Upload
duongdan
View
215
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Sommer 2013 1 ANGELUS
Sind christlicher Glaube und
Vernunft vereinbar? Ein philosophischer Ausflug in das Christentum
1. In der frühen Tradition
„Glauben heißt nicht wissen“, lautet ein weithin verbreitetes Sprichwort.
Dabei wird freilich übersehen, dass „glauben“ in den Grundsprachen der
Bibel, sowohl im Hebräischen wie im Griechischen und auch im Lateini-
schen, nicht so sehr „für wahr halten“ als vielmehr „vertrauen“ auf Gott,
sein Wort und seine Verheißung bedeutet. Doch schließen sich nicht
trotzdem „Glaubenswahrheiten“ und menschliche Vernunft, besonders in
natur- und geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, aus? Schon Paulus
mahnt ja: „Gebt acht, dass euch niemand mit seiner Philosophie und
falschen Lehren verführt, die sich nur auf menschliche Überlieferung stüt-
zen und sich auf die Elementarmächte der Welt, nicht auf Christus beru-
fen.“ (Kol. 2,8)
Andererseits verkündet derselbe Paulus vor griechischen Philosophen
auf dem Areopaghügel in Athen den „unbekannten Gott“; ein solcher
wurde nämlich in dieser Stadt neben den anderen „bekannten“ Gottheiten
verehrt. Im Anschluss an die wissenschaftliche Gotteserkenntnis der Phi-
losophen erklärt der Apostel diesen nun als den einzigen wahren Gott,
der die Welt und den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis geschaf-
fen habe. Dagegen seien die anderen vielen Götter, welche die Griechen
in ihrem Staat verehrten, nur „Gebilde menschlicher Kunst und Erfin-
dung“. (Apg. 17, 18- 31).
Eben die Ablehnung der überlieferten Vielgötterei und die Berufung auf
die Stimme Gottes in seinem Herzen (sein sogenannter „Daimonion“) war
einst ja auch der Grund für das Todesurteil gegen Sokrates, der fortan
allen griechischen Philosophenschulen als das große Vorbild galt.
Ausdrücklich erkennt Paulus die Leistung der philosophischen Gotteser-
kenntnis aus der Natur an: „Was man von Gott erkennen kann, ist ihnen
offenbar ... Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit
ANGELUS 2 Sommer 2013
an den Werken der Schöpfung mit
der Vernunft wahrgenommen, seine
ewige Macht und Gottheit.“ (Röm.
1,19) Besonders Aristoteles kam so
dem biblischen Schöpfergott nahe,
als er in Gott den „ersten Beweger“
alles Bewegten und Lebenden in der
Welt erkannte. Und Platon hatte
schon zuvor Gott als „höchste Idee“
mit dem geistigen Urgrund alles
Seins und zugleich alles Guten
gleichgesetzt. So begründet die phi-
losophische Gotteserkenntnis auch
eine „gottentsprechende“ Lebensge-
staltung. Auch diesen Zusammen-
hang zeigt Paulus auf: „Heiden, die
das Gesetz nicht haben, tun von Na-
tur aus das, was im Gesetz gefor-
dert ist ... Sie zeigen damit, dass
ihnen die Forderung des Gesetzes
ins Herz geschrieben ist; ihr Gewis-
sen legt Zeugnis davon ab.“ (Röm. 2,14 f.;vgl. Phil. 4,8)
Papst Benedikt XVI. wies schon als Kardinal und als Professor Joseph
Ratzinger immer wieder auf diese philosophische Vorbereitung zum
Christentum als den „geistesgeschichtlichen Advent“ und als „Zeichen
göttlicher Vorsehung“ hin. Und tatsächlich verwiesen bedeutende
Kirchenlehrer schon sehr früh auf diese Zusammenhänge. Das für uns
Erstaunliche stellt dabei Ratzinger heraus (27.11.1999): Das junge Chris-
tentum schloss sich nicht an die religiös emotionalen, sondern an die phi-
losophisch vernunftgemäßen Vorgaben der Antike an. Deshalb wurden
die Christen von den traditionellen Heiden auch für „Atheisten“ gehalten.
Doch der Erfolg des Christentums lag eben darin, dass es „zugleich den
Forderungen der Vernunft wie dem religiösen Bedürfnis entsprach“, dass
in ihm „Aufklärung Religion geworden“ war. Als „wahre Philosophie“ (bei
Justin dem Märtyrer, † 167) verband es damit „im Lichte der Wahrheit“
Sokrates war ein für das abendländische Denken grundlegender griechischer Philosoph, der in Athen zur Zeit der Attischen Demokratie lebte und wirkte. Er hinter-fragte unerbittlich das mensch-liche Wissen und Tun. Sein Leitspruch lautet: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.
469 - 399 v. Chr. in Athen
Sommer 2013 3 ANGELUS
aber auch praktisch die „Kunst des rechten Lebens und Sterbens“.
Und wieder war vor allem Sokrates, der „lieber Unrecht leiden als Un-
recht tun“ wollte, das große Vorbild. Seine ungerechte Verurteilung und
sein Tod als letzte Konsequenz dieses Grundsatzes und seiner Lehre
insgesamt wurden bald im Lichte des Opfertodes Christi gesehen. So
stellt der Kirchenvater Basilius der Große (330-379) in seiner Schrift an
die Jugend, die er zur Lektüre der antiken Literatur begeistern will, be-
sonders Sokrates als nachahmenswertes Beispiel hin. Er erzählt unter
anderem die Anekdote, wie jemand einmal dem Sokrates rücksichtslos
ins Gesicht schlug, dieser sich aber nicht wehrte, bis sein Antlitz unter
den Schlägen aufgeschwollen und von Beulen unterlaufen war. Daraufhin
soll Sokrates lediglich den Namen des
Täters auf seine Stirn geschrieben ha-
ben, wie es die Bildhauer auf ihren
Statuen zu tun pflegten, damit alle se-
hen konnten, wer dieses „Kunstwerk“
an Sokrates verbrochen hatte. Basilius
sieht im Verhalten des Sokrates eine
Entsprechung zu den Geboten Christi
in der Bergpredigt, die Christen nicht
mehr als undurchführbar ansehen dürf-
ten, wenn sie erfahren, dass Heiden
die Gebote schon vorweg befolgt hät-
ten.
Insgesamt schließt sich Basilius den
Grundsätzen der philosophischen
Ethik an. Die Jugend solle die entspre-
chenden Schriften der alten
Griechen lesen, welche „die Grundla-
gen des Schönen und Guten lehren“.
Danach gilt es, immer auf die inneren
Werte des Menschen zu achten. Ihnen
müssten die äußeren Güter wie Kör-
perkraft, Schönheit, Gesundheit,
Der griechische Philosoph Platon war Schüler des Sokrates, dessen Denken und Methode er in vielen seiner Werke schilderte. Er sah den Entstehungsgrund und das Wesen aller Dinge in geistigen „Ideen“, letztlich in der „Idee des Guten“ (= Gott).
427 - 347 v. Chr. in Athen
ANGELUS 4 Sommer 2013
Reichtum, Macht und Ansehen stets untergeordnet sein und wie
bloße Werkzeuge dienen. Als nämlich ein junger Mann dem Sokrates
stolz von seinem Reichtum erzählte, erwiderte dieser, er werde ihn erst
dann bewundern, wenn er ihm sagen könne, dass er sein Vermögen zu
einem schönen und guten Zweck gebrauche (vgl. Lk. 18,23).
Doch der Kirchenvater Basilius sieht im Anschluss an das Höhlengleich-
nis Platons die Vorgaben der antiken griechischen Philosophie insgesamt
als „Schatten und Spiegel“ der ewigen Wahrheiten (vgl. 1. Kor. 13,12): So
hoch die Seele über allen Fähigkeiten des Körpers steht, so groß ist der
Unterschied zwischen der verheißenen Seligkeit im Jenseits und unse-
rem jetzigen Leben auf Erden. Gewiss solle der Christ aber an den
großen Werken der griechischen Literatur sein geistiges Auge schulen,
damit er seinen Blick frei nach oben zu den höchsten Werten des
Göttlichen richten könne. So zeigt sich das Christentum in seiner Frühzeit
als Fortsetzung und Überhöhung der antiken Philosophie: Vernunft,
Glaube und Leben sind in ihm zu einer Einheit verbunden.
2. In den Herausforderungen der Gegenwart
Der Erfolg des jungen Christentums lag wesentlich darin, dass die neue
Religion an die geistigen Erkenntnisse der antiken Philosophie anschlie-
ßen und die Gebildeten der damaligen Zeit für sich gewinnen konnte. Der
unüberbrückbare Gegensatz zwischen Philosophie und dem hergebrach-
tem alten Götterglauben fiel nunmehr weg. Glaube, Wissenschaft und
Aufklärung waren versöhnt.
Nach Ratzinger (27.11.1999) hat das Christentum in diesem frühen Ver-
ständnis einer lebendigen Verbindung von Glauben und Vernunft gerade
für unsere Zeit eine neue, geradezu herausfordernde, doch wahrhaft
„erlösende“ Bedeutung. Recht betrachtet ist heute Vernunft unterbewer-
tet. Weit entfernt von ihrer einst führenden und bestimmenden Stellung,
„dient“ sie nämlich in sklavischer Unterordnung den äußeren
„Bedürfnissen“ unseres Lebens; sie konzentriert sich auf die Produktion
von Gütern zum notwendigen und willkürlichen Gebrauch des Menschen.
Auch in der Wissenschaft beschränkt sie sich auf die Erkenntnis der blo-
ßen Erscheinungen. An die Stelle einer vernünftigen Welterklärung tritt in
Sommer 2013 5 ANGELUS
der radikalen Evolutionstheorie der bloße Zufall, das Modell der Selekti-
on, der Kampf ums Überleben und der Sieg des Stärkeren. Die Welt und
ihre Erklärung durch die Wissenschaft ist damit „unvernünftig“ geworden.
Vernunft kann man aber nicht aus Vernunftlosem herleiten. Vernunft
kann nicht auf ihren Vorrang vor dem Unvernünftigen verzichten, ohne
sich selbst aufzuheben. Die Folge
wäre letztlich ein grausames Ethos,
welches den eigentlichen Sehn-
süchten und Nöten unserer Zeit
widerspricht.
Wir brauchen für unser aller Über-
leben aber nichts dringender als
das unablässige Bemühen um den
Weltfrieden und als Voraussetzung
dazu die Überwindung aller Egois-
men in praktischer, universaler
Nächstenliebe. Nur ein vernünftiges
Weltverständnis und eine vernünfti-
ge Zielausrichtung können uns
retten.
Im Anschluss an das vernünftige
Weltverständnis der antiken Philo-
sophie heißt es im Prolog des Jo-
hannes-Evangeliums: „Am Anfang
war das Wort“ (eigentlich: der Lo-
gos). Ratzinger übersetzt und deu-
tet dieses „Wort“ zutreffend: „Am
Anfang aller Dinge steht die schöp-
ferische Kraft der Vernunft“. „Der
christliche Glaube ist heute wie da-
mals die Option für die Priorität der
Vernunft und des Vernünftigen.
Dieser „Logos“ ist aber im Christen-
tum über die antike Philosophie
Aristoteles gründete nach sei-ner Ausbildung in der Akade-mie“ Platons (367–347 v. Chr.) seine eigene Schule, den Peri-patos“. Er gehört zu den bedeu-tendsten und einflussreichsten Philosophen der Geschichte. Zahlreiche Disziplinen hat er entweder selbst begründet oder maßgeblich beeinflusst, darun-ter Wissenschaftstheorie, Logik, philosophische Naturwissen-schaften und Metaphysik (die Lehre über das Sein jenseits der Natur). Seine Grundlehre ist die Zielbestimmtheit aller Dinge und des Menschen („Entelechie“), letztlich im „ersten Grund“ (= Gott) als dem obersten Ziel.
384 - 322 v. Christus
ANGELUS 6 Sommer 2013
hinaus nicht mehr nur eine „mathematische Vernunft auf dem Grund aller
Dinge“, sondern die „schöpferische Liebe“ Gottes „bis zu dem Punkt hin,
dass er Mit-Leiden mit dem Geschöpf wird“, „Liebe und Vernunft als die
eigentlichen Grundpfeiler des Wirklichen zusammenfallen.“
Für dieses „vernünftige“ Verständnis des Christentums kann jedoch die
Besinnung auf die antike griechische Philosophie wie einst zu seinen An-
fängen auch heute wieder den Weg bereiten. Die antike Philosophie er-
kannte die vernünftige Zielausrichtung in der Natur und im gesamten
Weltall, letztlich auf das höchste Wesen hin (so besonders bei
Aristoteles). Wir Christen glauben vertrauensvoll an die alles regierende
und leitende Vorsehung des weisen Gottes hin zu seinem uns verheiße-
nen Reich, dem Reich der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe.
Wie die antike Philosophie bietet uns unser christlicher Glaube die ver-
nünftige Voraussetzung für ein Leben im notwendigen Einsatz für alles
Gute gegen alle drohenden Mächte der Zerstörung. Richtig sagte Anselm
von Canterbury (1033-1109): „Ich glaube, damit ich erkenne (Credo, ut
intellegam).“ Doch ebenso richtig bekannte Petrus Abaelard (1079-1142):
„Ich bemühe mich um Erkenntnis, damit ich glaube (Intellego,
ut credam).“ So sind Glaube und Vernunft nicht nur vereinbar; sie sind
identisch.
Dr. Gerhart Schneeweiß
Weiterführende Literaturempfehlungen:
Platon, Das Höhlengleichnis (Sämtliche Mythen und Gleichnisse), hg. v. B. Kytzler, Insel-Verlag, ISBN 3458351280, 8.50 Euro.
Andreas Drosdek: Platon für Manager – Eine Begegnung mit der Macht der Ideen, Campus-Verlag , ISBN 3593395711, 12.99 Euro
Aristoteles, Protreptikos – Hinführung zur Philosophie, rekonstruiert, herausgegeben., übersetzt u. kommentiert v. Gerhart Schneeweiß, Wissenschaftliche Buchgesellschaft ISBN 3534164725, 54.90 Euro
Sommer 2013 7 ANGELUS
Benedikt XVI. – Franziskus: Lumen Fidei – Licht des Glaubens (Enzyklika, von Papst Benedikt XVI. begonnen, von Papst Franziskus vollendet), Weltbild-Verlag, ISBN 3746236525, 5.- Euro (nach Abfassung des obigen Aufsatzes erschienen)
Alexander Schmitt: Basilius der Große von Caesarea - Leben, Werk und Wirkung (eBook / PDF) Grin-Verlag, 12.99 Euro
Wiebracht Ries: Die Philosophie der Antike in ihrer Gegenwartsbedeutung, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ISBN 3534250036, 14.90 Euro