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1 Soziale Beratung im Grundriss Prof. Dr. Harald Ansen Die Soziale Beratung ist eine in vielen Praxisfeldern des Sozialwesens verbreitete Handlungsmethode. Sie ist z.B. in der Schuldnerberatung, der Wohnungslosenberatung oder der Beratung von psychisch gestörten Menschen von grundlegender Bedeutung. Gleichzeitig fällt auf, dass in der systematisch- theoretischen wie auch in der methodischen Auseinandersetzung die Soziale Beratung unterbelichtet ist. In der Fachliteratur dominieren psychologische Beratungskonzepte oder aber methodische Hinweise, die an einfache Rezepte erinnern. Die Soziale Beratung ist in der sozialpädagogischen Diskussion ein vernachlässigtes Thema. Mit den folgenden Ausführungen stelle ich einen Grundriss der Sozialen Beratung zur Diskussion. Es geht darum, wesentliche Aspekte zu erläutern, die die Soziale Beratung als eine Methode der Sozialen Arbeit kennzeichnen. Im ersten Abschnitt wird der Begriff der Sozialen Beratung präzisiert. Hierbei kommt es darauf an, die soziale Ausrichtung der Beratung hervorzuheben und auf die zentrale Zielgruppe einzugehen, die mit der Sozialen Beratung erreicht wird. Im Anschluss an diese begriffliche und thematische Annäherung führe ich in Maximen ein, die für eine beraterische Haltung bedeutsam sind. Auf Maximen sind wir in der Sozialen Beratung angewiesen, um mit den prekären Lebenssituationen der Klientel verantwortlich umgehen und eine verlässliche Haltung aufbauen zu können. Für die Soziale Arbeit sind die Achtung der Menschenwürde, die Förderung der sozialen Gerechtigkeit, ein solidarischer Beistand und eine subsidiäre Organisation von Hilfen unhintergehbare Maximen, die hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Praxis analysiert werden. Im dritten Teil untersuche ich die methodischen Anforderungen an die Soziale Beratung. Neben dem Aufbau einer konstruktiven Beratungsbeziehung und einer angemessenen Problemerfassung geht es hierbei um drei wesentliche Interventionsformen im Beratungsprozess, mit denen schwierige Lebenslagen konkret erleichtert werden. Es handelt sich um die Weitergabe von lösungs- und handlungsrelevanten Informationen an Ratsuchende, um Wege der Reflexion von Lebens- und Alltagsproblemen und um die gezielte Erschließung von Ressourcen. 1 Inhalt der Sozialen Beratung Die Soziale Beratung ist die zentrale Handlungsform der Sozialen Arbeit. Sie richtet sich an Menschen in persönlichen und sozialen Notlagen, die mit der Bewältigung ihres Alltags überfordert sind. Aus sozialpädagogischer Perspektive geht es darum, für eine angemessene Güterausstattung der Ratsuchenden zu sorgen und ihre Chancen zu verbessern, an den Bildungs-, Gesundheits- und Sozialleistungen zu partizipieren. Im Rahmen einer lebensweltbezogenen Sozialen Arbeit werden in der Beratung sowohl die biographischen Erfahrungen als auch die entwickelten und verschütteten persönlichen Kompetenzen und die materielle Lebenslage systematisch aufgegriffen (vgl. Thiersch 1997, 47).

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Soziale Beratung im Grundriss

Prof. Dr. Harald Ansen

Die Soziale Beratung ist eine in vielen Praxisfeldern des Sozialwesens verbreiteteHandlungsmethode. Sie ist z.B. in der Schuldnerberatung, derWohnungslosenberatung oder der Beratung von psychisch gestörten Menschen vongrundlegender Bedeutung. Gleichzeitig fällt auf, dass in der systematisch-theoretischen wie auch in der methodischen Auseinandersetzung die SozialeBeratung unterbelichtet ist. In der Fachliteratur dominieren psychologischeBeratungskonzepte oder aber methodische Hinweise, die an einfache Rezepteerinnern. Die Soziale Beratung ist in der sozialpädagogischen Diskussion einvernachlässigtes Thema.

Mit den folgenden Ausführungen stelle ich einen Grundriss der Sozialen Beratungzur Diskussion. Es geht darum, wesentliche Aspekte zu erläutern, die die SozialeBeratung als eine Methode der Sozialen Arbeit kennzeichnen. Im ersten Abschnittwird der Begriff der Sozialen Beratung präzisiert. Hierbei kommt es darauf an, diesoziale Ausrichtung der Beratung hervorzuheben und auf die zentrale Zielgruppeeinzugehen, die mit der Sozialen Beratung erreicht wird. Im Anschluss an diesebegriffliche und thematische Annäherung führe ich in Maximen ein, die für eineberaterische Haltung bedeutsam sind. Auf Maximen sind wir in der SozialenBeratung angewiesen, um mit den prekären Lebenssituationen der Klientelverantwortlich umgehen und eine verlässliche Haltung aufbauen zu können. Für dieSoziale Arbeit sind die Achtung der Menschenwürde, die Förderung der sozialenGerechtigkeit, ein solidarischer Beistand und eine subsidiäre Organisation vonHilfen unhintergehbare Maximen, die hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Praxisanalysiert werden. Im dritten Teil untersuche ich die methodischen Anforderungenan die Soziale Beratung. Neben dem Aufbau einer konstruktivenBeratungsbeziehung und einer angemessenen Problemerfassung geht es hierbeium drei wesentliche Interventionsformen im Beratungsprozess, mit denenschwierige Lebenslagen konkret erleichtert werden. Es handelt sich um dieWeitergabe von lösungs- und handlungsrelevanten Informationen an Ratsuchende,um Wege der Reflexion von Lebens- und Alltagsproblemen und um die gezielteErschließung von Ressourcen.

1 Inhalt der Sozialen Beratung

Die Soziale Beratung ist die zentrale Handlungsform der Sozialen Arbeit. Sie richtetsich an Menschen in persönlichen und sozialen Notlagen, die mit der Bewältigungihres Alltags überfordert sind. Aus sozialpädagogischer Perspektive geht es darum,für eine angemessene Güterausstattung der Ratsuchenden zu sorgen und ihreChancen zu verbessern, an den Bildungs-, Gesundheits- und Sozialleistungen zupartizipieren. Im Rahmen einer lebensweltbezogenen Sozialen Arbeit werden in derBeratung sowohl die biographischen Erfahrungen als auch die entwickelten undverschütteten persönlichen Kompetenzen und die materielle Lebenslagesystematisch aufgegriffen (vgl. Thiersch 1997, 47).

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Im Anschluss an eine Definition der Sozialen Beratung (1.1) setze ich mich mit denpsychosozialen Problemen auseinander, die in der Sozialen Beratung üblicherweiseeine Rolle spielen (1.2).

1.1 Zum Begriff der Sozialen Beratung

In der Sozialen Beratung wird der einzelne mit seinen äußeren und innerenGegebenheiten wahrgenommen und unterstützt. Die äußeren Belastungen und dieunterschiedlichen Formen der psychischen Bewältigung lassen sich ohnehin nichtsinnvoll trennen. Insofern ist jede Soziale Beratung immer auch PsychosozialeBeratung. Mit der Ausrichtung der Sozialen Beratung an den Lebensumständen undden persönlichen Bewältigungsanstrengungen entspricht sie den Anforderungen anpädagogische und soziale Dienstleistungen, mit denen einerseits solcheVerhaltensänderungen erreicht werden sollen, die ein selbstbestimmtes Lebenermöglichen und andererseits die Verhältnisse verändert werden sollen, dieSelbstbestimmung verhindern (vgl. Schaarschuch 1999, 553).

Die individuelle Befähigung des Ratsuchenden, etwa durch die Vermittlung vonEinsicht und Wissen, stößt vielfach an strukturelle Grenzen, die die Möglichkeitender Sozialen Beratung begrenzen. Der Wohnungslose kann z.B. imBeratungsgespräch auf die Vorstellung beim Vermieter intensiv vorbereitet werden,wir können mit ihm auch passable Bekleidung organisieren, die Übernahme derMietkosten regeln, das alles ändert noch nichts an dem Engpass auf demWohnungsmarkt und der Stigmatisierung aufgrund seiner stadtbekannten Anschriftin der Notunterkunft. Damit der einzelne seine persönlichen Potenziale entfaltenkann, braucht er angemessene Lebensumstände und persönliche Unterstützung.Mit der Förderung von individuellen Handlungskompetenzen und der sozialenIntegration leistet die Soziale Beratung einen wesentlichen Beitrag zurLebensbewältigung (vgl. Böhnisch 1999, 30f.). Für die Praxis der Sozialen Beratungergibt sich daraus, dass pädagogische und Aspekte der sozialen Sicherunggleichermaßen relevant sind, um komplexe Schwierigkeiten bewältigen zu helfen.

In der Sozialen Beratung spielen zwar Fragen der sozialen Sicherung einewesentliche Rolle, es wäre aber unangemessen, wenn die Beratung auf dieDurchsetzung von Sozialleistungsansprüchen verkürzt würde. Die Soziale Beratunghat vor allem dann ihre Berechtigung, wenn sie sich um diejenigen kümmert, derenProbleme nicht mit den standardisierten Programmen des Sozialstaates gelöstwerden können, also individuelle Formen der Bewältigung gebraucht werden. Mitder Sozialen Beratung wird das soziale Sicherungssystem auf subjektive Notlagenübertragen. An der Schnittstelle von Person und Umgebung erweist sich, wiewirksam die Soziale Beratung zur Verbesserung von Lebenslagen führt. „Wenn einSozialarbeiter einem Klienten bei der Durchsetzung von Rechtsansprüchen vorGericht hilft, effektiviert er rechtliche Interventionen; vermittelt er Geld, effektiviert erökonomische Interventionen; vermittelt er einen Heimplatz, effektiviert erökologische Interventionen, während unmittelbar personenbezogene Tätigkeiten wieBeratung, Behandlung oder Instruktion der pädagogischen Interventionsformzuzurechnen sind.“ (Kaufmann 1999, 934) Die Interventionsbreite in der SozialenBeratung ist ihr Markenzeichen. Sie steht für die viel beschriebene

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Perspektivenvielfalt in der Sozialen Arbeit, die in konkreten Arbeitsschritten realisiertwerden muss.

Mit den bisherigen Ausführungen habe ich den thematischen Horizont der SozialenBeratung umrissen, wie er auch in der folgenden Definition zum Ausdruck kommt:„Soziale Beratung ist ein breit gefaßter Begriff für die Gesamtheit beraterischerHilfen im Problemfeldern, die sich auf Schwierigkeiten von Individuen oder Gruppenin und mit ihrer sozialen Umwelt beziehen. Unter sozialer Umwelt sind sowohlnähere soziale Kontexte wie Familie, Verwandtschaft, berufliche oder schulischeUmwelt oder Freundeskreise zu verstehen wie auch übergreifende, z.T. nur nochvermittelt erlebte gesellschaftliche Bedingungen. Soziale Beratung bezieht sichzudem auf die materiellen, rechtlichen und institutionellen Strukturen der sozialenUmwelt.“ (Sickendiek/Engel/Nestmann 1999, 17). Dieser breite Rahmen derSozialen Beratung ist erforderlich, um der heterogenen Klientel gerecht zu werden.Zu ihr zählen vor allem Wohnungslose, Straffällige, Menschen mit psychischenStörungen und chronischen Erkrankungen, Überschuldete undSozialhilfeberechtigte.

Die Soziale Beratung folgt aus methodischer Sicht einem üblichen Ablaufmuster.Danach ist die Beratung zunächst eine Form der problembezogenenKommunikation, in der ein Berater an den Ratsuchenden Informationen,Empfehlungen und Deutungen in Bezug auf lebenspraktische Probleme weiter gibt.Der Berater verfügt über einen Wissens- und Einsichtsvorsprung gegenüber demRatsuchenden (vgl. Dewe 1995, 120) Aus sozialpädagogischer Perspektive kommthinzu, dass mit der Beratung die kognitiven, emotionalen und handlungsorientiertenFähigkeiten des Ratsuchenden verbessert werden, um bestehende Probleme undKonflikte bewältigen, vorhandene Chancen nutzen und eine Motivation für neueErfahrungen aufbauen zu können (vgl. Nestmann 1997, 17). Zu beachten ist hierbei,dass die Klientel nicht nur einen kommunikativen Austausch über ihre Problemesucht, ihr geht es häufig in erster Linie um konkrete materielle und sozialeDienstleistungen, die ihren Alltag erleichtern.

In Bezug auf die Interventionsebenen in der Sozialen Beratung ist es hilfreich,verschiedene Beratungsformen zu unterscheiden. Mit einer informatorischenBeratung werden Probleme bearbeitet, die durch mangelnde Informationen,Wissenslücken oder eine unzureichende Orientierung in Entscheidungssituationenbedingt sind. Durch die Weitergabe von Informationen wird der Ratsuchende wiederentscheidungs- und handlungsfähig. Diese Variante betrifft z.B. die Beratung überAnsprüche nach dem Bundessozialhilfegesetz und Informationen darüber, wie dieLeistungen beantragt werden können. Eine Beratung mit Eingriffen in äußereLebensumstände ist dagegen indiziert, wenn die Lebensbelastungen etwa ausbeengten Wohnverhältnissen oder Einsamkeit resultieren. Durch die konkreteVeränderung der Lebensumstände werden in gelingenden Fällen dieseSchwierigkeiten gelöst. Davon ist die Beratung abzugrenzen, die mit Problemenbefasst ist, die nicht durch die Weitergabe von Informationen oder die Organisationkonkreter Hilfen im Lebensraum gelöst werden können. Hierzu gehören u.a. derUmgang mit dem Tod eines Angehörigen, die Mitteilung einer bedrohlichenErkrankung oder der Umgang mit dem eigenen Alter. Der Akzent liegt hier auf der

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gemeinsamen Erarbeitung neuer Sichtweisen, Einstellungen und Werthaltungen, diezu einem Arrangement mit der Situation beitragen (vgl. Sander 1999, 26f.).Zwischen diesen Formen der Beratung kommt es in der Praxis zu vielfältigenÜberschneidungen. Der Wert dieser Differenzierung liegt vor allem darin, dass derBerater in der jeweiligen Situation entscheiden kann, auf welcher Ebene er auchinnerhalb eines Beratungsprozesses agiert. In der Sozialen Beratung kommt esdarauf an, materielle Probleme nicht auf emotionale Fragen zu reduzieren undumgekehrt. Ausschlaggebend für die Beratung ist deshalb neben demmethodischen Handeln immer auch eine adäquate Problemerfassung. UnterBerücksichtigung der bisherigen Ausführungen gehe ich vom folgenden Verständnisder Sozialen Beratung aus:

Soziale Beratung leistet Hilfen für Menschen in sozial, persönlich und/oder materiellprekären Lebenslagen, für die u.a. Armut, Lanzeitarbeitslosigkeit, sozialeAusgrenzung, Krankheiten oder Behinderungen ausschlaggebend sind. Mit derSozialen Beratung soll eine drohende soziale Ausgrenzung verhindert, eine bereitseingetretene Ausgrenzung behoben oder in begründeten Fällen auch ein Lebenaußerhalb der üblichen Standards unterstützt werden. Methodisch werden vierEbenen verbunden: Die Basis der Sozialen Beratung ist eine maximengeleiteteHaltung (erste Ebene), die mit den Grundsätzen der Sozialen Arbeit vereinbar ist.Auf dieser Basis wird eine hilfreiche Beziehung zum Ratsuchenden aufgebaut(zweite Ebene), die einerseits eine eigenständige Hilfeform ist und andererseitsauch der Ausgangspunkt für weitergehende Hilfen. Die Soziale Beratung erfolgt ineiner problembezogenen Kommunikation (dritte Ebene), in der die Erfassung vonSchwierigkeiten und die Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten im Mittelpunktstehen. Angesichts der komplexen Probleme, die in der Sozialen Beratungbearbeitet werden, werden auch die sozialadministrativen und kommunalenLösungsansätze (vierte Ebene) systematisch integriert. Die Soziale Beratung kannnur gelingen, wenn der Ratsuchende und der Berater kooperieren. Allerdings dürfendie Fähigkeiten des Ratsuchenden zur Kooperation nicht in jedem Fallvorausgesetzt werden, sie sind häufig erst das Ergebnis der Beratung.

1.2 Menschen in psychosozialen Notlagen

Das Leben in Armut ist häufig ein Basisproblem von Ratsuchenden, die eine SozialeBeratungsstelle aufsuchen. Leben in Armut bedeutet zunächst, dass die Betroffenennicht über eine ausreichende Ausstattung mit Gütern und Dienstleistungenverfügen. Sie sind sowohl im materiellen Bereich als auch in Bezug auf Bildungs-und Gesundheitsleistungen vielfach benachteiligt. Im einzelnen verfügen viele nichtüber einen ausreichenden Wohnraum und/oder ein angemessenes Einkommen, siehaben weniger soziale Kontakte, erreichen vielfach einen nur geringerenBildungsabschluss und können somit übliche Rollenerwartungen ihrerBezugsgesellschaft nur unzureichend bedienen (vgl. Townsend 1993, 26).

Neben der objektiven Unterversorgung sind es vor allem die individuellenAnpassungsmechanismen, die in der Sozialen Beratung aufgegriffen werdenmüssen. „Gerade die Arbeit mit Klienten mit großen psychosozialen Schwierigkeitenzeigt uns ja deutlich, wie eng die ökonomischen Bedingungen, die psychische

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Befindlichkeit und das konkrete soziale Verhalten miteinander zusammenhängenund sich gegenseitig bedingen.“ (Rauchfleisch 1996, 72). Häufig ist unklar, ob dieResignation, die mangelnde Bereitschaft zur Mitarbeit eine Folge oder eine Ursacheder psychosozialen Schwierigkeiten ist. Letztlich ist es für die Soziale Beratungauch nicht ausschlaggebend. Wichtig ist der Hinweis, dass die Ratsuchenden nichtohne weiteres in der Lage sind, auf gut gemeinte Vorschläge undLösungsmöglichkeiten einzugehen. Ihr vordergründiges Desinteresse darf ihnenaber nicht angelastet werden, etwa in dem Sinne, dass ihre Beratungsfähigkeitangezweifelt wird. Am Beispiel der Langzeitarbeitslosigkeit, die am häufigsten fürArmut verantwortlich ist, werden diese Zusammenhänge deutlich:

Durch fehlende Mittel für soziale Aktivitäten gehen den Betroffenen wichtigeKontaktfelder verloren, die die Möglichkeiten verringern, sich selbst inunterschiedlichen Situationen zu erleben und Bestätigung zu erfahren. Je länger dieErwerbslosigkeit und die damit verbundene soziale Ausgrenzung anhält, destogeringer werden die Entwicklungs- und Erfahrungsmöglichkeiten, die Betroffenenwirken immer inflexibler, ihre Lernmotivation- und fähigkeit nimmt ab, am Ende stehteine resignative Vermeidungshaltung (vgl. Strehmel/Ulich 1995, 1089).Langzeitarbeitslose sind auch hinsichtlich ihres Gesundheitsstatus‘ deutlichbenachteiligt. Es dominieren weniger spezifische Krankheiten alsBefindlichkeitsstörungen und psychosomatische Symptome wie Depressivität,Schlaflosigkeit und Konzentrationsstörungen (vgl. Elkeles 2000, 521f.). Wer in dieseAbwärtsspirale gerät – Langzeitarbeitslose habe ich hier nur stellvertretend für vieleandere genannt wie Wohnungslose, Überschuldete, Straffällige – der verliertwichtige Handlungskompetenzen, die nicht alleine durch die Bereitstellung vonmateriellen Hilfen ausgeglichen werden können, sondern auch einen persönlichenBeistand erfordern.

Ausgehend von den zentralen Problemen der Ratsuchenden geht es in der SozialenBeratung u.a. darum, eine angemessene Einkommens- und Güterausstattungsicherzustellen, soziale Kontakte zu erschließen und Bildungsangebote sowiegesundheitsbezogene Hilfen zu vermitteln. Dieses generalistische Konzept istnotwendig, weil sich zum einen die Problemlagen nicht beliebig trennen lassen undzum anderen die Ratsuchenden nicht an unterschiedliche Stellen delegiert werdenkönnen. Viele Ratsuchende müssen schon große persönliche Mühe aufwenden, umnur eine Beratungsstelle aufzusuchen. Für den Beratungsverlauf ist eine konstanteBeziehung ein wichtiger Erfolgsfaktor, der durch die Delegation des Ratsuchendenan unterschiedliche Hilfestellen unterminiert würde.

Die Ratsuchenden sind auf konkrete Unterstützungen und auf eine Ermutigungangewiesen, mit der ihre Handlungsmöglichkeiten erweitert und sich selbsterfüllende negative Prophezeiungen unterbrochen werden (vgl. Ludwig 1999, 55).Wer nicht mehr daran glaubt, seine Lage verändern zu können, der verliert auch dieFähigkeit, sich eine andere Zukunft vorzustellen. „Ein armer Mensch kann imVergleich zu einem reichen Menschen nicht nur weniger Geld für das ausgeben,was er sich wünscht, sondern schon die mentale Intensität des Wunsches wirddurch die Kontingenz der äußeren Lebensumstände beeinflusst.“ (Sen 2000, 29)

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Der Lebensstandard eines Menschen wird auch durch fehlende Wünsche oder Zielebeeinträchtigt (vgl. ebd. 63f.). An dieser Stelle wird deutlich, dass Armut für dieSoziale Beratung ein psychosoziales Problem ist. Die individuellen und sozialenBewältigungsformen hängen eng mit den materiellen Beeinträchtigungenzusammen (vgl. Sickendiek u.a. 1999, 19). Die soziale Dimension des Problemsumfasst u.a. die Aufgaben und Erwartungen, denen der einzelne gegenüber stehteinschließlich seiner konkreten Handlungen, während mit der psychischen Seite dasangesprochen ist, was der Betroffene in seiner sozialen Lage wahrnimmt, fühlt unddenkt (vgl. Großmaß 1997, 132). Die Konsequenzen dieser Überlagerung vonunterschiedlichen Schwierigkeiten kompliziert die Soziale Beratung, nicht zuletztauch durch das Verhalten von Ratsuchenden, die mal aggressiv, mal resignativ, malgleichgültig, mal verleugnend, um nur einige Reaktionen zu nennen, reagieren. Fürden Umgang mit den Betroffenen sind wir auf eine maximengeleitete Haltungangewiesen, die ein durchhaltbares Engangement begünstigt und mit den imBeratungsbegiff genannten Inhalten vereinbar ist.

2 Maximen der Sozialen Beratung

Eine maximengeleitete Haltung ist für die Soziale Beratung aus verschiedenenGründen unerlässlich. Sowohl in der Beratung wie in der Sozialen Arbeit insgesamtübernehmen wir eine große Verantwortung. Wir stellen gemeinsam mit denRatsuchenden die Weichen für ihre weitere Biographie, und das nicht nur inspektakulären Hilfeprozessen wie der Suizidprohylaxe, sondern auch in derSchuldnerberatung, der Unterstützung in von Armut geprägten Lebenslagen etc.Der Berater benötigt eine Reflexions- und Entscheidungshilfe in schwierigenSitationen noch vor jeder methodischen Kompetenz. Er muss nicht nur mit denSituationen zurecht kommen, in die Ratsuchende geraten sind, sondern auch mitseiner punktuellen Überlegenheit in den unmittelbaren Begegnungen. Die Maximen,zu denen sich die Soziale Beratung bekennt, entscheiden mit über die Qualität derHilfe (vgl. Baum 1996, 97f.).

Aus meiner Sicht eignen sich der Schutz der Menschenwürde und die Förderungder Sozialen Gerechtigkeit hervorragend, um das sozialberatende Handeln zubegründen und reflexiv zu begleiten (2.1). Auf der Handlungsebene sind es diesolidarische Hilfe und die subsidiäre Orientierung im Umgang mit denRatsuchenden, die wichtige Impulse setzen und insoweit als handlungsleitendeMaximen taugen (2.2). Diese vier Maximen sind von grundlegender Bedeutung fürdas Sozialstaatsprinzip, auf das auch die Soziale Beratung verpflichtet ist. DieAuswahl dieser Maximen erfolgt also nicht beliebig, sondern trägt denRahmenbedinungen der Sozialen Beratung ausdrücklich Rechnung. Es verstehtsich von selbst, dass ich keine sozialphilosophische Auseinandersetzung mit denMaximen suche und leisten könnte, sondern eine sozialpädagogische Analysevornehme.

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2.1 Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit

Der Schutz der Menschenwürde ist das höchste Gut unserer Sozial- undRechtsordnung. In Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz heißt es: „Die Würde des Menschenist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichenGewalt.“ Dieser Schutzauftrag gilt auch in der Sozialen Beratung. Die unantastbareWürde des Menschen lässt sich allerdings nur schwer konkretisieren. In derrechtswissenschaftlichen Kommentierung von Art. 1 Grundgesetz hat sich die sogenannte Objektformel durchgesetzt. Danach ist die Würde des Menschengetroffen, wenn der Mensch zu einem Objekt degradiert wird, z.B. durchKörperstrafen, Ächtung oder Vernichtung der menschlichen Existenz oder dieVerletzung seiner Intimsphäre (vgl. Dürig 1993, 15f.).

Den Ratsuchenden in der Sozialen Beratung nicht zum Objekt degradieren heißtzunächst, ihn als Person zu achten und zu fördern. In Konfliktfällen muss der Schutzder Menschenwürde schwerer wiegen als mögliche fachliche Gründe, eineerforderliche Hilfe zu verweigern. Es stellt sich die Frage, ob einem Schuldner dieweitere Beratung verweigert werden darf, weil er eine Verabredung nichteingehalten hat oder ob der Suchtkranke nicht mehr beraten wird, weil eralkoholisiert in die Beratungsstelle kommt. Die Verweigerung weiterer Hilfe läuft mitgroßer Sicherheit darauf hinaus, dass die bereits bestehenden Probleme eskalieren.Wird in diesen Fällen das Subjekt nicht im Interesse fachlicher Standardsaufgegeben? Im Zweifelsfall muss die Menschenwürde Vorrang genießengegenüber fachlichen Gesichtspunkten, allerdings ist eine sorgfältige Abwägungnotwendig, denn es wäre verkürzt, aus dem Schutz der Menschenwürdeherzuleiten, dass keine Hilfe je versagt werden darf. Ausschlaggebend ist, dass dieAchtung der Menschenwürde nicht an wohlwollende Verhaltensweisen derRatsuchenden gekoppelt wird. Weder Vorleistungen noch der soziale Rang oderandere Kriterien entscheiden über den Anspruch auf die Achtung der Würde einesMenschen (vgl. Baumgartner u.a. 1998, 193).

Diese abstrakten Überlegungen gilt es in der Sozialen Beratung zu realisieren. Fürdiesen Arbeitsschritt bietet sich der Rückgriff auf einzelne Grundrechte an. DieSoziale Beratung muss unter diesem Blickwinkel u.a. dazu beitragen, die freieEntfaltung der Persönlichkeit zu fördern (Art. 2 Grundgesetz). Suggestive undmanipulative Techniken sind für die Soziale Beratung von vorneherein äußerstproblematisch. Die punktuelle Überlegenheit des Beraters in einer zumindest zuBeginn der Beratung asymmetrischen Beziehung muss reflexiv gehandhabt werden.Diese Konsequenz ergibt sich auch aus dem Verbot der Benachteiligung aufgrunddes Geschlechts, der Abstammung, der Sprache, der Herkunft, des Glaubens odereiner Behinderung (Art. 3 Grundgesetz). Der Berater sollte seine Vorurteile undPräferenzen kennen. Die heterogene Zielgruppe der Sozialen Beratung erforderteine aufgeklärte Haltung, in der für unbedachte Antipathien kein Platz ist. Für dieSoziale Beratung ist darüber hinaus die Orientierung an der Freizügigkeit relevant,die es jedem erlaubt, sich seinen Aufenthaltsort auszusuchen. Ratsuchende dürfenz.B. nicht an ihre Heimatgemeinden verwiesen werden, sie erhalten dort Hilfe, wosie sich aufhalten, auch wenn es aus sozialpädagogischer Sicht sinnvoll wäre, dieseSituation zu ändern.

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Deutlich wird, dass der Schutz der Menschenwürde keine leere Proklamation für dieBeratung ist, sondern eine im Einzelfall einzulösende Maxime. Die Bedürfnisse derRatsuchenden spielen in der Beratung eine ganz wesentliche Rolle.

Der Schutz der Menschenwürde ist kein einmaliger Akt, sondern einGestaltungsauftrag, der dem einzelnen Entwicklungsräume verschafft, die ihm dieMöglichkeit geben, eine eigenverantwortliche Lebensweise zu erreichen (vgl. Wetz1998, 87f.). „Menschenwürde für alle, wenn dies das Prinzip des Sozialstaates ist,bedeutet auch, daß es keine durchgängige Zweiteilung der Gesellschaft geben darfin die, die immer helfen, und die, denen immer geholfen wird, obgleich sie sichselbst helfen könnten.“ (Schneider 1999, 76) In der Sozialen Beratung geht es alsodarum, die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit des Ratsuchenden wiederherzustellen, um auch auf diesem Weg ein menschenwürdiges Leben zuermöglichen. Dieser Auftrag bezieht sich sowohl auf die interaktive Seite derBeratung, den unmittelbaren Umgang, als auch auf die Beeinflussung der äußerenLebensumstände. Beide Seiten habe ich bereits in der begrifflichen Annäherung andie Soziale Beratung als Einheit betont. Neben den Selbsthilfemöglichkeiten, die inder Person des Ratsuchenden liegen, sind auch jene zu beachten, die erst durchdie Vermittlung von materiellen Leistungen aktiviert werden können. Auch dieseLeistungen dienen, z.B. nach § 1 Bundessozialhilfegesetz, einem Leben, das derWürde des Menschen entspricht (vgl. Simon 1999, 56). An dieser Stelle zeigt sich,dass die Menschenwürde nur in Verbindung mit der sozialen Gerechtigkeit, in deres u.a. um eine gerechte Güterverteilung geht, sinnvoll betrachtet werden kann.

Die Förderung der sozialen Gerechtigkeit ist neben dem Schutz derMenschenwürde ein zentrales Anliegen der Sozialen Beratung. Bei der sozialenGerechtigkeit geht es um die Frage, wie Menschen, die wegen einer Krankheit,einer Behinderung, persönlicher Schwierigkeiten oder anderer Gründe keinausreichendes Einkommen erzielen, einen menschenwürdigen sozialen undmateriellen Schutz erhalten können (vgl. Kersting 1997, 213). Die Förderung vonsozialer Gerechtigkeit hängt u.a. von angemessenen Bildungsangeboten,materiellen, sozialen und gesundheitlichen (Dienst-)Leistungen ab. In der weiterenArgumentation greife ich vor allem auf das im Sozialrecht verankerte Verständnisder sozialen Gerechtigkeit zurück, um den Handlungsbezug sicherzustellen, der fürdie Soziale Beratung ausschlaggebend ist.

Nach § 1 Abs. 1 Sozialgesetzbuch I dient das Recht des Sozialgesetzbuchs derVerwirklichung von sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit. Die einzelnenSozialleistungen sollen nach Abs. 2 dazu beitragen, „ein menschenwürdiges Lebenzu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit,insbesondere auch für junge Menschen zu schaffen, die Familie zu schützen und zufördern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zuermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zurSelbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen.“ In den §§ 3 bis 10 und 18 bis 29Sozialgesetzbuch I werden die zur Erfüllung dieses Aufgabenkatalogs relevantenSozialleistungen benannt. Es handelt sich um Bildungs- und Arbeitsförderung,Sozialversicherung, Soziale Entschädigung bei Gesundheitsschäden, Minderungdes Familienaufwands, Zuschuss für eine angemessene Wohnung, Kinder- und

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Jugendhilfe, Sozialhilfe und Eingliederung Behinderter. Von keinem Berater kannman erwarten, dass er in allen Bereichen gleichermaßen versiert ist. Je nachAufgabenschwerpunkt in der Sozialen Beratung, z.B. Beratung von Erwerbslosen,Überschuldeten, Familien, müssen die grundlegenden sozialrechtlichen Kenntnissevorhanden sein. Der Berater sollte außerdem über ein qualifiziertesVerweisungswissen verfügen, um fall- und situationsbezogen auch angrenzendeRechtsbereiche für die Problembearbeitung nutzen zu können.

Die Erschließung von Sozialleistungen im Rahmen der Sozialen Beratung ist mehrals ein Versorgungsakt. Eingerahmt in die Maximen der Menschenwürde und dersozialen Gerechtigkeit ist es keine herablassende Wohltat, sondern eine von derBeratungsbeziehung getragene Hilfe, die weit über die unmittelbare materielleUnterstützung hinaus weist. Die soziale Gerechtigkeit darf nicht auf die finanziellenLeistungen verengt werden. „Eine derartige güterbezogene Engführung vonSozialstaatlichkeit vernachlässigt Ziele, aus denen heraus soziale Gerechtigkeit vorallem jenseits existenzgefährdender sozialer Verhältnisse bedeutsam wird: z.B. dieErhaltung von Selbstachtung.“ (Nullmeier 2000, 367) Die soziale Gerechtigkeit istauch mit der Chancengleichheit eng verbunden. Rawls hat diesen Aspekt in seinemzweiten Grundsatz der Theorie der Gerechtigkeit hervorgehoben. Er stellt fest, dassökonomische Ungleichheiten nur insoweit gerechtfertigt sind, als sie zum einen allendie gleichen Chancen einräumen, Ämter und Positionen zu erlangen, und zumanderen denjenigen den größten Vorteil bringen, die am wenigsten begünstigt sind(vgl. Rawls 1994, 160). In der Sozialen Beratung begegnen wir Menschen, die imweitesten Sinn sozial benachteiligt sind. Die Idee der sozialen Gerechtigkeitverpflichtet dazu, ihre Interessen zu vertreten, sie darin zu unterstützen, einenangemessenen Platz in der Gesellschaft zu finden und ihnen die Zugänge zu dendafür relevanten Sozialleistungen zu erschließen. Die Soziale Beratung bewegt sichin diesem thematischen Rahmen. In den weiteren Ausführungen konzentriere ichmich nun auf die Handlungsebene. Mit Hinweisen auf die Solidarität und dieSubsidiarität leite ich aus dem Schutz der Menschenwürde und der Förderung dersozialen Gerechtigkeit die für die Soziale Beratung relevanten Konsequenzen fürden Umgang mit ratsuchenden Menschen ab.

2.2 Solidarität und Subsidiarität

Während die Verpflichtung auf den Schutz der Menschenwürde und die Förderungvon sozialer Gerechtigkeit einen Beitrag für die zielbezogene Reflexion der SozialenBeratung leistet, natürlich mit entscheidenden Implikationen für die Haltung desBeraters, liegen die Schwerpunkte der Solidarität und der Subsidiarität auf denunmittelbaren Konsequenzen für das Beratungshandeln. Eine solidarische Haltungmeint aus etymologischer Sicht eine zuverlässige, beständige und verlässlicheHaltung. Der Berater braucht Stehvermögen im Umgang mit belasteten Menschen.Er muss an seinem sozialpädagogischen Auftrag festhalten und darf sich nichtbeliebigen Themenkonjunkturen verschreiben. Aus sozialpolitischer wie auchsozialpädagogischer Perspektive bedeutet Solidarität, dass Hilfen zuverlässiggeregelt werden müssen. Nicht die zufällige Mitgliedschaft in einer leistungsfähigenGruppe darf über die Qualität einer erforderlichen Hilfe entscheiden, sondern nurdas Hilfebedürfnis selbst (vgl. Nida-Rümelin 2000, 346f.).

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Bezogen auf das Beratungshandeln bedeutet Solidarität, dass der Ratsuchende dieHilfe erhält, die notwendig ist, um seine schwierige Lebenslage zu überwinden. Derrespektvolle Umgang mit dem Ratsuchenden basiert auf einer emotionalen undeiner intellektuellen Haltung. Der solidarisch Handelnde geht von der Notlage desRatsuchenden aus, die ihn gefühlsmäßig erreicht und rational analysiert werdenmuss. Die gefühlsmäßige Qualität der Solidarität begründet den Impuls, Leiden zuverhindern (vgl. Baum 1996, 132). Dieses Ziel kann aber nur in einem reflektiertenHilfeprozess realisiert werden. In diesem Punkt unterscheidet sich die berufliche vonder privaten Solidarität. Im privaten Bereich ist ein solidarisches Miteinandergrundsätzlich symmetrisch und nicht hierarchisch organisiert (vgl. Zürcher 1998,175). Der Helfende erwartet – auch unausgesprochen – im privaten Feld einepersönliche Gegenleistung in einer umgekehrten Situation, auf die derprofessionelle Berater nicht setzen darf. Der Berater erhält für seine Hilfe eineVergütung, Anerkennung und günstigenfalls erhöht er sein berufliches Renommee.Auch das sind starke Motive, aus denen ein solidarischer Kitt in der Beziehung zumRatsuchenden entsteht. Die Anteilnahme und Einsatzbereitschaft in der Beratungsind sowohl aus humaner Sicht als auch in Bezug auf den Beratungserfolgbedeutsam. Die Qualität der Beziehung zwischen dem Ratsuchenden und demBerater gilt als entscheidender Wirkfaktor.

In einer vom Solidaritätsgedanken inspirierten Beratungsbeziehung steht die Hilfeim Zentrum, die den Ratsuchenden zu einem „normalen“ Leben befähigt. Einesolidarische Hilfe strebt eine Qualifikation des anderen an, wieder selbständig in derGesellschaft zurecht zu kommen (vgl. Preuß 1990, 124). Der Berater benötigt indiesem Prozess eine ausreichende Distanz, die in einer privaten Beziehung nichtper se vorhanden ist. Aus der Solidarität lässt sich keine bedingungsloseÜbernahme der Interessen des Ratsuchenden ableiten, sondern eine professionelleParteilichkeit. Sie ist geprägt von einem Engagement für die Verbesserung prekärerLebenslagen, die auch den moralischen Auftrag beinhaltet, die Interessen derRatsuchenden konsequent in einer annehmenden Haltung zu vertreten. DieseEinstellung bedeutet aber keine voreilige Identifikation mit den Interessen desKlienten, die auch in Frage gestellt werden dürfen. Eine parteiliche Haltung ist keineoberflächliche Loyalität, sondern ein transparentes Vorgehen, in dem auchWidersprüche und Ambivalenzen wahrgenommen und beraterisch genutzt werden(vgl. Merchel 1999, 606f.).

Eine solidarische Hilfe soll dazu beitragen, dass der Ratsuchende wiederselbständig leben kann. Wir müssen in der Sozialen Beratung solche Hilfenvermeiden, die eine ungünstige Abhängigkeit erzeugen. Diese Begrenzung lässtsich mit dem Subsidiaritätsprinzip als der vierten und letzten Maxime der SozialenBeratung begründen. Der Subsidiaritätsgedanke meint primär, dem anderen einenhilfreichen Beistand zu leisten oder auch die Pflicht zur Hilfe. Als hilfreich gilt nur derBeistand, der die Selbstentfaltung des ratsuchenden Menschen fördert (vgl. Nell-Breuning 1999, 232). Der Ratsuchende darf weder über- noch unterfordert werden.Dem Ratsuchenden nur die Hilfe anzubieten, die tatsächlich hilft, setzt eineangemessene Problemerfassung voraus, die an den Berater hohe methodische undintuitive Anforderungen richtet. Wir können bei der Klientel der Sozialen Beratungnicht von vorneherein davon ausgehen, dass sie die in ihnen angelegten

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Möglichkeiten entfalten können. Dieser optimale Ratsuchende ist eher ein Modelldenn die Realität. Für ein selbstbestimmtes Leben benötigt der Ratsuchende eineausreichende Entscheidungs- und Handlungskompetenz, unterschiedlicheRessourcen einschließlich Bildung und soziale Kontakte (vgl. Waschkuhn 1995: 36).Diese Sachverhalte und Fähigkeiten sind häufig erst das Ergebnis der Beratung.

Das Subsidiaritätsprinzip hat wesentliche Auswirkungen auf dieBeratungsbeziehung, in der die Ratsuchenden nach Kräften mitarbeiten. Allerdingsdarf die Grenze dieser Orientierung nicht übersehen werden. „Dieverallgemeinernde Rede von der Kooperation auch mit den Klienten vereinfachtüberdies in kaum zu vertretender Weise das Spektrum der Hilfsbedürftigkeit, dieu.a. derart ausgeprägt sein kann, daß von einem tatsächlich kooperativen, alsoaktiven Verhalten nicht mehr sinnvoll gesprochen werden kann.“ (Baum 1996,133f.). Aus dem Subsidiaritätsprinzip resultiert schließlich auch ein Recht auf Hilfe inden Lebenslagen, in denen die eigenen Kräfte nicht mehr ausreichen (vgl. Kerber1998, 61). Die Soziale Beratung muss so geschnitten werden, dass sie auch dannmöglich ist, wenn die Ratsuchenden nur mühsam erreicht werden können.Gemeinsam mit den anderen hier erläuterten Maximen geht es auch in Bezug aufdas Subsidiaritätsprinzip darum, gemeinsam mit den Ratsuchenden nach Räumenzu suchen, die ihnen ein individuelles und selbstbestimmtes Leben ermöglichen.Der Berater übernimmt dafür sowohl als Selbstverpflichtung wie auch auf Grundseiner Aufgabenstellung die Verantwortung, der er am ehesten gerecht werdenkann, wenn er auf der Grundlage der erörterten Maximen sein methodischesHandeln in der Beratung ausrichtet.

3 Methodisches Handeln in der Sozialen Beratung

In der Sozialen Beratung werden die Probleme der Ratsuchenden systematischbearbeitet. Die inhaltlichen Konturen und die Maximen der Sozialen Beratung bildendas Fundament, auf dem methodische Arbeitsweisen aufsitzen. Im Kern geht esdarum, die Grundversorgung der Ratsuchenden sicherzustellen, ihreLebenschancen zu verbessern und persönliche Barrieren abzubauen, die sie daranhindern, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen (vgl. Heiner 1996, 110f.).Methodisches Handeln wird auch als ein planmäßiges Vorgehen verstanden, umMenschen und/oder ihre Lebensbedingungen so zu verändern, dass sie ihrePotenziale entfalten und ein selbstbestimmtes, menschenwürdiges Leben führenkönnen (vgl. Giesecke 1997, 21). Bei aller Methodik, die in der Sozialen Beratungunerlässlich ist, darf das Handeln des Beraters nicht steril werden. Der Berater ist inzweifacher Weise gefordert. Zum einen wird er als Experte aufgesucht, der in derLage ist, soziale Probleme der Ratsuchenden fachlich zu analysieren undkompetente Lösungen anzubieten, etwa bei der Regelung von Mietschulden oderder Beantragung von Hilfe zum Lebensunterhalt. Auf der anderen Seite ist er auchals Person gefordert, die von den Schwierigkeiten der Ratsuchenden emotionalerreicht wird und sich auf eine Beziehung mit ihnen einlässt. Böhnisch unterscheidetin diesem Zusammenhang zwischen der „Sozialarbeiterrolle“ (Expertenhandeln) unddem „Sozialarbeitersein“ (vgl. Böhnisch 1999, 272f.). Aus Darstellungsgründenunterscheide ich methodische Arbeitsschritte, die in der Beratungspraxis untrennbarverwoben sind. Ausgehend von der Gestaltung einer Beratungsbeziehung (3.1)

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setze ich mich mit den konkreten Interventionsformen in der Sozialen Beratung (3.2)auseinander.

3.1 Die Beratungsbeziehung

Die Qualität der Beziehung gilt als entscheidender Wirkfaktor jeder Beratung undTherapie. In der Sozialen Beratung erfüllt die Beziehung drei Funktionen: Sie isterstens eine eigenständige Hilfequelle für Ratsuchende, die in der BeziehungBeistand und Unterstützung vom Berater erfahren. Sie ist zweitens eineInformationsquelle für den Berater, der den Ratsuchenden in der Regel nichtverstehen kann, ohne mit ihm auch Beziehungserfahrungen zu machen. Sie istdrittens ein Ausgangspunkt für weitergehende Interventionen, die für denRatsuchenden auch Zumutungen bedeuten können und leichter angenommen oderertragen werden, wenn sie auf der Basis einer respektvollen Beziehung vermitteltwerden. In diesem Abschnitt setze ich mich mit der Beziehung als eigenständigerHilfequelle auseinander, wie sie in der Sozialen Arbeit u.a. aus der SozialenEinzelhilfe auch bekannt ist. Der Ratsuchende erfährt in der Beziehung Hilfe zurBewältigung von Lebensereignissen und aktuellen Problemen durch Anerkennung,emotionale Unterstützung und Stimulation zur persönlichen Weiterentwicklung.Vielfach bleibt die Frage unbeantwortet, wie diese Proklamationen in die Praxisumgesetzt werden können. Entweder wird auf den gesunden Menschenverstandund das gute Herz des Beraters verwiesen oder aber er erhält technischeInstruktionen, die äußerst banal klingen. Das Beziehungsgeschehen systematischdarzustellen ist ein schwieriges Projekt. Die innere Dynamik muss blass erscheinen,sie lässt sich auch wegen des Einflussens irrationaler Faktoren nicht ausreichendmitteilen.

Die Beratung ist in Bezug auf den Beziehungsaspekt mitunter schwer von privatenBegegnungen abzugrenzen. Es wäre auch nicht sinnvoll, die professionelleBeziehung strikt von der privaten Beziehung zu unterscheiden. DasBeratungshandeln ist mehr als eine „bloß rollenförmige Tätigkeit“ (Oevermann 1996,112), es enthält immer Elemente der persönlichen Nähe. „Darin ist von vornhereindas professionalisierte Handeln natürlich nicht als Ausübung einer monologischentechnischen Problemlösung vorgestellt, vergleichbar dem Handeln einesMechanikers, der eine Maschine repariert, sondern als Beziehungspraxis.“ (ebd.,115) Diese Beziehungspraxis darf aber nicht so betrieben werden, dassRatsuchende abgeschreckt werden von einem überschießendenBeziehungsverhalten des Beraters (vgl. Mutzeck 1999, 63). Im Mittelpunkt derSozialen Beratung steht die Bewältigung aktueller Lebensprobleme und nicht derAufbau einer z.B. therapeutischen Beziehung. „Wenn der Sozialarbeiter übermäßigdamit beschäftigt ist, eine ‚gute Beziehung‘ herzustellen, werden seineAufmerksamkeit und Energie von den Belangen des Klienten abgelenkt und seineFähigkeit zu helfen beeinträchtigt." (Germain/Gitterman 1999, 111)

In der Sozialen Beratung sind Grundvorstellungen der pädagogischen Beziehung invielen Punkten anschlussfähig. Die pädagogische Beziehung ist eine partikulare undkeine intime Beziehung, in der es um festgelegte Ziele (Lernen) geht. Sie entstehtim Verlauf und ist nicht die Voraussetzung für die gemeinsame Arbeit. Jede

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pädagogische Beziehung ist auf Zeit angelegt, sie darf nicht so eng gestaltetwerden, dass die notwendige Auflösung auf Schwierigkeiten stößt. In derpädagogischen Beziehung trifft der Lernende auf einen Pädagogen, von dem eretwas lernen will, seine Erwartung ist eindeutig. Von daher ist eine begrenzteAsymmetrie in der Beziehung unvermeidlich. Der Pädagoge muss auch die Initiativeergreifen und darf nicht alles abstimmen oder aushandeln wollen. Die Adressatenbenötigen u.a. Anregung, Ermutigung und Hilfe und nicht nur den Hinweis auf inihnen schlummernde Kräfte. Als entscheidend für das Gelingen der Beziehung gilteinerseits eine Atmosphäre, die erfüllt ist von Freundlichkeit, Entspannung,Aufmerksamkeit und Humor und andererseits die Achtung der Person, derenVerhalten von rationalen und emotionalen Impulsen beeinflusst wird (vgl. Giesecke1997, 112f.).

Die Elemente der pädagogischen Beziehung in dem hier zu Grunde gelegtenVerständnis treffen auch auf die Soziale Beratung zu. Der Berater macht ein zeitlichbegrenztes Beziehungsangebot, in dem es darauf ankommt, ein gemeinsames Ziel(Bewältigung von Alltagsproblemen) zu erreichen, dabei den Ratsuchenden alsPerson zu würdigen, ein geeignetes Arbeitsklima herzustellen und seine fachlicheKompetenz einzubringen. Auch in der aktuellen Psychotherapieforschung werdenähnliche Aspekte der Beziehungsgestaltung hervorgehoben. In einer Beziehung, dieals positive Ressource für den Patienten fungieren soll, muss der Therapeut alsprofessioneller Experte wirken, er muss für den Klienten glaub- undvertrauenswürdig sein, der Klient soll respektiert und wertgeschätzt werden, sich mitseinem Anliegen verstanden fühlen (vgl. Grawe 1998, 135). In den Grundlagentreffen auf die Beratungsbeziehung die Elemente der pädagogischen wie auch dertherapeutischen Beziehung zu. Allerdings gilt für die Soziale Beratung, dass dieProbleme der Ratsuchenden nicht psychopathologisiert werden dürfen. DenRatsuchenden anerkennen heißt, ihn in seiner belastenden sozialen Realität zusehen, ihm in der Beratung Zeit zu gewähren, sein Selbst- und Problemverständniszu entwickeln, seinen Wunsch nach Nähe und Distanz zu achten, keine falschen –auch unausgesprochenen – Versprechungen zu machen und vor allem einekonstante Beziehung durchzuhalten (vgl. Rauchfleisch 1996, 50f.).

Die Anforderungen an das Beziehungsverhalten des Beraters können nicht in einerListe technischer Instruktionen aufgehen. „Im Zentrum eines beraterischenArbeitsbündnisses bleibt allerdings das Bemühen um Verständnis des Klienten, dasBemühen um die Entwicklung einer konstruktiven Zusammenarbeit und dasBemühen, die jeweilige Beratungstheorie in einer realen Beratungspraxis dengegebenen Verhältnissen und den beteiligten Personen anzupassen.“ (Sickendieku.a. 1999, 116). Allgemeine menschliche Qualitäten des Beraters sind in derBeratungsbeziehung ebenso wichtig wie sein Problemverständnis, dasSelbstverständnis des Ratsuchenden und dessen kognitive, soziale, emotionale undmotivationale Situation. Unter Berücksichtigung der bisher entwickeltenAnforderungen an eine Beratungsbeziehung erweisen sich aus methodischer Sichtdie Erkenntnisse der humanistischen Psychotherapie als geeignet, um dasBeratunghandeln aus der Beziehungsperspektive anzuleiten. Die von Carl Rogerserforschten Beziehungsvariablen sind mit den Maximen der Sozialen Beratungvereinbar und sie begünstigen eine Gegenwartsorientierung in der Beratung, die

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angesichts der Probleme der Ratsuchenden im Beratungsverlauf dominieren muss.Anders aber als in der Gesprächspsychotherapie ist die Beziehung in der SozialenBeratung nicht das Ganze der Beratung, sondern nur ein Baustein, der um einesystematische Erfassung der psychosozialen Probleme und um alltagsrelevanteunmittelbare Interventionen ergänzt werden muss. Gleichwohl wäre es für dieSoziale Beratung fatal, wenn die psychische Seite der Ratsuchenden, ihrepersönlichen und Verhaltensschwierigkeiten nicht aufgegriffen werden. Dafür sinddie Beziehungsvariablen nach Rogers besonders tauglich. Für die Auswahl dieserAspekte spricht auch, dass sie längst den engen Rahmen der Psychotherapieverlassen haben und auch in zahlreichen pädagogischen Arrangements erfolgreichpraktiziert werden.

Für eine therapeutisch und beraterisch wirksame Beziehung ist nach denErkenntnissen der Gesprächspsychotherapie die Haltung des Helfersausschlaggebend. Insbesondere drei Verhaltensweisen begünstigen eine hilfreicheBeziehung. Der Berater soll sich danach zum ersten kongruent in der Begegnungmit dem Ratsuchenden verhalten. Das bedeutet, er soll sich Rechenschaft überseine Gefühle und Gedanken gegenüber dem Ratsuchenden ablegen, zu seinemErleben stehen, sich dadurch auch seiner emotionalen Reaktionen bewusst werden.Nur so erreicht er eine Offenheit für den Ratsuchenden, die nicht von einerunkontrollierten Abwehrhaltung unterlaufen wird. Ein kongruentes Beratungshandelnsorgt dafür, dass der Berater vom Ratsuchenden am ehesten als stimmig undglaubwürdig erlebt wird. Hinzu kommt, dass das Vorgehen des Beraters für denRatsuchenden einsichtig und transparent wird, wenn ihm der Berater einen Einblickin seine Sichtweise über ihn gewährt. Die zweite Grundhaltung wird mit Akzeptanzund Wertschätzung beschrieben. Hierbei geht es darum, den Ratsuchendenanzunehmen und ihn nicht wegen bestimmter Äußerungen oder Verhaltensweisenabzulehnen. Das bedeutet aber keine „sentimentale Aktzeptanz“ eines Verhaltens,das auch der Ratsuchende nicht billigen würde. Diese Haltung, in der Widersprücheund Zweifel nicht verschwiegen werden, begünstigt eine Atmosphäre, in der derRatsuchende sich öffnet und selbst explorieren kann. Die dritte Beziehungsvariableist das empathische Verstehen. Empathie bezieht sich in dieser Wortverbindung aufemotionale Aspekte, auf intuitiv zu erfassende Vorgänge, während das Verstehenals kognitive Leistung Sinnzusammenhänge und Motivationen rekonstruiert.Empathisches Verstehen zielt darauf, den inneren Bezugsrahmen desRatsuchenden nachzuvollziehen, ihn aus seinen Voraussetzungen heraus zuverstehen. Mit dem um Empathie bemühtes Verstehen werden die Informationendes Ratsuchenden strukturiert, seine Aufmerksamkeit wird auf relevanteInformationen konzentriert und es werden auch Erinnerungen aktiviert, die mit dengegenwärtigen Schwierigkeiten in einem Zusammenhang stehen (vgl. Sachse 1999,28f.).

Die Gestaltung der Beratungsbeziehung unter den genannten Vorzeichen ist einepermanente Aufgabe, die nicht nur in der Anfangsphase der Beratung eine Rollespielt. In sämtlichen Phasen des Beratungsprozesses ist es notwendig, dieseGrundlagen zu realisieren. Das gilt auch für die Sequenzen, in denen vordergründigkontrastierende Vorgehensweisen des Beraters wie eine Konfrontation oder einedirektive Haltung opportun sind. Die Beratungsbeziehung steckt den Rahmen ab,

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innerhalb dessen die notwendigen Interventionen zur Bewältigung eines Problemsplatziert werden.

3.2 Interventionen in der Sozialen Beratung

In der Sozialen Beratung stehen für den Ratsuchenden lebenspraktisch relevanteInhalte im Mittelpunkt. Er ist an möglichst schnellen Lösungen interessiert, die seineAutonomie im Alltag wieder herstellen (vgl. Schmitz u.a. 1989, 124). Das Tempo,das der Ratsuchende aus verständlichen Gründen wünscht, ist nicht ohne weiteresmit dem üblichen Ablauf einer seriösen Beratung vereinbar. Der Weg führt von einerOrientierung über die zu bearbeitenden Probleme über die gemeinsameVereinbarung von Zielen zur Planung von Handlungsschritten bis zur Umsetzungund Auswertung der eingeleiteten Maßnahmen (vgl. Sickendiek u.a. 1999, 14f.).

Die Soziale Beratung geht über die hilfreiche Gestaltung einer Beziehung hinaus. Inihr sind Interventionen erforderlich, die entweder an den Lebenslagen derRatsuchenden oder an den Ratsuchenden selbst ansetzen. In Bezug auf dieLebenslagen geht es um Risiken, Chancen und Belastungen, die im Alltag derRatsuchenden angesiedelt sind. Hinsichtlich der Person des Ratsuchenden selbstspielen Empfindungen, Wahrnehmungen und die Formen der Bewältigung vonBelastungen eine wesentliche Rolle. Interventionen richten sich hierbei auf dieFörderung von risikovermeidenden Verhaltensweisen und Fähigkeiten. Im einzelnenkönnen Maßnahmen erforderlich sein, die der Durchsetzung von sozialen Rechtendienen, die die materielle Ausstattung verbessern, die soziale Dienstleistungenerschließen oder in der unmittelbaren pädagogischen Interaktion dieHandlungskompetenzen von Ratsuchenden erweitern (vgl. Kaufmann 1999, 925f.).Erst die Kombination dieser unterschiedlichen Interventionsformen macht dieSoziale Beratung handlungsfähig.

Trotz des breiten Interventions- oder Unterstützungsspektrums erfolgt die SozialeBeratung im wesentlichen über die Interaktion und Kommunikation mit denRatsuchenden. Aus gesprächstechnischer Sicht zählt zu den beratungsförderlichenBedingungen, dass der Berater möglichst kurz formuliert, das Gespräch strukturiert,anschaulich und lebendig spricht, an die Aussagen des Ratsuchenden anknüpft, mitDeutungen sparsam umgeht, Peinlichkeiten für den Ratsuchenden vermeidet und inkleinen Schritten interveniert (vgl. Finke 1999, 138f.). Der Berater soll in der Lagesein, aufmerksam zuzuhören, geeignete Fragen zu formulieren, Ziele in derBeratung zu verfolgen, moralische Verurteilungen zu vermeiden etc. (vgl. Seden1999, 9f.) Zu den verbreiteten Fehlern im Gesprächsverhalten gehört ein künstlichwirkenden Vorgehen, ein zu rasches Eingreifen oder auch sich von Äußerungen desRatsuchenden persönlich angegriffen zu fühlen und einen Machtkampf auszutragen(vgl. Belardi 1996, 82f.). Entscheidend ist, dass die Gesprächshinweise, die hier nursehr skizzenhaft berücksichtigt werden, nicht mechanisch gehandhabt werden. Ausmeiner Sicht ist weniger die Technik als die Haltung entscheidend, die in einerIntervention eingenommen wird. Insofern sind auch die Ausführungen über dieMaximen und die Grundsätze der Beratungsbeziehung als methodische Hinweisezu verstehen, die wichtiger sind als konkrete Instruktionen.

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Für die Planung von Interventionen sind der Ratsuchende und der Berater auf eingemeinsam erarbeitetes Problemverständnis angewiesen. In die problemerfassendeKommunikation bringt der Berater ein Raster ein, das der Erfassung von Problemenund Chancen bzw. Potenzialen dient, die beim Ratsuchenden vorhanden sind. „Inbesonderem Maße steht die Soziale Arbeit vor der Situation, dass diepsychosozialen Problemlagen ihrer AdressatInnen eng mit deren lebensweltlichenBezügen, ihren biographischen Erfahrungen, den handlungsleitendenSinnhorizonten und widersprüchlichen Verstrickungen der ProtagonistInnenverwoben sind. Soziale Arbeit steht hier vor der Schwierigkeit, die Konkretheit undKomplexität des ‚Falles‘ erfassen und zudem eine konturierte Problemdefinitionentwickeln zu müssen, damit ein Hilfeplan sinnvoll erstellt werden kann.“ Hanses2000, 360 Eine konturierte Problembeschreibung muss die vielfältigenVerbindungen zwischen den einzelnen Problembestandteilen ordnen. Hilfreich istes, dabei zwischen lebenspraktischen Problemen wie die Fähigkeit zurHaushaltsführung, sozialen Problemen wie Einsamkeit oder Stigmatisierung,körperlichen Problemen wie Krankheit oder Behinderung, wirtschaftlichenProblemen wie Einkommen und Schulden, beruflichen Problemen wieErwerbslosigkeit und Qualifikation und den Perspektiven wie Lebensplänen- undzielen zu unterscheiden (vgl. Belardi 1996, 68). Dieser Katalog bringt zwar einegewisse Ordnung in komplexe Probleme, er bleibt aber additiv und trägt insofernnoch nicht ausreichend dazu bei, die Dynamik eines Problems angemessen zuerfassen.

Um die inneren Verflechtungen einzelner Problembereiche besser in den Blick zubekommen ist es sinnvoll, die Ressourcenausstattung eines Ratsuchenden undseine Erlebens- und Verhaltensbedingungen genauer zu analysieren. DieRessourcenanalyse erfolgt aus einer sozialökologischen Perspektive, d.h. derRatsuchende wird mit seinen individuellen Entwicklungsmöglichkeiten und seinenUmweltmöglichkeiten wahrgenommen. „Beratung als umfassendeRessourcenförderung fordert Sensibilität für Entwicklungspotentiale von Personenund Umwelten und Kompetenzen in der Erschließung, Erhaltung und Konservierungvon Ressourcen der Einzelnen wie der sozialen, institutionellen undgbauten/natürlichen Umwelt.“ (Nestmann 1997, 21) Nestmann differenziert bei denRessourcen zwischen Objekten wie Wohnraum, Kommunikations- undTransportmittel, Lebensumständen wie Status, Sicherheit und Zuwendung,Personenmerkmale wie Selbstwert, Bewältigungsoptimismus und sozialeKompetenz und Energieressourcen, das sind Mittel wie Geld oder Wissen, umangestrebte Ziele zu erreichen (vgl. ebd. 23). Eine ressourcenorientierte Beratungfragt nicht primär nach den Defiziten, sondern nach den vorhandenen undausbaufähigen Ressourcen, wobei selbstverständlich auch die fehlendenRessourcen thematisiert werden.

Auch wenn die Ressourcenausrichtung über eine rein formale Problembetrachtunghinaus führt, muss noch die Frage geklärt werden, wie das Erleben und Verhaltenvon Ratsuchenden in einer angemessenen Weise reflektiert und erfasst werdenkann. Instruktiv ist für diese Phase der Problemerfassung ein von Bach vorgelegtesModell. Danach wird das Erleben und Verhalten von drei Faktoren beeinflusst. EinBündel von Einflüssen sieht Bach in der individuellen Disposition und

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Ausgangslage, die mehr umfasst als die biologische Grundausstattung einesMenschen. Auf die individuelle Disposition wirken auch Umwelteinflüsse und dieindividuelle Verarbeitung von Erziehungs- und Sozialisationseinflüssen,Bildungsprozesse, kognitive Fähigkeiten und die Selbsteinschätzung desRatsuchenden. Eine zweite Gruppe von Faktoren, die das Erleben und Verhaltenprägen, liegt in den Lebensumständen des Ratsuchenden. Hierzu gehören seineWohn-, Einkommens- und Arbeitssituation, seine Freizeitbedingungen, seine sozialeSicherung und seine sozialen Netze. Schwierigkeiten in der individuellen Dispositionführen häufig auch durch Stigmatisierungen oder andere Formen von sozialerBenachteiligung zu beeinträchtigten Lebensumständen. Eine dritte Gruppe vonEinflüssen, die das Erleben und Verhalten belasten, sind Umfelderwartungen- undanforderungen, die für den Ratsuchenden über- oder unterfordernd sein können.Sie führen häufiger zu Insuffizienz- und Schuldgefühlen (vgl. Bach 1999, 13f.). Fürdie Erfassung dieser Einflüsse ist eine Individual-, Umfeld- und Normendiagnostiknotwendig, die – wie jede Problemerfassung in der Sozialen Arbeit – nichtabschließend erfolgt, sondern immer prozessbegleitend (vgl. ebd. 87f.). Für einemehrperspektivische Problemerfassung in der Sozialen Beratung halte ich eineKombination aus dem Problemkatalog, der Ressourcendiagnostik und derErmittlung der Erlebens- und Verhaltensbedingungen für erforderlich. Die inhaltichgewollte Breite der Sozialen Beratung setzt diese sorgfältige Arbeit voraus.Anderenfalls drohen Interventionen, die am Kern eines Problems oder auch denMöglichkeiten des Ratsuchenden vorbei gehen.

Schwerpunktmäßig erfolgt die Problemerfassung in der Anfangsphase der SozialenBeratung. Nach der Begrüßung des Ratsuchenden und der Darstellung desinstitutionellen Rahmens sowie der geplanten Dauer des Gesprächs wird vomBerater der Themenkorridor der Sozialen Beratung abgesteckt, damit derRatsuchende weiß, was er erwarten kann (vgl. Schmitz u.a. 1989. 127f.). Diegenannten Aspekte der Problemwahrnehmung dienen in dieser Phase einer grobenOrientierung für das Beratungsgespräch. In der Auftaktphase wird der Ratsuchendeauch über das Vorgehen in der Beratung informiert. Hierzu gehört, dass der Beraterihm Fragen stellt und nicht abwartet, was der Ratsuchende von sich aus mitteilt. Inder Sondierung sind offene Fragen zu bevorzugen, soweit der Ratsuchende damitumgehen kann. Ungeeignet sind geschlossene Fragen, Entweder-oder-Fragen,Warum-Fragen und Serien-Fragen (vgl. Culley 1996, 86f.).

Aus gesprächstechnischer Sicht ist in diesem Abschnitt der Beratung dieParaphrase besonders geeignet. Bei der Paraphrase geht es um die Wiederholungder Mitteilungen des Ratsuchenden in eigenen Worten, ggf. klarer, präziser als derRatsuchende es formuliert hat. Die Paraphrase ist aber auch eine Reflexioninsofern, als der Berater nicht nur wiederholt, was gesagt worden ist, sondern auchdas fokussiert, was der Ratsuchende z.B. implizit durch seine Körpersprache oderMimik mitteilt. Der Berater stellt seine Wahrnehmung zur Diskussion.Voraussetzung dafür ist ein empathisches Zuhören. Die dritte Funktion derParaphrase ist die Zusammenfassung, in der der Berater Ausschnitte oder dasgesamte Gespräch resümiert (vgl. Sickendiek u.a. 1999, 130f.). Der Berater solltesich in dieser Gesprächsphase mit voreiligen Deutungen zurück halten. FalscheAnalogien und unzulässige Generalisierungen sowie eine unzureichende Analyse

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der sozialen Lebensbedingungen (vgl. Heiner 1996, 120) verführen immer wieder zueiner fehlerhaften Einschätzung von Schwierigkeiten, auf deren Grundlage dann dieWeichen in der Sozialen Beratung falsch gestellt werden. Erst nach einer mit demRatsuchenden rückgekoppelten Problembeschreibung erfolgen die Interventionenim engeren Sinn, auf die Ratsuchende häufig gleich zu Beginn pochen. Wer sichhier zur Eile drängen lässt, macht vermeidbare Fehler.

Im folgenden unterscheide ich drei zentrale Interventionsformen in der SozialenBeratung, die sich in der Beratungspraxis vielfältig überlagern: Es handelt sich dabeium die Weitergabe von Informationen, die Reflexion und Interpretation vonProblemen und die Erschließung von materiellen und sozialen Ressourcen imLebensraum der Ratsuchenden. Entscheidend ist, dass zwischen derProblemerfassung und den darauf bezogenen Interventionen eine wechselseitigeBeziehung entsteht, um die weiteren Interventionen auf die durch vorangegangeneMaßnahmen veränderte Situation abzustimmen.

Einen Ratsuchenden angemessen zu informieren, ist eine pädagogische Aufgabeersten Ranges. Bei der Weitergabe von Informationen muss der Berater denHorizont des Ratsuchenden würdigen, seine Lernfähigkeit- und motivationeinschätzen und die Informationen entsprechend aufbereiten. DieInformationsweitergabe als Intervention ist dann indiziert, wenn ein Problem nichtdurch gemeinsame Reflexion mit dem Ratsuchenden gelöst werden kann, sondernnur durch eine sachlich begründete Information. Zu denken ist hierbei an eineBeratung über Sozialhilfeansprüche oder über den Umgang mit Mietschulden. Mitden Informationen sollen lebenspraktisch relevante Entscheidungsprozesse beikonkreten Handlungsproblemen unterstützt werden (vgl. Dewe 1995, 121). DerBerater benötigt ein fundiertes Wissen über Institutionen, Sozialleistungen,Zugangswege und Leistungsvoraussetzungen. Im Gespräch muss er darauf achten,nur relevante Informationen weiter zu geben, die Darstellung nicht mit Details zuüberfüttern, sicher zu stellen, dass der Ratsuchende die Informationen verstandenhat und ihn auch bei der Umsetzung, z.B. durch Anleitung, zu unterstützen (vgl.Culley 1996, 108f.). Bei der Auswahl von Informationen muss der Berater dieaktuelle Lebenssituation des Ratsuchenden würdigen, unmittelbare Fragenbeantworten und auch auf das eingehen, was im Umfeld der Frage für denRatsuchenden bedeutsam ist (vgl. Giesecke 1997, 84f.).

Die Weitergabe von Informationen bezieht sich auf Probleme, die mit derVermittlung von Wissen bewältigt werden können. Anders sieht es bei einemAustausch über unterschiedliche Sichtweisen, bei der Einschätzung vonEntscheidungsfolgen oder dem Umgang mit Ambivalenzen aus. In diesen Fällen isteine gemeinsame Reflexion das Mittel der Wahl in der Sozialen Beratung. In dergemeinsamen Reflexion ist der Ratsuchende aktiv an der Beratung beteiligt. Ersetzt sich mit den Anregungen und Lernimpulsen auseinander, die der Beratereinbringt. In der Reflexion ist der Ratsuchende aufgefordert, sich kognitiv undemotional mit seinen Schwierigkeiten auseinander zu setzen und realistischeErwartungen aufzubauen (vgl. Mrochen 1994, 77). Die Reflexion ist keinstörungsfreier Prozess. Die Anregungen, Impulse, Deutungen und Umdeutungen,die hier zur Sprache kommen, fordern den Ratsuchenden zu einer inneren

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Stellungnahme heraus (vgl. Mutzeck 1999, 95f.). Durch die Reflexion undInterpretation erhalten die Inhalte ggf. eine neue Bedeutung, es werdenZusammenhänge zwischen vermeintlich unzusammenhängenden Verhaltensweisenund Ereignissen hergestellt, Abwehrhaltungen aufgedeckt und Hinweise auf nochungenutzte Potenziale gegeben (vgl. Sickendiek 1999, 131f.). Im Gespräch ist derBerater mit einem Feedback oder auch einer Herausforderung bzw. auchKonfrontation des Ratsuchenden gefordert (vgl. Culley 1996, 108f.). Der Beratersollte aus gesprächstechnischer Sicht entsprechende Interventionen nicht amBeginn eines Prozesses und nicht am Anfang oder Ende einer Sitzung vornehmen(vgl. Finke 1999, 117). Im Reflexionsteil zeigt die Soziale Beratung eine große Nähezu psychologischen Beratungen. Doch auch hier gilt, dass die Verbindung vonsozialen und psychischen Problemen in gleicher Weise beachtet und bearbeitetwerden.

Bei den oben beschriebenen psychosozialen Problemen ist unschwernachzuvollziehen, dass die Weitergabe von Informationen und die Reflexion vonProblemen mit dem Ratsuchenden in den meisten Fällen noch nicht ausreichen, umeine Lösung seiner Alltagsprobleme zu erreichen. In der Sozialen Beratung kommtes entscheidend darauf an, auch Ressourcen im Umfeld des Ratsuchenden zumobilisieren. Hierbei greift der Berater auf das System der sozialen Sicherungzurück und prüft auch, in welchen Bereichen er die soziale Untersützung für denRatsuchenden in seinem Lebensraum aktivieren und ausbauen kann. Bei derErschließung von Sozialleistungen sind gutachtliche Stellungnahmen im Rahmender Sozialen Beratung erforderlich, z.B. bei der Organisation eines Therapieplatzesoder der Nutzung von Ermessensspielräumen im Bundessozialhifegesetz. In diesenFällen kommt es darauf an, eine „rechtssachverhaltsgemäße Darstellung“ (Ortmann1994, 190f.) des Problems vorzulegen, um eine für den Ratsuchenden günstigeEntscheidung zu erwirken. Weiter ist es in diesem Interventionsbereich relevant,soziale Dienste und Einrichtungen einzuschalten, zu organisieren, einzelneLeistungen zu koordinieren und Verbindungen zwischen diesen Hilfen und denpersönlichen Fähigkeiten des Ratsuchenden herzustellen (vgl. Frankel/Gelman1998, 4f.).

4 Diskussion

Das hier vorgelegte Grundgerüst der Sozialen Beratung ermöglicht eine ersteOrientierung, die in dieser Form noch nicht ausreicht, um konkretesBeratungshandeln anzuleiten. Das Ziel der Ausführungen besteht vielmehr darin,die Reflexion über die Soziale Beratung als eine eigenständige Handlungsform derSozialen Arbeit zu fördern. Die Soziale Arbeit ist aus der Beratungsperspektive nichtdarauf angewiesen, andere Professionen zu imitieren, wenn sie sich ihrer eigenenHandlungskonzepte bewusst wird. In der Sozialen Einzelhilfe findet die SozialeBeratung bereits Elemente, auf die in der weiteren Auseinandersetzung noch gezieltzurückgegriffen werden sollte. Zu früh hat man die Soziale Einzelhilfe in dersystematischen Methodenforschung aufgegeben und sich mit dem erreichten,vielfach psychotherapeutisch orientierten Niveau, zufrieden gegeben. Die SozialeBeratung sollte hinsichtlich der Beziehungsaspekte und der in der Sozialen

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Einzelhilfe entwickelten so genannten sozialen Diagnostik mit diesem methodischenAnsatz verknüpft werden. Auch die Erkenntnisse des Case Management, das dieSoziale Einzelhilfe indirekt fortsetzt, sind für die Ausgestaltung der SozialenBeratung ergiebig und noch weitgehend ungenutzt.

Allerdings reichen die Ergebnisse der Sozialen Einzelhilfe nicht aus, um die SozialeBeratung methodisch entscheidend voran zu bringen. Zumindest müsste manprüfen, inwieweit pädagogische Konzepte in die Soziale Beratung integriert werdenkönnen. Immerhin geht es nach dem hier entwickelten Beratungsmodell zentraldarum, Ratsuchende in ihrer Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit beipsychosozialen Problemen zu fördern und zu stärken. Was liegt näher, als diesenProzess auch pädagogisch zu analysieren. Die Reflexion von Bildungs- undWissensdefiziten und die pädagogischen Möglichkeiten, diese Beeinträchtigungenzu überwinden, sind für die Praxis der Sozialen Beratung äußerst bedeutsam.

Auf der theoretischen Ebene fehlen noch Modelle, in denen der Beratungsprozesspräzise abgebildet wird. An dieser Stelle ist zu überlegen, ob der Rückgriff aufsystemische oder sozialökologische Ansätze für die weitere Entwicklung derSozialen Beratung tragfähig sind. Bei oberflächlicher Betrachtung erscheint es mirnicht sinnvoll, die systemische Beratung, die in der Sozialen Arbeit gegenwärtig einhohes Ansehen genießt, als eigenständigen Ansatz zu praktizieren. Erst eineinhaltliche Einrahmung dieser prozesshaften Vorstellungen erlaubt es, dasmethodische Rüstzeug für die Beratung zu erschließen. Damit plädiere ich nicht füreine reine Addition dieses Ansatzes in das vorgelegte Grundgerüst, sondern füreine von den Interessen der Sozialen Beratung ausgehenden Integration, die nochnicht geleistet ist. Die Soziale Beratung ist in diesem Punkt als ein analytischesRaster zu verstehen, mit dem man auf bewährte Beratungsmethoden zurückgreifenkann ohne in diesen aufzugehen.

Eine weitere Integrationsaufgabe der Sozialen Beratung liegt darin, die verstreutenTeilmodelle wie die Schuldner-, Wohnungslosen- oder Sozialhilfeberatung, aberauch die Beratung im Bereich des Gesundheitswesens, der Rehabilitation oder derSozialpsychiatrie, zumindest in den Grundzügen in das generalistische Konzept derSozialen Beratung aufzunehmen und damit ein gemeinsames Fundament fürbereichsbezogene Vertiefungen zu legen. Die aktuelle Parzellierung der SozialenBeratung ist einerseits mit der Gefahr verbunden, dass Teilbereiche für das Ganzegehalten werden und dass andererseits Ratsuchende mit einerMehrfachproblematik, die im Feld der Sozialen Beratung nicht selten sind, zu häufigan unterschiedliche Stellen verwiesen werden. Für die psychosozialeGrundversorgung ist ein Beratungskonzept mittlerer Reichweite aus inhaltlichen undaus Kostengründen eindeutig zu bevorzugen. Wenn die hier angedeutetenWeiterungen der Sozialen Beratung systematisch erfolgen, sehe ich gute Chancen,dass dieser Handlungsansatz der Sozialen Arbeit ihr methodisches Repertoireentscheidend ergänzt und den Stellenwert der Sozialen Arbeit in der psychosozialenVersorgungslandschaft erheblich verbessert.Literaturverzeichnis

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