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KULTUR Sudetendeutsche Zeitung Folge 5 | 1. 2. 2019 7 Das Generalkonsulat von Un- garn in Bayern und das Münche- ner Haus des Deutschen Ostens (HDO) luden zum vierten Mal gemeinsam zum Gedenktag für die vertriebenen Ungarndeut- schen im Ungarischen General- konsulat in München ein. Die siebte Gedenkveranstaltung dieser Art seit 2012 begann nach der Eröffnung durch den ungari- schen Generalkonsul Gábor Tor- dai-Lejkó mit Grußworten von Sylvia Stierstorfer, der Beauf- tragten der Bayerischen Staats- regierung für Vertriebene und Aussiedler, und Bernd Fabriti- us, dem Beauftragten der Bun- desregierung für Aussiedlerfra- gen und nationale Minderhei- ten. Den Festvortrag über das kulturelle Leben der deutschen Minderheit in Ungarn hielt der ungarische Parlamentsabgeord- nete Emmerich Ritter. Ungarn- deutsche Schüler aus Werisch- war bei Budapest boten Mund- artvorträge, Gesang und Tanz dar. A m 19. Januar 1946 verließ der erste Eisenbahnwaggon mit vertriebenen Ungarndeut- schen deren Heimat in Ungarn“, erinnerte Gábor Tordai-Lejkó. „185 000 zur deutschen Min- derheit gehörende Ungarn wur- den nach Logik der herrschen- den Diktatur damals enteignet und ausgebürgert.“ Diese Un- garndeutschen seien im zerstör- ten Deutschland der Nachkriegs- zeit aufgenommen worden, viele davon in Bayern. Der ungarische Generalkonsul konnte stolz dar- auf hinweisen, daß Ungarn 2012 als erstes Land in Europa nach einstimmiger und parteienüber- greifender Parlamentsentschei- dung einen Gedenktag in Erin- nerung an das Leid der Vertrie- benen beschlossen habe. Für die Ungarn bedeute Eu- ropa ein Miteinander vieler Iden- titäten und Unterstützung der Minderheiten in der Pflege und Förderung ihrer Kultur, so der Generalkonsul. „Heute möch- ten wir hier auch zeigen, daß die deutsche Minderheitenkul- tur in Ungarn eine Renaissance erlebt“, freute er sich. Der Aus- gangspunkt für das Erblühen der ungarndeutschen Kultur liege in deren Minderheitenselbstver- waltungen, deren finanzielle För- derung durch den ungarischen Staat sich seit 2010 verdreifacht habe. Inzwischen sei der kom- plette Bildungsweg vom Kinder- garten über Grundschule und Gymnasium bis zur Universität in Ungarn auch deutschsprachig gewährleistet. In 406 der 3200 un- garischen Kommunen gebe es ei- ne deutsche Minderheitenselbst- verwaltung. 2011 habe dann ei- ne Novellierung des ungarischen Wahlgesetzes dafür gesorgt, daß gesetzliche Grundlagen für die parlamentarische Vertretung der 13 autochthonen Minderheiten Ungarns gelegt worden seien. Einer der ersten Abgeordne- ten der deutschen Minderheit im ungarischen Parlament, Em- merich Ritter, war als Ehrengast bei der Feier. Ritter war vergan- genes Jahr auf der Liste der Lan- desselbstverwaltung der Un- garndeutschen ins ungarische Parlament gewählt worden. Der 1952 im donauschwäbischen Wu- dersch/Budaörs geborene Parla- mentssprecher der Ungarndeut- schen berichtete in der Festre- de von der kulturellen Lage der Ungarndeutschen. Besonderen Stellenwert nähmen Allgemein- bildung und der Gebrauch der deutschen Sprache ein. Anschau- lich erklärte Ritter, wie er seine drei Kinder Gregor, Maria und Annerose für das Deutschspre- chen gewinnen konnte. „Jedoch können viele Eltern die deutsche Muttersprache nicht mehr aus- reichend vermitteln“, bedauerte Ritter. Daher sei es der Landes- selbstverwaltung der Ungarn- deutschen ein Anliegen, neben dem Spracherwerb des Deut- schen in der Schule die deutsche Sprache auch durch Bildungsan- gebote im außerschulischen Be- reich, etwa in Freizeiten, zu ver- mitteln. Dabei unterstütze der unga- rische Staat eindrucksvoll: Seit 2017 gebe es ein komplexes Bil- dungsprogramm für die Päd- agogenausbildung zukünfti- ger Kindergärtner einschließlich zahlreicher Stipendien und Ge- haltszulagen. Dies werde zuneh- mend auf den Schul- und Uni- versitätsbereich ausgedehnt. „Inzwischen gibt es 64 ungarn- deutsche Bildungsstätten, die 15 000 Kinder erreichen“, freu- te sich Ritter. Er nannte genaue Zahlen über die stetig ansteigen- de Sonderförderung durch den Staat, von 250 000 im Jahr 2017 auf 422 000 Euro 2019. Die staatli- chen Leistungen kämen der Pfle- ge des deutschen Spracherwerbs zugute, wofür er Regierung und Parlament in Ungarn danke. „Die Zahlen sprechen für sich, und ich bin optimistisch, was die Zukunft der Kinder deutscher Herkunft angeht“, resümierte Ritter. Optimistisch äußerte sich auch Silvia Stierstorfer in ihrem Grußwort: „Bayern und Ungarn sind Freunde“, betonte die Be- auftragte der Bayerischen Staats- regierung für Vertriebene und Aussiedler. Sie überbrachte auch freundliche Grüße vom Bayeri- schen Ministerpräsidenten Mar- kus Söder. „Seit vielen Jahrhun- derten sind beide Länder durch eine enge Partnerschaft verbun- den“, betonte Stierstorfer. Sie er- innerte an das schreckliche Ge- schehen der Vertreibung der Hälfte aller Ungarndeutschen nach Ende des Zweiten Welt- krieges. Der Freundschaft zwi- schen beiden Ländern habe auch die lange kommunistische Herr- schaft in Ungarn nichts anhaben können: So hätten nach der Un- terdrückung des ungarischen Volksaufstands 1956 viele Un- garn und Ungarndeutsche Zu- flucht in Deutschland gefunden. 1989 sei es letztendlich Ungarn gewesen, das den entscheiden- den Anstoß zum Fall des Eiser- nen Vorhangs gegeben habe. „Wir Bayern werden nie verges- sen: Ungarn hat das Tor zur deut- schen Wiedervereinigung ge- öffnet“, sagte sie unter Applaus. Die Rednerin betonte auch: „Un- garn hat sich inzwischen mit der Aussiedlung der Deutschen vor- bildlich auseinandergesetzt.“ Sie lobte das nachahmenswerte Na- tionalitätenrecht der Ungarn, das seine Anwendung besonders in der Behandlung der deutschen Minderheit finde. Eine „Schlüsselfrage“ sei da- bei besonders die Bildung: „Das Wissen um die Vertreibung müs- sen die Schulen an die junge Ge- neration weitergeben.“ Auch hier habe Ungarn die richtigen Weichen gestellt. Im Bildungs- sektor, auch an den Hochschu- len, sei sicher auch noch intensi- vere Kooperation mit Bayern vor- stellbar, so Stierstorfer. Das alles gehe aber nur unter dem gemein- samen Dach der Europäischen Union, und zwar in einem Euro- pa, das durch eine gemeinsame Kultur und gemeinsame Werte verbunden sei. Wie sehr Ungarn diese Werte schätze, zeige auch der Gedenktag für die vertrie- benen Ungarndeutschen, lobte Stierstorfer. Auch Bernd Fabritius hob dies in seiner Rede hervor: „Seit 2013 begeht Ungarn am 19. Januar seinen Gedenktag zur Erinne- rung an die Vertreibung der Un- garndeutschen.“ Ungarn habe früh erkannt, daß mit einer kon- sequenten Aufarbeitung dunkler Kapitel der eigenen Geschichte große Chancen verbunden sei- en. Die angestammte deutsche Minderheit genieße eine „un- glaublich gute Basis für die Pfle- ge ihrer Identität“, so der Beauf- tragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Der Schwerpunkt mit Deutschland gemeinsam ver- folgter Bemühungen liege auf der institutionellen Sprachförde- rung und der Jugendarbeit, wozu beide Staaten ihren Beitrag lei- steten, erläuterte der 1965 in Sie- benbürgen geborene Politiker. Für seine umfassende Förderung der ungarndeutschen Kultur sol- le dem ungarischen Staat ge- dankt werden, so Fabritius, der auch der Präsident des Bundes der Vertriebenen ist und eigens aus Berlin gekommen war. Dem ungarischen General- konsul Gábor Tordai-Lejkó und seinem Team dankte Andreas Otto Weber für die Gastfreund- schaft in der schönen Villa mit Walmdach von Architekt Lud- wig Grothe in München-Bogen- hausen, wo das Generalkonsu- lat residiert. „Seit 2014 laden wir gemeinsam zu Gedenkveran- staltungen anläßlich des ungari- schen Gedenktags für die vertrie- benen Ungarndeutschen ein“, so HDO-Direktor Weber. „Das ist inzwischen eine Tradition gewor- den, und ich will diese gerne wei- terführen.“ Mit der Feier solle ei- nerseits der Opfer von Verfol- gung und Vertreibung unter der deutschen Minderheit in Ungarn gedacht, andererseits die Vielfalt in Europa betont werden. „Dieses vielfältige Europa gab es vor den zwei Weltkriegen und vor der fatalen und vielfaltsblin- den Idee der ethnisch homoge- nen Nationen und der daraus entstandenen Politik der Vertrei- bung.“ Trotz der Vertreibung sei der östliche Teil Europas bis heu- te ein Raum reicher kultureller Entfaltung. Ungarn habe diesen Reichtum erkannt und betrei- be seit mehr als zwei Jahrzehn- ten eine europaweit vorbildliche Minderheitenpolitik, vor allem in kultureller Hinsicht wie im Bil- dungssektor, was der Vortrag von Emmerich Ritter eindrucksvoll gezeigt habe. Da bei der aktuellen Gedenk- veranstaltung der Bildungs- und Schulbereich ins Rampen- licht gerückt worden sei, so We- ber, wolle er gern erinnern, daß das HDO mit der Akademie für Lehrerfortbildung und Personal- führung in Dillingen schon jah- relang Studienreisen für Lehrer in die Länder Europas mit deut- schen Minderheiten organisie- re, beispielsweise 2010 mit deut- schen Geschichtslehrern ins un- garische Fünfkirchen/Pécs. Auch unter seiner Leitung setze das HDO diese Kooperation fort. Nach Fahrten mit Gymnasial- lehrern nach Polen in den Jahren 2016 und 2018 sei für das näch- ste Jahr eine Reise nach Ungarn geplant. „Wie bei den bisheri- gen Reisen werden wir auch in Ungarn besonders den Aspekt der Minderheitenpolitik und die Situation der ungarndeutschen Minderheit zu einem wichtigen Bestandteil der Studienreise ma- chen“, betonte Weber. Der HDO-Direktor war wie al- le Gäste begeistert von der wun- dervollen musikalischen Um- rahmung der Feier durch sie- ben junge ungarndeutsche Interpretinnen, alles Schüler aus Werischwar/Pilisvörösvár in den Budaer Bergen nahe Bu- dapest. Bei der letzten Volks- zählung im Jahr 2011 bekann- ten sich dort von den 13 667 Ein- wohnern 3804 zur deutschen Volkszugehörigkeit, und deren Kulturgut wird im Heimatwerk Werischwar gepflegt. Die Kin- der boten ein buntes Programm: Vier trugen paarweise traditio- nelle Lieder ihrer Volksgruppe vor, bei denen zwei Schüler an der Ziehharmonika begleiteten. Viele Gäste summten sofort mit. Der spitzbübische Tamás Rad- nai trug eine Mundartgeschich- te über einen Lausbubenstreich in einer Kirche vor. Seine Mit- schülerin Léna Klein schilder- te – ebenfalls in donauschwäbi- scher Mundart – ihr „Briafl ans Christkindl“. Zwei Paare zeigten Volkstänze, und alle zusammen sangen ein Abschlußlied. Mit ih- ren Lehrerinnen Júlia und Szilvia Mirk freuten sich die jungen Un- terhalter am Ende über blauwei- ße Geschenktüten von den Mün- chener Gastgebern. Am Ende stärkten sich alle Teilnehmer und Gäste an einem ungarischen Spezialitäten-Buffet mit Tokajer oder Bier, würzigem Pörkölt – also Gulasch – oder Paprikahuhn und Palatschinken- häppchen zum süßen Schluß. Susanne Habel Siebter Gedenktag für die vertriebenen Ungarndeutschen in München Renaissance deutscher Kultur Am Schluß freuen sich alle Mitwirkenden über die schöne Gedenkveranstaltung in München. Bilder: Susanne Habel HDO-Direktor Professor Dr. Andreas Otto Weber, Generalkonsul Gábor Tordai-Lejkó, Dr. Bernd Fabritius, Bundesbeauftragter für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten sowie BdV-Präsident, Sylvia Stierstorfer, Bayerns Landesbeauftragte für Vertriebene und Aussiedler, Josef Zellmeier MdL, Vertrie- benenpolitischer Sprecher der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, der Ungarndeutsche Emmerich Ritter, Mitglied des ungarischen Parlaments, und Georg Hodolitsch, Vorsitzender der Bundesdelegiertenversammlung der Ungarndeutschen. Die ungarndeutschen Schüler aus Werischwar: Noel Sax, Bernárd Sax, Anna Mravinac, Bálint Mravinac, Léna Klein, Xavér Klein und Tamás Radnai zwi- schen ihren Lehrerinnen Júlia Mirk (ganz links) und Szilvia Mirk (ganz rechts).

Siebter Gedenktag für die vertriebenen Ungarndeutschen in ... · Sudetendeutsche Zeitung KULTUR Folge 5 | 1.2.2019 7 Das Generalkonsulat von Un-garn in Bayern und das Münche-ner

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KULTURSudetendeutsche ZeitungFolge 5 | 1. 2. 2019 7

Das Generalkonsulat von Un-garn in Bayern und das Münche-ner Haus des Deutschen Ostens (HDO) luden zum vierten Mal gemeinsam zum Gedenktag für die vertriebenen Ungarndeut-schen im Ungarischen General-konsulat in München ein. Die siebte Gedenkveranstaltung dieser Art seit 2012 begann nach der Eröffnung durch den ungari-schen Generalkonsul Gábor Tor-dai-Lejkó mit Grußworten von Sylvia Stierstorfer, der Beauf-tragten der Bayerischen Staats-regierung für Vertriebene und Aussiedler, und Bernd Fabriti-us, dem Beauftragten der Bun-desregierung für Aussiedlerfra-gen und nationale Minderhei-ten. Den Festvortrag über das kulturelle Leben der deutschen Minderheit in Ungarn hielt der ungarische Parlamentsabgeord-nete Emmerich Ritter. Ungarn-deutsche Schüler aus Werisch-war bei Budapest boten Mund-artvorträge, Gesang und Tanz dar.

Am 19. Januar 1946 verließ der erste Eisenbahnwaggon

mit vertriebenen Ungarndeut-schen deren Heimat in Ungarn“, erinnerte Gábor Tordai-Lejkó. „185 000 zur deutschen Min-derheit gehörende Ungarn wur-den nach Logik der herrschen-den Diktatur damals enteignet und ausgebürgert.“ Diese Un-garndeutschen seien im zerstör-ten Deutschland der Nachkriegs-zeit aufgenommen worden, viele davon in Bayern. Der ungarische Generalkonsul konnte stolz dar-auf hinweisen, daß Ungarn 2012 als erstes Land in Europa nach einstimmiger und parteienüber-greifender Parlamentsentschei-dung einen Gedenktag in Erin-nerung an das Leid der Vertrie-benen beschlossen habe.

Für die Ungarn bedeute Eu-ropa ein Miteinander vieler Iden-titäten und Unterstützung der Minderheiten in der Pflege und Förderung ihrer Kultur, so der Generalkonsul. „Heute möch-ten wir hier auch zeigen, daß die deutsche Minderheitenkul-tur in Ungarn eine Renaissance erlebt“, freute er sich. Der Aus-gangspunkt für das Erblühen der ungarndeutschen Kultur liege in deren Minderheitenselbstver-waltungen, deren finanzielle För-derung durch den ungarischen Staat sich seit 2010 verdreifacht habe. Inzwischen sei der kom-plette Bildungsweg vom Kinder-garten über Grundschule und Gymnasium bis zur Universität in Ungarn auch deutschsprachig gewährleistet. In 406 der 3200 un-garischen Kommunen gebe es ei-ne deutsche Minderheitenselbst-verwaltung. 2011 habe dann ei-ne Novellierung des ungarischen Wahlgesetzes dafür gesorgt, daß gesetzliche Grundlagen für die parlamentarische Vertretung der 13 autochthonen Minderheiten Ungarns gelegt worden seien.

Einer der ersten Abgeordne-ten der deutschen Minderheit im ungarischen Parlament, Em-merich Ritter, war als Ehrengast bei der Feier. Ritter war vergan-genes Jahr auf der Liste der Lan-desselbstverwaltung der Un-garndeutschen ins ungarische Parlament gewählt worden. Der 1952 im donauschwäbischen Wu-dersch/Budaörs geborene Parla-mentssprecher der Ungarndeut-schen berichtete in der Festre-de von der kulturellen Lage der Ungarndeutschen. Besonderen Stellenwert nähmen Allgemein-bildung und der Gebrauch der deutschen Sprache ein. Anschau-lich erklärte Ritter, wie er seine drei Kinder Gregor, Maria und Annerose für das Deutschspre-chen gewinnen konnte. „Jedoch können viele Eltern die deutsche Muttersprache nicht mehr aus-reichend vermitteln“, bedauerte Ritter. Daher sei es der Landes-selbstverwaltung der Ungarn-deutschen ein Anliegen, neben dem Spracherwerb des Deut-schen in der Schule die deutsche Sprache auch durch Bildungsan-gebote im außerschulischen Be-

reich, etwa in Freizeiten, zu ver-mitteln.

Dabei unterstütze der unga-rische Staat eindrucksvoll: Seit 2017 gebe es ein komplexes Bil-dungsprogramm für die Päd-agogenausbildung zukünfti-ger Kindergärtner einschließlich zahlreicher Stipendien und Ge-haltszulagen. Dies werde zuneh-mend auf den Schul- und Uni-versitätsbereich ausgedehnt. „Inzwischen gibt es 64 ungarn-deutsche Bildungsstätten, die 15 000 Kinder erreichen“, freu-te sich Ritter. Er nannte genaue Zahlen über die stetig ansteigen-de Sonderförderung durch den Staat, von 250 000 im Jahr 2017 auf 422 000 Euro 2019. Die staatli-chen Leistungen kämen der Pfle-ge des deutschen Spracherwerbs zugute, wofür er Regierung und Parlament in Ungarn danke. „Die Zahlen sprechen für sich, und ich bin optimistisch, was die Zukunft der Kinder deutscher Herkunft angeht“, resümierte Ritter.

Optimistisch äußerte sich auch Silvia Stierstorfer in ihrem

Grußwort: „Bayern und Ungarn sind Freunde“, betonte die Be-auftragte der Bayerischen Staats-regierung für Vertriebene und Aussiedler. Sie überbrachte auch freundliche Grüße vom Bayeri-schen Ministerpräsidenten Mar-kus Söder. „Seit vielen Jahrhun-derten sind beide Länder durch eine enge Partnerschaft verbun-den“, betonte Stierstorfer. Sie er-innerte an das schreckliche Ge-schehen der Vertreibung der Hälfte aller Ungarndeutschen nach Ende des Zweiten Welt-krieges. Der Freundschaft zwi-schen beiden Ländern habe auch die lange kommunistische Herr-schaft in Ungarn nichts anhaben können: So hätten nach der Un-terdrückung des ungarischen Volksaufstands 1956 viele Un-garn und Ungarndeutsche Zu-flucht in Deutschland gefunden. 1989 sei es letztendlich Ungarn gewesen, das den entscheiden-den Anstoß zum Fall des Eiser-nen Vorhangs gegeben habe. „Wir Bayern werden nie verges-sen: Ungarn hat das Tor zur deut-

schen Wiedervereinigung ge-öffnet“, sagte sie unter Applaus. Die Rednerin betonte auch: „Un-garn hat sich inzwischen mit der Aussiedlung der Deutschen vor-bildlich auseinandergesetzt.“ Sie lobte das nachahmenswerte Na-tionalitätenrecht der Ungarn, das seine Anwendung besonders in der Behandlung der deutschen Minderheit finde.

Eine „Schlüsselfrage“ sei da-bei besonders die Bildung: „Das Wissen um die Vertreibung müs-sen die Schulen an die junge Ge-neration weitergeben.“ Auch hier habe Ungarn die richtigen Weichen gestellt. Im Bildungs-sektor, auch an den Hochschu-len, sei sicher auch noch intensi-vere Kooperation mit Bayern vor-stellbar, so Stierstorfer. Das alles gehe aber nur unter dem gemein-samen Dach der Europäischen Union, und zwar in einem Euro-pa, das durch eine gemeinsame Kultur und gemeinsame Werte verbunden sei. Wie sehr Ungarn diese Werte schätze, zeige auch der Gedenktag für die vertrie-

benen Ungarndeutschen, lobte Stierstorfer.

Auch Bernd Fabritius hob dies in seiner Rede hervor: „Seit 2013 begeht Ungarn am 19. Januar seinen Gedenktag zur Erinne-rung an die Vertreibung der Un-garndeutschen.“ Ungarn habe früh erkannt, daß mit einer kon-sequenten Aufarbeitung dunkler Kapitel der eigenen Geschichte große Chancen verbunden sei-en. Die angestammte deutsche Minderheit genieße eine „un-glaublich gute Basis für die Pfle-ge ihrer Identität“, so der Beauf-tragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Der Schwerpunkt mit Deutschland gemeinsam ver-folgter Bemühungen liege auf der institutionellen Sprachförde-rung und der Jugendarbeit, wozu beide Staaten ihren Beitrag lei-steten, erläuterte der 1965 in Sie-benbürgen geborene Politiker. Für seine umfassende Förderung der ungarndeutschen Kultur sol-le dem ungarischen Staat ge-dankt werden, so Fabritius, der

auch der Präsident des Bundes der Vertriebenen ist und eigens aus Berlin gekommen war.

Dem ungarischen General-konsul Gábor Tordai-Lejkó und seinem Team dankte Andreas Otto Weber für die Gastfreund-schaft in der schönen Villa mit Walmdach von Architekt Lud-wig Grothe in München-Bogen-hausen, wo das Generalkonsu-lat residiert. „Seit 2014 laden wir gemeinsam zu Gedenkveran-staltungen anläßlich des ungari-schen Gedenktags für die vertrie-benen Ungarndeutschen ein“, so HDO-Direktor Weber. „Das ist inzwischen eine Tradition gewor-den, und ich will diese gerne wei-terführen.“ Mit der Feier solle ei-nerseits der Opfer von Verfol-gung und Vertreibung unter der deutschen Minderheit in Ungarn gedacht, andererseits die Vielfalt in Europa betont werden.

„Dieses vielfältige Europa gab es vor den zwei Weltkriegen und vor der fatalen und vielfaltsblin-den Idee der ethnisch homoge-nen Nationen und der daraus entstandenen Politik der Vertrei-bung.“ Trotz der Vertreibung sei der östliche Teil Europas bis heu-te ein Raum reicher kultureller Entfaltung. Ungarn habe diesen Reichtum erkannt und betrei-be seit mehr als zwei Jahrzehn-ten eine europaweit vorbildliche Minderheitenpolitik, vor allem in kultureller Hinsicht wie im Bil-dungssektor, was der Vortrag von Emmerich Ritter eindrucksvoll gezeigt habe.

Da bei der aktuellen Gedenk-veranstaltung der Bildungs- und Schulbereich ins Rampen-licht gerückt worden sei, so We-ber, wolle er gern erinnern, daß das HDO mit der Akademie für Lehrerfortbildung und Personal-führung in Dillingen schon jah-relang Studienreisen für Lehrer in die Länder Europas mit deut-schen Minderheiten organisie-re, beispielsweise 2010 mit deut-schen Geschichtslehrern ins un-garische Fünfkirchen/Pécs. Auch unter seiner Leitung setze das HDO diese Kooperation fort.

Nach Fahrten mit Gymnasial-lehrern nach Polen in den Jahren 2016 und 2018 sei für das näch-ste Jahr eine Reise nach Ungarn geplant. „Wie bei den bisheri-gen Reisen werden wir auch in Ungarn besonders den Aspekt der Minderheitenpolitik und die Situation der ungarndeutschen Minderheit zu einem wichtigen Bestandteil der Studienreise ma-chen“, betonte Weber.

Der HDO-Direktor war wie al-le Gäste begeistert von der wun-dervollen musikalischen Um-rahmung der Feier durch sie-ben junge ungarndeutsche Interpretinnen, alles Schüler aus Werischwar/Pilisvörösvár in den Budaer Bergen nahe Bu-dapest. Bei der letzten Volks-zählung im Jahr 2011 bekann-ten sich dort von den 13 667 Ein-wohnern 3804 zur deutschen Volkszugehörigkeit, und deren Kulturgut wird im Heimatwerk Werischwar gepflegt. Die Kin-der boten ein buntes Programm: Vier trugen paarweise traditio-nelle Lieder ihrer Volksgruppe vor, bei denen zwei Schüler an der Ziehharmonika begleiteten. Viele Gäste summten sofort mit. Der spitzbübische Tamás Rad-nai trug eine Mundartgeschich-te über einen Lausbubenstreich in einer Kirche vor. Seine Mit-schülerin Léna Klein schilder-te – ebenfalls in donauschwäbi-scher Mundart – ihr „Briafl ans Christkindl“. Zwei Paare zeigten Volkstänze, und alle zusammen sangen ein Abschlußlied. Mit ih-ren Lehrerinnen Júlia und Szilvia Mirk freuten sich die jungen Un-terhalter am Ende über blauwei-ße Geschenktüten von den Mün-chener Gastgebern.

Am Ende stärkten sich alle Teilnehmer und Gäste an einem ungarischen Spezialitäten-Buffet mit Tokajer oder Bier, würzigem Pörkölt – also Gulasch – oder Paprikahuhn und Palatschinken-häppchen zum süßen Schluß.

Susanne Habel

� Siebter Gedenktag für die vertriebenen Ungarndeutschen in München

Renaissance deutscher Kultur

Am Schluß freuen sich alle Mitwirkenden über die schöne Gedenkveranstaltung in München. Bilder: Susanne Habel

HDO-Direktor Professor Dr. Andreas Otto Weber, Generalkonsul Gábor Tordai-Lejkó, Dr. Bernd Fabritius, Bundesbeauftragter für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten sowie BdV-Präsident, Sylvia Stierstorfer, Bayerns Landesbeauftragte für Vertriebene und Aussiedler, Josef Zellmeier MdL, Vertrie-benenpolitischer Sprecher der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, der Ungarndeutsche Emmerich Ritter, Mitglied des ungarischen Parlaments, und Georg Hodolitsch, Vorsitzender der Bundesdelegiertenversammlung der Ungarndeutschen.

Die ungarndeutschen Schüler aus Werischwar: Noel Sax, Bernárd Sax, Anna Mravinac, Bálint Mravinac, Léna Klein, Xavér Klein und Tamás Radnai zwi-schen ihren Lehrerinnen Júlia Mirk (ganz links) und Szilvia Mirk (ganz rechts).