37
Fisch-Menü Himmlische Fasten-Rezepte Brauchtum Die Salzburger Aperschnalzer Die Schule am Bauernhof & Der letzte Goiserer-Macher & Stefan Slupetzky: Am Kahlenberg > EINFACH . GUT . LEBEN 2 2 MÄRZ 03/2011 EUR 3,90 Das große Erwachen FLATTERHAFT Die ersten Schmetterlinge des J ahres SO SCHÖN WIRD DER FRÜHLING

Servus in Stadt & Land 03/2011

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Servus in Stadt & Land - Vorschau auf die Ausgabe 03/2011

Citation preview

Page 1: Servus in Stadt & Land 03/2011

Fisch-Menü Himmlische Fasten-Rezepte

Brauchtum Die Salzburger Aperschnalzer

Die Schule am Bauernhof & Der letzte Goiserer-Macher & Stefan Slupetzky: Am Kahlenberg >

E i n f a c h . G u t . L E b E n 22

März 03/2011 EUR 3,90

Das große Erwachen

FLATTERHAFTDie ersten

Schmetterlinge des Jahres

So Schön wird dEr frühLinG

Page 2: Servus in Stadt & Land 03/2011

8 Servus

12 Endlich Frühling Duftschneeball, Kaiserkrone und wilde Tulpen sprießen jetzt aus dem Boden.

22 Die Blumenuhr Wie uns Pflanzen die Zeit anzeigen.

24 Im Wandel der Jahreszeiten Herbert und Uschi Weber zeigen uns ihren Garten im Tullnerfeld.

32 Flatterhafte Boten Wenn die Schmetterlinge erwachen, ist der Lenz nicht mehr weit.

38 Hütte mit Aussicht Wir bauen eine Hundehütte.

Natur & Garten44 Würze des Frühlings

Alles über Zwiebeln, Porree, Schalotten und Knoblauch.

48 Himmlisch fasten Traditionsreiche Rezepte aus österreichischen Klöstern.

56 Zeit für Brot Die Rauriserin Roswitha Huber zeigt uns die hohe Kunst des Brotbackens.

60 Aus Omas Kochbuch Die Klachelsuppe.

64 Frisch gefischt Vier Gänge als geschmackvolle Einstimmung auf die Osterzeit.

Küche72 Unser Reich aus Stein

Verena und Urs Schildknecht bauten zwei verfallene Steinruinen zu einem gemütlichen Wohnhaus um.

82 Kuscheln in Heu & Stroh So werden Pölster mit Natur- materialien bestickt.

84 Schlafzimmerpflanzen

Welches Grünzeug für gute Luft und gesunden Schlaf sorgt.

86 Frühjahrsputz Jetzt wird sauber gemacht! Mit Hausmitteln, die schon unseren Großmüttern hilfreich waren.

Wohnen

März 2011Inhalt

12

64

112 106

foto

s c

ov

er: m

au

rit

ius,

ma

rco

ro

ssi,

eise

nh

ut&

ma

yer

, an

dre

as

leit

ner

. in

ha

lt: c

orb

is, k

erst

in a

nd

ers

Page 3: Servus in Stadt & Land 03/2011

Servus 9

90 Aus Liebe zur Erde Elfi Sonnenberg töpfert einzigartige Keramik in der Südsteiermark.

106 Der letzte Goiserer-Macher Wer handgefertigte Schuhe von Ru-dolf Steflitsch-Hackl aus Bad Goisern haben will, muss ein Jahr warten.

112 Ein Klassenzimmer am Bauernhof Ein Besuch bei Lehrbäuerin und Kräuterfee Rosi Schrammel.

122 Saft mit Kraft Die Landwirtschaft der Familie Michlits war schon bio, bevor andere wussten, was das heißt.

Land & Leute 94 Die Aperschnalzer

vom Rupertiwinkel Sie vertreiben die Wintergeister und erwecken die im Boden schlum-mernde Saat.

118 Der gute Ton Franz Wimmer fertigt in Molln Maul-trommeln nach alter Tradition an.

124 Zwischen den Welten Ein Ausflug in den Südtiroler Vinschgau.

Brauchtum 5 Editorial 10 Servus daheim 30 Der Garten-Philosoph 36 Gartenpflege, Mondkalender 40 Schönes für draußen 42 Natur-Apotheke: Brennnessel 70 Schönes für die Küche 80 Fundstück: Ein Tablett als Schlüsselbrett 88 Schönes für daheim 102 Michael Köhlmeier: Der Hand- werksbursch vom Prackersberg 134 Stefan Slupetzky: Am Kahlenberg 138 ServusTV: Sehenswertes im März 142 Feste, Märkte, Veranstaltungen 144 Das Leben in alten Zeiten 146 Impressum, Bezugsquellen, Ausblick

Standards

56

84

72

124fo

tos:

ch

rist

ine

wu

rnig

, eis

enh

ut&

ma

yer

, die

ter

bra

sch

, ma

gd

ale

na

lep

ka

, ha

rald

eis

enbe

rger

, ale

xi p

elek

an

os

Page 4: Servus in Stadt & Land 03/2011

Wunder der Heimat

Zwischen den Welten

124 Servus

Der Vinschgau ist eine Zwischenwelt. Zwischen Österreich und der Schweiz, Mystik und Moderne, Immer-wieder-kommen-

Wollen und Nie-mehr-weg-Mögen. Gianni Bodini hat sich der Steine wegen in seine Heimat verliebt. Und natürlich wegen der Menschen,

die das Südtiroler Hochtal lebendig werden lassen. TexT: daniela ScHuSter FoToS: dieter BraScH

Page 5: Servus in Stadt & Land 03/2011

Servus 125

auf dem Wanderweg am Sonnen-berg oberhalb von latsch hat der

autor Gianni Bodini über 50 Scha-lensteine entdeckt. Sie erscheinen so rätselhaft wie Felszeichnungen

und sind wahrscheinlich genauso alt. Wissenschaftler streiten noch, ob es

sich um Sternenkarten, Kultplätze oder Wegzeichen handelt.

Page 6: Servus in Stadt & Land 03/2011

126 Servus

anchmal sagt der Bodini Gianni Sachen, die man nicht gleich versteht. Was nicht daran liegt, dass seine Mutter-sprache Italienisch ist. Denn Deutsch spricht der Fotograf und Autor nach mehr als 30 Jahren im Vinschgau per-fekt. Aber wenn er auf den Tartscher Bichl zeigt und sagt, dass er es dieser 1.077 Meter hohen Erhebung verdanke, nach 20 Jahren kinderloser Ehe doch noch Vater gewor-den zu sein, dann braucht es schon eine Erklärung.

Auf den ersten Blick erschließt sich nicht, warum dieser karge Rundbuckel einen Beitrag zur Fruchtbarkeit leisten sollte. Sicher, der Ausblick in den Obervinschgau, auf die drei romanischen Kirchen von Mals und aufs Städtchen Glurns, dessen italienischer Name „Glorenza“ viel mehr von seinem in 700 Jahren gewachsenen Idyll wiedergibt, lockt auch Pärchen an. Doch wenn die schö-ne Aussicht reichen würde, um Nachwuchs zu zeugen, wäre der Vinschgau längst überbevölkert …

Das Geheimnis um Giannis späte Vaterfreuden offen- bart sich erst am Nordhang, am sogenannten Kinder-stein. Eine hüftbreite Rinne verläuft in der Felsplatte, ca. drei Meter lang. Eine Rutsche, die in Hunderten von Jahren in den Stein geschliffen wurde – von den nackten Hinterteilen jener Frauen, die sich davon Nachwuchs versprachen. Und eines davon gehörte Giannis Gattin.

die myStiK FaSziniert meHr alS die entScHlüSSelunG

„Mein Sohn ist also ein Kind des Steins“, sagt der Gianni. Was auch erklärt, warum sich seine früh geweckte Fas-zination für die Zeugen der Ewigkeit zu einer von tiefem Respekt geprägten Liebe ausgewachsen hat. Eine Liebe, die im Vinschgau täglich genährt wird. Denn wenn es hier – außer Apfelbäumen – etwas in einmaliger Fülle gibt, so sind es Steine mit Bedeutung.

Und damit sind nicht nur jene gemeint, die man al-lerorts zu Kastellen und Kirchen, bronzezeitlichen Sied-lungen und moderner Architektur aufgetürmt hat oder die eine höhere Macht zu Gipfeln wie dem Ortler formte. Sondern auch die rätselhaften Schalensteine. Mehr als 50 von ihnen hat der Gianni am Sonnenberg entdeckt und kartografiert. Warum die konischen Vertiefungen, Rillen, Kreuze und Vierecke in Felsen an Wegtrassen und Wasserläufen entstanden sind, weiß niemand. „Für mich sind Schalensteine wie Schweizer Messer: multifunktio-nal. Sie sind nicht zufällig da, sie wurden von Menschen-hand gemacht. Sie müssen also eine Bedeutung haben, sonst hätte sich keiner die Mühe angetan.“

Noch fehlt dem 63-Jährigen der Schlüssel, um den Code zu knacken. Doch, so dünkt es einem, ihm taugt diese Mystik – fast mehr noch als deren Enträtselung.

Einer, der Giannis Liebe zu den Steinen teilt, ist Pepi Mayr, Steinmetz und Bildhauer. Seit 62 Jahren schafft er Kunstwerke aus Laaser Marmor, der in Sichtweite sei-ner Werkstatt abgebaut wird, im Weißwasserbruch auf

M

Page 7: Servus in Stadt & Land 03/2011

Servus 127

1.550 Metern. Früher lebten viele in Laas vom weißen Gold, mit dem dort sogar die Gehsteige gepflastert sind. Heute sind es, obwohl oben am Berg das größte Marmor-vorkommen weltweit schlummern soll, nur wenige. „Und unter diesen wenigen gibt es kaum einen, der das Hand-werk so beherrscht wie der Pepi“, sagt der Gianni.

Und der Pepi sagt immer: „Die Arbeit ist fertig, wenn ich sage, es passt. Andere hingegen sagen: Jetzt höre ich auf, sonst verdiene ich nichts mehr.“ Wie gut, dass der Pepi diese Philosophie weitergeben kann. An seinen Sohn Thomas und seine Tochter Renate, die von ihm lernen, wie er einst von seinem Vater Josef senior lernte.

„Leider gibt es noch kein Laaser Marmor-Museum“, sagt der Pepi. Dabei wäre allein schon die Geschichte seines eigenen Hauses eines wert. Das besteht bis zum ersten Stock aus Marmorquadern, die als „Abfall“ anfie-len, als die Laaser in den 1950er-Jahren 86.000 Kreuze für im Weltkrieg gefallene US-Soldaten aus den Gesteins-blöcken sägten. „Damals waren die Quader günstiger als Ziegel.“ Solche Anekdoten könnte der Pepi viele erzäh-len, blickt er doch auf 75 Lebensjahre mit dem weißen Gold zurück.

Warum Ötzi Kaum Falten Hatte

Dass man ihm sein Alter nicht ansieht, mag am Marmor-staub in seiner Werkstatt liegen. Und würde man den Grüner Paul aus dem Obervinschgauer Schnalstal fra-gen, hätte der sicher eine Erklärung, warum der Marmor die Haut so schön und so weich macht. Der ist nämlich nicht nur Besitzer des Karthauser Hotels „Zur Goldenen Rose“, sondern seit kurzem auch Spezialist für Anti-Aging-Pflege – mit: Gesteinsmehl.

Lieferant für ebenjenes ist der Hochjochferner, der sich in Nachbarschaft der von Grüner bewirtschafteten Schutzhütte „Schöne Aussicht“ befindet und dem der Klimawandel arg zusetzt. Was beim Abschmelzen zutage kam, war zwar kein Marmor, sondern eher fades Gestein. Der Paul glaubte dennoch an seine inneren Werte und ließ eine Probe analysieren. Und da wurde schnell klar: Es gibt ihn wirklich, den „Ötzi-Effekt“.

Beim Namen Ötzi denken die wenigsten an Anti-Aging. Der Paul schon. Natürlich würde auch er nie behaupten, dass der Mann aus dem Eis eine Pfirsichhaut hat. 5.300 Jahre gehen auch an einer Feuchtmumie nicht spurlos vorüber. Aber für sein Alter ist Ötzi in einem verdammt guten und nahezu faltenfreien Zustand. Und während Wissenschaftler das allein auf sein kühles Grab zurückführten, ahnte der Paul, „dass es auch mit dem Gletschergestein zu tun haben könnte“. In dem stecken nämlich Mineralien wie Zink, Silizium, Kupfer, Schwefel und Strontium, die der Haut Elastizität verleihen. In-zwischen hat der Paul sie in eine Kosmetiklinie namens Glacisse verpackt.

links: Gianni Bodini kennt im Vinschgau jeden Stein. mit Stein hat auch Pepi mayr (u.) zu tun, der Kunst-werke aus feinstem laaser marmor her-stellt. auch Paul Grüner (Foto links unten) beschäftigt sich im weitesten Sinn mit Steinen: er erzeugt aus Ge-steinsmehl-extrakt vom Gletscher Hochjochferner anti-aging-Produkte.

Page 8: Servus in Stadt & Land 03/2011

128 Servus

9Beim STuTzen-

STricken iST eS wie Beim kinder-

kriegen: wenn man FerTig iST, iST der ganze

Schmerz vergeSSen.

9

Page 9: Servus in Stadt & Land 03/2011

„Der Paul“, sagt der Gianni, „hat gesehen, was ande-ren verborgen bleibt.“ Diese Eigenschaft zeichnet viele Vinschgauer aus. Der Dank dafür gebührt wohl ihrer Hei-mat, die sich in ihrer Fülle erst erschließt, wenn man tief in sie hineinspürt. In jedem Fall scheint sie dazu anzu-regen, das Alte nicht zu vergessen und doch nicht beim Alten zu bleiben. Wie etwa Alexander Agethle. Bis vor ein paar Jahren war sein elterlicher Betrieb in Mals auf Milchwirtschaft spezialisiert. Jetzt hat der 39-Jährige mit Käser Max Eller die Hofkäserei Englhorn aufgebaut.

Seine Weich-, Schnitt- und Hartkäse sind nach den umliegenden Gipfeln Arunda, Tella und Rims benannt und räumen bei Wettbewerben reihenweise Preise ab. Der Landwirt setzt auch nicht mehr auf amerikanische Hochleistungsrinder, vielmehr stehen in seinem Laufstall nur noch zwölf Kühe – ein Großteil davon hörnertragen- des Braunvieh jener alten Rasse, die einst überall auf den Almen im Vinschgau weidete und heute fast ausge-storben ist. Sicher würden sich aus den rund 400 Liter Milch, die die Tiere pro Tag liefern, mehr als drei Arten Käse machen lassen. Doch „weil es schon schwer genug ist, einen gescheiten Käse zu machen“, denkt der Alexan-der sogar darüber nach, sich künftig nur auf eine Sorte zu beschränken.

der VinScHGau leBt Von Seinen HÖFen

Sich konzentrieren auf das, was man kann – dieses Re-zept könnte von Hildegard Prieth Wallnöfer stammen. Wobei es in ihrem Fall leichter wäre aufzuzählen, was die Bauhaus-Bäuerin NICHT kann. Von ihr vermag man so ziemlich alles zu lernen: Knödelmachen, Einkochen von Holunder und Vinschger Marille oder Trachtenstut-zenstricken. Ihr Wissen gibt sie in Kursen an die Bäuerin-nen im Hochtal weiter, die sich dann mit selbstgefertig-ten Patchworkdecken oder Kreuzstichpolstern ein Zubrot verdienen. „Wenn die Frau nicht mehr zu Hause bleiben kann und auswärts etwas dazuverdienen muss, dann stirbt der Hof. Und der Vinschgau lebt doch von seinen Höfen – besonders kulturell“, sagt die Hildegard.

Viel ist es nicht, was die Handarbeiten einbringen. Hildegard sitzt gerade an einem Paar Trachtenstutzen: 90 Stunden Arbeit, 180 Euro Lohn. Es ist das elfte Paar von siebzehn, die eine Pustertaler Trachtengruppe bei ihr bestellt hat, weil es eben nur noch wenige gibt, die die Kunst des Strickens von Mustern wie der „brennenden Liebe“ beherrschen. „Sie haben mir einen alten Stutzen gebracht und wollten genau das Muster wieder haben. Ich habe es in keinem Buch gefunden, aber ich hab’s rausgekriegt.“ Es ist dieses Tüfteln, das sie reizt. „Beim Stutzenstricken ist es wie mit dem Kinderkriegen: Wenn man fertig ist, ist der ganze Schmerz vergessen.“

Ähnlich muss auch der Tschenett Bernhard empfun-den haben. „Nehmen füllt die Hände, Geben füllt das Herz“, steht auf dem Türbalken seines Hotels in Lichten-berg. Wie viel er dafür geben musste, damit der Balken überhaupt noch an seinem Platze ist, ahnt niemand, der das „Weisse Rössl“ heute sieht. Dieses Idyll mit gotischer

Von St. martin aus hat man einen wunderbaren Blick auf den Sonnberg, der seinem namen alle ehre macht (gr. Bild). mit der milch des Braunviehs (li. o.) erzeugt landwirt alexander agethle (li. u.) in seiner Käserei den mehrfach prämierten Hartkäse rims. auf den Höfen hat das trachtenstutzenstricken nach wie vor tradition. Hildegard Prieth Wallnöfer (u.) zeigt ihrer enkelin, wie’s geht.

Servus 129

Page 10: Servus in Stadt & Land 03/2011

Stube innen und der Sonnenuhr aus 1596 außen war eine Ruine, als der Bernhard sich 2004 dranmachte, sein Elternhaus zu retten. Viele haben ihn damals für ver-rückt erklärt. Denn was da am Marktweg 8 steht, liegt für ein Hotel recht abseits – geografisch und ästhetisch. So finden sich an der Fassade nicht nur ein altes Burgunder-kreuz und spätgotischer Putz, sondern auch die Parolen der italienischen Faschisten aus den 1930er-Jahren.

Der Bernhard möchte, dass das Haus seine wechsel- hafte Geschichte erzählt. Und falls es doch etwas ver-schweigt, dann gibt es noch Mutter Franziska – mit 15 Geschwistern und lauter Stimme gesegnet. Wenn die nicht kocht oder Bettwäsche näht, sitzt sie am Ka-chelofen in der Stube und berichtet von jener Zeit, als sie noch Wirtin war und bei ihr nicht nur Bauern und Viehhändler, sondern auch Schmuggler Einkehr hielten – bepackt mit tausend Päckchen Kaffee und Zigaretten, die sie über die Grenze aus der Schweiz schleppten.

Freilich sind diese Tage genauso vorbei wie jene, in denen das Vieh noch vor der Gaststube getränkt wurde. Manches ist eben unwiederbringlich. Und man will ja auch nicht nur rückwärtsgewandt leben. Weshalb das „Weisse Rössl“ auch über Südtirols kleinste Golfanlage verfügt. Drei Loch sind es, beschattet von 300 Jahre alten Palapirnbäumen. Nur im Obervinschgau soll es sie noch geben, diese fruchtige Birne. Mehr als 150 Bäume sind es auch nicht mehr. Vielleicht wird sie retten, was der Bern-hard mit ihnen macht: eine Entgiftungskur anbieten, bei der man außer dem Frühstück nur zwölf Birnen zu sich nimmt. Vielleicht aber auch nicht. „Denn der Prophet“, das weiß auch der Gianni, „gilt im eigenen Land wenig.“

turm mit Genialer auSSicHt

Für den Vinschgau trifft das in besonderem Maße zu – und auch wieder nicht. An vielen neuen Ideen nimmt man hier erst mal Anstoß, um sie kurze Zeit später zum Anstoß für noch neuere Ideen zu nehmen. So hatte es der Latscher Architekt Werner Tscholl mit seiner moder-nen Architektur anfangs nicht leicht in seiner Heimat. Jetzt reißen sich alle um einen Entwurf von ihm – von Reinhold Messner bis zum wohlhabenden Obsthändler Walter Rizzi. Der ließ sich von Tscholl einen Kindheits-traum erfüllen. „Mein Vater wollte immer in einer Burg leben“, erzählt Sohn Florian. Nun hat er sie – und ver-mietet sie für 500 Euro pro Tag. Doch auch wenn man über eine Art Zugbrücke in den neuzeitlichen Wehrturm gelangt, hat das Wohnen auf vier Etagen mit mittelalter-licher Askese wenig gemein. Am Sonnenberg in St. Mar-tin im Kofel residiert man luxuriös – mit Werken von Vinschgauer Künstlern an den Wänden – wie etwa Jörg Hofer, der seine Farben mit Laaser Marmorstaub mischt.

Jenen, die mit der Seilbahn hinaufkommen und das Turm-Chalet auf einem Bergvorsprung thronen sehen, erscheint es wie eine Sternwarte. Und ja, man kann nächtens die Himmelskörper von der Dachterrasse aus beobachten. Noch schöner ist der Blick bei Tag, über den Mittelvinschgau und seine Bergwelt. „Vielleicht“, sagt der Gianni, „tummelt sich dort der Luchs.“ Vor ein paar Ta-gen hat der Förster ihn gesichtet. Ein „Schweizer“ soll er sein. Möglich also, dass er zurückgewandert ist in seine Heimat. Weit ist es ja nicht … ➻

130 Servus

Page 11: Servus in Stadt & Land 03/2011

Servus 131

linke Seite von oben nach unten: Bernhard tschenett rettete das historische Gasthaus „Weisses rössl“ vor dem ruin und richtete die insgesamt sieben Hotelzimmer individuell ein. romanische Kirchen findet man im Vinschgau zuhauf, allein in mals stehen drei. diese Seite: dem latscher obsthändler Walter rizzi erfüllte architekt Wer-ner tscholl den Kindheitstraum von einer Wohnburg. Sohn Florian rizzi (u.) gefällt’s. auf 500 Quadratmeter Wohnfläche hatte auch noch ein Schwimmbad Platz.

9„an vielen neuen ideen

nimmT man hier erST mal anSToSS, um Sie kurze

zeiT SpäTer zum anSToSS Für noch neuere ideen

zu nehmen.”9

Page 12: Servus in Stadt & Land 03/2011

132 Servus

oder auch in die Bronzezeit) und warum sie erschaf-fen wurden, ist ein Rätsel. Am Sonnenberg finden sich über hundert dieser mystischen Kraftplätze. Einige liegen abseits der Wanderwege, an anderen kommt man direkt vorbei, etwa wenn man auf dem 8A von Castellbell nach Latsch unterwegs ist.

2 tartScHer BicHlDen sagenumwobenen Rundbuckel aus Glimmer-schiefer besteigt man entweder vom Zentrum der Ortschaft Tartsch (gehört zu Mals) aus oder von einem Parkplatz neben dem Friedhof. Der Südhang, durch den die Trasse der Vinschger Bahn verläuft, ist steil und kann nur im oberen Bereich über einen schmalen Naturlehrpfad begangen werden. Sehenswert: der „Kinderstein“ am Nordhang und St. Veit, eine im 11. Jahrhundert auf dem Boden einer vorchristlichen Kultstätte erbaute Kirche mit ihrem Freskenzyklus. Die an manchen Stellen heute noch sichtbaren Brandspuren stammen aus der Zeit des Engadiner Krieges 1499. Die Kirche und das Tor der Umfriedungsmauer sind meist verschlossen. Der Schlüssel wird von einer Familie in Tartsch verwaltet, die neben der Kirche wohnt. Am „Scheibenschlagsunnta“, wie der 1. Fastensonn-tag im Vinschgau genannt wird, werden am Abend in einem Feuer vorgeglühte Holzscheiben, die auf

eine lange, geschmeidige Weidengerte aufgesteckt werden, vom Tartscher Bichl hinuntergeschleudert.

3 WeiSSeS GoldDer Laaser Marmor wurde schon bei den Wiener Ringstraßen-Ensembles geschätzt. Steinmetz Josef Mayr fertigt daraus wahre Kunstwerke an.Josef Mayr & Co, Vinschgauer Straße 89, Laas, Tel.: +39/0473/62 65 41, www.mayr-josef.com

4 Ötzi-KoSmetiKAus Gletschergestein lässt Paul Grüner, Besitzer des idyllischen Hotels „Zur Goldenen Rose“, ein Mica-Glacial-Extrakt herstellen, das die Haut pflegt und verjüngt. Seine Kosmetikserie Glacisse umfasst 20 Produkte, ein Serum kostet 78 Euro.Hotel zur Goldenen Rose, Karthaus 29, Schnalstal, www.goldenerose.it; Onlineshop: www.glacisse.it

5 HoFKÄSerei enGlHornAlexander Agethle produziert in seiner Hofkäserei preisgekrönte Delikatessen, sein Hofladen ist von Montag bis Samstag jeweils von 8 bis 12 Uhr geöff-net. Tipp: unbedingt einen Blick in den Laufstall wer-fen. Dort sieht man es noch: das originale Braunvieh. Schleis 8, Mals, Tel.: +39/0473/83 53 93, www.englhorn.com

iLLU

STRA

TiO

N: A

ND

REA

S PO

SSEL

T

der VinScHGauist ein bogenförmiges Hochtal, das sich vom Reschenpass bis Töll bei Meran erstreckt und von der Etsch, dem zweitlängsten Fluss italiens, durch-flossen wird. im Norden wird es von den Ötztaler Alpen, im Westen von der Sesvennagruppe, im Süden von der Ortlergruppe begrenzt. Die Region im Nordwesten Südtirols liefert Gründe en masse, um dauerhaft zu bleiben. Gianni Bodini kennt die meisten davon. Der Schlanderer Fotograf und Autor zahlreicher Bücher über den Vinschgau und Südtirol ist auch Kultur- und Wanderführer. Eine seiner Spezialitäten: archäologische Wanderungen entlang der Waale, die die Bauern des niederschlagsarmen Tales einst zur Bewässerung angelegt haben. Buchtipp: „Waalwege in Südtirol“, Tappeiner AG, 17,40 Euro. Anfragen zu Wanderungen: Gianni Bodini, Schlanders, Tel.: +39/0473/62 12 51

die GroSSen zWÖlFGianni Bodinis Lieblingsplätze im Hochtal.

1 myStiScHe KraFtPlÄtzeSchalensteine sind Felsen oder Steine, die von Men-schenhand geformte Vertiefungen zeigen – meist kreisrund und nur wenige Zentimeter tief, seltener auch Sonnenkreise, Gitter, Schiffe und Kreuze. Wie alt sie genau sind (man datiert sie in die neolithische

unterwegs mit Gianni Bodini, Fotograf, autor, Kultur- und Wanderführer

Zwischen Schnals und Mals

Wesentliche Plätze im Vinschgau. Und Ausgangspunkte für seine Erkundung.

Page 13: Servus in Stadt & Land 03/2011

Servus 133

6 die tracHtenStutzenStricKerinBei Hildegard Prieth Wallnöfer erfährt man alles über die alte Kunst des Trachtenstutzenstrickens, über Häkeln und Patchworken. Die Bauhaus-Bäuerin ist auch Botschafterin für den Holunder und die Vinschger Marille und gibt gerne Tipps für das Einkochen derselben. Lanweg 19, Lichtenberg/Prad am Stilfserjoch, Tel.: +39/0473/61 60 77

7 WeiSSeS rÖSSlWer die Symbiose aus wertvoller Baugeschichte, 3-Loch-Golfplatz unter alten Birnbäumen, sieben sehr individuellen Zimmern und genialer Küche unter jeglichem Verzicht auf Alpenkitsch schätzt, ist im Hotel-Restaurant von Bernhard Tschenett genau richtig. DZ pro Person und Nacht ab 45 Euro. Marktweg 8, Lichtenberg/Prad, www.weisses-roessl.bz.it

8 turm-cHalet St. martinDer Rundturm aus Natursteinen auf 1730 Meter Höhe oberhalb von Latsch wurde von Architekt Werner Tscholl entworfen. 500 Quadratmeter Wohnfläche, verteilt auf vier Etagen – Spa-Bereich inklusive. Koch, Masseur und Musiker kommen auf Wunsch ins Haus. 500 Euro pro Tag muss man fürs Turmleben kalkulieren. www.turm-chalet.com

9 der raFFele-meiSterGernot Niederfriniger ist Komponist, Musiklehrer, Chorleiter, instrumentenbauer und natürlich selbst Musizierender. An die 20 instrumente spielt er – u. a. das alte Südtiroler Volksinstrument Raffele. Wer’s von ihm lernen will, hat dazu bei den Bordun-Musik-Tagen (18. bis 21. Juli ) in der Fürstenburg von Burgeis Gelegenheit. Gernot Niederfriniger, Ortweinstraße 83, Mals, Tel.: +39/0335/562 80 04

10 BerGGaStHauS StallWieSGianni Bodini macht bei seinen Wandertouren gern in der von Bergbauernfamilie Stricker bewirtschaf-teten Jausenstation auf 1.950 Höhenmetern halt. Auf der Sonnenterrasse werden hofeigene Speziali-täten kredenzt. Waldberg 1, Martell, www.stallwies.com, Zimmer mit Frühstück ab 28 Euro.

ScHlaFPlÄtze Empfehlenswerte Unterkünfte im Vinschgau.

11 Villa WaldKÖniGinUmgeben von Bergen, Wald und Wiesen inmitten eines Parks am Rande des malerischen Lärchenwal-des von St. Valentin auf der Haide hat man einen sensationellen Blick hinunter auf den Haider See und hinauf ins Ortlermassiv. DZ pro Person und Nacht ab 60 Euro inkl. Frühstück. www.waldkoenigin.com

12 FalatScHHoFDer Obstbauernhof mit modern ausgestatteten Ferienwohnungen liegt 500 Meter außerhalb der Stadtmauern von Glurns, direkt am Fuß des Tart-scher Bichls. Ab 70 Euro pro Tag für zwei Personen. www.falatschhof.it

ServustV-tipp: Auf www.servustv.com/vinschgau finden Sie eine wunderschöne „Hoagascht“-Episode über das Südtiroler Hochtal.

Die Schweiz liegt so nah, dass der Niederfriniger Ger-not dort einen Chor leitet. Im Vinschgau, wo es mehr Kapell- als Bürgermeister gibt, ist er als Chorleiter und Musiklehrer tätig. 15, wenn nicht gar 20 Instrumente spielt der Malser – wenn man Maultrommel, Nasen-flöte, Schwegelpfeife und Okarina mitzählen möchte … oder seine selbstgebaute Hakenharfe. Am Konser-vatorium in Innsbruck hat er Zither studiert. Angetan hat es ihm aber deren Vorgänger, das Raffele, auch Kratzzither genannt. „Weil sie eines der ältesten Volks-musikinstrumente Südtirols ist und als Soloinstrument gleichzeitig Melodie und Begleitung spielen kann.“

Sein erstes Raffele hat sich der Gernot bei einem Bauern geholt und sich das Spielen darauf selbst beige-bracht. Inzwischen wird er im „Österreichischen Musik-lexikon“ zur Kratzzither zitiert. Und Notenhefte bringt er auch heraus, mit Transkriptionen von Tonbändern aus den frühen 40er-Jahren. Damals, in der Optionszeit, als sich die Südtiroler zwischen Deutschland und Itali-en entscheiden mussten, nahm ein gewisser Dr. Alfred Quellmalz die Lieder der Auswanderungswilligen auf, auf dass das musikalische Gut nicht verlorengehe. Mit 150 Kilo schweren Aufnahmegeräten auf Packpferden zog er damals von Dorf zu Dorf. Und so hat der Gernot auch ein Band, auf dem er seinen Großvater und seine Tante singen hören kann, wie sie es vor 70 Jahren taten.

Der Vinschgau ist eben eine Zwischenwelt – geogra-fisch, sprachlich, kulturell. Und ihre vielen Ebenen spei-chern Geschichte und Geschichten wie poröser Stein das Wasser, um sie beizeiten wieder herzugeben. Viel-leicht fühlt sich der Gianni deshalb hier so wohl … 3

im Vinschgau, wo es mehr Kapell- als Bürgermeister gibt, leitet auch Gernot niederfriniger eine Volks-musikgruppe. 20 instru-mente beherrscht der malser. Besonders hat es ihm aber das raffele – bekannt auch als Kratz-zither – angetan.

Page 14: Servus in Stadt & Land 03/2011

12 Servus

Endlich Frühling

Es sind schlichte Schönheiten, die den Frühling ankündigen: Duftschneeball, Kaiserkrone und wilde Tulpen zaubern ein Meer aus Farben in den Garten.

rEDaKTion: ElkE PaPouschEk

Natur & GartEN

FOTO

: ma

uri

Tiu

s

Page 15: Servus in Stadt & Land 03/2011

Servus 13

?

DuftschNEEball Die Knospen schimmern in intensivem Rosa – und erblassen beim Aufblühen.

Endlich Frühling

Beginnen wir unseren kleinen Spaziergang durch den Frühlingsgarten mit einem Duftenden Schneeball. Der dichtbuschige Strauch, der etwa 2,5 Meter hoch wird, kann je nach Witterung seine ersten Blüten schon im November entfalten, die Haupt-blütezeit ist aber jetzt im März und im Ap-ril. Im knospigen Zustand sind die Blüten intensiv rosa gefärbt und stehen in endstän-digen Schirmrispen. Beim Aufblühen ver-blassen sie zu rosa überhauchtem Weiß.

Der schnell wachsende Strauch mit auf-rechter Wuchsform braucht wenig Schnitt und auch nur begrenzt Platz, deshalb eignet er sich bestens für schmale Hecken.

Das Geburtsjahr des Duftschneeballs ist übrigens 1933. Charles Lamont, Assistant Curator des Botanischen Gartens in Edin-burgh, hat den Viburnum × bodnantense gezüchtet – und sein Kind gleich wieder weggelegt, weil er es nicht für sonderlich wertvoll hielt.

Da dürfen wir dem Vater widersprechen: Wir lieben diesen Duftenden Schneeball, der uns den Frühling verheißt. ➻

ViBUrnUM × BoDnanTEnSEFamilie: Moschuskrautgewächse (adoxaceae); Züchtung aus Viburnum farreri × Viburnum grandiflorum.Standort: Geschützter Platz, am besten bei einer Mauer. Die geöffneten blüten vertragen keinen starken frost. Volle sonne, sonst anspruchslos.Pflege: Nach der blüte auslichten.Pflanzung: Im frühjahr oder im herbst; Vermeh-rung am besten durch abteilung von Wurzel- ausläufern.Blütezeit: bei warmer Witterung vereinzelt schon ab November, hauptblüte im März und april.

Page 16: Servus in Stadt & Land 03/2011

14 Servus

Weiter geht’s im blühenden Frühlingsgarten – schnurstracks zu den kleinen Wilden. Die botanischen Tulpen oder Wildtulpen sind grazile Schönheiten mit dem Charme des Einfachen, die sich pflegeleicht in den Gar-ten integrieren lassen.

Von zartem Weiß und intensivem Gelb bis zu knalligem Rosa und kräftigem Rot, von der Tulipa clusiana über die Tulipa tur-kestanica bis zur Tulipa saxatilis: Die Viel-falt der Wildtulpen lässt uns jedes Jahr aufs Neue staunen. Unverwechselbar ist auch die Tulipa tarda mit ihren weit geöffneten gelb-weißen Blütensternen und ihren glän-zenden Blättern. Jede Zwiebel bildet vier bis sechs Blüten mit gelben Staubblättern.

Und im Gegensatz zu den großblumigen Gartentulpen, die Mitte des 16. Jahrhun-derts durch einen Diplomaten des Wiener Hofes vom Osmanischen Reich den Weg in unsere Gefilde fanden und ab 1593 als exotische Kostbarkeiten einen wahren Tul-penrausch auslösten, sind die kleinen Ver-wandten wunderbar unkompliziert.

Wildtulpen halten es jahrelang am sel-ben Platz aus, vermehren sich über Brut-zwiebeln und Samen – und tauchen wie von Zauberhand jeden Frühling an immer neuen Stellen im Garten auf. ➻

WIlDtulPEN Grazile Schönheiten mit dem Charme des Einfachen.

TULiPa SPEC.Familie: liliengewächse (liliaceae). Standort: Wildtulpen brauchen vollsonnige standorte und lockere, nährstoffreiche böden ohne staunässe. Pflege: ungestört lassen; den rasen erst mähen, wenn die blätter eingezogen sind. Pflanzung: Zwiebeln dreimal so tief pflanzen, wiesie hoch sind. Pflanzabstand: ca. 10 cm, in größe-ren Gruppen pflanzen. Vermehrung durch samen oder tochterzwiebeln; abtrennung von tochter-zwiebeln. ausgesäte tulpen blühen in der regel erst nach etwa vier Jahren.Blütezeit: Von anfang März bis in den Mai hinein.

Page 17: Servus in Stadt & Land 03/2011

Servus 15

FOTO

s: m

au

riTi

us,

ima

gO

tulipa turkestanica

tulipa tarda

tulipa saxatilis

Page 18: Servus in Stadt & Land 03/2011

16 Servus

Magnolia campbellii

Magnolia spec.

Magnolia soulangiana

Page 19: Servus in Stadt & Land 03/2011

Servus 17

MaGNolIEN Die frühen Blüher verzaubern uns mit ihrer Vielfalt an Farben.Wir spazieren weiter zu den prächtigen Magnolien, die einst dem Kaiser von China vorbehalten waren. Nur er durfte das atem-beraubende Farbenspiel bestaunen. Magno-lien zählen zu den ältesten Blütenpflanzen der Erde und entstanden vor mehr als 100 Millionen Jahren.

Heute erfreuen wir uns alle an der un-glaublichen Farbenvielfalt der Magnolien-sträucher: Von Weiß über Rosa bis hin zu Purpurrot und Gelb reicht das Spektrum. Insgesamt gibt es rund 240 Magnolien-arten, die meisten kamen aus Ostasien und Amerika in unsere Heimat.

Die ersten Magnolien blühen bei uns bereits vor dem Laubaustrieb, im März bezaubern uns die weißen, sternförmigen und herrlich duftenden Blüten der Stern-magnolie (Magnolia stellata). Diese Art fühlt sich auch auf kalkhaltigem Boden wohl, während die meisten Magnolien einen tiefgründigen Gartenboden mit mög-lichst geringem Kalkgehalt bevorzugen. So auch die bekannteste Art, die Tulpen-magnolie (Magnolia soulangiana), die mit ihren großen, an Tulpen erinnernden Blüten ab März für Furore sorgt. ➻

FOTO

s: m

au

riTi

us,

cO

rbis

MaGnoLia SPEC.Familie: Magnoliengewächse (Magnoliaceae). Ins-gesamt gibt es mehr als 140. Die tulpenmagnolie ist die am meisten gepflanzte Magnolienart, von der es viele erlesene sorten gibt, z. b. die beson-ders schöne Magnolia × soulangiana lennei, de-ren blüten außen dunkelrosa und innen weiß sind.Standort: Geschützter, sonniger Platz, etwa bei einer Mauer oder scheune. Der boden sollte sauer (kalkfrei), humusreich und feucht sein. Pflege: Wenig schnitt; nur bei sehr dichtem Wuchs leichter auslichtungsschnitt im Winter.Pflanzung: am besten im März oder april; veredel-te Pflanzen setzen, sämlinge sind eher blühfaul.Blütezeit: ab März, hauptblüte im april und Mai.

Page 20: Servus in Stadt & Land 03/2011

18 Servus

Und schon sind wir bei der Kaiserkrone. Sie zählt zu den ältesten kultivierten Garten-pflanzen, kam aus dem Orient zu uns und hatte schon in Großmutters Bauerngarten einen Stammplatz.

Ab März streckt die Kaiserkrone ihre äußerst imposanten, orangeroten oder goldgelben Blütenstände in den Frühlings-himmel. Wer sie einmal genauer betrachtet hat, erkennt die Kaiserkrone immer wieder: Auf dem etwa einen Meter hohen, oben blattlosen Blütenschaft thront ein Kranz von Blütenglocken, darüber sitzt ein üppi-ges Büschel aus spitzen, in die Höhe ragen-den Blättern.

Die Kaiserkrone gehört zur Familie der Liliengewächse. Und sie ist nicht nur stolz, sondern auch sehr nützlich: Der intensive Geruch der Wurzeln soll auch Wühlmäuse abschrecken.

Eine besonders interessante Verwandte der Kaiserkrone ist übrigens die Schach-brettblume (Fritillaria meleagris). Sie trägt weinrot und weiß gewürfelte Blüten, die an die Felder eines Schachbretts erinnern. ➻

kaIsErkroNENDie stolzen Glocken leuchteten schon in Omas Blumengarten.

FriTiLLaria iMPEriaLiSFamilie: liliengewächse (liliaceae). Standort: kaiserkronen brauchen sonne oder halbschatten. Der boden sollte leicht feucht und lehmhaltig sein sowie sand enthalten. reine sandböden sind ungeeignet.Pflege: Im frühling mit kompost oder brennnessel-jauche düngen, nie mit stalldung oder stalljauche. Pflanzung: 20–30 cm tief, mit loch (austritt des Vorjahrestriebs) nach oben, aber etwas schräg, damit das Wasser ablaufen kann. Blütezeit: März und april.

fritillaria meleagris

Page 21: Servus in Stadt & Land 03/2011

Servus 19

fritillaria imperialis

fritillaria meleagris alba

fritillaria stenanthera

FOTO

s: m

au

riTi

us,

FlO

ra p

ress

,

Page 22: Servus in Stadt & Land 03/2011

20 Servus

Muscari armeniacum

Page 23: Servus in Stadt & Land 03/2011

Servus 21

Noch einmal durchatmen, um die ganze Pracht der kleinen blauen Kerzen zu ge-nießen. Die Traubenhyazinthe bringt die Farben des Himmels in den Frühlings-garten. Sie ist die kleine Schwester der großen Hyazinthe, deren Name auf einen griechischen Mythos zurückgeht: Ein junger Mann namens Hyacinthus übte mit seinem Freund Apollo das Diskuswerfen. Gott Ze-phyr war eifersüchtig und schleuderte eine Scheibe gegen den Kopf von Hyacinthus, der daraufhin starb. Apollo war darüber so untröstlich, dass er ihn als Blume wieder-auferstehen ließ.

30 Arten gibt es von der Traubenhya-zinthe, ihre zarten Blüten schimmern in den unterschiedlichsten Blaunuancen. So vielfältig das Farbenspiel, so pflegeleicht sind die Zwiebelblumen selbst. Sie sollten in Gruppen gepflanzt werden, um ihre Schönheit optimal entfalten zu können. Traubenhyazinthen passen hervorragend in naturnahe Gärten und vermehren sich an günstigen Standorten selbständig. Wichtig: bitte nicht durch Pflegearbeiten stören! Das freut uns: So haben wir mehr Zeit, ihre ganze Schönheit zu bewundern. 3

traubENhyaZINthEZarte Blüten bringen die Farben des Himmels in den Garten.

MUSCari SPEC.Familie: hyazinthengewächse (hyacinthaceae). sie verströmen einen intensiven Duft, der nicht nur bienen anlockt, sondern auch Wühlmäuse vertreibt. Standort: Die traubenhyazinthe mag es sonnig bis halbschattig und wasserdurchlässigen boden.Pflege: feuchte, schwere böden mit sand auf-lockern, sonst ungestört lassen.Pflanzung: Zwiebeln am besten im herbst, frühestens ab Mitte september setzen, immer mehrere Zwiebeln in ein loch.Blütezeit: März und april.

servustV-tipp: „Gut gärtnern“, jeden Mitt-woch im Magazin „Gut leben“ ab 18.30 Uhr.

FOTO

s: m

au

riTi

us,

ppw

Page 24: Servus in Stadt & Land 03/2011

94 Servus

brauchtum

ruhe vor dem Sturm: aufdrahrer Sepp verlangt seiner Pass höchste Konzen- tration ab. Die Fliehkräfte beim Schwingen der Goaßln sind enorm, Korrekturen während des takts schwierig.

Page 25: Servus in Stadt & Land 03/2011

In den Gefilden des ehemaligen Fürsterzbistums Salzburg hat sich einFrühjahrsbrauch erhalten, der schreckhafte Wintergeister vertreiben soll und den Schnee

von gestern in den Wind schlägt: ein schallender Weckruf für die im Boden schlummernde Saat.TexT: tobiaS micKe FoToS: marco roSSi

Die Aperschnalzer vom Rupertiwinkel

Page 26: Servus in Stadt & Land 03/2011

96 Servus

eun Mann in kurzen Ärmeln und Lederhose im Schnee. Wie hingepflanzt ste-hen sie dort auf dem gefrorenen Salatacker von Siezenheim bei Salzburg. Regungslos in einer Reihe, die Blicke konzentriert auf den Ersten, den Aufdrahrer. Der Letzte, der Baß, gibt ein Handzeichen. Jetzt schwingt der Aufdrahrer seine gut drei Meter lange Goaßl dreimalig überm Kopf und ruft dabei vernehmlich: „Aufdraht! Ane – zwoa – drei! Dahin geht’s!“

Dann der magische Moment; die Ruhe vor dem Sturm, einen Atemzug, ein tiefes Luftholen lang: Neun Männer ziehen in einem sorgfältig eintrainierten, kraftvollen Schwung mit beiden Händen ihre Goaßl durch die Luft. Die eingefetteten, dreifach gedrehten Hanfseile beschleunigen gewal-tig, schneiden mit einem scharfen, gefähr-lich leisen Zischen fast unsichtbar durch die Winterluft. Es ist wie die trügerisch trennen-de Pause zwischen Blitz und Donnerschlag. Trügerisch, denn beide sind im Grunde eins.

ein Knall jenSeitS Der Schallmauer

In diesem schwirrenden, sich immer schnel-ler zuspitzenden Moment durchbricht das äußerste Ende der Goaßl, der sogenannte Bast, bei knapp 1.200 km/h die Schallmau-er. Die Luft verdichtet sich. Und sie entlädt sich urplötzlich. Auf Blitz folgt Donner, auf das Zischen der Knall. Aber der aus nächs-ter Nähe ohrenbetäubende Schnalzer, den die Goaßl des Aufdrahrers von sich gibt, verhallt nicht wie ein Donnerschlag. Acht weitere Kracher folgen im Zehntelsekun-denabstand. Es hört sich an wie ein Präzisi-onsfeuerwerk, nur sehr viel schneller.

Während man den letzten Nachhall von der Baß-Goaßl durch den Südwind noch drüben in Bayern hören kann, ist der Aufdrahrer schon wieder in der Gegenbe-wegung. Wieder die zischende Beschleuni-gungsschleife, die den Bast in nicht einmal drei Tausendstelsekunden auf mehr als 2.000 km/h bringt. Wieder der Überschall-knall, gefolgt vom Stakkato der anderen. Insgesamt neunmal zieht jeder der Männer seine Goaßl durch. Neun mal neun Schnal-zer, dann ist der erste Takt vorbei.

Page 27: Servus in Stadt & Land 03/2011

im sogenannten bügelzimmer sind die trophäen untergebracht. aufdrahrer Sepp (links oben) ist für das richtige tempo verantwortlich. nach drei bis vier takten muss der bast an der Spitze der Goaßl ersetzt werden, sonst „hüpft“ sie. manch-mal sind auch reparaturen notwendig. Dann wird die Goaßl an der Spitze aufgedreht. als Werkzeug genügen geschickte Finger und ein taschenfeitl.

Page 28: Servus in Stadt & Land 03/2011

98 Servus

Als „Lärmbrauch“ tut das Lexikon die Kunst des Schnalzens mit der Goaßl wenig respektvoll ab. Vielleicht, weil im 18. und 19. Jahrhundert – als die Menschen noch nicht wussten, wie der Überschallknall zu-stande kommt – die Bauern mit Goaßl-Lärm zwischen dem Fürsterzbistum Salzburg und Tirol von Hof zu Hof, womöglich sogar von Alm zu Alm, auf sich aufmerksam machten. Ob einen die Pest am Leben gelassen hatte, konnte beispielsweise ohne Gefahr auf Dis-tanz signalisiert werden.

„Die Geister der dunklen Jahreszeit im Frühjahr vertreiben“ lautet eine andere Er-klärung für die ungewöhnliche Sitte. „Aper-schnalzen“ heißt sie im Volksmund und wird noch heute vorwiegend im südbayerischen und nahen salzburgischen Raum zwischen Stefani und dem Beginn der Fastenzeit nach Faschingsdienstag, etwas abgeändert auch in Tirol und der Schweiz begangen. Erst wenn die Wiesen und Äcker wieder „aper“, also frei von Schnee sind, kann der Frühling beginnen. Die schönste Erklärung von allen: Der Klang der Peitschen ist ein Weckruf. So nah an der Krume geführt, holt die schnal-zende Goaßl die Saat aus dem Winterschlaf, sodass sie aufwacht und gut ausgeruht zu sprießen beginnt.

traDition im ZWeilänDerecK

Das Aperschnalzen begann um 1900 auszu-sterben. Düngung schien auf die Saat bele- bender zu wirken als die Peitsche. Und so wurden zum Braucherhalt Schnalzbewerbe ins Leben gerufen. Wer der Lauteste ist, ermittelten die Burschen unter sich, was meist mit dem Gebrauch der größten Goaßl einherging. Schnalzergruppen, genannt „Passen“, fanden sich zu siebt oder zu neunt zusammen und peitschten im Jänner-Frost mit dampfendem Atem wetteifrig um Krü-ge, Bier und Speck. Und da in der Natur des Menschen bei allem etwas Ernst und Ehrgeiz steckt, werden die Bewerbe im bayrisch-österreichischen Ländereck Ruper-tiwinkel heute mit dem Leistungsanspruch konkurrierender Fußballvereine betrieben. Jährlicher Höhepunkt: das Rupertigau-Preisschnalzen.

Wäre das Rupertischnalzen die Fußball-Champions-League, dann könnte man die Hochform der Pass Siezenheim III vielleicht mit jener des FC Barcelona vergleichen: Einmal viermal in Serie und einmal dreimal in Serie gewann Siezenheim III den Bewerb. Das Erfolgsgeheimnis: Ähnlich wie man es den Spielern von Barcelona nachsagt, ➻

Schnalzer-Vorführung auf einer „lauten Wiese“: Der Salatacker des Zenzenbauern in Siezenheim bringt das Stakkato der neun Goaßln am eindrucksvollsten zur Geltung. Für das eigentliche training ist aber eine „leise Wiese“ ohne umstehende Gebäude besser geeignet. aufdrahrer Sepp: „Da hört man dann wirklich jeden Patzer.“

Page 29: Servus in Stadt & Land 03/2011

Servus 99

nos diam ero ex ea core tem nisi. Duip elis nonse-niam volum nit acidunt inissim vel ex essed tat. laore mincilis nos am nim dolestrud dipsum alisl ullan erci eliquissenis doluptat vel

Der nächste Bewerb findet am 27. Februar 2011 im bayrischen Roth bei Kirchanschöring statt. Die sieben Preisrichter gehen nur nach dem Gehör, sie können die Schnalzer nicht sehen. 2 x 100 Punkte können theoretisch vergeben werden. Höchstwert bisher: 196 Punkte. Worauf es der Jury ankommt, ist nicht einfach zu erklären. „A Musi“ muss der Takt haben, der Rhythmus sollte „mitreißend“ sein und „an Schwung“ haben. Das Tempo sollte flott, aber wiederum nicht so schnell sein, dass die Ausführung leidet. „Und“, erklärt Aufdrahrer Sepp, „halt mich bitte nicht für verrückt, aber wenn der Baß hintendrauf um a Tausendstelsekunde versetzt schnalzt, dann hört man das als gelungenen Akzent.“Hilfsmittel wie Metronom oder elektronische Taktgeber im Ohr sind streng verboten.

Das traDitionelle rupertigau-preisschnalzen

Page 30: Servus in Stadt & Land 03/2011

100 Servus

neun mann mit einem Knall: Der harte Kern der Pass Siezen-heim iii schwingt seit unglaubli-chen 26 jahren die Goaßl. aus buben wurden g’standene Fami- lien väter. Der 64-jährige Franz hasenöhrl aus Gois (links) ist eine r der allerletzten, der die Goaßl-herstellung noch be-herrscht. Sein neunjähriger enkel elias – selbst schon ein großer kleiner Schnalzer – hilft ihm beim eindrehen der hanfseile. Damit sich die feinen naturfasern nicht verhaken, wird ein rundkeil mit drei Seilführungen (rechts) zwi-schengespannt. Der Griff der Goaßln (unten rechts) wird aus besonders hartem eschenholz gedrechselt.

Page 31: Servus in Stadt & Land 03/2011

Handwerk

Page 32: Servus in Stadt & Land 03/2011

Der Goiserer, eine LegendeFürst oder Förster – vor Rudolf Steflitsch-Hackl sind alle

Menschen gleich. Wer einen Schuh für die Ewigkeit will, muss zum letzten Goiserer-Macher pilgern. Und dann mindestens ein Jahr warten …

tExt: Harald nacHförg FotoS: cHristine wurnig

Servus 107

T

ick, tick, tick … In dem kleinen Laden mit der altmodischen Kasse am Verkaufs-pult und den ausgestopften Jagdtrophäen ist keine Uhr zu sehen. Tick, tick, tick … Wo in Gottes Namen …?

„Ah, die Leut von der Zeitung sind da!“, kommt jetzt aus den hinteren Räumen des jahrhundertealten Hauses ein quirliger Mann in grünem Arbeitsmantel auf uns zu-geschossen. Freundlich schüttelt uns Rudolf Steflitsch-Hackl die Hände. „Ich zeig euch gleich amal die Werkstatt, dann könn ma trüfön“, sagt er, was hier in Bad Goisern so viel heißt wie sich unterhalten. „Gern! Vorerst aber eine ganz andere Frage: Wo ist

die Uhr, die man da so laut hört?“ Da lacht der 62-Jährige und zeigt auf ein schwarzes Ungetüm, das versteckt hinter dem dunklen Deckenbalken klebt wie ein Schwalbennest. „Das alte Kastl ist die Zeitschaltuhr für die Auslagenbeleuchtung. Eine richtige Uhr haben wir hier nicht.“

Braucht man auch nicht. Denn Zeit spielt beim letzten Goiserer-Macher Österreichs sowieso keine Rolle. Man muss sie haben oder sie sich nehmen, wenn man von ihm ein Paar Schuhe haben will. „Die Wartezeit beträgt mindestens zwölf Monate. Darunter geht’s nicht“, sagt Steflitsch-Hackl. Selbst für Könige, die ja auch seine Dienste in An-

spruch nehmen, macht er keine Ausnahme. Da ist er eisern.

Alle Kunden gleich zu behandeln gehört zur Firmenphilosophie. Außerdem zahle es sich ja aus, Geduld aufzubringen. Schließ-lich darf man dann in einen weltweit ein-zigartigen Schuh schlüpfen, der sich durch drei wesentliche Eigenheiten auszeichnet: Ein echter Goiserer ist maßgefertigt, hand-gearbeitet und zwiegenäht, hat also eine Einstech- und eine Aufdoppelnaht, wie man deutlich sehen kann.

Übrigens, um auch gleich mit einem weitverbreiteten Irrtum aufzuräumen: Der Name Goiserer wird zwar immer noch

Zwiegenäht: die einstech- und aufdoppelnaht machen den schuh einzigartig. links die alten Muster – auch die leisten von kaiserin sisi sind hier.

Page 33: Servus in Stadt & Land 03/2011

108 Servus

ausschließlich mit Bergschuhen verbunden – wie Tixo mit Klebeband –, doch da redu-ziert man die Marke auf ihren Ursprung. Denn längst schon hat Steflitsch-Hackl das Angebot erweitert. Und so gibt es heute auch Trekking-, Jagd- und Halbschuhe.

„Wir machen sogar Goiserer-Golfschu-he“, zeigt er uns ein sportliches Exemp-lar, bevor wir durch eine Tür hinter dem Ladentisch verschwinden und uns im 19. Jahrhundert wiederfinden. Denn viel hat sich hier seit der Gründung der Firma 1875 nicht verändert. Auch nicht das Werkzeug.

daMit nicHts drückt und Zwickt

Milde fällt das Licht des sonnigen Spätwin-ternachmittags durch die kleinen Fenster und zeichnet die ganze Schusterwerkstatt weich. Nichts ist scharf umrandet, alles franst ein bissl aus, wie die vorsintflutlichen schwarzen Nähmaschinen. Oder verwischt, wie die Bewegungen der beiden Mitarbei-ter, die über halbfertigen Schuhen gebeugt auf ihren Schemeln sitzen.

Auch der Chef legt sofort Hand an. Er beginnt, das Oberteil herzurichten, ein Ar-beitsvorgang, der mit dem Musterzeichnen am Leder beginnt und beim fertigen Schaft endet. Es ist sozusagen der erste Schritt, nachdem sich der Kunde entschieden hat, welches Modell er möchte, welches Leder – strapazfähigeres vom Rind oder leichteres vom Kalb – und welche Sohle.

Und natürlich, nachdem die Füße des künftigen Trägers exakt vermessen und de-ren Abdruck in Steflitsch-Hackls schlauem Buch aufgezeichnet ist. Zusätzlich versehen mit allerlei Notizen, denn der drahtige Mann ist ja auch noch Orthopäde, und so entgeht ihm auch nicht das kleinste Detail, das beachtet werden muss, damit nichts drückt und zwickt.

liebe und leidenscHaft

Jetzt schneidet er das Leder zu. Wenn man ihn dabei beobachtet, mit welcher Liebe er das tut, versteht man, warum ihn schon sein Großvater als Nachfolger favorisierte. Klar, auch Steflitsch-Hackls Vater führte den Betrieb gut.

Aber die Leidenschaft fürs Schuhema-chen, das gewisse Etwas, das du brauchst, um die Welt aus den Angeln heben zu kön-nen – davon hatte das Enkerl einfach mehr. Und dem Opa war das wichtig, schließlich war er, der Firmengründer, aus demselben Holz geschnitzt und hatte die Goiserer

Page 34: Servus in Stadt & Land 03/2011

9MildE Fällt daS licHt dES SonniGEn SpätWintERnacHMittaGS dURcH diE klEinEn FEnStER dER ScHUStERWERk-

Statt. viEl Hat SicH HiER SEit dER kaiSERzEit nicHt vERändERt.

9

die schuhmacher arbeiten mit dem gleichen werkzeug wie in den grün-dertagen. bei der „bodenarbeit“ werden schaft und sohle aufgenäht. am schluss fixiert man per Hand-presse die klebeteile – etwa die gummisohle – an den goiserer.

Page 35: Servus in Stadt & Land 03/2011

110 Servus

Anfang des 20. Jahrhunderts ungemein populär gemacht.

Erfinder des Schuhs war allerdings ein anderer: Franz Neubacher. Der Legende nach fiel der Schuhmacher und Jäger bei einer Bergwanderung um 1860 in eine Do-line. Die war zwar zum Glück nicht sonder-lich tief, aber die steifen, rutschigen Schuhe erschwerten es dem Manne doch sehr, sich aus dem „Schusterloch“, wie die Falle seit-dem auf Wanderkarten heißt, zu retten.

Angeblich barfuß, auf alle Fälle mächtig zornig zu Hause angekommen, soll Neu-bacher dann die viel geschmeidigeren Goi-serer entwickelt haben, die dank handge-schmiedeter Eisennägel auf der Sohle auch noch trittfest waren.

es begann Mit eineM bergunfall

„Mein Großvater hatte davon gehört, wollte unbedingt auch solche Schuhe herstellen, und so ging er bei Neubacher in die Lehre. Und weil der keine Kinder hatte, kaufte er ihm sein Unternehmen auf Leibrente ab“, erklärt uns Steflitsch-Hackl die Firmenge-schichte. Und warum um den Schuh schnell ein unglaubliches Griss herrschte: „Der Kai-ser hat die beste Reklam’ dafür gemacht.“

Denn natürlich kam auch Franz Joseph, der ja in Bad Ischl seine Sommerresidenz hatte, die geniale Erfindung zu Ohren. Und so streifte selbst er bald in Goiserern durch sein Jagdrevier – und mit ihm die zur Pirsch ins Salzkammergut eingeladenen Könige, Fürsten, Grafen, Staatsmänner und wer halt sonst noch von Rang und Namen da war.

Selbstverständlich ahmte auch der Wie-ner Hofstaat den Monarchen nach, und so verbreitete sich der Mythos des Schuhs in die ganze Welt. Die Nachfrage nach Goi-serern stieg gewaltig. „Von 1880 bis 1910 gab es 26 selbständige Schuhmacher in Bad Goisern“, sagt Steflitsch-Hackl.

Heute ist er der letzte.

ein MonatsloHn für ein Paar scHuHe

Der Untergang seiner Zunft begann mit dem Ersten Weltkrieg – auch wenn man sich da noch mit Verkäufen ans Militär über Wasser halten konnte – und erreichte um 1920, als die maschinelle Schuhproduktion auf vollen Touren zu laufen begann, seinen Höhe- punkt. „Goiserer waren dadurch für den Normalverbraucher nicht mehr erschwing-lich.“ Schließlich kostete ein gutes Paar Schuhe damals einen durchschnittlichen Monatslohn.

rudolf steflitsch-Hackl (re.) im Verkaufsraum seiner werkstatt in bad goisern. oben: Vor dem jahrhundertealten Haus baumelt das Zunftzeichen im wind.

Page 36: Servus in Stadt & Land 03/2011

rudolf steflitsch-Hackl: Untere Markt­straße 38, 4822 Bad Goisern, Tel.: 06135/82 27, www.goiserer.at

Heute zahlt man für Goiserer mindes-tens 850 Euro. Nach oben hin gibt’s keine Grenze. Wer etwa Trachtenschuhe mit echten Silberschnallen will, muss entspre-chend tiefer in die Tasche greifen. Doch das ist man heute auch wieder gerne bereit zu zahlen. Und zwar nicht nur der Adel oder Größen aus Politik, Wirtschaft und Gesell-schaft, sondern ganz normale Menschen, die eben auf Schuhe stehen, die ein Leben lang halten.

„Das sind zwei Drittel meiner Kund-schaft“, sagt Steflitsch-Hackl, dem es fast unangenehm zu sein scheint, den Ruf eines Nobelschusters zu haben. Auch wenn er natürlich bei Persönlichkeiten ein und aus geht, „auf die man normalerweise auf einen Kilometer nit zuwekommt“.

Wir hingegen sind jetzt ganz nah über einen halbfertigen Goiserer gebeugt und lassen uns jenen Teil des Fertigungspro-zesses erklären, bei dem der Unterteil und der Oberteil des Schuhs zusammengenäht werden. Was den Mythos des Goiserers

ausmacht, zeigt sich hier in jedem kleinsten Detail. Nur ein Beispiel: Die sogenannte Brandsohle besteht bei Massenprodukten zumeist aus Karton oder sonstigem min-derwertigem Material. „Bei uns ist sie aus-schließlich aus hochwertigem Leder, sie ist

ja auch quasi das Herz jedes Schuhs“, sagt Steflitsch-Hackl.

Mindestens ebenso wichtig sind freilich die perfekt gearbeiteten Leisten – auch die werden natürlich im Hause selbst ge-

macht –, um 100-prozentige Passgenauig-keit garantieren zu können. Legionen von ihnen stapeln sich hier in langen Holzrega- len. Die, die nur mehr an ihre Besitzer er- innern – wie das zarte Leistenpaar der Kaiserin Sisi – ebenso wie die, die immer wieder herausgenommen werden.

Denn eines ist klar: „Hat man einmal einen Goiserer getragen, ist man infiziert und kauft immer wieder ein Paar“, lacht Steflitsch-Hackl. Und macht sich wieder an die Arbeit. Ohne Eile. Er hat Zeit. Und wer nicht warten will – so wie der junge Par-venu, der dachte, den Schuster mit einem kleinen Vermögen zur flotteren Ausliefe-rung bewegen zu können –, der bekommt eben keine Goiserer.

So einfach kann’s manchmal sein im Leben. 3

9diE bRandSoHlE

iSt daS HERz JEdES ScHUHS. bEiM GoiSERER WiRd SiE

aUSScHliESSlicH aUS HocHWERtiGEM lEdER GEMacHt.

9

Antiquitäten BildergalerieDkfm. Anton Figl

Wir freuen uns, Sie auf der AntiquitätenmeSSe im Wiener KünStlerhAuS von 12. bis 20. märz begrüßen zu dürfen!

tel. +43 (0)664 300 54 65 [email protected] www.artfigl.at Schreinergasse 4 3100 St. Pölten

erlesene antike Bauernmöbel, Skulpturen (14. bis 18. Jhdt.), Gemälde von Dobrowsky • huber • laske • moll • Walde

Prachensky Wilhelm nikolaus (1898 – 1956)„Berghof in Winterlandschaft“

Gotische madonnengruppenürnberg um 1480

Fahringer Carl (1874 – 1952) „roter Ara mit Orchidee“

Patznauner SchrankZirbenholz, tirol um 1700

Page 37: Servus in Stadt & Land 03/2011

Servus 101

war der Großteil der Siezenheimer schon in der Jugend beim Verein. Trainer Pauli, 1995 verstorben, hat damals den Buben jene tra-ditionelle runde Bewegung beigebracht, die möglichst viel des beträchtlichen Kraftauf-wands durch Technik ersetzt.

Zu Beginn schlugen sich die Buben ihre Goaßln gegenseitig schmerzhaft um die Oh-ren. Aber so wie einer andernorts auf zwei Fingern pfeifen kann oder mit wackelnden Ohren beeindruckt, so war eben in Siezen-heim und Umgebung das Goaßlschnalzen oberste Lausbubenkunst.

Die KunSt DeS GoaSSlDrehenS

Schüler Martin – heute großgewachsener Landwirt – verschob gern die Hausaufgaben und begann im Hinterhof der Eltern mit der Kindergoaßl zu lärmen. Dem konnte der Sepp – heute Triathlet und Aufdrahrer bei Siezenheim III – meist nur schwer wider- stehen, lief mit seiner Goaßl hinüber zum Nachbarhof und begann seinen Takt auf dem vom Martin draufzuschnalzen. Dann kam der Otto, der neben der Schnalzerwiese wohnte. Und bald standen sie da, zu viert oder fünft, mit roten Wangen. Die Burschen, die jetzt Familienväter und oben-drein Installateur, Religionslehrer, Gemüsebauer oder Schlosser sind, peitschten sich gegenseitig auf und den knallenden Goaßltakt durchs Dorf – zum Leidwesen, aber auch zur Freude mancher Nachbarn.

„Mir scheint“, gibt die Allerber-ger-Wirtin in Wals-Siezenheim nach dem Samstagstraining belustigt das Gerede eines Stammgasts wieder, „dass wir heuer an langsameren Takt schnoizen.“

„Jaja, des kenn ma scho!“, grinst Wolf-gang, die Nummer zwei in der Schnalzer-Reihe, „bei di Leut in Siezenheim heißt’s im-mer dann wir, wenn unsere Pass g’wonnen hat. Aber wenn ma verlier’n, dann heißt’s immer, die haben verloren.“

Um überhaupt Chancen auf den prestige-trächtigen Sieg zu haben, muss zuallererst das Material in Ordnung sein. Drei bis vier Meter lange, sich zur Spitze hin verjüngen-de Naturhanfseile stellt heute fast niemand mehr her. Die über fünf Generationen betriebene Seilerei Nindl im bayrischen Tei-sendorf repariert noch Goaßln um 15 bis 20 Euro, das Ehepaar steht aber altersbedingt kurz vorm Zusperren des kleinen Ladens.

Zum Glück gibt es da noch Männer wie den 64-jährigen Franz Hasenöhrl in Gois.

Der Altbauer schnalzt bei der ebenfalls schon siegreichen Pass Gois I, ist aber auch einer der Letzten, die das Goaßlherstellen im Schlaf beherrschen.

Im Gegensatz zu den Nindl-Peitschen, die aus vier Hanfstricken zusammengedreht werden, sind seine Goaßln „dreidroahte“. Nicht zu fest und nicht zu weich darf die Seilkomposition sein, sonst wird die Goaßl steif oder sie geht auf. Der Verlauf nach vorn muss gleichmäßig sein, sonst „schlägt“ oder „hüpft“ sie in der Hand beim Durch-ziehen. All das braucht viel Fingerfertigkeit, und dabei hilft dem Opa Franz auch der neunjährige Enkel Elias, der selbst auch schon ein großer kleiner Schnalzer ist.

Für die Goiser Passen flicht der Franz im unteren Drittel noch einen Spagat ein, dann hält die Goaßl bei der starken Beanspru-chung länger. Welche Kräfte da frei werden, wird anschaulich beim Bemessen der rich-tigen Seillänge. Franz Hasenöhrl: „Wenn ich eine ganz neue Goaßl mit drei Meter

Länge drehe, dann dehnt sie sich noch um gut 15 Zentimeter, wenn sie einmal richtig ausg’schnalzt ist.“

In ihrer Jugend wird die Goaßl mehrfach ein- und nachgefettet. Hierzu verwendete man früher alte Wagenschmiere. Heute nimmt man Pferdehuffett oder Spezialva-seline, wie man sie als Korrosionsschutz für Rohre verwendet, oder irgendeine andere wasserabweisende Geheimmischung.

Aber am wichtigsten ist das Zusammen-spiel der Schnalzer – und das muss gefühlt werden. Also sitzt Siezenheim III nach den Trainingseinheiten im „Bügelzimmer“ (benannt nach den Verschlussbügeln des Lieblingsweizenbiers) bei einem für Außen-stehende skurril anmutenden Ritual: Trai-ner Hans und Georg haben die geschnalzten Takte mit dem Mikro aufgenommen. Wenn der schnelle Durst gelöscht ist, wird’s im Bü-gelzimmer plötzlich ganz still. Dann knat-tert es aus dem Abspielgerät wie von einem

Geigerzähler. Neun erwachsene Männer sitzen mucksmäuschenstill vor ihrem Bier und starren andächtig ins Narrenkastl.

„Der steht extrem, der is net rund!“, meldet Konny zwischen zwei Takten aus der Stammtischecke. Beipflichtendes Nicken von Sepp und Max. Die Kritik geht in Rich- tung Aufdrahrer Sepp, der anscheinend „zu viel Gas gegeben“ hat. Nach dem nächsten Takt der Konter: „Aber den habts jetzt ver- hunzt!“ Was der erfahrene Schnalzer mit geschultem Ohr heraushört, ist für den Laien eine Fremdsprache: Eine Nuance im Klang macht in der abgefeuerten Peitschen-salve den Unterschied zwischen Gänsehaut und Kopfschütteln.

KonFliKtlöSunG unter SturSchäDeln

Was auch ein Ahnungsloser sofort heraus-hört, ist der „Pfergitzer“, ein Goaßlhieb ohne Goaßlknall. „Das wird beim Bewerb streng geahndet und hört sich furchtbar an“, sind sich die Neun einig und verziehen

allesamt das Gesicht, wie wenn’s bittere Zitronen statt der köstlichen Speckjause gegeben hätt.

Es sind nur diese Tage zwischen Stefani und dem Beginn der Fas-tenzeit, in denen die Männerrunde oft mehrmals pro Woche zusam-menkommt. Außerhalb dieser Zeit ist das Schnalzen vom Brauch her nicht gestattet.

Das Training ist dabei die eine Sache: Die Muskelgruppen wer-den gestärkt und der Rhythmus

wird gefunden. Das andere ist das „Z’samm- hock’n“ danach. 26 Jahre ist der harte Kern von Siezenheim III schon beisammen. Da kennt man die anderen schon sehr gut.

„Auch“, wie Aufdrahrer Sepp zugibt, „wenn’s immer wieder Krisen zu bewältigen gibt. Wenn ein paar in der Gruppe einen schnelleren Takt wollen, zum Beispiel, aber ich mich als Taktgeber damit nicht mehr wohlfühle. Konfliktlösung unter Sturschä-deln, da lernst dann wirklich was fürs Le-ben!“ Noch eins gibt Sepp grinsend zu, und Wolfgang, Stefan, Sepp II, Otto, Konny, Han-nes, Max und Martin nicken: „Im Sommer, da geht einem das alles schon sehr ab.“ 3

9So WIe eIner andernorTS auF zWeI FInGern pFeIFT

oder mIT den ohren Wackeln kann, So War

eBen hIer In SIezenheIm daS GoaSSlSchnalzen oBerSTe

lauSBuBenkunST.9

Die Schnalzervereinigung rupertiwinkel hat ihren Sitz im bayrischen Saaldorf. Auf www.schnalzen.de sind sämtliche Veranstaltungen in der Region angeführt.