschiedliche Wohnwünsche. Das heißt, unter-schiedlich große Wohnungen mit unterschiedlichen Komfort-Niveaus.

Zur Wirtschaftlichkeit gehört m.E. auch die Frage, ob die Betreu-ungsträger am Gewinn des Verkaufs von betreuten Wohnungen nichtbeteiligt sein müssten. Bauträger missbrauchen immer wieder – wie oft, das weiß ich nicht genau – Betreuungsträger für ihrMarketing. Sie können eine Eigentumswohnung mit dem Zusatz„Betreute (Senioren-) Wohnung“ in der Regel leichter verkaufen.Warum lassen sich manche Betreuungsträger so missbrauchen?Warum wird der Mehrwert des Bauträgers nicht etwas abgeschöpft,thesauriert z.B. in einen Fonds gesteckt, aus dem eine Sozialarbei-terin, die in der Seniorenwohnanlage tätig ist, bezahlt werden kann?Auf solche Ideen scheint man – wie die Liebenau-Stiftung beiRavensburg – bislang vor allem in Schwaben zu kommen.

9. Betreute Wohnanlagen sollten vor Bezug durch die Älteren mög-lichst fertig gestellt sein. Ich sagte schon, der geschwächte Orga-nismus ist anfällig für Kleinigkeiten. Die Bezugsfertigkeit eines Bausist ein recht variables Datum. Oft erfolgt der Einzug von Älteren zueinem Zeitpunkt, an dem (nicht nur) noch „Kleinigkeiten“ zu machensind. Für rüstige Erwachsene ist es kein Problem, beim Zugang zumWohngebäude über eine Baudiele zu laufen, aber für einen älterenMenschen kann daraus ein sehr großes Problem erwachsen. DasGangmuster im Alter ist störanfällig. Der Gang ist breitbeiniger, die

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Beine werden nicht mehr so gehoben, Ältere schaukeln mehr zurSeite beim Gehen, der Armeinsatz ist geringer usw. Das heißt, dieStolpergefahr bei älteren Menschen ist in der Regel viel größer alsbei jüngeren. Kleinigkeiten, kleine Unebenheiten, die stören, sindBarrieren, stellen ein Sicherheitsrisiko für den Lebensalltag im Alterdar. 64% unserer Probanden berichten, dass noch Bauarbeiten inihrer Wohnanlage nach ihrem Bezug auszuführen waren.

10. Man muss auch mehr auf die kleinen Mängel in der Bauaus-führung achten. Damit meine ich beispielsweise unsauber gearbei-tete Außenzugänge zur Haustüre. Da hat man einen Zugang, schönplan mit Betonplatten, Verbundsteinen, aber der Abschluss erfolgtdann aus Kostengründen durch ein Kopfsteinpflaster. Dies kann denGang eines älteren Bewohners irritieren. Oder der Zugangsweg istbei Erdbereichsarbeiten ungenügend verdichtet worden, sodass sichkleine Senkungen bilden können; ein Sammelbecken für Regen-wasser entsteht, im Winter kann dieses gefrieren. Das ist für mich einAusführungsfehler. Für rüstige Personen ist dies kein Problem, siemachen einen großen Schritt und sind über die Pfütze gegangen,auch über das Glatteis. Aber für ältere Menschen entsteht eineGefahrenquelle. Das müsste nicht sein. 44% unserer Probandenberichten zu T 2 noch von Mängeln in der Wohnung. Übrigens: DasNachbesserungsmanagement der Bauträger scheint sehr unter-schiedlich und nicht immer zufriedenstellend zu sein. Bei einigen istso etwas wie eine Immunisierungsstrategie beobachtbar: der Bau-träger nimmt die Planungsmängel zur Kenntnis, versichert derenNachbesserung, ohne dass dann aber die nächsten Monate über-haupt etwas geschieht.

11. Bauen für Ältere heißt auch, eine Entwicklungsperspektive zu be-rücksichtigen. Die älteren Menschen, die in die von uns untersuchtenBetreuten Wohnanlagen einzogen, sind in der Regel vorgeschädigt:80% haben dauerhafte Beschwerden, über 60% haben Bewegungs-beschwerden. Dieser eingeschränkte Gesundheitszustand ist abernur eine Momentaufnahme bei Einzug ins Betreute Wohnen. Die-ser Gesundheitszustand wird sich verändern, in der Regel wird erabnehmen. Bei einem Teil der Älteren sind demenzielle Verän-derungen zu erwarten. Prävalenzraten, die verschiedene epidemiolo-gische Studien fanden, deuten darauf hin, dass jeder dritte bis fünfteHoch- und Höchstbetagte, 85-, 90-, 95-Jährige mit demenziellenVeränderungen konfrontiert wird. Wir wissen auch um den weiteren

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körperlichen Abbau mit zunehmendem Alter. Das Problem ist, dass„Beton“ über Jahre, über Jahrzehnte fix ist, der Organismus sich aberverändert und dann möglicherweise Umweltanforderungen nichtmehr zusammen harmonieren mit den individuellen körperlichenKompetenzen. Was jetzt noch gut harmoniert, harmoniert dann nichtmehr. Solche Veränderungen der körperlichen und der geistigenKompetenzen sollte man bei der Planung von Betreuten Senioren-wohnanlagen mitbedenken und wenigstens teilweise antizipieren: ImHinblick auf demenzielle Veränderungen müsste man daran denken,einen Rauchmelder zu installieren. Wenn die Sehschwäche nach-lässt, helfen Treppenstufen, die kontrastreich voneinander abgesetztsind. Im Hinblick auf Bewegungseinschränkungen im Arm- undSchulterbereich sind – wie bereits gesagt – Leerrohre für die Nach-rüstung eines elektrischen Rollladenöffners wichtig. Also die Ent-wicklungsperspektive muss mitbedacht werden, wenn die BetreuteSeniorenwohnanlage auch noch in einigen Jahren für hochbetagteSenioren bewohnbar sein soll.

12. Mein letzter Punkt zur Architektur, meine letzte Anregung: Ichglaube, dass es möglich ist, vielleicht sogar notwendig ist, durch dieEinbeziehung von gerontologisch geschulten „Advokatenplanern“ diePlanung und den Bau Betreuter Seniorenwohnungen zu optimieren.Die Beteiligten, die Auftraggeber und die Bauherren, scheinen mirmanchmal überfordert. Sie scheinen nicht so sehr sachkundig zusein in Bezug auf die Wohngewohnheiten und Verhaltenskom-petenzen Älterer. Auch die beteiligten Architekten scheinen mirmanchmal zu wenig über die Wohngewohnheiten und Wohnwünscheund auch über Veränderungen in der körperlichen und psychischenRüstigkeit von Älteren zu wissen. Sie scheinen mir nicht immer dienötige Expertise im Hinblick auf seniorengerechtes Bauen zu haben;vielleicht sind sie beim Industriebau oder normalen Wohnbau her-vorragende Künstler oder gute Techniker, aber in Bezug auf dasseniorengerechte Bauen vermisse ich manchmal die Expertise. Die-se mangelnde Expertise könnte durch den Einbezug gerontologischgeschulter Advokatenplaner, die Kenntnisse haben, die Sensibilitäthaben, kompensiert werden. Der Entwurf des Architekten könnteoptimiert werden; (kleine) Planungsfehler können bereits im Pla-nungsstadium vermieden werden. Der Advokatenplaner liest die Pla-nung des Architekten „Korrektur“, d.h. er liefert eine nutzerorientierteEvaluation der Wohnung und des Wohngebäudes noch in der Pla-nungsphase, in der manches noch veränderbar und optimierbar ist.Es ist also eine pre-occupency-evaluation und nicht eine post-

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occupency-evaluation. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Zugang– der Einbezug eines Advokatenplaners, der die Entwurfspläne über-arbeitet und das Bauprojekt in seinen verschiedenen Phasen mit-begleitet - letztlich kostengünstiger ist, als manche Nachbesserungvon Planungsfehlern nach Fertigstellung der Wohnanlage.

3. Überlegungen zu Mindestanforderungen an die Betreuungs-realität

Ich möchte hierzu acht Aspekte nennen, einige von diesen impli-zieren eine Tätigkeitsbeschreibung für die Kontaktperson des Betreu-ungsdienstes. Für mich – ich sagte es schon – ist Betreutes Wohnenein joint venture von Architektur und sozialer Betreuung. BeideKomponenten müssen miteinander harmonieren, aufeinander abge-stimmt sein. Worauf müsste der Betreuungsträger achten?

1. Wichtig für den Betreuungsträger ist es, auch die Erwartungen derälteren Bewohner an das Betreute Wohnen kennenzulernen undeventuell zu modifizieren. Das Wortpaar „Betreutes Wohnen“ ist ver-führerisch. Es weckt unrealistische Erwartungen an Umfang undDauer der Betreuung, an Kontinuität und Sicherheit, wie dieseeigentlich nur im Heim möglich sind. Ältere Bewohner haben oftunklare Vorstellungen darüber, welche Wahl- und Grundleistungensie in der Wohnanlage erhalten können, welche Leistungen bereitsdurch eine Grundpauschale abgegolten sind und welche Leistungennoch extra zu bezahlen sind. Der Betreuungsvertrag – sofern er klarund verbraucherfreundlich gestaltet ist - mag solche Aspekte diffe-renziert aufführen, die kognitive Repräsentation des Betreuungsver-trages bei den Älteren jedoch ist selten so klar strukturiert. DieseErfahrung und auch die überzogenen Versprechungen der Anbieter,insbesondere einer Werbestrategie, welche das Betreute Wohnen als„Alternative zum Heim“ anpreist, führen oft zu Enttäuschungen beiÄlteren. Wenn die einmal gegebenen Informationen wieder verges-sen werden, dann wäre es eine Aufgabe des Betreuungsdienstes,immer wieder zu informieren und über seine Angebote aufzuklären.

Was sind die Erwartungen älterer Menschen ans Betreute Wohnen?Wir haben diese bei 173 älteren Personen, die in Betreute Wohnan-lagen einzogen, zum Zeitpunkt des Einzuges (vor oder unmittelbarnach Einzugstermin) erkundet. Die nachfolgende Abbildung zeigt die(aufgrund faktorenanalytischer Berechnungen gruppierten) Antwortender Probanden.

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Tabelle 1:

t1-Erwartungen beim Einzug ins Betreute Wohnen (N=173)

164 95,9%

159 92,4%

155 89,6%

154 89,0%

145 83,8%

147 87,0%

112 65,5%

138 80,7%

133 79,6%

123 73,2%

119 70,8%

107 64,8%

129 75,4%

120 69,8%

115 66,9%

107 62,2%

99 58,2%

93 53,8%

57 33,7%

51 29,7%

letzte Station in der Wohnbiographie:Soll der letzte Wohnungsumzug in meinem Leben sein

Privatheit bei Hilfe- und Pflegebedürftigkeit:Ich habe dann bei Pflegebedürftigkeit mein "eigenes Reich"Ermöglicht die selbständige Lebensführung auch bei Hilfe- undPflegebedürftigkeit

Absicherung für Not- und Bedarfslagen:Ich habe dann einen Krisennotruf rund um die UhrIch habe dann die Möglichkeit der Essensversorgung durch eineZentralküche

Sicherheit wie im Heim:Ich habe dann die Sicherheit wie im Heim, ohne in diesesumziehen zu müssenIch kann dann einen Heimeinzug hinauszögern

Versorgung wie im Pflegeheim:Ich bekomme dann auch bei dauerhafter schwererPflegebedürftigkeit HilfeIch kann dann Hilfe und Pflege rund um die Uhr erhaltenIch kann dann einen Heimeinzug vermeidenIch werde dann bis zum Tode versorgt und gepflegtIch werde dann auch bei Desorientierung und Verwirrtheit versorgt

Komfort und Begleitung im Wohnalltag:Ich habe dann eine komfortable WohnungIch bin dann nicht allein und einsamIch habe dann Angebote für die FreizeitIch habe dann Unterstützung bei der Kontaktaufnahme mitanderen BewohnernIch habe dann einen "Fürsprecher" im Kontakt mit Behörden oderder Krankenkasse

Praktische Alltagshilfe:Ich habe dann meine Ruhe und muss mich um gar nicht mehrkümmernIch habe dann mehr praktische Hilfe im Haushalt

Möglichkeit zum Engagement:Ich habe dann die Möglichkeit, im Haus aktiv zu werden und michzu engagieren

Anzahl %

Ja

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Sie sehen, dass diese Erwartungen sehr hoch gesteckt sind. 97%bejahen das Statement „der Einzug ins Betreute Wohnen soll derletzte Wohnungsumzug in meinem Leben sein“. 92% erwarten, beiPflegebedürftigkeit ihr eigenes Reich zu haben. Für 89% soll dasBetreute Wohnen auch bei Hilfe und Pflegebedürftigkeit eineselbstständige Lebensführung ermöglichen. 89% erwarten, danneinen Krisennotruf rund um die Uhr zu haben. 83% erwarten dieMöglichkeit der Essensversorgung durch eine Zentralküche. Nur 29%bejahen das Statement „ich habe dann die Möglichkeit, im Haus aktivzu werden und mich zu engagieren“.

Die Erwartungen ans Betreute Wohnen sind also sehr hoch gesteckt.Erste differentielle Auswertungen deuten darauf hin, dass in heim-bezogenen Wohnanlagen die Erwartungen noch höher gesteckt sind.Dort erwarten noch mehr Ältere die Möglichkeit der Essen-versorgung. Da erwarten noch mehr, dass sie im Betreuten Wohnenauch bei dauerhafter, schwerer Pflegebedürftigkeit Hilfe bekommenund bis zum Tode versorgt und gepflegt werden.

Was sind denn die Gründe für den Einzug ins Betreute Wohnen? Oftsind es mehrere Gründe, und es gibt Gründe, die im Vordergrund derEntscheidung standen und Gründe, die eher im Hintergrund waren.Wir haben uns nach spezifischen Gründen erkundigt und in einemweiteren Erhebungsschritt, die individuelle Wichtigkeit des Einzugs-grundes exploriert. Die nachfolgende Tabelle gibt Ihnen einen Ein-blick in die Motivstruktur der Älteren bei der Entscheidung für dasBetreute Wohnen.

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Tabelle 2:

t1-Motivstrukturen beim Einzug ins Betreute Wohnen (N=173)

150 86,7% hoch149 86,1% hoch

144 83,2% hoch

111 64,2% hoch

94 54,3% hoch

121 69,9% hoch

70 40,5% mittel

81 46,8% mittel

56 32,4% hoch

71 41,0% mittel22 12,7% mittel

66 38,2% hoch

56 32,4% hoch54 31,2% hoch31 18,2% hoch27 15,6% hoch

46 26,6% mittel24 13,9% mittel16 9,2% mittel

26 15,0% mittel

13 7,5% mittel

9 5,2% gering9 5,2% hoch

Krisenvorsorge:Im Notfall möchte ich Hilfe habenIm Pflegefall soll Betreuung zur Verfügung stehenIn unerwarteten Krisensituationen soll kurzfristig Hilfe verfügbarseinIch möchte an ein Notrufsystem angeschlossen seinIch hatte Angst, bewegunsunfähig in der eigenen Wohnung zuliegen und von niemandem bemerkt zu werden

Wunsch nach altersgerechter Wohnung:Gesundheitliche Gründe machen den Umzug in eine bequemereWohnung notwendigIch möchte eine schwellenfreie Wohnung haben

Alterswohnen als Daseinsthema:Ich habe mir schon früher Gedanken über das Wohnen im Altergemacht und mir vorgenommen, einmal umzuziehenIch habe schon länger nach einer bequemeren Wohnung gesucht

Mitmenschliche Nähe:Ich möchte mehr Kontakt zu Mitbewohnern habenDie bisherige Wohnumgebung ist mir zu unsicher

Räumliche Nähe zur Filialgeneration:Ich wollte in die Nähe von Angehörigen ziehen

Entlastung von häuslichen Pflichten:Die bisherige Wohnung ist zu großDie bisherige Wohnung macht beim Wohnungsputz zuviel ArbeitIch wollte im Winter nicht mehr Schnee schippenIch wollte keine Kehrwoche mehr machen

Widrige Wohnverhältnisse:Die bisherige Wohnung ist zu unbequemDie bisherige Wohnung ist zu schlecht ausgestattetDie bisherige Wohung hat nur Ofenheizung

Unzufriedenheit mit Wohnumgebung:Die bisherige Wohnung hat zu wenig Einkaufsmöglichkeiten,Ärzte, usw.Die bisherige Wohnung ist zu schlecht gelegen

Sonstige Gründe:Die Angehörigen haben das Haus übernommenDie bisherige Wohnung muß kurzfristig geräumt werden

Anzahl %

Ja

keit(Median)

Wichtig-

Die Erwartungen an das Betreute Wohnen sind sehr hoch gesteckt,dies kommt auch in den Einzugsgründen zum Ausdruck. Mit einersolchen Ausgangslage wird der Betreuungsdienst konfrontiert. DieÄlteren erwarten meist mehr als tatsächlich leistbar ist. Und damit esnicht zu Enttäuschungen kommt, müssten diese Erwartungenmodifiziert werden, vielleicht schon im Vorfeld durch entsprechendeAufklärung auch über die Grenzen des Betreuten Wohnens. Unsere

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Studie zeigt, dass vor dem Einzug in die Betreute Seniorenwohn-anlage nur 24,3% der Älteren Kontakt mit dem Betreuungsträgerhatten. Also ich sehe hier eine Bringschuld des Betreuungsträgers.

2. Aus meiner Sicht ist es auch wichtig, den Bewohner/ die Bewoh-nerin beim Einzug ins Betreute Wohnen „in Empfang zu nehmen“.Wenn Sie ins Hotel kommen, dann werden Sie dort begrüßt. Wirstellen immer wieder fest, dass ältere Menschen ins BetreuteWohnen einziehen und verwundert sind, dass erst mehrere Tage bismehrere Wochen vergehen müssen, bis jemand das erste Mal nachihnen sieht. Da mangelt es manchmal an der Abstimmung zwischenBauträger, Vermieter und Betreuungsdienst. Einzugstermine vonÄlteren werden nicht oder nicht fristgerecht übermittelt. Der Betreu-ungsträger wird dann nicht oder zu spät darüber informiert, dass einePerson neu einzieht.

Der Einzug ins Betreute Wohnen ist ein ganz wichtiges Ereignis imLeben der Älteren. Es ist nach unseren Befunden für die meistenÄlteren die hoffentlich letzte Wohnstation in der eigenen Wohn-biografie, und diesen Einzug gilt es zu begleiten. Ich sagte bereits,nur ein Viertel der Älteren hatte vor Einzug Kontakt mit dem Betreu-ungsträger. Wie ist es denn nach Einzug? 45% der Probandenberichten, dass der Betreuungsträger von sich aus in den ersten bei-den Tagen nach Einzug Kontakt aufgenommen hat. Bei 17% erfolgtedie erste Kontaktaufnahme des Betreuungsträgers einige Tage nachEinzug, bei 13% erst nach zwei Wochen und bei 11% erst 4 Wochennach Einzug. 3% der Älteren gaben (3 Monate nach Einzug) an, dasseine Kontaktaufnahme bislang nicht erfolgte und 9% konnten keineAngaben mehr darüber machen. Ich könnte mir eine bessereBegleitung, einen besseren Empfang der Älteren im Betreuten Woh-nen vorstellen.

3. Es ist wichtig, über die Funktionsweise des Notrufs und der Not-rufbenutzung regelmäßig zu informieren und diese regelmäßig einzu-üben. Das Erleben von Sicherheit ist im Alter zentral. Manchmalhaben Ältere sogar ein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis. Der Not-ruf ist ein wichtiger Teilaspekt der Lebenswirklichkeit im BetreutenWohnen. Wir können nicht davon ausgehen, dass die Älteren dieFunktion eines Notrufes kennen, wenn diese ihnen einmal beschrie-ben worden ist. Wir stellen immer wieder Unsicherheiten im Umgangmit dem Notruf fest, manche Ältere wissen nicht, wie der Notruf

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funktioniert. Das Notrufnutzungsverhalten müsste also in regel-mäßigen Abständen eingeübt werden. Man müsste den Notruf alsTest auslösen können, man müsste auch besichtigen, wo der Notrufeingeht, welche Personen diesen entgegen nehmen. Hilfreich wärevielleicht auch ein „Flyer“, der kurz darüber informiert „wie kann ichwo wen erreichen?“. Solche „Kleinigkeiten“ fördern das Sicherheits-erleben. Im Winter, zur kalten Jahreszeit, wenn man weniger Mög-lichkeiten hat, anderen Bewohnern „zufällig“ zu begegnen, scheinenhäufiger Kontakt-Notrufe vorzukommen.

48% unserer Stichprobe berichten bei der zweiten Erhebungswelledrei Monate nach Einzug, eine ausführliche Notrufeinführung be-kommen zu haben; 27% haben eine kurze und 24% haben (nacheigenem Bekunden) keine Notrufeinführung erhalten. 51% der Älte-ren haben den Notruf schon einmal versehentlich ausgelöst. Auchdies könnte ein Hinweis für Unsicherheiten im Umgang mit der Not-rufanlage sein.

4. Eine Aufgabe des Betreuungsträgers ist es auch, immer wieder(die Betonung liegt auf „immer wieder“) über die Betreuungsleistun-gen, sowohl über Leistungen als auch über die Kosten dieserLeistungen zu informieren. Wir haben verschiedene (insgesamt 32)Grund- und Wahlleistungen im Betreuten Wohnen aufgelistet undhaben die Älteren gefragt, ob diese Leistungen in der Grund-pauschale enthalten sind, ob diese extra kosten, ob diese nichterhältlich sind oder ob die Älteren darüber nicht Bescheid wissen.Auffällig ist der hohe Prozentsatz der „weiß-nicht“-Antworten. Diesdeutet auf eine Unsicherheit, auf einen Mangel der Informiertheit derÄlteren über die Betreuungs- und Pflegeangebote hin, sowohl überdie Grund- als auch die Wahlleistungen. Auch hier sehe ich dieAufgabe für den Betreuungsträger, besser zu informieren.

Wir haben zudem gefragt, ob diese (Grund- und Wahl-) Leistungenjetzt genutzt werden, ob die ältere Person diese zukünftig nutzenmöchte, ob sie diese auch zukünftig nicht nutzen möchte oder ob diePerson darüber keine Angaben machen kann. Hier ist der hoheAnteil der Nichtnutzer auffällig und der Personen, die sagen, auch inZukunft (spezifische) Betreuungs- und Pflegedienstleistungen nichtnutzen zu wollen. Könnte dieser Befund vielleicht bedeuten, dassmanche Dienstleistungen, die im Betreuten Wohnen angebotenwerden, gar nicht so gewünscht werden? Was wird aus einem Ange-bot, das nicht oder zu wenig die Erwartungen potenzieller Kunden

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trifft? Könnte man daraus folgern, dass das Konzept des BetreutenWohnens modifiziert werden müsste? Ich will mich zum jetzigenZeitpunkt hier noch nicht festlegen, weil wir noch keine differentiellenAuswertungen gemacht haben.

5. Es ist sehr wichtig, der sozialen Isolierung der Bewohner entgegenzu steuern durch die Förderung von sozialen Kontakten und den Auf-bau von Hilfenetzwerken. Soziale Kontakte sind für das Wohlbe-finden grundlegend. Die Bewohner im Betreuten Wohnen wohnen inder Regel alleine in der Wohnung. Wir können nicht davon aus-gehen, dass alle von ihnen ein funktionierendes, intaktes Hilfenetz-werk haben. Ein Drittel unserer T2-Stichprobe gibt an, keinen ande-ren Mitbewohner persönlich zu kennen. Es gilt, der Gefahr der sozia-len Isolierung und Vereinsamung entgegenzusteuern. Kontaktpoten-ziale, die vielleicht latent vorhanden sind, müssten noch mehr unter-stützt werden. Wir haben die Probanden gefragt, was sie denn bereitwären, mit einer Nachbarin oder einem Nachbarn zu tun. Wir wolltenwissen, wo Potenziale – „helping hands“ - vorhanden sind, die viel-leicht aktiviert werden könnten.

55% der Befragten wären bereit, gemeinsame Unternehmungen mitanderen Bewohnern im Betreuten Wohnen zu machen; 36% wärenbereit, persönliche Dinge mit den Mitbewohnern zu besprechen. 41%wären bereit, sich für einige Tage um die andere Person z.B. beivorübergehender Krankheit zu kümmern. 29% würden einen Mitbe-wohner oder eine Mitbewohnerin zum Arzt begleiten; 23% würdenbei praktischen Dingen im Haushalt helfen, 24% würden zusammenmit dem Anderen Einkaufen gehen, 21% würden Zusammenkünfteund Feste in der Wohnanlage mitorganisieren helfen, aber nur 2,7%wären bereit, hin und wieder gemeinsam zu kochen.

Zwischenfrage eines Teilnehmers:Sind das regelmäßige Aktivitäten gewesen, oder haben Sie gefragt:„nur ab und zu“? Das ab und zu zu machen, wären viele bereit, abersobald es eine Art Verpflichtung ist, hört die Bereitschaft auf.

Saup:Nein, wir haben drei Monate nach Einzug gefragt „wozu wären Siedenn bereit“, wir wollten Potenziale entdecken; bei der dritten Erhe-bungswelle (ein Jahr später) und bei der vierten Erhebungswelle(drei Jahre später) fragen wir dann „was haben Sie gemacht?“

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Ich glaube, Bereitschaften müssen geweckt werden, müssen beglei-tet werden, müssen unterstützt werden, damit sie zum Ausdruckkommen, damit sie manifest werden können. Und ich erwarte, dasssich im Verhalten der Älteren Unterschiede zeigen, auch deshalb,weil sich unsere Wohnanlagen hinsichtlich ihrer „kommunikativenArchitektur“ und hinsichtlich ihrer Betreuungsrealität (aber nicht in derBetreuungskonzeption) von einander unterscheiden.

6. Aus meiner Sicht ist es auch wichtig, für die sozialen Räumlich-keiten im Betreuten Wohnen „behavior-settings“, die Benutzungspro-gramme, mit zu planen, mit zu initiieren. Es geht darum, für dieCafeteria und andere Veranstaltungsräume Möglichkeiten der Be-gegnung zu schaffen. Der Architekt hat nur die „Hardware“ zurVerfügung gestellt. Oft bleiben aber diese Räume ungenutzt. Manmuss sich also „Möglichkeiten der Begegnung“ ausdenken. Was solldort geschehen? Soll der Raum zu Ostern, zu Weihnachten gemein-sam mit Bewohnern geschmückt werden? Sollen dort auch Veran-staltungen mit dem Pfarrer, mit Gemeinderäten, mit Vereinen, mitÄrzten, mit dem Heilpraktiker sein? Sollen dort Vorträge zu hörensein über „Gesundheit im Alter“, „Ernährung im Alter“, „Gestaltungeines Testaments“ usw.? Wohl müsste dort auch Kaffee und Kuchengeboten werden, zu sozial verträglichen Preisen.

Es geht auch darum, Sitzecken mit Leben zu füllen, denn die Sitz-ecken sind oft tot. Es geht darum, gemeinsam mit den Bewohnern(und da denke ich an die Betreuungskraft des Betreuungsträgers:Betreuung ist für mich soziale Alltagsbegleitung!) Sitzecken anzu-eignen, zu schmücken: Bewohner sollen sagen können „das istunsere Ecke“, „die gehört zu uns“; dort dürfen Zeitschriften ausliegen,dort dürfen Gesellschaftsspiele gemacht werden, dort kann auch ein„Probesitzen“ initiiert werden, dort kann ein Skat-Turnier, ein„Mensch-ärgere-dich-nicht“-Spiel, eine Vorleserunde stattfinden.Warum nicht?

7. Es geht auch darum, die Grenzen des Betreuten Wohnens anzu-sprechen und zu vermitteln. Wir haben bislang, glaube ich, noch zuwenig empirische Erfahrung über die Tragfähigkeit und die Grenzendes Betreuten Wohnens, abgesehen von Einzelfallschilderungen. Icherwarte, dass die Grenzen des Betreuten Wohnens bei Multimorbi-dität und Demenz erreicht sein werden. Der Betreuungsträger bzw.die Kontaktperson des Betreuungsträgers müsste diese Grenzen

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sensibel ansprechen, schrittweise ansprechen und auch einenUmzug in ein Pflegeheim als eine Möglichkeit für die Älteren erschei-nen lassen. Man kann diese Thematik nicht tabuisieren, die Bedro-hung durch den körperlich-seelischen Abbau erscheint mir bei Hoch-und Höchstbetagten real. Auf die Prävalenzraten für Demenz bei denHoch- und Höchstbetagten habe ich ja bereits hingewiesen. Dasdurchschnittliche Eintrittsalter der Älteren bei Einzug ins BetreuteWohnen liegt in den von uns untersuchten Anlagen bei 78 Jahren, esist also schon recht hoch.

8. Welche Rolle hat die Kontaktperson des Betreuungsträgers? Ausmeiner Sicht hat sie eine Schlüsselstellung für das Funktionieren desBetreuten Wohnens. Was müsste sie denn für ein Arbeitsverständnishaben? Ich favorisiere einen zugehenden Ansatz: nicht abwarten,nicht Bürodienst machen, nicht die Arbeitszeit auf den Vormittagbeschränken. Die Person müsste eine generelle Werthaltung denÄlteren gegenüber haben, die getragen ist von einer Wertschätzungfür die Älteren. Ich habe mir fünf Rollen ausgedacht, in denen ich mirso eine Dame vorstelle. (Ich denke tatsächlich immer an eine Dame,ich weiß auch nicht warum.)

Erstens, sie könnte eine „Empfangsdame“ sein - wie im Hotel - für dieNeuankömmlinge, die sie begrüßt, in Empfang nimmt. Zweitens, siekönnte eine „Moderatorin“ von zwischenmenschlichen Begegnungensein. Sie bringt Einzelne zusammen, initiiert Treffen, schlichtet Kon-flikte, stimuliert Gruppenprozesse (also sozial-kommunikative Kom-petenz wäre wichtig). Drittens, sie könnte „Konfidantin“ für einzelneBewohner sein, also eine Vertrauensperson für Einzelne, also aucheine Trostspenderin für die Wechselfälle des Lebens. Eine vierte Rol-le: Sie könnte „Pförtnerin“ für Informationen, auch für die Vermittlungvon Diensten sein. Und schließlich fünftens könnte sie eine„Organisatorin" für diverse Aktivitäten und Veranstaltungen sein. AlsoSie sehen, ich favorisiere eine Person mit guten kommunikativenFähigkeiten, also weniger eine Kraft, die ihre Kompetenz primär imPflegebereich hat.

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Diskussion

Joachimsthaler:Danke schön für Ihren interessanten und lebhaften Vortrag. Ichdenke, er hat uns allen auch viel Neues gebracht, und wenn Sie jetztFragen haben, dann gebe ich Ihnen noch Gelegenheit dazu.

Kremer-Preiß:Was mir noch ein bisschen gefehlt hat bei der Tätigkeitsbe-schreibung für die Betreuungsträger, war der Zugang zu den Ange-hörigen. Vielfach läuft ja der Kontakt, der Einstieg in die Einrichtungund auch, dass viele Bewohner dort längerfristig bleiben können, nur,wenn Angehörige mithelfen. Wie sieht das aus?

Engels:Ich habe zwei Fragen: Einmal die Frage bei der Auswahl der be-treuten Wohnungen, die Sie in die Untersuchung einbezogen haben.Wir haben ja gestern über verschiedene Formen gesprochen, auchüber die Form des Betreuten Wohnens in normalen Wohngebieten.Das haben Sie nicht einbezogen - haben Sie das bewusst nichtgemacht, weil Sie sagen, das ist einfach nicht vergleichbar, da sinddie Voraussetzungen zu unterschiedlich, oder hatte das eherpragmatische Gründe?

Meine zweite Frage: Wir haben immer das Problem, wenn Qualitäts-standards formuliert werden, dass wir auf der anderen Seite einegewisse Realität haben, mit der wir das vergleichen müssen. Da gibtes in gewissem Maße auch Veränderungsmöglichkeiten, aber diestoßen auch an ihre Grenzen. Was machen wir mit dieser Dis-krepanz? An einem Beispiel: Sie haben über die Wohnraumgrößegesagt, Einraumwohnungen sind „mega-out“, und die Bewohner sel-ber betrachten Wohnraumgrößen unter 40 qm als quasi indiskutabel.Wir haben uns gestern Wohnungen angesehen, Einraumwohnungenmit ca. 25 qm. Was sagen wir jetzt dazu? Sagen wir: Pech gehabt,wir haben etwas übernommen, was für Betreutes Wohnen nichtgeeignet ist – oder gibt es Anregungen, Empfehlungen, wie manauch hier mit einem Defizit so umgehen kann, dass man es aufirgendeine Weise kompensieren kann?

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Teilnehmer:Darf ich die Frage kurz ergänzen? Ich meine, die Wohnungsgrößehat natürlich auch etwas mit dem Endmietpreis zu tun, und wirbeobachten, dass die Wahl der Wohnung schlicht und einfach nichtnur nach ästhetischen, sondern auch finanziellen Gründen erfolgt.

Stollarz:Das KDA hat eine Broschüre über gemeinschaftliches Wohnenherausgegeben, und ein wichtiges Kernprinzip dieser Art von Wohn-formen ist die Selbstorganisation durch die Bewohner. Ich war selbsterstaunt, wie viel die selber machen können. Meine Frage: Bei allem,was Sie gesagt haben, waren eigentlich die Bewohner eine passiveMasse, die von irgendjemand gemanagt werden muss. Inwieweitspielt bei Ihren Überlegungen oder Untersuchungen auch die Frageeine Rolle: Was machen die Bewohner unter sich aus, was machendie selbst, was organisieren sie selbst in so einer Wohnform?

Teilnehmerin:Ich habe eine Frage zu dem „Advokatenplaner“, wie das mit Pla-nungshilfen ist, um im Vorfeld schon Fehler zu vermeiden, die hinter-her dann beim Bewohnen von diesen Betreuten WohnanlagenSchwierigkeiten machen. Wie schaffen Sie es, eine gelungeneZusammenarbeit hinzukriegen? Ich weiß nicht, ob sich der eine oderandere Architekt dabei aufs Füßchen getreten fühlt, wenn da nochjemand nachplant. Wie kann man da eine gelungene Zusammen-arbeit hinkriegen, ich denke auch zwischen Investoren und Maklern,wie kann man im Vorfeld solche Probleme schon einmal angehen?Da interessiert mich eine gute Zusammenarbeit, damit für alle Betei-ligten auch ein befriedigendes Ergebnis rauskommt.

Joachimsthaler:Danke für die Fragen. Jetzt bitte ich Professor Saup, die Fragen zubeantworten.

Saup:Was ich Ihnen heute präsentiert habe, war sozusagen eine Moment-aufnahme aus einer Forschungswerkstätte; ein Projekt, das läuft,worüber eigentlich noch nichts publiziert wurde. Einiges ist schonausgewertet, Vieles noch nicht. Aber wir wissen schon etwas über

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die Angehörigen, über ihr Engagement, darüber, was sie beimUmzug tun, und wir haben auch zu verschiedenen Erhebungszeit-punkten die Kontaktqualität und Intensität der Älteren zu den Ange-hörigen einschätzen lassen; aber ich kann heute die Daten nichtpräsentieren. Es ist mir klar, dass dies ein wichtiger Punkt ist.Angehörige spielen schon im Vorfeld, bei der Entscheidung für denUmzug und auch bei der Auswahl der Wohnanlage, eine zentraleRolle. Die Entscheidung wird - sofern Kinder vorhanden sind - immerim Familienkontext oder fast immer im Familienkontext fallen, das istso weit schon klar.

Die zweite Frage zur Auswahl der Betreuten Wohnanlagen: Mir gehtes nicht darum, repräsentatives Datenmaterial liefern zu wollen.Meine Absicht ist, sozusagen ein Feld, das in der Weise noch nichtbegangen worden ist, erstmals zu begehen und zu zeigen oderdarauf hinzuweisen, dass es wichtig ist, dieses Feld zu beschreiten.Wir wissen von Älteren im Betreuten Wohnen noch zu wenig, undwenn wir etwas wissen, so ist dieses Wissen meist retrospektivgeneriert, im Rückblick, und es ist auch meist dadurch eingeschränkt,dass die Rücklaufquoten oft nur bei 30% bis 40%, teilweise nochniedriger, liegen. Wir wollten mit unserer Studie bewusst einenanderen Weg gehen, einen prospektiven Weg, deswegen die Längs-schnittstudie. Wir begleiten den Lebensweg älterer Menschen imBetreuten Wohnen über einen längeren Zeitraum.

Die Auswahl der Wohnanlagen erfolgte nach pragmatischen Ge-sichtspunkten. Wir haben jene Wohnanlagen genommen, die bei Pla-nung und der ersten Phase unseres Projekts kurz vor der Bezugs-fertigkeit standen. Eine Wohnanlage ist leider bezogen worden,bevor ich in der Lage war, diese T1-Fragen für den Interviewleitfadenfertigzustellen, deswegen haben wir dort nur unsere Pretests durch-geführt. Und dann haben wir jede Wohnanlage in der RegionAugsburg genommen, die in den darauf folgenden eineinhalb Jahrenfertiggestellt wurde.

Die nächste Frage bezog sich auf den Wohnstandort und die Attrak-tivität der Wohnung. Mir ist natürlich klar, dass ich hier aus der Sichteines Westdeutschen und eines Süddeutschen referiert habe. Unddass sie hier in den neuen Bundesländern andere Bedingungen imBetreuten Wohnen haben, erkenne ich. Lassen sie mich die gestell-te Frage indirekt beantworten. Wir haben in einer Wohnanlage, einersolitären, kleinen Wohnanlage, die nur für einkommensschwacheältere Menschen ist (sie dürfen dort bestimmte Einkommensgrenzen

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nicht überschreiten) etwas zusätzlich untersucht. Wir kontrastierenunser Datenmaterial, das wir haben, mit einer Vergleichsgruppe.Diese Vergleichsgruppe wird im Rahmen einer Diplomarbeit unter-sucht, und zwar haben wir Ältere befragt, die sich für diese Wohn-anlage interessiert und angemeldet haben, aber sich dann von derAnmeldeliste haben streichen lassen. Wir wollten wissen, was dieAttraktivität des Betreuten Wohnens im Rahmen des sozialen Woh-nungsbaus ausmacht - für die, die eingezogen sind und für die, dieabsprangen. Bei der Entscheidung gegen das Betreute Wohnenkönnte auch die (kleine) Wohnungsgröße eine Rolle gespielt haben.Wir werden das bald wissen.

Zur Selbstorganisation: Man kann in einem Forschungsprojekt nichtalles untersuchen, und dies ist bislang nicht unsere Fragestellung,ich kann Ihnen dazu wenig sagen. Das Einzige, was ich jetzt hierhabe, sind diese Angaben zu den „helping hands“, zu den Potenzia-len. Vielleicht wird ihre Frage zu einer Fragestellung, die wir im Rah-men von einer qualitativen Beschreibung einzelner Wohnanlagen (imRahmen einer Diplomarbeit) beim vierten oder fünften Erhebungs-zeitpunkt aufgreifen. Es gibt ja viele interessante Fragen, die man ineiner Studie einfach ausblenden muss; unsere Probanden sollendurch die Interviewteilnahme ja nicht überstrapaziert werden. Wirhaben unseren empirischen Zugang pre-getestet und darauf hin sindeinige Fragen weggefallen, weil wir gemerkt haben, das Interviewdauert zu lange, überschreitet eine Stunde oder eineinhalb Stunden,das können wir nicht machen, sonst steigen uns die Leute beimnächsten Erhebungszeitpunkt aus. Man muss da immer einenBalanceakt wagen, und ich habe mich dafür entschieden, lieberweniger zu fragen und dafür die Stichprobe länger zusammen zuhalten, dann weiß man im Endeffekt mehr.

Die letzte Frage zum Advokatenplaner: Das Konzept als solches istja nicht neu, es stammt nicht von mir, sondern wurde in den 60er-Jahren im Rahmen von Stadtsanierungsmaßnahmen praktiziert.„Advocation planing“ in den USA und auch in Deutschland wardamals ein partizipatives Planungskonzept. Diese Grundidee habeich aufgegriffen und auf das Planen und Bauen für Senioren bezo-gen. Ob da Grundlagen vorliegen? Ja und nein, sie sind natürlichnicht so systematisch aufbereitet, dass ein Planer diese wie in einemHandbuch nachschlagen könnte. Mir persönlich war es wichtig, die-sen Ansatz erstmal empirisch zu testen. Erste Erfahrungen zeigen,dass durch Advokatenplanung die Qualität des Planungsprozessesund die Qualität der betreuten Seniorenwohnanlage deutlich zu

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steigern sind. Mir geht es nicht um post-occupency-evaluation - einPlanungsansatz, der von verschiedenen Kollegen vertreten wird,sondern mir geht es um die pre-occupency-evaluation, also um dienutzerorientierte Bewertung schon im Planungsstadium. Planungs-fehler zu vermeiden, ist meist preiswerter, als Planungsmängelspäter durch Umbau- und Nachbesserungsmaßnahmen am Gebäu-de beheben zu wollen. Ich glaube wirklich, dass man im Vorfeld einePlanung optimieren kann, davon bin ich mittlerweile 100%ig über-zeugt. Aber es gibt dabei Sensibilitäten zu beachten: Architektinnenscheinen weniger Berührungsängste zu haben als ihre männlichenKollegen, die sich manchmal durch die Mitwirkung eines Gerontolo-gen und Architekturpsychologen in ihrer Gestaltungsehre angegriffenfühlen. Mit meinen Optimierungsvorschlägen (die nicht selten auchEinsparungsmaßnahmen waren) habe ich bei Architekten manchmalmehr Widerstände erfahren. Planende Frauen scheinen für Anre-gungen aus anderen Professionen bislang mehr aufgeschlossen zusein.

Großhans:Mein Name ist Hartmut Großhans vom Gesamtbundesverband derWohnungswirtschaft, und diesen Job, den Sie in der Beratungmachen, den habe ich auch bei unseren Kollegen gemacht. Ich sagemal, 95% dessen, was Sie uns heute gesagt haben, hat nichts mitGeld zu tun, das kostet alles keine müde Mark mehr. Selbst wenn wirsagen, wir brauchen ein bisschen größere Wohnungen, ist zu über-legen, ob man den Grundriss besser, intelligenter organisiert - mitden Quadratmetern, die man hat. Wer nicht so viel Geld hat, kannsich auch auf einem kleinen Grundriss organisieren, wenn er gut ist.Alle anderen Dinge sind nur Fragen der Intelligenz. Wir haben zumBeispiel in Menden eine Einrichtung, in der wirklich ein Empfang wieim Hotel ist: Man kommt rein und hat das Gefühl, da wird manbedient.

Einen Punkt wollte ich noch erwähnen: Wenn wir sagen „die altenMenschen“ - Sie untersuchen jetzt welche, und die haben jetzt einbestimmtes Alter bis hochaltrig. Bitte haben Sie immer im Gedächt-nis: dies geht ab 65 Jahren. Und ein ganzer Katalog dessen, was indiesen beiden Tagen darüber gesagt worden ist, wie man michbetreuen wird, da kann ich natürlich nur trocken husten. Ich bin 65Jahre alt und habe gerade meine neue Wohnung altengerechteingerichtet, genau so, wie Sie es gesagt haben. Und da betrifft die-se „Angstphase“, über die Sie gesprochen haben, ob alles fertig ist,

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jemanden, der gerade frisch aus dem Beruf kommt, nicht so sehr:Wir hatten noch einen Monat die Handwerker in der Wohnung undkonnten „hinterher sein“ und sagen: Das wird runtergelegt, derSchalter kommt da hin, da muss noch ein bisschen geschlitzt werdenund alles dieses. Das heißt, beim Interpretieren von Daten müssenwir uns doch immer die Alterskohorte angucken, über die wir Aus-sagen machen. Ansonsten kann ich nur empfehlen: Sie müssenTraining machen bei unserem Wohnungsunternehmen!

Joachimsthaler:Und bei den Bauträgern.

Großhans:Über die Bauträger kann ich nichts sagen. Aber unsere Wohnungs-unternehmen vermieten langfristig Wohnungen und vermieten Woh-nungen mit „Service Plus“, damit sie sie ordentlich vermieten können- aus wirtschaftlichem Motiv. Aber es muss Inhouse-Seminare geben,da muss vom Chef bis zum Hausmeister trainiert werden.

Saup:Eine kurze Reaktion darauf. Mein Altersspektrum, an das ich denke,ist nicht so groß. Mich würde mit 65 Jahren keiner locken, insBetreute Wohnen zu ziehen. Auch die Werbung der Betreuten Wohn-anlagen mit den rüstigen Jungsenioren, die mit einem Partnerstrahlend auf einer Parkbank sitzen - das ist nicht die Zielgruppe desBetreuten Wohnens, die ich aus Bayern und Baden-Württemberg sokenne. Es mag sein, dass es auch dieses Service-Wohnen für dieRüstigen gibt. Aber darüber rede ich nicht; ich habe hier über Hoch-altrige geredet, ich sagte, das durchschnittliche Eintrittsalter ist 78Jahre; meist mit vorgeschädigtem Gesundheitszustand.

Großhans:Ich habe es nur deshalb gesagt, weil Sie ja auch geschaut haben,was passiert, wenn wir die Wohnung wollen. Ich bin Genossen-schaftsmitglied, also Mieter, und habe in meiner Wohnung trotzdemetwas verändert, weil ich es für sinnvoll halte. Ich will nur sagen: Ichbrauche jetzt noch keine Betreuung. Aber wir haben einen Wasch-tisch, den man unterrollen kann mit zwei Küchenelementen, dieeigentlich auf Rollen gesetzte Küchenschränke sind und die man

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rausrollen kann. Wir haben in meinem Arbeitszimmer ein Fenster miteiner Glasbrüstung, die so positioniert ist, dass da ein Pflegebettstehen kann, sodass ich, wenn ich da drin liege, in den grünen Hofgucken kann. Das heißt, auch wenn man selber noch das Gefühl hat,es sei weit weg, sollte man einfach überlegen, wie man, wenn man indas Alter kommt, von dem Sie sprechen, damit umgehen kann.Daran sollten wir mehr denken. Wenn wir es jetzt angehen, dannkostet es im Grunde wenig; nachher kostet es Geld.

Saup:Ja, da gebe ich Ihnen recht.

Joachimsthaler:Danke nochmal, Herr Professor Saup.

Wir möchten jetzt in die Arbeitsgruppen gehen. Sie können aus demProgramm entnehmen, welche Thematiken die Arbeitsgruppenhaben. Im Anschluss daran treffen wir uns wieder hier im Tagungs-raum.

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Berichte aus den Arbeitsgruppen

Joachimsthaler:Ich hoffe, Sie hatten alle anregende Diskussionen in Ihren Arbeits-gruppen. Ich möchte jetzt darum bitten, dass aus den Arbeitsgruppendie Zusammenfassungen gegeben werden.

Arbeitsgruppe 1: Marktchancen von Wohnangeboten mit Service(Engels)

Unsere Eingangsfrage war: Welche Erfahrungen gibt es aus anderenStädten, aus anderen Regionen? Es hat sich dann ein Erfahrungs-austausch angeschlossen, der sehr gemischt war. Es hat sich wohlauch in anderen Gruppen gezeigt, dass es ein großes Gesprächsbe-dürfnis gab. Von daher haben wir uns zu verschiedenen thema-tischen Schwerpunkten ausgetauscht, und nicht nur stringent eineFrage bearbeitet. Es hat sich aber schon heraus kristallisiert, was diezentralen Probleme waren. Zunächst ging es um eine Begriffs-klärung. Es gab nochmal das Bedürfnis, diesen Begriff des „Betreu-ten Wohnens“ bzw. des „Service-Wohnens“ genau abzugrenzengegen Zwischenformen. Es wurde berichtet – es gibt ja immer wiederdiesen Fall –, dass Wohnungsunternehmen ihren Leerstand so zubewältigen oder attraktiv zu machen versuchen, dass sie einfachjemanden einstellen oder in irgendeiner Weise ein Betreuungskon-zept anbieten, ohne dass dies wirklich ein durchdachtes Konzept vonBetreutem Wohnen wäre. Die Frage war: Was soll Betreutes Woh-nen bei „durchmischten“ Wohnungen oder Wohnanlagen heißen? Istdann die gesamte Wohnanlage „Betreutes Wohnen“ oder gilt das nurfür die, die einen Service-Vertrag haben? Es gibt da Grenzbereiche,wo unter dem Begriff „Wohnen Plus“ ein Wohnungsanbieter einenSozialarbeiter einstellt, der für alle Bewohner zuständig ist und nichtnur für Ältere. Wir haben dann gesagt, dass wir uns auf BetreutesWohnen für Ältere konzentrieren wollen.

Es wurde dann im weiteren Verlauf der Diskussion die Frage gestellt:Wie ist es speziell bei gemischten Wohnbeständen mit dem Ver-hältnis zwischen Jung und Alt? Es hat ja sicher auch bestimmteVorteile in der Bewohnerstruktur, wenn sie vermischt ist, und dannsähe es ja auch so aus, dass die Älteren einen Service-Vertragannehmen, während andere in der Wohnanlage oder in dem Gebäu-de wohnen, für die das nicht gilt. Es wurde dabei differenziertzwischen einem stärker betreuungsorientiertem Interesse von

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Hochaltrigen und stärker service-orientierten Interessen von jungenAlten. Als Vorteil wurde hier nochmals darauf hingewiesen, dass esgegenseitige Hilfepotenziale geben könnte, wenn Jung und Altzusammen wohnen. Speziell von Halle wurde berichtet, dass hier einProjekt geplant ist, wo in der unteren Ebene und im ErdgeschossSenioren einziehen sollen und in den oberen Etagen Studenten.Davon erhofft man sich einen solchen Austausch und auch eine z.T.eine ehrenamtliche Steigerung der Betreuungsqualität. Nur dieFragen: Wo gibt es schon Erfahrungen mit solchen Wohnformen?Wo ist so etwas schon über längere Zeit praktiziert worden? Wiesieht die Realität von solchen gemischten Projekten aus? – warenschwer zu beantworten. Es handelt sich dabei doch eher um Kon-zepte.

Dann kamen wir zu einem Punkt, der uns am längsten beschäftigthat – nämlich die Frage: Wie können wir Marktchancen beeinflussenund verbessern? Im Vordergrund stand die These „Marktchancenerfordern differenzierte Konzepte“, Konzepte, die auf unterschied-liche Interessen- und Bedürfnislagen sowie auch auf regionaleSpezifika hin differenziert sind. Als ein Beispiel wurde das hier inHalle schon zur Sprache gebrachte „Projekt im Projekt“, alsoBetreutes Wohnen für Demente innerhalb des Service-Wohnens,angesprochen. Das wäre ein spezifisches, auf bestimmte Zielgrup-pen zugeschnittenes Konzept. Es wurde weiterhin darauf verwiesen,dass solche Abstimmungen natürlich ein generelles Case-Manage-ment erfordern und eine genaue Abstimmung auf das Quartier, dieals wichtiger betrachtet wurde als die Planung im Vorhinein amgrünen Tisch. D.h. also, wir haben zwar auch viel über Qualitäts-normen und über Anforderungen gesprochen, aber mindestensgenau so wichtig ist es, sich von diesen Normen nicht bis zur letztenPlanung bestimmen zu lassen, sondern die Planung auf dieBedürfnisse vor Ort abzustimmen. Ein Vorschlag war, zwischen Nor-men und Zielen zu unterscheiden. Normen wären die Mindestan-forderung, über die wir auch bisher gesprochen haben; man sollteaber auch sagen können: Auch wenn die nicht erreichbar sind,wollen wir doch bestimmte Ziele verfolgen, die vielleicht mehr oderweniger oder auch nur zu einem geringen Teil erreicht werden. Aberwichtig wäre dabei vor allen Dingen die Abstimmung auf dieregionalen Bedingungen, auf die Interessenlage vor Ort.

An dieser Stelle wurde angemerkt, dass der Aspekt des „Normier-ten“, des Verallgemeinerten hier bei unserer Tagung zu sehr imVordergrund gestanden habe und dass man doch auch an konkreten

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Beispielen interessiert sei; auch daran interessiert, wo es dazu Infor-mationsmaterial gebe. Das KDA hat nochmal darauf hingewiesen,dass dort Literatur und auch Beispiele abgefragt werden können.

Ein Aspekt der Flexibilität ist auch die Frage nach „Markt“ und „Geld“.Ein Teilnehmer sagte: „Senioren, an die wir uns wenden, sind garnicht marktfähig, die haben gar nicht das Geld.“ Es wurde aber klar-gestellt „marktfähig“ heißt: für verschiedenartige Bedürfnisse undauch für unterschiedliche Geldbeutel passende Konzepte anzubie-ten. Dabei ging es also wieder um Flexibilität, im Hinblick auf Per-sonengruppen, auf regionale Erfordernisse, auf Siedlungserforder-nisse und auf andere regionalspezifische Faktoren. Vom Baulichenher wurde für Flexibilität als Beispiel ein so genanntes „Schaltzim-mer“ erwähnt. Wenn mal größere Wohnungen, mal kleinere Wohnun-gen gewünscht werden, dann gibt es dieses Modell, dass ein Schalt-zimmer dazwischen mal der einen Wohnung, mal der anderenzugeordnet werden kann – je nach Bedarf.

Arbeitsgruppe 2: Sind die Erfahrungen mit dem Service-Wohnen imfrüheren Bundesgebiet auf die neuen Länder über-tragbar? (Narten)

Wir haben erst einmal festgestellt, dass wir hauptsächlich Vorträgeaus dem Westen gehört haben; in unserer Arbeitsgruppe waren aberfast nur Teilnehmer aus den neuen Ländern. Deshalb kamen wirschnell zur Frage der Übertragbarkeit, und wir haben festgestellt:Eigentlich ist da relativ wenig übertragbar, weil hier auch im Wesent-lichen über neue Wohnanlagen berichtet worden ist. Wir waren unsziemlich schnell einig, dass neue Wohnanlagen im Osten eine vielgeringere Rolle spielen. Es wurde zwar gesagt, dass es auch hier eingewisses Klientel gibt, das für solche Wohnanlagen in Frage kommt,dass Anlagen aber hier nicht Fuß fassen konnten. Die bisherigeErfahrung zeigt, dass viele Wohnanlagen, die in dem Hochpreis-segment angesiedelt waren, sich - im Unterschied zum Westen -nicht etablieren konnten.

Es wurde das Modell „Schwäbisch Hall“ angesprochen, wo man sichin Genossenschaften zusammentut, um so eine Wohnanlage zurealisieren. Das wurde noch als einigermaßen realistisch angesehen,aber sonst ging man ganz schnell dazu über zu sagen: Wir habenhier eigentlich andere Probleme, wir haben hier eine andereWohnungsstruktur. Wir haben einen viel geringeren Anteil an

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Eigentum; wir haben einen viel größeren Stellenwert der Wohnungs-unternehmen; wir haben eben das typische Phänomen der Platten-bauten. Und hier muss angesetzt werden, d.h. wir müssen bei denWohnungsunternehmen und bei den bestehenden Siedlungen anset-zen, wir müssen diese weiterentwickeln. Dies heißt zunächst einmal,sie für Alte bewohnbar zu machen: Barrierefreiheit herstellen so weitwie möglich, und dann die Dienstleistung dazu bringen. Es warziemlich schnell klar, dass diese Dienstleistungen nicht allein auf dermonetären und professionellen Ebene erbracht werden können, weiles nicht bezahlbar ist. Das Beispiel, dass keiner so gerne mehr als20 DM für eine Haushaltshilfe zu zahlen bereit ist (auch i.d.R. imWesten nicht) wurde dann angeführt. Wir waren der Meinung, dassman zu anderen Konstrukten kommen muss, dass man eigentlichimmer einen gewissen Mix an Dienstleistungsangeboten bringenmuss. Das eine sind die wirklich professionell notwendigen Dienst-leistungen, die auch nur von Professionellen erbracht werden unddann auch entsprechend bezahlt werden müssen. Dann gibt es dieseeher halb-professionellen Dienste, die z.B. von Zivildienstleistendensowie von ABM-Kräften erbracht werden können. Und dann gibt esaber auch noch – ganz wichtig – die nicht so leicht abrechenbarenDienstleistungen, die sich eher im Nachbarschaftsverhältnisabspielen. Es ist wichtig, die Nachbarschaften zu fördern, um auchdiese Ebene mit abdecken zu können. Das führt uns automatischdazu, dass wir sagen müssen: Es ist ein Problem, wenn Platten-bauten zu Senioren-Wohnanlagen entwickelt werden, weil danngenau dieses Element der Nachbarschaftshilfe fehlen wird. Es wur-den eher Konzepte genannt, bei denen man gezielt den Einzugjunger Leute in diese Plattensiedlungen und auch in diese Hoch-häuser, die mit diesen kleinen Wohnungen ausgestattet sind, mitniedrigen Mieten fördert, um eine gewisse Bindung auch jungerLeute an das Quartier zu entwickeln. Auf diese Weise könnte maneine Mischung herstellen und fördern. Wir waren sehr unterschied-licher Meinung, wie erfolgreich solche Konzepte sind. Ob es sinnvollist, mit den Mieten so stark herunter zu gehen, ob dann nicht irgend-wann auch Grenzen für die Wohnungswirtschaft da sind, das wurdenatürlich kontrovers diskutiert. Ich denke, wir waren uns ziemlicheinig, dass nur in dieser Weiterentwicklung der bestehenden Siedlun-gen das Konzept für den Osten liegt.

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Arbeitsgruppe 3: Qualitätsanforderungen und Qualitätssicherung imService-Wohnen (Wiencke)

Meine Name ist Marco Wiencke von der KoordinierungsstelleHamburg. Ich habe die Arbeitsgruppe 3 moderiert. Es war eine sehrbunt besetzte und lebhafte Gruppe. Es war, vermutlich auch bedingtdurch den ganzen Input, den wir über die zwei Tagen bekommenhaben, ein großer Diskussionsbedarf vorhanden. Insofern waren dieFragen, die wir vorher erarbeitet hatten, auch nicht ganz stringenteinzuhalten - viele Dinge haben sich direkt aus der inhaltlichenDebatte ergeben.

Zum Thema „Wohnqualität“ – was gehört direkt zur Wohnqualität? –wurde ganz klar auf die baulichen Aspekte hingewiesen. Wir hattenauch eine Diskussion über das, was vorhin von Professor Saupangesprochen wurde, nämlich: Inwiefern sind diese DIN-Normeneigentlich sinnvoll oder auch nicht? Es wurde auch nochmal daraufhingewiesen, dass man in der jüngsten Vergangenheit geradeversucht hat, diese DIN-Normen auch tatsächlich durchzusetzen; unddass es insofern auch ein wenig kontraproduktiv ist, wenn in dieserPhase allzu sehr gegen solche Normen angebracht wird, weil z.B.diese Geschichte mit den Türgriffen auch nur eine Sache vonGewohnheiten ist, die auch – was auch die Erfahrung in vielenBereichen zeigt – ziemlich schnell von älteren Menschen umgestelltwerden können, sodass es häufig eher für Professionelle einProblem darstellt, aber nicht für die älteren Menschen, wenn derTürgriff auf einmal weiter unten ist als gewohnt.

Dann spielt natürlich das Wohnumfeld ein große Rolle. Für ältereMenschen, die nicht mehr so mobil sind wie ich es als junger Menschnoch sein kann, ist es natürlich vorrangig, dass sie die wichtigenDinge wie Geschäfte, U-Bahn- oder Busverbindung, auch in einemkurzen Radius erreichen.

Interessant wurde es bei der Frage: Welche Leistung sollte eigentlichangeboten werden? In dem Zusammenhang stellt sich immer dieFrage: Inwiefern kann man Leistung als Mindeststandard festlegen,wenn wir ein so großes Spektrum von verschiedenen Konzeptenhaben? Es wurde ganz deutlich bejaht, dass es dieses breiteSpektrum geben soll; dass wir ganz viele verschiedene ältere Men-schen mit unterschiedlichen Bedürfnissen haben und es von dahersinnvoll ist, diese verschiedenen Konzepte auch für die verschiede-nen Bedürfnisse vorzuhalten; dass man das nicht versucht

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einzuengen, indem man nur ein, zwei Konzepte in dem Zusam-menhang schafft. Es wurden aber trotzdem zwei, drei Dinge genannt,die doch für Betreutes oder Service-Wohnen ganz elementar sind:Zum Beispiel die regelmäßige Betreuung. Wir haben es für ganzelementar erachtet, dass Betreutes Wohnen in Abgrenzung zumWohnen in „normalen“ Wohnungen diese regelmäßige Betreuungvorhält, die schwieriger zu gewährleisten ist, wenn ein Hilfe- oderPflegebedarf z.B. durch eine Sozialstation abgedeckt wird. Und dassman diese Möglichkeit hat, die baulichen Voraussetzungen nach DIN18025 und DIN 18024 zu beurteilen, ist sicherlich auch ein Mindest-standard.

„Mitbestimmung und Mitgestaltung“ zu ermöglichen, sollte auch einMindeststandard im Betreuten Wohnen sein: Dass man eben nichtnur über die Bedürfnisse der älteren Menschen spricht, sondern dassman ihnen auch die Möglichkeit bietet, aktiv mit einzugreifen.

Zum Thema „Leistungsqualität“ kam ganz deutlich in dieser Gruppeheraus, dass es vor allen Dingen (auch das hat Professor Saupvorhin angedeutet) auch auf kommunikative Fähigkeiten der Men-schen, die die Betreuung im Betreuten Wohnen oder im Service-Wohnen organisieren, ankommt. Es war weniger wichtig, was der-jenige handwerklich kann, sondern dass auch eine Moderations-fähigkeit in dieser Einrichtung vorhanden ist.

Ich hatte noch zwei Fragen, zu denen wir aus zeitlichen Gründennicht mehr gekommen sind. Wir haben noch kurz über den Schutz-bedarf der Bewohner gesprochen. Welcher Schutzbedarf isteigentlich vorhanden? Und welche Konsequenzen – vielleicht auchrechtliche – sollten daraus entstehen? Dazu wurde auch gesagt,dass man bei dieser Frage die Vielfalt des Betreuten Wohnensberücksichtigen muss; und dass es von daher schwierig ist, grund-sätzlich zu sagen, Betreutes Wohnen sollte unter das Heimgesetzoder unter das Mietgesetz fallen. Man muss auch gucken, wieweitdie Betreuung jeweils geht. Es ist dementsprechend vielleichtsinnvoll, in einigen Häusern, die unter das Heimgesetz fallen, auchneue Regularien zu schaffen. Dabei kommt es vor allen Dingen auchauf eine interne Qualitätssicherung an. Es ist wichtig, dass es durchdie Einbeziehung der Bewohner/innen im Hause vielleicht gar nichterst so weit kommt, dass von außen rechtliche Bestimmungennotwendig werden, sondern dass die Häuser von allein in der Lagesind, dieses für sich wahrzunehmen und zu gestalten. Das wurdeaber auch in diesem Zusammenhang nicht abschließend diskutiert.

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Service-Wohnen: Bedarf und Marktchancen in den neuenBundesländern

Podiumsdiskussion

Teilnehmer/innen: Frau Dr. Theren (Sozialministerium Sachsen-Anhalt), Herr Professor Nentwig (Bauhaus-Universität Weimar),Herr Eisenberg (Projektentwickler), Herr Dr. Bartaune (HallescheWohnungsgesellschaft), Herr Eberhard (Stadtseniorenrat Halle)Moderation: Dr. Engels

Engels:Es ist ja immer die Frage, wie man eine solche Tagung, die vollerVorträge und Diskussionen steckt, geeignet zum Abschluss bringt -zu einem Abschluss, bei dem noch einmal verschiedene Aspekte zurSprache kommen, die seit gestern Mittag hier diskutiert wurden; eineDiskussion, bei der man auch nochmal Gelegenheit hat, zureflektieren und nochmal letzte Fragen zu stellen. Wir haben unsüberlegt, dass es eine geeignete Form eines solchen Abschlussessein kann, dass wir zu den verschiedenen Aspekten, die wir hierbesprochen haben, entsprechende Podiumsteilnehmer einladen.Zwar sind das z.T. Aspekte gewesen, die die Stadt Halle, diekonkrete Wohnsituation sowie die konkreten Projekte betreffen, diewir uns gestern angesehen haben. Es sind aber auch Fragen, diedas Land Sachsen-Anhalt insgesamt betreffen, oder noch weitergegangen: die Situation der neuen Bundesländer, die hier dochetwas anders gelagert ist, gerade wenn es um neue Modelle geht.Letztlich, bei dem Stichwort „Neue Modelle“, führt der Zusam-menhang in das Modellprogramm „Selbstständig Wohnen im Alter“,das wir hier insgesamt als Rahmen unserer Veranstaltung haben.

In solchen regionalen Schichtungen haben wir die Podiumsteil-nehmer ausgewählt. Ich will zunächst unsystematisch anfangen, diePodiumsteilnehmer vorzustellen: Frau Dr. Theren vom Sozial-ministerium Sachsen-Anhalt aus Magdeburg - vielen Dank, dass Siegekommen sind; zu meiner Rechten Herr Professor Nentwig von derBauhaus-Universität in Weimar; dann ganz rechts Herr Eisenberg,Projektentwickler und im Beirat unseres Modellprojekts. Und zur lin-ken Seite Herr Dr. Bartaune von der Halleschen Wohnungsgesell-schaft und Herr Eberhard vom Stadtseniorenrat Halle. Ich will jetztbei Ihnen, Herr Eberhard, mit meinen Fragen beginnen.

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Herr Eberhard, Sie sind stellvertretender Vorsitzender des Senioren-rats der Stadt Halle und zudem noch Leiter der Arbeitsgruppe„Wohnen im Alter“. Sie befassen sich in besonderer Weise mit diesenFragen, die uns ja auch hier beschäftigt haben. Sie waren sehrinteressiert dabei und haben überlegt: Was bedeutet das jetzt für unsSenioren? Wir haben auf der einen Seite interessante Modelle sowieinteressante Vorschläge. Wir haben viel über Qualität gesprochen.Wir haben auf der anderen Seite gesagt: Die Situation stellt sichvielleicht im konkreten Fall anders dar. Wie haben Sie das aus IhrerSicht wahrgenommen?

Eberhard:Zuerst herzlichen Dank an die Veranstalter, dass Sie den Seniorenrateingeladen haben – also konkret an Frau Joachimsthaler. Ich sagedas ganz bewusst, weil bei uns im Seniorenrat öfter auch dieBemerkung fällt: Es wird viel über Senioren diskutiert und wenig mitSenioren. Deshalb ist es ganz gut, wenn bei so einem Workshopauch die Vertreter der Senioren dabei sind.

Nun konkret zum Thema „Service-Wohnen als zukunftsorientiertesWohnkonzept“. Wir haben in Halle einige Möglichkeiten genutzt. DerStand ist so – gestern sagte das die Frau Bürgermeisterin –, dass wirungefähr 1.300 altengerechte Wohnungen anbieten können. Um daein bisschen Information unter die Senioren zu bringen, haben wirversucht, mit den kommunalen Wohnungsunternehmen sowie mitden Wohnungsgenossenschaften, Stadtseniorengespräche zu orga-nisieren, um erstmal die Fragestellung „Senioren-gerechtes Wohnen,Service-Wohnen“ bekannt zu machen, und wir haben auch Merk-blätter herausgebracht. Wir haben uns damit natürlich nichtakademisch beschäftigt, sondern ganz konkret und haben denSenioren mitgeteilt: In Halle gibt es die und die Wohnungen, mit denund den Preisen. Daraus ergibt sich schon ein Problem; gern habendie Anbieter das alles nicht genannt. Aber wir hatten z.B. bei denPauschalgebühren, die da zu zahlen sind, Differenzen zwischen 60,-DM und 290,- DM, bei etwa vergleichbaren Angeboten. Wir glauben,dass wir die Fragen, die hier gestern gestellt wurden, versuchthaben, auf lokaler Ebene dadurch zu lösen, dass wir erstmal denSenioren überhaupt die Information über das Angebot gegebenhaben. Das Problem, das von Herrn Professor Saup hier akademischgründlich und wissenschaftlich exakt dargestellt wurde, das habenwir in unseren Gesprächen auch schon längst erfahren. Die Seniorenmöchten insbesondere Sicherheit haben, und zwar Sicherheit vor

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zwei wesentlichen Einschränkungen im Alter. Das ist die immerweiter steigende „je-älter-ich-werde-Einsamkeit“ und die immer weitersteigende Gebrechlichkeit – also Krankheit bis Altersverwirrtheit. D.h.die Erwartung ist, dass Betreutes Wohnen mehr Sicherheit –besonders für diese beiden Gebiete – bringt; von daher auch derAnsturm auf solche Angebote. In aller Deutlichkeit möchte ichnochmal sagen: Ganz schnell verfügt sind die Wohnungen, die wiranbieten, die gefördert sind und die zu 9 DM-Mietpreisen angebotenwerden (wer einen Wohnberechtigungsschein hat, bekommt einesolche Wohnung). Schon schwieriger wird es bei Mieten, die 13 DM,14 DM und 15 DM betragen, aber auch diese Wohnungen sind i.d.R.immer noch besetzt. Die Frage ist: Ist Service-Wohnen ein zukunfts-orientiertes Wohnprojekt? Ich glaube, dass Service-Wohnen Zukunfthat, aber begrenzt. Es ist ein Segment im großen Angebot derWohnungen. Nicht alle 60.000 Senioren von Halle werden in Service-Wohnungen oder Betreutes Wohnen ziehen. Aus den Erfahrungen,die wir in Gesprächen gewonnen haben, ist das Maximum beimAngebot auf dem Wohnungsmarkt auf diesem Sektor höchstens 10%- und das, meine ich, ist schon hoch. Aber das sind keinewissenschaftlichen Angaben, sondern Erfahrungen.

Engels:Die letzte Schätzung, dass für 10% der Senioren ein Wohnen mitService in Frage käme, ist sehr hoch - wir sprachen gestern überSchätzungen von 0,4% bis 2% der Senioren. Es ist auch gar nicht sogemeint, dass es ein Regelangebot oder das Standardangebot füreine möglichst große Gruppe sein soll, sondern es ist die Frage, fürwen es genau passt.

Eberhard:Mit dem Marktpotenzial von 10% sind nicht nur Betreuungsangebotegemeint, die vor allen Dingen für Hochbetagte in Frage kommen,sondern wir meinen damit alle Angebote von altengerechten Woh-nungen, auch die, die die Möglichkeit der Service-Leistung nichtunbedingt integriert haben, aber möglich machen. Wir meinen dasetwas breiter, um dies klar zu stellen.

Engels:Vielen Dank für diese Klarstellung. Ich finde es auch sehr interes-sant, dass Sie für Halle eine Übersicht erstellt haben und damit die

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„Markttransparenz“ – die ja immer gefordert wird – verbessert haben.Das ist eine sehr wertvolle Arbeit; umso wertvoller, als es ja aus derSicht der Wohnungsgesellschaften zunächst darum geht, einProblem zu lösen – nämlich das Problem, dass man z.T. großeBestände von leer stehenden Wohnungen hat. Man fragt sich: Wiekönnen wir die attraktiver machen? Es wird dann in Zusammenarbeitmit einem Betreuungsträger versucht, diese Wohnungen durch einService-Angebot zu verbessern. Da ist es natürlich gut, wenn maneinen genauen Überblick hat, welche Angebote mit welcher Qualitätes gibt.

Herr Dr. Bartaune. Sie sind von der Halleschen Wohnungsgesell-schaft und arbeiten mit dem Senioren-Kreativ-Verein in dem Wohn-projekt zusammen, das wir gestern besucht haben. Könnten Sie kurzdarstellen, welchen Stellenwert es für Sie hat, dass eine solcheKooperation möglich ist – dass ein solcher Betreuungsträger über-haupt auf dem Plan ist, an den Sie sich wenden können?

Bartaune:Zu Ihrer Frage: Natürlich gibt es betriebswirtschaftliches Interesse.Die Senioren sind für uns ein interessanter Kundenkreis. Wir meinen,durch das Anbieten spezieller Dienstleistungen Kunden in unserUnternehmen locken zu können – und Kunden in unserem Unterneh-men halten zu können. Das ist ein ganz offenes wirtschaftlichesInteresse, das da vorliegt.

Ein zweiter Punkt, den ich nennen möchte: Wir sind ein kommunalesUnternehmen und haben von daher natürlich auch eine bestimmteVerantwortung zu übernehmen, die unser Gesellschafter von unsverlangt. Von daher sehen wir auch unsere Verantwortung darin,soziale Hilfe zu leisten – an den verschiedensten Fronten. Dass wirden Senioren-Kreativ-Verein für unsere drei Objekte gefundenhaben, ist ein glückliches Zusammentreffen. Die Zusammenarbeit istsehr gut und wir können über diese Wohnungen, die wir dort anbie-ten, unseren älteren Mitbürgern ein vernünftiges und würdevollesLeben garantieren. Von daher haben wir einen guten Ansatzpunktgefunden, von dem aus wir die Zusammenarbeit auch weiterorganisieren werden.

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Engels:Eine Rückfrage noch dazu: Sie haben von der sozialen Verant-wortung gesprochen, die Sie als kommunales Unternehmen haben.Natürlich spielt auch Geld eine Rolle. Heute Morgen kam in derDiskussion die Idee auf: Warum kann man eigentlich für diesenQualitätszuwachs, den der Betreuungsträger dem Wohnungseigen-tümer liefert, nicht auch ein entsprechendes finanzielles Entgegen-kommen erwarten? Es wurde von einem konkreten Beispiel berichtet,wo für diese Kombination von Wohnung und Betreuung/Service eineSozialarbeiterstelle von der Wohnungsgesellschaft übernommenwurde. Es gäbe verschiedene Modelle, die vielleicht auch in anderenKontexten entstehen, aber wie sehen Sie da die Kooperationsmög-lichkeit? Wie dicht ist hier in Halle die Kooperation zwischen Woh-nungsgesellschaft und Betreuungsträger, und wie weit geht gegen-wärtig das Entgegenkommen? Man hat ja auch was voneinander.

Bartaune:Das ist zwischen SKV und HWG ganz konkret geregelt. Wir leisteneinen Zuschuss für dieses Projekt, ich habe einen Flyer mitgebracht,in dem wir Zahlen zu unserem Zuschuss, den wir zurzeit leisten,nennen. Wir meinen, dass das vernünftig und richtig ist, hier diefinanzielle Unterstützung zu leisten, weil das spezifische Wissendoch eher bei dem Träger dieser Sozialmaßnahme zu finden ist. Wirunterstützen also den SKV im konkreten Beispiel über die dreiObjekte mit etwa 0,35 DM je qm – also wir leisten auch finanzielletwas.

Engels:Danke für Ihre Offenheit, für uns ist dies sehr interessant, damit wirauch für andere Modelle Vergleichsmöglichkeiten haben, wie so eineKooperation eben auch finanziell läuft.

Wenn wir jetzt über Halle hinausgehen und das Land Sachsen-Anhalt insgesamt betrachten, dann beschränkt sich unsere Frage-stellung natürlich nicht nur auf das Geld. Das haben wir aber auch imBlick. Welchen Stellenwert hat das Betreute Wohnen bzw. dasService-Wohnen in der Senioren-Politik des Landes? Und welchekonkreten Fördermöglichkeiten haben Sie da vorgesehen, Frau Dr.Theren?

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Theren:Natürlich wird das Land immer mit Geld verbunden. Als Vertreterindes Sozialministeriums muss ich aber sagen: Wir sind nicht primärfür Wohnungsbau zuständig, deswegen laufen auch die Förderpro-gramme des Landes im Bauministerium. Da gibt es noch eine ganzeMenge: Es wurden sogar Programme zur Neuschaffung vonaltengerechten Wohnungen gefördert; wobei aber in der letzten Zeitvor allen Dingen auch Wohnraumanpassung gefördert wurde. Sicherein sehr wichtiger Punkt, wenn auch nur im begrenzten Maßegenutzt, sind die Leerstand-Programme: Förderprogramme auf10.000 DM pro Einheit bei Neubau von Eigenheimen. Da hat manauch versucht, das Altern auch gleich bei den jungen Leuten, diebauen, perspektivisch einzubinden.

Wenn Sie sagen „Betreutes Wohnen“, das ist etwas, wo wir fachlichimmer so leichte Bauchschmerzen haben, das möchte ich auch garnicht verhehlen; der Begriff gefällt uns überhaupt nicht. Denn es istein Begriff aus der Behindertenhilfe, und da sehen wir natürlich, auchaus fachlicher Sicht, nun nicht so unbedingt die Verknüpfung zurSenioren-Politik – zumal ja auch das Klientel, an das sich dieseAngebote richtet, mit Behinderten nun gar nichts zu tun hat. Auchwegen der rechtlich erforderlichen Trennung bevorzugen wir, dass esbaulich und von der technischen Ausstattung her „altengerechtesWohnen“ ist, das durch die Möglichkeit ambulanter Dienste odersonstiger Betreuungsangebote ergänzt werden kann.

Gestern ist die Frage angesprochen worden, inwieweit auch dasBetreute Wohnen unter das Heimgesetz fällt, dazu gab es ja inanderen Ländern schon einige Verfahren und auch Beschlussvor-lagen von Oberverwaltungsgerichten. Das Betreute Wohnen bzw.das altengerechte Wohnen mit ambulanten Diensten fällt natürlichnicht darunter. Aber es ist nochmal klargestellt worden, dass eineVerkoppelung von Wohnen (wofür das Mietrecht zuständig ist) mitder Pflege, die dem Bewohner kein Wahlrecht überlässt, sichirgendeinen ambulanten Dienst beispielsweise aus Halle zu wählen,unter das Heimgesetz fällt. Es gibt ein drittes Änderungsgesetz zumHeimgesetz, was jetzt im Herbst in die Ausschüsse kommen soll.Darin ist durchaus sehr eindeutig formuliert, dass die Koppelung derVermietung mit der Sicherstellung von Pflege oder sonstigen Ange-boten dem Heimgesetz unterliegt – ich denke, dass dies eine sehrsinnvolle Klarstellung ist. Eine Vielzahl von Angeboten entsprichtdiesen Voraussetzungen nicht bzw. ist dann ein „Heim“ – mit allem,was sich dann daraus an rechtlichen Konsequenzen ergibt. Wir

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haben im Rahmen der Pflegestruktur-Planung ja darauf hingewirkt,dass überall, wo neue Pflegeheime im Rahmen von Artikel 52Pflegeversicherungsgesetz aufgebaut wurden, dieses Programm fürdie neuen Bundesländer errichtet wurde. Es ist auch von den Kreisenüberwiegend in Anspruch genommen worden, Betreutes Wohnenbzw. altengerechtes Wohnen immer mit entsprechenden Nutzungs-möglichkeiten zu errichten. Zu der Inanspruchnahme können wireigentlich auch nur sagen: Es boomt wie verrückt. Der soziale Woh-nungsbau ist ein Punkt. Man sollte das allerdings auch nichtüberschätzen, denn gerade wenn noch zwei Rentner vorhandensind, also ein Ehepaar, dann wird die Schwelle zur Berechtigung fürsozialen Wohnungsbau von der Rentenhöhe schnell überschritten.Ich würde auch sagen: Wir haben den Eindruck, dass 13 DM bis 15DM an der Schmerzgrenze liegen, aber durchaus noch sehr gutgehen. Das ist ein Preis, der durchaus hier im Land Sachsen-Anhaltakzeptiert wird. Da haben wir den Eindruck, was auch heute in derArbeitsgemeinschaft 2 gesagt wurde, dass natürlich insofern dieModelle der alten Länder nicht übertragbar sind. Wir haben oftermüdende Gespräche im Ministerium, wenn Investoren kommen,die irgendwelche tollen Senioren-Residenzen fabrizieren wollen undwir sagen: Das wird wohl kaum laufen. In Magdeburg haben wir soeine Einrichtung: Die läuft nicht und ist wirklich überzogen teuer.

Das ist die Sichtweise des Landes. Wie gesagt, wir haben auchweiter die Programme über den Wohnungsbau und versuchen, dasaus dem Sozialministerium heraus ideell zu begleiten.

Engels:Vielen Dank. Auch hier noch eine Rückfrage: Sie hatten eben dieseDiskussion „Heimgesetz oder nicht“ angesprochen. Ich habe denEindruck, dass diese Diskussion nur zu verstehen ist vor demHintergrund der Unsicherheit beim Service-Wohnen, dass es sogroße Qualitätsunterschiede gibt und dass die Meinung vertretenwird: Hier gibt es ein Schutzbedürfnis für die Bewohner. Ein Schutz-bedürfnis, das schon bei der Vertragsgestaltung anfängt, die manch-mal sehr intransparent ist, und hinreicht bis zu der Leistungsqualität.Vielleicht ist es nur eine Verlegenheitslösung, wenn man Zufluchtbeim Heimgesetz sucht. Wie sehen Sie dieses Schutzbedürfnis, undwelche anderen rechtlichen Möglichkeiten gäbe es, um hier mehrKlarheit und Transparenz hineinzubringen?

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Theren:So würde ich das eigentlich nicht sehen. Man muss jetzt mal zweiverschiedene Dinge auseinander halten: Das Schutzbedürfnisentsteht nach Vorstellung des Gesetzgebers dann, wenn der alteMensch eigentlich alle existenziellen Lebensbedürfnisse aus derHand gibt, nämlich: Bestimmung von Wohnraum, Bestimmung vonUnterkunft, Verpflegung und Pflege. Dieses ist – und das ist ja auchder Grund, warum das Heimgesetz mal geschaffen wurde – dann derFall, wenn eine vollstationäre Form vorliegt, denn dann hat derMensch tatsächlich auch durch diese komplexe vertraglicheGestaltung keinen Dispositionsraum. Man hat das – und das isteigentlich schon die Abgrenzung – nur klarstellen wollen, weil einigeAnbieter versucht haben, diesen Schutz des Heimgesetzes mitdieser totalen Aufgabe der Bestimmungsmöglichkeiten dieser ver-schiedenen Lebensbereiche zu unterlaufen, indem man es andersbenannt hat. D.h. wenn ich kein Wahlrecht mehr habe, wenn mirbeispielsweise etwas in der Pflege nicht gefällt, dann kann ich mirnicht einfach einen anderen Dienst holen, weil das in dem sog.„Service-Vertrag“ nicht möglich ist. Dann bin ich in der rechtlichgeknebelten Situation wie im Heim – und das ist das Schutz-bedürfnis. Ich weiß nicht, und ich meine (das ist immer eineideologische Frage: einerseits Selbstbestimmtheit im Alter, anderer-seits Kontrolle), es würde sonst auch niemand auf die Idee kommen,zu sagen: Wenn jemand eine Wohnung sucht, hat er ein spezielles„Schutzbedürfnis“. Es gibt natürlich auch dort Schutzinstanzen (wiez.B. den Mieterschutzbund usw.), und ich denke, das ist etwas, wasältere Bürger auch in Anspruch nehmen können. Ein anderer Aspekt,aber das betrifft dann nicht mehr den vollstationären Bereich, ist dieFrage: Wie kontrolliere ich ambulante Dienste? Wenn entsprechenddieser Klarstellung des Heimgesetzes das altengerechte Wohnen mitambulanten Diensten oder Service-Wohnen sich darauf beschränkt,dass es nur die bauliche Möglichkeit für so einen ambulanten Dienstermöglicht, dann reicht dieser Schutz – so wie er jetzt gesetzlichverankert ist – eigentlich schon aus. Hier sollte dem Missbrauchentgegengewirkt werden, wo sich Träger anders bezeichnet habenund versucht haben, durch eine Vertragsaufsplittung eines eigentlichzusammengehörenden Komplexes das Heimgesetz zu unterlaufen;das soll unterbunden werden.

Engels:Sie haben mit der „Übertragbarkeit der Konzepte“, die doch maßgeb-lich auf Erfahrungen aus den westlichen Ländern beruhen, hier auf

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die Situation in den neuen Ländern ein Stichwort angesprochen, dasuns auch während der ganzen Tagung beschäftigt hat (heute nocheinmal speziell in einer Arbeitsgruppe). Ich möchte Sie, HerrProfessor Nentwig, nun bitten, aus Ihrer Sicht und aus Ihrer Erfah-rung etwas zu dieser Frage zu sagen. Herr Professor Nentwigbeschäftigt sich seit einiger Zeit in einer Arbeitsgruppe mit derWohnsituation der Senioren in den neuen Ländern und mit neuenWohnkonzepten unter architektonischen, sozialen und ökologischenGesichtspunkten.

Nentwig:Erstmal muss man dazu sagen, dass es eine Differenzierung gibtzwischen den Gemeinden und den größeren Städten, oder wennman es noch genauer betrachtet: zwischen den Sozialhilfeträgernund Nicht-Sozialhilfeträgern. Wir haben gerade einen Wettbewerb„Senioren-freundliche Kommune in Thüringen“ durchgeführt. Da hatman ganz deutlich gesehen, dass auch kleine Gemeinden sehr guteArbeit leisten können, dass sie sehr gut verschiedene Träger undInteressengruppen an einen Tisch bringen können, ohne dass esinstitutionell in irgendeiner Art und Weise getragen wird – währenddie größeren Städte natürlich andere Möglichkeiten haben.

Um noch mal auf die Problematik der Dienste zurückzukommen:Natürlich gibt es hier strukturelle Probleme, was die Plattenbautenangeht. Wir haben bei uns eine Forschungsarbeit laufen über „NeuesWohnen für ostdeutsche Senioren“, die sich mit diesen unterschied-lichen Aspekten beschäftigt. Man kann sagen, dass „die Platte“besser ist als ihr Ruf. Viele Menschen wohnen noch ganz gerne darinund wollen dort auch wohnen bleiben. Sie nehmen dann natürlichgerne Dienste in Anspruch, wenn sie die Wahlfreiheit haben – das istja heute schon mehrfach gesagt worden, es muss also ganz klardifferenziert werden: Man möchte die Sicherheit haben, etwas inAnspruch nehmen zu können, aber nicht zu müssen (genau somöchte man, wenn man ein Auto kauft, vielleicht einen Airbag drinhaben oder auch nicht).

Vor diesem Hintergrund möchte ich gleich überleiten zu einem etwasspezielleren Thema. Die Dienste an sich, die hier angeboten werdenund die auch hier diskutiert werden, sind ja in vielerlei Hinsicht garnicht an das Älter-Sein gebunden, sondern sind auch für Jüngereakzeptabel, und das kann ein Vermarktungsinstrument der Woh-nungswirtschaft sein, um Junge und Ältere zusammenzubringen;

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wenn z.B. bauliche Voraussetzungen vorhanden sind, wenn Notruf-systeme installiert werden, über die dann z.B. auch Kommunikationlaufen, über die evtl. andere Dienstleister abgefordert werdenkönnen. Da gibt es eine ganze Reihe von Beispielen, wie so etwasfunktionieren kann.

Engels:Wir kommen jetzt zu der bundesweiten Ebene, aber nicht in Formeines Repräsentanten der Bundesregierung, sondern in der Formeines langjährigen Experten. Herr Eisenberg, Projektentwickler, warfrüher in verschiedenen Ministerien bzw. Stadtverwaltungen tätig undist schon seit Jahren mit der Entwicklung passender Konzepte imBehindertenbereich und jetzt auch im Seniorenbereich befasst. HerrEisenberg hat außerdem die Diskussion und die Entwicklung diesesProjektes „Selbstbestimmt Wohnen im Alter“ als Beiratsmitglied mit-verfolgt. Ich möchte Sie fragen: Welche Schlussfolgerungen würdenSie aus diesen verschiedenen Aspekten ziehen, die wir hier diskutierthaben? Was gibt es Ihrer Meinung nach primär zu klären, und wokann man mit weiter führenden Konzepten ansetzen?

Eisenberg:Ich denke, wenn wir an das Thema „Lebensräume für ältere Men-schen“ herangehen wollen, ist die Hauptschwierigkeit, dass wir eshier mit verschiedenen Ebenen zu tun haben, die sehr gerne unterdem Aspekt „Betreutes Wohnen“ miteinander vermischt werden.Zunächst ist es ganz wichtig, dass sich die Frage des Wohnens, soweit ich nicht selbst Eigentümer bin, an die Wohnungsbaugesell-schaften richtet. Die Wohnungsbaugesellschaften sind nicht nurMarktanbieter, sondern sind gerade im kommunalen Bereich auch inihrer Verantwortung für das Wohnen gefordert, mit ihrer Kompetenzan die Sache heranzugehen. Ich habe vielfach bei der Umstrukturie-rung von Heimen in andere Wohnformen erlebt, dass sich Träger derWohlfahrtspflege plötzlich auch als Wohnbauträger kompetentsahen. Dabei haben auch die Vertreter aus Ministerien immer wiedergewarnt und gesagt: Habt ihr überhaupt die Kompetenz, im Bereichder Wohnungswirtschaft tätig zu werden? Ich denke, es ist ganzwichtig, dass man nicht auf dem falschen Klavier spielt.

Die zweite Sache ist immer wieder eine Gefahr, auch hier bei derTagung. Wenn ich vom „Betreuten Wohnen“ spreche, gehe ich vonder Frage aus: Welche Hilfestellung brauchen ältere Menschen im

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zunehmenden Alter, um im Wohnumfeld wohnen bleiben zu können?Das sind ganz differenzierte Ebenen. Wichtig ist, was wir auchdiskutiert haben: „Barrierefreiheit ermöglicht ein möglichst langesLeben“. Es ist erstmal eine Grundvoraussetzung, ob ich mich bewe-gen kann. Da brauche ich noch gar nicht über Betreuung zu reden,das ist zunächst mal eine bautechnische Frage. Es ist für mich immerfatal, wenn man sagt: Beim privaten Träger kann ich dieBarrierefreiheit nicht fordern, es ist ja kein öffentlicher Bau. (Wobeiich schon sage: Der nimmt so viel Steuerermäßigung in Anspruch,dass dies auch eine indirekte Subventionierung ist.) Wieso kann dasBaurecht nicht hier viel stärker Platz greifen? Interessant ist, dassheute viele private Träger längst zum barrierefreien Bauen überge-gangen sind, weil die Marktchance, nämlich ihre Wohnung langfristigzu vermieten, damit größer sind.

Dann kommt die nächste Ebene (ich denke da an das Konzept inAachen und in Augsburg): Wir brauchen eine systematischeBestandsaufnahme, wie ältere Leute leben, und es muss überlegtwerden, in welcher Form dies möglich ist. Man braucht eine klein-räumige Infrastruktur, um mit den Betroffenen entsprechende Kon-zepte oder Angebotsformen weiter zu entwickeln. Das verändert sichauch sehr stark, aber hier sind m.E. die Kommunen/ die Kreise über-haupt nicht aus der Verantwortung genommen, im Rahmen dersozialen Daseinsvorsorge ein „niederschwelliges Angebot“, also eineInfrastruktur zu schaffen, die genau das Informationsbedürfnis derälteren Menschen befriedigt, damit sie sich orientieren können. Dazubrauche ich Leute. Und wenn das einem Träger übertragen wird– wie wir das gestern gehört haben –, dann braucht der Träger auchdie Finanzierung, dass er dieses Angebot vorhalten kann, und zwarnicht mit Scheckkarte, sondern als niederschwelliges Beratungsan-gebot, damit überhaupt die Information da ist; also brauche ich einneues Informationssystem.

Weiterhin brauche ich Dienstleistungsbereiche, vor allem der haus-wirtschaftlichen Assistenz (das finde ich in der Behindertenarbeit vielinteressanter, dass viele Behinderte sagen: ich möchte nicht betreutwerden, sondern ich brauche Assistenz). Und wir brauchen auch fürPflege, Krankenbehandlung und Therapie wohnortnahe Angebote,möglichst zugehend am Wohnort. Da sind m.E. die Sozialversiche-rungsträger, insbesondere auch die Pflegekassen gefordert (auchder Bund, vielleicht das Gesetz zu modifizieren), das, was im Gesetzsteht, umzusetzen - nämlich dass wohnortnahe Angebote auchtatsächlich vorhanden sind und so ausgebaut sind, dass Pflege,

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Rehabilitation sowie Gesundheitsversorgung sich auch wirklichgestalten lassen. Da besteht ein hoher Nachholbedarf. Wir solltendiese Verantwortung nicht dadurch kaschieren, dass wir sagen: Wirhaben Konzepte von Betreutem Wohnen. Ich denke, es wird auch imHinblick auf bestimmte Gruppen von Menschen (es wurden ja schonmal genannt: Demenz-Patienten, Alzheimer-Patienten, aber auch aufviele Menschen, die an anderen Beeinträchtigungen leiden), schlechtaussehen, wenn wir es nicht hinkriegen, dass sie vor Ort auch dieseBehandlung und Rehabilitation als Anspruch auf eine Sozialleistungbekommen. Für mich ist die Grundforderung: Das Wohnen mussfinanzierbar sein. Wenn das ganze Geld schon fürs Wohnendraufgeht, nehme ich dem Menschen auch Möglichkeiten, noch einStück sein Leben selbst zu gestalten. Das heißt nicht, dass ich hieralles kostenlos anbieten soll, aber die freie Verfügbarkeit, die mir dieMöglichkeit gibt, auch noch Interessen wahr zu nehmen, kommt mirbei diesen Konzepten des „Betreuten Wohnens“ insgesamt zu kurz.

Engels:Vielen Dank. Ich möchte einen kurzen Einschnitt machen. Wir habenjetzt jeden der Podiumsteilnehmer zu Wort kommen lassen undAnsichten und Positionen gehört. Dies soll jetzt erweitert werden zueinem allgemeinen Gespräch, d.h. Sie haben auch die Möglichkeit,sich mit Ihren Fragen an dieser Diskussion zu beteiligen. ProfessorNentwig hatte noch eine Ergänzung dazu.

Nentwig:Ganz kurz nur: Wichtig sind natürlich übergreifende, städtebaulicheKonzepte über die reine Immobilie selbst hinaus. Wir haben z.B.Städten und Kommunen vorgeschlagen, Kataster zu erstellen, ausdenen man erkennen kann, welche Wohnungen ebenerdig sind undmit relativ geringem Aufwand in barrierefreie Einheiten praktischumgewandelt werden können. Über die Informationstechnologie wärees überhaupt kein Problem, eine CD für Interessierte zu erstellen. Soein Medium ist eine Möglichkeit auch für potenzielle Investoren oderTräger – die technischen Möglichkeiten sind da, man muss sie nurausnutzen und vor allen Dingen runde Tische bilden, die übergrei-fend wirken können.

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Engels:Eine solche Erfassung von Wohnungen, die veränderbar sind, wäresicher ein guter Ansatzpunkt, der noch weitere Schritte nach sichzieht; beispielsweise soziale Beratung und Umzugsmanagement,was wir eben auch schon hier angesprochen hatten. Wichtig wäre einGesamtkonzept, das die verschiedenen Aspekte berücksichtigt.

Bambey:Mein Name ist Bambey, ich wohne in der Nähe von Kassel. Ichbeschäftige mich seit 10 Jahren spezialisiert mit der Projektentwick-lung für Senioren und soziale Immobilien. Ich habe insbesondere imländlichen Bereich die Erfahrung gemacht, dass wir uns jeweils stan-dardbezogen sehr gründlich überlegen müssen, wie die wohnortnaheVersorgung tatsächlich realisiert werden kann. Denn in der Vergan-genheit wurde immer aus betriebswirtschaftlicher Sicht behauptet,kleinere Wohnanlagen mit teilstationären Einrichtungen seien imländlichen Raum überhaupt nicht möglich. Insofern auch die Fragean das Podium: Inwieweit sehen Sie in Zukunft Möglichkeiten, diesewohnortnahe Versorgung über Konzepte umzusetzen? Gezielt hatmich an der neuen Landespflegekonzeption des Landes Sachsen-Anhalt, Frau Dr. Theren, Ihre Aussage interessiert unter dem Punkt:Vier Senioren-Service-Centren mit teilstationären Einrichtungen wer-den an vier Modellstandorten kreiert. Das würde ich gerne mit Ihnenpersönlich besprechen, weil ich bestimmte Standortsituationen habe,die ich unter diesem Aspekt mit Ihren Vorstellungen einfach malprüfen möchte. Aber die Frage generell: Inwieweit ist das von Ihnenkonzeptionell vorgesehen? Und an Herrn Eisenberg bitte noch dieFrage als langjährigen Praktiker in den verschiedensten Verantwor-tungsbereichen: Inwieweit sehen Sie die Möglichkeit, dass im Bau-recht, was ich persönlich für außerordentlich wichtig hielte, die DIN18025 generell vorgeschrieben wird? Ich sage das, weil ja mit demBegriff „Betreutes Wohnen / Senioren-Residenz“ heute in vielenFällen von den Bauträgern Schindluder getrieben wird.

Theren:Da Sie mich direkt angesprochen haben: Wir haben das nicht nurklangvoll in die Pflegekonzeption hineingeschrieben, wir haben esauch durchaus gemacht. Zwei Projekte sind fertig, eins ist noch imBau, das Vierte noch in der Planung. Es liegt natürlich die Betonungauf „Modell“ - Modell kann immer heißen: so funktioniert es nichtunbedingt so gut. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es immer

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auf den konkreten Einzelfall ankommt. Gerade auch die Akzeptanzvor Ort, die Einbindung in eine gemeindliche Struktur – das kanndurchaus auch eine ganz kleine Gemeinde sein. Und natürlich danndie Akzeptanz auch von der Heimleitung, wenn die eigentlich dasmehr so übergestülpt bekommen oder meinen, es sei ihnen über-gestülpt, dann funktioniert etwas auch nicht. Es gibt eine Vielzahl vonAspekten, die man theoretisch wunderbar in ein Konzept schreibenkann. Ob sich das dann alles so verwirklichen lässt, ist eine andereSache. Deswegen kann ich auch sagen: Das Ergebnis, so weit wir esmomentan haben (wir sind erst dabei, eine Evaluierung zu machen,wir haben derzeit noch keine konkreten Ergebnisse), scheint, trotzscheinbar gleicher Bedingungen, sehr abhängig von den Bedingun-gen vor Ort zu sein. Auf alle Fälle hat sich, um die flächendeckendeVersorgung zu verankern, grundsätzlich die Ansiedlung in der Nähevon einem Pflegeheim als vorteilhaft erwiesen. Da ist in der Tat auchfast immer der teilstationäre Bereich dabei. Meistens ist auch dieKooperation mit einem ambulanten Dienst möglich, sodass dann derAufwand an Infrastruktur nicht groß ist, auch selbst wenn es nur einekleine Einrichtung an Wohnungen ist, weil diese mitgenutzt wird (wasunter dem wunderbaren Stichwort „Synergie“ läuft). Wenn daswirklich ernst ist und nicht nur ein Vorwand, um letztlich doch nochirgendwas Neues für sich selber zu schaffen, ist es auch manchmalsehr schwierig, die Kooperation verschiedener Verbände zu sichern,das läuft auch nicht immer so, wie man sich das wünschen würde.Und wir haben, wenn man das mit den Landesentwicklungsplänenvergleicht, flächendeckend in Sachsen-Anhalt, mindestens in jedemMittelzentrum, einen derartigen Komplex mit solchen Strukturen, z.T.sogar noch kleinräumiger. Wie gesagt, im Übrigen kommt es sehr aufden Einzelfall an.

Engels:Vielen Dank. Auch Herr Eisenberg war unmittelbar angesprochen.

Eisenberg:Vielleicht eine kurze Bemerkung zu unserer Bestandsuntersuchung,die wir in Thüringen gemacht haben. Wir haben festgestellt, dass dieStandzeiten in Einrichtungen, die in Städte integriert sind, durchweglänger sind. Mir liegen im Augenblick keine weiteren Konzepte vor,wo man sagen kann: Auf dem Land funktioniert es genauso gut wiein der Stadt. Das sollte man einfach bedenken; diese ganze soziale

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Infrastruktur, die in den Städten vorhanden ist, belebt natürlich auchdie Einrichtung.

Bezüglich des Baurechts fände ich es schon gut, wenn die Länder-bauordnung ein Stück präzisiert würde; bestimmte Grundmerkmalesollten beim Bauen festgelegt werden. Ich hielte zunächst etwas fürwichtiger, was eben auch von der Senioren-Vertretung gesagt wurde:In Dänemark ist es z.B. so, dass Sozialimmobilien für ältereMenschen nur gebaut werden, wenn der örtliche Senioren-Beiratbeteiligt ist. Ich denke, das Mehr an Verbesserung kommt nur durchinterdisziplinäres Austauschen zustande – das zeigen ja auch alleBeispiele, die wir heute gehört haben. Ich denke auch, diese Formenvon Mitwirkung sollten viel stärker genutzt werden. Ich bin eigentlichentsetzt, dass die Heimmitwirkungsverordnung in ihrer Mitgestaltungkaum genutzt und eingefordert wird. Viele wissen gar nicht, dass einesolche Mitwirkung drin ist. Und ich würde mir wünschen, Frau Dr.Theren, dass Vertreter der Senioren-Vertretung oder Angehörige vonBehinderten in ein solches Gremium mit hineingenommen werden,um an diesen Fragen mitzuarbeiten.

Auch sehe ich die Frage der Zuordnung dieser Service- oder Betreu-ten Wohnungen zum Heimgesetz ein bisschen kritischer. Ich denke,es geht dabei nicht so sehr darum, auf der Grundlage des Urteils zusagen, die ganzen Verordnungen beim Service-Wohnen wie Heim-mindestbauordnung würden ja meistens durch die größeren Wohn-flächen sowieso unterlaufen. Ich denke schon, dass wir dringendeine Stelle brauchen, durch die das Preis-Leistungs-Verhältnisüberprüft wird (das kann auch über das Ambulante-Dienste-Gesetzgemacht werden). Wir können nicht einfach davon ausgehen, dassbei der Komplexität der Sache der Nutzer ständig in der Lage ist,dies noch zu durchschauen. Das sieht man ja auch bei denPflegesätzen, wo ja immer unterstellt wird, das sei alles überprüft. Dahat sich so vieles in den Kosten verselbstständigt, was nicht mehrtransparent ist. Ich hoffe, dass gerade die neue Generation derjüngeren Älteren, zu der ich auch zähle, dass wir es uns nicht mehrgefallen lassen, dass betriebswirtschaftlich nicht nachvollziehbar ist,wie sich ein Pflegesatz zusammensetzt. Diese ständige Jammerei:„die Gelder reichen vorne und hinten nicht“, ist m.E. so nicht mehrgerechtfertigt, wenn nicht ganz konkret anhand der Wirtschaftspläneder einzelnen Einrichtungen nachvollziehbar ist, dass dem so ist. Esgibt Geschäftsführer von Heimen, die sagen: Es gibt keine Schwie-rigkeit, mit den heutigen Pflegesätzen mit 70% Fachpersonal einHeim zu betreiben. Andere schreien: Es geht nicht. Und es ist keine

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Kostentransparenz da. Ich sage das einfach mal in Richtung derSenioren-Vertetungen, hier wirklich mit den Verbraucherverbändennachzuhaken, und diese Möglichkeiten, die wir heute haben, zunutzen. Dann, denke ich, werden die Gesetze auch ein Stückmodifiziert werden.

Engels:Herr Eberhard, Sie waren als Vertreter des Seniorenrats auch direktangesprochen. Mitwirkung in der Frage der Gestaltung, wenn einneues Projekt aufgebaut oder saniert wird; Mitwirkung, indem manWünsche und Bedürfnisse äußert; Mitwirkung aber auch in demSinne, wie Herr Eisenberg es zuletzt gefordert hat, im Sinne einerKontrolle, wie die Preise überhaupt zustande kommen. Sie hatteneben davon berichtet, dass Sie eine Übersicht erstellt haben, wie dasPreis-Leistungs-Verhältnis in den Einrichtungen hier in Halle ist. Wiesieht es aus, wenn es um diese weitergehende Mitwirkungsmög-lichkeit geht? Sehen Sie sich da ausreichend berücksichtigt? HabenSie das Gefühl, Sie stoßen auf offene Ohren? Oder haben Siemanchmal das Gefühl, Sie werden zwar mit eingeladen, aber dannmachen die Leute doch das, was sie wollen?

Eberhard:Ich fand die Anregung von Herrn Eisenberg sehr interessant. Aberdass wir irgendwo schon mal eine betriebswirtschaftliche Aufberei-tung der Kostensätze bekommen hätten, habe ich noch nie erlebt.Allerdings muss ich sagen, wir haben es auch nicht gefordert. Ichweiß nur, mit unserer Arbeitsgruppe „Wohnen im Alter“ machen wirFolgendes: Wir besuchen alle Einrichtungen, um uns zu informierenund dadurch auch Kompetenz zu erwerben. Man kann nun nicht vonSenioren erwarten, dass sie alle Fachleute auf den Gebieten sind,die hier dargestellt worden sind. Also versuchen wir, im Rahmenunserer Möglichkeiten Kompetenz durch Besuch und Diskussionenmit Anbietern zu erreichen. Ich weiß nicht, ob das gemacht würde,wenn wir sagen würden: Erzählen Sie uns doch mal, wie sich IhreKosten rein betriebswirtschaftlich zusammensetzen? Ich kann jagleich mal die Frage an den Senioren-Kreativ-Verein stellen: Wiewürden Sie denn das beantworten? Ich will damit nur sagen, Sie sindauch noch nicht gefragt worden, und man muss die Anregung sichermal aufgreifen.

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Über die Bedeutung der Seniorenräte in Bezug auf Pflegeheimemöchte ich noch sagen: Wenn Sie sich im Sozialministerium mitdieser Frage befassen, dass die Pflegeheime im zunehmendemMaße kaum noch Leute haben, die in der Lage sind, einen Heim-beirat, so wie er gefordert ist, wirklich aktiv auszufüllen, dann müsstemeiner Meinung nach eine Initiative von der Landesregierung aus-gehen, dass diese Aufgabe nun von Senioren-Räten übernommenwird oder zumindest mitgetragen werden kann. Das ist ein echtesProblem.

Theren:Das ist völlig richtig. Wie das Heimgesetz in den 60er Jahren kon-zipiert wurde (mit einem ganz anderen Klientel), das geht halt nichtmehr. Die Möglichkeit, dass die Angehörigen mitwirken, gibt esschon; das ist rechtlich durchaus möglich. Die Einbindung vonSenioren-Räten ist natürlich auch so eine Sache, das kann mangesetzlich nicht einfach so regeln. Denn das hieße: Auch die älterenLeute, die jetzt in einer Einrichtung sind, und seien sie noch sopflegebedürftig, sind ja nicht automatisch entmündigt. Sie müsstenzur Wahrnehmung der Rechte im Prinzip den Leuten eine Vollmachtgeben. Da kann man nicht einfach so ex cathedra, von oben herabsagen: Der Seniorenrat, der macht das für euch. Da muss ich schonsagen, dass der Mensch selbstbestimmt und eben auch erst mal fürsich selbst verantwortlich ist, solange nicht durch die Vormund-schaftsgerichte eine entsprechende Verfügung erlassen worden ist.Wie gesagt: Man kann eine andere Regelung finden, auch was dieSelbstbestimmtheit angeht. Das gibt es auch, das liegt an denHeimen, wenn die z.B. mit dem Seniorenrat vor Ort sowieso gutkooperieren, dann ergeben sich solche Kontakte auch; das istregional sehr unterschiedlich, das hängt wieder von den regionalenStrukturen ab. Aber die Angehörigen können jetzt schon durchaus ineinem Heimbeirat mitwirken – das geht.

Fiedler:Fiedler ist mein Name, ich bin auch vom Seniorenrat Halle. HerrEberhard ist der Leiter der Arbeitsgruppe „Wohnen im Alter“. Wirhaben auch noch eine andere Arbeitsgruppe, die heißt „Gesundheitim Alter“ – und da spielt das schon eine Rolle. Wir versuchen seitJahren, einen Erfahrungsaustausch mit den Heimbeiräten zu organi-sieren und da trifft das zu, was hier gesagt wurde: Deren Arbeit wirdimmer schwieriger und spärlicher, weil in den Pflegeheimen

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eigentlich nur noch Pflegefälle sind. Allein die körperliche Möglich-keit, zu solchen Treffen zu kommen, ist häufig nicht gegeben. Wirhaben uns Gedanken gemacht, dass die einzelnen Mitglieder dieserArbeitsgruppe Patenschaften in den Pflegeheimen übernehmen, undzwar in der Gestalt, dass einer monatlich einmal in das Heim gehtund innerhalb eines Jahres dann die Probleme, die Sorgen undSchwierigkeiten des Heimes einigermaßen kennen lernt, um dieInteressen der Pflegebedürftigen gegenüber der Heimleitung wahr-nehmen zu können. Es ist natürlich richtig, dass sich das Sozial-ministerium damit auch beschäftigen sollte. Denn Sie wissen, dieehrenamtliche Arbeit ist unentgeltlich, da werden auch keine Auf-wandsentschädigungen gezahlt. Wir hatten einen Fall, dass bei derSanierung eines Heimes die Anzahl der Heimbewohner verringertwurde und sich damit die Kosten erhöhten. Eine Dame hat sich beiuns beschwert, dass sie nun plötzlich mehr zahlen müsste, und dahaben wir versucht, etwas Einfluss zu nehmen. Aber da gebe ichHerrn Eberhard völlig Recht, da sind wir auch überfordert, weil wirauch nicht die Fachleute sind, um eine Tiefenprüfung der Kalkulationzu machen.

Engels:Vielen Dank für diesen Hinweis; wir sollten uns aber nicht zu sehr aufdas Heim konzentrieren. Wir waren von der Frage der Mitwir-kungsmöglichkeiten des Seniorenbeirats zur Frage der Mitwirkungs-möglichkeiten im Heim gekommen. Unser Thema wäre aber eigent-lich die Frage der Mitwirkungsmöglichkeiten beim Service-Wohnen –beim Planen von neuen Wohnformen.

Eisenberg:Ich denke, da müsste noch sehr konkret nachgefragt werden, obauch beim Service-Wohnen mal was Ähnliches gemacht wurde, wasvom Grundsatz her im Heimgesetz angedacht war, nämlich dieMitwirkungsmöglichkeiten mit einzubeziehen. So etwas muss ankonkreten Dingen und ganz verbindlich erfolgen. Patenschaften u. Ä.sind ja schön, aber sie haben keine rechtlichen Möglichkeiten. Es istnur eine Anregung an die Senioren-Vertretung, die ja auch aufBundesebene hier vertreten ist, bei der Diskussion um die Novel-lierung des Heimgesetzes ihre Vorstellungen, wie das Problem bes-ser gelöst werden kann, doch noch einzubringen. Denn es ist schonein Unterschied, ob ein Träger verpflichtet ist, konkrete Zahlen vorzu-legen, oder ob man nur an diese Informationen kommt, weil man

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guten Kontakt zueinander hat. Ich denke schon, dass es hier Rege-lungsbedarf gibt. Der entsteht nur, wenn stellvertretend für die Heim-bewohner - das gilt auch für den Behindertenbereich - diese Ver-tretung mehr einfordert, als bisher gesetzlich vorgesehen ist bzw.wenn das vorhandene Gesetz wirklich angewendet wird.

Nentwig:Vielleicht noch ein Hinweis zur Einbindung in die Planung. Ich kanndazu nur sagen: Es geht vor allen Dingen an die Adresse desBauherren. Ich bin selbst Architekt, aber ich habe 10 Jahre lang nurBauherren beraten und auf Bauherrenseite gearbeitet, und da gibt esInstrumentarien, wie Bauherren im Sinne einer Projektsteuerungberaten werden können. Da könnte man die Einbindung von Senio-ren-Beiräten fordern und forcieren, damit in einer sehr frühen Pla-nungsphase ihre Belange berücksichtigt und dann entsprechendumgesetzt werden können.

Engels:Herr Dr. Bartaune, wie sehen Sie die Frage der Beteiligung? Ange-nommen, Sie haben jetzt einen neuen Wohnungskomplex, den Siesanieren und den Sie zur Neuvermietung attraktiv machen wollen.Zunächst hatten wir mal gefragt – in der ersten Fragerunde: Wie stel-len Sie sich die Kooperation mit einem Serviceträger vor? Jetztgehen wir noch einen Schritt zurück. Könnten Sie sich vorstellen,Betroffene – möglicherweise in Form des Senioren-Beirates und sei-ner Arbeitsgruppen, die sich ja damit befassen – einzuladen, eineProjektbegehung zu machen und sich zusammen zu setzen unter derFragestellung: Wie können wir das machen? Was müsste hiervordringlich erfolgen?

Bartaune:Das kann ich ganz einfach mit „ja“ beantworten. Das Problem gehtaus meiner Sicht eigentlich schon ein Stückchen eher los. Warumkommen wir denn eigentlich zu solchen spezifischen Formen desWohnens im Alter? Wir haben auf Grund der Wohnungsgrößen, diewir haben und auf Grund der Politik, die wir betreiben, kaum dieMöglichkeit, Alt und Jung zusammen wohnen zu lassen und Familienzusammen bleiben zu lassen. Ich meine, als Wohnungsunternehmenist es ein wichtiger Schritt, die Mieter auch so über die Wohnungs-bestände zu verteilen, dass wir z.B. das Zusammenleben in der

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Großfamilie weiter ermöglichen. Ich halte es für sehr wichtig, dassdie Großmutter mit dem Enkel zusammen im gleichen Haus wohnenkann. Auf Grund der extremen Entwicklung, die wir auf demWohnungsmarkt haben, sage ich: Das ist eine gute Chance, die wirnutzen müssten; und auch unter dem betriebswirtschaftlichen Aspekteine Chance für das Wohnungsunternehmen, zu zeigen, dass hierein ordentliches Zusammenleben aller Generationen möglich ist. Ichglaube, der Generationenkonflikt entsteht zum großen Teil auchdadurch, dass fremde Generationen aufeinander treffen, und dassdas nicht innerhalb einer familiären Entwicklung passiert. Ich seheeine erste Chance darin, ganz bewusst darauf einzuwirken. Das istdann Umzugsmanagement; das, was wir im Wohnungsunternehmenorganisieren müssten, ist, die Oma zu den Kindern zu bringen unddie Kinder zur Oma zu bringen.

Engels:Was sich also herauskristallisiert, und das zeichnete sich auch schonin den Arbeitsgruppen ab, ist die Forderung nach einem Gesamt-konzept, das wirklich alle Aspekte des Service-Wohnens mit einbe-zieht. Ein Konzept, das sich sowohl über die BelegungsstrukturGedanken macht, das aber auch bei Wohnformen, die für spezifischeGruppen gedacht sind, diese Gruppen frühzeitig beteiligt, wennsolche Einflussmöglichkeiten noch bestehen.

Menzel:Dr. Menzel, Schwäbisch Hall Immobilien. Ich möchte hier noch ein-mal für unser Modell des genossenschaftlichen Wohnens, derGenossenschaft für seniorenfreundliches Wohnen werben – geradeim Zusammenhang mit der hier besprochenen Mitbestimmung. Wirbegleiten derartige Prozesse im Sinne der Projektsteuerung. Von derVorgehensweise entspricht das eigentlich genau den Wünschen, diehier genannt worden sind. Wir nehmen ein geeignetes Grundstückund geeignete Infrastrukturen und haben die Vorstellung, dass andieser Stelle eine entsprechende Wohnanlage entstehen könnte.Wenn wir uns darüber im Klaren sind, dann gehen wir mit diesenVorstellungen nach außen und suchen zu diesem Zeitpunkt Interes-senten, die älteren Bürger, die diese Wohnanlage dort bewohnenkönnten. Damit besteht für die späteren Nutzer bereits im Vorfeld dieMöglichkeit der Einflussnahme – selbstverständlich in bestimmtemUmfang - auch was die Bauausführung, den Grundriss und ähnlicheDinge anbelangt. Da das Ganze, wenn sich die Genossenschaft

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gegründet hat, dann in der Rechtsform der Genossenschaft abläuftund „Mitbestimmung“ ein ureigenstes genossenschaftliches Grund-prinzip darstellt, haben die Genossenschaftsmitglieder als Miteigen-tümer immer die Möglichkeit, auf die weitere Entwicklung in derWohnanlage Einfluss zu nehmen – z.B. auch, was die kaufmän-nische Seite angeht. Die Genossenschaftsmitglieder können sehrwohl Informationen darüber einfordern, wie sich die Kosten (Nut-zungsentgelt, Miete) zusammensetzen.

Engels:Gut, davon kann man hier und da noch Einiges lernen. – Wir kom-men langsam an das Ende unserer Tagung, und deswegen möchteich nochmal eine Gelegenheit zum Abschluss-Statement geben. D.h.natürlich nicht, dass jetzt dringende Fragen, die noch aus demPodium kommen, abgewürgt werden sollen; die können wir auchnoch einflechten. An unsere Podiumsmitglieder möchte ich nochmaldas Angebot machen: Wir dokumentieren unsere Diskussion und Siehaben jetzt die einmalige Gelegenheit, Wünsche im Hinblick aufÄnderungen beim Service-Wohnen zu äußern. Diese Wünsche wer-den so weit verbreitet, dass sehr viele Menschen dazu Stellungnehmen können. Herr Eberhard, was ist Ihr wichtigstes Anliegen?

Eberhard:Ich habe in der gestrigen Diskussion einen interessanten Vorschlaggehört. Wir haben in Halle festgestellt, dass häufig angeboteneDienstleistungen gar nicht angenommen werden, mag der Preis oderwas immer der Grund sein. Gestern wurde von Herrn Dr. Köstermeiner Meinung nach ein sehr interessanter Vorschlag gemacht, derauch gerade die von vielen befürchtete Vereinsamung anspricht:Eine Minimalbetreuung durch einen einmaligen Besuch im Monat zueinem Betreuungsentgelt von 20 bis 30 DM. Das war für michüberraschend. Aber es ist gar keine schlechte Idee, dass Sozial-stationen oder irgendwelche anderen Träger versuchen, Senioren,die es wünschen, einmal im Monat zu besuchen. Da das auch reinehrenamtlich in der Seniorenarbeit versucht wird und doch nicht sorichtig zum Zuge kommt, ist das vielleicht die Möglichkeit: EinMinimum-Betreuungsvertrag mit einem monatlichen Besuch - unddas für 20 DM. Das ist etwas Neues, etwas Interessantes für mich,und ich will versuchen, das ein bisschen zu propagieren – ob dasnicht eine Möglichkeit ist, der Vereinsamung entgegen zu steuernund gleichzeitig irgendwelche Kontakte zu schaffen. Dieses Problem

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der Ehrenamtlichkeit haben wir nun mal, wir finden nicht mehr sehrviele Leute, die etwas umsonst machen. Das wäre hier ein kleinerAnreiz, ob man nicht so etwas organisieren kann. Das fand ichinteressant.

Engels:Herr Dr. Bartaune – ihr „letzter Wunsch“?

Bartaune:Der Wunsch, den ich immer äußern würde: Stellt mehr Mittel zurVerfügung! Spezielle Förderprogramme, auch im Wohnungsbau,würden uns da sicherlich hilfreich unterstützen. Wir sind in demkonkreten Projekt mit dem SKV Halle in Vorleistung getreten. Eswäre besser, wenn weitere Finanzierungsquellen für solche Maß-nahmen erschlossen werden könnten. Das könnten spezifischeFörderprogramme auf Länderebene sein. Die Bereitschaft vonunserer Seite, etwas zu tun, ist ungebrochen da, und wir sehen jaauch, welchen Spaß das macht, ein Problem zu lösen, wenn wir unsdas Funktionieren der Wohnanlagen in Trotha ansehen.

Engels:Vielen Dank. Frau Dr. Theren, was liegt Ihnen am meisten amHerzen?

Theren:Wir haben immer das Problem, dass sich unter diesem scheinbareinheitlichen Begriff „senioren-“ oder „altengerecht“ unendlich Vielesverbirgt. Es sind ja schon mehr als zwei Generationen – wenn mananfängt mit den Vorruheständlern ab 55 Jahren. Es ist ein halbesJahrhundert hoch unterschiedlicher Lebensformen. Deswegen istunser Wunsch, dass generell einfach etwas menschenfreundlichergebaut wird. Diese ganze Barrierefreiheit dient z.B. auch Müttern mitKindern; selbst wenn man Einkaufstaschen hat, ist das ja alles nichtunkomfortabel. Man ist ja auch dabei, in den Landesbauordnungenentsprechende Regelungen zu verankern. Wünschenswert wäreetwas mehr Offenheit seitens der Architekten; es ist ja auch heute einpaar Mal gesagt worden, dass es nicht unbedingt mehr kostet, wennman es schon vorher plant. Es ist nur eine Frage der Sensibilität: Wieman eigentlich für alle Lebensalter – und wenn man Altern als etwas

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Prozesshaftes nimmt, dann auch für das Altern, egal bis zu welchemZustand – planen kann.

Das Zweite wäre nochmal speziell auf das Service-Wohnen bezogen:Ich denke, da sorgen auch zunehmend Marktmechanismen undVerbraucherverbände für Transparenz. Denn das ist natürlich schonein Mangel, dass da einfach nebulöse Pakete angenommen werden,ohne dass man erkennen kann, was an Leistungen dahinter steht;wobei ich aber schon den Eindruck habe, dass die Verbraucher oderderen Angehörige dadurch auch sensibler werden.

Engels:Vielen Dank. Ich denke, dass sich im Laufe dieser Entwicklung,gerade wenn es nicht mehr so boomt, sondern sich konsolidiert,deutlichere Profile herausbilden werden. Herr Professor Nentwig.

Nentwig:An die Wohnungsbauunternehmen bzw. die Investoren könnte mandie Forderung stellen, dass organisatorisch oder baulich die Möglich-keiten geschaffen werden, Service oder Dienste zu ermöglichen, dieaber immer unter dem Aspekt der Wahlfreiheit gesehen werdenmüssen. Dies könnte auch dazu führen, dass Selbstorganisationgestärkt wird, und da muss ich Ihnen jetzt mal ein bisschen wider-sprechen, Herr Eberhard. Nach unserem Wettbewerb „Senioren-freundliche Kommune“ können wir eigentlich nicht sagen, dass dasEhrenamt zurückgeht, sondern gerade bei den kleinen Gemeindenhaben wir festgestellt, dass es sehr viel und unwahrscheinlichengagierte ehrenamtliche Arbeit gibt. So was kann man auch imSinne dieser Service-Dienste fördern, man kann z.B. eine Paten-schaft für ein Haustier übernehmen, das jemand nicht mehr aus-führen kann. Darin sehe ich eine Zukunftschance: OrganisatorischeGrundformen schaffen, aber gleichzeitig eine sehr hohe Wahlfreiheitder Dienste und eine Selbstorganisation und Ehrenamt ermöglichen.

Engels:Was wäre Ihnen wichtig, Herr Eisenberg?

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Eisenberg:Drei Punkte: Das Erste wäre eine Modifizierung des Konzeptes, dasHerr Köster vorgestellt hat. Damit sollte man sich in einer Tagungnochmal befassen. Ich habe mir kürzlich das Amsterdamer Konzeptangeguckt, um es verkürzt zu sagen: Es wäre, bezogen auf dieEinrichtung in Trotha, die wir uns gestern angeguckt haben, für einenTräger eine sektorisierte Verantwortung, Ältere über Angebote ineinem Stadtteil zu informieren. Diese Information erfolgt bis zum 85.Lebensjahr über Ehrenamtliche. Diese Ehrenamtlichen sind bei demTräger eingebunden, sodass sie, wenn Probleme auftreten, nichtirgendwo im freien Raum hängen. Die zweite Komponente ist die,über einen gewissen Niedrig-Service, nämlich Handwerkerangebote,den Kontakt zu älteren Leuten zu halten. Das Dritte ist, man sollteauch das Bedürfnis der älteren Leute nach Sicherheit im Wohn-quartier ernst nehmen und aufarbeiten. Meine Anregung ist, dassman dieses Konzept, das im Rahmen einer Tagung des Senioren-Büros in Holland angesprochen wurde, auch in den Kreis der Koordi-nierungsstellen aufgreift.

Die zweite Sache ist: Ich glaube, es wird notwendig sein, die Förder-programme für Wohnungsbau und für ergänzende soziale Infra-strukturen nochmal kritisch neu zu gewichten. Als Ex-Thüringer kannich sagen: Thüringen hat hier eine Lösung gefunden, indem zumWohnungsbau ergänzende Fördermittel aus einem Topf desSozialministeriums zur Verfügung gestellt werden, und zwar unterder Überschrift „barrierefreie Wohnungen und Kommunikations-stätten“. Wobei dieses Kozept, in Abstimmung mit dem Wirtschafts-ministerium sowie dem Wohnungsbauministerium, nicht dazugedacht war, selbst in den Wohnungsbau einzusteigen. Aber beisolchen Projekten, wie wir sie uns gestern angeguckt haben, wo jetztkeine große Fördermaßnahme nach dem Wohnungsbaugesetzbesteht, ergänzend zu fördern, um die Infrastruktur behinderten-gerecht zu machen: also, dass ein Aufzug oder der Eingang neugebaut wird; ich denke, eine solche ergänzende Förderung ist not-wendig, weil wir bisher nur Konzepte zum Wohnungsbau und fürstationäre Einrichtungen haben. Wir reden ständig davon, dass wirvon dem Einen weg wollen, und haben aber nicht dafür Sorgegetragen, dass die investiven Kosten, die ja anfallen, dann irgendwoaufgefangen werden. In Thüringen ist es so, dass 70% vom Landgefördert wird und 30% von den Trägern unter der Option, dass dasnicht kostenerhöhend auf die Mieter umgelegt werden darf. Ich willnur sagen: Es gibt so eine Sache, die hat sich jetzt seit drei Jahrenbewährt, und bei vielen der Projekte, die Sie ja auch aus der

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Wohnungswirtschaft kennen, ist bekannt, wie hoch die flankierendenKosten sind. Das Wesentliche war, dass sich beide Ministerienverständigt haben, dass es keine Doppelfinanzierung gibt, sonderndass die gegenseitige Hilfe als nicht förderschädlich gemacht wird.

Das Dritte wäre der Wunsch, weiterhin über neue Mitwirkungsmög-lichkeiten nachzudenken; aber in der Form, dass nicht jede Senioren-Vertretung nun gleichzeitig auch Sachverständiger werden muss,sondern ich denke, dass Partizipation auch etwas damit zu tun hat,dass man die Leute so informiert, dass sie es mit ihrem Sach-verstand nachvollziehen können. Vorhin wurde es ja gesagt: In derGenossenschaft wird das schon praktiziert.

Engels:Vielen Dank, Herr Eisenberg. Wir haben gesehen, es konzentriertsich Vieles immer wieder um die Schlüsselbegriffe Geld, Mitwirkungund Transparenz. Ich habe den Eindruck, dass die Diskussions-wünsche nun ziemlich erschöpft sind und auch eine körperlicheErschöpfung langsam um sich greift. Ich möchte jetzt zunächst Ihnenhier auf dem Podium, meine Damen und Herren, nochmal ganzherzlich danken, dass Sie uns geholfen haben, zum Abschluss dieserVeranstaltung komprimiert eine Fülle von wichtigen Aspekten anzu-sprechen und zu diskutieren. Ich möchte außerdem dem Senioren-Kreativ-Verein und der Koordinierungsstelle ganz herzlich danken fürdiese sehr gute Organisation und für die von der Qualität her – dasist ja unser Stichwort – sehr schön vorbereitete und durchgeführteTagung. Ich möchte dann allen Teilnehmern ganz herzlich danken,dass Sie bis zum Ende durchgehalten haben, und wünsche Ihneneinen guten Heimweg.

Joachimsthaler:Ich möchte mich den Wünschen von Herrn Dr. Engels anschließen.Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Aufenthalt in Halle. Ich hoffeauch, dass Sie viele Anregungen dieser interessanten Tagungmitnehmen. Wir sehen uns dann beim nächsten Workshop wieder.Guten Nachhauseweg und auf Wiedersehen. Ihnen, Herrn Engels,auch meinen Dank für die Unterstützung bei der Vorbereitung derTagung. Ich denke, sie ist uns in Kooperation gut gelungen.

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Anhang

Anhang 1: Aachener Fragebogen zur Ermittlung des Betreuungs-bedarfs

Anhang 2: Muster eines Betreuungsvertrags des betreuten Woh-nens im Bestand in Aachen

Anhang 3: Leistungsdokumentation in den Service-WohnhäusernTrotha (ISG)

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Anhang 1: Aachener Fragebogen zur Ermittlung desBetreuungsbedarfs (Köster)

Fragebogen (Nr. ___)

Straße: Hausnummer:

Etage: Aufzug: ja/nein

1. Angaben zur Person:

1.1 Ihr Alter? ____ Jahre

1.2 Ihr Geschlecht? q weiblich q männlich

1.3 Ihr Familienstand? q verheiratet q ledig q verwitwet q geschieden

1.4 Wieviele Personen umfaßt Ihr Haushalt? ____

1.5 Haushaltsstruktur: Welche Personen wohnen in Ihrem Haushalt?

Befragte Person

ALTER

1.6 Haben Sie Kinder, die außerhalb Ihres Haushalts wohnen? q ja q nein

Wenn ja, wieviele? ________

Wohnorte Ihrer Kinder? ________________________________________________________

1.7 Welchen Beruf haben Sie ausgeübt? ______________________________________________

1.8 Welche Stellung hatten Sie in Ihrem Beruf?

q Selbständiger q Angestellter q Beamter q Arbeiter

2. Angaben zur momentanen Wohnsituation:

2.1 Sind Sie Eigentümer oder Mieter Ihrer Wohnung? q Eigentümer q Mieter

2.2 Falls Sie Mieter Ihrer Wohnung sind, wie hoch ist Ihre aktuelle Warmmiete? _____ DM

2.3 Wieviele Zimmer stehen Ihnen als Wohnraum zur Verfügung? __________________________

2.4 Bereiten Ihnen Gehen bzw. Treppensteigen Schwierigkeiten? Nutzen Sie bei Ihren Angaben bittedie folgende Tabelle mit einer Skala von 1-4 (1=sehr große Schwierigkeiten, 4=keineSchwierigkeiten)!Gehen 1 2 3 4 Treppensteigen 1 2 3 4

2.5 Welche Vorteile bietet Ihre derzeitige Wohnsituation? _________________________________

2.6 Welche Nachteile bietet Ihre derzeitige Wohnsituation? ________________________________

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2.7 Gibt es in Ihrer Nähe die nachstehenden Einrichtungen?EINRICHTUNG JA ENTFERNUNG IN MIN ZU FUSSÄrzte / ApothekeBäckerMetzgersonstige LebensmittelgeschäfteBusstationBegegnungsstätteFriseur

3. „Betreutes Wohnen“:

3.1 Ist Ihnen der Begriff „Betreutes Wohnen“ bekannt?

q ja q nein

Wenn ja, was verstehen Sie darunter? _____________________________________________

____________________________________________________________________________

3.2 Welche der unten aufgeführten Angebote würden Sie gerne in Anspruch nehmen und wiebewerten Sie auf einer Skala von 1-4 (1=sehr wichtig, 2=wichtig, 3=weniger wichtig, 4=unwichtig)die Bedeutung der einzelnen Leistungen?Kreuzen Sie außerdem bitte an, welche Angebote Sie als Grundpaket- bzw. alsWahlpaketleistungen in Anspruch nehmen möchten!

ANGEBOT JA NEIN 1 2 3 4 GRUND-PAKET

WAHL-PAKET

Ansprechpartnernur wochentagswochentags und amWochenendevormittagsnachmittagsvor- und nachmittagsrund um die Uhrim Hausaußerhalb des Hauses(telefonisch erreichbar)Hausnotruf (zentraleEinsatz-stelle)Organisation vonEinkaufsdienstFahrdienstBegleitdienstBesuchsdienstHilfe beim Umgang mit BehördenEssensdienst* Frühstück* Mittagessen* Abendbrot* fahrbar* stationärHaushaltshilfe* Wohnungsreinigung* Waschen/Bügeln* Kochen

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Pflegedienst* bei Krankheit* bei Pflegebedürftigkeit* Nagel- und FußpflegeHausdiensteGebäudereinigung* Treppenhaus* FensterGrünflächenpflegeWinterdienst

3.3 Wieviel Geld wären Sie bereit, für das Grundpaket auszugeben? _______ DM

4. Wären Sie bereit, zur Nutzung des Angebots „Betreutes Wohnen“, Ihre Wohnungzu wechseln?

q ja q nein

Wenn nein, warum nicht? _______________________________________________________

____________________________________________________________________________

5. Angaben zur zukünftigen Wohnsituation:

5.1 Wo müßte diese Wohnung liegen?

Viertel? _____________________________________________________________________

Straße? _____________________________________________________________________

5.2 Wieviele Zimmer sollte eine zukünftige Wohnung haben? ______________________________

5.3 Welche besonderen Vorteile müßte diese Wohnung bieten? ____________________________

____________________________________________________________________________

6. Sonstige Bemerkungen:____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

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Anhang 2: Muster eines Betreuungsvertrags des betreutenWohnens im Bestand in Aachen

Betreuungsvertrag

Zwischen und

im folgenden Leistungserbringer genannt im folgenden Leistungsnehmer genannt

wird folgende Vereinbarung über die Erbringung von Betreuungsleistungen abge-schlossen:

Zu den üblichen Dienstzeiten steht der Leistungserbringer als Ansprechpartner für denLeistungsnehmer zur Verfügung.

Der Leistungserbringer verpflichtet sich, bei der Vermittlung von Einkaufsdiensten,Haushaltsführung, fahrbarem Mittagstisch, häuslicher Pflege u.ä. behilflich zu sein.

Auf Wunsch informiert der Leistungserbringer über Angebote für ältere Menschen bzw.zum Thema “Alter” im Viertel.

Der Leistungserbringer garantiert einen Besuch pro Monat im Haushalt des Lei-stungsnehmers.

Die Kosten für die vorgenannten vier Leistungen betragen 30,00 DM pro Monat undwerden vom Leistungsnehmer gezahlt.

Für Bezieher von Wohngeld wird diese Pauschale in Absprache mit dem Wohnungsamtbei der Berechnung des Mietzuschusses berücksichtigt.

Für Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt ist von seiten der Sozialverwaltung eineFinanzierung der Betreuungspauschale nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG § 23

Abs. 1; ggf. mit Aufstockung des Mehrbedarfs über die vorgesehenen 20% des maß-

gebenden Regelsatzes) möglich.

Weitergehende Betreuung wird gesondert zwischen Leistungsnehmer und Leistungs-

erbringer vereinbart und die hierfür entstehenden Kosten ausgehandelt.

Aachen, den

(Leistungserbringer) (Leistungsnehmer)

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Anhang 3: Leistungsdokumentation in den Service-Wohn-häusern Trotha (ISG)

Erläuterung:Die Service-Leistungen, die für die Bewohner der drei Hochhäuser in Trotha erbracht werden, sollen in der Woche vom Montag, 17. Mai,bis Sonntag, 23. Mai dokumentiert werden. Ziel ist es, die Leistungsstruktur des SKV und die Nutzung durch die Bewohner/innen zuerfassen. Dazu sollen in jeder Spalte die Leistungen für eine Person notiert werden. Es ist nicht das Ziel der Dokumentation, die Arbeit einzelner Mitarbeiter/innen zu kontrollieren, sondern ein realistisches Bild von den gesamten Leistungen zu gewinnen, die für dieBewohner erbracht werden. Daher benötigen wir auch nicht die Namen der Mitarbeiter, sondern nur eine Nummer.

Beispiel:Mitarbeiterin 13 hilft einer älteren, leicht verwirrten Dame beim Haarekämmen. Für diese Tätigkeit würden 8 Minuten benötigt, da aberdie Dame viel erzählt, kommt noch 5 Minuten "Kommunikation" hinzu. Außerdem räumt die Mitarbeiterin bei dieser Gelegenheit etwasauf (3 Minuten) und spült das Frühstücksgeschirr (12 Minuten). Diese Tätigkeiten des Beispielfalls sind in der ersten Spalte eingetragen.Übergreifende Tätigkeiten, die sich nicht einem Kunden zuordnen lassen, können unter der Tabelle vermerkt werden.

Datum: Arbeitsbeginn: ______ Uhr Mitarbeiter-Nr. ______

_____. Mai 1999 Arbeitsende: ______ Uhr Qualifikation: ____________________

Kunde / Kundin Nr.

Alter

Geschlecht: m / wPflegestufe? (ohne Pflegebedarf: 0

bei Pflegebedarf: Stufe 1, 2 oder 3) Wirkt der/die Kund/in dement?0=nicht dement, 1=leicht dement, 2=dementPersonenbezogene Leistungen Dauer in Minuten:

01 leichte Hilfen (bei Kämmen, Rasieren, Anziehen etc.)

02 Körperpflege (Waschen, Haare waschen,

Duschen, Baden, Nagelpflege usw.)03 medizinische Hilfen (Medikamente einteilen/

geben, Blutdruck messen, Verband wechseln etc.)04 Beratung und Hilfe bei Anträgen

(intensive Beratungsgespräche, Formulare aus- füllen, Briefe schreiben, Angehörige beraten etc.)

05 Kommunikation(Unterhaltung, Vorlesen etc.)Haushaltsbezogene Leistungen

06 kleinere Handgriffe (Aufräumen, Müll entsorgen,

Geschirr spülen, Blumen gießen, Bett richten etc.)07 Einzelhilfe bei Mahlzeiten

(Hilfe bei Zubereitung oder beim Essen etc.)08 Wäschedienst (Waschen im Waschsalon,

Bügeln, Nähen, kleine Handwäsche etc.)09 Wohnungsreinigung (Putzen, Fenster putzen,

Staubsaugen, Bad reinigen, Gardinen wechseln etc.)Außerhäusliche Leistungen

10 kleine Erledigungen (kleiner Einkauf /

etwas mitbringen, Gang zur Bank, Post etc.)11 großer Einkauf für eine Person

12 Begleitung einer Person(bei Behördengang, Arztbesuch etc.)

Dauer insgesamt (in Minuten) :

Übergreifende Tätigkeiten13 informelle Kommunikation / Erfahrungs- 16 Erledigungen für mehrere

austausch mit Kolleg/innen _____ Minuten Kunden (z.B. Sammeleinkäufe) _____Minuten

14 formelle Kommunikation mit 17 sonstige Kolleg/innen: Teamsitzungen etc. _____ Minuten Tätigkeiten _____Minuten

15 Tätigkeiten in der Begegnungsstätte 18 Fahrt- / Gehwege (z.B. zwischen

(Mittagstisch, Betreuung, Reinigung etc.) _____ Minuten Wohnhäusern und Begegnungsstätte) _____Minuten

Leistungsdokumentation des Senioren-Kreativ-Vereins: Service-Wohnen in Trotha