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Schwerpunkt 44 | Prävention und Gesundheitsförderung 1 · 2013 Schwerpunkt Einleitung Die Arzneimitteltherapie von Erkran- kungen stellt einen wichtigen Pfeiler in der medizinischen Versorgung von Pa- tienten dar. Laut Definition des Arznei- mittelgesetzes (§ 2, Abs. 1) sind Arznei- mittel Substanzen, die zur Heilung, Lin- derung oder Verhütung von Krankheiten bzw. krankhafter Beschwerden bestimmt sind. Ihre Wirkungen entfalten sie, indem sie die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologi- sche oder metabolische Wirkung wieder- herstellen, korrigieren oder beeinflussen. Obwohl mit der Gabe von Arzneimitteln ein positiver Effekt für den Patienten be- absichtigt ist, können einige Aspekte der Pharmakotherapie die Sicherheit des Pa- tienten gefährden. „Unsicherheit“ in der Arzneimitteltherapie Die Voraussetzung für den Erfolg einer medizinischen Behandlung und das Wohlergehen des Patienten ist eine siche- re Arzneimitteltherapie. „Sicherheit“ in Hinblick auf die Medikation kann dabei allerdings aus zwei verschiedenen Sicht- weisen definiert werden. Zum einen ist das Ausschließen oder zumindest das Minimieren von Risiken für den Patien- ten hinsichtlich unerwünschter Arznei- mittelwirkungen (UAW) gemeint: Durch den Eingriff in die Physiologie des Körpers mithilfe von Arzneimitteln können neben der eigentlich gewünsch- ten Wirkung auch unerwünschte Effek- te (Nebenwirkungen) auftreten. Obwohl viele unerwünschte Arzneimittelereig- nisse nur kurzfristig und nicht schwer- wiegend sind, kommt es dennoch immer wieder zu Notarzteinsätzen und Kranken- hausaufenthalten. Todesfälle sind zwar selten, aber dennoch dokumentiert [1]. Eine weitere Ursache für UAW sind beispielsweise Wechselwirkungen durch die Einnahme mehrerer Medikamente oder die Nichtberücksichtigung von Kon- traindikationen bei der Anwendung von Arzneimitteln (z. B. durch das Vorliegen weiterer Erkrankungen). Andere Aspekte der Sicherheit betref- fen die des Patienten im Umgang mit sei- nen Medikamenten sowie das Vertrauen in die Therapie. Die Mitarbeit des Patien- ten stellt eine wichtige Grundlage für den Therapieerfolg dar. Es ist bekannt, dass Patienten, die Angst vor Nebenwirkun- gen oder sonstigen negativen Effekten der Pharmakotherapie haben oder ein man- gelndes Wissen um den Sinn der Behand- lung aufweisen, ihre Medikamente nicht planmäßig einnehmen [7]. Besonders bei chronisch und asymptomatisch verlaufen- den Erkrankungen, bei denen Patienten keine erhöhte Krankheitslast spüren, ist die sog. „Adherence“ (Einhaltung der ge- meinsam von Patient und Behandlungs- team gesetzten Therapieziele) verringert [6]. Dies wiederum kann zum Ausbleiben des Therapieerfolgs und damit zu einer anderen Art von gefährdeter Patientensi- cherheit führen [9]. Am Institut für Klinische Pharma- kologie der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden wurde im Jahr 2001 ein „Unabhängiger Arznei- mittelberatungsdienst für Patienten“ ein- gerichtet, um Patienten bei den genann- ten Problemen der Pharmakotherapie zu unterstützen [5]. Ziel dieser Arbeit ist die Analyse der Informationsbedürfnisse der Patienten sowie eine Einschätzung der Bedeutung des Beratungsservices hinsichtlich der Patienten- und Arzneimitteltherapiesi- cherheit. Methodik Design Das Beratungsangebot befindet sich am Institut für Klinische Pharmakologie der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden und ist Teil der Un- abhängigen Patientenberatung Deutsch- land (UPD). Diese bietet eine unabhängi- ge Beratung als gesetzliche Regelleistung nach § 65b SGB V für alle Versicherten in Deutschland an. Getragen wird der Ser- vice vom GKV-Spitzenverband. Der Arzneimittelberatungsdienst stellt in diesem Rahmen das einzige überregio- nale Angebot dar, welches Patientenanfra- gen spezifisch zum Thema Arzneimittel- therapie unabhängig beantwortet. Sophie Kolbe · Peter Neubauer · Jane Schröder Medizinische Fakultät, Institut für Klinische Pharmakologie, Technische Universität Dresden, Dresden, Deutschland Sicherheit bei der Arzneimitteltherapie Unterstützung durch einen unabhängigen Beratungsdienst Präv Gesundheitsf 2013 ∙ 8:44–48 DOI 10.1007/s11553-012-0365-y Online publiziert: 11. Januar 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

Sicherheit bei der Arzneimitteltherapie

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Page 1: Sicherheit bei der Arzneimitteltherapie

Schwerpunkt

44 | Prävention und Gesundheitsförderung 1 · 2013

Schwerpunkt

Einleitung

Die Arzneimitteltherapie von Erkran-kungen stellt einen wichtigen Pfeiler in der medizinischen Versorgung von Pa-tienten dar. Laut Definition des Arznei-mittelgesetzes (§ 2, Abs. 1) sind Arznei-mittel Substanzen, die zur Heilung, Lin-derung oder Verhütung von Krankheiten bzw. krankhafter Beschwerden bestimmt sind. Ihre Wirkungen entfalten sie, indem sie die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologi-sche oder metabolische Wirkung wieder-herstellen, korrigieren oder beeinflussen. Obwohl mit der Gabe von Arzneimitteln ein positiver Effekt für den Patienten be-absichtigt ist, können einige Aspekte der Pharmakotherapie die Sicherheit des Pa-tienten gefährden.

„Unsicherheit“ in der Arzneimitteltherapie

Die Voraussetzung für den Erfolg einer medizinischen Behandlung und das Wohlergehen des Patienten ist eine siche-re Arzneimitteltherapie. „Sicherheit“ in Hinblick auf die Medikation kann dabei allerdings aus zwei verschiedenen Sicht-weisen definiert werden. Zum einen ist das Ausschließen oder zumindest das Minimieren von Risiken für den Patien-ten hinsichtlich unerwünschter Arznei-mittelwirkungen (UAW) gemeint:

Durch den Eingriff in die Physiologie des Körpers mithilfe von Arzneimitteln können neben der eigentlich gewünsch-

ten Wirkung auch unerwünschte Effek-te (Nebenwirkungen) auftreten. Obwohl viele unerwünschte Arzneimittelereig-nisse nur kurzfristig und nicht schwer-wiegend sind, kommt es dennoch immer wieder zu Notarzteinsätzen und Kranken-hausaufenthalten. Todesfälle sind zwar selten, aber dennoch dokumentiert [1].

Eine weitere Ursache für UAW sind beispielsweise Wechselwirkungen durch die Einnahme mehrerer Medikamente oder die Nichtberücksichtigung von Kon-traindikationen bei der Anwendung von Arzneimitteln (z. B. durch das Vorliegen weiterer Erkrankungen).

Andere Aspekte der Sicherheit betref-fen die des Patienten im Umgang mit sei-nen Medikamenten sowie das Vertrauen in die Therapie. Die Mitarbeit des Patien-ten stellt eine wichtige Grundlage für den Therapieerfolg dar. Es ist bekannt, dass Patienten, die Angst vor Nebenwirkun-gen oder sonstigen negativen Effekten der Pharmakotherapie haben oder ein man-gelndes Wissen um den Sinn der Behand-lung aufweisen, ihre Medikamente nicht planmäßig einnehmen [7]. Besonders bei chronisch und asymptomatisch verlaufen-den Erkrankungen, bei denen Patienten keine erhöhte Krankheitslast spüren, ist die sog. „Adherence“ (Einhaltung der ge-meinsam von Patient und Behandlungs-team gesetzten Therapieziele) verringert [6]. Dies wiederum kann zum Ausbleiben des Therapieerfolgs und damit zu einer anderen Art von gefährdeter Patientensi-cherheit führen [9].

Am Institut für Klinische Pharma-kologie der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden wurde im Jahr 2001 ein „Unabhängiger Arznei-mittelberatungsdienst für Patienten“ ein-gerichtet, um Patienten bei den genann-ten Problemen der Pharmakotherapie zu unterstützen [5].

Ziel dieser Arbeit ist die Analyse der Informationsbedürfnisse der Patienten sowie eine Einschätzung der Bedeutung des Beratungsservices hinsichtlich der Patienten- und Arzneimitteltherapiesi-cherheit.

Methodik

Design

Das Beratungsangebot befindet sich am Institut für Klinische Pharmakologie der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden und ist Teil der Un-abhängigen Patientenberatung Deutsch-land (UPD). Diese bietet eine unabhängi-ge Beratung als gesetzliche Regelleistung nach § 65b SGB V für alle Versicherten in Deutschland an. Getragen wird der Ser-vice vom GKV-Spitzenverband.

Der Arzneimittelberatungsdienst stellt in diesem Rahmen das einzige überregio-nale Angebot dar, welches Patientenanfra-gen spezifisch zum Thema Arzneimittel-therapie unabhängig beantwortet.

Sophie Kolbe · Peter Neubauer · Jane SchröderMedizinische Fakultät, Institut für Klinische Pharmakologie, Technische Universität Dresden,

Dresden, Deutschland

Sicherheit bei der Arzneimitteltherapie

Unterstützung durch einen unabhängigen Beratungsdienst

Präv Gesundheitsf 2013 ∙ 8:44–48DOI 10.1007/s11553-012-0365-yOnline publiziert: 11. Januar 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

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Prozesse und Datenerfassung

Der Beratungsdienst nimmt telefonische Anfragen von Ratsuchenden werktags über einen Zeitraum von insgesamt 29 h/Woche persönlich entgegen. Darüber hi-naus können Fragen auf dem Anrufbeant-worter hinterlassen oder schriftlich per E-Mail, Fax oder Brief gestellt werden. Eine anonyme Beratung ist möglich. Apothe-ker bearbeiten die Fragen. Die Anbin-dung des Services an das Institut für Kli-

nische Pharmakologie ermöglicht es da-rüber hinaus, bei komplexeren Anfragen auf die Erfahrungen von Assistenz- und Fachärzten verschiedener Fachrichtun-gen zurückzugreifen. Auch der Zugang zu wissenschaftlicher Literatur, Daten-banken und Informationensquellen ist somit sichergestellt. Die Beantwortung der Anfragen erfolgt überwiegend telefo-nisch, da hierbei eine individuellere Bera-tung möglich ist. Alle Schritte der Annah-me, Bearbeitung sowie Beantwortung der

Anfrage werden in einem standardisierten Auswertungsbogen festgehalten.

Nach der Beantwortung der Anfra-ge findet eine EDV-basierte Dokumenta-tion der Bögen in einer Datenbank vom Typ MS Access statt. Personenbezogene Daten werden nicht gespeichert. Die Arz-neimittel werden nach der anatomisch-therapeutisch-chemischen (ATC-)Klassi-fikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziert. Daneben erfolgt eine Codierung der Erkrankungen der Anru-fer nach der internationalen Klassifikation der Erkrankungen (ICD-10).

Für die folgende deskriptive Auswer-tung wurden alle Anfragen berücksich-tigt, die im Jahr 2011 bei dem Service ein-gingen. Bei einigen Betrachtungen fanden zudem Vergleiche mit den Vorjahren statt. Die Daten wurden mithilfe von Abfragen aus der Dokumentationsdatenbank ent-nommen.

Ergebnisse

Im Jahr 2011 führte der Arzneimittelbe-ratungsdienst insgesamt 2388 Beratun-gen durch, die von 1999 Ratsuchenden an ihn gerichtet wurden; 12,2 % der Patienten benutzten den Service dementsprechend mehrfach.

Charakteristik der Anrufer

Im Median waren die Anrufer 67 Jahre alt, 63,2 % davon waren weiblich (. Abb. 1).

Aufgrund der überregionalen Tätig-keit des Beratungsdienstes stammten die Anrufe aus allen Bundesländern Deutsch-lands, vorrangig jedoch aus Sachsen (17,3 %), Nordrhein-Westfalen (16,2 %) und Bayern (11,9 %). 79,0 % (n = 1834) der Ratsuchenden riefen an, um für sich selbst Informationen einzuholen. Die restlichen 21,0 % wünschten Informationen für ihre Ehepartner (8,0 %), Eltern (3,9 %), Kin-der (3,2 %) oder sonstige Verwandte bzw. Bekannte.

Der Großteil der Kontaktaufnahmen erfolgte per Telefon (83,4 %). Der Anteil der E-Mail-Anfragen lag bei 14,5 % und stieg damit seit 2007 (8,8 %) kontinuier-lich an.

Abb. 1 8 Altersverteilung der Ratsuchenden (2011)

1.6%

6.5%

20.8%

43.5%

8.9%

18.7%

0%

10%

20%

30%

40%

50%

0-19 Jahre 20-39 Jahre 40-59 Jahre 60-79 Jahre 80-99 Jahre keine Angabe

Abb. 2 8 Arzneimittel nach ATC-Code geordnet (2011)

0

500

1000

1500

2000

2500

Anz

ahl d

er A

nfra

gen

Arzneimi�el als Grund für die Anfrage

Arzneimi�el, die eingenommen wurden

ATC M Muskel ATC N NervensystemATC P An�parasitäre Substanzen, Insek�zide, Repellenzien ATC R Respira�onstrakt ATC S Sinnesorgane ATC V Verschiedene NEM Nahrungsergänzungsmi�el HOM Homöopathika MP Medizinprodukte

ATC A Alimentäres System und Stoffwechsel ATC B Blut und blutbildende Organe ATC C Kardiovaskuläres System ATC D Derma�ka ATC G Urogenitalsystem und Sexualhormone ATC H Hormone, systemisch (ohne Sexualhormone) ATC J An�infek�va für systemische Gabe ATC L An�neoplas�sche und immunmodulierende Substanzen

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Schwerpunkt

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Themen der Beratung

Der Schwerpunkt der Beratung lag 2011 in der Information über bestimmte Arz-neimittel (66,2 %) sowie zu Erkrankun-gen und deren Therapiemöglichkeiten (44,8 %). Eine detaillierte Analyse ergab, dass Ratsuchende vor allem Auskünfte über Nebenwirkungen von Arzneimitteln wünschten (38,7 %). Dem folgten Fragen über das Wirkprinzip bzw. die Wirkung von Arzneimitteln (22,6 %) sowie Infor-mationen zur Diagnose bzw. Behandlung von bestimmten Erkrankungen (22,5 %). 17,2 % der Ratsuchenden wünschten eine Überprüfung der eigenen Medikation auf Interaktionen.

In 445 der 2388 Beratungen wurden von den Ratsuchenden schon vorhande-ne Nebenwirkungen durch Arzneimit-tel (18,6 %) thematisiert. Die Berater be-werteten anhand des WHO-UMC-Kau-salitätssystems, inwieweit ein Zusam-menhang mit der Einnahme eines Arz-neimittels bestehen konnte. Bei 59,8 % der Nebenwirkungsmeldungen der Rat-suchenden (n = 266) wurde der Zusam-menhang mit mindestens „wahrschein-lich“ eingestuft. 7,1 % dieser unerwünsch-ten Arzneimittelereignisse (n = 19) waren entsprechend der aktuellen Fachinforma-tionen nicht bekannt. 28 Berichte der An-rufenden wurden durch die Berater als mindestens wahrscheinliche und schwer-wiegende Nebenwirkung eingeschätzt (10,5 %).

Ein deutlicher Anstieg lässt sich hin-sichtlich Anfragen zum Themenkomplex Kosten und Erstattung von Arzneimitteln zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verzeichnen. Während 2007 nur 7,6  % der Anfragen dies thematisierten, such-ten 2011 mit 16,9 % mehr als doppelt so viele Ratsuchende Informationen auf die-sem Gebiet.

In der Summe wurden in den 2388 Be-ratungen insgesamt 9344 Arzneimittel an-gegeben, die eingenommen werden; 2811 dieser Medikamente (30,1 %) waren der Grund für die Inanspruchnahme der Be-ratung. Eine Untergliederung dieser Arz-neimittel nach ATC-Code ist in . Abb. 2 ersichtlich. Es wird deutlich, dass vor al-lem Arzneimittel für das kardiovaskuläre System (z. B. Antihypertensiva) als auch Arzneimittel für das Nervensystem (z. B.

Opioide, Psychopharmaka, Antidepressi-va) von den Ratsuchenden eingenommen wurden.

Als Resultat dieses hohen Anfrageauf-kommens waren viele Arzneimittel für das kardiovaskuläre System oder für das Ner-vensystem Grund für die Anfrage beim Beratungsdienst. Dennoch fällt auf, dass

einige andere Arzneimittelgruppen zwar insgesamt seltener eingenommen wurden (z. B. systemische Antiinfektiva, antipara-sitäre Substanzen, Insektizide, Repellen-zien, antineoplastische und immunmo-dulierende Substanzen), hierzu aber pro-zentual häufiger Fragen aufkamen (ATC J: 60,1 %; ATC L: 59,3 %; ATC P: 62,5 %).

Zusammenfassung · Abstract

Präv Gesundheitsf 2013 ∙ 8:44–48 DOI 10.1007/s11553-012-0365-y © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

S. Kolbe · P. Neubauer · J. Schröder

Sicherheit bei der Arzneimitteltherapie. Unterstützung durch einen unabhängigen Beratungsdienst

ZusammenfassungHintergrund. Vielen Patienten fehlen Infor-mationen über ihre Arzneimitteltherapie. Da-raus resultieren gewisse Risiken und Unsi-cherheiten im Umgang mit Medikamenten. Seit 2001 gibt es daher am Institut für Klini-sche Pharmakologie der TU Dresden einen unabhängigen Arzneimittelberatungsdienst für Patienten (ABDP). Ziel der vorliegenden Untersuchung war die Klärung, ob solch ein Service die Patientensicherheit in Hinblick auf die Pharmakotherapie verbessern kann.Material und Methoden. Alle Anfragen beim ABDP werden anonymisiert und EDV-gestützt dokumentiert. Es wurden die Anfra-gen des Jahres 2010 und 2011 deskriptiv aus-gewertet.Ergebnisse. Die Anrufer in 2011 waren im Median 67 Jahre alt, 63,2 % waren weib-lich. Die Fragen thematisierten vorran-gig bestimmte Arzneimittel (66,2 %) sowie

Informationen über Erkrankungen und deren Therapiemöglichkeiten (44,8 %). 18,6 % der Anrufer berichteten über bereits vorhandene Nebenwirkungen. Arzneimittel für das kar-diovaskuläre System sowie für das Nervensys-tem waren am häufigsten Inhalt der Fragen.Schlussfolgerung. Der ABDP ist ein Instru-ment im Gesundheitssystem, welches ergän-zend zur Konsultation des Arztes Unsicher-heiten im Umgang mit Medikamenten be-seitigen sowie durch die fachliche Beratung Fehlanwendungen verhindern bzw. minimie-ren kann.

SchlüsselwörterArzneimittelberatungsdienst · Pharmakotherapie · Patientensicherheit · Unerwünschte Arzneimittelwirkung · Unsicherheit

Safety of pharmacotherapy. Assistance of a drug information service for patients

AbstractBackground. Many patients miss informati-on about their drug therapy. The outcome of this is a higher risk and uncertainty in using drugs. Therefore, the Institute of Clinical Phar-macology of the University of Dresden runs an independent drug information service for patients (DISP) since 2001. The aim of the present study was to clarify whether such a service can improve patient safety in terms of pharmacotherapy.Material and Methods. All patient´s enqui-ries are documented anonymously and com-puter based. The enquiries of the years 2010 and 2011 were evaluated descriptively.Results. The median age of the patients see-king advice in 2011 was 67 years, 63.2% were female. Common reasons for contacting the service were questions about certain drugs

(66.2%) or diseases and their treatment opti-ons (44.8%). 18.6% of patients reported exis-ting side effects. The drug groups most fre-quently enquired were questions about drugs for the cardiovascular system and the nervous system. Conclusion. The DISP is an instrument in the health care system, which can help the pa-tient to eliminate uncertainties in drug the-rapy and to minimize misuse of medication in addition to the consultation with the trea-ting physician.

Keywords Drug information service · Pharmacotherapy · Patient safety · Adverse drug reaction · Uncertainty

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Die 10 Arzneimittel, die absolut die häufigsten Anfragen verursachten, sind in . Abb. 3 dargestellt. Im Vergleich zum Vorjahr 2010 fand eine deutliche Verschie-bung der Anfragehäufigkeiten zugunsten von Arzneimitteln statt, welche die Blut-gerinnung beeinflussen.

Zeitaufwand und Empfehlungen

Die Recherche zu den Anfragen dauerte im Durchschnitt 16,6 min. Anfragen, die schriftlich eingegangen sind, benötigten durchschnittlich eine längere Recherche-zeit (Brief: 22,9 min; E-Mail: 19,8 min) als telefonisch gestellte Fragen (15,5 min). Die Berater telefonierten im Anschluss durch-schnittlich 10,3 min mit dem Ratsuchen-den, um seine Fragen zu beantworten.

Bei dem größten Teil der Anfragen ging es vorrangig um die reine Übermitt-lung von Informationen an den Ratsu-chenden – Empfehlungen für das weitere Vorgehen wurden daher nicht ausgespro-chen. 18,2 % der Patienten wurde dagegen empfohlen, noch einmal den Arzt zu kon-sultieren, um mit diesem die therapeuti-schen Maßnahmen zu besprechen. 2,0 % der Ratsuchenden wollten nach dem Ge-spräch mit den Beratern eine zweite Arzt-meinung einholen.

Diskussion

Der unabhängige Arzneimittelberatungs-dienst am Institut für Klinische Pharma-kologie der Medizinischen Fakultät, TU Dresden hat sich in den letzten 11  Jah-ren seit der Entstehung des Services in Deutschland etabliert. Die Anzahl der Ratsuchenden ist seitdem kontinuierlich

gestiegen [3]. In diesem Zeitraum begann zudem der Wandel des deutschen Ge-sundheitssystems durch diverse Gesund-heitsreformen der letzten Jahre (u. a. die GKV-Gesundheitsreform 2000). Im Rah-men dieser Veränderungen sollen die Pa-tienten aktiver an der Prävention und ihrer Therapie beteiligt werden und mit-wirken können. Allerdings wird in diesem Zusammenhang auch mehr Selbstverant-wortung und -bestimmung vom Patienten gefordert. Die Auswertung der Anfragen des Beratungsdienstes zeigen allerdings deutlich, dass gewisse Informationsdefi-zite vorhanden sind, die dazu führen kön-nen, dass Patienten nicht aktiv an ihrer Genesung mitwirken.

Für dieses Informationsdefizit gibt es viele Ursachen. Zum einen ist bekannt, dass die Kommunikationszeit mit dem Arzt aufgrund dessen großen gesund-heitsökonomischen Druckes immer ge-ringer wird. Es fehlt häufig die Möglich-keit, auf die individuellen Bedürfnis-se der Patienten mit adäquatem Zeitauf-wand einzugehen. Dazu kommt, dass sich Patienten oft nicht trauen, den Arzt mit ihren Fragen zu „nerven“ oder zu beun-ruhigen [12].

Alternativ stehen den Patienten im-mer mehr frei zugängliche Gesundheits-informationen, v. a. über das Internet, zur Verfügung. Eine europaweite Studie zeigte beispielsweise, dass im Jahr 2007 die Nut-zung des Internets zur Beschaffung von gesundheitsbezogenen Informationen im Vergleich zum Jahr 2005 in Deutschland um 12,2 % anstieg [8]. Diese Informatio-nen offenbaren jedoch oft Mängel in der Qualität und unterstehen keinerlei Kont-rollen [2], sodass der Informationsgehalt

für die Ratsuchenden schwer einschätzbar ist. Statt besserer Information besteht die Gefahr wachsender Unsicherheit bis hin zur Fehlinformation der Patienten. An diesem Punkt besitzt der Arzneimittel-beratungsdienst die Möglichkeit, den Pa-tienten aufzufangen und unabhängige In-formationen zu übermitteln.

Eine Evaluation des Beratungsange-bots in der Vergangenheit hat gezeigt, dass die Ratsuchenden die laienverständliche Beratung sowie die Kompetenz der Bera-ter schätzen. Es stellten sich zudem posi-tive Effekte auf die Compliance der Ratsu-chenden ein. Im Sinne der Sicherheit im Umgang mit Medikamenten ist es außer-dem als positiv zu bewerten, dass sich das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt durch die zusätzliche Pharma-kotherapieberatung kaum verändert [10].

Neben der Klärung persönlicher Un-sicherheiten der Ratsuchenden stellt der Arzneimittelberatungsdienst jedoch auch ein Instrument dar, welches einen Bei-trag zur Patientensicherheit im Sinne der pharmakotherapeutischen Sicherheit leisten kann. Anhand der Auswertungen wurde deutlich, dass häufig Anfragen zu Nebenwirkungen und Wechselwirkungen auftreten. Diese Aspekte sind potentielle Risikofaktoren für eine gefährdete Patien-tensicherheit.

Der Fakt, dass viele Patienten bei meh-reren Fachärzten gleichzeitig in Behand-lung sind, erschwert die Übersicht über die vorhandene Pharmakotherapie und erhöht das Risiko für potentielle Arznei-mittelrisiken weiter [4]. Durch die Berater erfolgt eine wissenschaftliche Einschät-zung der Pharmakotherapie anhand der aktuellen Studienlage sowie auf Grund-lage nationaler und internationaler Leit-linien. Anhand der Daten zur Dokumen-tation schon vorhandener Nebenwirkun-gen wurde deutlich, dass es bei den Bera-tungen nicht nur um theoretische Aspekte geht, sondern konkrete Probleme mit den Beratern besprochen werden. Die Stan-dardarbeitsanweisungen des Beratungs-teams führen dazu, dass bei Detektion potentiell risikoreicher Effekte von Arz-neimitteln die Bitte ausgesprochen wird, dies zeitnah mit dem behandelnden Arzt zu besprechen. Dies trägt zu einer erhöh-ten Patientensicherheit bei, ohne den An-

Abb. 3 9 Arzneimit-tel, die 2011 am häu-figsten die Ursache der Anfrage darstellten (im Vergleich zum Vorjahr 2010)

05

101520253035404550

Anz

ahl d

er A

nfra

gen

20112010

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spruch zu erheben, den wichtigen Kontakt mit dem Arzt ersetzen zu wollen.

Kritische Anmerkungen

Limitierend muss bei der Interpretation der Ergebnisse angemerkt werden, dass die Daten auf Selbstangaben der Patien-ten beruhen und somit der Anspruch auf Vollständigkeit nicht erhoben werden kann. Dies ist jedoch im Hinblick auf die Intention dieser Auswertungen zu ver-nachlässigen. Außerdem gibt es in der Li-teratur Hinweise auf eine hohe Aussage-kraft von Patientenangaben [11].

Ein Selektionsbias zugunsten von Pa-tienten mit einem hohen Beratungsbe-darf kann beim Arzneimittelberatungs-dienst nicht ausgeschlossen werden, da das Anruferkollektiv für die Berater nicht steuerbar ist. Dennoch lässt sich aufgrund des breit gefächerten Anfragen- und An-fragerspektrums vermuten, dass dieser Bias gering ausfällt.

Aufgrund ökonomischer und logis-tischer Restriktionen ist es bisher nicht möglich, weitere Auswertungen zu poten-tiellen Arzneimittelrisiken für die Ratsu-chenden aufgrund detaillierterer Doku-mentationen durchzuführen. Für die Zu-kunft wären solche Untersuchungen wün-schenswert, um den Mehrwert solch einer Beratungsstelle für die Patientensicherheit weiter zu unterstreichen.

Fazit

Im Umgang mit Arzneimitteln sind Pa-tienten mit einer Vielzahl an potentiellen Problemen konfrontiert. Eine falsche An-wendung der Medikamente kann die Si-cherheit der Patienten erheblich gefähr-den.Der Arzneimittelberatungsdienst für Pa-tienten stellt ein Instrument im deut-schen Gesundheitssystem dar, welches von zwei verschiedenen Seiten aus die Patientensicherheit hinsichtlich der Arz-neimitteltherapie erhöhen kann. Dazu zählt zum einen die Stärkung der Patien-tensouveränität, die dazu führt, dass der Ratsuchende mit weniger Unsicherheit und in einem höheren Maß an der Phar-makotherapie und damit dem Erreichen der Therapieziele mitwirken kann. Zum

anderen können durch die fachliche Be-ratung Fehlanwendung verhindert bzw. minimiert werden. Der Beratungsservice dient der zusätzlichen Unterstützung der Patienten mit erhöhtem Beratungsbe-darf ergänzend zum Kontakt mit den be-handelnden Ärzten.

Korrespondenzadresse

Dr. rer. medic. S. KolbeMedizinische Fakultät, Institut für Klinische PharmakologieTechnische Universität DresdenFiedlerstraße 27, 01307 Dresdensophie.kolbe1@ mailbox.tu-dresden.de

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S