Soziale Isolation

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Soziale Isolation

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  • Soziale Isolation als besondere Herausforderung fr den Erzieher von heute__________________________________________________________________________________________

    Soziale Isolation

    als besondere Herausforderung fr den Erzieher von heute

    Projektarbeit Schuljahr 2006/07

    Rudolf-Steiner-Berufskolleg Dortmund e.V.

    Matthias Ollesch, Thore Widderich, Ole Schade

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  • Soziale Isolation als besondere Herausforderung fr den Erzieher von heute__________________________________________________________________________________________

    Inhaltsverzeichnis

    Seite

    Einleitung 3

    Wie wir auf unser Thema gekommen sind 3

    Kapitel 1 Was geht aus verschiedenen Statistiken hervor? 5

    1.1 Eine Zusammenfassung statistischer Ergebnisse 51.1.2 Medienkonsum 51.1.3 Freizeitgestaltung 61.1.4 Alkohol- und Drogenkonsum 7

    Kapitel 2 Der Fragebogen fr die Jugendlichen 9

    2.1 Aufbau des Fragebogens 92.2 Der Fragebogen 122.3 Unsere Eindrcke an den verschiedenen Schulen 142.4 Auswertung der Fragebgen 16

    Kapitel 3 Die Lehrerinterviews 22

    3.1 Konzeption der Interviews mit den Lehrern 223.2 Interviews mit den verschiedenen Lehrern 233.2.1 Hauptschule Altenhagen, Hagen 233.2.2 Luise-Rehling-Realschule, Hagen 243.2.3 Theodor-Heu-Gymnasium, Hagen 253.2.4 Rudolf-Steiner-Schule, Dortmund 263.3 Eine Zusammenfassung der Lehrerinterviews 27

    Kapitel 4 Interviews mit verschiedenen Fachleuten 28

    4.1 Interview mit Frau Elsing 284.2 Interview mit Herrn Weirauch 324.3 Interview mit Frau Schne 34

    Kapitel 5 Eigene Erfahrungen 38

    5.1 Erfahrungen aus der Praxis 385.1.1 Erfahrungen von Matthias Ollesch und Ole Schade 385.1.2 Erfahrungen von Thore Widderich 45

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    Kapitel 6 Eine Auswertung von Fragebgen, Interviews und eigenen Erfahrungen 48

    6.1 Was sind die Probleme der heutigen Jugend? 486.1.1 Eine Zusammenfassung der verschiedenen Ansichten 486.1.2 Unterschiede und Parallelen der verschiedenen Ansichten 50

    Kapitel 7 Die Bedeutung der Problematik fr uns als Erzieher 55

    7.1 Arbeit mit dem Jugendlichen 567.1.1 Wir wollen, dass die Selbsterziehung des Erziehers und die

    Begegnung mit dem Jugendlichen als Grundlage fr alle weitere Arbeit angesehen wird 56

    7.1.2 Wir wollen Sozialfhigkeit entwickeln 577.1.3 Wir wollen Medienkompetenz durch strenge

    Regelungen entwickeln 587.1.4 Wir wollen die Entwicklung unter Bercksichtigung

    des ganzen Menschen untersttzen 597.1.5 Wir wollen eine Beziehung zur Welt herstellen 607.1.6 Wir wollen kulturelles Leben frdern 617.1.7 Wir wollen bestmgliche Zukunftschancen ermglichen 627.2 Arbeiten mit Jugendamt und Familie 637.2.1 Wir wollen dem Jugendlichen nicht nur Notwendiges,

    sondern auch Wnschenswertes entgegenbringen 637.2.2 Wir wollen die Familie weitgehend eingliedern mit dem

    Fernziel der Rckeingliederung 64

    Schlusswort

    Ein Rckblick auf unsere Arbeit 66

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    Einleitung

    Wie wir auf unser Thema gekommen sind

    Im Rahmen unseres zweiten Ausbildungsjahres zum Erzieher werden wir ein einjhriges Projekt durchfhren. Dabei war es uns wichtig, ein Thema zu behandeln, das uns ohnehin schon lngere Zeit beschftigt, welches unserem angestrebten Beruf entspricht und uns ganz konkret weiterbringt.Durch die schon gesammelten Erfahrungen whrend und vor der Ausbildung und der festgestellten Probleme, die die Zu-Erziehenden aufzeigten, stieen wir auf die Frage nach den Ursachen der Probleme. Insbesondere mchten wir auf die Probleme der Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren eingehen, da wir uns mit diesen Menschen im weiteren Jahr besonders beschftigen werden.

    Im Wesentlichen sind uns folgende Probleme aufgefallen:Matthias und Ole arbeiteten whrend ihres Zivildienstes in jeweils verschiedenen Kinder- und Jugendheimen in kirchlicher Trgerschaft. Bei Matthias handelte es sich um eine Tagesgruppe, die sechs Kinder im Alter von sieben bis zwlf in enger Zusammenarbeit mit deren Eltern betreute. Dabei handelte es sich um in der Schule durch schlechte Noten, Desinteresse und Aggression auffllig gewordene Heranwachsende. Dies uerte sich besonders in Konflikten, in denen die Kinder sich meist nur durch Gewalt zu helfen wussten und am Unterrichtsgeschehen selten teilnahmen, was entsprechende Ergebnisse nach sich zog.Die Kinder kamen nach der Schule, bekamen dann Essen, es wurden Hausaufgaben gemeinsam gemacht und danach standen verschiedene Aktivitten am Nachmittag an. Der Tag mit den Kindern endete dann gegen 17 Uhr, wo sie wieder nach Hause zu ihren Familien gingen. Auffllig bei allen Familien war, dass die Kinder kaum soziale Kontakte hatten und selbst innerhalb der Tagesgruppe lieber alleine am Computer spielten als am Gruppengeschehen teilzunehmen. Auch kleinste Kontakte, die zum Beispiel beim gemeinsamen Essen entstehen, waren ihnen gnzlich unbekannt. So kannten die meisten von ihnen noch nicht einmal gewhnliche, selbst zubereitete Gerichte, da sie dies trotz Arbeitslosigkeit der Eltern zu Hause nicht erfuhren. Stattdessen wurde ihnen Fast Food in der Mikrowelle erwrmt, welches sie dann alleine aen. So a zum Beispiel eines der Kinder, das von ihm zum Mittag gewnschte Putenschnitzel, das frisch zubereitet wurde, nicht. Denn es hatte erwartet, dass es sich bei einem Putenschnitzel immer um ein solches handelt, welches seine Mutter im Plus-Supermarkt fertig kauft. Auch als ihm eine Woche spter eines vom Aldi angeboten wurde, lehnte er dieses ab, da es ihm unbekannt war.Diesen Zustand knnte man auf viele Lebensbereiche innerhalb der Familie weiter ausfhren, in denen es an jeglichem sozialen Kontakt und gegenseitigem Verstndnis mangelte.

    Ole arbeitete in einem katholischen Jugendheim fr so genannte Schwererziehbare in einer heilpdagogischen Wohngruppe. Die Jugendlichen wohnten dort, weil sie aus verschiedenen Grnden nicht mehr mit ihrem Umfeld, im Besonderen mit den Eltern zurechtkamen. Zu einem Groteil waren die Eltern arbeitslos oder hatten Alkohol- und Drogenprobleme oder es traf beides zu. Besonders auffllig war, dass es sich als schwierig erwies, die Jugendlichen zu etwas zu motivieren, wodurch sie in einen sozialen Kontakt treten mussten. Beim Anbieten

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    einer Basketballgruppe wurde deutlich, dass das Spielen am Computer und die daraus resultierende Abgrenzung der sozialen Begegnung und der krperlichen Bewegung vorgezogen wurde.Auch in alltglichen Dingen wurde deutlich, dass es an jeglichen Grundstzen im sozialen Miteinander mangelte. So wurde abgelehnt, Wasserkisten aus dem Bus in die Gruppe zu tragen, weil es nicht die Pflicht der Jugendlichen war. Hier stellt sich die Frage, Selbstinitiative freiwillig zu ergreifen und sich und seine Umgebung wahrzunehmen.Es war sehr schwierig, mit den Jugendlichen in einen persnlichen Kontakt zu treten und dadurch einen Einblick hinter die Fassade zu bekommen um ihnen bei ihren Problemen helfen zu knnen. Besonders erschreckend war, dass sehr viele Jugendliche keine Vorstellung von tglicher Hygiene und dem Sauberhalten eines Raumes hatten. In einem Gesprch mit einem 15-Jhrigen wurde deutlich, dass er dies von zu Hause nie erfahren hatte, da er bei seinen Eltern in einem sozialen Brennpunkt aufwuchs und diese an Alkoholismus erkrankt waren und selbstverstndliche Dinge schlichtweg nicht erlernt wurden.

    Ab dem elften Lebensjahr vereinsamt in einem sozial schwachem Stadtteil aufgewachsen, eignete sich Thore die berlebensstrukturen des Konflikt Kompensierens und nicht dessenBewltigung an. Eine typisch problematische Familiensituation, die nicht auf einem Miteinander, sondern auf einem Nebeneinander basierte. Die daraus resultierenden Probleme, wie regelmiger Schulwechsel und ein dauerhafter Kampf mit den von ihm erwarteten Pflichten, wurden durch die schon frh angelegte Suchtstruktur verdrngt, da ihm diese Halt gab. Diese hatte ihren Anfang in der frhen Kindheit, als die soziale Begegnung durch Fernsehen von Seiten der Eltern ersetzt wurde. Somit entstand ein Selbstverstndnis fr Bedrfnisbefriedigung auf der falschen Ebene. Durch diese Suchtstruktur hatte er jedoch nur Umgang mit Gleichaltrigen, die hnliche Probleme hatten, so hat man sich gegenseitig in der alles Soziale ablehnenden Haltung besttigt. So wurde nicht ein Problem gelst und es entstand ein Teufelskreis der sozialen Isolation.

    Durch diese Erfahrungen kamen wir alle zu einer Hypothese, nmlich Viele Probleme der heutigen Jugend wie Drogen, Schulverweigerung und Perspektivlosigkeit lassen sich auf eine soziale Vereinsamung zurckfhren.Soziale Vereinsamung bedeutet, wie an den vorherigen Beispielen zu erkennen, dass die Jugendlichen in einer Beziehungslosigkeit gegenber ihrer Mitmenschen (Beispiel Gewalt), alltglichen Dingen (Wasserkisten) und sogar sich selbst (Hygiene) leben. Grund dafr ist hufig, dass die Jugendlichen in ihrer sozialen Umgebung Desinteresse und Unverstndnis erleben. Stattdessen wird ein Ersatz gesucht, der mit verschiedensten Medien beginnen kann und im Extremfall mit Drogensucht endet.Dies fhrt dazu, dass die Jugendlichen mit Aufgaben, Menschen und sich selbst verantwortungslos, orientierungslos und unverbindlich umgehen, da sie nie ein soziales Verstndnis erlernt haben.Dadurch entsteht bei den angesprochenen Jugendlichen eine Unsicherheit und Angst, welche sich bei vielen zum Schutz in Aggressionen uert.

    Da wir diese Hypothese vertreten, mchten wir sie durch Umfragen, Interviews und vorhandene Statistiken wissenschaftlich belegen. Schwerpunkt dabei soll sein, wie die Ursachen der Probleme der heutigen Jugend, zum Einen aus Sicht der Jugendlichen (Umfragen) und zum Anderen aus Sicht der Erwachsenen (Interviews), sich darstellen.

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    Aus dieser wird dann ein eigen erstelltes pdagogisches Konzept entstehen, welches auch in der Realitt praxistauglich sein kann. Ziel hierbei ist es, dem Erzieher aufzuzeigen, gezielter mit den Problemen der Jugend umzugehen.

    Kapitel 1

    Was geht aus verschiedenen Statistiken hervor?

    1.1 Eine Zusammenfassung statistischer Ergebnisse

    Wie in der Einleitung unserer Projektarbeit beschrieben, vermuten wir eine zunehmende soziale Vereinsamung bei einem groen Teil der Jugend. Bislang knnen wir jedoch nur Vermutungen anstellen, wo sich diese begrnden knnten. Auf dem Weg zur Erforschung der Ursachen fr die heutigen Problematiken der Jugend mchten wir daher den aktuellen Zustand dieser zunchst feststellen. Uns schienen dafr die verschiedenen Statistiken und Forschungen des Bundesamtes fr Statistiken in Berlin als besonders geeignet, um dies zu erreichen. Das Bundesamt erwies sich im Rckblick als sehr hilfsbereit und kommunikativ. Wir erhielten binnen weniger Tage per E-Mail ein groes Paket mit verschiedensten Statistiken zum Beispiel zum Medienkonsum, Freizeitgestaltung und dem Alkoholkonsum der Jugendlichen in Deutschland (siehe dazu Anlagenordner).

    1.1.2 Medienkonsum

    Beim Medienkonsum fallen einige gravierende Dinge sofort auf. Da wre zum Beispiel der Konsum von TV/Video der 12- bis 18-Jhrigen Jungen und Mdchen. Dieser lag laut einer verffentlichten Studie des Bundesamtes im Jahr 2004 bei

    tglich insgesamt 207 Minuten.

    Siehe dazu Statistisches Bundesamt, Forum der Bundesstatistik, Bd. 43/2004, Seite 381, Tabelle 2.

    Aus einer anderen Studie knnen wir entnehmen, dass 67% der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren ein eigenes Fernsehgert besitzen.

    (Genial Medial. Medienkompetenz in der auerschulischen Jugendbildung von Feierabend, Klingler, 2000, S. 519)

    Interessant ist auch die Tatsache, was die Jugendlichen fr Sendungen bevorzugt schauen:

    31 % Soap-Operas19 % Information/Infotainment15% Spielfilm11 % Werbung 7 % Sport

    (Medienzukunft Zukunft der Medien von Gerhards und Klingler, 2001, S. 71).

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    Es ist fr uns bezeichnend, dass dabei mehr Wert auf Unterhaltung als auf wirkliche Informationen gelegt wird. Dies erkennen wir daran, dass nur 19 % der Jugendliche hauptschlich Wert auf ein informatives Programm legen.

    In einer weiteren Statistik finden sich besonders auffllige Angaben zum Konsum von Computerspielen:Zwar sagen diese Zahlen aus, dass nur etwa ein Drittel der Jugendlichen Computerspiele berhaupt nutzt, dieses jedoch sehr intensiv betreibt. Besonders auffllig sind dabei die Jungen, die im Durchschnitt

    ber 120 Minuten tglich mit diesem Medium verbringen.

    Dies entnehmen wirStatistisches Bundesamt, Forum der Bundesstatistik, Bd. 43/2004, Seite 171, letzter Absatz.

    Wir mchten nur diese beiden Beispiele nennen, da sie fr uns am aussagekrftigsten sind und die Problematik als solche verdeutlichen. Man knnte an dieser Stelle jedoch auch noch den Konsum von Radio, Musik und diversen Zeitschriften einbeziehen. Insgesamt ist uns wichtig, dass laut der Statistiken ein Groteil der zur Verfgung stehenden Freizeit mit dem Konsum von Medien verbracht wird. Dazu im Folgenden mehr:

    1.1.3 Freizeitgestaltung

    Das Wort Freizeitgestaltung birgt in diesem Zusammenhang etwas sehr Wesentliches: denn das Wort Gestaltung beinhaltet, dass die Kinder und Jugendlichen etwas gestalten, etwas selbst initiieren. Aus diesem Grund spiegeln die Statistiken wider, was die Jugendlichen mit ihrer freien Zeit machen und somit, wofr sie sich am meisten interessieren. Hier eine kurze bersicht ber die zeitliche Einteilung der Freizeit im Durchschnitt der 10- bis 18-Jhrigen:

    Freizeitaktivitt Minuten Prozent %

    Fernsehen/Video 116 28Computerspiele 36 9Lesen 24 6Radio Musik 12 3Hobbys/Spiele 55 13Sport/Bewegung/Natur 49 12Soziale Kontakte 59 14Unterhaltung und Kultur 24 6Ausruhen/Auszeit 10 2Wegezeiten fr Freizeit 30 7

    Statistisches Bundesamt, Forum der Bundesstatistik, Bd. 43/2004, Seite 169, Tabelle 1

    Obwohl diese Tabelle unserer Meinung nach schon fr sich spricht, mchten wir einige ausschlaggebende Aspekte hervorheben. Es zeigt sich beispielsweise, dass annhernd die

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    Hlfte (46 %) der Freizeit im Durchschnitt bei den Jugendlichen daraus besteht, sich mit Medien zu beschftigen. Zu der sportlichen Aktivitt lsst sich erwhnen, dass berhaupt nur weniger als ein Drittel der Jugendlichen Sport betreibt. Dieses Sporttreiben erfolgt jedoch dann bei den betreffenden Jugendlichen sehr intensiv mit ber zwei Stunden durchschnittlich pro Tag. Obwohl es in der oben stehenden Tabelle im sportlichen Bereich sich um 12 % der Freizeit handelt, ist dabei zu bercksichtigen, dass dies bei zwei Dritteln der Jugendlichen maximal in Form des Schulsportes und nicht im tglichen Ausben stattfindet.

    Statistisches Bundesamt, Forum der Bundesstatistik, Bd. 43/2004, Seite 171, zweiter AbsatzZur Freizeitgestaltung der Jugendlichen gehrt des Weiteren der

    1.1.4 Alkohol- und Drogenkonsum

    Zur Verdeutlichung der aktuellen Situation in Bezug auf den Konsum von Alkohol und anderen Drogen beziehen wir uns auf die Europische Schlerstudie zu Alkohol und anderen Drogen (ESPAD). Im Folgenden ein erluterndes und die wesentlichen Gesichtspunkte zusammenfassendes Zitat aus benannter Studie:

    Tabak - Von den befragten Schlerinnen und Schlern haben 77,8 % mindestens einmal in ihrem Leben geraucht, bei den Schlerinnen haben 79,1% gegenber 76,4% bei den Schlern Erfahrungen mit dem Tabakkonsum. Von einem aktuellen Konsum berichteten 48,4% der weiblichen gegenber 44,9% der mnnlichen Schler. Unter Hauptschlern finden sich mehr tgliche und auch mehr starke Raucherinnen und Raucher als bei Schlern in anderen Schulformen.

    Alkohol - Bezogen auf die letzten 12 Monate vor der Befragung waren lediglich 6% der Jungen und 5% der Mdchen abstinent. In den letzten 30 Tagen vor der Erhebung wurden am hufigsten Alcopops (inzwischen erst ab 18 Jahren erhltlich) getrunken (63%), gefolgt von Bier (56%), Spirituosen (51%) und Wein/Sekt (50%). Insgesamt 38% der befragten Jugendlichen berichten von Trunkenheitserlebnissen in den letzten 30 Tagen. Jeder zweite Jugendliche unter 14 Jahren war schon einmal betrunken. Einen zumindest einmaligen Konsum von 5 oder mehr Glsern Alkohol bei einer Trinkgelegenheit in den letzten 30 Tagen gaben 59% der Schlerinnen und Schler an.

    Drogen - 33% der befragten Schlerinnen und Schler berichten, bereits einmal irgendeine illegale Substanz probiert zu haben. Mit 31% ist Cannabis die am hufigsten konsumierte Substanz. Verglichen mit den relativ hohen Erfahrungswerten des Cannabiskonsums ist eine hufige Einnahme dieser Substanz aber eher selten. In den letzten 30 Tagen vor der Befragung gaben 5% der Jugendlichen an, fter als einmal pro Woche Cannabis konsumiert zu haben.

    Europische Schlerstudie zu Alkohol und anderen Drogen 2003 (befragt wurden 11.043 Schler und Schlerinnen der 9. und 10. Jahrgangsstufe im Alter von etwa 15 16 Jahren).

    An diesen Ergebnissen wird deutlich, dass es ein Alkohol- und Drogenproblem bei Jugendlichen in Deutschland gibt. Grundlegend an dieser Erkenntnis festzustellen ist, dass bei den Jugendlichen eine offensichtliche Suchtstruktur erkennbar ist.

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    Aus den drei genannten Hauptgruppen der Probleme Medienkonsum, Freizeitgestaltung sowie Alkohol- und Drogenkonsum lassen sich fr uns wesentliche Dinge erkennen. Ein Aspekt davon ist beispielsweise, dass die sozialen Kontakte im Vergleich zu anderen Aktivitten relativ wenig Zeitrume eingerumt bekommen. Daraus knnte man weitergehend schlussfolgern, dass es den Kindern- und Jugendlichen unter Umstnden an dem ntigen Halt fehlt, den man zum Beispiel bei Freunden oder innerhalb der Familie bekommen kann. Wenn dies der Fall ist, knnten Medien- sowie Alkohol- und Drogenkonsum eine Kompensierung der fehlenden Sozialisation und damit die Wirkung einer Ursache (soziale Vereinsamung) sein. In den Medien wiederum hatten wir in den letzten Jahren das Gefhl, dass das Niveau stetig absinkt. Whrend die Nachfrage nach Big Brother und Co. dennoch stetig steigt, was eine positive Vernderung der Medienwelt nicht sttzt. Dadurch stellt nicht allein der Konsum an sich ein Problem dar, sondern auch die dargestellten Inhalte. Pdagogisch wertvolle Sendungen werden beispielsweise durch aggressive Werbung, die direkt auf die Bedrfnisse der Kinder zugeschnitten ist, unterbrochen. Wir wollen damit verdeutlichen, dass selbst, wenn man vermeintlich anspruchsvolle Sendungen schaut, man trotzdem der Verbldung der Gesellschaft ausgesetzt ist. All die benannten Probleme sind als Tatsachen zu verstehen, die anderweitig ausgiebig geprft wurden. Wir mchten uns daher mit der Frage beschftigen, warum die Jugendlichen diese Probleme gerade in dieser Art und Weise kompensieren. Wir vermuten nmlich, dass nicht die benannten und feststehenden Probleme die eigentlichen sind, sondern dass sie nur eine Folge der eigentlichen Probleme unserer Gesellschaft sind. Aus diesem Grund mchten wir uns im weiteren Verlauf dieser Arbeit damit beschftigen, was die eigentlichen Ursachen fr die feststehenden Probleme sind.Hierauf werden wir jedoch unter Bercksichtigung anderer Quellen Kapitel 6 weiter eingehen.

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    Kapitel 2

    Der Fragebogen fr die Jugendlichen

    In diesem Kapitel geht es darum, wie wir uns ein eigenes Bild von der aktuellen Situation verschaffen. Wir haben uns dazu entschieden, einen Fragebogen zu konzipieren, den wir an Schulen in der nheren Umgebung ausgeben. Im Folgenden werden wir uns zur Konzeption, der Durchfhrung, der Resonanz und vor allem zu den entstandenen Ergebnissen uern.

    2.1 Der Aufbau des Fragebogens

    Zum besseren Verstndnis des Aufbaus der Fragebgen mchten wir in diesem Text die gegebenen Fragen einmal erlutern. Zunchst haben wir uns Gedanken darber gemacht, wie wir die Jugendlichen am besten erreichen knnen. Dabei ist uns wichtig, die Jugendlichen nicht mit zu persnlichen Fragen zu konfrontieren, weil wir befrchten, dass dies zu weniger Ernsthaftigkeit beim Beantworten der Fragen fhren knnte. Trotzdem mchten wir jedoch ein gutes und ehrliches Ergebnis erlangen. Da wir bereits die Statistiken des Bundesamtes fr Statistiken veranschaulicht haben, mchten wir selbstverstndlich in unserem Fragebogen ganz gezielt auf die erlangten Erkenntnisse eingehen. Hierzu gehren die Probleme der heutigen Jugend im Bereich des hohen Medienkonsums sowie der aufflligen Suchtstrukturen. Uns ist es im Hinblick auf die Fragebgen besonders wichtig, von den Jugendlichen zu erfahren, wo die Probleme ihren Ursprung haben. Wir vermuten, dass dieser in der jeweiligen familiren Situation liegt. Deshalb mchten wir unseren Fragebogen ganz gezielt auf die Familie und das soziale Umfeld der Jugendlichen ausrichten, um ein Verstndnis fr die individuelle Lebenssituation der Jugendlichen zu erlangen. Im Folgenden werden wir die einzelnen Fragen und unsere spezielle Intention genauer erlutern. Hierbei ist zu bercksichtigen, dass wir uns fr ein Antwortsystem entschieden haben, welches die bereits vermuteten Antworten zum Ankreuzen vorgibt. Auer bei den Fragen, die mit Ja oder Nein beantwortet werden konnten, waren Mehrfachnennungen mglich.

    1. Wie alt bist du?

    Diese Frage stellen wir, um den Jugendlichen einen unbefangenen und lockeren Einstieg zu ermglichen, und um gegebenenfalls im Nachhinein auf altersspezifische Unterschiede eingehen zu knnen.

    2. Leben deine Eltern getrennt?

    Uns interessiert, ob und inwiefern es Unterschiede bei Scheidungskindern und Jugendlichen aus heilen Familien gibt. Hierbei ist es uns wichtig, zu erkennen, ob Scheidungskinder, wie oft vermutet, fter den erkannten Problemen der heutigen Jugend (Medien, Drogen usw.) ausgesetzt sind.

    3. Mit wem sprichst du ber deine Probleme?

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    Mit dieser Frage gehen wir ganz gezielt auf das Verhltnis der Jugendlichen zu ihrem Umfeld ein. Wir versprechen uns davon, einen Einblick dahingehend zu erlangen, wer im Leben der Jugendlichen noch eine wichtige Rolle spielt und ob soziale Kontakte bestehen. Desweiteren ist es uns wichtig, zu erfahren, ob die Jugendlichen Beistand eher in ihrer Familie oder in ihrem Freundeskreis suchen.

    4. Von wem fhlst du dich am meisten verstanden?

    Hierbei stellten wir uns die Frage, wer die nheren Vertrauenspersonen des Jugendlichen sind und ob der Jugendliche seinen Halt noch in der Familie hat, oder ob er diesen im weitlufigen sozialen Umfeld sucht.

    5. Wo siehst du die Probleme der heutigen Jugend?

    Bei dieser Frage geht es uns ganz speziell um die Einschtzung der Jugendlichen ihrer eigenen Probleme. Uns ist hier wichtig, zu sehen, ob die bislang bekannten Probleme, mit denen der befragten Jugendlichen bereinstimmen bzw. ob wir noch weitere bislang unbekannte Probleme feststellen knnen.

    6. Wo liegen deiner Meinung nach die Ursachen fr den Konsum von Alkohol/Drogen?

    Hierbei ist die Fragestellung sehr direkt. Dem Jugendlichen wird eine objektive Meinung abverlangt ber die seinige und die Situation seines Umfeldes. Es wird also ganz gezielt gefragt, warum Alkohol und Drogen fr Jugendliche einen hohen Stellenwert haben und wie dieser zustande kommt. Uns ist wichtig, Erkenntnisse ber die Ursachen fr den relativ hohen Konsum von den benannten Drogen zu erlangen. Liegt die Problematik im Elternhaus oder im Freundeskreis oder anders wo?

    7. Warum glaubst du, verbringt der Groteil der heutigen Jugend mehr Zeit mit Computer/TV, als mit anderen Menschen?

    Mit dieser These provozieren wir eine direkte Stellungnahme zu dem vorhandenen Problem des Medienkonsums. Bei dieser Frage mssen die Jugendlichen unbewusst erkennen, dass durch den Medienkonsum Dinge wie soziale Kontakte auf der Strecke bleiben. Unsere Frage richtet sich indirekt an die Jugendlichen, warum dies so ist und wie es zustande kommt. Sehen die Jugendlichen das Problem bei sich, in ihrem sozialen Umfeld oder in der Gesellschaft?

    8. Glaubst du, dass sich der Groteil der Eltern im ihre Kinder kmmert/sich fr sie interessiert?

    Durch die hier gegebene Fragestellung mssen die Jugendlichen diese nicht direkt auf sich beziehen und knnen aus ihren Erfahrungen im Umfeld die Frage beantworten. Dadurch ist die Frage fr die Jugendlichen nicht zu persnlich und sie knnen diese recht unbefangen beantworten. Dennoch erhalten wir eine Aussage der Jugendlichen

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    darber, wie sie die allgemeine Situation von Kindern zu ihren Eltern empfinden. Wir stellen diese Frage ganz gezielt am Ende unseres Fragebogens, um durch die persnliche Tiefgrndigkeit der Frage keine Stimmungsschwankungen hervorzurufen, die weitere Fragen beeinflussen knnten.

    Dass alle Fragen aufeinander aufbauen und sich unweigerlich ergnzen, ist ebenfalls beabsichtigt. Wir erhoffen uns, durch alle Antworten ein informatives Spektrum der Ursachen fr die bekannten Probleme und ein direktes Statement von verschiedenen Schulformen zu bekommen.Ab Frage 3 muss man darauf hinweisen, dass die gemachten Angaben durchaus davon beeinflusst sein werden, dass sich die Jugendlichen in dem Alter, mit dem wir uns beschftigen, in der Pubertt befinden. Daher muss man bercksichtigen, dass in dieser Phase der Entwicklung eine natrliche Distanz vor allem zu den Eltern entsteht und beispielsweise der Freundeskreis eine hhere Prioritt einnimmt, als es bisher der Fall war. Wir werden bei der Auswertung der Fragebgen diesen Aspekt bercksichtigen und prfen, ob es sich um natrliche und fr die Pubertt typische Probleme handelt oder ob es darber hinaus eine Tendenz gibt, dass die Probleme die Grenze des Natrlichen berschreiten.

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    2.2 Der Fragebogen

    Wenn nicht anders angegeben, bitte nur eine Antwort ankreuzen!

    1. Wie alt bist du? _____ Jahre

    2. Leben deine Eltern getrennt?

    ja nein

    3. Mit wem sprichst du ber deine Probleme?

    Freunde Geschwister Eltern

    ich lse die Probleme alleine Bekannte oder andere Bezugspersonen

    mit keiner von diesen Personen, sondern __________________________________

    4. Von wem fhlst du dich am meisten verstanden?

    Eltern und/ oder Geschwister Freunde von niemandem

    Freund (in) Sonstiges, nmlich __________________________________

    5. Wo siehst du die Probleme der heutigen Jugend? (mehrere Antworten mglich)

    Computer- und Medienkonsum schlechter Kontakt mit Eltern

    wenig soziale Aktivitten Perspektivlosigkeit

    Sonstiges, nmlich ____________________________________________________

    6. Wo liegen deiner Meinung nach die Ursachen fr den Konsum von Alkohol/Drogen?

    Freundeskreis Elternhaus Gesellschaft

    Zeitvertreib kein Grund

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    Sonstiges, nmlich ____________________________________________________

    7. Warum glaubst du, verbringt der Groteil der Jugend mehr Zeit mit Computer/TV als mit anderen Menschen?

    Desinteresse des sozialen Umfeldes Langeweile

    fehlende Alternative keine Motivation

    Sonstiges, nmlich ______________________

    8. Glaubst du, dass der Groteil ihrer Eltern sich um ihre Kinder kmmert / sich fr sie interessiert?

    ja nein

    Vielen Dank fr eure Hilfe!

    Thore Widderich, Matthias Ollesch und Ole Schade

    Fachschule fr Sozialpdagogik, Dortmund

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    2.3 Unsere Eindrcke an den verschiedenen Schulen

    Whrend unserer Projektarbeit war uns wichtig, die Meinung der betreffenden Zielgruppe einzuholen. Daher entschieden wir uns, an verschiedenen Schulen Umfragen durchzufhren. Dabei war es uns wichtig, dass wir die in Deutschland blichen Schulformen zu gleichen Teilen bercksichtigen. Auerdem war uns wichtig, ebenfalls an einer Waldorfschule die Umfragen durchzufhren, da wir alle in unserer Jugend von dieser Schulform geprgt wurden und natrlich ebenfalls, da wir uns momentan in einer anthroposophischen Ausbildung befinden.Da unsere Projektarbeit auf ein praxisorientiertes Konzept hinfhren soll, ist es fr uns wichtig, eventuell vorhandene Unterschiede zwischen den verschiedenen Schulformen festzustellen. Bevor wir auf die eigentlichen Umfragen im weiteren Verlauf der Arbeit eingehen, mchten wir zunchst die Eindrcke der Schulen auf uns schildern.Wir werden unsere Eindrcke erst im abschlieenden Fazit der Projektarbeit weiter verarbeiten und diese in einen eventuellen Zusammenhang zu anderen Ergebnissen stellen.

    Wir nahmen Kontakt auf mit der

    - Hauptschule Altenhagen, Hagen

    - Luise-Rehling-Realschule, Hagen

    - Theodor-Heu-Gymnasium, Hagen

    - Rudolf-Steiner-Schule, Dortmund.

    Whrend unserer Schulzeit hatten wir selbstverstndlich Kontakt mit Schlern vieler verschiedenen Schulformen und wechselten die Schule teilweise auch selbst. Dies fhrte dazu, dass im Laufe der Zeit in uns ein Bild entstand, was mit der jeweiligen Schulform eng verbunden war. So hatten wir von der Haupt- und Realschule im Allgemeinen ein recht negatives Bild, whrend dem eine Vorstellung von einer elitren Situation an Waldorfschule und Gymnasium gegenberstand. Im Folgenden werden wir zeigen, ob sich diese Vorstellungen unsererseits bewahrheiteten oder ein anderer Eindruck entstand.

    Die Luise-Rehling-Realschule war die erste Schule, an der wir die Umfragen durchfhrten. Leider hatten wir in dieser nur die Mglichkeit, die Umfrage in einer Klasse persnlich durchzufhren. Die Aufnahme in der Klasse war, anders als erwartet, freundlich. Die Schler der 9. Klasse standen uns sehr interessiert und hilfsbereit gegenber. Es war sprbar, dass die Jugendlichen die Umfrage ernst nahmen und sich mit der Thematik nicht zum ersten Mal beschftigten. Whrend der Umfrage war es im Klassenraum so still, dass uns die Stimmung an eine Klausursituation erinnerte. Auch begannen wir, ein Interview mit der stellvertretenden Direktorin zu fhren. Dieses brach sie jedoch nach kurzer Zeit ab, da sie unsere Fragen laut eigener Aussage nicht beantworten konnte, weil sie nicht nah genug am Geschehen sei. Sie wirkte auf uns sehr interessiert und offen, jedoch konnte sie unsere Fragen nicht hinreichend beantworten, da sich andere Kollegen besser auskennen wrden. Sie organisierte daraufhin das Interview mit Herrn Kucher.

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    Die Hauptschule, die sich direkt neben der Realschule befindet, machte einen noch positiveren Eindruck auf uns. Wir wurden von den Lehrkrften sehr viel freundlicher und interessierter aufgenommen und man nahm sich grozgig Zeit fr unsere Befragungen. Bei den Schlern fiel schnell auf, dass sie mitunter Verstndnisschwierigkeiten hatten, was den Fragebogen betraf. Wir hatten die Gelegenheit, die gesamte Umfrage in allen Klassen persnlich durchzufhren. Wie schon an der Realschule, ist der Immigrantenanteil an der Schule sehr hoch. Der Groteil der Kinder und Jugendlichen kommt aus einfachen und oft schwierigen familiren Verhltnissen. Die schwierige soziale Situation wurde am Verstehen des Fragebogens, an Rckfragen und persnlichen Begegnungen sehr deutlich. Beispielsweise gab es offenbar recht groe Probleme mit dem Wort Perspektivlosigkeit. Einerseits konnte das Wort nicht richtig gelesen werden, andererseits waren sich die Schler ber die Bedeutung des Begriffes nicht im Klaren. Whrend unserer Vorstellung in den einzelnen Klassen, wurde aber in jeder einzelnen Situation deutlich, dass sich die Kinder und Jugendlichen der Hauptschule ihrer problematischen Lage mehr als bewusst sind und ihre Situation verbessern wollen. So blieben die von uns erwarteten dummen Bemerkungen auch hier vllig aus. Die Kinder und Jugendlichen nahmen die Umfragebltter anscheinend sehr ernst. So kamen teilweise whrend der Umfrage sogar Schler zu uns, um sich zu vergewissern, dass sie die Fragen auch richtig verstanden haben, da ihnen anscheinend sehr viel an einem wahrheitsgemen Ergebnis lag. Einzelne uerten auch, dass die von uns gegebenen Antworten genau die Probleme der heutigen Zeit und speziell die der Jugendlichen widerspiegeln wrden. Auch die Lehrer waren sehr kooperativ und begutachteten mit Interesse unseren Fragebogen.An der Schule wurde deutlich, dass viele Probleme von den Schlern und Lehrern wahrgenommen werden, aber eine gewisse Hilflosigkeit in der Bewltigung dieser besteht. Dies schlussfolgern wir aus den uerungen von einzelnen Schlern und Lehrern. Wie bereits erwhnt und ebenfalls allgemein bekannt ist, handelt es sich an der Hauptschule sowie an der Realschule grtenteils um Kinder und Jugendliche, die aus schwierigen familiren Verhltnissen stammen und dadurch keine leichte Stellung in der Gesellschaft haben. Wir konnten durch den Besuch unsere Vorurteile und Vermutungen bereinigen und erkennen, dass die Kinder und Jugendlichen durch ihr soziales Umfeld in diese Position gebracht werden und ein groer Teil von ihnen diese durchaus verbessern mchten.

    Am Gymnasium erwartete uns eine gegenteilige Situation. Hier hatten wir aufgeschlossene und interessierte Schler erwartet, da uns schon vorher bewusst war, dass am Gymnasium eher die Kinder und Jugendlichen der besser gestellten Familien beschult werden. Die Schlerinnen und Schler des Gymnasiums waren sich dieser elitren Situation bewusst. Wir hatten den Eindruck, dass sie unseren Fragebogen eher belchelten, anstatt ihn ernst zu nehmen. Ein Schler uerte gar Wir haben hier doch gar keine Probleme. Desweiteren wurden Bemerkungen ber den Erzieherberuf gemacht, die eindeutig unter der Grtellinie waren. Als wir uns und unsere Arbeit vorstellten, wurde eher mit unterschwelligem bis hin zu ganz offenem Desinteresse reagiert, als mit offenem Interesse, wie wir es an Haupt- und Realschule bereits erleben konnten. An dieser Schule passierte es uns das einzige Mal, dass einige Lehrer sich erlaubten, den von uns ausgearbeiteten Fragebogen in seiner Konzeption und Wirkung in Frage zu stellen. Interessant an dieser Tatsache war fr uns, dass die Schler des Gymnasiums, wie spter an den Umfragen zu erkennen, sehr hnliche Umfragewerte aufzeigen, wie die Schler der anderen Schulen. Doch auch hierauf werden wir in Kapitel 6 weiter eingehen.

    Als letztes statteten wir der Rudolf-Steiner-Schule in Dortmund einen Besuch ab. Wir hatten im Vorhinein sehr guten Kontakt mit Herrn Blume, der dort unterrichtet. Im Gesprch mit

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    ihm bekamen wir sehr konkrete und ausfhrliche Antworten, ohne dass Rckfragen zu unserem Projekt gestellt wurden. Herr Blume war sich durchaus der selektierten Situation an der Rudolf-Steiner-Schule bewusst. Wir einigten uns darauf, dass wir uns in den verschiedenen Klassen vorstellen und die Jugendlichen die Fragebgen dann zu Hause ausfllen sollten, damit nicht zuviel Zeit vom Unterricht abgeht.Die Klassen waren sehr verschieden. In den oberen Jahrgngen (11., 12.) wurde sehr intensiv gearbeitet. Unsere Fragebgen wurden recht kommentarlos entgegengenommen. In der 9. und 10. Klasse hingegen war es sehr unruhig, unser Besuch wurde als Gelegenheit genutzt, sich laut zu unterhalten, aufzustehen, etc. An und fr sich war der Besuch in der Rudolf-Steiner-Schule jedoch sehr freundlich. Wir bekamen nahezu alle Fragebgen von den Schlern zurck.

    2.4 Auswertung der Fragebgen

    Im Folgenden werden wir auf die Ergebnisse unserer Fragebgen an den Schulen eingehen. Hier gilt es zu bercksichtigen, dass es sich nicht nur um Fakten handelt, sondern auch um Interpretationen. Zu diesen gelangten wir durch die verschiedenen Interviews mit den Lehrern. Wir werden jedoch nur auf prgnante Erkenntnisse eingehen und diese anhand von Graphen verdeutlichen. Bei den Umfragen an den vier schon benannten Schulen konnten wir insgesamt 382 Schler befragen. Es wird dabei jedoch nicht nur das allgemeine Ergebnis bercksichtigt, sondern ebenfalls verschiedene Differenzierungen zum Beispiel dahin gehend, ob ein Unterscheid der Aussagen zwischen Scheidungskindern und Kindern, deren Eltern zusammen leben, existiert. Die Statistiken sind im Anhangsordner bei Bedarf komplett einzusehen. Wir mchten nochmals erwhnen, dass wir bercksichtigen, dass es im Alter von 12 19 Jahren natrliche Entwicklungen gibt, dahingehend, dass sich der Jugendliche von seinem Elternhaus mehr und mehr trennt und seine eigenen Wege geht, sich Freundeskreise sucht. Dennoch sind wir der Meinung, dass die Antworten auf unsere Fragen teilweise ber eine natrliche Entwicklung hinausgehen.

    Zunchst mchten wir auf das Verhltnis der befragten Jugendlichen zu ihrem sozialen Umfeld eingehen. Dabei wird sehr schnell deutlich, dass die Jugendlichen eher zu Freunden tendieren als zu Eltern und Familie. Dies mchten wir an den beiden folgenden Grafiken verdeutlichen und erlutern. Diese beiden Grafiken stammen von den Fragen 3: Mit wem sprichst du ber deine Probleme?, und Frage 4: Von wem fhlst du dich am meisten verstanden?. Bei den gegebenen Antworten ist deutlich zu sehen, dass die Jugendlichen mit deutlicher Mehrheit fr die Freunde sprechen, jedoch dann direkt als zweites die Eltern benannt werden. Dies ist wahrscheinlich fr Jugendliche im Alter von 12-18 nicht sehr erschreckend oder verwunderlich, da in diesem Alter auch die Pubertt mit eben diesen Verhaltensmerkmalen auftritt, jedoch als Tatsache wahrzunehmen. Erfreulich bei der Auswertung der beiden Fragen ist, dass die Eltern scheinbar im Leben der Jugendlichen doch eine recht hohe Stellung einnehmen. Die Hauptschler bilden im Bezug auf die sozialen Kontakte eine Ausnahme, sie sprechen sowohl mit Freunden als auch mit ihren Eltern viel weniger ber ihre Problem und fhlen sich von diesen auch nicht so verstanden wie ihre Altersgenossen an anderen Schulformen. Erschreckend ist fr uns, dass rund 30 Prozent der befragten Jugendlichen ihre Probleme alleine lsen. Dies geht, unter Bercksichtigung der Anzahl der gegebenen Antworten, aus der gesamt Auswertung der Fragebgen hervor. An der Realschule handelt es sich hier sogar um 46%, sprich knapp der Hlfte der Schler.

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    Mit wem sprichst du ber deine Probleme?

    15%

    37%

    23%

    3%6%

    16%Freunde

    Geschw ister

    Eltern

    Ich lse die Probleme alleine

    Bekannte

    Sonstiges

    Diese Tendenz lsst sich auch in Frage 4 weiter verfolgen. Hier sagen 6% der Befragten, dass sie sich von niemandem verstanden fhlen. Bei der Realschule sind dies 15% der Schler. Leider knnen wir diese Zahl nicht nher erlutern und keine genaue Ursache fr diese benennen. Desweiteren fllt auf, dass die Schler der Waldorfschule sich differenziert uern im Bezug zum Verhltnis zu ihren Eltern. Sie bilden bei beiden Fragen mit 60% eine Ausnahme und scheinen ein recht gutes Verhltnis zu ihren Eltern zu haben.

    Von w em fhlst du dich am m eisten verstanden?

    4%

    18%

    3%

    30%

    45%

    Eltern/Geschw ister

    Freunde

    von niemandem

    Freund/in

    Sonstige

    Auch diese Erkenntnis lsst sich in der gesamten Auswertung unter Waldorfschule genauer anschauen, die in der Anlage zu finden ist.Wir knnen also aus diesen beiden Fragen zunchst erkennen, dass die heutige Jugend sich mehr zu Freunden hingezogen fhlt als zu Eltern und Familie. Die Eltern spielen jedoch noch immer im Bezug auf Probleme und Verstndnis eine groe und wichtige Rolle im Leben der Jugendlichen.

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  • Soziale Isolation als besondere Herausforderung fr den Erzieher von heute__________________________________________________________________________________________

    Nun zur fr uns sehr aussagekrftigen Frage zur eigenen Ansicht der Jugend zu ihren heutigen Problemen.

    Wo siehst du die Probleme der heutigen Jugend?

    21%

    27%

    19%

    24%

    9%

    Com puter und Medienkonsum

    schlechter Kontakt m it Eltern

    wenig soziale Aktivitten

    Perspektivlos igkeit

    Sons tiges

    Besonders auffallend ist bei dieser Beantwortung der Frage, dass die Jugendlichen den Computer- und Medienkonsum selbst als Problem einstufen. Dies stimmt mit den Ergebnissen, die wir anhand der Umfragewerte des Bundesamtes fr Statistiken erlangen konnten, berein. Dabei zeigt sich auch, dass gerade die Gymnasiasten und die Waldorfschler dies als akutes Problem wahrnehmen, whrend die Hauptschler deutlich geringere Werte aufzeigen. Desweiteren ist fr uns sehr interessant, dass die Jugendlichen den schlechten Kontakt zu den Eltern als Problem wahrnehmen und benennen. Dies widerspricht sehr der Erkenntnis, dass die Jugendlichen sich von ihren Eltern verstanden fhlen und mit ihnen ber eigene Probleme sprechen. Es scheint aber aus Sicht der Jugendlichen mit 27% das schwerwiegendste Problem der Jugendlichen zu sein. Dies ist fr uns natrlich eine erschreckende Erkenntnis, da die Beziehung zu den Eltern fr die Jugendlichen ein sehr wichtiger Punkt in ihrer Entwicklung ist und wir diese Problematik bislang, wenn auch schon vermutet, noch nicht in Form von Statistiken belegen konnten. Wir haben hier also einen fr uns ganz neuen Aspekt, der im Hinblick auf die Erkenntnisse der Probleme von enormer Wichtigkeit ist. Zu bercksichtigen ist jedoch, dass die Jugendlichen sich in diesem Alter in der Pubertt befinden und der schlechte Kontakt zu den Eltern auch durch diese zustande kommt.Allerdings sind auch die anderen Antworten der Jugendlichen bezeichnend fr die Problematik. So knnen wir zum Beispiel feststellen, dass die Jugendlichen in einer starken Perspektivlosigkeit leben, die man eventuell auf die Gesellschaft und den momentan Arbeitsmarkt zurckfhren kann. Zudem wird im Gegensatz zum hohen Medienkonsum der Mangel an sozialen Aktivitten benannt. Durch diese Aussagen erhalten wir ein Bild des Jugendlichen, der im schlechten Kontakt mit seinen Eltern steht, perspektivlos in die Zukunft schaut und sich lieber mit Medien als mit sozialen Aktivitten beschftigt.

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  • Soziale Isolation als besondere Herausforderung fr den Erzieher von heute__________________________________________________________________________________________

    Wo liegen deiner Meinung nach die Ursachen fr den Konsum von Alkohol/Drogen?

    7%3%

    22%

    19% 13%

    36%

    Freundeskreis

    Elternhaus

    Gesellschaft

    Zeitvertreib

    Kein Grund

    Sonstiges

    In der Europischen Schlerstudie zu Alkohol und anderen Drogen wird deutlich, dass Alkohol- und Drogenkonsum meist im geregelten Wochenablauf des Jugendlichen auftaucht. Auch hier interessieren uns vor allem die Ursachen aus Sicht der Jugendlichen hierzu. Die hohe Prioritt des Freundeskreises wird auch hier deutlich, denn ber ein Drittel der Jugendlichen geben diesen als Ursache fr Alkohol- und Drogenkonsum an. Unter Sonstiges wurde auergewhnlich oft der Gruppenzwang als Ursache genannt, der unserer Meinung nach unmittelbar mit dem Freundeskreis zusammenhngt. Zudem kann man den hohen Wert des Zeitvertreibes als Grund auf die fehlenden sozialen Aktivitten beziehen. Gesellschaft und Elternhaus knnten schlicht dafr stehen, was dem Jugendlichen von seiner Umwelt vorgelebt wird und sich speziell auf Tabak- und Alkoholkonsum beziehen. Das Elternhaus kann jedoch ebenfalls als Problempunkt erkannt werden, der durch Alkohol und Drogen kompensiert wird. Als nchstes mchten wir auf die Ursachen fr den hohen Medienkonsum bei den Jugendlichen eingehen.

    Warum glaubst du, verbringt der Groteil der heutigen Jugend mehr Zeit mit Computer/TV, als mit anderen Menschen?

    20%

    34%

    16%6%

    24%

    Des interesse des sozialenUmfeldes

    Langeweile

    fehlende Alternativen

    keine Motivation

    Sonstiges

    Hier ist aus Sicht der Jugendlichen die schlichte Langeweile die aufflligste Ursache. Diese Langeweile knnte zu Stande kommen, da die Jugendlichen nach eigener Aussage soziale

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  • Soziale Isolation als besondere Herausforderung fr den Erzieher von heute__________________________________________________________________________________________

    Aktivitten nicht wahrnehmen (siehe oben). Dieses Nicht-Wahrnehmen knnte man ebenfalls in einen Zusammenhang mit der fehlenden Motivation bringen, die hier am zweit hufigsten als Ursache fr die Beschftigung mit Medien genannt wird. Der in den vorherigen Grafiken deutlich gewordene schlechte Kontakt zu den Eltern wird hier ebenfalls im Desinteresse des sozialen Umfeldes deutlich.Auch fehlende Alternativen scheinen ein Grund zu sein, sich mit Medien ausgiebig zu beschftigen. Dies wirft bei uns die Frage, nach der Qualitt der Alternativen auf, ob diese nicht vorhanden sind, nicht gesehen werden oder ob sie schlicht nicht die Interessen der Zielgruppe ansprechen. Dazu jedoch spter mehr in den folgenden Texten.

    Nun mchten wir ein Ergebnis darstellen, was fr uns sehr wesentlich und anschaulich ist. Es handelt sich dabei um die Frage, ob die befragten Jugendlichen der Meinung sind, dass der Groteil der Eltern sich fr ihre Kinder interessiert beziehungsweise sich um sie kmmert.

    Glaubst du, dass sich der Groteil der Eltern um ihre Kinder kmmert/interessiert?

    69%

    31%JaNein

    Dieses Ergebnis finden wir recht erschreckend, auch wenn es nicht aussagt, dass die befragten Jugendlichen sich direkt angesprochen fhlen. Dennoch denken wir, dass die Jugendlichen einen Blick dafr haben, was in ihrem Umfeld passiert und wie das Miteinander zwischen Eltern und Kindern im Alltag ist. Deshalb ist diese Aussage fr uns sehr prgnant und alarmierend. Daher mchten wir uns weitergehend damit beschftigen, ob Unterschiede zwischen den Jugendlichen festzustellen sind, die auch unterschiedliche Antworten gegeben haben.Unter den Jugendlichen, die angegeben haben, dass sie der Meinung sind, dass der Groteil der Eltern sich nicht fr ihre Kinder interessiert, ist zunchst festzustellen, dass sich unter ihnen 10 % mehr so genannte Scheidungskinder befinden, als unter denen, die diese Frage bejahen. Unter den Jugendlichen, die diese Frage wiederum verneinen, fhlen sich 12 % von niemandem verstanden (Frage 4), whrend es sich bei den anderen um nur 4 % handelt. Zudem fhlen sich die, die die Frage verneinten, deutlich mehr von ihren Freunden verstanden als von ihren Eltern und besprechen auch fter ihre Probleme mit diesen als es der Durchschnitt darstellt. Desweiteren bringen sie den schlechten Kontakt mit den Eltern in starken Kontakt mit den Problemen der heutigen Jugend. Auch die Ursachen fr Alkohol- und Drogenkonsum sehen sie weitaus hufiger im Zusammenhang mit dem Elternhaus.Zu unserer Verwunderung gab es zwischen Scheidungskindern und Kinder, deren Eltern zusammen leben, kaum gravierende Unterschiede. Daher beziehen wir diese Trennung nicht explizit in unsere Arbeit mit ein.

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    Wir haben durch die durchgefhrten Fragebogenaktionen viele neue Erkenntnisse gewinnen knnen. Zudem haben sich auch bestehende Auffassungen unsererseits besttigt, beziehungsweise verdeutlicht. Wir mchten diese Fragebgen ernst nehmen und werden sie daher in ein Verhltnis mit den verschiedenen Interviews, unseren eigenen Erkenntnissen aus der Praxis und anderen Studien setzen.

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    Kapitel 3

    Die Lehrerinterviews

    Um nicht ein einseitiges Ergebnis zu erlangen und wir nur ber die Sicht der Schler berichten, fhrten wir ein Interview mit je einem Lehrer der Schule der befragten Schler. Uns ist dabei wichtig, dass auch die Lehrer auf die Fragen eingehen, die wir den Schlern gestellt haben. Dazu entwickelten wir ein Konzept, wie wir ein solches Interview fhren wrden. Wie schon in den vorherigen Kapiteln handelt es sich hierbei um Momentaufnahmen und Ansichten anderer, zu denen wir in Kapitel 6 Stellung nehmen und sie in ein Verhltnis zu anderen Meinungen und Fakten setzen werden.

    3.1 Konzeption der Interviews mit den Lehrern

    Teilnehmende: Herr Ollesch, Herr Schade, Herr Widderich sowie der jeweilige Interviewpartner

    Methode: Stichpunkte in schriftlicher Form whrend des Interviews, spter Verschriftlichung anhand der Stichpunkte

    Ablauf:

    1. Was fr Probleme stellen Sie bei Ihren Schlern fest?

    Wo sehen Sie die Ursachen?

    2. Aus welchen Familienverhltnissen kommt der Groteil Ihrer Schler?

    3. Haben Ihre Schler regelmige tiefgehende soziale Kontakte?

    4. Erkennen Sie eine Problemstruktur, die auf die soziale Umgebung zurckzufhren ist?

    5. Tun Ihre Schler etwas fr eine bessere Zukunftsperspektive?

    6. Wie gehen Sie mit dieser Situation (oben genannte Probleme) als Pdagoge um?

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    3.2 Interviews mit den verschiedenen Lehrern

    3.2.1 Hauptschule Altenhagen, Hagen

    Interview mit Herrn Kammer, Sportlehrer 20. September 2006

    Seminaristen (Sem.): Welche Probleme stellen Sie bei Ihren Schlern fest?

    Herr Kammer (H.K.): Das grte Problem sehe ich bei der Konzentrationsschwierigkeit fast aller Schler. Ein anderes groes Problem liegt im mangelnden Verstndnis. Logische Vorgnge werden oft nicht durchschaut. Die Ursachen fr diese Probleme kann ich nur ahnen. Die Vernderung der Medien zu hektischen Berichten sowie der ansteigende Medienkonsum in den letzten Jahren knnten eine Ursache sein. Man muss jedoch so realistisch sein, dass man als Lehrer wenig dagegen tun kann.

    Sem.: Aus welchen Familienverhltnissen kommt der Groteil Ihrer Schler?

    H.K.: Dazu lassen sich am besten einige Fakten erwhnen: 50 % der Eltern unserer Schler sind nicht in der Lage, die Klassenfahrten zu bezahlen. In den Familienhusern ist die hohe Arbeitslosigkeit besonders auffllig. Die klassische Familie gibt es an unserer Schule kaum. Ein groer Teil der Schler hat allein erziehende Eltern. Die Gewalt- und Alkoholprobleme der Eltern sind dabei ebenfalls auffllig. Es ist bei uns keine Seltenheit, dass Mdchen im 8. oder 9. Schuljahr schwanger werden. Viele unserer Schler haben sehr viele husliche Verpflichten, gerade die aus den auslndischen Familien. Oftmals haben sie zustzlich noch nicht einmal einen Ort, an dem sie ungestrt Hausaufgaben machen knnen oder es fehlt schlichtweg der Platz hierfr.

    Sem.: Haben Ihre Schler regelmige tiefgehende soziale Kontakte?

    H.K.: Es gibt viele Freundschaften untereinander, die sich auch sehr vielfltig miteinander beschftigen knnen. Dies betrifft auch oder vor allem den Sport oder beispielsweise das gemeinsame Schwimmen gehen. In diesen Gruppierungen gibt es sehr feste Strukturen. Auffllig ist, dass meines Wissens nach jedoch in den Ferien diese Freundschaften keine Bestand haben, sondern nur in whrend der Schulzeit gelebt werden.

    Sem.: Tun Ihre Schler etwas fr eine bessere Zukunftsperspektive?

    H.K.: Die Hlfte der Schler bemht sich sehr. Jedoch treten schnell Frustrationen auf, wenn es viele Absagen von Bewerbungen gibt. Insgesamt ist es jedoch eindeutig geteilt in die, die etwas tun und in die, die dies eben nicht machen. Im 10. Jahrgang gibt es sehr viele, die sich um einen guten Abschluss bemhen. Sehr bezeichnend fr mich ist, dass 10-15 % meiner Schler in Sport die Zensur 6 haben. Und das aus dem einfachen Grund, dass sie ihre Sportsachen nie dabei haben. Dieses fehlende Engagement und die fehlende Zuverlssigkeit lsst sich bei diesen Schlern in fast allen Unterrichten beobachten.

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    3.2.2 Luise-Rehling-Realschule, Hagen

    Interview mit Herrn Kucher, Mathematiklehrer 25. September 2006

    Seminaristen (Sem.): Welche Probleme stellen Sie bei Ihren Schlern fest?

    Herr Kucher (H.K.): Das grte Problem stelle ich fest bei der Konzentration meiner Schler, denn diese ist schwach mit absteigender Tendenz. Die Grundlagen fr den Besuch der Realschule wie Lesen, Textverstndnis oder Grundrechenarten werden oft nicht oder unzureichend beherrscht. Auseinandersetzungen und/oder bsartige Beleidigungen entstehen schnell. Ebenfalls verbale oder krperliche Reibereien sind an der Tagesordnung. Ordnung und Flei, Grundvoraussetzungen fr einen erfolgreichen Schulbesuch, sind bei vielen nicht vorhanden. Die Ursachen hierfr kann ich nur erahnen. Eine Ursache knnte die familire Struktur sein. Es gibt viele Scheidungskinder und die Eltern knnen sich aus verschiedenen Grnden nicht richtig um ihre Kinder kmmern. Hausaufgaben werden zu Hause wenig kontrolliert.Die Eltern haben oft keinen vernnftigen Arbeitsplatz. Bei Klassenfahrten und dem damit verbundenen finanziellen Aufwand fr die Eltern, wird deutlich, dass viele finanzielle Schwierigkeiten haben.Einfachste gesellschaftliche Regeln werden auch von den Eltern nicht eingehalten. So kommen zum Beispiel zu Lehrergesprchen die Eltern mit Kappe, Jogginghose und Kaugummi im Mund in die Schule. Die Schler kennen es nicht anders und kopieren dies von ihren Eltern.

    Sem.: Haben Ihre Schler regelmige tiefgehende soziale Kontakte?

    H.K.: Unsere Schler beschftigen sich miteinander. Allerdings geht dies meistens nur via Internet, sprich E-Mail oder Chat. Unsere Schler haben kaum richtige soziale Kontakte.

    Sem.: Tun Ihre Schler etwas fr eine bessere Zukunftsperspektive?

    H.K.: In der 8. und 9. Klasse ist bei unseren Schlern wenig Vernunft zu bemerken. In der 10. Klasse wird jedoch ein Umdenken bemerkbar, es wird gezielter gearbeitet. Man muss sagen, dass aus vielen unserer Schler etwas geworden ist.

    Sem.: Was tun Sie, um die aktuelle Situation zu verbessern?

    Wir sind eine relativ kleine Schule, man kennt sich gegenseitig und es gibt daher einen guten Austausch. Das sind gute Voraussetzungen.Es gibt Frderunterricht in der 5. und 6. Klasse. Dadurch sollen Schwchen in den Fchern Mathematik, Englisch und Deutsch abgestellt werden. Es gibt dort viele Lcken, die zu schlieen sind. Zustzlich gibt es Elternsprechtage. Diese haben auf Seiten der Eltern eine groe Resonanz. Allerdings hat der Lehrer fr ein Gesprch nur 8 Minuten Zeit. Das ist zu wenig. Gerade wenn man bedenkt, dass dies der einzige Kontakt zu den Eltern ist. Es gibt nur selten zustzliche Elterngesprche. Eltern von problematischen Schlern sind oft leider nicht gesprchsbereit.

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    Wir versuchen jedoch durch Klassenkonferenzen, an denen die Eltern teilnehmen und Klassenlehrer, die fr ihre spezielle Klasse verantwortlich sind, die vorhandenen Probleme in den Griff zu bekommen.

    3.2.3 Theodor-Heu-Gymnasium, Hagen

    Interview mit Herrn Bratfisch, stellvertretender Schuldirektor 25. September 2006

    Seminaristen (Sem.): Welche Probleme stellen Sie bei Ihren Schlern fest?

    Herr Bratfisch (H.B.): Es treten hufig unerwartete Probleme auf, das heit, dass es vorher keine Anzeichen dafr gab. Die Probleme liegen vor allem in einem pltzlichen Leistungsabfall. Die Ursachen dafr liegen in der Familie der Schler. Allgemeine Probleme, die sich im Besonderen in den letzten zehn Jahren heraus kristallisiert haben, sind teilweise erhebliche Konzentrations- und Artikulationsschwierigkeiten. Die Tendenz deutet deutlich darauf hin, dass dies in den nchsten Jahren noch gravierender sein wird. Hierfr sehe ich die Ursache darin, dass die Schler zu wenig lesen und zu wenig in direkte Kommunikation mit ihren Mitmenschen treten. Ab dem 9. bzw. 10. Jahrgang tritt vermehrt der Alkoholkonsum auf, der jedoch fast ausschlielich auerhalb der Schule stattfindet. Es gibt auch vereinzelte Flle von Drogenkonsum und Gewalt an unserer Schule. Dies jedoch in einem so geringen Mae, dass es kaum nennenswert ist.

    Sem.: Aus welchen Familienverhltnissen kommt der Groteil Ihrer Schler?

    H.B.: Der Groteil unserer Schler kommt aus gut situierten Familien. In Einzelfllen haben die Eltern nur wenig Zeit fr ihre Kinder. Der Anteil der auslndischen Familien liegt bei etwa 3-4 %.

    Sem.: Tun Ihre Schler etwas fr eine gute Zukunftsperspektive?

    Das Arbeitsverhalten ndert sich im 13. Schuljahr grundlegend. Die Schler wollen gut vorbereitet werden und fordern dies auch vom Kollegium ein. Es gibt jedoch auch einige Trdler. Bei diesen ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie ihr Abitur bestehen werden. Der Groteil von ihnen hat keine genaue Vorstellung von der Zukunft und nur wenige nehmen Berufsinformationsveranstaltungen wahr und an Schnupperkursen der Universitt Dortmund teil.

    3.2.4 Rudolf-Steiner-Schule, Dortmund

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    Interview mit Herrn Blume, Geschichtslehrer 27. September 2006

    Seminaristen (Sem.): Welche Probleme stellen Sie bei Ihren Schlern fest?

    Herr Blume (H.B.): Unsere Schler haben keine Probleme, die auf die Schule oder ihr Umfeld zurckzufhren sind, sondern die Probleme sind altersspezifisch. Das bedeutet im Groben, dass zum Beispiel in der 9. 10. Klasse eine leichte Trotzphase eintritt, um die Autoritt der Lehrkrfte zu testen. Dies ist jedoch vllig normal und seit jeher zu beobachten. Es gibt folglich relativ geringe Probleme mit Ausnahme weniger Schler. Dies ist meines Erachtens sehr erstaunlich. Dennoch werden in der Freizeit natrlich Drogen und Alkohol konsumiert. Dies fngt schon in der 6. 7. Klasse an und erreicht seinen Hhepunkt in Partys in der 9., 10. und 11. Klasse.An unserer Schule gibt es keine Gewalt, mit Ausnahme der verbalen und sozialen Gewalt. Dies wird immer wieder durch das Entstehen von Auenseitern von Klassengemeinschaften deutlich.

    Sem.: Haben Ihre Schler regelmige tiefgehende soziale Kontakte?

    H.B.: Die sozialen Kontakte der Schler untereinander sind gut. Auch zu ihren Eltern scheinen fast alle ein gutes Verhltnis zu haben. Dies hnelt einer gymnasialen Situation. Der Hauptgrund hierfr ist, dass sich die Eltern unserer Schler bewusst dafr entscheiden, ihre Kinder auf eine Waldorfschule gehen zu lassen. Es findet also ein bewusster Akt der Entscheidung statt, der ein Grundinteresse voraussetzt, das soweit geht, dass finanzielle Leistungen fr den Schulbesuch erbracht werden mssen.

    Sem.: Tun Ihre Schler etwas fr eine bessere Zukunftsperspektive?

    H.B.: Es gibt eine gewisse pessimistische Stimmung in der Gesellschaft, die auch an unseren Schlern nicht vorbeigeht. Besondere Initiativen von einzelnen Schlern sind nicht hufig zu bemerken. Wir versuchen, die Schler durch ein 14-tgiges Berufspraktikum in der 10. Klasse und ein 21-tgiges Sozialpraktikum in der 11. Klasse auf das Leben nach der Schule vorzubereiten. Durch die schon angesprochene bewusste Entscheidung der Eltern, ihre Kinder auf die Waldorfschule zu geben, gibt es bei uns eine ungewollte Selektion. Der Auslnderanteil ist verschwindend gering. Dies hngt auch damit zusammen, dass die Waldorfschule ganz deutlich macht, dass sie christlich ist. Dies geht oft mit der Religion der auslndischen Familien nicht konform.

    3.3 Eine Zusammenfassung der Lehrerinterviews

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    Bei den Befragungen der Schler im Rahmen unserer Projektarbeit nahmen wir uns auerdem vor, die Lehrer der befragten Schler zu interviewen. Wir bekamen dabei eine positive Resonanz von den Schulen beziehungsweise den einzelnen Lehrern. Sie waren gerne bereit, uns Auskunft zu geben ber die Probleme und die allgemeine Situation an ihrer Schule. Wir werden im Folgenden die von den vier Lehrern der verschiedenen Schulen geschilderten Probleme herausfiltern, die unmittelbar etwas mit den Problemen der heutigen Jugend zu tun haben. Im Wesentlichen lsst sich ein grundlegendes Problem feststellen: Es handelt sich dabei um die gravierenden Konzentrationsschwchen der Schler, oft gepaart mit sozialen Schwierigkeiten.

    Die Lehrer der drei staatlichen Schulen erwhnen bei der Frage nach den Problemen ihrer Schler als erstes die Konzentrationsschwche, die immer gravierender wird. Herr Kammer von der Hauptschule uerte den Medienkonsum bereits als eventuelle Ursache der Konzentrationsschwierigkeiten. Er begrndete dies damit, dass die Bildfolgen immer schneller und die Berichte immer hektischer werden. Er schilderte, dass diese Schwierigkeit immer gravierender wird und alles darauf hindeutet, dass der Trend vorerst nicht zu stoppen ist. Schon bei kleinsten Aufgaben fhrt diese Unfhigkeit, sich kontinuierlich zu konzentrieren, zu Verstndnisschwierigkeiten. Die Schler sind unruhig und halten sich und andere vom Lernen ab.

    Soziale Kontakte werden oft zu einem Groteil ber das Internet gefhrt, mit Hilfe von E-Mail, Chat und anderen elektronischen Kommunikationsgerten wie Handy, Telefon etc. Dies kann zu einer sozialen Vereinsamung fhren. Da der direkte Kontakt dadurch abnimmt.Die soziale Vereinsamung kann allerdings die Ursache noch an anderer Stelle haben. Denn wenn die Eltern keine Zeit fr ihr Kind haben aus welchen Grnden auch immer kann der hohe Medienkonsum eine Flucht aus dieser Vernachlssig (oder Vereinsamung) sein. Dies ist der nchste Punkt, den die befragten Lehrer, vor allem die Lehrer der staatlichen Schulen, genannt haben. Herr Kammer (Hauptschule Altenhagen) sagte etwas, was anscheinend sehr treffend fr die allgemeine Situation der Familien der Schler ist: Die klassische Familie gibt es an unserer Schule kaum. Klassische Familie bedeutet hierbei, dass beispielsweise ein gegenseitiges Interesse besteht, Hausaufgaben kontrolliert werden, verschiedene Abschnitte des Tages (wie zum Beispiel die Mahlzeiten) gemeinsam verbracht werden. Viele Eltern sind arbeitslos, ideenlos, perspektivlos oder haben einfach keine Zeit mehr fr ihre Kinder. Den Jugendlichen fehlt es an starken Vorbildern, an denen sie sich orientieren knnen. Die Wertevermittlung von Moral und der Einstellung innerer Prinzipien bernimmt das Internet und das Fernsehen. Diese eigentlich in der Familie liegenden pdagogischen Aufgaben werden immer strker den Lehrern abverlangt, die jedoch nicht dafr ausgebildet wurden. Die Lehrer versuchen durch Elterngesprche, sich den Problemen zu nhern. Jedoch ist die Zusammenarbeit mit den Eltern der aufflligen Kinder oft schwierig, wenn berhaupt ein Kontakt besteht, auf dem man aufbauen knnte. Es zeigt sich hierbei also sehr stark, dass die Arbeit und vor allem erstmal das Erreichen der Eltern extrem wichtig ist.

    Kapitel 428

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    Interviews mit verschiedenen Fachleuten

    Nachdem wir die Auffassungen der Lehrer und Schler kennen gelernt haben, war es fr uns ntig, dass wir uns weitere Meinungen einholen. Wir versuchten, Kontakt zu politischen Personen, die mit diesen Problematiken arbeiten, aufzunehmen. Desweiteren hielten wir es fr wichtig, ein Interview mit einem Mitarbeiter aus dem Jugendamt zu fhren, da dieser direkt mit Betroffenen zu tun hat. Zudem fhrten wir Interviews mit Personen, die noch direkter und alltglicher mit Jugendlichen und ihren Problemen arbeiten. Alle Interviews sind fr sich zu betrachten und werden, wie alle anderen gesammelten Fakten und Meinungen, spter in Kapitel 6 verarbeitet.Wie verabredeten mit den befragten Personen, dass wir das Interview zu Papier bringen und es ihnen dann zukommen lassen, damit sie berprfen knnen, ob das Geschriebene mit dem zuvor Gesagten bereinstimmt. Frau Schne hat dies bereitwillig gemacht. Von Frau Elsing und Herrn Weirauch haben wir bis heute bedauerlicher Weise keine Antwort erhalten, obwohl wir diese mehrmals per E-Mail an die Verabredung erinnerten.

    4.1 Interview mit Frau Elsing

    Birgit Elsing, Referatsleiterin im Ministerium fr Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen

    Dsseldorf, den 9. Januar 2007

    Teilnehmende: Frau Elsing, Herr Ollesch, Herr Widderich, Herr Schade

    Das Interview wurde in Stichpunkten mitgeschrieben und spter in folgende Form gebracht. Trotz gegenteiliger Absprache mit Frau Elsing, hat sie diese Mitschrift bis heute, 14. Mrz 2007, nicht berarbeitet und besttigt.

    Seminaristen (Sem.): Begrung, Vorstellung der Projektarbeit

    Frau Elsing, zuerst mchten wir einmal erfahren, was ihr genauer Aufgabenbereich istund womit Sie sich genau beschftigen.

    Frau Elsing (F.E.): Ich bin Referatsleiterin im Grundsatzreferat fr jugendpolitische Grundsatzfragen und den Kinder- und Jugendfrderplan. Es geht also um grundstzliche Dinge. Ich kmmere mich beispielsweise um die kulturelle, internationale und sportliche Jugendarbeit. Wir arbeiten im engen Austausch mit dem Minister fr Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Dabei bekommen wir jedoch nicht nur Vorgaben, sondern machen ebenfalls Vorschlge.In erster Linie liegt mein Aufgabenbereich bei allen Kindern und Jugendlichen. Natrlich gibt es die Zielgruppen, um die man sich wenig kmmern muss und auf der anderen Seite die Zielgruppen, die einen hheren Handlungsbedarf erfordern, wie beispielsweise die Migranten. Wir gehen der Frage nach Wer hat welche Probleme? und versuchen, den Ursachen auf denGrund zu gehen und diese zu beheben. Die Bildung steht dabei fr uns im Vordergrund. Denn

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    In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Bildung ganz eng mit dem Entstehen von sozialenProblemen zusammenhngt. Statistiken zeigen, dass Menschen mit weniger Bildung grere Probleme haben. Bildung findet jedoch nicht ausschlielich in der Schule statt. Denn zum Beispiel sind wir auch im Kindergarten der Meinung, dass Bildung nicht frh genug beginnen kann. Unter Bildung verstehe ich jedoch nicht unbedingt die klassischen Schulfcher wie Deutsch, Mathematik und Englisch, sondern zu Bildung gehrt mit mindestens genauso groen Anteilen beispielsweise die Eigeninitiative oder das Selbstbewusstsein. Genauso ist es inzwischen wohl allgemein hin bekannt, dass Musikalitt auch fr bessere Leistungen in der Mathematik verantwortlich sein kann. Uns ist jedoch des Weiteren wichtig, dass wir nicht ein Programm erstellen und die Jugendlichen dieses konsumieren, sondern sie sollen vielmehr eigeninitiativ dabei sein und selbst gestalterisch ttig werden. Wir streben nach einer Schulung des Gehirns in die unterschiedlichsten Richtungen. Da wir der Meinung sind, dass Bildung nicht frh genug ansetzen kann, wollen wir die Kindergartenkinder besser auf das vorbereiten, was sie spter im Leben erwartet. Ein Teil davon ist die Sprachfrderung, da wir bei der Sprachentwicklung groe Probleme feststellen.Unser Ziel ist es, bestmgliche Bildungsvoraussetzungen zu schaffen.

    Sem.: Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Probleme der heutigen Jugend?

    F.E.: Ein groes Problem ist die Zukunftsangst, verbunden mit der Arbeitslosigkeit. Man kann jedoch beobachten, dass die Jugendlichen diesbezglich nicht den sprichwrtlichen Kopf in den Sand stecken, sondern vielmehr Fhigkeiten wie Flexibilitt, was den Ort und die Art des Berufes angeht, entwickeln werden. Dies war vor einigen Jahren noch nicht selbstverstndlich, wenn nicht sogar undenkbar. Dies ist eine durchaus positive Entwicklung.

    Es ist die allgemeine Meinung, dass die Medien beziehungsweise der wachsende Medienkonsum ein Problem ist. Dazu muss man sagen, dass der Medienkonsum nicht mehr geworden ist. Er ist jedoch vielfltiger geworden, wie durch Computer und andere Kommunikationsmedien, und hat sich in vielerlei Hinsichten verndert. So lsst sich beobachten, dass das Bewusstensein fr den eigentlichen Konsum nicht mehr selbstverstndlich gegeben ist. Die Jugendlichen gehen mit dem betreffenden Medium nicht mehr unbedingt kompetent um. Ein Schritt, um diesen Dingen vorzubeugen oder sie zu verhindern, sind Projekte, die sich an die Eltern von Jugendlichen richten. Denn diese wissen oft gar nicht, was ihre Tochter oder ihr Sohn eigentlich direkt im Internet machen oder was fr Spiele oder Sendungen konsumiert werden. Ich spreche hierbei nicht von Kontrolle, sondern von, wie bereits erwhnt, einer greren Kompetenz im Umgang mit den neuen Medien. Der Amoklauf von Emsdetten ist ein Beispiel von mangelnder Kompetenz. Dabei handelte es sich um einen sozial vereinsamten Jungen. Dieser kam aus einem recht angesehenen Elternhaus, welches man gemeinhin nicht als sozialen Problemfall behandeln wrde. Dennoch kann man sagen, dass in Familien, die sozial schwach sind, die Medienausstattung enorm hoch ist. Man kann fast sagen, dass mit der sozialen Schwche die Anzahl der Fernsehgerte im Haushalt steigt. Unserer Meinung nach ist also nicht der Medienkonsum an sich das Problem. Ein unkompetenter Medienkonsum ist lediglich das Resultat von einem anderen Problem wie zum Beispiel Vernachlssigung.Lehrer berichten, dass Schler am Montag nicht zu gebrauchen sind, da sie ber das ganze Wochenende Gewaltspiele oder filme sahen. Ein neuer Weg, den wir in dieser Hinsicht gehen werden, ist die Ganztagsschule. Das Bildungsangebot soll durch Sport und Kultur

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    erweitert werden. Dazu gibt es Sozialarbeiter, die sich um die Probleme kmmern, die die Lehrer nicht bewltigen knnen. Denn die Lehrer erkennen die sozialen Probleme oft nicht. Es herrscht Unwissenheit und Hilflosigkeit. Man merkt jedoch, dass die Lehrer in der letzten Zeit offener wurden, sich auch mit solchen Problemen im Alltag zu beschftigen.

    Man merkt an diesen Beispielen, dass die Eltern eine ganz groe Rolle bezglich der Probleme der Jugendlichen spielen. Die Frage lautet dem zufolge: Wie kommt man an die Eltern heran? Es gibt verschiedene Plne, wie diese Aufgabe zu bewerkstelligen sein knnte. Es gibt zum Beispiel die Idee des Begrungspaketes. Schon kurz nach der Geburt sucht ein Mitarbeiter des Jugendamtes die junge Familie auf und bergibt ein Begrungspaket, in dem sich beispielsweise auch Bcher zum Vorlesen befinden (das mangelnde Vorlesen seitens der Eltern ist ein Grund fr die massiven Sprachprobleme unserer Jugend). Nach zwei Monaten stattet der Jugendamtmitarbeiter der Familie einen weiteren Besuch ab, um sich von der aktuellen Situation ein Bild zu machen. Dies wurde als Pilotprojekt in der Stadt Dorrmagen sehr erfolgreich durchgefhrt. Wir wollen in Nordrhein-Westfalen ein Frhwarnsystem fr soziale Missstnde in einer Familie einfhren. Die verschiedenen Einrichtungen wie Hebammen, Jugendhilfeeinrichtungen, Hausrzte oder Krankenhuser sollen vernetzt werden, so dass es zu weniger Missverstndnissen und Unwissenheiten ber die jeweiligen sozialen und gesundheitlichen Verhltnisse kommt. Familienzentren wie die Kindergrten erfassen 95 % der in Nordrhein-Westfalen lebenden Kinder, daraus kann und muss man mehr Mglichkeiten fr die Kinder- und Jugendhilfe machen.

    Sem.: Wie sicher ist die Realisierung der so genannten Pflichtuntersuchung, die genau an diesen eben genannten Punkten ansetzt?

    F.E.: Die Pflichtuntersuchung ist so gut wie beschlossen. Es gibt nur noch einige wenige offene Fragen bezglich der Finanzierung und des Datenschutzes. Der Nachweise dieser Pflichtuntersuchung in den ersten drei Lebensjahren wird hchstwahrscheinlich sogar zur Bedingung fr die Aufnahme in den Kindergarten. Das Problem, dass manche Eltern ihre Kinder vernachlssigen, soll behoben werden und die Eltern werden besser erreicht. Auerdem wollen wir eine grere Aufmerksamkeit in der ffentlichkeit frdern, was verschiedene Missstnde angeht. Daher gibt es zum Beispiel auch Werbekampagnen mit Slogans wie Sieh hin, was deine Kinder machen. Es ist also festzustellen, dass es bei der Elternarbeit noch groe Defizite gibt. Jedoch ist dies nicht unsere Prioritt. Vielmehr konzentrieren wir uns in erster Linie auf den Schutz des Kindes. Das Jugendamt in Neuss hat im brigen eine Interessante Feststellung gemacht. Nmlich die, dass sich die prventive Kinder- und Jugendhilfe sogar finanziell auszahlt, es werden beispielsweise sptere Kosten fr Heimaufenthalte oder Therapien gespart, wenn man Probleme frhzeitig erkennt und versucht, sie zu lsen. Die Probleme haben jedoch ohne Frage zugenommen. Dies hngt zum Einem enorm mit den allgemeinen gesellschaftlichen Problemen zusammen. Man muss sich nur einmal verdeutlichen, dass wir momentan in Deutschland etwa vier Millionen Arbeitslose haben. Man kann sich schnell vorstellen, wie viele Menschen mit daran hngen und vor allem wie viele Kinder von Hartz IV oder Arbeitslosengeld II leben. Doch finanzielle Armut allein muss nicht bedeuten, dass das Kind auch soziale Armut wie zum Beispiel Verwahrlosung oder Vereinsamung erleben muss.

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    Sem.: Wie genau wird an der Integration von Migrantenkindern gearbeitet?

    F.E.: Das grte Problem der Kinder von Migranten ist die Sprache. So ist zu beobachten, dass ein erschreckend groer Teil dieser Kinder nicht nur nicht deutsch richtig erlernt, sondern ebenfalls seine Muttersprache, wie beispielsweise trkisch, nicht korrekt sprechen kann. Dies ist der Grund, warum Migrantenkinder meist auf einer Haupt- oder Gesamtschule sind. Es gibt mittlerweile Hauptschulen, auf denen der Auslnderanteil etwa 95 % der gesamten Schlerzahl betrgt. Dies trgt nicht unbedingt dazu bei, dass die Kinder die deutsche Sprache erlernen, geschweige denn in unsere Gesellschaft integriert werden. Aus diesen Grnden werden erstmals ab Mrz 2007 Sprachtests mit 4-Jhrigen Kindergartenkindern durchgefhrt. Wenn dabei Defizite auftreten, werden diese Kinder speziell gefrdert. In den Niederlanden tritt dieses Problem kaum auf. Die Kinder sprechen im Vergleich zu uns relativ gutes Englisch, was sich darin begrndet, dass im niederlndischen Fernsehen Filme in Originalsprache mit Untertiteln ausgestrahlt werden.

    Sem.: Das sind recht viele Plne, die in der nchsten Zeit realisiert werden wollen. Dazu braucht man Geld. Wie sieht es mit der finanziellen Situation aus?

    F.E.: Fr die Kinder- und Jugendhilfe stehen 75 Millionen von ursprnglich 96 Millionen, die uns zugesichert wurden, zur Verfgung. Heimaufenthalte etc. werden allerdings von den Kommunen getragen. Fr Einrichtungen in sozialen Brennpunkten werden noch einmal 4,5 Millionen extra bereitgestellt. Fr die Sprachfrderung und die Pflichtuntersuchung wird jedoch neues Geld bereitgestellt. Man muss allerdings bedenken, dass dieses Geld woanders weggenommen wird. Zum Beispiel von den 75 Millionen, die uns bisher zur Verfgung standen.

    4.2 Interview mit Herrn Weirauch

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    Bodo Weirauch, Fachbereichsleiter fr erzieherische und wirtschaftliche Hilfen, Jugendamt Dortmund

    Anmerkungen zur Person: Herr Weirauch arbeitet seit 1977 in der Jugendhilfe. Seit 1995 arbeitet er in dieser Position beim Jugendamt Dortmund.

    Dortmund, 22. Februar 2007

    Anwesende im Jugendamt Dortmund, Zimmer 207: Herr Ollesch, Herr Schade, Herr Weirauch, Herr Widderich

    Das Interview wurde in Stichpunkten mitgeschrieben und spter in folgende Form gebracht. Trotz gegenteiliger Absprache mit Herrn Weirauch, hat er diese Mitschrift bis heute, 14. Mrz 2007, nicht berarbeitet und besttigt.

    Seminaristen (Sem.): Herr Weirauch, benennen Sie doch bitte einmal kurz die Probleme, die Ihnen vermehrt bei der heutigen Jugend auffallen.

    Herr Weirauch (H.W.): Eine gravierende Sache ist, allgemein gesprochen, dass die klassische Familie nicht mehr funktioniert. Es fehlt das bernehmen der Verantwortung freinander, die Jugendlichen bekommen keinen Rckhalt mehr von ihrer Familie. Dazu muss man allerdings sagen, dass bei den meisten Familien diese auch funktioniert. Doch wchst in der letzten Zeit die Zahl derer, bei denen es eben nicht mehr optimal verluft. Die Zahl der hilflosen Familien wchst. So kann es schnell vorkommen, dass kleine Probleme, die eigentlich im Miteinander gelst werden sollten, zu groen Problemen wachsen, weil sich niemand ihrer annimmt. Dies kann daher rhren, dass schlicht andere, gravierendere Probleme, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit und damit verbundene finanzielle Not bestehen. Man kann in vielen Familien von einer Vereinsamung der Kinder und Jugendlichen sprechen. Der Medienkonsum steht in direkter Verbindung dazu. Das Problem mit dem fehlenden Rckhalt aus der Familie sehe ich jedoch als das grere an.

    Sem.: Frau Elsing, Referatsleiterin im Ministerium fr Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, beschrieb uns in einem Interview, dass Sie den hohen Medienkonsum als direkte Folge der sozialen Vereinsamung sieht. Sind Sie ebenfalls dieser Meinung?

    H.W.: Ich sehe es nicht so, dass der hohe Medienkonsum eine unmittelbare Folge von schlechten Verhltnissen in der Familie ist. Man knnte sicherlich lange diskutieren, welcher dieser beiden Aspekte zuerst auftrat, doch lsst sich diese Frage sicherlich nicht einfach oder gar nicht beantworten. Man knnte es vielleicht vielmehr als ein Kreislauf bezeichnen: Ein Jugendlicher, der viel fern sieht oder viel Zeit am Computer verbringt, vereinsamt unter Umstnden zusehend. Ein anderer Jugendlicher hingegen flchtet sich aufgrund instabiler Familienverhltnisse in den Medienkonsum.

    Sem.: Konnten Sie in den letzten Jahren eine Vernderung der Probleme der Jugendlichen feststellen?

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    H.W.: Es gab Vernderungen in den letzten Jahren. Die Probleme sind jedoch sehr hnlich. Allerdings treten sie heute viel frher auf. Dies hngt vermutlich damit zusammen, dass die ganz allgemeine Entwicklung auch schneller stattfindet. Dies fhrt selbstverstndlich dazu, dass die Fehlentwicklungen ebenfalls frher auftreten. In vergangenen Jahren konnte man beispielsweise ein Projekt, in dem man einem 17-Jhrigen versucht, seinen beruflichen Werdegang in die rechte Bahn zu lenken, fr gescheitert erklren, wenn dieser es mehrfach nicht annimmt. Dies ist heute nicht mehr so einfach, denn bei einem 12-Jhrigen kann man nicht sagen: Okay, wir haben es nicht geschafft. Schwer ist es beispielsweise auch, vor einem 12-Jhrigen zu argumentieren, dass er zur Schule gehen muss, damit er es schafft, einen mglichst guten Hauptschulabschluss abzulegen. Man gert schnell in Argumentationsschwierigkeiten, die natrlich hauptschlich mit der allgemeinen gesellschaftlichen Situation, insbesondere mit der auf dem Arbeitsmarkt zusammenhngt.

    Weitere Vernderungen sind die, die Schwangerschaften betreffen. Es ist fr uns nichts neues, dass ungewollte Schwangerschaften bei Minderjhrigen auftreten. Es ist jedoch neu, dass hufig die 2. Schwangerschaft bald auf die erste folgt. Man knnte nun mutmaen, dass viele junge Frauen oder Paare sich bewusst fr die eigene Familie entscheiden, da sie diese in ihrem Elternhaus nicht erfahren haben. Dahingehend untersttzend wirkt die Tatsache, dass die betroffenen jungen Menschen oft auf Familien mit einer finanziellen Notlage stammen. Wie wir wissen, verhindert diese Notlage nicht die Chancen auf eine gute Familie, aber sie verschlechtert sie.

    Sem.: In Nordrhein-Westfalen ist das so genannte Frhwarnsystem kurz davor, in die Praxis eingefhrt zu werden. Ist dies realisierbar?

    H.W.: Dies Frhwarnsystem ist ganz wichtig. Wir haben dieses in Dortmund bereits eingerichtet, es gibt diese Frhwarnsysteme in vielen Stadtzentren. Diese richten sich vor allem an 9- bis 10-Jhrige. Inzwischen beobachten wir die Entwicklung, dass Lehrer zunehmend frher Fehlentwicklungen erkennen und sich beispielsweise mit uns in Verbindung setzen. Dies ist beispielsweise eine sehr erfreuliche Entwicklung. In Dortmund sind wir im Allgemeinen sehr weit, was dieses Frhwarnsystem betrifft.

    Sem.: Man hrt in verschiedenen Einrichtungen oft Klagen ber die Mitarbeiter des Jugendamtes, vor allem, wenn es um die Finanzen geht. Es ist wohl allgemein bekannt, dass auch das Jugendamt, wie viele mter, unter finanziellem Druck steht. Ist beispielsweise gewhrleistet, dass Notflle dennoch spontan in einem Heim untergebracht werden knnen?

    H.W.: Unsere finanzielle Lage ist uerst angespannt. Trotzdem ist gewhrleistet, dass notwendige Hilfe auch geleistet wird. Allerdings ist die Folge, dass Extras oft nicht bewilligt werden. Es gilt allgemein: Notwendiges, aber nicht Wnschenswertes wird bewilligt. Dies trifft zum Beispiel zu, wenn ein Junge eine Begabung fr das Querfltenspiel aufweist. Dann kann es sein, dass das Jugendamt das Instrument und den Unterricht nicht bezahlt, weil das Geld an notwendiger Stelle fehlen wrde. Die Frage ist nun natrlich, was denn notwendig ist. Dies ist ein Aushandlungspunkt, dafr gibt es kein Register, in dem man nachschlagen kann.4.3 Interview mit Christine Schne

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    Christine Schne, Leiterin einer individualpdagogischen Manahme fr Jugendliche unter 35a SGB VIII und unter freier Trgerschaft von down-up e.V.

    Hamburg, den 10 Februar 2007

    Teilnehmende: Frau Schne, Herr Widderich

    Das Interview wurde mir einem Diktiergert aufgenommen und anhand dieser Audio-Vorlage aufgeschrieben. Frau Schne hat das Interview berarbeitet.

    Herr Widderich (H.W.): Frau Schne, zuerst wrde ich gerne erfahren, welche Aufgaben und Probleme fr Sie als Leiterin einer individualpdagogischen Manahme tglich anstehen?

    Frau Schne (F.S.): Wir haben zum Einen den Auftrag vom Jugendamt, nmlich den Hilfeplan, in dem festgeschrieben wird, worum es bei dem jeweiligem Kind oder Jugendlichen geht und wie individuelle Manahmen aussehen knnen. Zum Anderen wren da auch die persnlichen Zielsetzungen und Motivationen der Jugendlichen, ohne die eine Arbeit nicht mglich wre. Auf den einfachsten Nenner gebracht wre das die Bewltigung des Alltags. Das sind oft ganz simple Dinge, die zuhause nie gelernt wurden, wie morgens aufstehen, pnktlich zur Schule gehen, Hausaufgaben machen, fr eine gewisse Ordnung sorgen, Tag- und Nachtrhythmus, Umgang mit Geld, mit den Medien (Computer, Fernsehen, Musik etc). Wir haben hier eine Vermllungs-Problematik ohne gleichen. Ich arbeite hier nicht therapeutisch, obwohl eine therapeutische Behandlung auch oft angesagt wre, weil oft schwerwiegende Strungen zu Grunde liegen, aber rein prinzipiell arbeite ich mit den Jugendlichen an ihren eigenen Vorstzen, die lauten knnen: Wie bewltige ich mit den Problemen, die ich habe, meinen Alltag und schaffe es trotzdem, zur Schule zu gehen, trotzdem einen Beruf zu erlernen, trotzdem pnktlich zu sein, mit Geld umzugehen. Im Grunde spiegeln sich alle tiefliegenden Probleme und Strungen, die sie haben, im Alltag wider. Da Tag- und Nachtrhythmus nicht vorhanden sind und keinerlei Instinkt dafr vorhanden ist, wird nicht begriffen, dass man zum Beispiel, wenn man morgens nicht pnktlich aus dem Bett kommt, zusehen muss, dass man abends rechtzeitig ins Bett geht. Ich arbeite mit Wochenvorausschau. Das bedeutet, dass wir uns jeden Sonntag zusammensetzen und eine Wochenvorausschau machen. Mit den Jugendlichen, die ich im Augenblick betreue, mssen wir das mittwochs auffrischen, weil die Kinder und Jugendlichen nicht in der Lage sind, das Besprochene eine ganze Woche im Bewusstsein zu haben. Am Freitag machen wir dann eine Wochenendplanung, weil am Mittwoch auf keinen Fall gewusst wird, was am Wochenende passiert. Und dann machen wir eine Rckschau am Sonntag, was davon geklappt und was eben nicht geklappt hat. Es gibt keinen Rhythmus, von dem man ausgehen kann, es gibt keine Regeln, die man zu Grunde legen kann. Die Regeln muss man immer wieder neu schaffen im Zusammenleben mit denen, die gerade da sind und dem, was sie eben knnen oder nicht. Man kann davon ausgehen, dass diese Jugendlichen zwar eine Grundmotivation haben, die sehr diffus im Raum steht. Beispielweise: ich will irgendwann mal ein selbst bestimmtes Leben fhren, ich will meine eigene Wohnung haben, ich will einen Beruf haben, ich will einen A8 fahren und das ist dann Motivation genug. Die Jugendlichen sind natrlich nicht beglckt, wenn man sie mit Hausregeln oder Absprachen konfrontiert, weil sie das berhaupt nicht in ein Verhltnis setzen knnen, mit den Zielen, die sie in ihrem Leben haben. Die Hausregeln mssen permanent neu errungen werden, weil die Jugendlichen diese immer wieder aus dem Auge verlieren. Nur wenn man in eine Verbindlichkeit kommt, die beinhaltet, Tagesablauf, Wochenplanung, Hausregeln, oder Regeln berhaupt im

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    Zusammenleben anzuerkennen wird man spter in der Lage sein, selbst bestimmt leben zu knnen. Im Prinzip wird ganz viel Kraft von den Jugendlichen daran verschwendet, Regeln zu unterlaufen und in Frage zu stellen, die sie sich im Grunde selber auferlegt haben, indem sie Ziele formuliert haben. Man merkt sehr deutlich, dass in den Zeiten, in denen die selbst auferlegten Regeln eingehalten werden, insgesamt eine kontinuierliche positive Aufwrtsentwicklung stattfindet. Andersherum ist es natrlich so, dass beim Nicht-Einhalten dieser Regeln eine kontinuierliche negative Entwicklung bei den Kindern und Jugendlichen stattfindet. Hierbei fehlt leider oft die Mglichkeit, das eine mit dem anderem in Verbindung zu setzen, dazu gehrt eben auch ein gewisses Abstraktionsvermgen. Das Problem ist oft, dass Ursache und Wirkung nicht miteinander in Verbindung gebracht werden knnen, sondern die Schuld generell im ueren und nicht im eigenen Handeln gesucht wird.

    H.W.: Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Probleme der heutigen Jugend?

    F.S.: