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Soziale Stadt Ergebnisbericht eines studentischen Lehrforschungsprojektes im Studiengang Sozialwissenschaften, Lehrbereich Stadt- und Regionalsoziologie, an der Humboldt-Universität zu Berlin Unter den Linden 6, D-10099 Berlin April 2003 – März 2004

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Soziale StadtErgebnisbericht eines studentischen Lehrforschungsprojektes im Studiengang Sozialwissenschaften,

Lehrbereich Stadt- und Regionalsoziologie, an der Humboldt-Universität zu Berlin

Unter den Linden 6, D-10099 Berlin

April 2003 – März 2004

Soziale Stadt

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Leitung: Prof. Dr. Hartmut Häußermann

Teilnehmer: Peter Aigner, Uli Bahr, Steffen Engelke, Janina Galvagni,

Katja Kirnich, Katrin Kleinhans, Daniel Kovács, Robert Kühr,

Christine Küßner, Ralf Metal, Mario Münster, Llanquiray Painemal,

Timon Perabo, Lisa Ruhrort, Nina Runde, Annett Rohde,

Florian Schalke, Michael Schaub, Nathalie Schimpf, Sandy Schlösser,

Antje Schmücker, Christiane Scholz, Sophie Steybe, Sabine Tietz

Eva Tietze, Verena Unbehaun, Gunnar Zerowsky

Lektorat: Robert Kühr, Christine Küßner, Florian Schalke,

Christiane Scholz, Sophie Steybe

Layout: Uli Bahr

Druck: Druckerei der Humboldt-Universität zu Berlin

Alle Rechte vorbehalten – Die Autoren

Soziale Stadt

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis.............................................................................................................. 4

1. Einleitung ................................................................................................................................ 5

2. Das Programm Soziale Stadt- Ziele, Instrumente, Charakterisierung ............................................ 7

2.1 Der Weg zum Bund-Länder Programm Soziale Stadt ........................................................ 7

2.2 Das Programm Soziale Stadt .......................................................................................... 8

3. Segregation – Das zentrale Problem .........................................................................................13

3.1 Soziale Ungleichheit und sozialräumliche Segregation .....................................................14

3.2 Segregation im internationalen Vergleich........................................................................18

4. Soziale Stadtpolitik im europäischen Vergleich...........................................................................41

4.1 Einleitung.....................................................................................................................42

4.2 Soziale Stadtpolitik in den Niederlanden .........................................................................42

4.3 Soziale Stadtpolitik in Großbritannien .............................................................................46

4.4 Soziale Stadtpolitik in Frankreich....................................................................................49

4.5 Fazit ............................................................................................................................52

5. Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik..........................................................................58

5.1 Problem- und Gebietsdefinition und Problemwahrnehmunganhand von zwei ausgewählten Quartieren ....................................................................62

5.2 Das Ziel „soziale Mischung“ und seine Machbarkeit .........................................................76

5.3 Das Quartier als Sozialraum...........................................................................................89

5.4 Nachbarschaftseffekte.................................................................................................117

5.5 Fazit: Warum Quartierspolitik?.....................................................................................124

6. Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm...................................................................140

6.1 Integriertes Handlungskonzept - Grundlagen und Umsetzungspraxis..............................142

6.2 Partizipation und Empowerment ..................................................................................150

6.3 Die Schule als Focus der Quartiersentwicklung .............................................................163

6.4 Zusammenarbeit mit nicht-öffentlichen Akteuren ..........................................................174

6.5 Fazit ..........................................................................................................................182

7. Zusammenfassende Evaluation ..............................................................................................190

Soziale Stadt

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Abkürzungsverzeichnis

BauGB Baugesetzbuch

BLPSS Bund-Länder-Programm Soziale Stadt

BmVBW Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Difu Deutsches Institut für Urbanistik

E&C Entwicklung und Chance

IHK Integriertes Handlungskonzept

PvO Programmbegleitung vor Ort

QM Quartiersmanagement

Anmerkung: Auf die Aufnahme der üblichen Abkürzungen in deutschenTexten (z.B., etc., o.ä., ...) in das Abkürzungsverzeichnis wurde verzichtet.

Einleitung

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1. Einleitung

Mario Münster

Die gesellschaftspolitischen Debatten der Gegenwartverlaufen entlang der immer gleichen Problemfelder.Die Distanz zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen,zwischen Alt und Jung und zwischen Armen und Rei-chen spiegelt sich in besonderem Maße in Städtenwider. Anders als in suburbanen Gebieten oder inDörfern ist es in der Stadt unmöglich, einzelne Aspektegesellschaftlicher Realität auszuklammern.

Die beschriebenen sozialen Trennlinien sorgen zuneh-mend für eine sozial-räumliche Fragmentierung in denStädten. Einzelne Stadtteile werden auf- oder abge-wertet. Abgewertete Stadtteile haben gemeinsam,dass die Lebenschancen der Stadtteilbewohner sinken.Nach einer primär medial geprägten Wahrnehmungsind häufige Merkmale eines abgewerteten Stadtteilsein hoher Anteil an Arbeitslosen und Sozialhilfe-empfängern, ein hoher Anteil an Migranten oderÜberalterung. Die Folgen für die Bewohner dieserQuartiere können verheerend sein, wenn damit einevielfache Ausgrenzung verbunden ist: ÖkonomischeAusgrenzung, da vielen der Zugang zum ersten Ar-beitsmarkt verwehrt ist, kulturelle Ausgrenzung durchden Verlust des Selbstwertgefühls aufgrund vonStigmatisierung und Diskriminierung, soziale Ausgren-zung durch die Abkopplung von der gesellschaftlichenMehrheit und institutionelle Ausgrenzung, da derKontakt zwischen den Betroffenen und den politischenund sozialstaatlichen Institutionen abbricht.

Um in den immer stärker fragmentierten Städtenwieder zu einer Angleichung der Lebenschancen in deneinzelnen Stadtteilen zu kommen, hat die SPD-geführ-te Bundesregierung im September1999 das Programm„Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – diesoziale Stadt“ (kurz: Soziale Stadt) etabliert. DasProgramm Soziale Stadt basiert auf einer Verwaltungs-vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern.Die daraus resultierende Förderung schlägt sich ineiner jährlichen Fördersumme von gegenwärtig 230Millionen Euro nieder. Ein Drittel, also 76,6 MillionenEuro, beträgt der Anteil des Bundes an dieser Summe.Jeweils ein weiteres Drittel finanzieren die Länder unddie Kommunen. Für eine realistische Einordnung seibemerkt, dass der Bundeshaushalt 2003 insgesamtAusgaben von 246,3 Milliarden Euro vorsah. Für 180Eurofighter gibt der Bund 11,5 Mrd. Euro aus.

Der vorliegende Bericht untersucht, ob das ProgrammSoziale Stadt erfolgreich ist in der Minderung derwahrgenommenen Probleme. Das Ziel ist, den neu-artigen Ansatz zu erklären und die bisherige Umset-zung einer kritischen Betrachtung zu unterziehen.

Zudem werden das Ziel des Programms und die imProgramm vorgeschlagenen Instrumente auf ihre sozi-alwissenschaftliche Tauglichkeit untersucht. Eine um-fassende Evaluation des Programms Soziale Stadtwurde nicht vorgenommen, da zunächst nur dasProgramm an sich untersucht wurde.Bei einer Evaluation werden die Ziele, Maßnahmen undInstrumente nicht zwingend auf die Ergebniskontrolleausgerichtet. Evaluation lässt sich in zwei verschiedeneStrategien aufteilen: In die Begleitforschung und dieEx-post-Evaluation. Bei der Begleitforschung handeltes sich um die Prozessevaluation. Das verlangt einefortlaufende Untersuchung der Ergebnisse, die regel-mäßig mit den Zielen rückgekoppelt werden. Die Ex-post-Evaluation bezieht sich auf Ergebnisziele. ZumZweck der Erfolgskontrolle werden beobachtete Wir-kungen auf ihren Erfolg oder ihren Misserfolg hinüberprüft. Sinn und Zweck ist die Erfolgskontrolle. Inder vorliegenden Untersuchung wurden die Erfolgeeinzelner Programmziele zu einem bestimmten Zeit-punkt untersucht. Es erfolgte eine Rückkopplung derwahrnehmbaren Wirkungen des Programms SozialeStadt auf die formulierten Ziele des Programms. Eshandelt sich aber um keine abschließende Erfolgs-kontrolle.

Das Programm Soziale Stadt wird in Kapitel zwei ge-nauer erklärt. Im Anschluss daran wird im drittenKapitel das zentrale Problem der Segregation erörtert.In Kapitel vier soll mit einem Blick über die GrenzenDeutschlands hinaus die Frage beantwortet werden,ob Exklusion und Segregation allgemein als Problemeder Stadtentwicklung in Europa angesehen werdenkönnen. Da es sich nicht um ein allein deutschesProblem handelt, von dem andere Länder ausge-nommen sind, wird in Kapitel vier der Frage nach-gegangen, welche unterschiedlichen Politikansätze sichin anderen Ländern entwickelt haben.

Danach folgt eine theoretische Analyse der vorhanden-en Probleme. Fragen wie „Was sind Nachbarschafts-effekte?“ oder „Was besagt das Konzept der SozialenMischung?“ werden in Kapitel fünf beantwortet undliefern die Basis für eine weitere Untersuchung.

Die Erläuterung des Programms Soziale Stadt wirdzahlreiche neue Handlungsinstrumente aufzeigen.Diese Instrumente werden in Kapitel sechs vorgestelltund ihre bisherige Umsetzung kritisch geprüft.

Ohne die Ergebnisse der Untersuchung bereits hiervorwegnehmen zu wollen, muss betont werden, dassdie Bewältigung von Problemen wie Segregation nichtallein durch Verwaltungsvorschriften und Haushalts-mittel möglich ist. Die Rahmenbedingungen wurdenallerdings mit dem Programm verbessert. Seit demEnde der Hochphase des sozialen Wohnungsbaus gibt

Einleitung

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es auch erstmals wieder eine klar formulierte Agenda,die die Probleme der Stadt als solche nennt und sichzum Ziel gesetzt hat, sie zu mildern.

Der vorliegende Abschlussbericht einer einjährigenForschungsarbeit ist kein Statement aus dem wissen-schaftlichen Elfenbeinturm heraus. Im Rahmen desProjektseminars „Soziale Stadtentwicklung“ wurdenthemenbezogene Arbeitsgruppen etabliert. In wö-chentlichen gemeinsamen Sitzungen gab es einenregen Austausch über die bisherigen Erkenntnisse undden jeweiligen Forschungsstand in den einzelnenArbeitsgruppen. Im ersten Semester lag der Arbeits-schwerpunkt auf der theoretischen Untersuchung desProgramms. Im zweiten Semester wurden auf dieserBasis kleinere empirische Untersuchungen durchge-führt. Die Autoren aller Kapitel haben einzelneQuartiere besucht und mit Handelnden und Betrof-fenen gesprochen – sei es in Berlin-Kreuzberg oder imWiesbadener Westend. Die Autoren leben alle inBerlin, einer Stadt, in der die eingangs beschriebenenProblemfelder täglich sichtbar sind.

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2. Das Programm Soziale Stadt- Ziele, Instrumente, Charakterisierung

Annett Rohde

2.1 Der Weg zum Bund-Länder Programm Soziale Stadt .................................................................8

2.2 Das Programm Soziale Stadt....................................................................................................8

2.2.1 Programmgebiete ...................................................................................................................9

2.2.2 Ressourcenbündelung .............................................................................................................9

2.2.3 Integriertes Handlungskonzept .............................................................................................. 10

2.2.4 Das Quartiersmanagement .................................................................................................... 10

2.2.5 Bürgeraktivierung und Bürgerbeteiligung................................................................................ 11

2.2.6 Finanzierung......................................................................................................................... 11

Literatur ............................................................................................................................... 12

Das Programm Soziale Stadt- Ziele, Instrumente, Charakterisierung

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2.1 Der Weg zum Bund-Länder ProgrammSoziale Stadt

„Die europäische Stadt ist - trotz aller augenfälligenUngleichheit - also eine ‚soziale Stadt’ in dem Sinne,dass sie eine hohe Integrationskraft entfalten konnte“(Häußermann/Kapphan 2000: 12).Zwischen die soziale Ungleichheit und die Wohnbeding-ungen hat sich in der europäischen Stadt des 20.Jahrhunderts ein Puffer geschoben, der eine Verdoppel-ung von Benachteiligung und damit Ausgrenzungverhinderte.Fragmentierungen und sozial-räumliche Zuspitzungenkonnten durch verschiedene Formen von öffentlicherBeeinflussung und sektoraler Steuerung in der Wohn-ungsversorgung vermieden werden.Doch am Ende des 20. Jahrhunderts befinden sich dieStädte Europas und Deutschlands in einer Phase einesÜbergangs, die im Zeichen des Wandels von der Indus-trie- zur Dienstleistungsgesellschaft, wachsender inter-nationaler Konkurrenz sowie eines demographischenWandels steht: Die Rahmenbedingungen der Stadtent-wicklung verändern sich aufgrund des gesamtge-sellschaftlichen und ökonomischen Strukturwandels(vgl. Kapitel 5).In diesem Sinne sind in verschiedenen europäischenLändern (insbesondere in den Niederlanden, Groß-britannien und Frankreich) Politiken entstanden, die sichauf die Handlungsebene des Wohnquartiers richten(Alisch in Walter 2002: 57).Auch Deutschland begann in den 90er Jahren lokaleStrategien gegen räumliche Polarisierungstendenzen zuentwickeln und konnte dabei aus den Erfahrungendieser europäischen Stadtpolitiken lernen.Inhalt dieser Strategien und Konzepte sind eine quar-tiersbezogene Arbeit, horizontale und vertikale Koopera-tionen, Bürgeraktivierung und Vernetzung als hand-lungsleitende Qualitäten eines Politikfeldes. Für diesePolitiken hat sich der Name „soziale Stadtentwicklung“etabliert (ebd.: 57f.).„Soziale Stadtentwicklung“ beinhaltet zum Einen ge-bietsbezogene, zum Anderen strukturbezogene Ziele.Unter der gebietsbezogenen Dimension lassen sich alleMaßnahmen

- zur Aufwertung der benachteiligten Quartiere,- zur Verbesserung der Lebensverhältnisse,- zur Stabilisierung der Situation (soziale Zusammen-

setzung) in den Wohngebieten fassen.

Die strukturbezogene Dimension sieht die Modernisie-rung der öffentlichen Verwaltung vor. Primäre Aufgabesoll eine neue Verteilung der politischen und gestalteri-schen Verantwortung sein. Die wichtigsten Maßnahmendieser integrierenden Politik sind eine fachressortüber-greifende Problemlösung und Projektfinanzierung, dieVerknüpfung politisch-administrativer Handlungsebenensowie die Aktivierung zur Selbsthilfe.

Das Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderemEntwicklungsbedarf - Soziale Stadt“, markiert hierbeiden Übergang von einzelnen Konzepten und Landespro-grammen, unter Beachtung sozialer Stadtentwicklung,hin zu einem bundesweiten quartiersbezogenen Hand-lungsansatz. Einige dieser Konzepte/Programme seienhier nur kurz genannt: In Essen wird seit 1991 einKonzept für eine „soziale Kommunalpolitik“ umgesetzt;NRW fördert „Stadtteile mit besonderem Erneuerungs-bedarf“ seit 1993; in Hamburg entstand 1994 das„Programm zur Armutsbekämpfung als Bestandteilsozialer Stadtentwicklung“, Berlin setzt seit 1998 auf ein„Quartiersmanagement“. Über die EU-Gemeinschaftsini-tiative URBAN fließen seit 1994 auch Entwicklungsgelderin weitere Stadtquartiere; in Hessen wird mit HEPNESTseit 1995 versucht, Gemeinwesenarbeit und Stadter-neuerung in den Gebieten zu bündeln (ebd.: 58).

2.2 Das Programm Soziale Stadt

In vielen deutschen Städten ist heute eine Zunahmesozialer und räumlicher Polarisierung zu beobachten.Um ihr entgegenzuwirken und bundesweit eine nach-haltige Aufwärtsentwicklung in Stadtteilen mit Entwick-lungsbedarf zu sichern, hat die Ministerkonferenz derARGEBAU am 29. November 1996 in Potsdam die Bund-Länder-Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt beschlos-sen.Zielsetzung des Programms ist eine zukunftsfähigeEntwicklung in den von Benachteiligung betroffenenStadtteilen sowie einen nachhaltigen Aufschwung aufdem sozialen, wirtschaftlichen, städtebaulichen undökonomischen Sektor zu bewirken. Dabei sollen diegesamtstädtischen Zusammenhänge stets berücksichtigtwerden, um die Eigendynamik eines Quartiers in seinenWechselwirkungen mit anderen Gebieten beobachtenund analysieren zu können.Im Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitia-tive Soziale Stadt sind die Ziele in folgenden Handlungs-bereichen formuliert:

- Bürgermitwirkung/ Stadtteilleben;- lokale Wirtschaft;- Arbeit und Beschäftigung;- Quartierszentren;- soziale, kulturelle, bildungs- und

freizeitbezogene Infrastruktur;- Wohnen und Wohnumfeld;- Ökologie.

Des Weiteren beinhaltet der vom Deutschen Institut fürUrbanistik aufgestellte Leitfaden auch methodisch-technische Hinweise für die Programmumsetzung, sozum Beispiel für eine ressortübergreifende Zusammen-arbeit, für Rechtsinstrumente, Mitteleinsatz, Erfahrungs-austausch, Erfolgskontrollen und für die Durchführungvon Begleitforschung.

Das Programm Soziale Stadt- Ziele, Instrumente, Charakterisierung

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Die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an dieLänder wird in den jährlich neu abzuschließenden Ver-waltungsvereinbarungen unter Berücksichtigung desDIFU-Leitfadens geregelt.Das Deutsche Institut für Urbanistik (DIFU) wurde mitder Ausgestaltung des Programms beauftragt und über-nimmt in Gemeinschaft mit dem Bundesministerium fürVerkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) dieFunktion einer Vermittlungs-, Beratungs- und Informa-tionsagentur.

2.2.1 Programmgebiete

Ausschließlich Gebiete mit hoher Problemdichte werdenin das Programm aufgenommen. Dabei muss begründetwerden, dass für diese Stadtteile ein dringlicher Hand-lungsbedarf besteht und ihrer Entwicklung eine hohePriorität einzuräumen ist. Diese Begründungen setzeneinen gesamtstädtischen Vergleich voraus. Die Auswahl-verfahren für die Aufnahme ins Programm müssentransparent und nachvollziehbar sein.Grundsätzlich lassen sich zwei Quartierstypen unter-scheiden:

1. verdichtete, häufig gründerzeitliche, auch altindus-trielle, teilweise vernachlässigte Altbaugebiete,manchmal mit kleinteiliger Siedlungsstruktur;

2. industriell gefertigte Neubausiedlungen der 60er –80er Jahre, die westlichen Groß- und östlichenPlattensiedlungen.

Die durch das Programm Soziale Stadt verfolgten ZieleRessourcenbündelung, Integriertes Handlungskonzept,Quartiersmanagement und Aktivierung und Beteiligungder Bewohner werden im Folgenden kurz beschriebenund in Kapitel sechs ausführlicher dargestellt.

2.2.2 Ressourcenbündelung

Eines der Ziele des Programms ist unter anderem,vorhandene Förderprogramme für den Einsatz in denProgrammgebieten zusammenzuführen und zu harmoni-sieren. Das Programm sieht vor, dass durch dieBündelung der Mittel aus verschiedenen Ressorts undder Privatwirtschaft das benötigte Geld und zugleich dasKnow-how dieser Stellen in die Gebiete gelenkt werdenkönnen. Der „Allgemeine Finanzierungsgrundsatz“, lt.Leitfaden ARGEBAU, hebt hervor, dass zur Problem-bewältigung eine integrierende Zusammenführung vonAufgaben und Förderprogrammen für investive undnicht-investive Maßnahmen aus verschiedenen Pro-grammen der EU, des Bundes und der Länder erfor-derlich ist.

Mit Hilfe der Ressourcenbündelung sollen neue Koope-rationsformen und ein zielgerichteter Mitteleinsatz ange-strebt werden.Zur Realisierung bedarf es konzeptioneller Abstim-mungsprozesse auf allen staatlichen Ebenen. Bei derRessourcenbündelung auf Bundes- und EU Ebenekommt das BMVBW der Verantwortung durch Aktivi-täten auf 4 Ebenen nach:

1. Das Programm des Bundesministeriums für Familie,Senioren, Frauen und Jugend – „Entwicklung undChancen junger Menschen in sozialenBrennpunkten - E&C“: Mittel des Kinder- undJugendplans werden in die Gebiete der SozialenStadt eingesetzt;

2. Das Programm des Bundesministeriums desInneren: Mitteleinsatz zur Aussiedlerintegration;

3. weitere Bündelungseffekte aus anderen, nichtspezifisch auf Gebiete der Sozialen Stadt bezogeneProgramme in diese Gebiete einsetzen, zumBeispiel Bundesmittel aus der Städtebauförderung,der sozialen Wohnraumförderung und desGemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes;

4. Das Programm der Bundesanstalt für Arbeit –„Freie Förderung“ nach § 10 Arbeitsfördergesetz:Mittel zur Unterstützung der Ausbildung undQualifizierung Jugendlicher.

Die primäre Aufgabe der Länder und Gemeinden sollsein, die für die Stadtentwicklung relevanten Finanzenund Maßnahmen zu bündeln.Vorgehensweisen bei der Ressourcenbündelung sind inden Ländern sehr unterschiedlich geregelt. Viele Länderhaben interministerielle Arbeitsgruppen eingesetzt, indenen die verschiedenen Vertreter der am Programmbeteiligten Akteure gemeinsam zum Beispiel über För-deranträge und Mittelbündelung beraten. Andere Län-der behelfen sich mit einem Kabinettsbeschluss, der dieRessorts dazu auffordert, ihre Programme bevorzugt inden Gebieten der Sozialen Stadt einzusetzen, oderdurch Verhandlungen über Mittelbündelung in einemder beteiligten Ressorts.Die Ressourcenbündelung auf kommunaler Ebene be-schränkt sich in den meisten Fällen auf die Bündelungtraditioneller Felder der Städtebauförderung, der Wohn-ungsbauförderung, der Gemeindeverkehrsfinanzierungs-gesetze und der Arbeitsverwaltung.Neben den staatlichen Ressourcen kommt den nichtstaatlichen Ressourcen eine große Bedeutung zu. Diegrößten privaten Investoren sind die Wohnungsunter-nehmen, deren Investitionssummen um ein vielfacheshöher liegen als die der staatlichen Förderung. IhreAufgaben umfassen die Modernisierung/Sanierung ihrerWohnungsbestände, die Verbesserung des Wohnumfel-

Das Programm Soziale Stadt- Ziele, Instrumente, Charakterisierung

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des, die Einstellung von Hausmeistern/Concierges sowiedie Stabilisierung der Wohngebiete durch die Beschäfti-gung von Sozialarbeitern. Ein weiterer wichtiger Inves-tor ist die private Wirtschaft. Ihr Engagement in derlokalen Ökonomie ist eine wesentliche Voraussetzungfür eine positive und nachhaltige Entwicklung im Stadt-gebiet. Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege sindebenfalls von Bedeutung. Sie bringen Eigen- undFremdfördermittel für soziale Zwecke in die Gebiete.Diese sozialen Zwecke umfassen Maßnahmen derJugend- und Familienhilfe, der Gesundheitsförderung,der Ausländerintegration sowie zahlreiche weitere Berei-che im sozialen Sektor.

2.2.3 Integriertes Handlungskonzept

Das integrierte Handlungskonzept ist ein strategischesElement, das ein konzeptionelles Handeln voraussetzt,um die verfügbaren Mittel effizient einzusetzen.Für Bund und Länder ist das integrierte Handlungskon-zept von zentraler Bedeutung, da es die Förderfähigkeiteines Gebietes an die Erarbeitung eines solchen Kon-zepts bindet. In Art.2 Abs.4 der von Bund und Länderngeschlossenen Verwaltungsvereinbarungen zur Städte-bauförderung 1999-2002 heißt es:„Maßnahmebegleitend ist ein auf Fortschreibung ange-legtes gebietsbezogenes integriertes stadtentwicklungs-politisches Handlungskonzept durch die Gemeindenaufzustellen. Das Handlungskonzept (Planungs- undUmsetzungskonzept sowie Kosten- und Finanzierungs-übersicht) soll zur Lösung der komplexen Problemezielorientierte integrierte Lösungsansätze aufzeigen, alleMaßnahmen zur Erreichung der Ziele – auch die andererBau- und Finanzierungsträger - erfassen sowie diegeschätzten Ausgaben und deren Finanzierung dar-stellen.“ Um wirksam zu werden, müssen integrierteHandlungskonzepte an die Interessen, Aktivitäten undBedürfnislagen der Quartiersbevölkerung anknüpfen.Sie müssen mit den Bewohnern sowie den lokalenAkteuren gemeinsam erarbeitet und weiterentwickeltwerden.Eine wirkungsvolle und effiziente Steuerung der Stadt-teilentwicklung auf Basis des integrierten Handlungs-konzepts setzt eine sorgfältige Abstimmung des Kon-zepts zwischen allen zuständigen Ressorts oder Ämtern,den lokal wirksamen Akteuren sowie vor allem der Be-wohnerschaft voraus. Sind diese Abstimmungen getrof-fen, ist die Entwicklung dieses Konzepts mit Aktivie-rungs- und Beteiligungsprozessen sowie öffentlichenDiskussionsrunden im Quartier intensiv und ernsthaft zuverknüpfen (vgl. DIFU 2002: 31).Integrierte Handlungskonzepte verfolgen ein zentralesZiel: die Fähigkeit der Bewohnerschaft zur Zusammen-arbeit, zum Miteinander und zur sozialen Vernetzung zustärken. Dafür wurden 16 Handlungsfelder integrierterStadtteilentwicklung aufgestellt, in denen das Bewusst-

sein der Bewohnerschaft im Hinblick auf ihre o.g. Fähig-keiten gestärkt werden sollen.In den Handlungsfeldern „Zusammenleben unterschied-licher sozialer und ethnischer Gruppen“ und „Befähi-gung, Artikulation und politische Partizipation“ sollenSelbsthilfe und Verantwortungsübernahme, Kooperationund Kommunikation gefördert werden. Die drei Hand-lungsfelder „Soziale Aktivitäten und soziale Infra-struktur“, „Schulen und Bildung im Stadtteil“ und „Sportund Freizeit“ beziehen sich auf die Förderung undOrganisation des Zusammenlebens sowie die Aktivie-rung möglichst vieler Bevölkerungsgruppen.Traditionelle Handlungsfelder der klassischen Städte-bauförderung sind „Lokaler Wohnungsmarkt und Woh-nungswirtschaft“, „Wohnumfeld und öffentlicher Raum“,„Umwelt“ und „Verkehr“. Im Handlungsfeld „Gesund-heit“ besteht noch deutlicher Nachholbedarf, da esbislang im Programm noch zu wenig wahrgenommenund thematisiert wird. Es umfasst das körperliche,geistige, seelische und soziale Wohlbefinden der Quar-tiersbevölkerung.Eine eher untergeordnete Rolle spielt das Handlungsfeld„Stadtteilkultur“. Dieses Handlungsfeld soll die Kom-munikation im Stadtteil fördern, Menschen aktivierenund beteiligen sowie kreatives Potenzial heben. „Imageund Öffentlichkeit“ ist eine Querschnittsaufgabe derSozialen Stadt und kann somit alle anderen Handlungs-felder einbeziehen. Das letzte Handlungsfeld „Prozess-und Ergebnisevaluation, Monitoring“ ist ebenfalls alsQuerschnittssaufgabe anzusehen und gilt als grundle-gender Bestandteil des integrierten Handlungskonzepts.Anhand der Ergebnisse prozessbegleitender Evaluatio-nen, will man, wenn erforderlich, Umorientierungenintegrierter Handlungskonzepte maßnahmenbegleitendvornehmen.In der Praxis herrschen jedoch bislang noch weitgehendUnsicherheit und Zurückhaltung bei der Aufstellungsolcher Konzepte.

2.2.4 Das Quartiersmanagement

Das Quartiersmanagement (QM), Schlüsselinstrumentfür die Programmumsetzung, gilt als ein geeignetesInstrument, das angesichts der komplexen Aufgabenund Ziele integrierter Stadtteilentwicklung zum Einsatzkommen soll.Neben der Vor-Ort Arbeit ist das QM auch für eineumfassende Organisation von Stadtteilentwicklung aufallen beteiligten Steuerungs- und Handlungsebenen zu-ständig.Doch was das Instrument QM im Einzelnen bedeutetund wie es einzusetzen ist, darüber herrscht nochweitestgehend Uneinigkeit. Das DIFU und das Institutfür stadtteilbezogene soziale Arbeit und Beratung(ISSAB) haben deshalb Eckpunkte für den Entwurf einesAnforderungsprofils für effektives QM aufbereitet

Das Programm Soziale Stadt- Ziele, Instrumente, Charakterisierung

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(Frank/Grimm 2001): „Danach kann Quartiersmanage-ment generell als strategischer Ansatz zum systema-tischen Aufbau von selbsttragenden sowie nachhaltigwirksamen personellen und materiellen Strukturen zurEntwicklung eines Quartiers bezeichnet werden“ (DIFU2002: 37).

Das Anforderungsprofil umfasst folgende Elemente:

1. den gezielten Einsatz der kommunalen Ressourcen;

2. die Einbettung des gebietsbezogenenQuartiersmanagement-Prozesses in einegesamtstädtische Entwicklungspolitik;

3. Handlungsfelder und verschiedene Ebenen über-greifende Arbeitsweisen (ressortübergreifendeArbeitsgruppen);

4. die Aktivierung und Befähigung (Empowerment)der Quartiersbevölkerung unter intensiverMitwirkung der lokalen Wirtschaft, ortsansässigerInstitutionen (Schulen, Kindertageseinrichtungen,Kirchen, Polizei) sowie lokaler Vereine, Initiativenund Verbände.

Erfahrungen auf diesem Gebiet zeigen, das QM einkomplexer Prozess ist. Er umfasst verschiedeneSteuerungs- und Handlungsstrategien, Vorgehenswie-sen und Methoden, „durch den das Zusammenwirkenunterschiedlicher Funktionsbereiche realisiert wird undder sowohl auf der Verwaltungs- und der Umsetzungs-ebene des Quartiers als auch im intermediären Bereichangesiedelt ist.“ (DIFU 2002: 37)Es entstehen neue Kommunikationsprozesse zwischenden verschiedenen Steuerungs- und Handlungsebenensowie zwischen den unterschiedlichen Akteuren, die imRahmen von Quartiersmanagement zusammenarbeiten.Eine weitere wichtige Vorraussetzung für eine erfolg-reiche Handlungsfähigkeit von QM sind die Rücken-deckung durch die Kommunalpolitik und die Einbindungder Politik auf allen Entscheidungsebenen.Des Weiteren ist die Verantwortung für QM an höchsterStelle innerhalb der Verwaltung anzusiedeln, um einegrößtmögliche Unterstützung zu erhalten.Als unverzichtbare Voraussetzung hat sich auch dieEinrichtung von Vor-Ort-Büros (od. Stadtteilbüros) er-wiesen, zum Einen für die Beteiligung und Aktivierungder Quartiersbevölkerung und zum Anderen für die Er-reichbarkeit, als offene Anlaufstelle, direkt im Quartier.

2.2.5 Bürgeraktivierung und Bürgerbeteiligung

Die Schaffung ganzheitlich quartiersbezogener Beteili-gungsstrukturen, eine quartiersbezogene Vernetzunglokaler Initiativen und Organisationen, die Erschließung

der spezifischen Problemlösungskompetenzen, auch bis-her nicht organisierter Bürgerinnen und Bürger sowiedie Einbeziehung der lokalen Wirtschaft und andererlokal wirksamer Akteure in die Stadtteilentwicklungs-arbeit sind die wesentlichsten Innovationen, die imBereich Partizipation vom Programm Soziale Stadt aus-gehen sollen.Bei der Beteiligung und Aktivierung der Quartiersbevöl-kerung geht es vor allem um Kommunikation, Ideenpro-duktion und Organisation von Menschen und Ressour-cen. Mit deren Hilfe soll an die vorhandenen Interessen,Aktivitäten und Bedürfnislagen angeknüpft werden undfür das Zusammenleben im Gemeinwesen nutzbargemacht werden.Ziele der Aktivierung sind Kontakte zu Quartiersbewoh-nern aufzunehmen und zu pflegen, Probleme aus ihrerLebenswelt zu identifizieren und die Mitwirkungsbereit-schaft bei der Stadtteilentwicklung zu wecken. Aktivie-rung ist projektspezifisch, informell und direkt an dieMenschen adressiert. Einige Beispiele sind eine aktivie-rende Befragung, Beratungsangebote, Streetwork,Stadtteilfeste, Vernetzung von und Vermittlung zwi-schen einzelnen Akteuren, Schlichtung von Interessen-konflikten. Eine quartiersbezogene Öffentlichkeitsarbeitin Form von Stadtteilzeitungen (mehrsprachig), Plakate,Flyer, Broschüren und der Einsatz von Logos undSlogans ist ebenso Teil der Aktivierungsarbeit.Beteiligung dagegen findet auf einer eher formalenEbene statt. Sie basiert auf mehr oder weniger geplan-ten Verfahren (konkretes Programm, bestimmter Ort,moderierter Ablauf) sowie konkreten Zielvorstellungen(Diskussionen zu bestimmten Themen, Entwicklung vonProjekten, Vertretung von Gruppeninteressen). ImQuartier durchzuführende Beteiligungsformen sindStadtteilkonferenzen, Stadtteil- oder Bürgerforen,Zukunftswerkstätten, thematische Arbeitskreise oder -gruppen, Workshops und beteiligungsorientierte Pro-jekte.Darüber hinaus erweist es sich als sinnvoll, den Kontaktzur Quartiersbevölkerung auch über bereits bestehendeInitiativen und Organisationen (Pfarrgemeinden, Mieter-foren, Elternbeiräte, lokale Einzelhändler etc.) aufzu-nehmen und diese in die Vernetzungsarbeit einzu-beziehen.

2.2.6 Finanzierung

Die finanziellen Mittel des Programms Soziale Stadtstellen eine Ergänzung zur bisherigen Städtebauför-derung dar.Bund, Länder und Kommunen beteiligen sich zu je 1/3an der Finanzierung. Das Programm wurde zu seinemBeginn 1999 vom Bund mit zunächst 100 Mio. DMjährlich ausgestattet und seit 2001 wurde diese Summeum 50 Mio. erhöht. Sowohl die Länder als auch dieKommunen müssen diesen Umfang von 150 Mio. DM

Das Programm Soziale Stadt- Ziele, Instrumente, Charakterisierung

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jeweils kofinanzieren. Dem Programm steht demzufolgeein Gesamtvolumen von derzeit 230 Mio. Euro zurVerfügung. Diese Gewährung von Finanzhilfen desBundes an die Länder für das Programm Soziale Stadtist seit 1999 Bestandteil der Verwaltungsvereinbarungder Städtebauförderung und ist jährlich neu abzu-schließen. Des Weiteren wird das Programm imZeitraum 2000-2006 durch die Strukturförderung der EUergänzt. Die EU-Strukturpolitik beinhaltet Mittel undProjekte zur „Erneuerung städtischer Problemgebiete“.

Literatur

BMVBW 2002: Die soziale Stadt. Eine erste Bilanz desBund-Länder-Programms „Stadtteile mit besonderemEntwicklungsbedarf - die soziale Stadt“.Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik (Hg.)

DIFU Endbericht 2003: Strategien für die Soziale Stadt.Erfahrungen und Perspektiven - Umsetzung desBund-Länder-Programms "Stadtteile mit besonderemEntwicklungsbedarf - die Soziale Stadt".Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik.

Häußermann, Hartmut und Andreas Kapphan 2000.Berlin: von der geteilten zur gespaltenen Stadt?Sozialräumlicher Wandel seit 1990.Walther, Uwe-Jens (Hrsg.) 2002: Ambitionen undAmbivalenzen eines Programms. Die soziale Stadtzwischen neuen Herausforderungen und altenLösungen. In: Soziale Stadt - Zwischenbilanzen. EinProgramm auf dem Weg zur Sozialen Stadt? Opladen:Leske + Budrich.

www.difu.de

www.sozialestadt.de

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3. Segregation – Das zentrale Problem

Janina Galvagni, Antje Schmücker, Christine Küßner

3.1 Soziale Ungleichheit und sozialräumliche Segregation............................................................14

3.1.1 Soziale Polarisierung und Exklusion ......................................................................................14

3.1.2 Die neue Armut...................................................................................................................15

3.1.3 Ursachen von Segregation ...................................................................................................16

3.2 Segregation im internationalen Vergleich............................................................................18

3.2.1 Segregation in Deutschland ...............................................................................................18

3.2.2 Segregation in Schweden ..................................................................................................21

3.2.2.1 Die Bedeutung des Wohlfahrtstaates für die Segregation.....................................................21

3.2.2.2 Die Entstehung des schwedischen Wohlfahrtstaates............................................................21

3.2.2.3 Besonderheiten der schwedischen Wohnungspolitik ............................................................22

3.2.2.4 Ethnische Segregation.......................................................................................................23

3.2.2.5 Schweden als Einwanderungsland......................................................................................23

3.2.2.6 Wie wohnen Migranten in Schweden? ................................................................................24

3.2.2.7 Segregation als gesellschaftliches Problem?........................................................................24

3.2.3 Segregation in den USA.....................................................................................................25

3.2.3.1 Der Einfluss der Tertiarisierung auf Segregation..................................................................25

3.2.3.2 Die Folgen für innerstädtische Quartiere.............................................................................26

3.2.3.3 Der Einfluss von Segregation auf Ausbildung ......................................................................27

3.2.3.4 Zwischenfazit....................................................................................................................28

3.2.3.5 Armut in den USA .............................................................................................................28

3.2.3.6 Regionale Ausprägung von Segregation in den USA ............................................................30

3.2.3.7 Zum Verhältnis von Armut und Segregation........................................................................32

3.2.3.8 Historische Entwicklung der Stadtpolitik .............................................................................32

3.2.3.9 „Public Housing Projects“ und neuere stadtpolitische Programme.........................................34

3.2.3.10 Fazit.................................................................................................................................36

3.2.4 Der abschließende Vergleich..............................................................................................37

Literatur ...........................................................................................................................39

Segregation – Das zentrale Problem

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3.1 Soziale Ungleichheit und sozialräumlicheSegregation

Betrachtet man die Anordnung von Bewohnern inStädten, lässt sich feststellen, dass ihre Zusammen-setzung keineswegs gleichförmig ist. Städte teilen sichin unterschiedliche Viertel, in „Gute-Leute-Viertel“,Künstler-Quartiere oder Arbeiterviertel (vgl. Farwick2001). Diese Namen lassen auf eine zueinander hetero-gene Einwohnerschaft schließen.Der Begriff Segregation bedeutet in diesem Zusammen-hang „die disparitäre Verteilung von Bevölkerungs-gruppen im Raum“ (ebd.: 25). In diesem Sinne kommtder Segregation keine wertende Bedeutung zu, siebeschreibt lediglich die Struktur einer Stadt. Sie wird inpolitischen und sozialen Diskursen erst dann zu einemProblem erklärt, wenn bestimmte Viertel auffällig wer-den, was z.B. anhand von Kriminalitätsstatistiken fest-gestellt wird. Eine Schlussfolgerung, die daraus gezogenwird, ist, dass das Viertel Menschen in ihren Straftatenbeeinflusst. Sie also deshalb zu Tätern werden, weil siein einem bestimmten Bezirk wohnen. Ob die Erklärunginhaltlich haltbar ist, bleibt an dieser Stelle offen (vgl.Kapitel 5.4).„Ein weiterer Anlass für eine Diskussion über dieräumliche Konzentration von sozialen Problemen bzw.von Haushalten, die mit besonderen Problemen behaf-tet sind, ist die Vermutung, dass sich die Konzentrationvon Benachteiligten zusätzlich benachteiligend für dieseauswirken“ (Häussermann 2000: 19). Diese Annahmeließ sich bisher allerdings noch nicht überzeugendbeweisen.Fakt jedoch ist, dass in einigen Vierteln der Stadthäufiger Konflikte zu Tage treten als in anderen (ebd.).Eine Erklärung dafür kann die sozioökonomische Polari-sierung der Gesellschaft sein: eine Gesellschaft, die sichmehr und mehr in Arm und Reich aufteilt. Segregationbewegt sich dann in einer neuen Dimension: aus derräumlichen Verteilung entsteht eine sozioökonomische,Segregation wird dann als Verräumlichung sozialerUngleichheit verstanden.Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden,welche Ursachen für die Erscheinung der sozialen Se-gregation verantwortlich gemacht werden können. An-hand der Begriffe Exklusion und Polarisierung sollen diewichtigsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ver-änderungen der letzten Jahrzehnte aufgezeigt und dieErscheinung der „Neuen Armut“ erläutert werden.Auf welche Weise diese Phänomene auf die Wohnort-entscheidung von Individuen Einfluss nehmen undwann Segregation zu einem gesellschaftlichen Problemwird, soll in einem weiteren Punkt nachgegangen undmit Hilfe verschiedener Theorien zu Segregation unter-mauert werden. Einleitend dazu geht diesem Teil einkurzer historischer Abriss voraus, der zeigt, dass Segre-gation keineswegs eine neue Erscheinung ist.

Die gegenseitige Beeinflussung der Staats- und Stadt-ebene soll auf diese Weise verdeutlicht werden. Exklu-sion kann zu Segregation führen, ist aber nicht diezwingende Schlussfolgerung, ebenso wie umgekehrt Se-gregation nicht unbedingt Ausschluss aus der Gesell-schaft bedeuten muss.

3.1.1 Soziale Polarisierung und Exklusion

Soziale Ungleichheit und Armut in Industrienationennehmen zu (vgl. Häussermann 2000; Kapphan u.a.2002; Dangschat 1995). Diese Tatsache entspringthauptsächlich zwei Faktoren: Zum Einen aus derUmstrukturierung des Arbeitsmarktes, zum Anderen ausder Veränderung und Differenzierung von Lebensstilen(ebd.).„Die internationale Arbeitsteilung hat in altindustriellenLändern wie der BRD zu einem Abbau der Arbeitsplätzein traditioneller Fertigung […] zugunsten der so genann-ten Schwellenländer geführt“ (Dangschat 1995: 51f.).Produktionsstätten wandern in Länder ab, die eine billi-gere Fertigung aufgrund von geringeren Löhnen ver-sprechen.Gleichzeitig nimmt die Zahl der Arbeitsplätze im Dienst-leistungssektor zu, der die erwerbslos gewordenenArbeiter jedoch nicht aufnimmt. Die Karriereberufe der„neuen Dienstleistungsklasse“ (ebd.: 52) erfordern underzeugen gut gebildete Menschen, die sich durchFlexibilität und Mobilität auszeichnen. Einige von ihnenwiederum schaffen Arbeitsplätze für haushaltsbezogeneDienstleistungen, z. B. zur Reinigung der Wohnung oderzur Kindererziehung (vgl. ebd.).Die Polarisierung der Gesellschaft zeigt sich auf dereinen Seite vorrangig am Besitz eines Arbeitsplatzesüberhaupt und auf der anderen Seite an der Ausein-anderentwicklung der Einkommen (vgl. Alisch/ Dang-schat 1993; Dangschat 1995; Hamnett 2001). Klarerausgedrückt heißt das, dass zum Einen die gutbezahlten Arbeitsstellen noch besser bezahlt werden,während zum Anderen die Entlohnung der Arbeitsplätzeam unteren Rand der Hierarchie für ein eigenständigesLeben (ohne staatliche Unterstützung) oftmals nichtausreicht (vgl. Dangschat 1995).“Two concepts of polarization in urban areas can bedistinguished: The first one covers the whole citypopulation and includes, therefore, those peoplewithout work... the second concept of urbanpolarization is more modest and deals with those thathave paid work” (Hamnett 2001: 170). In Deutschlandz.B. stieg die Anzahl der Erwerbstätigen, die weniger alsdas Durchschnittseinkommen erhalten (1973: 6,5%,1988: 8,8%, 1995: 11,9%); auf der anderen Seiteerhöhten sich die Zahlen derer, die mehr als dasDurchschnittseinkommen beziehen: 1973: 4,2%, 1988:4,3%, 1995: 4,9% (vgl. Kapphan u.a. 2002: 9). Daszweite Konzept bedeutet dann genauer: „Polarization

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refers to the phenomenon of the disappearing middle,the shrinkage of the number of middle-income jobs anda growth at both the top and the bottom ends of theincome distribution.” (Hamnett 2001: 169) ChrisHamnett (2001) folgert daraus, dass das PhänomenPolarisierung “a movement toward the poles of a givendistribution“ (ebd.: 169) darstellt. Das „Gesellschafts-Ei“mutiert zu einer „Gesellschafts-Sanduhr“, die Mittel-schichten verschwinden und verschieben sich – un-gleichgewichtig - hin zu den zwei Enden.Während man anhand der Theorie der Polarisierungversucht, die gespaltene Gesellschaft hauptsächlichüber Einkommensstrukturen zu charakterisieren, wirdmit der Definition von Exklusion die Spaltung der Gesell-schaft über Teilhabemöglichkeiten an gesellschaftlichenBereichen beschrieben.Ausgrenzung bzw. Exklusion bedeutet vereinfachtdargestellt: Den „Ausschluss aus sozialen Nahbezieh-ungen, die aus der (benachteiligten) Lage heraushelfenkönnen; Ausschluss aus gesellschaftlich geteiltenLebenszielen und Teilhabemöglichkeiten; Ausschlussaus dem Arbeitsmarkt" und zusammengefasst: „DieGefahr einer Erosion der durch Interdependenzbe-ziehungen und Partizipation vermittelten gesellschaft-lichen (…) Einheit“ (Kronauer 2002: 48). Haushaltewerden aus den durchschnittlichen gesellschaftlichenStandards ausgeschlossen, in ökonomischer Weise, inkultureller und sozialer Hinsicht und hinzukommend inpolitisch-institutioneller Sicht (vgl. Häussermann 2000).Letzteres bedeutet, dass benachteiligte MenschenGeringschätzung in solchen Institutionen hinnehmenmüssen, die eigentlich dazu geschaffen wurden, ihneneinen Lebensstandard zu sichern, wie Sozialamt,Ausländerbehörde, etc. (vgl. Alisch 2002).Robert Castel (1996) beschreibt diesen Prozess derExklusion anhand zweier Achsen: Erstens, die Integra-tion am Arbeitsmarkt und zweitens, die soziale Einbin-dung in Nahbeziehungen. Innerhalb dieser zwei gesell-schaftlichen Momente gibt es drei Situationen, in dieman eintreten kann: Die "intégration" (mit stabilerBeschäftigung und intakten, unterstützenden sozialenNetzen), die "vulnèrabilitè" (in der die Erwerbsein-bindungen und die sozialen Netze brüchig werden) unddie "dèsaffiliation" (Ausschließung aus Erwerbsarbeitund Verlust der sozialen Einbindungen) (vgl. Kronauer2002: 47). Hinzu kommen der freie Markt und derStaat, die darüber entscheiden, welche Qualität dasindividuelle Leben erlangt (vgl. ebd.: 153 und 204).Dem Arbeitsmarkt als Teilhabeinstanz kommt auch indieser Theorie die höchste Bedeutung zu, sowohl inmaterieller Sicht als auch in sozialer. Im Betrieb werdenKontakte geknüpft, die weit in das persönliche Lebenhinein greifen können. So lässt sich der Arbeitsmarktauch als Kontaktbörse verstehen. Die materielle Seite istoffensichtlich (vgl. ebd.: 173).Der Arbeitsmarkt ist staatlich reguliert. Durch staatlicheIntervention werden soziale Konstruktionen gestützt,

die es einigen Bevölkerungsgruppen ermöglicht, amErwerbsleben teilzuhaben während es anderen ver-wehrt bleibt. Den größten Anteil der ausgeschlossenenGruppe machen die Frauen, insbesonders Alleiner-ziehende, gemeinsam mit Asylbewerbern aus (vgl. ebd.:178). Ausschlaggebend dafür ist in konservativ ge-prägten Staaten das noch immer sehr traditionelle Bildder Familie, das sich in steuerlichen Subventionen fürdie Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern imHaushalt äußert. Auch Deutschland gehört hierzu (vgl.ebd.: 156ff.).Über Teilhabemöglichkeiten am Arbeitsmarkt und amKonsumverhalten werden Lebensstile geprägt. Diefinanziellen Mittel geben den höher entlohnten Erwerbs-tätigen die Chance, einen gehobeneren Lebensstandardzu erreichen, der sich in ihren Freizeitbeschäftigungenund Wohnorten widerspiegelt. Die geforderten Charak-teristika der Karriereberufe (siehe oben) spielen oftmalsbis weit in das Privatleben hinein und erzeugen Indivi-dualismus und Entsolidarisierung mit dem Rest derGesellschaft (vgl. Dangschat 1995).Erwerbstätigen in niedrigeren Beschäftigungsverhält-nissen oder arbeitslosen Menschen stehen (freie)Entscheidungen bezüglich der Lebensführung wenigeroffen. Ihre „Armut und soziale Ausgrenzung […] sindFolgen kräftiger Wohlstands- und Reichtumsentwick-lung“ (ebd.: 50).

3.1.2 Die neue Armut

In sozialwissenschaftlichen Diskursen wird heute überdas Phänomen Armut als „neue Armut“, im Gegensatzzu „Armut im Reichtum“, (vgl. Keller 1999; Alisch/Dangschat 1993) gesprochen. Dieser Begriff verweistauf die Relation zwischen gesellschaftlichen Standardsund Werten und der Position eines Individuums indieser Gesellschaft. In Deutschland spricht man deshalbvon „relativer Armut“ im Gegensatz zur absoluten, wieman sie aus Entwicklungs- und Schwellenländern kennt.Denn hier wird der Einstieg in die Armut durchstaatliche Subventionen zu verhindern versucht. DasBeziehen von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld kanndennoch als Armut und nicht als „bekämpfte Armut“gelten (vgl. Dangschat 1995).Ausschlaggebend für die Einteilung in Arm und Reich isthauptsächlich das Einkommen: Menschen, die unter40% des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens zurVerfügung haben, befinden sich in „strenger Armut“.Wer über ein Einkommen unter 50% des Durchschnitts-einkommens verfügt, gilt als arm, wer unter 60%verdient, gilt als gefährdet, in die Armut abzurutschen(vgl. Alisch/Dangschat 1993).Armut ist eine Kategorie, die auf gesellschaftlichenZuschreibungen beruht, d.h. an Integration und Partizi-pation in der jeweiligen Gesellschaft bemessen wird.Dies können einfache Dinge sein, wie die Freizeit-

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gestaltung oder auch elementare Werte wie der Zugangzu Bildung und zum Arbeitsmarkt. Ist eine Möglichkeitnicht gegeben, so spricht man aus Sicht des Lebens-lagenansatzes von sozialer Deprivation, das Ausge-schlossensein von allgemein gültigen Lebensstandards(vgl. Keller 1999).So stehen im Mittelpunkt der Armutsforschung seitAnfang der 80er Jahre zum Einen der Arbeitsmarkt alsklassische Ursachendimension für ökonomische Armut,zum Anderen die Abhängigkeit von staatlichen Transfer-leistungen und schließlich die Ausgrenzung vongesellschaftlicher Teilhabe (vgl. Alisch/Dangschat 1993).Das Neue an der Armut ist nicht nur ihre Existenz imWohlfahrtsstaat, sondern die Tatsache, dass das Risikozu verarmen fast allen Schichten inhärent ist. Ammeisten betroffen jedoch sind noch immer die Ange-hörigen der unteren Schicht: Ungelernte Arbeiter, die imZuge der Tertiärisierung, dem Ausbau des Dienstlei-stungssektors, ihren Arbeitsplatz in der Industriepro-duktion verlieren. Hauptsächlich in diesem Sektorbeschäftigt sind Migranten, schlecht oder gar nichtausgebildete junge Männer, sowie alleinerziehendeFrauen und alte Menschen.Soziale Segregation kann aus dieser Sicht als einElement der Exklusion und der Polarisierung betrachtetwerden, denn sie kann neben dem Ausschluss aus demArbeitsmarkt, als besonderer räumlicher Ausschluss ausder Gesellschaft definiert werden. „Marginalisierung undAusgrenzung kann durch eine räumliche Konzentrationvon Personen und Haushalten, die in ähnlicher Weiseverarmt, diskriminiert und benachteiligt sind, hervor-gerufen, beschleunigt und verstärkt werden“(Häussermann 2000: 14). Sowohl in der räumlichen alsauch in der sozialen Segregation wird die soziale Un-gleichheit sichtbar. Während sie sich innerhalb derersten Erscheinung in bestimmen Vierteln manifestiertund Städte in gute und schlechte Wohnviertel teilt,kommt sie auf gesellschaftlicher Ebene als Ausgrenzungzum Vorschein. Exklusion und Segregation sind vonein-ander abhängig und bedingen sich gegenseitig. „Oftbringt die eine Form der Ausgrenzung die andere mitsich“ (ebd.: 14).

3.1.3 Ursachen von Segregation

Segregation wird nicht per se als Problem definiert. DerRückzug von Angehörigen der Oberschicht in abge-grenzte Villenviertel z.B. wird nicht als städtischesGefahrenpotential auf eine politische Agenda gesetztwerden.Auch die sozialräumliche Trennung von Bevölkerungs-gruppen ist keine neu zu beobachtende Erscheinung.Sie ist nicht erst mit der industriellen Verstädterungeingetreten, sondern hat ihre Wurzeln bis weit in dieGeschichte. „Never mind the slavery quarters of ancientAthens and Rome, the ghettos of the middle ages, the

imperial quarters of colonial cities, or the merchantsections of the medieval trading cities” (Hamnett 2001:167). In der europäischen Bürgerstadt handelte es sichbei der räumlichen Trennung um eine berufständischeSeparierung, um kulturelle und ethnische Segregation,aber auch um Ansätze einer Trennung nach Alter undsozialem Status (vgl. Reulecke 1985). Doch beschränktesich die Konzentration verschiedener sozialer Gruppenauf kleinräumige Flächen wie Straßenzüge und Gassen(vgl. Farwick 2001). Die Wohnberechtigung ergab sichüber die Berufs- und Standeszugehörigkeit, ein offenerWohnungsmarkt existierte nicht.Im Laufe der Industrialisierung „hat sich die sozialeUngleichheit (…) in einer krassen sozialen Sortierungder Bevölkerung in den Städten niedergeschlagen“(Häussermann 2000: 16). Für das Bürgertum bedeutetedie Industrialisierung Vermehrung des Reichtums, fürdas Proletariat die Möglichkeit, Arbeit zu bekommen. InMassen strömten sie in die Städte auf der Suche nachArbeitsplätzen. Es musste ihnen Wohnraum zur Verfü-gung gestellt werden, der schnell und billig zu errichtenist. So wurden sie meist in Fabriknähe gelegenenArbeitervierteln untergebracht, „die sich durch mindereWohnqualität, periphere Lage zum Stadtzentrum,schlechte infrastrukturelle Versorgung und hohe Bevöl-kerungsdichte auszeichneten“ (Farwick 2001: 26).Die Segregation wandelte sich so immer mehr in einesozioökonomische Separation und rief ab den 40ern des19. Jahrhunderts Debatten über die Legitimität solcherWohnzustände hervor. Diese drehten sich einerseits umeine Heterogenisierung der Bewohnerschaft in einzelnenHäusern. Andererseits schlugen sie sich in einerWohnungspolitik nieder, die es sich zum Ziel setzte,Segregation vorzubeugen und Wohnquartiere zuschaffen, die der Arbeiterschaft ein besseres Wohnenbieten sollten. Dieser Ansatz wurde ab Mitte der 20erJahre des 20. Jahrhunderts in einem Modell des sozialenWohnungsbaus tatsächlich umgesetzt (vgl. Häusser-mann 2000). Die Idee der Sozialen Mischung nachHobrecht setzte sich nicht durch. Ausschlaggebend wardie vorherrschende Abneigung des Bürgertums gegenStaatsintervention. Deren Ideologie konnte sich indieser Frage behaupten (vgl. Kapitel 5.2).In den Mietskasernen vor der Stadt siedelte sich einspezifisches Milieu an, da nur Menschen aus derArbeiterschicht zuzogen. In den innerstädtischen Stadt-vierteln separierte sich die Bevölkerung erst nach undnach, durch Wegzug von Angehörigen der Oberschichtund den dadurch gleichzeitig stattfindenden Zuzug vonMenschen aus dem Proletariat. Sie bekamen die anFläche verkleinerten Wohnungen, die die Reichenzurückließen, um in die schöneren Vorstädte zu ziehen(vgl. Reulecke 1985). Die Klasse der Arbeiter und dasBürgertum unterschieden sich besonders durch ihrefinanziellen Mittel und durch ihre Partizipation amgesellschaftlichen Leben.

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Die Differenzierung reichte weit in das persönlicheLeben hinein „(…) und prägte das Leben desGroßstädters bis in die Details seines Familienlebensund Konsumverhaltens, seiner körperlichen Konstitution,seiner Kommunikationsformen und Möglichkeiten zurTeilhabe an technischem Fortschritt, seiner Wahrneh-mung von Zumutungen und gebotenen Chancen sowieseiner entsprechenden Reaktion“ (Reulecke 1985:100f.).Solche extremen Zustände der Wohnsituation, wie mansie in der Phase der Industrialisierung vorfand, sindheute in westlichen demokratischen Systemen nichtmehr zu finden. In Deutschland, in der Zeit desWirtschaftsbooms waren sie sogar fast gänzlicheliminiert. Doch mit der Abwanderung von Produktions-stätten ins Ausland und dem dadurch verursachtenAbbau von Arbeitsplätzen im industriellen Sektor abMitte der 70er Jahre, fanden sich viele Menschen in derArbeitslosigkeit wieder. Der Verlust des Arbeitsplatzesund die damit einhergehende finanzielle Unsicherheitwirkten sich auf die individuelle Wohnsituation aus:Wird die Wohnung zu teuer, weil die staatliche Hilfe dasvormals bezogene Einkommen nicht kompensiert, musssich der Haushalt nach einer günstigeren Wohnungumsehen. Dies ist ein Faktor für die Herausbildungbestimmter städtischer Strukturen, für die Anordnungder Bevölkerung im Raum.Neben der Kaufkraft eines Haushaltes am freienWohnungsmarkt, bestimmen individuelle Präferenzenund Lebensstile sowie die Zugehörigkeit zu einerethnischen Gruppe die Wahl des Wohnortes.Mit der Aufteilung bestimmter Bevölkerungsgruppen imRaum, befassten sich in den 20er Jahren des ver-gangenen Jahrhunderts Park, Burguess und McKenzie,Begründer der Chicagoer Schule. Sie waren die ersten,die versuchten, die Verteilung von Bevölkerungsgruppendarzustellen: Festgestellt wurde, dass im Chicago der20er Jahre die Bevölkerung nicht gleichmäßig über dasStadtgebiet verteilt war, sondern sich nach Alter,Berufszugehörigkeit und ethnischer Herkunft Konzen-trationen ergaben (vgl. Kapphan u.a. 2002: 6). Jedekulturelle Gruppe bewohnt ein eigenes „natürliches“Quartier, welches sie im Kampf um den Raum sichertund verteidigt. Die „natural areas“ befinden sich nachinnen in einem Gleichgewichtszustand, bei dem Koope-ration den Wettbewerb ersetzt. Als wesentlicheMerkmale der Segregation in natürlichen Gebietenzeigen sich rassische, ethnische und religiöse Zuge-hörigkeit zu Gruppen sowie deren soziale Schicht (vgl.Farwick 2001). Unterschiedliche soziale Gruppen siedelnsich an weit voneinander entfernten Orten in der Stadtan. So bietet das Bild einer Stadt „ein Mosaik auskleinen Welten“ (Häussermann 2000: 18).Dieser Ansatz bietet vor allem eine kulturelle Erklärungfür die Struktur einer Stadt.In eine ähnliche Richtung zielt die Erklärung vonWohnstandortentscheidungen anhand von Präferenzen

(vgl. Farwick 2001). Räumliche Strukturen werden aufindividuelle Verhaltensweisen im Raum zurückgeführt,die sich sowohl über interne Motivationen wie Alter undwandelnde Lebensstile ergeben können, als auch überexterne, wie Veränderungen im Wohnviertel. DieseProzesse können dann zu einem Wohnortwechselführen.Dieser wahrnehmungs- und verhaltenstheoretischeAnsatz (vgl. ebd.) liefert auch eine Erklärung für dasPhänomen der Gentrification: Innerstädtische Altbau-quartiere werden durch private Bauherren aufgekauftund aufwendig saniert. Die angestammte Bewohner-schaft muss die Wohnungen verlassen, da sich dieMehrheit die alten Wohnungen aufgrund der gestie-genen Mieten nicht mehr leisten kann. Das Image desViertel erlangt einen neuen, besseren Ruf. Die Theoriedes wahrnehmungs- und verhaltenstheoretischen An-satzes besagt, dass Wohnstandorte von Gruppen,denen man selber angehört, favorisiert werden (vgl.ebd.).Dem Individuum als Nachfrager kommt in dieserErklärung die tragende Rolle in der Ausprägung städti-scher Strukturen zu. Auf der Angebotsseite bestimmenweitere Akteure die Wahl des Wohnstandortes.Zur Stärkung dieser Ansicht entwickeln sich parallel zurTheorie der Verhaltensorientierung institutionelleAnsätze. Im Rahmen dieser Arbeiten wird die Aufmerk-samkeit weniger auf die individuellen Wohnstandort-präferenzen als auf den gesellschaftlichen Konflikt umbegrenzte Standortressourcen zwischen verschiedenenInteressengruppen und Institutionen mit unter-schiedlicher Machtausstattung gerichtet. Der Konfliktresultiert dabei aus der ungleichen Wohnstandortver-teilung: Der Wohnungsmarkt wird von bestimmtenOrganisationen dominiert (Makler und Bauwirtschaft,Industrie, Handel und Gewerbe, private Hausbesitzerund lokale Behörden), die Verteilung von Boden ist alsonur als Ergebnis von Machtkämpfen zwischen diesenGruppen zu betrachten (vgl. ebd.).Dieser Diskurs lenkt die Aufmerksamkeit auf Zuteilungs-mechanismen und deren Einfluss auf soziale undräumliche Ungleichverteilung von Wohnraum. Beson-ders betroffen sind davon einkommensschwacheHaushalte, da sich Wohnungsangebote auf dem freienMarkt vorrangig an finanzkräftige Haushalte richten.„Folglich werden an begehrten Standorten mit hohemzu erwartenden Ertragswert und hoher GrundrenteWohnungen für zahlungskräftige Bevölkerungsgruppengebaut, während dem Wohnbedarf einkommens-schwacher Haushalte an tendenziell unattraktivenStandorten mit geringer Grundrente entsprochen wird.Auf diese Weise entstehen räumlich gegliederte, aufeinzelne Nachfragegruppen zielende Wohnungsteil-märkte, die sich durch eine homogene Struktur vonWohnungstypen in den einzelnen Teilbereichen aus-zeichnen“ (ebd.: 59).

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Durch zielgerichtete Marktpolitik wird der sozialräumli-chen Segregation Vorschub geleistet.Einer besonderen Bedeutung kommt hierbei der ethni-schen Segregation zu. Zwar können auch bei unter-privilegierten Bevölkerungsgruppen Präferenzen bei derWohnungswahl eine Rolle spielen, wie der Rückzug insoziale und kulturelle Netze, in denen man sichaufgrund von Sprachproblemen mit der Aufnahme-gesellschaft oder Familienzugehörigkeit besser aufgeho-ben fühlt (vgl. Häussermann 2000). Auf der anderenSeite werden aber gerade Migranten bestimmten Wohn-vierteln zugewiesen. Letzterer Faktor bestätigt, dass derverstärkte Zuzug von Zuwanderern in bestimmteGebiete seinen Grund nicht in dem Bestreben hat, Inte-gration zu verweigern; vielmehr ist die Wohnsituationvon individuumsexternen Determinanten abhängig. Sowurden z.B. in Berlin-Kreuzberg leerstehende Wohn-ungen, die zum Abriss vorgesehen waren, vonWohnungsbaugesellschaften systematisch an Gastarbei-terfamilien vermietet (vgl. Kapphan u.a. 2002). Migran-ten sind wegen ihrer Herkunft und der oft darausresultierenden Armut doppelt depriviert.Soziale und ethnische Segregation entsteht auf dieseWeise unabhängig von dem wohnungssuchendenAkteur. Er ist nicht in der Lage, eine Wahl zu treffen.Beschränkte Handlungsfähigkeit kann zu räumlicherUngleichheit führen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass auf der einenSeite nehmen Institutionen wie Wohnungsbau-gesellschaften, Privatiers oder Makler aufgrund ihrerMachtressourcen eine bedeutende Position in Wohn-standortentscheidungen ein. Auf der anderen Seiteagieren die Individuen, die je nach finanzieller, sozialerund kultureller Situation eine mehr oder weniger ihrenPräferenzen entsprechende Umgebung und Wohnungwählen können. Wichtigste Sphäre ist auch hier dieökonomische: Wer Arbeit hat und gut verdient, hat inder kapitalistischen Gesellschaft die besten Möglich-keiten.„Die sozialräumliche Struktur einer Stadt ergibt sich ausder unterschiedlichen Attraktivität von Wohnquartieren,aus den Standortpräferenzen und der Kaufkraft derprivaten Haushalte sowie aus der Art und Weise, wiedie Wohnungen auf die Bevölkerung verteilt bzw. wieder Bevölkerung die Wohnungen zugeteilt werden“(Häussermann 2001: 14).

3.2 Segregation im internationalen Vergleich

Unfreiwillige Segregation wird durch sozioökonomischeUngleichheit produziert und verstärkt. Dieser Prozesskönnte von zwei verschiedenen Seiten aufgehaltenwerden. Entweder reguliert der Staat den Wohnungs-markt und bietet wohlfahrtsstaatliche Leistungen oderder Arbeitsmarkt wird so organisiert, dass die Löhne

kollektiv steigen bzw. einander angeglichen werden.Anstatt Wohnungen für Arme anzubieten, würde Segre-gation durch die Verringerung sozialer Ungleichheitverhindert. Da die Umstrukturierung des Arbeitsmarktesin diese Richtung nicht sehr wahrscheinlich ist, ist essinnvoll, die Ausprägung des Wohlfahrtsstaates bzw. dieRegulierung des Wohnungsmarktes zu untersuchen.

Unsere Hypothese lautet: Je ausgeprägter die Wohl-fahrtsstaatlichkeit eines Landes, desto geringer ist dieSegregation.Für die Überprüfung dieser Hypothese werden wir dreiLänder vorstellen, die sich hinsichtlich ihrer wohlfahrts-staatlichen Ausrichtung unterscheiden: Deutschland,Schweden und die USA. Dazu sollen die Ursachen undAusprägungen von Segregation untersucht und Unter-schiede hervorgehoben werden.Abschließend wird ein direkter Vergleich zeigen, in wel-chem Maße der Wohlfahrtsstaat Einfluss auf Segrega-tion nimmt.

3.2.1 Segregation in Deutschland

Globalisierung und Umstrukturierungsprozesse auf demArbeitsmarkt haben sich stark auf nationaler Ebeneausgewirkt: Um- und Neuorganisation der weltweitenWirtschaftsbeziehungen, sowie politische und gesell-schaftliche Reaktionen auf diese neuen Herausfor-derungen haben zu polarisierten Gesellschaften geführt(vgl. Dangschat 1995).Die Einwohner eines Landes unterscheiden sich auf-grund der ungleichen Einkommensverteilung und ihrerTeilhabechancen an gesellschaftlichen Standards, sowieihren Lebensstilen. Diese Prozesse spiegeln sich am auf-fälligsten in den Städten wider.Was für alle Städte in Industrienationen gleichermaßengilt, soll im Folgenden konkret für Deutschland aufge-zeigt werden: Die Veränderung der Lebensstandards imZuge der ökonomischen Umstrukturierung sowie neuerepolitische Maßnahmen, die ihrerseits die Einwohner undihre Anordnung im Raum prägen. Die Zielsetzung desfolgenden Abschnitts soll eine Antwort auf die Fragesein, was sozioökonomische Segregation in deutschenStädten verursacht.Präferenzen bezüglich des eigenen Lebens tendieren inRichtung Individualisierung und Selbstverwirklichung,man möchte sich nicht festlegen, „es ist vielmehr dieZeit der individuellen Experimente“ (Alisch/Dangschat1993: 56). Das Leben soll ungebunden sein, sowohl vonStandorten als auch auf das familiäre Leben bezogen.Für das Klientel, welches sich „Wohnen nach Präferen-zen“ leisten kann und deren Vorlieben sich auf einenurbanen Lebensstil des innerstädtischen Altbaubestan-des der Gründerzeit konzentrieren (vgl. Farwick 2001),kam die Anfang der 80er Jahre erlassene Regelung des

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steuergünstigen Erwerbs von Altbaubeständen geraderecht (vgl. Alisch/Dangschat 1993).In den Händen von privaten Bauunternehmern wurdendie Häuser und Wohnungen aufwendig saniert und zumVerkauf frei gegeben. Käufer dieser modernisiertenWohnungen waren junge, finanzkräftige Menschen,deren Lebensstil sich in ihren Wohnungen widerspiegelt.Diese vormals abgewerteten Gebiete liegen häufig nahedes Stadtzentrums, für das neue Klientel werden vieler-lei Freizeitmöglichkeiten errichtet, wie z.B. Shopping-center, Restaurants und Cafés oder Fitnesscenter. DieseEntwicklung nennt man im Fachjargon „Gentrification“,Aufwertung des Bestandes und Verdrängung der ange-stammten Bewohnerschaft.Die ehemaligen Bewohner müssen auf dem Markt nachgünstigeren Wohnungen suchen, sehen sich aber einemschrumpfendem Wohnungsmarkt gegenüber, der immerweniger preiswerte Wohnungen anbietet. Diese Wohn-ungen konzentrieren sich in bestimmten Wohngegen-den, in denen sich von Armut betroffene Menschenniederlassen (vgl. Dangschat 1995). „Zwar werden imFalle der Sozialhilfebedürftigkeit auch die Miete derWohnung und deren Nebenkosten übernommen, diesgilt aber nur bis zu einer festgelegten Obergrenze“(Farwick 2001: 61). Ist diese überschritten, kann miteiner Aufforderung zum Umzug gerechnet werden (vgl.ebd.).Der Zuzug von Armen in ein sich schon in der Abwärts-spirale befindendes Quartier, verstärkt die Verarmung.Dem Zuzug von Armen ist ein Wegzug von einkom-mensstärkeren Gruppen vorgelagert, die der Dichte derStadt entkommen wollen, hinaus „ins Grüne“(Häussermann 2001: 16). Soziale Mobilität der einenGruppe trägt dazu bei, dass aus einem Arbeiterviertelein Armutsviertel wird (vgl. ebd.). Farwick (2001) undFriedrichs/Blasius (2000) zählen die kommunale Bele-gungspolitik, die sich häufig in Zuweisung von Aus- undÜbersiedlern sowie Asylbewerbern niederschlägt, eben-falls als verstärkende Faktoren für die Verarmung einesQuartiers.Für Deutschland trifft hauptsächlich ein kollektiver Ver-armungsprozess von Quartieren zu (Farwick 2001;Friedrichs/Blasius 2000; Kapphan u.a. 2002). DerVerlust von Arbeitsplätzen, besonders im Produktions-sektor, betrifft eine homogene Gruppe. Wenn dieseGruppe in den gleichen Vierteln angesiedelt ist, machtsich der kollektive Verarmungsprozess auch dort be-merkbar. Die Abwärtsspirale fängt also auf dem Arbeits-markt an und setzt sich im Viertel fort, dem so dieKaufkraft verloren geht und damit auch die Infra-struktur nach und nach zusammenbricht. Bewohnerwerden durch ihren Wohnort stigmatisiert, haben alsogrößere Probleme, eine neue Arbeit zu finden. Armutverfestigt sich im Raum.In Deutschland befinden sich diese Wohngegendenhauptsächlich in innenstadtnahen, alten Arbeiterquar-tieren und in den Neubauten am Rande der Stadt (vgl.

Friedrich/Blasius 2000; Häussermann 2001). Letzteresist deshalb von Interesse, weil es zeigt, dass die sozia-len Probleme unabhängig vom Zustand der Bausubstanzsind (vgl. Häussermann 2001). Mit baulichen Maßnah-men alleine ist der sozialen Ungleichheit in den herunte-gekommenen, innerstädtischen Quartieren also nichtbeizukommen.Die Gruppe der Betroffenen setzt sich aus Sozialhilfe-empfängern und Arbeitslosen zusammen. In dieseGruppe fallen häufig Migranten, ältere deutscheMänner und alleinerziehende Mütter. Auch Großfamilienfallen immer öfter in die Gruppe der Armen. Kinder undJugendliche sind dadurch in einer besonderen Weisebetroffen.Nicht nur der Markt entscheidet über die räumlicheStruktur einer Stadt, politische Instrumente nehmenebenso Einfluss darauf.Im Folgenden sollen Maßnahmen von Seiten desStaates aufgezeigt werden, die ihrerseits Segregationerzeugt und verstärkt haben.

„Der Rückzug aus dem Sozialwohnungsbau und dieDeregulierung des Wohnungsmarktes gelten alsUrsache für unerwünschte soziale Veränderung“

(Alisch/ Dangschat 1993: 47).Anfang der 80er Jahre erließ die Regierung eineRegelung zum steuergünstigen Erwerb von Altbauwoh-nungen (s.o.), dies schloss auch einige Sozialwoh-nungen mit ein (vgl. ebd.).Jährlich fallen ca. 100.000 Wohnungen aus der Sozial-bindung (vgl. Häussermann 2001). Während es 1987noch 3,9 Mio. Sozialwohnungen gab, waren es 2001 nurmehr 1,8 Mio. 1999 wurden nur 106.000 Sozial-wohnungen gebaut, obwohl jährlich ca. 200.000 benö-tigt würden (vgl. http://www.rsb4.de). Auch dieInvestitionen in den Sozialwohnungsbau sanken rapide:1993 wurden 4 Mrd. DM ausgegeben, während es 2000nur mehr 600 Mio. DM waren (vgl. Kiepe 2000).Auf diese Weise entzieht sich der Staat mehr und mehrseiner Verantwortung und der Erfüllung seines Auf-trages, „die Versorgung der Bevölkerung mit adäquatenWohnraum zu sichern“ (ebd.: 2). Die Nachfrage nachpreiswertem Wohnraum steigt jedoch an. Dieser Gruppesteht ein immer kleiner werdendes Angebot anWohnungen zur Verfügung (vgl. Alisch/ Dangschat1993). Gleichzeitig steigt auch die Zahl derer, die aufstaatliche Subventionen angewiesen sind, sei es imBereich von Sozialwohnungen oder in Form von Wohn-geld (vgl. Kapphan u.a. 2002).Diese Tatsache führt nicht nur zu Engpässen in derWohnraumversorgung, sondern bedingt gleichzeitigauch die Konzentration bestimmter Bevölkerungsgrup-pen in einem Quartier. Neubausiedlungen am Rande derStadt sind hauptsächlich davon betroffen, da sich dieStadtplanung vornehmlich mit der Aufwertung derInnenstädte befasste und der attraktive Wohnraum dortals erstes zum Verkauf offen stand. „Das kleiner wer-dende Angebot an Sozialwohnungen konzentriert sich

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räumlich in den jüngeren Beständen“ (Häussermann2001: 17).Hinzu kommt die Fehlbelegungsabgabe, die zu einerAbwanderung besser verdienender Haushalte beigetra-gen und dadurch der sozialen Entmischung Vorschubgeleistet hat (vgl. ebd.). Ebenso die Belegungspraxisder Wohnungsämter, die Anfang der 90er zu einerKonzentration von Aussiedlern in den Neubauquartierenführte. Der Wohnraummangel ließ eine vernünftigeStadtpolitik nicht zu (vgl. Dangschat 1995).Höhepunkt der Deregulierungspolitik stellt die Aufhe-bung des Wohnungs-gemeinnützigkeitsgesetzes 1990dar. Handlungsziel der Wohnungsbaugesellschaftenwar, die Wohnraumversorgung „breiter“ Schichten, aberbesonders der einkommensarmen Bevölkerungsgruppe,sicher zu stellen (vgl. Farwick 2001). Das Prinzip derGemeinnützigkeit verpflichtete die Vermieter dazu,Wohnraum unter Verzicht von Gewinnen zu vermieten(„Selbstkostenprinzip“). Als Gegenzug kam ihnen derStaat mit steuerlichen Vergünstigungen entgegen (vgl.ebd.).Mit der Aufkündigung des Prinzips ging in 3,4 Mio.Mietwohnungen ohne Gegenleistung die Mietpreisbin-dung verloren (vgl. www.bpb.de). Damit unterliegen dieWohnungen dem freien Markt, während vorher deroffene Zugang für fast alle Schichten gewährleistet war.Auch eine Einkommensbeschränkung nach oben, wie esdie Belegungspraxis des Sozialenwohnungsbaus ver-langt, gab es nicht.Die räumliche Trennung von ethnischen Gruppen stelltauch in Deutschland ein besonderes Phänomen der so-zialen und räumlichen Segregation dar. Migranten sindsowohl auf dem Wohnungsmarkt als auch auf demArbeitsmarkt stärker benachteiligt als Deutsche: Nebender ökonomischen Benachteiligung sind sie zusätzlichvon Diskriminierung betroffen.Die Konzentration von Migranten in bestimmten Stadt-teilen ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen. ZumEinen auf den o.g. ökonomischen und diskriminierendenFaktor, der ihnen auf dem Wohnungsmarkt eine be-nachteiligte Rolle beschert. Zum Anderen wegen fehlen-der Informationen über das Wohnungsangebotes. BeimZuzug in eine Stadt, ist es zunächst schwierig, denÜberblick über Preise und Lage zu erlangen. Und auchder freiwillige Rückzug in familiäre Netze, um denAnpassungsdruck an die Aufnahmegesellschaft zu mini-mieren, kann als Grund für Segregation genannt wer-den (Kapphan u.a. 2002).Ein weiterer, schwerwiegender Faktor ist in der deut-schen Wohnungspolitik zu finden: Da die Vergabe vonWohnberechtigungsscheinen für den Zugang zu bele-gungsgebundenem Wohnraum an die Einkommens-grenze gekoppelt ist, die seit Ende der 70er Jahre nichtmehr angehoben wurde, sind unter den Antragsstellernvornehmlich ausländische Haushalte (vgl. ebd.). Diesfördert die Homogenität der Bewohner in den Quar-tieren.

Fehlbelegungsabgaben, der Rückzug des Staates ausdem Sozialen Wohnungsbau und die Abschaffung desPrinzips der Gemeinnützigkeit führen zu Wohnungs-knappheit im preiswerten Wohnungssegment. Neuin-vestitionen werden kaum getätigt. Dadurch verstärktsich die sozialräumliche Segregation.Die aktuelle Bundesregierung sieht die Lösung der o.g.Probleme in einem flexibleren Weg, und zwar in derindividuellen Förderung und Investitionen in den Wohn-ungsbestand: „Modernisierung und der Erwerb vonBelegungsrechten (sollen) gleichwertige Elemente einersozialen Wohnraumförderung sein“ (Kiepe 2000). Damitsoll einer sozialen Homogenisierung in den Stadtviertelnvorgebeugt werden. Also: „Statt sozialer Wohnungsbau,jetzt soziale Wohnraumförderung.“ Schon bestehenderWohnraum wird genutzt, die Sozialwohnungen werdensich so weniger auf bestimmte Stadtteile konzentrieren(www.bmvbw.de). Der Verlauf dieses Vorhabens istallerdings noch offen.Weiterhin wird der Erwerb von Wohneigentum in Arbeit-nehmerhand gefördert. Seit 1951 gehört dieses politi-sche Instrument in das Repertoire der deutschen Woh-nungspolitik. Bis 1986 flossen insgesamt 37 Mrd. DM(entspricht 40% aller staatlichen Finanzierungsmittel fürWohnungsneubau) an Subventionen in die Eigentums-förderung. Sie ist auch heute noch Kernpunkt im Be-reich der Wohnungspolitik (vgl. www.bpb.de).Mit ca. 40% Wohnungseigentümern, die gleichzeitigauch Besitzer ihrer Behausung sind, liegt Deutschlandallerdings unter dem europäischen Durchschnitt (vgl.Alisch/ Dangschat 1993).Die Wirkung der Eigentumspolitik auf die Struktur derStadt – sowohl die Zersiedelung durch die Eigenheim-förderung am Rande der Stadt als auch die Aufwertungdes Bestandes im Stadtzentrum – ist trotz der Zahlen imeuropäischen Vergleich für deutschte Städte nicht zuunterschätzen.Die Teilnahmemöglichkeiten in verschiedenen gesell-schaftlichen Bereichen haben sich in den letzten Jahrenfür einige Bevölkerungsgruppen erhöht, für eine grö-ßere Gruppe verringert. Letztere muss aufgrund ihrerökonomischen Ressourcen Nachteile im Wohnungs-markt hinnehmen. Der Staat kompensiert dieses Pro-blem nur bedingt.Segregation wurde durch wohnungspolitische Maß-nahmen sogar verstärkt. Der Rückzug aus dem sozialenWohnungsbau und die dadurch einsetzende Deregulie-rung im Wohnungssegment gelten als die Hauptfakto-ren für die Konzentration benachteiligter Menschen inbestimmten Quartieren.Ein Überdenken der Instrumente ist von Nöten, um ausdieser Sackgasse herauszufinden.

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3.2.2 Länderbeispiel Schweden: Wohnparadies mit Zulassungsbeschränkungen?

Gegenstand dieses Abschnitts ist die Darstellung vonSegregation in Schweden. Gibt es im „Volksheim“Schweden überhaupt sozialräumliche Ausgrenzung?Welche Bedeutung hat der Wohlfahrtstaat für das Aus-maß der Segregation? Wie gestaltet sich die Wohnungs-politik? Wie wohnen Menschen mit Migrationshinter-grund in diesem Land? Diese Fragen haben wir uns zuBeginn der Arbeit gestellt und werden sie im Folgendenbeantworten.Wir umreißen den schwedischen Wohlfahrtstaat undversuchen, dessen Einfluss auf das Ausmaß von Segre-gation zu verdeutlichen.

3.2.2.1 Die Bedeutung des Wohlfahrtsstaatesfür die Segregation

In Schweden hat der Staat eine intervenierende Rolleinne. Das bedeutet, dass er in vielen Politikbereichenaktiv eingreift. Diese Bereiche sind unter anderem derArbeitsmarkt, die soziale Sicherung, der Zugang zurBildung, die Gesundheitsvorsorge, die Einkommens- undauch die Wohnungspolitik. Der Staat besitzt also dieMöglichkeit, als ein Puffer gegen die Polarisierung inden Städten zu wirken. Er ist somit in der Lage,sozioökonomische Unterschiede aufzufangen.Musterd und de Winter (1988) stellen in ihrem Aufsatzdie These auf, dass ein universalistisch ausgeprägterWohlfahrtstaat wie der schwedische, ein geringeresAusmaß an sozioökonomischer Ungleichheit und Segre-gation aufweist. Tatsächlich ist in Schweden der Zusam-menhang zwischen der persönlichen Situation auf demArbeitsmarkt, der sozialen Situation und der Situationauf dem Wohnungsmarkt geringer, als in marktorien-tierten und deregulierteren Gesellschaften. Der Sozia-staat verringert mit seinen Leistungen das Gefälle zwi-schen dem Einkommen und den qualitativen Unter-schieden in der Wohnsituation. Schwedens Wohlfahrts-staat bietet universelle Leistungen an. Das heißt, jederStaatsbürger erhält dieselben Leistungen. Im Gegensatzzu Deutschland gibt es z.B. keine Trennung von sozialerSicherung für Erwerbstätige (Sozialversicherung) undfür Bedürftige (Sozialhilfeleistungen) (vgl. www. Sozial-politikvergleich.de).Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die umfassende Kinder-versorgung, die durch den öffentlichen Sektor bereitgestellt wird. Dies erleichtert alleinerziehenden Mütterdie Erwerbstätigkeit, da so das Berufsleben leichter mitder Kinderbetreuung zu vereinbaren ist.Daraus folgt, dass eine schwache Verbindung zwischendem Einkommen und der Qualität sowie dem Standortder Wohnung besteht (vgl. Mustered/de Winter 1988).Tatsächlich sind in Schweden die Einkommensunter-schiede und somit die Unterschiede zwischen Arm und

Reich gering. Das liegt zum Einen an dem allgemeinüberdurchschnittlich hohen Bildungsniveau und zumAnderen an den wohlfahrtsstaatlichen Leistungen. DerGini-Faktor1, der die Einkommensunterschiede misst,beträgt für Schweden 0,23 % und ist einer der kleinstenWerte unter den OECD-Ländern. Folglich ist der Segre-gations-Index, auf die sozioökonomische Dimensionbezogen, für Schweden auch sehr gering. Dabei spieltdie Entstehung des schwedischen Wohlfahrtstaates einebesondere Rolle, die wir nachstehend aufzeigen wer-den.

3.2.2.2 Die Entstehung des schwedischenWohlfahrtsstaates

Ein wichtiger Unterschied in der Entwicklung desWohlfahrtsstaates zwischen Schweden und dem rest-lichen Europa ist, dass die Entstehung des Sozialstaatesund der Prozess der Urbanisierung in Schwedenzeitgleich verliefen. Der Wohlfahrtstaat entwickelte sichnicht als Antwort auf die sozialen Probleme, die dieIndustrialisierung und Urbanisierung hervorbrachten,wie z.B. in Großbritannien und Deutschland. Dies istdarauf zurückzuführen, dass die Urbanisierung undIndustrialisierung später einsetzten als im übrigenEuropa. Man profitierte von den Erfahrungen deranderen Staaten und konnte so Fehler vermeiden. Nichtnur die industriellen Arbeitsplätze, sondern auch derWohlfahrtstaat selbst, zog die Landbevölkerung in dieStädte. Besondere Anziehungskraft hatten auch die nunentstandenen Arbeitsplätze im sozialen Dienst, beson-ders weil die Arbeitslosigkeit auf dem Lande größer warals in der Stadt. Diese wachsende urbane Bevölkerungwurde in neue Vororte und Satellitenstädte kanalisiert.Da sich die Entfernung zum Arbeitsplatz folglich verlän-gerte, bestand die Notwendigkeit zur Anschaffung einesAutos. Dies konnte jedoch lediglich mit einem zweitenEinkommen finanziert werden. Die Folge war eineIntegration der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Da dieFrauen nun nicht mehr im Haushalt arbeiteten, musstenTagesstätten für Kinder und Jugendliche bereitgestelltwerden. Gleichermaßen musste eine Sozialversicherungim Falle von Invalidität und Arbeitslosigkeit Sicherheitgarantieren, da andernfalls eine Investition in eineWohnung oder in ein Haus zu riskant für eine größereAnzahl der urbanen Bevölkerung gewesen wäre.Der Wohlfahrtsstaat garantierte die nötige Stabilität desEinkommens. Dabei sah das Universalitäts-Prinzip desschwedischen Sozialstaats vor, dass die Leistungen ingleichem Maße für die Stadt- und Landbevölkerung galt.Es gab z.B. nie eine ausgewiesene Stadtpolitik. Damitwurde vermieden, dass es zu einer unkontrolliertenMigration in die Städte und zu den damit verbundenen

1 Gini-Faktor: 0,0 = totale Gleichheit; 1,0 = totale Ungleichheit.

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Problemen kam, mit denen viele andere europäischeLänder zu kämpfen hatten.Dieser Prozess macht deutlich, welche große Bedeutungder Wohlfahrtstaat für die Formung der sozialen undräumlichen Struktur der Städte hatte. Die sich anschlie-ßende Frage ist: Gibt es noch weitere „schwedischeWege" in der Wohnungs- und Stadtplanungspolitik?

3.2.2.3 Besonderheiten der schwedischenWohnungspolitik

Die kleine Größe schwedischer Städte ist zum einenFolge der o.g. Quotierung der Migration und ergibt sichzum anderen aus der kleinen Bevölkerungszahl desLandes. Tabelle 3. 1 verdeutlicht dies.

Tabelle 3.1: Bevölkerungszahlen dergrößten schwedischen Städte (in Tausend):

Stadt Bevölkerung Prozentan Bevölkerung

Stockholm (Stadtgebiet) 1.520 18Stockholm 685 8Göteborg 434 5Malmö 237 2,7Uppsala 175 2

Hier erkennt man, dass weniger als 38% der schwedi-schen Bevölkerung in großen Städten wie Stockholm,Göteborg und Malmö wohnt. Im VerwaltungsbezirkStockholm wohnen die meisten Menschen jedoch inGemeinden, die in einem hohen Maße verstädtert sind(vgl. www.europa.eu.int).Das Ausmaß der staatlichen Interventionen im Bereichdes Wohnungsbaus ist im internationalen Vergleichhoch. Die Staatsausgaben für Wohnungspolitik betragenmehr als 3% des BIP (vgl.www.europarl.eu.int).Die schwedische Anti-Segregations-Politik bezieht sichauf die Prävention sozialräumlicher Ausgrenzung, umVerhältnisse wie z.B. in den USA zu verhindern. DiePolitik sieht eine Kombination von sozialer Wohnungs-politik, kooperativ und privat gemieteten Häusern sowieprivatem Wohneigentum vor.Ein bemerkenswerter Aspekt schwedischer Wohnungs-politik ist die Tatsache, dass es keinen ausgewiesenensozialen Sektor gibt. Anders als z.B. in Deutschland gibtes keine Sozialwohnungen. Die kommunalen Wohn-ungsbaugesellschaften sind allen Haushalten zugäng-lich. Das Prinzip der „tenure-neutrality“ sieht vor, dassalle Sektoren im gleichen Maß gefördert werden.Positive Folgen dieses Prinzips sind die Vermeidung vonSegregation und die Schaffung von hohen Wohnstan-dards für alle Teile der Bevölkerung. Allerdings wird der

Fokus nicht auf die Bevölkerungsgruppe gelegt, dietatsächlich bedürftig ist (vgl. McCrone/Stephens 1995).Die Festsetzung der Mietpreise unterliegt nur imgeringen Maß dem freien Markt. Die Mieten werden insozialpartnerschaftlichen Verhandlungen festgelegt. Siefungieren anschließend als Richtwert für den privatenMietwohnungssektor. Bei diesem Aushandlungsprozessverfügen die Mieter über weitgehende Mitbestimmungs-rechte.Des Weiteren entwickelte sich ein genossenschaftlicherSektor, der im Laufe der Zeit privatwirtschaftliche Zügeannahm und als Ersatz für die rechtlich nicht vorge-sehenen Eigentumswohnungen dient. Dieser Sektorbefriedigt v.a. die Bedürfnisse der Mittelschicht. Für alleWohnrechtsformen besteht bei einem unzureichendemEinkommen ein Anspruch auf Wohnbeihilfe (vgl. www.fgw.at).Der Stadtplanung kommt in Schweden eine besondereRolle zu, da sie als effektives und direktes Mittelangesehen wird, die allgemeinen Lebensverhältnisse zuverbessern. Die Regierung entwickelte Planungsgesetzeund baute gleichzeitig die Befugnisse der Kommunenaus. 1986 wurde die Gesamtzuständigkeit für Planungs-und Baumaßnahmen auf die Kommunalverwaltungenübertragen, was für Schweden als Zentralstaat mit derPrämisse der Gleichbehandlung aller Regionen äußerstungewöhnlich war. Zur gleichen Zeit haben sich dieStädte, allen voran Stockholm, auf eine besondere Artaktiv an der Stadtentwicklung beteiligt. Die Stadterwarb eine große Anzahl von Grundstücken. Dies ließihr durch die Erschließung und den Weiterverkauf dieserGrundstücke auch im Zusammenhang mit einem freienMarkt viel Einfluss in der Stadtplanung zukommen. DasZiel der Städte war jedoch nicht der Weiterverkauf,sondern es wurden Verpachtungskonzepte entwickelt,um die Kontrolle der öffentlichen Hand über dieStadtentwicklung zu sichern.In den 60er Jahren startete der schwedische Staat eineGroßoffensive als Antwort auf die Wohnungsnot. DasMillionenprogramm, welches von 1965-1975 lief, solltein zehn Jahren eine Million neue Wohnungen und damiteine Verbesserung des Qualitätsstandards schaffen.Diese Zahl hört sich im ersten Moment nicht besondershoch an, es ist jedoch zu beachten, dass Schweden eineGesamtbevölkerung von lediglich 8 Millionen hat. DieseInitiative kann, bezogen auf die baulichen Ziele, alsgeglückt bezeichnet werden. Die Wohnungsnot wurdegelindert und der Wohnungsstandard angehoben. DesWeiteren wurden 90% aller Wohnungen, die in dieserZeit gebaut wurden, mit staatlichen Anleihen finanziert.Die Wohnungen waren zwar groß, galten jedoch alseintönig und boten der Mittelklasse keine Möglichkeitsich abzugrenzen. Dem Prinzip der „Tenure-neutrality“folgend wurden nach der Beseitigung der WohnungsnotWohnungen aus öffentlichen Mitteln für diese Bevölke-rungsgruppe gebaut. In den 70er Jahren zogen vieleMitglieder der Mittelklasse aber wieder aus den Wohn-

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gebieten des Millionenprogramms aus, da die amStadtrande gelegenen Wohngebiete oft mit sozialenProblemen in Verbindung gebracht wurden. Die Folgewar, dass die sozioökonomische Segregation, die zuvoraufgrund des sozialen Wohnungsbaus abgenommenhatte, wieder zunahm.Man kann somit sagen, dass das Millionenprogrammeinerseits baulich erfolgreich war, da Probleme wieWohnungsnot und beengte Wohnverhältnisse gemindertwerden konnten. Andererseits ist das Programm letzt-endlich doch gescheitert, da seine Umsetzung prekäresoziale Folgen hatte. Durch die Monotonie und diedamit verbundene Unmöglichkeit einer schichtmäßigenAbgrenzung wurde eine soziale Mischung (vgl. Kap. 5.2)der Bewohner nicht erreicht und sogar die Entstehungvon Segregation forciert.Eine weitere Verstärkung von Segregation gab es durchden Beschluss, Preise für Innenstadtwohnungen mitDauerwohnrecht freizugeben. Dies führte dazu, dasssich die Bevölkerung der Innenstädte bevorzugt aus dengehobenen Gesellschaftsschichten rekrutiert. An dieserStelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass diesozioökonomische Segregation trotzdem nicht beson-ders stark ausgeprägt ist (vgl. Siegrist 1996).

3.2.2.4 Ethnische Segregation

Der ethnischen Segregation kommt in Schweden einebesondere Bedeutung zu. Dennoch gibt es zu ihrwenige Untersuchungen. Schweden hat sich lange Zeitals ein Land mit homogener Bevölkerung angesehenund deshalb wurden zumeist Forschung zur sozioöko-nomischen Segregation angestellt. Wie oben aufgezeigt,ist diese Form von Segregation aber eher gering. Wiesieht es jedoch mit der ethnischen Ausgrenzung aus?Aufschluss darüber gibt die Untersuchung vonAndersson (1998), der das Ausmaß von ethnischerSegregation in Schweden erforschte. Dabei berück-sichtigte er die größten Zuwanderungsgruppen (Finnen,Iraner, Iraker und Türken) und untersuchte, ob diesevon Segregation betroffen sind. In der linken Spalte derfolgenden Tabelle steht die jeweilige Bevölkerungs-gruppe, sowie der Zeitpunkt der Einwanderung. IS/DSsteht für den Segregationsindex, also das Ausmaß derSegregation. Ab einem Index von 50 liegt Segregationvor. Die rechte Spalte zeigt das Jahr der Erhebung an.

Tabelle 3.2: Segregationsindex dergrößten ethnischen Minoritäten in Schweden 1995:

14 Municipalities IS/ID YearForeign-born(before 1985) 25 1995

Foreign-born(after 1985) 47 1995

Turks(after 1985) 69 1995

Iraniens(after 1985) 58 1995

Iraquis(after 1985) 68 1995

Finns(before 1995) 30 1995

Finns(after 1985) 41 1995

(Quelle: Andersson, 1998)

Vor allem unter den Migranten, die nach 1985 einwan-derten, liegen die Werte über einem Index von 50 (aus-genommen sind hier die Einwanderer aus Finnland).Man kann somit von ethnischer Segregation in Schwe-den sprechen.

3.2.2.5 Schweden als Einwanderungsland

Schweden ist seit den 50er Jahren ein Einwanderungs-land. Der derzeitige Ausländeranteil liegt bei 12,4%.Voraussetzung für eine Einwanderung sind eine Arbeits-erlaubnis und ein Arbeitsplatz. Ausnahmen bildenFlüchtlinge und Familienangehörige. Die Zahl derMigranten wird quotiert, d.h. die Migranten werden überdas ganze Staatsgebiet verteilt. So soll eine Ghettoisie-rung verhindert und eine faire Verteilung unter denKommunen (Municipalities) gefördert werden. Diesgeschieht durch Abkommen, die zwischen dem Staatund den Municipalities geschlossen werden. Damitverpflichten sich die Gemeinden, eine bestimmte Anzahlvon Einwanderern aufzunehmen und für diese Dienst-leistungen bereitzustellen. Diese Dienstleistungen um-fassen das Organisieren von Sprachunterricht, Schulun-terricht für die Kinder und eine Unterbringung für dieFamilie. Des Weiteren soll versucht werden, die Migran-ten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Den Gemeindendrohen jedoch keine Sanktionen, wenn sie nicht an demAbkommen teilnehmen. Der Anspruch auf Sozialleistun-gen ist von einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigungabhängig (vgl. Linden/Lindberg 1991: 113ff.).In den 50er und 60er Jahren wanderten fast ausschließ-lich Arbeitskräfte aus Skandinavien oder anderen euro-päischen Staaten ein. Die Beschäftigungsquote (dasVerhältnis von Beschäftigung zur jeweiligen Bevölker-ungsgruppe) dieser Einwanderer lag aufgrund der florie-

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renden schwedischen Wirtschaft in diesem Zeitraumzeitweise höher als die der in Schweden geborenen.Dies galt vor allem für weibliche Migranten.1975 formulierte die schwedische Regierung eine Ein-wanderungspolitik, die auf drei Prinzipien aufgebaut ist:Gleichberechtigung, Wahlfreiheit und Mitwirkung.Seit Ende der 70er Jahre hat sich die Situation verän-dert. Es fand eine verstärkte Zuwanderung von Flücht-lingen aus nicht-europäischen Staaten statt. Wegen dergenerell schlechteren ökonomischen Lage sank dieBeschäftigungsquote von Einwanderern und ist bis zumheutigem Tage nicht wieder angestiegen.In den frühen 90er Jahren gab es eine Flüchtlingswelle,hauptsächlich von Menschen aus dem früheren Jugosla-wien. Gleichzeitig ist die Arbeitslosenquote in Schwedenangestiegen. Es gab also mehr Zuwanderung, aberweniger Arbeitsplätze.Anfang der 50er Jahre lag die Beschäftigungsquotenoch um 20% höher als die der Schweden, während sieEnde der Neunziger um 40% niedriger war als die dereinheimischen Bevölkerung. Dabei ist die Situation fürdie in den achtziger und neunziger Jahren eingereistenEinwanderer am schwierigsten - sie haben die schlech-testen Aussichten auf einen Arbeitsplatz.Die Gruppe der Zuwanderer ist sehr heterogen. Migran-ten aus anderen skandinavischen Ländern sind amwenigsten benachteiligt, während nicht-europäischenMigranten am meisten unter Benachteiligungen zuleiden haben (vgl. www.sverige.de).Trotz einer auf Integration ausgerichteten Einwan-derungspolitik arbeiten nicht-nordische Einwandererhäufiger im Hotel- und Gaststättengewerbe und ande-ren Bereichen der persönlichen Dienstleistung. Eineähnliche Situation besteht auch im Bauwesen. Diesdeutet auf eine ethnische Trennung und Diskriminierunghin, die sich auch in der Einkommensverteilung wider-spiegelt. Das durchschnittliche Einkommen von Migran-ten aus nicht-skandinavischen Ländern ist geringer alsdas der gebürtigen Schweden. Vor allem Einwandereraus Lateinamerika sowie Afrika und Asien erhaltenlediglich 78% des Durchschnittseinkommens einesmännlichen Schweden (vgl. www.eu-employment-observarory.net). Viele Ausländer haben außerdem garkeine Lohneinkünfte. Daraus lässt sich schließen, dasssich die Arbeitsmarktsituation für Ausländer verschlech-tert hat. Man kann eine direkte Verbindung zwischenethnischer Herkunft und Position auf dem Arbeitsplatzerkennen (vgl. www.eu-employment-observatory.net).

3.2.2.6 Wie wohnen Migranten in Schweden?

Migranten haben in Schweden einen niedrigeren Wohn-standard als gebürtige Schweden. Der Wohnstandard inSchweden ist jedoch im internationalen Vergleich allge-mein sehr hoch. Einwanderer verteilen sich anders überdie Stadt als die schwedische Bevölkerung. Deutlich

wird dies am Beispiel Stockholms. In dem VorortSpanga wohnen 25% aller Migranten , jedoch lediglich6,5% der einheimischen Stockholmer Bevölkerung.Die mehrstöckigen Miethäuser am Rande der Stadtweisen eine Überrepräsentation ausländischer Staats-bürger auf. Dies sind in der Regel die sog. Millionen-städte: Großraumsiedlungen, die durch einen Mangel anprivaten und öffentlichen Dienstleistungen, einemverarmten physischem Umfeld, einem niedrigen Ausbil-dungsstand sowie einem niedrigen Einkommen gekenn-zeichnet sind. In diesen Gebieten finden vor allemMigranten ihre Wohnungen. Diese Quartiere zeichnensich durch eine ansteigende Kriminalitätsrate und, alsFolge der eskalierenden ethnischen Segregation, immergeringere Schwedischkenntnisse der Bewohner aus (vgl.Linden/Lindenberg 1991: 101ff.). Migranten sind inVororten mit Einfamilienhäusern und in Altbaugebieten,in denen sich die Mittelklasse angesiedelt hat, unter-repräsentiert. In schwedischen Städten gibt es keineKonzentration ausländischer Staatsbürger in den Innen-stadtgebieten. Das ist u.a. das Ergebnis der Wohnungs-politik, die die Entstehung von Slums in den Altstadt-gebieten verhinderte. Die Bausubstanz ist gut und dieUmgebung sauber. Wohnungen in diesen Quartierensind aber trotzdem billiger als in den Vororten. DerGrund für die geringe Anzahl von Migranten in diesenQuartieren ist, dass die Wohnungen in diesen Gebietenzumeist unter der Hand vergeben werden. Die Mietenwerden in einem komplizierten Verhandlungssystemausgehandelt, bei dem Marktkräfte eine untergeordneteRolle spielen. Die Alteingesessenen werden von „YoungUrban Professionals“ abgelöst, die über Kontakte undGeld verfügen. Da das soziale, kulturelle und dasökonomische Kapital der Einwanderer, insbesondere derNeueinwanderer, gering ist, haben diese quasi keineMöglichkeit, in diese Wohnungen zu ziehen. Es gibt alsoeine Korrelation zwischen ethnischer Herkunft und derPosition auf dem Wohnungsmarkt.

3.2.2.7 Segregation als gesellschaftlichesProblem?

In Schweden gibt es also eine Verbindung zwischenEthnizität und dem sozialem Status. Ein großer Teil derethnischen Segregation von Migranten aus nicht-europäischen Ländern ist der sozioökonomischen Segre-gation unterworfen. Diese Bevölkerungsgruppe istschlechter bezahlt und hat eine weniger gute Ausbil-dung als die gebürtigen Schweden, die im Allgemeinenüber einen sehr hohen Bildungsstandard verfügen. Dergeringe Zusammenhang zwischen der Arbeitsmarktsitu-ation, dem sozialen Status und den Wohnverhältnissengilt in Schweden, trotz Regulierung, für nicht-europäi-sche Einwanderer weniger als für gebürtige Schweden.Man kann eine Verbindung zwischen Ethnizität, derWohnsituation und dem sozioökonomischen Status er-

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kennen. Das heißt, Menschen mit Migrationshintergrundhaben nicht dieselben Chancen auf dem Arbeits- undWohnungsmarkt wie Schweden.Die finanzielle Situation ist einer der wichtigsten Grün-de, warum Menschen von ethnischer Segregation be-troffen sind. Je weniger ökonomisches Kapital jemandbesitzt, desto weniger soziales Kapital kann er auf-bauen, und umso weniger Wahlfreiheit hat er bei derWohnungsfindung, da er weder über monetäre Ressour-cen noch über Kontakte, die ihm bei der Wohnungs-suche behilflich sein können, verfügt. Dies ist ein Kreis-lauf: Der schwache ökonomische Status und geringessoziales Kapital führen zu segregiertem Wohnen, dies zueiner Marginalisierung, die wiederum zu einer schlechte-ren physischen und psychischen Verfassung führenkann (vgl. Kap. 5.3), was wiederum die Aussichten aufeinen Arbeitsplatz und damit auf ökonomischen Erfolgerneut schmälert.Bemerkenswert ist, dass vor 1985 Eingewanderte einebessere Position auf dem Arbeitsmarkt haben als diespäter eingewanderten Migranten. Dies legt die Thesenahe, dass sich eine längere Aufenthaltsdauer positivauf den sozioökonomischen Status auswirkt. Dieskönnte wiederum damit zusammenhängen, dass sichdie schwedische Bevölkerung immer noch als homogenansieht und es für Migranten schwierig ist, sich in dieseGesellschaft zu integrieren. Man kann diesen Umstandjedoch auch so auslegen, dass ethnische Kolonien alseine Art Auffangbecken für Zuwanderer dienen, damitdiese sich sicherer fühlen. Dies wird erst problematisch,wenn daraus ein Dauerprovisorium wird, dem man nichtmehr entgehen kann.Abschließend lässt sich sagen, dass der allgemein hoheWohnstandard und die Regulierung der Mieten dieWohnsituation von Migranten nicht besorgniserregenderscheinen lässt. Das Problem darf jedoch keinesfallsausgeblendet werden, so lange es für Menschen mit Mi-grationshintergrund zu Zulassungsbeschränkungen aufdem Wohn- und Arbeitsmarkt kommt.

3.2.3 Segregation in den USA

US-amerikanische Städte unterscheiden sich in ihrerStruktur deutlich von europäischen Städten. Während inEuropa die Innenstädte häufig bevorzugte Wohngegen-den sind, bilden genau diese Gebiete in den USA dieverarmtesten Quartiere. Viel mehr noch als in Europaleben in den USA die Menschen in segregiertenGebieten. Neben der auf Wohlstandsunterschiedenberuhenden Segregation, zeichnen sich Quartiere in US-amerikanischen Städten auch durch ethnische Homo-genität aus, teilweise gehören über 90% der Bewohnereiner ethnischen Gruppe an. Oft sind die von Afroameri-kanern bewohnten Gegenden am stärksten von Armutund Benachteiligung gekennzeichnet.

Um Ursache und Folgen dieser extremen Segregationerklären zu können, muss man sowohl die Geschichte,besonders der Afroamerikaner, betrachten als auchgegenwärtige gesellschaftliche Bewegungen unter-suchen. Staatliche Intervention in Fragen der wohl-fahrtsstaatlichen Absicherung sowie die staatlicheFörderung auf dem Wohnungsmarkt sind ebenfalls vonBedeutung.Segregation in den USA ist stark von der Hautfarbeabhängig. Massey und Denton (1993) erklären Segre-gation in ihrem Buch „American Apartheid“ als eineVerknüpfung von rassistischen Einstellungen, Sozialver-halten und institutionellen Praktiken, die auch mit derEinführung des „Civil Rights Act“ nicht geendet hätten.Marcuse (1996) schließt sich dieser Meinung an undbetont, dass die Existenz von Rassismus die extremeForm der räumlichen Ausgrenzung in den USA erstmöglich macht, obwohl räumliche Ausgrenzung auchohne Rassismus zustande kommen könnte.Im Folgenden werden wir der Frage nach der Ent-stehung der sogenannten „new urban underclass“ undder damit einhergehenden Veränderung auf das Lebenin segregierten Quartieren nachgehen. Im zweiten Teilbetrachten wir anhand von Daten das Verhältnis vonArmut und Segregation. Im letzten Teil werden wir aufdie Geschichte der Stadtpolitik in den USA und neuerestadtpolitische Programme eingehen.Dieses Thema auf Deutsch zu diskutieren, birgt begriff-liche Schwierigkeiten. Um diese möglichst gering zuhalten, werden wir bei Begriffen zur Einstufung ethni-scher Zugehörigkeit jeweils die deutsche Übersetzungbenutzen. Wir möchten allerdings darauf hinweisen,dass wenn im Folgenden zum Beispiel von Afroameri-kanern die Rede ist, die beschriebenen Lebenssituati-onen auch auf Schwarze ohne amerikanische Staats-bürgerschaft zu treffen. Wir haben uns aber für denBegriff Afroamerikaner entschieden, da es uns wichtigist zu verdeutlichen, dass die benachteiligte Bevölke-rung nicht nur aus Neueinwanderern besteht, sondernzu einem großen Teil Staatsbürger sind.Für die Beschreibung von stadtpolitischen Programmenu.ä. werden wir allerdings die englischen Originalbe-griffe verwenden.

3.2.3.1 Der Einfluss der Tertiärisierung aufSegregation

Anfang des 20. Jahrhunderts emigrierte ein großer Teilder ehemaligen Sklaven aus dem ländlichen Süden derUSA in die Industriestädte des Nordens. Durch dieseWanderungen verwandelten sich kleinere afroamerika-nische Quartiere in den Städten des Nordens in große,segregierte Gebiete. Es entwickelten sich die ersteninnerstädtischen Ghettos. Sie glichen einer ‚Stadt in derStadt’, mit funktionierender Parallelökonomie undsozialen Netzwerken. Durch die Urbanisierung der Afro-

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amerikaner entstand bei ihnen erstmals das Gefühl, alsGruppe von der weißen Mehrheitsgesellschaft unab-hängig zu sein. Der Wunsch nach Protest gegenDiskriminierung verstärkte sich. Der Widerstand gegenräumliche Segregation allerdings blieb aus, da genaudiese räumliche Nähe der afroamerikanischen Bevöl-kerung auch ihre Stärke gab (vgl. Massey/Denton 1993:116).Die Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre trafAfroamerikaner besonders hart. Da sie überdurch-schnittlich oft im industriellen Sektor arbeiteten, ver-loren überproportional viele Afroamerikanern schon zuBeginn der Krise ihre Arbeit. Die Segregation zog soeine Konzentration von Armut nach sich.

„Geographically concentrated poverty is built into theexperience of urban blacks by racial segregation”(ebd.: 118).

Die Situation verbesserte sich erst mit dem wirtschaft-lichen Boom der 1950er Jahre, der für alle Amerikanereine Verbesserung der Lebensqualität mit sich brachte.Die Verabschiedung des „Civil Rights Act“ von 1964 (derrechtlichen Gleichstellung von Afroamerikanern), ver-besserte die Situation zusätzlich. Erstmals gab es,zumindest auf dem Papier, Chancengleichheit und damitdie Möglichkeit zum sozialen und finanziellen Aufstieg.Die Änderung des „Immigration Acts“ im Jahre 1965 zogeinen Schlussstrich unter die Bevorzugung von Immi-granten aus Europa und sorgte so für eine vermehrteEinwanderung von Asiaten und Lateinamerikanern.Diese siedelten sich häufig in urbanen, afroamerika-nischen Quartieren an und sorgten so für größereHeterogenität. Heute setzt sich die amerikanischeGesellschaft aus 69,1% Weißen, 13% Schwarzen 12,5%Latinos und 4,5% Asiaten zusammen. Die Ureinwohner,Indians, machen nur noch einen kleinen Anteil von 1%der Gesamtbevölkerung aus (vgl. www.census.gov).Segregation ist also kein neues Phänomen. In denletzten 30 Jahren hat sich allerdings eine neue Formsozialräumlicher Segregation entwickelt. Seit den 70erJahren ist eine Reduktion des Industriesektors beigleichzeitigem Anwachsen des Servicesektors zu ver-zeichnen. Hintergrund dieses Tertiärisierungsprozessesist die rasante technologische Entwicklung: Mehr undmehr Arbeitsplätze werden durch Maschinen ersetzt,während parallel Industrien ihre Standorte aus denStädten ins billigere Umland oder gleich ins Auslandverlagern. Der wachsende Dienstleistungssektor benö-tigt Arbeiter mit hohem Ausbildungsgrad oder bietetunqualifizierte Niedriglohnarbeit, welche die schwinden-den Industriearbeitsplätze einkommensmäßig nicht er-setzten kann. Dieser gesellschaftliche Wandel wird auchmit dem Begriff Postfordismus belegt (vgl. Marcuse1996). Der Fordismus hatte sich durch industrielleMassenproduktion, Massenkonsum und wohlfahrtsstaat-liche Absicherung ausgezeichnet, frei nach demGedanken „Geld muss zur Verfügung stehen, um ausge-geben zu werden“. Im Postfordismus dagegen ver-

schwand die industrielle Massenproduktion zunehmend,genauso wie wohlfahrtsstaatliche Sicherungen, die einLeben unabhängig vom Arbeitsmarkt ermöglicht hatten.Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt wurden nunverringert und die Deregulierung der Märkte vorange-trieben. Die Umstrukturierung hat zu vermehrter Teil-zeitarbeit und einer Polarisierung des Einkommensgeführt. Häufig ist ein ungelernter Industriearbeiter, dervorher ein akzeptables Gehalt bezog, nun gezwungen,eine Arbeit anzunehmen, deren Entlohnung weder dasÜberleben sichert noch Sozialleistungen bietet. Da inden USA Industriearbeitsplätze überproportional häufigmit Afroamerikanern besetzt waren, führte die Um-strukturierung des Arbeitsmarktes besonders in dieserGruppe zu weniger Verdienst bzw. Arbeitslosigkeit.Wenn ein Konjunkturumschwung für weniger Einkünfteund Arbeitsplatzverlust sorgt, werden arme Gebietenoch ärmer und ihre Bewohner geraten in soziale Iso-lation. Hier gilt, je ausgeprägter die Segregation, destogeringer die Zahl der Wohngegenden, die von derökonomischen Flaute betroffen sind und destoschlimmer die Auswirkungen der Abwärtsspirale für diesegregierten Bezirke.Während zuvor die Menschen „nur“ arm waren, ent-wickelte sich seit den 1970ern eine Form der dauer-haften Ausgrenzung (vgl. Wilson 1987). Segregationbedeutet nicht mehr nur die rein räumliche Trennungverschiedener Gruppen. Mit den ökonomischen Verän-derungen der letzten drei Jahrzehnte hat sich Segre-gation zu einer sozialräumlichen Spaltung der Gesell-schaft transformiert, in der eine Gruppe dauerhaft vomArbeitsmarkt ausgeschlossen ist und in isoliertenArmutsgebieten lebt. Diese Mischung aus Arbeitslosig-keit und sozialräumlicher Ausgrenzung wurde bekanntunter dem Begriff „new urban underclass“ (vgl. ebd.).Die Tertiarisierung und ihre Folgen bieten Erklärungenfür Armuts- und Arbeitslosigkeitsquoten, doch für dasAusmaß von Ausgrenzung und Segregation und dieTatsache, dass die „urban underclass“ fast ausschließ-lich aus Afroamerikanern besteht, müssen weitereFaktoren mit verantwortlich sein (vgl. Massey/Denton1993).

“For the Ghetto is not simply a spatial entity, or amere aggregation of poor families stuck at the bottomof the class structure: it is uniquely racial formationthat spawns a society- wide web of material andsymbolic association between colour, place and hostof negatively valued social properties” (Waquant1996: 243).

3.2.3.2 Die Folgen für innerstädtische Quartiere

Mit dem „Civil Rigts Act“ 1964 sollte Gleichberechtigungfür Afroamerikaner geschaffen werden. Durch dasgesetzliche Ende der Diskriminierung bestand die Mög-lichkeit zur besseren Ausbildung und zum finanziellen

Segregation – Das zentrale Problem

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Aufstieg. Als sich in den 1970er Jahren die Arbeits-marktsituation zu verschlechtern begann, hatte ein Teilder Afroamerikaner sich soweit finanziell verbessert,dass er die innerstädtischen Ghettos verlassen konnte.Während diese afroamerikanische Mittelklasse aus deninnerstädtischen Gebieten verschwand, blieb eine armeund mehr und mehr isolierte Gruppe zurück. Wenn dieMittelklasse wegzieht, hat dies allgemein zur Folge, dassWohngebiete homogener und ärmer werden. Die Folgedaraus ist, dass Geschäfte schließen, Banken weg-ziehen, Institutionen verschwinden und die Infrastrukturhäufig weitgehend zusammenbricht. In den Städten derUSA sind es hauptsächlich von Afroamerikanern, undheute vermehrt auch von Latinos, bewohnte Quartiere,die dieser Abwärtsspirale ausgesetzt sind. Anders als inEuropa befinden sich Armutsgebiete nicht am Stadt-rand, sondern in den Innenstädten. Wer es sich leistenkann, zieht in die eher ländlichen Gebiete am Stadtrand,die „suburbs“. Dies ist zurückzuführen auf eine vomStaat geförderte Politik der Suburbanisierung in Verbin-dung mit dem Niedergang der industriellen Kernstadtnach dem Zweiten Weltkrieg. In suburbanen Gebietenlassen sich neben Ein-Familienhäusern und einem gutausgebautem Straßennetz auch „lebensvereinfachende“Institutionen finden, wie Shoppingcenter, Freizeitparksetc., welche man von der Innenstadt nur schwererreichen kann.Deutlich wird hier, dass die Entscheidung über denWohnort nicht immer durch persönliche Präferenzengetroffen wird. Vielmehr ist die Entscheidung abhängigvom Kapital des Haushaltes und Angeboten des Wohn-ungsmarktes. Nur wer genügend Kapital zur Verfügunghat, kann nach seinen individuellen Präferenzen leben.Der Erfolg auf dem Arbeitsmarkt wirkt also direkt aufdie individuellen Wohnmöglichkeiten ein. PersönlichePräferenzen nehmen ab und die Bedeutung von Ange-boten zu, je weniger Kapital ein Haushalt zur Verfügunghat.Die innerstädtischen Armutsgebiete sind weitgehendvon Wirtschaftskreisläufen und sozialen Systemen derrestlichen Stadt abgekoppelt. Durch eine Mischung ausArmut, Diskriminierung und Segregation entstehenstrukturelle Barrieren zum Rest der Gesellschaft, man-gelnde Strukturvielfalt führt zu Perspektivlosigkeit undfehlenden Lebenszielen (vgl. Schneider-Sliwa 1996: 38).Es fehlen Möglichkeiten, Kompetenzen zu erwerben,welche für ein gesellschaftliches Vorankommen unab-dingbar sind. Stattdessen werden die eigenen Grenzenanalog zu den Grenzen des sozialen Umfeldes festgelegtund internalisiert (vgl. ebd.: 27). Das soziale Umfeldprägt das eigene Handeln und bestimmt das Handelngegenüber anderen. Durch das fehlende Zugehörig-keitsgefühl zum Rest der Gesellschaft werden gesell-schaftlich akzeptierte Normen und Verhaltensweisennicht erlernt. Besonders für Heranwachsende ist es aberwichtig, Verhalten von Erwachsenen zu beobachten undzu erlernen. Wenn aber z.B. niemand in der Umgebung

einem geregelten Alltag nachgeht, beeinflusst das dieWahrnehmung von Jugendlichen. Dies bedeutet nicht,dass Ghetto-Afroamerikaner keine Träume oder Idolehaben. Doch ist das Erlernen bestimmter gesellschaft-lich akzeptierter Normen und Verhaltensweisen essenti-ell, um z.B. bei Vorstellungsgesprächen Erfolg zu haben.Es geht hier nicht darum, dass die „Normalgesellschaft“die „richtigen“ Normen und Werte beherrscht undMenschen aus den Armutsvierteln nicht. Allerdings sinddie generell anerkannten Normen und Wertevorstel-lungen beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt struktur-bildend.

„Ghetto blacks in America suffer from conjugatedstigmatisation: they cumulate the negative symboliccapital attached to colour and to consignment in aspecific, reserved and inferior territory itself devaluedfor being both the repository of the lowest classelements of society and racial reservation. In a racedivided society such as the United States where allspheres of life are thoroughly colour-coded, the bestone can do is make a virtue of necessity and learn tolive with a stigma“ (Waquant 1996: 244).

Peter Marcuse (1996) spricht von einem postfordis-tischen Ghetto, ein Ghetto, in dem ein Gefühl von abso-luter Ausgeschlossenheit entsteht, ausgeschlossen vondem ökonomischen und sozialen Ganzen, von dem maneigentlich Teil sein sollte. Räumliche Segregation istdennoch unweigerlich mit ökonomischer Abhängigkeitverbunden, wobei im Ghetto von heute die räumlicheAusgrenzung erschwerend hinzukommt. Dennoch adap-tieren auch diese Gruppen die Normen und Werte derMehrheitsgesellschaft, viele Bewohner der Ghettos glau-ben beispielsweise an den amerikanischen Grundsatz,dass es mit harter Arbeit jeder schaffen kann (vgl.Wilson 1996: 67).Segregierte Armutsgebiete konzentrieren die Folgensozialer Probleme wie z.B. öffentliches Trinken vonAlkohol, welches in den USA verboten ist. Ein unge-pflegtes Umfeld geht häufig einher mit baulichem Ver-fall und höheren Kriminalitätsraten, was diese Gebietein der öffentlichen Meinung zu unsicheren Orten werdenlässt. Baulicher Verfall sowie von der Mehrheitsgesell-schaft abweichendes Verhalten gehen nicht konform mitdem was als eine „gute“ Wohngegend angesehen wird.Eine als „gut“ angesehene Wohngegend, muss nebeneiner funktionierenden Infrastruktur und in Stand gehal-tenen Häusern auch ein Umfeld bieten, in dem dieMehrheitsgesellschaft ihre erlernten Verhaltensweisenwiedererkennt.

3.2.3.3 Der Einfluss von Segregation aufAusbildung

Der Wohnort hat, besonders in den USA, direktenEinfluss auf die Schulausbildung. Während Eltern derMittelklasse ihre Kinder entweder auf eine Privatschule

Segregation – Das zentrale Problem

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schicken oder rechtzeitig in eine Wohngegend mit einerguten öffentlichen Schule ziehen, haben Familien inArmutsgebieten keine andere Wahl, als ihr Kind dievorhandene öffentliche Schule im Wohnbezirk besuchenzu lassen. Sozialräumliche Segregation führt dazu, dassbesonders Afroamerikaner und Latinos Schulen besu-chen, in denen zwei drittel der Schüler aus Haushaltenkommen, die unter bzw. an der Armutsgrenze leben(vgl. Oakley/Stockwell 2002).

„Blacks unemployment is also related to educationalperformance. A disproportional large number of blackstudents today are not developing the cognitive skillsthat are necessary to function effectively in today’sworkplace” (Thernstorm/Thernstorm 1997: 255).

1968 wurde die Schulsegregation offiziell beendet,welche Afroamerikanern verbot, die selben Schulen wieweiße Kinder zu besuchen. Danach wurden vom„Federal Government“ Desegregationspläne eingeführt.Kinder aus benachteiligten Wohngegenden sollten z.B.in die weiter entfernt liegenden ‚besseren’ Schulentransportiert werden (das sogenannte „bussing“), eswurde ein Quotensystem eingeführt, das die ethnischeZusammensetzung in Schulen regulieren sollte sowieProgramme zur finanziellen Unterstützung benachteilig-ter Kinder ins Leben gerufen. Doch die Situation an denöffentlichen Schulen ist weiterhin schlecht und wird sichdurch einen partiellen Transfer der wenigen finanziellenMittel auch wenig verbessern. Viele Kinder an den staat-lichen Schulen leben an der Armutsgrenze und tragensoziale Probleme mit in das Klassenzimmer, die von denLehrern nur unzureichend bewältigt werden können.

Tabelle 3.3: Anteil von Schülern unterschiedlicherethnischer Herkunft in Privat- oder öffentlichen Schulenin den 40 größten Einzugsgebieten der USA, 2001:

Privatschulen Öffentliche SchulenAlle 10% 90%Weiße 31% 69%Afroamerikaner 10% 90%Latinos 12% 88%

(Quelle: Reardon, 2003)

Diese Zahlen fallen desto mehr ins Ungleichgewicht, jegrößer der Anteil der Schwarzen Bevölkerung in demjeweiligen Gebiet ist (vgl. Reardon 2003). Beim Betrach-ten dieser Zahlen muss man außerdem bedenken, dassviele der weißen Kinder in den „suburbs“ leben undöffentliche Schulen dort einen anderen Status als in deninnerstädtischen Gebieten haben.Eine gute Schulausbildung ist für den Arbeitsmarkt vonheute wichtiger als je zuvor. Da sozialräumliche Segre-gation Schulsegregation nach sich zieht, sind armeHaushalte nicht nur durch ihren Wohnort benachteiligt,

sondern auch in ihren Möglichkeiten eingeschränkt,ihren Kindern eine gute Ausbildung zu gewährleisten.Hier gilt, je ausgeprägter die sozialräumliche Segrega-tion, desto weniger Möglichkeiten hat eine Familie zurAuswahl der Schule. Die Familien mit mehr Geld ziehenin ein Quartier mit besseren Schulen. Der arme Haus-halt hingegen hat keine Wahl, sondern wohnt, wo er esbezahlen kann.

3.2.3.4 Zwischenfazit

Segregation wird zum Einen durch Einkommensunter-schiede verursacht. Zum Anderen lassen sich in denUSA „Klassenunterschiede“ sehr gut anhand der Haut-farbe festmachen. Nur ein kleiner Teil der Afroameri-kaner hat bis heute den Aufstieg in die Mittelklassegeschafft. In einer von der weißen Mehrheitsgesell-schaft dominierten Gesellschaft ist die Abwehr gegen-über der afroamerikanischen Bevölkerung immer nochgroß. Abwehr und Rassismus speisen sich in diesemFalle aus dem Interesse der weißen Mehrheitsgesell-schaft an der Absicherung ihrer Machtstellung undreproduzieren sich über die vermeintlichen individuellenÄngste der weißen Bevölkerung. So ist das VertrauenWeißer in heterogene Wohngegenden gering und dieDiskriminierung von Afroamerikanern auf dem Arbeits-und Wohnungsmarkt hoch (vgl. Massey/Denton 1993).Afroamerikaner sind somit doppelt diskriminiert. ZumEinen sind sie durch ihre sozioökonomische Situationauf schlechte Wohngebiete und Schulen verwiesen unddadurch in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. ZumAnderen haben sie, auch wenn sie ökonomisch denAnschluss an die Mehrheitsgesellschaft schaffen, größe-re Probleme, als Teil der Mittelklasse akzeptiert zuwerden als jeder Weiße in der gleichen Situation.Die Theorie der „urban underclass“ spricht von einerSpaltung der Gesellschaft, die sich in den letzten dreiJahrzehnten, neben den Wohlstandsunterschieden, vorallem durch räumliche Segregation noch verstärkt hat.Im Folgenden werden die Faktoren Armut und Segre-gation gegenüber gestellt. Für jede ethnische Gruppewerden Armuts- und Segregationsraten verglichen.Anhand dieser Daten wollen wir beweisen, dass die„urban underclass“ tatsächlich hauptsächlich aus Afro-amerikanern besteht, diese also häufiger in Armutgeraten und in größerer Gefahr schweben, in segre-gierten Armutsgebieten wohnen zu müssen.

3.2.3.5 Armut in den USA

In den USA ist offiziell arm, wer ein Einkommen unterder staatlich festgelegten Armutsgrenze hat. Im Jahre2001 lag diese für einen Ein-Personen Haushalt beieinem jährlichen Einkommen von $ 9.359. Alleinerzieh-ende Mütter mit zwei Kindern gelten als arm, wenn sie

Segregation – Das zentrale Problem

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weniger als $ 14.494 jährlich zur Verfügung haben. AlsArmutsgebiet gilt eine Wohngegend, wenn mindestens20% der Anwohner unterhalb der Armutsgrenze leben(vgl. www.census.gov).Der US-amerikanische Staat bietet wenig wohlfahrts-staatliche Absicherungen. Der Zeitraum für einen An-spruch auf Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld ist generellkürzer als in Deutschland und von Bundesstaat zuBundesstaat unterschiedlich. Sozialpolitische Regulie-rungen sind kaum bundesgesetzlich abgesichert. Es gibtkeine umfassende Familienpolitik oder Kindergeld.Familienleistungen sind abhängig vom Einzelstaat undauf bestimmte Problemlagen ausgerichtet (vgl.Murswieck 1998).Von 1970 bis 1990 stiegen die Armutsrate und dieKonzentration von Armut generell an, besonders aber ininnerstädtischen Gebieten. Die Anzahl von armen Perso-nen in Armutsgebieten stieg um 50% an. Während dieArmutsrate bei Weißen in diesem Zeitraum um 24%wuchs, steigerte sie sich in der Gruppe der Afroameri-kaner im gleichen Zeitraum um 164%, d.h. fast dassiebenfache (vgl. Wilson 1986: 46). Zur Erhöhung derArmutsquote haben stagnierende Löhne und die Terti-ärisierung beigetragen. Durch die Polarisierung des Ein-kommens seit den 1970ern hat es eine Verschiebungdes Reichtums gegeben. Der Anstieg von Armutskon-zentrationen hängt aber zusammen mit dem Wegzugder Mittelklasse aus innerstädtischen Gebieten. Durchden Auszug der nicht-armen Bevölkerung vergrößertsich die Isolation für die Zurückgebliebenen. Dennverbunden mit dem Wegzug der Mittelklasse ist einZuzug von Armen in diese Quartiere.Seit Anfang der 1990er Jahre ist eine Verringerung derArmut und auch der Armutskonzentration sichtbar.Während des letzten Jahrzehntes ist die Zahl der Per-sonen, die in Armutsgebieten mit einer Armutsrate vonüber 40% leben, um 24% gesunken (vgl. Jargowsky2003: 4).

Tabelle 3.4: Veränderungder Armutsrate in den USA von 1994 bis 2001:

1994 2001Gesamt 14.5% 11.7%Afroamerikaner 30.4% 22.7%Weiße 11.7% 9.9%Latinos 30.7% 21.4%

(Quelle www.census.gov 2003)

Afroamerikaner sind trotz der sinkenden Armutsratendie am stärksten vertretene Gruppe in Armutsgebieten.Durch vermehrte Einwanderung aus Lateinamerika istdie Gruppe der Latinos in den letzten 10 Jahren um

57.9% gewachsen, was ihren Anstieg an Bewohnern inArmutsgebieten um 1.6% erklärt (vgl. Jargowsky 2003: 4).Die Armut ist am größten im Süden und im Westen, dieStaaten mit der höchsten Armutsrate sind Mississippi(19.5%) und Arkansas (18.3%) (vgl. www.census.gov).Die ärmsten Städte befinden sich jedoch alle außerhalbdieser Staaten und ihre Armutsquote übersteigt dienationale Quote teilweise um das Doppelte. Die Stadtmit der höchsten Armutsquote ist Houston, Texas(28.4%), gefolgt von Detroit, Michigan (21,2%) (vgl.ebd.). Bedenkt man hier die o.g. Umstrukturierungendes Arbeitsmarktes durch die Tertiärisierung, überraschtes nicht, dass die ärmsten Ballungszentren ehemalswichtige Industriestandorte sind und sich durch einengroßen Anteil von Minderheiten an der Bevölkerungauszeichnen.Die folgende Tabelle zeigt Armutsraten in Innenstädtenund urbanen Gebieten im Jahre 2000.

Tabelle 3.5: Armutsraten nach Wohnort und ethnischerHerkunft, USA, 2000:

National Innenstädte UrbaneGebiete

Gesamt 11.3% 16.1% 10.8%Afroamerikaner 22% 25.8% 21.2%Weiße 9.4% 13.2% 8.8%

(Quelle: www.census.gov)

Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Fami-lienstruktur und Armut, zu Ungunsten von alleiner-ziehenden Müttern. Verheiratete Paare haben durch dieAnwesenheit des Partners eine finanzielle Absicherung,während alleinerziehende Mütter im Falle von Arbeits-losigkeit schnell in Armut geraten können. Insbesondereunter Afroamerikanern gibt es eine hohe Anzahl allein-erziehender Mütter. 1995 lebten 85% der als armgeltenden afroamerikanischen Kinder in Familien ohneVater (vgl. Thernstorm/Thernstorm 1997: 236).

Tabelle 3.6: Armutsarten in Haushaltenmit bzw. ohne Kinder in den USA, 2000:

Verheiratetohne Kinder

Verheiratetmit Kindernunter 18

Alleinerziehendmit Kindernunter 18

Gesamt 5.6% 6.9% 35.1%

Weiße 5.3% 6.7% 29.1%

Afro-amerikaner 6.7% 7.1% 44.7%

(Quelle: www.census.gov)

Segregation – Das zentrale Problem

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Ursache für die hohe Zahl alleinerziehender Mütter ist,dass weniger geheiratet wird, insbesondere in derGruppe der Afroamerikaner. Grund dafür könnte einverändertes Lebenskonzept verursacht durch fehlendeFamilienstruktur sein, aber auch die hohe Arbeitslosig-keit unter afroamerikanischen Männern. Da afroameri-kanische Frauen durchschnittlich früher Kinder bekom-men als Weiße oder Latinas, führt dies zu einer großenAnzahl alleinerziehender Mütter, die sich nicht anjemanden binden wollen, der sie finanziell nichtunterstützen kann. 1995 hatten nur 50% der 18-65jaehrigen afroamerikanischen Männer einen Vollzeit-job, verglichen mit 75% der Weißen (vgl. Thernstorm/Thernstorm 1997: 241ff.). Erschwerend kommt hinzu,dass viele afroamerikanischen Männer im Gefängnissitzen. In US-amerikanischen Gefängnissen sitzen über-wiegend Schwarze, was nicht daran liegt, dass siegenerell kriminell werden, sondern die o.g. sozioökono-mischen Bedingungen ein Abrutschen in die Kriminalitätbegünstigen.Armut lässt sich unter anderem verringern durch dengezielten Einsatz staatlicher Leistungen. In den Verei-nigten Staaten aber wurde, wie in fast allen Ländern,parallel mit der o.g. Umstrukturierung des Arbeits-marktes, stark an wohlfahrtsstaatlichen Leistungen ge-kürzt. Das Kürzen oder Ausbleiben von staatlicherUnterstützung ist für jeden, der davon abhängig ist,existenzbedrohend. Durch die Sozialreform von 1996wurden viele der vorher einzeln verwalteten Sozialhilfe-bzw. Familienförderungsprogramme zusammengefasstund die finanzielle Unterstützung verringert. ZumBeispiel ist das aufwendigste Wohlfahrtsprogramm „Aidto Families with Dependent Children“ (AFDC) umbe-nannt worden in „Temporary Assistance for NeedyFamilies“ (TANF). Diese Umstrukturierung hatte zurFolge, dass Individuen, denen vorher eine Langzeithilfezustand, die sich an ihrem vorherigen Einkommenerrechnete, nun nur noch kurzzeitige finanzielle Unter-stützung gewährt wird. An diese Unterstützunggekoppelt ist die sofortige Suche nach einem Arbeits-platz. Meistens müssen die Empfänger Niedriglohnar-beitsplätze annehmen und verdienen damit oft wenigerals den Sozialhilfesatz. Neben „TANF“ sind die heutewichtigsten Programme „Medicaid“ (Krankenbeihilfe fürArme), „Food-Stamps-Programm“ (Ernährungsbeihilfe)„Supplemental Security Income“ (Einkommensbeihilfefür Alte, Blinde und Behinderte) (vgl. Murswieck 1998).

„Brutal cuts in federal funds for urban and communitydevelopment, the steady erosion of welfare payments,the shrinking of unemployment coverage, regressivetax schemes, and state and city policies of ‚plannedshrinkage’ have combined to unravel the web ofprogrammes that had helped sustain inner cityresidents since the days of the Great Society, resultingin a drastic degradation of the remaining publicfacilities…” (Waquant 1996: 254).

Durch die Dezentralisierung von Arbeitsplätzen in denletzten 30 Jahren gingen in allen innerstädtischen Ge-bieten Arbeitsplätze verloren, während im billigeren Um-land neue entstanden. Arbeitsplätze sind also von denpotentiellen Arbeitnehmern „weggezogen“. Denn poten-tielle Arbeitnehmer für den Industriesektor wohnenhäufig in innerstädtischen Gebieten. William Wilsonbezeichnet dies als ‚spatial mismatch’ (vgl. Wilson1996). Neben der Verlagerung des Industriesektors istdie eingeschränkte Mobilität ein weiteres Problem.Öffentliche Verkehrsmittel sind in den USA kaumvorhanden, viele Städte besitzen kein U-Bahnsystemund die wenigen vorhandenen Buslinien verkehrenselten und unregelmäßig. Fortbewegung findet fastausschließlich im Privatauto statt, es ist also fürMenschen ohne Auto quasi unmöglich, eine Arbeitsstelleaußerhalb der nähren Umgebung anzunehmen. Da aberbesonders in den innerstädtischen Armutsgebieten dieInfrastruktur schlecht und die Industrie längst abge-wandert ist, gibt es wenig Hoffnung auf eine Arbeitstellein der näheren Umgebung. So gibt es freie Stellen anOrten ohne Arbeiter, während Arbeitslose keine Mög-lichkeit haben, die freien Stellen zu besetzen. Insbeson-dere für alleinerziehende Mütter, aber auch für andereArme wären die Kosten für Transport, Kinderbetreuungetc. im Vergleich zu ihrem Verdienst viel zu hoch.

3.2.3.6 Regionale Ausprägungvon Segregation in den USA

Der Süden und der Westen des Landes sind bezüglichder Bevölkerungsstruktur heterogener als der Nordostenund der Mittlere Westen. Minderheiten leben häufiger ingroßen urbanen Gebieten, diese Gebiete sind auch stär-ker von Segregation betroffen. Das Ausmaß von Segre-gation ist allgemein geringer, wenn eine Minderheit nureinen Anteil von 5-10% der Population ausmacht. Jegrößer der Anteil einer Minderheitengruppe an derGesamtpopulation einer Stadt, desto ausgeprägter istdie Segregation (vgl. Logan 2001).Die Tabelle zeigt die ethnische Zusammensetzung ineinem durchschnittlichen städtischen Quartier.

Tabelle 3.7:Ethnische Zusammensetzung in durchschnittlichenstädtischen Nachbarschaften in den USA, 2001

Afro-amerikaner Latinos Asiaten Weiße

Afroamerikaner 51.4% 11.4% 3.3% 33%Latinos 10.8% 45.5% 5.9% 36.5%Asiaten 9.2% 17.4% 17.9% 54.0%Weiße 6.7% 7.9% 3.9% 80.2%

(Quelle: Lewis Mumford Center, 2001)

Segregation – Das zentrale Problem

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Der Dissimilaritäts Index2 zeigt, dass Segregation vonAfroamerikanern in den letzten 10 Jahren generellabgenommen hat. Er sank von 73 Punkten 1990 auf 64Punkte im Jahre 2000 (vgl. Iceland 2002:3). Währendder Index in Gegenden mit nur 5% Afroamerikanern inden letzten 20 Jahren um 12 Punkte fiel, sank er inGegenden mit über 20% Afroamerikanern nur um 6Punkte (vgl. Logan 2001). Afroamerikaner werden amstärksten in Detroit, Michigan (Index von 85), Milwau-kee, Wisconsin (82) und New York, New York (82)segregiert. Segregation konnte am stärksten in Floridaverringert werden, wo sich der Index in einigen Städtenum bis zu 17 Punkten verringerte. (West Palm Beach,Florida 84 in 1980/67 in 2000) (vgl. Logan 2001).Die Städte mit einem hohen Segregationsindex sindehemals große Industriestandorte. Die Segregationkönnte im Zusammenhang stehen mit einer Vergrößer-ung der Arbeitslosigkeit und einer dadurch ebenfallssteigenden Armut, insbesondere in der Gruppe derAfroamerikaner, die überproportional häufig in diesenJobs tätig waren.Demographische Veränderungen sind ein Erklärungsan-satz für die Verringerung von Segregation. Afroameri-kaner der Mittelklasse ziehen vermehrt in von Weißenbewohnte `suburbs’. Des weitern fand im letzten Jahr-zehnt eine Binnenmigration von den stark segregiertenStädten des mittleren Westens, in den weniger segre-gierten Westen und Süden des Landes statt. Die schnellwachsende Gruppe der Latinos siedelt sich vermehrt inden innerstädtischen, afroamerikanischen Gebieten anund tragen so zu größerer Heterogenität bei (vgl.Iceland 2002). Doch die Verringerung von Segregationdurch den Zuzug armer, anderer ethnischen Gruppen,kann wohl kaum zur qualitativen Verbesserung desQuartiers beitragen.In der Betrachtung des Dissimilaritäts Indexes sindWeiße die am zweit stärksten segregierte Gruppe. Ichwill an dieser Stelle allerdings nicht näher darauf ein-gehen, da Segregation von Weißen im Allgemeinenfreiwillig stattfindet. Wie schon vorher bemerkt, geratenWeiße generell seltener in Armut und sind daher auchweniger häufig von unfreiwilliger Segregation betroffen.Die Abgrenzung erfolgt zum einen durch die unter-schiedlichen finanziellen Voraussetzungen, aber auchdurch die rassistische Abneigung gegenüber Afroameri-kanern und anderen Minderheiten. Zum Beispiel zeigenUntersuchungen, dass das Abgrenzungsverhalten vonWeißen bei der Anwesenheit von Afroamerikanern imBezirk stärker ausgeprägt ist als bei dem Zuzug vonLatinos und asiatischstämmigen Amerikanern (vgl.Iceland 2002, Massey/Denton 1993). Diese Abgrenzung

2 Der Dissimilritäts Index zeigt das Ausmaß von Segregation an. Erreicht von 0 bis 100, wobei 0 eine nicht segregierte Stadt und 100eine komplett segregierte Stadt wäre. Reicht der Index über 60Punkte wird Segregation als groß angesehen, sinkt er unter 30 istSegregation klein.

beeinflusst die Handlungsmöglichkeiten von Minderhei-ten.Die Gruppe der Latinos wuchs in den letzten 20 Jahrenvon einem Anteil von 6,4% an der Gesamtbevölkerungauf 12,5% an und ist kurz davor die größte Minderheitder Vereinigten Staaten zu werden. Insgesamt stieg derDissimilaritätsindex bei Latinos leicht an. Den größtenAnstieg der Segregation von Latinos gab es in dengroßen urbanen Gebieten, die einen deutlichen Zuwachsdieser Gruppe hatten. Dies geschah vor allem imWesten der USA; die meisten Latinos leben in Kalifor-nien und Texas, aber auch der New York/New JerseyRegion. New York ist seit zwei Jahrzehnten die Stadt mitdem höchsten Segregationsindex für Latinos (67),gefolgt von Newark, New Jersey (65) (vgl. Logan 2001).Die Veränderung des Indexes lässt sich ebenfalls mitinter-regionalen Bewegungen erklären. Beobachtet wer-den konnte zwar, dass sich Neueinwanderer in vonSegregation weniger betroffenen Gegenden ansiedeln,doch durch die großen Einwanderungswellen der letztenJahrzehnte hat dies zur Entwicklung von segregiertenQuartieren in diesen Gebieten geführt (vgl. Iceland2002).95,1% der asiatischstämmigen Bevölkerung in den USAleben in urbanen Gebieten, der größte Teil von ihnenlebt im Westen oder in der New York City Region. DerIndex für asiatischstämmige Amerikaner ist in den letz-ten zwei Jahrzehnten leicht angestiegen. Am stärkstensegregiert leben asiatisch-stämmige Amerikaner in NewYork, New York (51) und Stockton, Kalifornien(50) (vgl.Iceland/Steinmetz 2003). Genau wie bei Latinos ist dieSegregation genau in den Gebieten angestiegen, dieeinen großen Zuzug von Asiaten zu verzeichnen hatten.Durch diese demografischen Veränderungen konnteSegregation in den vorher stark segregierten Gegendenverringert werden. Die zwei großen Chinatowns liegenin New York City und San Francisco, beide Städte habenverhältnismäßig hohe Segregationsindexe (51 und49)(vgl. Logan 2001). Trotz der Existenz von sehr starksegregierten Gebieten wie Chinatown, ist die Gesamt-gruppe der asiatischstämmigen Bevölkerung die amwenigsten segregiert lebende Minderheit in den USA(ebd.).Auch in den `suburbs’ findet Segregation statt. Dochdas Problem der sozial-räumlichen Spaltung ist dortweniger eklatant und die Segregation zwischen Minder-heiten und Weißen nicht so stark ausgeprägt. ArmeHaushalte siedeln sich tendenziell nicht in `suburbs’ an,daher kämpfen diese nicht mit den gleichen sozialenProblemen wie innerstädtische Bezirke. Obwohl in denletzten 10 Jahren vermehrt Minderheiten in die`suburbs’ ziehen konnten, leben dort nach wie vorüberproportional viele Weiße.

Segregation – Das zentrale Problem

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3.2.3.7 Zum Verhältnisvon Armut und Segregation

An den Daten erkennt man, dass es einen engenZusammenhang zwischen Armut und Segregation gibt.Je ärmer ein Haushalt ist, desto weniger Möglichkeitenhat er, nach seinen eigenen Präferenzen zu leben. Viel-mehr ist ein armer Haushalt von den Angeboten desMarktes bzw. der staatlichen Förderung abhängig.Die Armutsraten haben gezeigt, dass Minderheiten ingrößerer Gefahr leben, in Armut zu geraten als Weiße.Die Zahlen zeigen des Weiteren, dass unter den Minder-heitengruppen Afroamerikaner in der größten Gefahrschweben in Armut zu geraten und in segregiertenArmutsgebieten leben zu müssen. Insgesamt konntezwar eine Verringerung von Segregation zwischenSchwarzen und Weißen festgestellt werden, währendder Segregationsindex von Latinos und der asiatisch-stämmiger Bevölkerung in den letzten 20 Jahren ange-stiegen ist. Trotzdem leben Afroamerikaner weiterhinsegregierter und isolierter als jede andere Minderheit inden USA (vgl. Iceland 2002). Afroamerikaner leben inhäufig in isolierten Armutsgebieten, in denen sie auf dieo.g. Probleme der Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkei-ten treffen, sowie auf das genannte Problem derMobilität.Durch die vermehrte Einwanderung von Latinos undAsiaten in den letzten 20 Jahren, gibt es in dieserGruppe viele Neueinwanderer ohne Staatsbürgerschaftund Arbeitserlaubnis. Neueinwanderer müssen im Ge-gensatz zu Staatsbürgern mit Einschränkungen auf demArbeitsmarkt leben, die es ihnen erschweren, ihrenLebensunterhalt zu sichern. Viele Afroamerikaner lebenschon seid Generationen in den USA und sind damitStaatsbürger. Sie sollten also in einer privilegiertenPosition gegenüber anderen Minderheiten sein. Statt-dessen stellt Segregation und Armut für Afroamerikanerein größeres Problem dar als für jede andere Minder-heitengruppe. Dies deutet darauf hin, dass Segregationnicht nur durch ökonomische Faktoren verursacht wird,sondern auch durch Ausgrenzung einer Gruppe. Inter-essant wäre hier zu fragen ob sich Segregation verrin-gert hätte, wenn das Einkommen von Afroamerikanernseit den 1970ern kontinuierlich gestiegen wäre. Masseyund Denton (1993: 85) betonen: „no matter how muchblacks earned they remained spatially separated fromwhites. In 1980, as in the past, money did not buyentry into white neighborhoods of American cities.”Wir schließen uns dieser Meinung an: Für die Segrega-tion von Afroamerikanern sind vor allem gesellschaft-liche Diskriminierung und Rassismus verantwortlich zumachen. Die o.g. Benachteiligung im Schulsystem führtzu verringerten Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt.Misserfolge auf dem Arbeitsmarkt führen in die Armut.Die dargestellten Armuts- und Segregationsraten zei-gen, dass die Gruppe der Afroamerikaner tatsächlich diebenachteiligste Minderheitengruppe ist. Diese kollektive

Benachteiligung von Staatsbürgern andere Hautfarbelässt darauf schließen, dass sie sozial und auf demArbeitsmarkt diskriminiert werden. Die gesellschaftlicheAusgrenzung ist dem Misserfolg auf dem Arbeitsmarktzumindest teilweise vorgelagert und beginnt schon mitder Geburt in ein innerstädtisches Armutsgebiet. Dieunterschiedlichen Ausgangschancen machen es Afro-amerikanern fast unmöglich, aus dem Kreis der Armutauszubrechen.

„The structural transformation of the economy playeda crucial role in creating the urban underclass duringthe 1970’s, (…) what made it disproportional a blackunderclass was racial segregation” (Massey/Denton1993: 137)

3.2.3.8 Historische Entwicklung der Stadtpolitik

Merkmal der Städtebauförderung in den USA ist diedirekte Kooperation zwischen `Federal Government’und den Städten, unter Umgehung der Einzelstaaten.Das bedeutendste Merkmal der Stadtentwicklung nachdem zweiten Weltkrieg ist der Niedergang der industri-ellen Kernstadt und der Aufstieg suburbaner Wohnge-biete. Durch die kooperativ föderale Ausrichtung desSystems nimmt das `Federal Government’ nicht direktEinfluss auf die Programme, vielmehr macht esAngebote und Finanzierungsvorschläge, auf die sichStädte und Kommunen einlassen können. Jedoch istkeine Kommune gezwungen, an Programmen teilzuneh-men (vgl. Falke 1998).Das `Department of Housing and Urban Development’(HUD) ist das föderale Organ für Fragen der Stadt-entwicklung. Während zu Beginn ausschließlich dasGebäude gefördert wurde, steht heute der Haushaltoder das Quartier im Vordergrund (vgl. www.hud.govvom 12.09.2003). HUD definiert einen Haushalt als be-sonders bedürftig, wenn er weniger als 50% des Durch-schnittseinkommens der Wohngegend zur Verfügunghat und mehr als 50% seines Einkommens für die Mieteausgibt. 37% der Haushalte mit niedrigem Einkommenfallen in diese Kategorie. Die Gefahr für Afroamerikanerund Latinos in diese Gruppe zu fallen ist 50% höher alsfür Weiße (vgl. www.hud.gov 12.09.2003).Angefangen in den 1950ern und bis heute aktuell för-dert der Staat die Suburbanisierung und sorgte so füreine Abwanderung der Mittelklasse aus den Städten. Inden 1950ern war es durch Regulierungen, z.B. bei derKreditvergabe, einfacher ein Haus in den `suburbs’ zukaufen als in der Stadt. Innerhalb der Städte wurdepotentiellen Käufern ein Kredit für den Kauf eines Hausin einer bestimmten Wohngegend verweigert, nicht weilder Käufer kein Geld hatte, sondern weil in demQuartier keine Zukunft gesehen wurde. Viele dieserGegenden waren von Afroamerikanern bewohnt, die sostrukturell vom Kauf eines Eigenheims ausgeschlossenwurden (vgl. Wilson, 1996). Während der Staat den

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Wegzug der weißen Mittelklasse förderte, verhindertendie genannten Regulierungen die Veränderung vonEigentumsverhältnissen in den überwiegend von Afro-amerikanern bewohnten Innenstädten. Letztere hatteeine doppelt negative Wirkung, da der Besitz von Eigen-tum zumeist das Interesse an Wohngebieten fördertund so einem baulichen sowie sozialen Verfall hätteentgegenwirken können.Um die Pendler schnell von ihrem Arbeitsplatz zurück indie `suburbs’ zu bringen, wurden Highways häufig querdurch die Innenstadt gebaut, was weitere Probleme fürinnerstädtische Gebiete zur Folge hatte. Für den Bauwurden Wohngebiete zerteilt und ihre Bewohner teil-weise umgesiedelt. Dies betraf wiederum vorwiegendvon Afroamerikanern bewohnte Quartiere. Sozioökono-misch bereits benachteiligte Gegenden wurden dadurchauch noch räumlich isoliert und noch heute sieht man inamerikanischen Großstädten, welche zerstörende Wir-kung die Planung auf innerstädtische Gebiete hatte. UmMobilität für eine Gruppe (die Menschen in den`suburbs’) zu verbessern, musste die andere Gruppe(Menschen in den Innenstädten) weitere strukturelleBenachteiligungen hinnehmen.Heute leben Dreiviertel der weißen Bevölkerung in den`suburbs’. Ungefähr die Hälfte der afroamerikanischenBevölkerung dagegen lebt in innerstädtischen Gebieten(vgl. Iceland/Steinmetz 2003). Doch auch Wachstums-regionen von Städten, wie beispielsweise Los Angeles,haben suburbane Strukturen, d.h. sie sind auf dieBenutzung des Autos angelegt und durch niedrigeBebauungshöhe von Einfamilienhäusern geprägt.Bis in die 1960er Jahre konzentrierte sich die Stadtent-wicklung in den USA allein auf die Frage der Unter-bringung. Die Antwort darauf war meist die Erschaffungvon Wohnraum. In den 1960ern wurde klar, dass derBau von Wohnungen allein nicht ausreicht und sichStadtentwicklung nicht in der Wohnungsbeschaffungund –vergabe erschöpfen kann. Unter PräsidentJohnson wurden Stadterneuerungsprogramme unterdem Oberbegriff `Great Society Programs’ eingeführt.Die Vision einer `Great Society’ beinhaltete Armutsre-duktion und mehr soziale Gerechtigkeit. Primäres Zielwar die Hilfe für benachteiligte Bevölkerungsgruppen instädtischen Problemgebieten. Bereiche, die vorher in dielokale Verantwortung fielen, wurden in diese Pro-gramme integriert (vgl. Falke 1998). Durch die kurzeAmtsperiode Johnsons waren die Pogramme jedoch nurkurzlebig. Doch auch wenn auf stadtpolitischer Ebenedie `Great Society Programs’ keinen durchschlagendenErfolg hatten, führten sie doch zu einem Umdenken inder Stadtpolitik, hin zu mehr Verantwortung für Städteund Quartiere. Die föderal-lokale Finanzbeziehung ver-änderte sich. Es wurden Förderprogramme begonnen,welche bei Umgehung der Lokalregierung den direktenKontakt zu den Quartieren herstellen, um so besser aufProbleme reagieren zu können. Dahinter stand die Hoff-nung, dass lokale Gruppen durch größere Nähe zu den

geförderten Personen oder Gebieten die besserenEntscheidungsträger sind. Gelder sollten schneller unddirekter an lokale Organisationen vergeben werden,welche dann, im Rahmen der Vorgaben, relativ frei ent-scheiden können, wofür sie es verwenden (vgl. Quigley1999).1968 wurde erstmals ein Verbot von ethnischenPräferenzen bei der Vergabe von Wohnungen erlassen.Doch zeigen Untersuchungen selbst heute noch, dassAfroamerikaner bei der Wohnungssuche weiterhin nichtgleichberechtigt behandelt werden. Weiße stehen einemheterogenen Quartier weniger tolerant gegenüber undhaben Angst, ein zu großer Zuzug von Afroamerikanernkönnte dem Image des Quartiers schaden und so zueiner Abwertung ihres Besitzes führen. Makler undVermieter geben daher Informationen über Wohnungs-angeboten in weißen Gebieten oft nicht an Minderheitenweiter, um so die Zufriedenheit im Quartier nicht zugefährden (vgl. Massey/Denton 1993).Mit der Wahl Nixon 1968 wurden viele der unterJohnson begonnenen Programme wieder eingestellt, dieÜbertragung von Verantwortung auf die Städte jedochbeibehalten. Unter dem Konzept der pauschalen För-derung legte man zuvor unabhängige Programmezusammen und überließ die Verwendung der Gelder denGemeinden. Dies sollte zum einen die Verwirrungenzwischen dezentraler Ausführung und zentraler Steue-rung lindern, zum anderen die Gemeinden zu aktivenPartner der bundesstaatlichen Programme machen (vgl.Quigley 1999). Dies führte 1974 zu der Einführung des`Community Development Block Grant’ (CDBG). Ziel desCDBG ist: „...to foster viable urban communities byproviding decent housing and suitable livingenvironment and expanding economic opportunitiesprincipally for persons of low and moderate income“(Quigley 1999: 44). Das Geld soll zum Kauf oder Erhaltvon Wohnungen, zur Erneuerung von Wohn- oderGewerberaum, aber auch zum Erhalt oder derErschaffung von öffentlichen Diensten in Wohngebietenverwendet werden. Dem CDBG wurden zu Beginn $2,5Milliarden zur Verfügung gestellt. Dieser Betrag wuchswährend der Regierungszeit von Ford und Carter, undwurde erst in der Amstperiode Ronald Reagans in den1980er Jahren wieder gekürzt. Der `New Federalism’der Reagan Administration versuchte den Bund nochweiter aus der Verantwortung der Städteförderung zuziehen und gleichzeitig an Sozialausgaben zu kürzen.Die Förderungen für das CDBG sind heute wesentlichkleiner als zu Beginn, aber sie ist seit den 1990ernstabil. Heute ist das CDBG das Rückrat fast allerstaatlich geförderten Wohnprogramme (vgl. Quigley1999).Der Rückzug des Bundes aus der Städteförderung unddie Kürzung an Sozialausgaben kamen parallel mit dervorher beschriebenen Tertiarisierung. In den 1980erJahren standen städtische Verwaltungen durch Mittel-kürzungen vor dem finanziellen Ruin, die wirtschaftliche

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Entwicklung stagnierte. Die finanzielle Krise korreliertemit einer immer größer werdenden Zahl von Kokain-und Crackabhängigen in den Städten. Die Folge war einAnstieg der Kriminalitätsrate sowie von HIV-Infektionenund sonstigen Erkrankungen, was die Kosten für dasGesundheitssystem in die Höhe trieb. Die 1980er warenebenfalls geprägt durch eine Zunahme von Gewaltver-brechen mit Schusswaffen. Feuergefechte gehörtenbesonders in den innerstädtischen Ghettos mehr undmehr zur Tagesordnung. Die Kürzungen öffentlicherMittel, verbunden mit der Übertragung von Verantwor-tungen auf die sowieso schon gebeutelten Verwal-tungen, trafen amerikanische Großstädte zu einemdenkbar schlechten Zeitpunkt und führten in die größteKrise US-amerikanischer Großstädte. Aber auch dietechnologischen und ökonomischen Kräfte, die zumNiedergang der industriellen Innenstädte führten,wirkten stark auf die Entwicklungen der Städte undwaren möglicherweise zu groß, um durch politischeMaßnahmen umgekehrt zu werden (vgl. Falke 1998:).Seit Ende der 1980er wird auf die Verwahrlosungreagiert und wieder vermehrt Förderungsprogramme fürHaushalte mit niedrigem Einkommen ins Leben gerufen.All diese Programme konzentrieren sich auf diefinanzielle Unterstützung bei der Unterbringung vonArmen. Der Grund dafür ist eindeutig. Zwar gibt es infast allen Städten der USA genügend Wohnraum, der istallerdings in den meisten Fällen überteuert und häufignoch in schlechtem Zustand. In den letzten 25 Jahrenist die Zahl der Haushalte, die akute Probleme haben ihrMiete zu zahlen, stetig gestiegen. Über 30 MillionenHaushalte haben große Probleme, ihre Wohnung zufinanzieren. 9,3 Millionen Haushalte leben in überfülltenWohnungen, Dreiviertel dieser Haushalte befinden sichin den untersten Lohnklassen (vgl. Joint Center 2003).Häufig arbeitet eine Person Vollzeit und verdienttrotzdem nicht genug Geld um die Miete zu bezahlen.Das Problem der überteuerten Wohnungen betrifftallerdings nicht nur die Menschen in den unterenVerdienstklassen, sondern reicht bis zu den Großver-dienern. Denn wer sich den Wohnort selber aussuchenwill, muss dafür auch den Preis bezahlen.Eine Erklärung für den teuren Wohnraum könnte das`large-lot zoning’ sein. `Zoning’ bezeichnet das Fest-legen von Grundstücksgrößen. Da Einfamilienhäuser inden USA häufig auf großen Grundstücken gebaut wer-den, wird hier viel Land an wenige Personen vergeben.Des Weiteren gibt es für den Bau von Mehrfamilien-häusern oder Gewerbegebäuden strengere Regulie-rungen als beim Bau eines Eigenheims (vgl. Joint Center2003). Diese Regulierungen wirken oft abschreckendauf Unternehmer und erschweren so den Bau von Mehr-familienhäusern. Der Bau von Einfamilien- statt Mehrfa-milienhäusern erschwert den Anteil an Sozialwohnungenzu halten bzw. zu vermehren. Seit 1997 gingen ca.150.000 Sozialwohnungen verloren, die sich zwar inPrivatbesitz befanden, jedoch öffentlich subventioniert

waren. Ein Grund dafür sind die hohen Instandhaltungs-kosten, welche sich aus der vom HUD festgelegtenfairen Mietpreis nicht finanzieren lassen. Vermieter stei-gen deshalb aus dem Programm aus und vermieten ihreWohnungen auf dem freien Markt.Die ‚Stadt’ spielt im politischen Leben der USA kaummehr eine Rolle. Städteförderung wird in den Pro-grammen der beiden großen Parteien kein großerStellenwert zugewiesen. Trotzdem gibt es einige Ver-suche, die Situation in innerstädtischen Armutsgebietenzu verbessern. Im Folgenden will ich nun einige dieserProgramme genauer vorstellen.

3.2.3.9 `Public Housing Projects’ undneuere stadtpolitische Programme

Bereits 1937 wurde das erste `Public Housing Project’ -kurz `Project’- gebaut.Die `Public Housing Projects’ sind zu vergleichen mitdem Sozialwohnungsbau. Um die Kosten möglichstniedrig zu halten, baute man hohe Gebäude mit min-destens 15 Stockwerken, kleinen Fenstern und wenigFrei- und Grünflächen. Städte, die ein zu hohes Risikofür die Konzentration von Armut in den `Public HousingProjects’ sahen, konnten einen solchen Bau ablehnen.Besonders suburbane Gemeinden machten von diesemRecht Gebrauch und so wurden die `Projects’ fastausschließlich in innerstädtischen Gebieten gebaut (vgl.Quigley 1999).Auf eine Wohnung in den `Public Housing Projects’ hatein Haushalt nur Anspruch, wenn er unter einem be-stimmten Einkommensdurchschnitt liegt. Die Miete darfaber 30% des Einkommens (bis 1981 sogar nur 25%)der Bewohner nicht überschreiten. Durch die hoheAnzahl der Wohneinheiten und den Einzug von Armenin diese, entwickelten sich Armutskonzentrationen.“Public housing represents a federal funded institutionsthat has isolated families by race and class for decadesand has therefore contributed to the growing concen-tration of jobless families in inner-city ghettos in recentyears” (Wilson 1996: 48).Neben dem eintönigen Design und den fehlenden Frei-und Grünflächen befinden sich die Wohneinheiten oft ineinem desolaten Zustand. Auch wenn seit Anfang der1980er mehr Geld zur Instandhaltung vom HUD zurVerfügung gestellt wird, kann dies die grundsätzlicheFehlkonzeption nicht ausgleichen. Die `Public HousingProjects’ beruhen auf der städtebaulich grundsätzlichfalschen Annahme, dass es ausreiche, Wohnraum zuschaffen. Armutskonzentrationen sind jedoch so nichtzu verhindern und durch die Mieteinnahmen kommt zuwenig Geld in die Kassen, als das den schlechtenZuständen tatsächlich entgegenwirkt werden könnte.Trotzdem bieten die`Projects’ für Haushalte mit niedri-gem Einkommen Wohnungen mit weitaus höherer Qua-lität als sie sie auf dem freien Markt anmieten könnten.

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1998 lebten 1,3 Mio Haushalte in `Public HousingProjects’, 81,7% aller Einwohner waren nicht Weiß,42,9% von ihnen waren alleinerziehend (Quigley 1999: 9).

1974 wurde das `Section 8 Voucher Programm’ einge-führt, ein Mieter-orientiertes Programm, das sich anHaushalte mit niedrigem Einkommen richtet. Teilnehmerkönnen sich eine Wohnung suchen und zahlen dann30% ihres Einkommens an Miete, der Rest wird vomHUD übernommen. Ziel ist es, Haushalte aus armenQuartieren umzusiedeln und so Armutskonzentrationenaufzulösen. Mit der Umsiedelung geht eine Verbesse-rung der Lebensqualität einher, die auch neue Möglich-keiten eröffnet. Besonders seitdem 1987 die Höhe derMiete freigestellt wurde und Haushalte im Zweifelsfalledie Differenz zwischen dem HUD Zuschuss und derverlangten Miete selber bezahlen können. Haushaltesind dadurch flexibler und haben die Möglichkeit um-zuziehen (vgl. Quigley 1999). Das `Section 8 VoucherProgramm’ arbeitet sowohl mit Privatunternehmern, alsauch mit non-profit Organisationen zusammen. Ver-mieter haben den Vorteil gesicherter Mieteinnahmen,denn sie werden auch im Falle eines Lehrstandesbezahlt. `Section 8’ ist das weitreichendste der Pro-gramme und unterstützt insgesamt 1,7 Millionen Haus-halte. Eine wichtige Komponente ist die Flexibilität,geförderte Haushalte sind nicht wie bei den `PublicHousing Projects’ an eine bestimmte Gegend gebunden.Dies hat zur Folge, dass tatsächlich 58% der Teilnehmerin Wohngebieten mit weniger als 20% Armut leben (vgl.Turner 2003). Doch auch wenn die Förderung bewilligtwurde, kommt es bei der Wohnungssuche oft zuProblemen. Zum einen gibt es nur eine begrenzte Zahlan billigen Wohnungen, zum anderen zeigt sich nichtjeder Vermieter kooperativ. Durch den zumeist über-teuerten Wohnraum ist es mit den Jahren zunehmendschwieriger geworden, überhaupt eine bezahlbareWohnung zu finden.Weiße haben von `Section 8’ mehr profitiert alsMinderheiten. Die Diskriminierung auf dem Wohnungs-markt ist ein Grund, weshalb sich das eigentliche Zieldes Programms, residentielle Mobilität zu fördern, beiMinderheiten nicht so gut durchgesetzt hat wie bei derWeißen Bevölkerung. So leben nur noch 8% der WeißenTeilnehmer in Quartieren mit hoher Armut, gegenüber25% der Afroamerikaner und 28% der Latinos (vgl.Turner 2003).1996 startete der Feldversuch `Moving to opportunity’(MTO). Während in den vorangegangenen Jahren`Section 8’ Teilnehmer häufig mit schlechtem Informa-tionsfluss über Wohnmöglichkeiten oder Transport-wegen zu kämpfen hatten, integriert MTO die Beratungüber Möglichkeiten und bietet ebenfalls Beratung undInformationen für teilnehmende Vermieter an. DerHauptgrund, sich zu bewerben, war für viele Familiender Wunsch von Drogen und Ganggewalt wegzu-kommen. Der zweithäufig genannteste Grund war die

Hoffnung auf eine größere Wohnung und besserenSchulen in der neuen Umgebung. Da sich dasProgramm noch im Feldversuch befindet, sind bis jetztkeine Daten über Erfolg oder Misserfolg vorhanden. DasHUD will Haushalte über 10 Jahre nach dem Umzugbeobachten, um Langzeitfolgen feststellen zu können.Schon zu beobachtende Effekte sind allerdings, dassPersonen aus umgesiedelten Haushalten häufigerwieder in den Arbeitmarkt integriert werden konntenund Kinder eher einen High-School-Abschluss schafften(vgl. www.huduser.org vom 14.09.2003). Die Kritikkonzentriert sich hier auf die Umsiedelung. Jede Familiewürde wahrscheinlich lieber die Verhältnisse in ihremWohngebiet verbessern anstatt durch Umzug bessereLebensverhältnisse zu erlangen. Denn mit dem Umzugverliert man auch sein bekanntes soziales Umfeld.Seit den 1990ern werden verstärkt die `CommunityDevelopment Corporations (CDC)’ unterstützt. CDCs be-stehen schon seit mehreren Jahrzehnten, doch erst seid1991 startete ein Revitalisierungsprogramm und Neu-organisation der CDCs (vgl. Rosen/Dienstfrey, 1998).Diese Non-profit Organisationen haben zum Ziel, Quar-tiere zu revitalisieren, unter anderem durch die Schaf-fung von Arbeitsplätzen und bezahlbaren Wohnraum.Sie finanzieren sich durch eine Vielzahl von Zuschüssen,ein wichtiges Finanzierungsmittel ist der `CommunityDevelopment Block Grant Program (CDBG)’. Das HUDerrechnet die Höhe des Anspruchs anhand der vorhan-denen Armutsraten, Einwohnerzahlen und Wohnsitua-tion. Durch Bürgerversammlungen sollen Informationenleichter zugänglich gemacht werden und die Ideen derAnwohner gehört und berücksichtigt werden. DieMiteinbeziehung der Anwohner ist eine Auflage desCDBG. Die Arbeit der CDCs soll zu größerer Hetero-genität in den Quartieren beitragen. Arbeitgeber sollendazu bewegt werden, Arbeitslose aus der Nachbarschafteinzustellen, Anwohner sollen in Aufgaben miteinbe-zogen werden. Es gibt eine gute Zusammenarbeit vonPrivatenunternehmern, Bürgern und Lokalregierungen.Wichtig für das Funktionieren der CDCs sind dieangegliederten ’Zwischenorganisationen’: die `LocalInitiative Support Corporation’ (LISC) und die`Enterprise Foundation’. Ihre Arbeit ist unentbehrlichfür die Arbeit der CDCs, da sie als Vermittler zwischenden nationalen Zielen der Programme und den lokalenPlänen vor Ort agieren. So bleibt für die CDCs mehr Zeitfür die eigentliche Arbeit vor Ort (vgl. Walker/Weinheimer 1997).1990 startete das `HOME Investment PartnershipProgram’, kurz `HOME’. `HOME’ setzt sich für dieErhaltung und Wiederbelebung von Wohngebieten mitniedrigem Durchschnittseinkommen ein. Hier werdenGelder des `Federal Government’ an Lokalregierungenweitergeleitet, welche dann über geeignete Projekteentscheiden sollen. In der Selbstbeschreibung heißt es:„decent, affordable homes are more than just bricksand mortar- they are a cornerstone of strong commu-

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nities’“ (vgl. www.huduser.org vom 14.09.2003). AlleGelder werden für die Erhaltung und Schaffung vonbezahlbarem Wohnraum genutzt, 15% der Geldergehen an non-profit Organisationen, wie z. B. die CDCsmit denen `HOME’ auch explizit zusammenarbeitet(Rosen/ Dienstfrey 1998). Um Zuschüsse im Rahmenvon `HOME’ zu bekommen, müssen Einzelstaaten oderurbane Gebiete einen Plan zur Verwendung des Geldesentwerfen. Das Geld darf eingesetzt werden für denKauf, Erhalt oder auch Abriss von Häusern undWohnungen. Ausgeschlossen sind Gebiete oder Häuserdie schon vom HUD unterstützt werden. Der Ansatz von`HOME’ ist, dass insgesamt genügend adäquaterWohnraum vorhanden ist, welcher aber zu überteuertenPreisen vermietet wird. Ziel ist daher, Wohnraum zuerwerben oder mit den Vermietern Verträge zuschließen. Diese bekommen Zuschüsse zu Modernisie-rungsarbeiten und verpflichten sich im Gegenzug dafür,zwischen 5 und 20 Jahren (je nach Höhe desZuschusses) ihre Wohnungen zu einem fairen Preis anMenschen mit niedrigem Einkommen zu vermieten.`HOME’ unterstützt auch Privatkäufer die trotzniedrigem Einkommen ein eigenes Haus kaufen wollen.Wer über weniger als 80% des Durchschnittsein-kommens verfügt und ein Haus kaufen will, das nichtteurer als der Durchschnittspreis der Gegend ist, kannim Rahmen von `HOME’ Finanzierungshilfe beantragen.HOME ist flexibler als z.B. das CDBG, da es den Lokal-regierungen überlassen bleibt für welche Wohnungs-bauprogramme sie Geld investieren. Diese Mitbe-stimmungsmöglichkeit wirkt motivierend auf ansässigeOrganisationen(vgl. www.urban.org 15.09.2003).1998 wurde mit dem Programm `HOPE VI’ auf die sichkontinuierlich verschlechternde Situationen in den`Public Housing Projects’ reagiert. `HOPE VI’ vergibtGelder zur Verbesserung der Lebensumstände in den`Projects’. Baulichem Verfall soll entgegengewirkt, dieVerwaltung gestärkt und die Anwohner durch dieBereitstellung öffentlicher Dienste unterstützt werden.`HOPE VI’ konzentriert sich ausschließlich auf dieProbleme in den `Projects’ und verwendet Gelder fürdie Sanierung bestehender Wohnungen, unter Umstän-den aber auch deren Abriss. Das Geld kann außerdemfür die Deckung laufender Kosten in den `Projects’ausgegeben werden. `HOPE VI’ ist ein weiterer Ver-such, die Konzentration von Armut zu verhindern oderwenigstens das Lebensumfeld in Gegenden mit Armuts-konzentrationen freundlicher zu gestalten. Mit derUnterstützung von `HOPE VI’ konnte in vielen `PublicHousing Projects’ zumindest der bauliche Verfall ge-stoppt und neue Möglichkeiten für Bewohner geschaffenwerden. So sind z.B. Kindertagesstätten entstanden,genauso wie Nachmittagsangebote für Schulkinder undComputerräume. Außerdem wird durch spezielle Bera-tung und Unterstützung versucht, die Bewohner wiederin den Arbeitsmarkt einzugliedern. Darüber hinaus istauch eine Verringerung der Kriminalitätsrate festzu-

stellen, insbesondere der Gewalttaten. `HOPE VI’ hatdort, wo investiert wurde, durchaus Erfolge zu verzeich-nen. Es wurden Räume geschaffen, in denen die Be-wohner unterstützt werden, den Wiedereinstieg in denArbeitsmarkt zu schaffen und so aus ihrer Isolationherauszutreten. Oft hat die Erneuerung der `Projects’auch eine allgemeine Verbesserung des Quartiers zurFolge gehabt (vgl. www.huduser.org vom 16.09.2003).Allerdings wirken die Maßnahmen auch hier wie einTropfen auf den heißen Stein, da insgesamt zu wenigGeld für zu viele Probleme zur Verfügung steht. DerErfolg hängt aber auch durchaus von der Partizipationder Bewohner ab. Die Partizipation der Bürger ist gene-rell ein wichtiger Faktor. Staatliche Intervention alleinewird die Situation in den Quartieren nicht verbessernkönnen.Ein Hauptproblem ist somit die unzureichende För-derung. Nur ein kleiner Teil der Haushalte mit niedrigemEinkommen hat das Glück, unterstützt zu werden. DieseUnterstützung reicht zur Verminderung von Armut,Entzerrung von Armutskonzentrationen und der Revitali-sierung von Quartieren nicht aus. Das zweite großeProblem ist der überteuerte Wohnraum (vgl. Turner2003). Die Mischung aus kaum vorhandener staatlicherUnterstützung und dem Fehlen von bezahlbarem Wohn-raum führt für in Not geratene Menschen im bestenFalle zum Leben in Armutsvierteln, im schlechtesten indie Obdachlosigkeit.Dank eines ökonomischen Aufschwungs in den 1990ernund den o.g. stadtpolitischen Programmen hat sich dieSituation in den Städten ein wenig verbessert (vgl.Iceland 2002). Trotzdem befinden sich insbesondere dieInnenstädte häufig noch in einem desolaten Zustand,welcher nur durch mehr Investivmaßnahmen beseitigtwerden könnte. Solche Maßnahmen müssen in Verbin-dung mit nicht-Investiven Maßnahmen stattfinden. EineKindertagesstätte aufzubauen ist jedoch nur sinnvoll,wenn das Haus vorher wenigstens soweit saniert wurde,dass es sicher ist. Zeitgleich mit den schrumpfendenInnenstädten, vergrößern sich die `suburbs’. Folgepro-bleme sind die Zunahme des Verkehrs, überfüllteSchulen und das Verschwinden von Grünflächen.

3.2.3.10 Fazit

Die Städte der USA zeichnen sich seit ca. 20 Jahrendurch die Zuwachs von Minderheiten, das Altern dernach dem Krieg geborenen Baby-Boom-Generation unddem Verschwinden der verheirateten Lebensgemein-schaften aus. Die Bevölkerung bewegt sich aus denGebieten des Nord-Ostens und Mittleren-Westens in denSüden und Westen des Landes sowie von den Städtenan die Stadtränder. Von 1990-2000 ist die Gesamt-population um 13% gewachsen, das Minderheiten-wachstum betrug jedoch 37%. 1990 hatten 17 dergrößten Städte einen Minderheitenanteil von 27%, 2000

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war dieser Anteil auf 50% angestiegen (vgl.www.census.gov vom 30.08.2003). Diese Faktorentragen zum dauerhaften Wandel der Städte bei undmüssen bei Fragen der Stadtplanung und –politikbeachtet werden.Die Situation in U.S.-amerikanischen Großstädten hatsich in den letzten 15 Jahren insgesamt verbessert. Esist zwar eine Zunahme von Segregation bei Latinos undAsiaten festzustellen, welche sich aber durch dengroßen Zuwachs in diesen Gruppen erklären lässt.Neueinwanderer haben sich in weniger segregiertenGebieten angesiedelt, doch durch die große Anzahl vonEinwanderern hat sich die Segregation dort verstärkt.Die Segregation von Afroamerikanern hingegen istzurückgegangen, der Anteil der Afroamerikaner, dieihren Wohnort frei wählen können, hat sich vergrößert.Seit Ende der 1980er Jahre wurde an Programmen zurBekämpfung des baulichen und sozialen Verfalls derInnenstädte gearbeitet. Trotzdem ist die Situation inden Städten auf keinen Fall zufriedenstellend. Imneoliberalen Kapitalismus bleiben dem Staat wenigeBereiche, die er regulieren kann. Dies hat einenrudimentären Wohlfahrtsstaat zur Folge, in dem eskaum Sozialhilfe oder andere wohlfahrtsstaatlicheUnterstützung gibt. Durch die Veränderung der wohl-fahrtstaatlichen Programme zu `welfare to work’ Pro-grammen sind erst kürzlich 60% der Empfänger aus derSozialhilfe herausgefallen und müssen nun ohne jedestaatliche Unterstützung auskommen. Die soziale Un-gleichheit ist daher sehr hoch und sorgt für unter-schiedliche Ausgangspositionen, insbesondere beiHeranwachsenden.Erschwerend zur sozialen Schieflage kommt die nochimmer vorhandene Diskriminierung, insbesondere vonAfroamerikanern, aber auch von Latinos, die sich inWohnort, Ausbildungsmöglichkeiten und Aufstiegschan-cen wiederspiegelt. Ein afroamerikanisches Kind ausden innerstädtischen Ghettos wird nie die gleichenAusbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten haben wie einweißes Kind aus den `suburbs’. Dabei müssen Afroa-merikaner generell „besser“ sein, um zu beweisen, dasssie ihren „Job richtig machen“. Wer in einem inner-städtischen Ghetto geboren und aufgewachsen ist,muss sich zudem von seiner Familie und Freunden,seinem kompletten Umfeld abheben, um auf demArbeitsmarkt und damit in der Gesellschaft eine Chancezu haben.Es wird deutlich, dass die Entscheidung über den Wohn-ort keine freie Entscheidung ist. Es entscheiden nichtnur die persönlichen Vorlieben, sondern viel mehr einauf Angebot und Nachfrage basierender Markt. Nur derHaushalt mit genügend finanziellen Mittel kann nachseinen persönlichen Präferenzen entscheiden. Wer nichtgenügend Geld zur Verfügung hat, muss dort wohnenwo er es bezahlen kann.Residentielle Segregation trägt so einerseits stark zurSpaltung der Gesellschaft bei, andererseits ist diese

Spaltung Ursache der Segregation. Diese Wechsel-wirkung führt zur räumlichen Trennung zwischen Armund Reich bzw. Schwarz und Weiß und zementiert dieungleichen Chancen in der Gesellschaft. Gerade das anden Wohnort gekoppelte Schulsystem trägt zu unglei-chen Ausbildungsmöglichkeiten bei. Die Abwehr gegensoziale Mischung aus der Gesellschaft ist hoch.In Not geratene Menschen werden nicht ausreichendaufgefangen. Weder die Sozialhilfe ist ausreichend,noch die finanzielle Unterstützung der stadtpolitischenProgramme. Der freie Wohnungsmarkt produziert über-teuerten Wohnraum. Aber auch der durch das `zoning’vorangetriebene Ein-Familien Hausbau in den `suburbs’erschafft viel Platz für Wenige. Staatliche Regulierungenerschweren den Bau von Mehrfamilienhäusern. InArmut geratene Familien haben also keine andere Wahlals in die innerstädtischen Armutsgebiete zu ziehen, indenen sie auf die o.g. schlechten Ausgangsmöglich-keiten treffen. Programme wie das `Section 8 VoucherProgramm’ haben zwar einen richtigen Ansatz, werdenaber nach wie vor mit zu wenig finanziellen Mittelnausgestattet. Es ist effektiver, Haushalte mit Gut-scheinen oder Geld zu unterstützen, sie sich aber ihreeigene Wohnung suchen zu lassen. Dies verhindertArmutskonzentration und lässt Haushalten ein gewissesMaß an Flexibilität und Eigeninitiative. Der Staat müsstealso sowohl stärker in die Städteförderung investierenund die schon bestehenden Programme finanziell mehrfördern. Es besteht eine zu große Diskrepanz zwischender Anzahl von Haushalten die auf staatliche Unter-stützung angewiesen sind und den zu vergebendenFördergelder.Auch wenn sich die Situation im letzten Jahrzehntwenigstens nicht verschlechtert hat, ist nach wie vor istkein ‘back to the city movement’ festzustellen. DasLeben in innerstädtischen Quartieren ist für zu viele derBewohner weiterhin unzureichend. Um dagegen anzu-kämpfen, reichen stadtpolitische Programme alleinenicht aus. Nicht zuletzt muss sich die öffentlicheMeinung verändern und der Widerstand gegen sozialeMischung beendet werden. Dazu gehört auch größerespolitisches und soziales Engagement der Bevölkerung.So wie der `civil rights act’ auch nicht durch staatlicheIntervention entstanden ist, sondern durch eine sozialeBewegung.

3.2.4 Der abschließende Vergleich

Um Segregation und deren Ursache international ver-gleichen zu können, haben wir Länder mit unterschiedli-chen wohlfahrtsstaatlichen Ausprägungen, wirtschaft-lichen Regulierungen sowie verschiedenen Gesell-schaftsstrukturen untersucht.Die wohlfahrtsstaatliche Absicherung, aber auch dieOrganisation auf dem Arbeitsmarkt tragen in großemMaß zum Level an sozialer Ungleichheit in einem Land

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bei. Das Ausmaß, in dem der Lebensunterhalt unab-hängig vom Arbeitsmarkt gesichert werden kann, istentscheidend für den individuellen Lebensweg. Wennder Lebensweg von Individuen durch zu niedrige Löhneoder plötzlichen Arbeitsplatzverlust eingeschränkt wirdund kein auffangender Wohlfahrtsstaat vorhanden ist,vergrößern sich Armut und Segregation.Segregation wird dann zu einem gesellschaftlichen,politischen und wirtschaftlichen Problem, wenn einemHaushalt die freiwillige Entscheidung entzogen wird.Segregation wird nicht als Problem angesehen, wenn esauf freiwilliger Basis geschieht. Wie sich die Bevöl-kerung im Raum anordnet, ist hauptsächlich von derfinanziellen Situation des Einzelnen abhängig. Hinzukommen individuelle Präferenzen, deren Verwirklichungjedoch in einem hohen Maße mit dem Einkommenkorreliert. Wünsche und Einkommen bedingen sich alsogegenseitig.Der neo-liberale Kapitalismus in den USA, und diedamit verbundene geringe Ausprägung des Wohlfahrts-staates haben zur Folge, dass Individuen auf demArbeitsmarkt wenig abgesichert sind.Im rheinischen (Deutschland) bzw. sozialdemokrati-schen (Schweden) Kapitalismus ist der Arbeitnehmer imFalle eines Arbeitsplatzverlustes durch wohlfahrtsstaat-liche Leistungen besser geschütztDas o.g. Verhältnis zwischen Präferenzen und ökonomi-schen Ressourcen variiert deshalb in den untersuchtenLändern: Durch die rudimentäre Wohnungsförderung inden USA haben Arme die geringsten Möglichkeiten,nach ihren Vorstellungen zu leben. Durch die breitereFörderung sowohl in Schweden als auch in Deutschland,stehen z.B. mehr Sozialwohnungen zur Verfügung undArme haben wenigstens einen gewissen Spielraum beider Wohnortwahl. Trotzdem gilt überall: Je größer dasKapital eines Haushaltes, desto größer die Möglichkeitzur eigenen Entscheidung über den Wohnort.In unserer Untersuchung haben wir festgestellt, dass indem ausgeprägtesten Wohlfahrtsstaat Schweden beson-ders Migranten von Segregation betroffen, währendStaatsbürger relativ gut abgesichert sind.In Deutschlands werden neben Migranten besondersauch Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger marginali-siert, die ihre Existenz von den wohlfahrtstaatlichenLeistungen nur unzureichend sichern können.In den USA sind vor allem Afroamerikaner von sozialerDeprivation betroffen. Dies lässt sich zum einen durchden fehlenden Wohlfahrtstaat erklären. Die Tatsache,dass hauptsächlich Schwarze ausgegrenzt werden zeigtzum anderen, dass Segregation nicht nur durch ökono-mische Faktoren hervorgerufen, sondern auch gesell-schaftlich produziert wird.Die Staaten, die den Wohnungsmarkt durch Objekt –und Subjektförderung regulieren, können Segregationverhindern oder zumindest verringern. Obwohl in allenuntersuchten Ländern sowohl Objekt- als auch Subjekt-

förderung vorhanden ist, unterscheiden sie sich stark inder Förderungshöhe.In den USA ist die Förderung in beiden Bereichen sehrviel geringer als in Schweden und Deutschland. Diebestehenden Programme in den USA haben häufig denrichtigen Ansatz, doch das zur Verfügung gestellte Geldreicht nicht für die Anzahl an Armen die unterstütztwerden müsste aus.In Deutschland wurde die Objektförderung in denletzten Jahren massiv zurückgeschraubt, und die Sub-jektförderung in Form von Wohngeld nicht genügendan die Einkommensrealitäten angepasst.In Schweden wird zwar nach dem Prinzip der `tenureneutrality’ eine umfassende Wohnungsversorgungsichergestellt, doch dadurch wird der Blick auf diewirklich Bedürftigen versperrt.Die Tatsache, dass die sozioökonomische Segregation inSchweden am geringsten ist, unterstützt die Hypothese,dass der Wohlfahrtsstaat ein wichtiger Faktor zurBekämpfung sozialer Ungleichheit und der damitverbundenen sozialräumlichen Trennung ist.Trotzdem gibt es auch in einem ausgeprägten Wohl-fahrtstaat ethnische Segregation. Eine Erklärung dafürkönnten die einer Gesellschaft zu Grunde liegendeWerte sein, die darüber entscheiden, wer dazu gehörtund wer nicht.Fakt ist, dass der Staat – sei es nun ein wohl-fahrtstaatlicher oder liberaler – durch die daraus resul-tierenden Instrumente eine tragende Rolle im Zusam-menleben der Bevölkerung und soziale Ungleichheitspielt. Er kann sie vermindern aber auch verstärken.

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4. Soziale Stadtpolitik im europäischen Vergleich

Peter Aigner, Florian Schalke, Sophie Steybe, Timon Perabo

4.1 Einleitung .........................................................................................................................42

4.2 Soziale Stadtpolitik in den Niederlanden .............................................................................42

4.2.1 Historische Entwicklung der Wohnungspolitik......................................................................42

4.2.2 Die Programme der sozialintegrativen Stadtentwicklung im Einzelnen ..................................44

4.2.3 Generelle Entwicklung .......................................................................................................46

4.3 Soziale Stadtpolitik in Großbritannien .................................................................................46

4.3.1 Entdeckung der benachteiligten Quartiere ..........................................................................46

4.3.2 Stadtpolitik unter Margaret Thatcher ..................................................................................47

4.3.3 Stadterneuerungspolitik im Wettbewerb .............................................................................47

4.3.4 „New Deal for the Communities“ – Ziele, Handlungsfelder, Evaluation..................................48

4.3.5 Generelle Entwicklung .......................................................................................................49

4.4 Soziale Stadtpolitik in Frankreich........................................................................................49

4.4.1 Stadtpolitik nach dem 2. Weltkrieg.....................................................................................49

4.4.2 Stadtpolitik als Sozialpolitik................................................................................................50

4.4.3 Generelle Entwicklung .......................................................................................................52

4.5 Fazit.................................................................................................................................52

Literatur ...........................................................................................................................56

Soziale Stadtpolitik im europäischen Vergleich

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4.1 Einleitung

Mit dem Start des Bund-Länder-Programms „Stadtteilemit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt“1999 konnte bereits auf die Erfahrungen der Vorläufer-programme aus anderen europäischen Ländern zurück-gegriffen werden. Dementsprechend orientiert sich so-wohl der Anspruch, als auch die Zielsetzung desdeutschen Bund-Länder-Programms in weiten Teilen andiesen (vgl. Sander 2002). Die hilfreichsten Erfahrungenliegen dabei aus Großbritannien, den Niederlanden undFrankreich vor. Bereits Ende der 70er Jahre bzw.Anfang der 80er Jahre versuchten diese Länder,benachteiligte Stadtteile mithilfe integrierter Handlungs-programme zu revitalisieren. Diese Programme sindinzwischen überarbeitet und immer wieder verlängertworden. Inzwischen werden sie in fast jedem europä-ischen Land eingesetzt.Im Folgenden sollen Programmansätze der LänderEuropas vorgestellt werden, die über hohe Erfahrungs-werte und entsprechende Programme verfügen, nämlichdie Niederlande, Großbritannien und Frankreich.

4.2 Soziale Stadtpolitik in den Niederlanden

Für viele gelten die Niederlande noch immer als dasideale Modell eines Sozialstaates. Eine niedrige Arbeits-losigkeit (ab Ende der 90er Jahre bis heute lag die Ar-beitslosenquote meist zwischen drei und vier Prozent),ein noch relativ intaktes soziales Sicherungssystem unddie bekannte Liberalität der Bevölkerung, würden dazuführen, dass soziale Spannungen sich in Grenzen hielten– so die Meinung vieler. Doch auch wenn dieseRahmenbedingungen zu einem Großteil tatsächlich nocherfüllt sind - trotz der weltweiten Konjunkturkrise lagdie Arbeitslosenquote gemäß Eurostat auch im Juli 2003nur bei 4,1%, dem zweit niedrigsten Wert in der EU(vgl. www.eurostat.eu.int) - hat sich die Lage in denletzten Jahren in den Niederlanden besonders in denStädten drastisch verändert.Die Armut für bestimmte Gruppen der Bevölkerungnimmt zu, Tendenzen der Ausgrenzung verfestigen sichin bestimmten Stadtteilen oder Quartieren. Eine Kombi-nation von Entwicklungen in sozialer, wirtschaftlicher,kultureller und räumlicher Hinsicht hat zu einer Häufungvon sozioökonomischen Problemen geführt: Abwande-rung von Unternehmen, Wanderung des wohlhabendenTeils der Bevölkerung in die Vorstädte, schlechtereChancen für Migranten und besonders deren Nach-kommen auf dem Arbeitsmarkt und Konzentration undSegregation ethnischer Gruppen sind nur einige deraktuell feststellbaren Großstadtprobleme (vgl. Kemper/Schmals 2000: 24). Nicht zuletzt durch hohe Kriminali-tätsraten wird die dynamische Urbanität der städtischenBevölkerung durch einen Mangel an Sicherheit undLebensqualität abgelöst.

Neben diesen mess- und spürbaren Veränderungen kames jedoch auch zu einem Mentalitätswandel in denNiederlanden. Gehörten einst Multikulturalismus undToleranz zum Selbstverständnis des Landes und seinerBewohner, so kippte diese Stimmung ab Ende der 90erJahre. Die sensationellen 17% der „Lijst Pim Fortuyn“bei der Parlamentswahl im Mai 2002 sind ein starkesIndiz hierfür. Und auch wenn die LPF bei den nächstenvorgezogenen Wahlen von 26 auf 8 Sitze schrumpfte,„ist der realistische Diskurs geblieben: Multikulturalis-mus gilt als politisch diskreditiert“ (Böcker/Tränhardt2003: 4). Grund für diese Entwicklung dürfte sicherlichauch die Einsicht vieler Niederländer sein, dass esgerade der Multikulturalismus und die liberalenÜberzeugungen waren, die zu vielen der heutigenProblemen in den Städten geführt haben. Dies lässt sichdamit erklären, dass man es früher tolerierte, dassZuwanderer sich dort ansiedelten, wo sie es wollten.Ende der 90er Jahre war die Gesellschaft plötzlich mitQuartieren in den Städten konfrontiert, die einenImmigrantenanteil von über 60% aufwiesen (z.B.Rotterdam), von denen sich ein nicht unerheblicher Teilals „integrationsresistent“ erwies. Diese Entwicklungschürte die Angst vieler Niederländer vor einer weiteren,teils realen, teils imaginären, Ghettobildung in denGroßstädten.Um solche Tendenzen und Entwicklungen residentiellerSegregation zu verhindern, gleich ob diese sozialer oderethnischer Natur ist, haben fast ausnahmslos alleRegierungen der Niederlande seit dem ZweitenWeltkrieg versucht, eine Wohnungspolitik zu betreiben,die einer „sozialen Durchmischung“ der Bewohnerschafthöchste Priorität einräumt (vgl. Uitermark 2003: 531).Diese Politik und der Umstand, dass ein Großteil desWohnungsbestandes nicht in Privatbesitz, sondern imBesitz von Wohnungsbaugesellschaften sind, machen esnotwendig, zunächst die gesamte Wohnungspolitik derNiederlande zu beleuchten, da diese einen sehr vielgrößeren Einfluß auf das Wohnverhalten der Bürger hatals in anderen Ländern. Der zweite Teil der Untersu-chung soll dann dem eigentlichen Thema dieses Kapi-tels, den Programmen der sozialintegrativen Stadtent-wicklung, gewidmet werden.

4.2.1 Historische Entwicklungder Wohnungspolitik

Die Wohnungspolitik der Niederlande kann als relativkonstant bezeichnet werden. Aufbauend auf den frühenSanitärgesetzen, die im 19.Jhd. gegen die damaligenteilweise unmenschlichen Wohnbedingungen beschlos-sen wurden, ist das „Woningwet“ (Wohnungsgesetz)von 1901 noch immer die Grundlage der gegenwärtigenniederländischen Wohnungspolitik.Wie in fast allen anderen europäischen Staaten auch,bestand nach dem 2. Weltkrieg aufgrund von Kriegs-

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schäden und dem Zusammenbruch der Baubranche einenormer Bedarf an neuem Wohnraum. Der bis dahindominierende private Mietsektor war nicht mehr in derLage, hier Abhilfe zu schaffen. Die Zwänge des Wohn-raummangels in der frühen Nachkriegszeit erlaubten esnicht, den Wohnbau dem Markt und seiner Nachfragezu überlassen. Deswegen wurden die knappen Wohn-bauressourcen nach einem Quotensystem zugeteilt,welches unter den betroffenen Gemeinden einengewissen Wettbewerb auslöste (vgl. Donner 2000: 410).Ab Mitte der 50er Jahre wurde die Schaffung vonWohnraum dann mehr und mehr von den „Woning-corporaties“ (Wohnbauvereinigungen) übernommen.Diese Wohnbauvereinigungen waren Stiftungen desPrivatrechts, es gab also keine unmittelbare Verfü-gungsgewalt des Staates, sie waren aber zum Teilöffentlicher Leitung und Kontrolle unterworfen, die sichaus den teils erheblichen öffentlichen Darlehen undZuschüssen erklärten. Mit dem Aufstieg dieser Vereini-gungen begann auch die Debatte über die Belegungs-politiken, die eher die Arbeiterschaft begünstigten undnicht die wirklich Armen. 1968 beschloss das Parlamentdann offiziell, dass die Vereinigungen sowohl denHaushalten mit einem niedrigen Einkommen, als auchden Haushalten mit mittlerem Einkommen Wohnraumzur Verfügung stellen sollten (vgl. Dielemann 1994:455). Diese aktive Politik der Belegung mit ärmerenHaushalten, solchen mit mittlerem Einkommen, abersogar auch mit wohlhabenden Personen, führt zu einer„sozialen Durchmischung“ der Bewohnerstruktur. Wasin anderen Ländern als Fehlbelegungspolitik kritisiertwird, spart in den Niederlanden soziale Folgekosten, dahier Ghettoisierungsprozesse und damit möglicherweiseeinhergehende Gewalt und Vandalismus nur vermindertauftreten (anderer Meinung ist Uitermark (2003), derdie These aufwirft, die Annahme eine soziale Durch-mischung der Bewohnerschaft wäre erstrebenswert, seinie richtig begründet worden). Auf diese Weise solltenauch benachteiligte Viertel aufgewertet werden. Im Ge-gensatz zu anderen Ländern betreiben die Niederlandealso eine gezielte Gentrifikation.Das Festhalten am System der gemeinnützigen„Woningcorporaties“ hatte auch seine Begründung inder ungeminderten Nachfrage nach neuem Wohnraum.Während in anderen Ländern die Wohnungsfrage in den70er Jahren teilweise gelöst schien, erreichte sie in denNiederlanden jetzt erst einen vorläufigen Höhepunkt.Dies ist damit zu erklären, dass die Familienstrukturenlange sehr christlich-calvinistisch geprägt waren. DieFamilien blieben länger zusammen bevor der Nach-wuchs die Familie verließ. Aufgrund „anderer“ Moralvor-stellungen waren Familien außerdem verhältnismäßiggrößer als anderswo in Westeuropa. Als sich diesemoralisch–ethischen Werte in den 70er Jahren zu ver-ändern begannen, gab es einen enormen Pool anjungen Leuten zwischen 20 und 25, die nun eineneigenen Haushalt gründen wollten (vgl. ebd.: 451).

Neben der Befriedigung des enormen Bedarfs, hattendie niederländischen Politiker den Wohnungsbau alsmakro-ökonomisches Steuerungsinstrument für sichentdeckt. Erstens wurde so die Bauindustrie mit ihrerVielzahl von Arbeitsplätzen unterstützt, zweitens konnteman durch niedrige Mieten eine hohe Inflation undhohe Lohnsteigerungen vermeiden, was wiederumausländische Investoren lockte (vgl. Donner 2000: 410).1980 erlebten die Niederlande eine gravierendeRezession. Die Zinssätze bewegten sich um 10,0 %, dieErrichtung von privatem Wohnungseigentum kam quasivollständig zum Erliegen. Um die Wirtschaft wiederanzukurbeln, begann die Regierung ein umfangreichesKonjunkturprogramm, dass den massiven Bau vonsozialen Mietwohnungen beinhaltete (vgl. ebd.: 410).Um das stark geschrumpfte Staatsbudget nicht über-mäßig zu belasten, wurden die Standards für dieWohnungen jedoch abgesenkt. Um das Budget nochweiter zu entlasten, wurden die Mieten relativ drastischerhöht, so dass die Wohnungsbaugesellschaften weni-ger auf staatliche Subventionen angewiesen waren.Nach dem Anheben der Mieten befanden sich diesejedoch noch immer auf dem durchschnittlichen west-europäischen Niveau (vgl. Dielemann 1994: 457).1990 schließlich wurde das “Heerma-Memorandum“vom Parlament verabschiedet. Dieses forderte die Er-höhung der Eigentümerquote und eine stärkere Förde-rung von wirklich Bedürftigen durch Wohngeld (vgl.Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen undStädtebau 1993: 35ff). In diesem Memorandum warauch die stärkere Abkoppelung der Wohnungsbauge-sellschaften vom Staat vorgesehen, die inzwischen voll-zogen ist. Es war jedoch diese Abkoppelung, die die nie-derländischen Wohnbaugesellschaften weniger anfälligfür Kritik machte, die generell eher dem Staat gilt.Ebenso waren sie in ihrer Vorgehensweise nun nichtmehr durch Regierungs- oder Politikwechsel gefährdet.Diese Tatsachen, gepaart mit der - im Gegensatz zudeutschen Baugesellschaften der 70er und 80er Jahre –hohen Effizienz und dem erneuten Bedarf der nieder-ländischen Gesellschaft nach mehr Wohnraum, habendazu geführt, dass der niederländische gemeinnützigeWohnungsbau nie ernsthaft in Frage gestellt wurde (vgl.Dielemann 1994: 462) und ein bedeutendes Mittel inder Wohn- und Stadtpolitik der Niederlande gebliebenist.

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4.2.2 Die Programme der sozialintegrativenStadtentwicklung im Einzelnen

Stadterneuerungsprogramme, die nicht nur städtebau-licher Natur sind, sondern auch eine soziale Komponen-te aufweisen, gibt es in den Niederlanden seit Mitte der80er Jahre. Seit diesem Zeitpunkt wurden mehrere Pro-gramme gestartet, die sich teilweise sukzessive ersetz-ten um immer wieder neue Impulse zu setzen. DieseProgramme sollen nun im Einzelnen erläutert werden.

„Probleemcumulatie-gebieden-beleid(PCG-beleid)“ - Programm fürProblemkumulationsgebieteAls das erste, groß angelegte nationale Programm, kanndas 1985 gestartete „PCG-beleid“ angesehen werden.Dieses zunächst auf vier Jahre begrenzte experimentelleProgramm sollte hauptsächlich in den Altbauquartierender großen und mittelgroßen Städte greifen und ver-folgte einen integrativen Ansatz. Die Bereiche Wohnen,Bildung, Wohlfahrt und Arbeit sollten inhaltlich koordi-niert werden, um in Gebieten, die eine hohe Arbeits-losigkeit oder ein großes Maß an Armut aufwiesen, einegenerell höhere Lebensqualität zu schaffen (vgl.Kemper/Schmals 2000: 26). Obwohl das Innen-ministerium die 30 Quartiere in 16 Städten bestimmte,hatten die Kommunen die tatsächliche Verfügungs-gewalt über die finanziellen Ressourcen. Statt aus vielenFördermittelquellen Gelder zu beziehen, konnten siejetzt die finanziellen Mittel aus einem Fond beziehenund eigenständig für eine selbst entwickelte Lösungs-strategie ausgeben. Zwar gab die Zentralregierunggewisse Leitlinien vor, was generelle Ziele und Ver-fahrensweisen anging, doch hatten die Kommunengenügend Spielraum, eigene Regelungen zu treffen, dieihrer spezifischen Situation am ehesten gerecht wurden(vgl. Froessler 1994: 110). Das „PCG-beleid“ wurdeoftmals mit bereits bestehenden örtlichen Initiativenoder Projekten verknüpft. Um die verschiedenen Maß-nahmen des Projekts zu koordinieren bzw. die Um-setzung zu kontrollieren, wurden Projektgruppen oderKoordinatoren eingesetzt. Nach dem vierjährigenVersuchszeitraum wurde das Projekt noch jeweilszweimal um ein Jahr verlängert.

„Sociale vernieuwing“ – Programm zur SozialenErneuerungTrotz des „PCG-beleid“ verschärfte sich die sozialePolarisierung in den niederländischen Städten Ende der80er und Anfang der 90er Jahre zunehmend. DieseEntwicklung und der Regierungswechsel im Jahr 1989führten zusätzlich dazu, dass das bisherige Programmzur Stadtentwicklung als nicht ausreichend betrachtetwurde. Es wurde folglich durch ein noch ehrgeizigeresProgramm zur „Sozialen Erneuerung“ abgelöst.Neu an diesem Programm war unter anderem, dass esnicht nur einige Modellkommunen gab, sondern dass

alle niederländischen Gemeinden partizipieren konnten.Genauso wenig wie das Projekt nicht räumlich begrenztwar, war es auch zeitlich nicht begrenzt. Man verstanddie „Soziale Erneuerung“ also nicht mehr als temporäresProgramm, sondern vielmehr als dauerhafte Implemen-tation einer neuen Politik (vgl. Kemper/Schmals 2000:29). Drei Handlungsfelder sollten im Mittelpunkt dieserneuen Politik stehen; dies waren 1. Arbeit, Bildung undEinkommen, 2. Verbesserung der Qualität des Wohn-und Lebensumfeldes und 3. Innovation auf soziokultu-rellen Gebiet, sowie die Neuorganisation des Systemssozialer Dienste und öffentlicher Organisationen.Ähnlich wie beim „PCG-beleid“ mussten sich die beteilig-ten Gemeinden an vertraglich vereinbarte Rahmenbe-dingungen halten, hatten jedoch freie Hand in derAusgestaltung der Maßnahmen, um auf ihre spezi-fischen Probleme zu reagieren. Das Programm wurdeschließlich sogar 1998 in einem „Gesetz zur SozialenErneuerung“ verankert und seine Leitlinien sind insRoutinehandeln für viele Gemeinden aufgenommen(vgl. ebd.: 30).

„Groten stedenbeleid“ – GroßstadtpolitikDa sich die vier größten Städte der Niederlande,Amsterdam, Rotterdam, Den Haag und Utrecht, Anfangder 90er Jahre in einem noch viel größeren Maße denFolgen des Strukturwandels und der Globalisierungausgesetzt sahen, als die kleineren Städte, fordertendiese vier Städte 1994 gemeinsam ein weiteresProgramm zur Revitalisierung ihrer Problemquartiere.Da im gleichen Jahr eine neue Mitte-Links-Koalition dieRegierungsgeschäfte übernahm, die eine eben solchePolitik sogar in ihr Regierungsprogramm aufgenommenhatte (vgl. Priemus u.a.1997: 677), wurden die Bittender großen Städte schnell akzeptiert. Anfang 1995schließlich wurde der Vertrag zwischen den „großenVier“ und der Regierung unterschrieben. Die Beschrän-kung auf diese vier Städte rief jedoch auch Unver-ständnis hervor, besonders bei jenen Städten die zwaretwas kleiner waren, jedoch unter den gleichenProblemen litten. Noch im selben Jahr folgten deswegendie sog. „G15-Städte“ und 1997 kamen noch die „G6-Städte“ hinzu. Möglich wurde diese Ausweitung auf 25Städte durch eine überraschend günstige Haushaltslagedes Staates, außerdem führte die Ausdehnung zu einemgrößeren politischen Rückhalt (vgl. ebd.: 679).Die primären Ziele der „Großstadtpolitik“ stellen sichlaut Kemper und Schmals (2000) wie folgt dar:Arbeitsplätze und Einkommen: Schnell wurde ent-schieden, dass eine noch größere Gewichtung aufökonomische Ziele stattfinden müsse. Dieses neue Zielentsprang der Erkenntnis, dass die hohe Konzentrationvon Arbeitslosen, besonders Langzeitarbeitslosen, dassgrößte Problem darstelle. Als Mittel hiergegen solltenprimär die Mittelstandsförderung, Steuererleichterung-en, Ausnahmegenehmigungen, Neuausweisung von Ge-werbeflächen, sowie eine verstärkte Innovationskultur

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z.B. durch Netzwerke und verstärkten Wissenstransferdienen.Bildung: Durch eine verstärkte Bildungsoffensive willman eine Reihe von Zielen erreichen. Hierzu gehörenein Ende der sozialen Ausgrenzung, eine deutlicheReduzierung von Schulabgängern ohne Abschluß(besonders unter Zuwanderern), die Verbesserung derAussichten von arbeitslosen Jugendlichen, sowie dieIntegration von Minderheiten, gerade auch um diesespäter für das Bildungssystem zu gewinnen. Erreichtwerden sollten diese Ziele durch eine stark verbesserteZusammenarbeit von Schulen und Behörden, sowiedurch erhöhte Ressourcenzuweisungen.Soziale Fürsorge: Die Idee einer verbesserten Fürsorgevon den wirklich Bedürftigen wie z.B. Obdachlosen,Abhängigen und psychisch Gestörten durch die Sozial-ämter entspringt dem Gedanken, dass diese nicht nureine Gefahr für sich selbst sind, sondern dass dieseteilweise auch eine potentielle Gefahr für ihre Umge-bung darstellen. Drei Ziele stehen hier im Vordergrund.Einmal soll sichergestellt werden, dass gefährdetePersonen gar nicht erst in das soziale Netz fallen,zweitens dass das soziale Sicherungsnetz funktioniert,wenn es jemand wirklich benötigt, und drittens schließ-lich dass niemand dauerhaft auf das soziale Sicherheits-netz angewiesen ist.Sicherheit: Der evidente Niedergang der objektiven undbesonders der subjektiven Sicherheit in vielen Gebietenführt in vielen Städten zu einer Verwaisung des öffent-lichen Raumes und zu einer immer stärkeren Abgren-zung zwischen einzelnen Vierteln. Um diesen Trendumzukehren, soll die Kriminalität – insbesondere dieJugendkriminalität – verschärft bekämpft werden.Erreicht werden soll dieses Ziel durch eine stärkereÜberwachung sowie mehr staatlichem und privatemWachpersonal.Lebensqualität: Immer wieder wird das Ziel einererhöhten Lebensqualität postuliert. Diese soll durch dieoben genannten Maßnahmen sowie Arbeit auf lokalerEbene erreicht werden. Insbesondere sollen hier dieGemeinden und z.B. Wohnungsbaugesellschaften mitden Bewohnern zusammenarbeiten, um dieses Ziel zuerreichen.

Um die „Großstadtpolitik“ möglichst effektiv zu gestal-ten, wurde eigens ein spezielles Ressort geschaffen, dassog. „Ministerium für große Städte und Minderhei-tenpolitik“, das auf Regierungsebene die Ministerien undMittel koordiniert (vgl. Sander 2002). Insgesamtstanden an gebündelten und zusätzlichen Mitteln von1995 bis 2002 ca. 7,7 Mrd. Euro zur Verfügung. Einwichtiges Kriterium ist auch eine möglichst hoheEigeninitiative seitens der Städte, verbunden mit einemPolitikansatz von „unten nach oben“. Im Rahmen dieserEigeninitiative können die einzelnen Städte mit demMinisterium auch Schwerpunkte aushandeln, die sie alsbesonders gravierend empfinden (vgl. Musterd/Murie

2002: 12). Seit 1998 existiert die Neuerung, dass dieStädte Entwicklungspläne für einen Zeitraum von zehnJahren vorzulegen haben.Neu an diesem Programm ist auch das relativ ehrgeizigeEvaluierungsprogramm. Dieses besteht aus zwei Stufen.Als erstes führen die Städte eine Selbstanalyse undAuditingverfahren durch, welche allerdings durch unab-hängige Besuchskommissionen kontrolliert werden. Ineinem zweiten Schritt gibt ein externes Institut –angesiedelt an der Universität Rotterdam – einenjährlichen Monitoringbericht heraus in dem über Fort-schritte oder Mängel berichtet wird.Obwohl die aktuelle „Großstadtpolitik“ als relativerErfolg und vielversprechender Ansatz gepriesen wird(vgl. Kemper/Schmals 2000: 33), gibt es auch Kritik zuüben. So ist zu bemängeln, dass sie zwar in vielenQuartieren Erfolge zeigte, nicht jedoch in den amnegativsten betroffenen; hier besteht Bedarf an einerweiteren Intensivierung der Arbeit. Ein Grund hierfürmag auch sein, dass die Einbindung der Bevölkerungweitestgehend als gescheitert angesehen werden kann.Dies bezieht sich besonders auf niedrigere Schichtenund im besonderen Maße Migranten, die fast gar nichterreicht werden konnten (vgl. Uitermark 2003: 542).Priemus u.a. (1997: 687) kritisieren zusätzlich die relativwillkürliche Auswahl der mittelgroßen Städte und einenMangel an baulichen Maßnahmen, ein Punkt der in ver-gleichbaren Ländern mit Stadterneuerungsprogrammensicherlich Verwunderung hervorrufen würde. Auchmüsste ein langfristiges Leitbild entwickelt werden.Als äußerst positives Merkmal soll hier noch hervor-gehoben werden, dass gerade die Symbiose aus einernationalen Regierung die das Programm unterstützt undden Kommunen, die sich schnell auf neue Veränderun-gen und Rahmenbedingungen einstellen können, zueiner hohen Effizienz in der Umsetzung der postuliertenZielsätze führt.

Bauliche Maßnahmen – das RestrukturierungsprogrammNeben den sozialintegrativen Stadtentwicklungspro-grammen gibt es seit 1997 auch ein Restrukturierungs-programm, welches zu einem großen Teil baulicherNatur ist. Ein weiterer wichtiger Ansatz dieses Pro-grammes ist es jedoch auch die Eigentümerquote in denQuartieren zu steigern. Diese soll von 18 % auf 45 %erhöht werden. Beide Maßnahmen sollen dazu führen,dass Haushalte, die über ein großes soziales, kulturellesund ökonomisches Potential verfügen die Viertel nichtverlassen, bzw. diesen Haushalten einen Anreiz zugeben, in ein solches Quartier zu ziehen. Generell solldies zu einer Aufwertung der Viertel führen.Insgesamt sind in dem Programm 170 Gebiete ver-treten, von denen ca. zwei drittel aus der Nachkriegszeitstammen. In diesen 170 Programmgebieten leben fast750.000 Haushalte, was einer Quote von fast 12 % allerHaushalte gleich kommt. Schon kurz nach der Ein-führung des Restrukturierungsprogramms wurde es eng

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mit der aktuellen Großstadtpolitik abgestimmt (vgl.Uitermark 2003: 532).

4.2.3 Generelle Entwicklung

Auffällig an den Programmen in den Niederlanden ist,dass sie schon immer eine starke Gewichtung aufsozialintegrative Maßnahmen gelegt haben. BaulicheMaßnahmen standen meist im Hintergrund, wurdenjedoch seit 1997 auch mit einem eigenen Programmgefördert. Als ein weiteres starkes Instrument derStadtentwicklungspolitik muss auch die allgemeineWohnpolitik gelten, die von vornherein eine starkeresidentielle Segregation verhindert hat.Insgesamt ist eine Tendenz zu erkennen, dass eineimmer größere Gewichtung auf die Stärkung von ökono-mischen Strukturen gelegt wird. Auch soll eine Abkehrvon der Versorgungsmentalität, hin zu einer Aktivie-rungspolitik erreicht werden. Auch die relative Selbst-ständigkeit der Städte im Handlungsrahmen der Pro-gramme wurde weiter ausgebaut. Zwar wurde hier auflokaler Ebene gehandelt, die Verbesserung der Lebens-qualität in problematischen Quartieren, besonders inGroßstädten, wurde jedoch immer als nationale Aufgabeverstanden.

4.3 Soziale Stadtpolitik in Großbritannien

Im Folgenden soll nun die soziale Stadtpolitik inGroßbritannien dargestellt werden. Dabei wird zunächstauf die Programme der Stadterneuerungspolitik ohneintegriertes Handlungskonzept eingegangen, da die ver-antwortlichen Politiker ohne deren Scheitern wohl nichtzu einem Umdenken in Richtung eines gebündeltenRessourcenansatzes gelangt wären. Anschließend wer-den die Ansätze dargestellt, die bis zum heutigenZeitpunkt praktiziert werden. Besonderes Augenmerkwird auf das aktuellste Programm „New Deal for theCommunities“ gelegt.In Großbritannien, dem Ursprungsland der Industri-alisierung, verursachte der ökonomische Strukturwandelin den 70er Jahren eine extreme Form von sozialen undökonomischen Problemen. Die staatliche Ökonomieberuhte bis dahin auf industriellen Arbeitsplätzen. Inder Zeit von 1971 bis 1995 betrug der Verlust dieserArbeitsplätze 30%. Hinzu kam, dass, wie in Deutsch-land, das Durchschnittsalter der Bevölkerung beistabilem Wachstum stieg.Es setzte eine Abwanderung der mobilen und qualifi-zierten Bevölkerungsgruppen aus dem Norden in denSüden Großbritanniens ein. So entstand eine polarisierteBevölkerungsstruktur, die folgendermaßen beschriebenwerden kann: in bestimmten Regionen - betroffenwaren besonders die Stadtkerne großer Städte – kon-zentrierten sich schlecht qualifizierte, geringverdienende

und arbeitslose Bevölkerungsgruppen. Auch der Wohn-bestand wies in diesen Problemgebieten erheblicheMängel auf.Die Verantwortung für die Stadtpolitik lag in Groß-britannien hauptsächlich beim Umweltministerium(Department of the Environment/ DoE, heute das DTLR/Department for Transport, Local Government and theRegions). Teilweise waren aber auch andere Ministerienfür die Stadtplanung zuständig. Diese Überschneidungder Kompetenzen stellte ein enormes Hindernis für dieEntwicklung koordinierter und integrierter Handlungs-strategien dar.In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bis zurersten Phase der Stadterneuerungspolitik vernach-lässigten die Regierungen die Pflege der innerstädti-schen Quartiere und konzentrierten sich darauf, „newtowns“ zu planen und zu gründen. Die Innenstädtewurden als nicht geeignete Wohngebiete betrachtet.Das prognostizierte Bevölkerungswachstum sollte durchdie neuen Städte und Siedlungen an den Peripheriender Großstädte aufgefangen werden. Diese Politikunterlag staatlicher Kontrolle und Steuerung. Bis Endeder 60er Jahre herrschte also eine (Stadt-)Politik derDezentralisierung und Suburbanisierung.

Man kann die britische Stadt- und Stadterneuerungs-politik in drei wichtige Phasen einteilen:Phase 1969-1979, in der die benachteiligten Quartiereentdeckt wurden, die Phase 1979-1990, die von derStadtpolitik der Regierung Thatchers beeinflusst warund die Phase 1990-heute, in der ein Umdenken vonder Stadterneuerungspolitik zur sozialen Stadtpolitik zuvermerken ist.

4.3.1 Phase 1: Entdeckung der benachteiligtenQuartiere

Die bereits oben beschriebenen sozialen und ökono-mischen Probleme führten Anfang der 70er Jahre zueinem Richtungswechsel in der Stadtpolitik. Es wurdenerste Programme zur Instandsetzung der benach-teiligten Quartiere initiiert. 1969 wurde das Programm„General Improvement Areas (GIA)“ gestartet und 1972das Programm „Housing Action Areas (HAA)“. DieseProgramme standen unter der Maxime der Abwendungvon Dezentralisierung und Suburbanisierung. Die Regie-rung stellte zu der Verbesserung dieser Quartiere diefinanziellen Mittel bereit.

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4.3.2 Phase 2: Stadtpolitik unterMargaret Thatcher

Mit der Wahl Margaret Thatchers zur konservativenPremierministerin 1979 änderte sich der Fokus derStadtpolitik in Großbritannien. Das neo-liberale Staats-und Ökonomieverständnis der Konservativen war dieGrundlage für den Ansatz „Rolling back the state“, d.h.es wurden nicht nur staatliche Sozialprogrammegekürzt, sondern auch die Förderung des öffentlichenbzw. kommunalen Wohnungsbaus eingestellt. DasHauptaugenmerk dieser Regierung lag auf der Unter-stützung eines ökonomischen (Wieder-)Aufschwungs.Um neue Arbeitsplätze zu schaffen, neue Betriebe zugründen und die Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfenwurde eine unternehmerfreundliche Politik gefahren.Das bedeutete für die Stadtpolitik, dass öffentlicheGelder hauptsächlich dafür benutzt wurden, Investorendes privaten Sektors anzulocken. Soziale undgemeinschaftsorientierte Projekte konnten sich mitdieser Vorgabe nicht realisieren lassen, da sie erstenskein privates Kapital anzogen und zweitens zu hoheKosten verursachten. Im Mittelpunkt der Stadterneu-erungspolitik standen also kapitalgesteuerte Partner-schaften zur ökonomischen Erneuerung der Quartiere.Dementsprechend konzipiert waren auch die Pro-gramme zur Aufwertung der benachteiligten Stadtteile.Anfang der 80er Jahre wurde mit der Einführung der„Enterprise Zones“ der günstige Verkauf von städtischenFlächen an Unternehmen gestartet, um so Investorenanzulocken. Mit der Einrichtung der „Urban Develop-ment Corporations (UDCs)“ 1981 wurden zwölfmarktorientierte Entwicklungsgesellschaften gegründet,deren Rechte bei Landerwerb, Planungsgenehmigungund der Vergabe von staatlichen Fördermitteln lag.Durch die Umnutzung altindustrieller Flächen sollten dieUDCs den Wandel von der Industriegesellschaft zurDienstleistungsgesellschaft vorantreiben. Es wurdenhauptsächlich Büros, Hotels und Einkaufszentren ge-baut, die weder neue Investoren in die Städte lockten,noch einen positiven Effekt für die Gesamtsituation derStadt erreichten. Dies erkannte auch die Regierung undversuchte mit Hilfe weiterer Programme die Situation zuverbessern.1986 wurden die „Task Forces“ eingerichtet und kurzdarauf die „City Action Teams“. Beide Programmezielten darauf ab, mit extra gebildeten Arbeitsgruppen,die Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen und derKommunalverwaltung zu verbessern und damit dieökonomische Entwicklung in den Gebieten zu fördern.1988 wurden die Aktion „Housing Action Trusts“ insLeben gerufen. Es handelte sich hierbei um eineeigenständige Eigentums- und Verwaltungsorganisation,die ehemals kommunalen Wohnungsbestand an dieMieter verkaufen sollte. Für den Kauf wurden staatlicheSubventionen zur Verfügung gestellt. Es konnte jedochnur der attraktive Bestand verkauft werden. Die

Großwohnsiedlungen und Gebäude mit schlechterBausubstanz blieben im kommunalen Besitz.Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Stadt-erneuerungspolitik unter Thatcher die Einflussnahmeder Bevölkerung und der kommunalen Verwaltungschwächte und dass sich die Situation in den Innen-städten verschlechterte. Die geschaffenen Partner-schaften waren unkoordiniert, unkontrolliert undkapitalgesteuert. Die Hauptakteure waren die National-regierung und der privatwirtschaftliche Unternehmens-sektor. Es entstanden neue Bürokomplexe, Hotels,Eigentumswohnungen, usw., dabei wurden die örtlichenBedürfnisse jedoch nicht beachtet. Die rein baulichenAufwertungsmaßnahmen in den benachteiligten Quar-tieren verbesserten nicht wie erhofft die Lebensqualitätder Bewohner, da die sozialen Probleme wie Arbeits-losigkeit, schlechter Gesundheitszustand usw. nichtgelöst wurden.

4.3.3 Phase 3: Stadterneuerungspolitikim Wettbewerb

Die Programme der 90er Jahre „Estate Action“, „CityChallenge“, „Single Regeneration Budget & ChallengeFund“ und „New Deal for the Communities“ sind alsReaktion auf die Verschlechterung der Situation in denProblemquartieren zu betrachten. Die Abwärtstrendswaren besonders im Norden sichtbar. Im Mittelpunktder meisten dieser neuen Programme stand vor allemder Wettbewerbsgedanke. Über die Vergabe der staat-lichen Subventionen für die Stadt- und Quartierser-neuerung entschieden nun Verfahren, bei denen nachvon der Nationalregierung vorgegebenen Kriterien dieFörderwürdigkeit kommunaler Projekte geprüft undspäter dementsprechend die Förderung beschlossenwurde. Die Programme distanzierten sich nicht völligvon der Zusammenarbeit mit privaten Investoren, abersie betonten wieder stärker die Interventionsmöglich-keiten der Bevölkerung und der lokalen Verwaltung.Das erste, noch Mitte der 80er Jahre gestartete,Programm war „Estate Action“. Dieses Programm bezogsich vor allem auf die Verbesserung der Situation in denGroßwohnsiedlungen. Nachdem anfänglich nur baulicheMaßnahmen unternommen wurden, erweiterte sich derAnsatz mit der Zeit. Man stellte fest, dass rein baulicheVerschönerungs- und Instandsetzungsmaßnahmen diesozialen und ökonomischen Probleme der Bewohnernicht lösten und erweiterte das Programm. Zusätzlichsollte auch die Sicherheit in den Gebieten verbessertwerden. „Estate Action“ war damit das erste Programm,in dem ansatzweise nicht nur auf die ökonomischeErneuerung der Quartiere, sondern auch auf dieVerbesserung sozialer Zustände gesetzt wurde.Das Programm „City Challenge“ startete 1992 undwurde als erstes Programm in Form eines Wettbewerbsausgeschrieben. Dabei war die Bündelung verschie-

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dener Ressourcen Voraussetzung, um als Stadtteil indas Programm aufgenommen zu werden. Das Hauptzielwar eine Kombination aus baulicher und ökonomischerErneuerung. Außerdem sollten die Arbeitsmarktchancender Bewohner der Gebiete verbessert werden. Das „CityChallenge“-Programm vernachlässigte aber die Einfluss-nahme der Kommunen und der lokalen Initiativen.Diese konnten die Umsetzung der Projekte nicht mitbe-stimmen, da die Bewilligung und die Vergabe staatlichkontrolliert wurden.Das Programm „City Challenge“ wurde später in das„Single Regeneration Budget“ integriert.Das „Single Regeneration Budget“ wurde 1993/94eingerichtet und fasste 20 verschiedene Einzelpro-gramme aus fünf verschiedenen Ministerien zusammen.Das Programm entstand aus der Erkenntnis heraus,dass eine Konzentration auf die Wirtschaft zwar derGesamtsituation in Großbritannien gut tat, aber dieProblemquartiere nicht davon profitieren konnten.Dieses Förderprogramm zielte durch die Aufnahme von„multisektoralen Partnerschaften“ hauptsächlich auf dieVerbesserung der wirtschaftlichen Situation, der Kon-kurrenzfähigkeit von Unternehmen, der Ausbildungs-und Beschäftigungsmöglichkeiten, der sozialen undbaulichen Umwelt, der Sicherheit und der Lebens-qualität ab. Auch hier wurden Subventionen nachWettbewerbskriterien vergeben.

4.3.4 „New Deal for the Communities“– Ziele, Handlungsfelder, Evaluation

Nach dem Wahlsieg von New Labour wurde im Januar2001 ein Aktionsplan initiiert, aus dem dann dasProgramm „New Deal for the Communities“ hervorging.Ziel ist die Revitalisierung der am meisten depriviertenTeile des Landes (vgl. Neighbourhood Renewal Unit2002b). In 10-20 Jahren soll keiner mehr durch seinWohngebiet benachteiligt werden (vgl. NeighbourhoodRenewal Unit 2002a). Hinter der Initiierung diesesProgramms steht die Erkenntnis, dass die Vorläuferpro-gramme zu fragmentartig und kurzzeitig geplant waren.Der „New Deal for the Communities“ ist auf eineLaufzeit von 10 Jahren festgelegt worden. Dabei betrugdie Förderung für die Jahre 1999/2000 138 Mio. Euro,für die Jahre 2000/2001 345 Mio. Euro und für die Jahre2001/2002 621 Mio. Euro (vgl. Sander 2002).Das Programm „New Deal for the Communities“ kon-zentriert sich auf die Verbesserung der ärmsten 10%der Quartiere in England. Betroffen sind ganz unter-schiedliche Gebiete, die Skala reicht von Quartieren ingroßen Städten wie Manchester, Liverpool, Birminghamund London bis zu Teilen von Cornwall und Cumbria.Die höchste Konzentration von benachteiligten Quar-tieren ist allerdings in folgenden vier Region zu ver-merken: North West (hier befinden sich 25,7% der ammeisten deprivierten Gebiete Englands), North East

(19%), London (18%) und Yorkshire und Humberside(9,4%). Einige Bevölkerungsgruppen sind besondersbetroffen, z.B. leben 70% aller Menschen, die einerethnischen Minderheit angehören, in den 88 ammeisten deprivierten Regionen, verglichen mit 40% derallgemeinen Bevölkerung (vgl. Neighbourhood RenewalUnit 2002a). Die Festlegung der benachteiligten Gebieteerfolgt über eine kleinräumliche Statistik, in dem derWahlbezirk die kleinste räumliche Einheit bildet. Dannwerden Hauptindikatorenbereiche (Einkommen, Be-schäftigte, Gesundheit, Bildung, Wohnen und Infra-struktur) mit jeweils spezifischen Einzelindikatorengebildet. Diese Hauptindikatoren werden gewichtet undso ein „Index of Multiple Deprivation“ errechnet (vgl.Sander 2002). Der Index ermöglicht eine sehr genaueBetrachtung der Quartiere und bietet eine gute Grund-lage für spätere Evaluationen.Die Probleme in den benachteiligten Stadtteilen sindüberall gleich: Massenarbeitslosigkeit, schlechte Bildungund Bildungschancen, schlechte Gesundheitsvorsorge,niedrigere Lebenserwartung, schlechte Wohnzuständeund eine hohe Kriminalitätsrate.Der „New Deal for the Communities“ setzt zur Lösungbzw. Abmilderung dieser Probleme auf die Bündelungpolitischer Aktivitäten bereits an oberster Stelle: beimPremierminister mit zentralen Arbeitsteams. Die Pro-grammphilosophie richtet sich nun stärker auf dieBeachtung der lokalen Bedürfnisse.Die Aufnahme in das Programm verläuft über einendreistufigen Wettbewerb, innerhalb dessen sich Stadt-teile auf Grundlage von den Vorgaben der Regierung fürdie jeweiligen Programmstufen bewerben müssen (vgl.Fasselt 2001). Die Voraussetzung für die Teilnahme amProgramm ist die Bildung von „Local Strategic Partner-ships“. Sie werden von der lokalen Verwaltung initiiertund stellen einen Zusammenschluss lokaler Vertreteraus Verwaltung, öffentlichen und privaten Organisatio-nen sowie staatlichen Stellen dar.Zu dem Programm „New Deal for the Communities“wurden verschiedene Evaluationen durchgeführt, um zuüberprüfen, inwieweit der Ansatz erweitert werdenmuss bzw. um den Gebieten mit EntwicklungsbedarfHandlungsfelder zu eröffnen. Unter besonderer Be-obachtung standen dabei die Partnerschaften, da sie indem Programm, wie oben erörtert, eine zentrale Rolleeinnehmen. Die „Neighbourhood Renewal Unit“ hat z.B.im Februar 2002 ein „National Evaluation Team“ ge-gründet, das eine Zwischenevaluation über das Nach-barschaftsmanagement in dem Programm anfertigte.Eine wichtige Position nehmen die multisektoralenPartnerschaften ein. So wurde festgestellt, dass dasEngagement der Mitglieder einer solchen Partnerschaftvariieren kann. Engagement lässt sich besonders dafeststellen, wo auch ein Eigeninteresse besteht. Außer-dem wird eine Aussage darüber getroffen, wie diePartnerschaftsstrukturen aufgebaut sind. So hat eineDurchschnittspartnerschaft 21 Mitglieder. Die Struktur

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einer solchen Partnerschaft sollte einfach sein und eswird darauf hingewiesen, dass es Zeit koste, bis sieeffektiv arbeitet (vgl. Neighbourhood ManagementEvaluation 2003).Diese Zwischenevaluationen und Einzeluntersuchungengeben allerdings meist nur Anregungen zur weiterenVorgehensweise. Über die Effektivität des Programmsliegen bisher keine umfassenden Evaluationen vor.

4.3.5 Generelle Entwicklung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieProgramme der 90er Jahre aus den Fehlern derStadterneuerungspolitik in der Vergangenheit lernten.So wurde der Einfluss des Privatsektors geschwächt unddie Position der lokalen Bevölkerung und Verwaltunggestärkt. Außerdem erkannte man, dass die sozialenund ökonomischen Probleme in den Problemgebietennicht nur durch Bau- und Wirtschaftsmaßnahmen gelöstwerden können, sondern dass es einer nachhaltigenPolitik bedarf, welche die Nachbarschaft nicht alspassive Zone ansieht und in die Projekte möglichst vieleunterschiedliche Akteure mit einbezogen werden.

4.4 Soziale Stadtpolitik in Frankreich

In Frankreich konzentrieren sich soziale Konfliktebesonders auf die Großsiedlungen in oder am Randeder Ballungsgebiete. Die gewalttätigen Unruhen Anfangder 90er Jahre in den Banlieues von Lyon und Marseillebringen die Probleme der Vorstädte drastisch ins Be-wusstsein. Die Gründung des Stadtministeriums 1990 isteine der Reaktionen darauf (vgl. Albertin 1993).Französische Politik ist in den letzten 50 Jahren (dieseZeitspanne soll hier -vor allem aus Gründen der Ver-gleichbarkeit- im Blickfeld stehen) mit problematischenEntwicklungen der Städte konfrontiert.Man begegnet den Problemen mit unterschiedlichenStrategien, meist mit mäßigem Erfolg. Als roter Fadenvon der unmittelbaren Nachkriegszeit bis heute läßt sicheine Umorientierung von rein baulichen Maßnahmenüber Beschäftigungs- und Integrationsprojekte fürbenachteiligte Gebiete bis hin zu weitläufigen Projektenmit ganzheitlichem Ansatz auf Stadtniveau erkennen(vgl. Blanc 2002). Wir wollen die jeweils wichtigstenIntentionen aufzeigen.

4.4.1 Stadtpolitik nach dem 2. Weltkrieg

Frankreich ist nach dem Zweiten Weltkrieg mit einemenormen Mangel an Wohnraum konfrontiert. Dieser istin erster Linie das Resultat einer strengen staatlichenKontrolle der Mieten seit 1914, was einen starkenRückgang der Investitionen auf dem Wohnungsmarkt

zur Folge hat, so dass nach 1945 rund zwei MillionenWohneinheiten fehlen (vgl. McCrone/Stephens 1995). InVerbindung mit dem Geburtenanstieg der Nachkriegs-zeit verschlechtert sich die Wohnsituation breiter Bevöl-kerungsschichten (ebd.). Dennoch wird das Wohnungs-problem erst Ende der 50er Jahre entsprechend inAngriff genommen.So entstehen im Laufe der 60er hunderttausendeWohneinheiten des sozialen Wohnungsbaus in moder-ner, komfortabler Hochhaus-Bauweise an der Peripherieder großen Städte - gepaart mit einer Aufwertungminderwertigen Wohnraums in der Innenstadt (vgl.Blanc 2002).Die modernen Siedlungen sind zu diesem Zeitpunkt sehrgefragt, ein großes Spektrum der Gesellschaft läßt sichdort nieder. Bis zur frühen Mitte der 70er Jahre stehendie Banlieues ganz im Zeichen der "dreißig glorreichenJahre", der durch stetes Wirtschaftswachstum und hoheIntegrationskraft des Arbeitsmarktes gekennzeichneteZeit nach dem Zweiten Weltkrieg.Diese Rahmenbedingungen bieten auch den Menschen,die vor allem aus Italien, Spanien und Portugal, sowieaus Nord- und Westafrika einwandern die Möglichkeit,sich über den Arbeitsmarkt in die französische Gesell-schaft zu integrieren (vgl. Loch 1993).Ein sich in wenigen Jahren vollziehender tiefgreifenderWandel verschlechtert die Lebensumstände der Vor-stadtbewohner sowie das Image der Banlieues enorm.Dies hat mehrere Ursachen: Zum einen treten eineReihe baulicher Mängel an den Gebäuden zu Tage, dievon den Besitzern nicht erwartet und aus finanziellenGründen auch nicht beseitigt werden. Dadurch verlierendiese Gebiete zusehends ihr positives, mit Modernitätund Fortschrittlichkeit verbundenes Image einer moder-nen Lebensform, und die Bereitschaft der Bewohnerauszuziehen, wächst.Zum anderen beginnt die Regierung in dieser Zeit, dasWohnen im Eigenheim finanziell zu fördern. Für vieleFamilien oder Alleinstehende aus der Mittelschicht bietetsich so die Möglichkeit, die unattraktiv gewordenenHochhausgebiete zu verlassen, um die Finanzierungeines Eigenheims in Angriff zu nehmen. Für die ver-lassenen Wohnungen finden sich oft keine Nachmietermehr. So schließt sich ein Teufelskreis: Herunterge-kommene Gebäude werden verlassen, ohne dass neueMieter nachrücken. Dies bedeutet finanzielle Einbußenfür die Vermieter, so dass diese nicht in der Lage sind,die fälligen Reparaturen vorzunehmen. Dies hat einezunehmende Verschlechterung der Wohnungen zurFolge, was wiederum einen verstärkten Wegzug vonMietern bewirkt (vgl. Blanc 2002).Hinzu kommt die Wirtschaftskrise dieser Jahre, auf diedie französische Regierung unter anderem mit einemAnwerbestop für ausländische Arbeitskräfte reagiert. DieFolge ist ein zahlreiches Nachholen ihrer Familien durchdie Arbeitsmigranten, was vor allem zwei Ursachen hat:Einerseits besteht von nun an nicht mehr die Möglich-

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keit, zwischen den Familien im Ausland und Frankreichzu pendeln. Andererseits existiert für diese Menschenals Einzelpersonen kein Anspruch auf eine Sozial-wohnung.So belegen zunehmend mehr Arbeitsmigranten dieSozialwohnungen, die von der einheimischen Bevöl-kerung zurückgewiesen werden (vgl. Loch 1993). Dieohnehin wegen ihrer territorialen Herkunft und/oderethnischen Zugehörigkeit von Ausgrenzung bedrohtenBevölkerungsgruppen werden durch ihre zunehmendstigmatisierte Wohnlage erst recht aus der restlichenGesellschaft ausgeschlossen.Seither sind die „Grands Ensembles“ in den Banlieus derfranzösischen Großstädte Ort und Symbol sozialer Rand-gruppen und tiefgreifender sozialer Konflikte undSpannungen in der französischen Gesellschaft gewor-den.Das Problem der großflächigen Segregation hat sich inder Großsiedlung in Frankreich viel früher und vieldrastischer herausgebildet als in Deutschland (vgl. Neu-mann 1993). So wird in Frankreich sozio-ökonomischeAusgrenzung mehr auch als räumliches Problem thema-tisiert, als dies in Deutschland der Fall ist (vgl. Claussen1996).Die Bewohner dieser Gebiete sind zahlreichen Benach-teiligungen ausgesetzt, die durch die Stigmatisierungder Orte noch verstärkt wird. Das Potential für sozialeKonflikte ist oft größer und sichtbarer, als dies in derMehrzahl der innerstädtischen Quartiere der Fall ist.Zusätzlich sind diese Konflikte für die Bewohner inhöherem Maße mit Einschränkungen verbunden.Nachfolgend sollen die Versuche des französischenStaates betrachtet werden, Lösungen für die genanntenProbleme zu finden.

4.4.2 Stadtpolitik als Sozialpolitik

Der Zentralstaat ist wichtigster Akteur der Wohnungs-politik in Frankreich. Er allein verfügt über die gesetz-liche Kompetenz in den relevanten Politikfeldern, kannauf allen administrativen Ebenen unmittelbaren Einflußauf lokales Handeln ausüben und bindet die Kommunendurch Finanzmittelvergabe (vgl. Kemper/Schmals 2000).

"Habitat et Vie Sociale"Die Einbeziehung sozialpolitischer Maßnahmen in öko-nomische und städtebauliche Programme beginnt 1977mit "Habitat et Vie Sociale" (HVS), einem von derZentralregierung geplanten Programm, dessen wich-tigste Ziele es sind, sowohl Wohnbedingungen als auchgesellschaftliches Zusammenleben in benachteiligtenGebieten zu verbessern (vgl. Blanc 2002). Durch dieVerschärfung sozialer Konflikte und das Auftretengewalttätiger Unruhen (etwa in den Vorstädten Lyons)Anfang der 80er Jahre gilt dieser Politik höchstePriorität.

HVS leitet einen Paradigmen-Wechsel ein: eine Reduk-tion der Subventionierung von Baumaterial durch güns-tige Kredite wird mit der individuellen Förderung desWohnens kombiniert (vgl. McCrone/Stephens 1995).Die Mittelvergabe erfolgt unter Berücksichtigung statis-tischer Daten, die sowohl Probleme als auch Potentialein Gebieten aufzeigen. Die angenommenen Chancen aufpositive Ergebnisse sind letztlich ausschlaggebend.Die Verbesserung der Wohnsituation ist nach wie vorHauptanliegen des Programms. So sollen die Wohn-ungen für die Mittelschicht wieder attraktiver werden.Mit der physischen Aufwertung werden höhere Mietennotwendig. Um den Wegzug finanzschwächerer Haus-halte zu verhindern, entsteht "Aide Personnalisiée auLogement" (APL), eine bedarfsorientierte finanzielleUnterstützung, die den selektiven Wegzug der ärmerenBevölkerung verhindern soll.Des Weiteren soll durch Anregungen zur Bürgerbeteili-gung das Gemeinschaftsleben in den Quartieren ver-bessert werden (vgl. Blanc 2002).Im Jahr 1981 stellt die Evaluation des Programms zudessen Ende neben großen Unterschieden in den einzel-nen Gebieten folgende Gemeinsamkeiten fest:Bezüglich der technischen Modernisierung wird haupt-sächlich die Wärmeisolierung und weniger die Schall-isolierung verbessert und dadurch das große Problemder Lärmbelästigung durch Nachbarn ignoriert.Die Beteiligung der Bürger bleibt aufgrund der Angstder lokalen Behörden, an Einfluß zu verlieren, äußerstgering und zeigt kaum konkrete Auswirkungen.Die Intention, das Interesse der Mittelschicht an diesenWohnungen zu wecken, verkehrt sich ins Gegenteil: Diebesserverdienenden Bewohner, die nicht APL – berech-tigt sind, empfinden dies als ungerecht, was ihre Bereit-schaft wegzuziehen erhöht. Darüber hinaus kann dasnegative Image der Hochhaussiedlungen durch die bau-lichen Verbesserungen nicht beseitigt werden (vgl.ebd.).

"Développement Sociale des Quartiers"Nach seiner Wahl 1981 reagiert Francois Mitterrand mitdem Programm "Développement Sociale des Quartiers"(DSQ) auf die Probleme der Stadtpolitik. Es entsteht vorallem unter dem Eindruck der Unruhen in einemHochhausviertel eines Lyoner Vororts.Das Hauptaugenmerk liegt auf einer Verbesserung dersozialen bzw. nachbarschaftlichen Beziehungen inner-halb des Quartiers sowie der Bekämpfung der dortigenArbeitslosigkeit, welche als Hauptproblem der fort-schreitenden Desintegration der ansässigen Bevöl-kerung erkannt wird. Firmen sollen mit dem Angebotvon Vergünstigungen dazu bewegt werden, sich in denjeweiligen Gebieten niederzulassen und die lokaleBevölkerung zu beschäftigen.Des weiteren wird versucht, mit einer Vernetzung vonAkteuren effizienter handeln zu können: eine politikfeld-übergreifende Kooperation zwischen staatlichen Verwal-

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tungen, territorialen Gebietskörperschaften, terrainer-fahrenen Streetworkern oder Lehrern. Dies soll auchdas Engagement von Bewohnern fördern und so einerweiteren Auflösung von sozialen Bindungen entgegen-wirken (vgl. Loch 1993).Die Erfolge des Programms sind eher marginal. Sokönnen nur wenige Unternehmen dazu bewegt werden,sich in diesen stigmatisierten Quartieren zu engagieren.Angesichts zunehmender und struktureller Arbeits-losigkeit stellen sich die lokalen Ansätze des DSQ alsunwirksam heraus. Darüber hinaus verhindert die Angstvor Kompetenzverlust bei Behörden häufig eine effek-tive Zusammenarbeit von unterschiedlichen Akteurensowie eine ernsthafte Bürger-Beteiligung (vgl. ebd.).Im Allgemeinen wird deutlich, dass allein quartiers-bezogene Maßnahmen an den grundsätzlichen Ursachensozialräumlicher Segregation und sozialer Lage derQuartiersbewohner nichts grundlegend ändern können.

"Développement Social Urbain"Mit dem Bewusstsein der begrenzten Möglichkeiten desDSQ-Programms wird 1988 das Programm "Développe-ment Social Urbain" (DSU) aufgelegt. "Urbain" an Stellevon "Quartiers" bedeutet keine grundsätzliche Kursän-derung, sondern eine Verlagerung des Fokus auf diegesamtstädtische Ebene.Mit der Wahrnehmung des Quartiers als Teil der Stadtsollen Projekte auf gesamtstädtischer Ebene umgesetztwerden, Zusammenarbeit zwischen Quartieren entsteht.Einige Gesetze und Programme sollen hier genanntwerden:1991 tritt das "Loi d' Orientation pour la Ville" (LOV),das sog. "Antighettogesetz" und der "Pacte pour laRelance de la Ville" (Bündnis für einen neuen Auf-schwung der Stadtentwicklung) in Kraft.Das LOV hat zur übergeordneten Zielsetzung die sozialeund funktionelle Diversifizierung des städtischenRaumes und den Abbau übermäßiger Konzentration vonsozialen Problemzonen in bestimmten Städten bzw.Vierteln, die in der öffentlichen Diskussion als 'Ghetto-bild' kritisiert wird (vgl. Jessen/Neumann 1999). Nebender Aufwertung der Wohn- und Lebensbedingungen inProblemgebieten sollen vor allem in jedem Stadtteil dieWohnungstypen diversifiziert werden. Dabei geht es vorallem um eine gleichmäßige Verteilung des Sozialwohn-baus auf die Kommunen. In allen Gemeinden mit mehrals 200 000 Einwohnern soll der Anteil bei mindestens20% liegen.Der "Pacte pour la Relance de la Ville" soll Wirtschaftund Arbeitsplatzentwicklung fördern. Wichtige Instru-mente sind die "Contrats Emploi-Solidarité" (CES) unddie "Contrats d'Emploi Consolidé" (CES). Mit ihnenwerden auf drei bis zwölf Monate begrenzte Teilzeit-arbeitsverhältnisse gefördert, die der Staat im Schnittmit 65% bezuschusst. 600 000 Personen wurden 1999subventioniert, die Überführung in dauerhafte Arbeits-plätze ist dabei allerdings gering.

Mit dem Programm "Emplois de Service de Proximité"werden haushaltsbezogene Dienstleistungen gefördert.So kann der Arbeitgeber bis zu 45 000 FF steuerlichabsetzen (einige 10 000 Arbeitsplätze werden sogeschaffen).Das Programm "Emploi-Ville" soll gemeinnützigeArbeitsplätze, etwa bei der Kinderbetreuung, bei Wach-diensten oder der Altenpflege, vorrangig für Jugendlicheschaffen. Der Staat übernimmt bei diesen Stellen 55%der Kosten. Angestrebt waren die Entstehung vonjährlich 25 000 Arbeitsplätzen, 1996 waren es aberlediglich 10 000, 1997 sogar nur 4500 (vgl. Clausen1996).Auch die Koordination auf Verwaltungsebene soll, zumBeispiel durch die Schaffung von Koordinatorenstellen,verbessert werden.Um einen ganzheitlichen Ansatz zu garantieren, wirdeine Département-übergreifende Agentur, die "Déléga-tion Interministérielle à la Ville" ins Leben gerufen, diegleichermaßen quartiersbezogene Entwicklungsprojekte,Verbrechensvorbeugung sowie kulturelle und baulicheMaßnahmen initiiert (vgl. Blanc 2002).Die Ergebnisse von DSU bleiben weit hinter den Erwar-tungen zurück oder werden ganz verfehlt. Die ge-wünschte Verbesserung der Kommunikation in derVerwaltung scheitert an fehlender Kooperationsbereit-schaft sowie an der Unmöglichkeit, mächtige undverfestigte Verwaltungsapparate zu koordinieren. DasErgebnis ist eher gegenteilig: Durch den Versuch,Kooperation und Vernetzung zu fördern, werdenEntscheidungsprozesse oft verkompliziert und verlang-samt. Auch fühlen sich manche Quartiere gegenübergeförderten Quartieren benachteiligt. Dies zieht auswahltaktischen Gründen die Weigerung mancher lokalerBehörden nach sich, letztere zu unterstützen.

„Contrat de Ville, Grand Projet Urbain“Im Jahr 1994 wird ein neues Programm mit dem Namen"Contrat de Ville" entwickelt, das die gleichen Ziele wieDSU beinhaltet: verstärkte Kooperation zwischen denbeteiligten Akteuren und ein ganzheitlicher Ansatz aufStadtniveau. Es werden 215 Verträge mit Städtengeschlossen. Die Verträge sind "Ergebnis der Aushand-lungsprozesse von Zielen, Inhalten und Finanzierungs-möglichkeiten zwischen staatlichen und kommunalenAkteuren für Maßnahmen der Quartierserneuerung"(vgl. Kemper/Schmals 2000: 68). Durch die Koordina-tion der Fördermittel in den Stadtverträgen und diezukünftig stärkere Bündelung von Geldern in inte-grierten Förderprogrammen soll ein höherer Gradhorizontaler Koordination erreicht werden. Ebenso wer-den zu dieser Zeit EU-Mittel aus dem Urban-Programmverfügbar, die für die entsprechenden Gebiete verwen-det werden können.Zusätzliche Programme entstehen. Um für wirtschaft-liche Impulse zu sorgen und Unternehmen anzuziehen,die in den jeweiligen Gebieten Arbeitsplätze schaffen,

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werden sog. "Zones Franches Urbaines" (ZFU) etabliert.Zur ZFU werden die am schlimmsten betroffenenGebiete erklärt, die die größten steuerlichen Erleichte-rungen erhalten. Dort werden alle Betriebe, einschließ-lich Einzelhandel, Arztpraxen etc. für die Dauer von fünfJahren vollständig von Steuern und Sozialabgaben biszu einer bestimmten Obergrenze befreit (vgl. Jessen/Neumann 1999: 204).Andere Quartiere werden zu einem "Grand ProjetUrban" (GPU) erklärt: Durch sichtbare Veränderungenim Stadtbild (z.B. Aufwertung oder Schaffung vonGrünflächen, Verbesserungen der Infrastruktur) soll dasGebiet an Attraktivität gewinnen und ein besseresImage erhalten.Auch diese Maßnahme war umstritten, man fürchtete,die neuen Unternehmen würden nur so lange amStandort bleiben, solange ihnen ein steuerlicher Vorteilgewährt würde. Außerdem bestand die Gefahr einesNullsummenspieles, nämlich dann, wenn die neuenUnternehmen an anderer Stelle der Stadt oder Regionverloren gehen (vgl. ebd.).Zwei amtliche Berichte kommen zu unterschiedlichenErgebnissen: In einem werden die ZFUs als zu teuerund sinnlos verurteilt. Der andere folgert zwar, dassneue Stellen von den ansässigen Arbeitslosen nichtbesetzt würden, geht aber von langfristig positivenAuswirkungen aus (vgl. Blanc 2002: 223).Die meisten Stadtverträge wurden im Jahr 2000 bis zumJahre 2006 verlängert, neue sind hinzugekommen.Formal werden jetzt alle Verwaltungsebenen einbezo-gen, von der Zentralregierung über die Region, dasDépartement, die Stadt und die umliegenden Kommu-nen.Kernbestandteil der neuen Wohnungspolitik sindBürgerbeteiligung, Dezentralisierung des Verwaltungs-handelns und vereinfachte Finanzierungsverfahren (vgl.Kemper/Schmals 2000: 63). Ob dies wesentliche Ver-besserungen bringt, ist abzuwarten.Der häufige Kurswechsel in der sozialorientierten Stadt-politik weist darauf hin, dass bisher der durchschla-gende Erfolg ausgeblieben ist.

4.4.3 Generelle Entwicklung

Zusammenfassend lassen sich folgende Entwicklungs-linien sozialer Stadtpolitik in Frankreich erkennen: Sie istkontinuierlich aufgestockt und erweitert worden (700Mio. Franc waren es noch 1984, schon 2 Mrd. Francwurden 1994 aufgewendet. Für den Zeitraum 2000 –2006 sind mindestens 20,7 Mrd. Franc veranschlagt(www.ville.gouv.fr)). Auch erhalten die Projekte mehrund mehr einen quartiersübergreifenden und gesamt-städtischen Bezug. Neben der Tatsache, dass dasAkteursspektrum immer weiter ausdifferenziert wird,wird auch der Kreis der an der Umsetzung beteiligtenöffentlichen Akteure immer größer. Es ist ferner zu

bemerken, dass die Verflechtung zwischen den Gebiets-körperschaften enger werden. Wie in anderen Ländernauch, wird der Förderung wirtschaftlicher Aktivitäteneine immer größere Bedeutung zugemessen. Als positivkann angesehen werden, dass das Bemühen um einegrößere Bürgerbeteiligung zunimmt.

4.5 Fazit

Abschließend sollen die spezifischen Politiken deruntersuchten Länder vergleichend gegenüber gestelltwerden. Im Rahmen dieser Gegenüberstellungen sollender Reihe nach die Probleme, die Strategien und Instru-mente dagegen vorzugehen, die daraus resultierendenErfolge und die weitere Entwicklung umrissen werden.Zuletzt soll die soziale Stadtpolitik jedes Landes inBezug zum Programm „Soziale Stadt“ gesetzt werden.Dort soll auf unterschiedliche und ähnliche Voraus-setzungen und Strategien eingegangen werden.

Auf welche Probleme möchte soziale Stadtpolitik reagie-ren?In allen drei Ländern sind zunächst eine zunehmendnegative physische Erscheinung und baulicher Verfallvon Wohngebieten zu nennen, die die politisch Verant-wortlichen zum Handeln veranlassen. Diese Gebieteweisen außerdem in unterschiedlicher Ausprägung meistfolgende Merkmale auf: eine überdurchschnittlich hoheArbeitslosigkeit und Armut, eine relativ schlechte infra-strukturelle Versorgung der Bevölkerung, eine höhereerfasste Kriminalität sowie eine allgemein vermutetegeringere Lebensqualität der dort lebenden Menschen.Zunehmende soziale Segregation, einhergehend mitnegativer sozialer Stigmatisierung, wird als Pflicht zuhandeln verstanden. Im Falle Frankreichs ist dieethnische Dimension sozialer Segregation zu nennen, dain den betroffenen Gebieten der Anteil der schwarzenBevölkerung besonders hoch ist. Ähnliche Tendenzensind in den Niederlanden und auch in Großbritannien zuerkennen.So sind die Ziele, die die jeweiligen Regierungenverfolgen, sehr ähnlich: Angestrebt werden nebenbaulichen Verbesserungen die soziale, kulturelle undökonomische Integration der Quartiersbevölkerung, einAbschwächen der Segregation und Stigmatisierung undsomit eine Integration der Gebiete in gesamtstädtischesWirtschaftswachstum sowie eine verstärkte Beteiligungund Aktivierung der betroffenen Bewohner.Bezüglich der Gebiete, die im Visier einer sozialenStadtpolitik stehen, bestehen allerdings Unterschiede.In Frankreich sind es hauptsächlich Großsiedlungen inHochhausbauweise am Rande der Ballungsgebiete, diein den 50er und 60er Jahren erbaut wurden. In denNiederlanden hingegen sind in der Mehrzahl Quartierein den Großstädten betroffen. In Großbritannien sindsowohl Vorstädte (Suburbs) als auch die Innenstädte

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der Großstädte betroffen. Hier ist vor allem London zunennen sowie der Norden Englands.

Auf wessen Initiative hin entstehen die untersuchtenPolitiken? In den drei Ländern ist der Zentralstaat alsInitiator zu nennen. In den ersten Jahren ist die Zentral-,bzw. Nationalregierung federführend, später werden dieKommunen stärker mit einbezogen. Allgemein ist einestärkere Vernetzung der beteiligten Akteure festzu-stellen sowie die Tendenz zu größerer Dezentralisierungbezüglich Planung und Durchführung der Maßnahmen.Die Strategien, diese Probleme anzugehen, haben vielgemeinsam. Frankreich, die Niederlande und Großbri-tannien begegnen den oben beschriebenen Problemenzunächst mit baulichen Maßnahmen. In Frankreich undden Niederlanden sind vor allem die ersten beidenJahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg durch massiveBaumaßnahmen des Staates bzw. der Wohnungsbau-gesellschaften geprägt. In Großbritannien beginnen erstEnde der 60er Jahre relevante Programme zur baulich-en Instandsetzung benachteiligter Quartiere. Erst sehrspät, in Frankreich Anfang der 80er Jahre, in denNiederlanden Mitte der 90er Jahre und in Großbri-tannien Anfang der 90er Jahre, folgt eine Umorien-tierung hin zu ganzheitlicheren Maßnahmen: zu Wirt-schaftsförderungs- und Beschäftigungsprogrammen fürdie betroffenen Gebiete, zu Bemühungen um einegrößere Vernetzung der beteiligten Akteure. Schließlichgewinnt in den letzten Jahren die Erkenntnis an Bedeu-tung, mit gesamtgesellschaftlichen und strukturellenProblemen konfrontiert zu sein, denen nur mit langfris-tigen und ressortübergreifenden Strategien begegnetwerden kann.

Auch bezüglich der Instrumente zur Durchführungdieser gibt es ähnliche Ansätze. Wie bereits beschriebensind dies zum einen baulich-architektonische Maßnah-men zur Aufwertung der Gebiete. Zum anderen werdenandere Politikbereiche mit in die Wohnungspolitikeinbezogen. Es findet Wirtschaftsförderung, zum Bei-spiel durch Steuervergünstigungen für Investitionen inbetroffenen Quartieren, statt. Ein zielgerichteter Einsatzvon Sozialarbeit sowie Anstrengungen in Richtung einergrößeren Vernetzung von Akteuren, etwa durch dieInstallation von Koordinationsgremien, wird angestrebt.Die Ergebnisse, von teilweise bis zu einem halbenJahrhundert sozialer Stadtpolitik, machen deutlich, dassan Strategien und Instrumenten weiter gefeilt werdenmuss. In Frankreich konnten bauliche und infrastruktu-relle Verbesserungen erreicht werden. Die Arbeits-losigkeit in den betroffenen Gebieten, das Ausmaß anSegregation und die entsprechende Stigmatisierung derQuartiere verringerten sich nicht substantiell.Während in den Niederlanden die aktuelle Großstadt-politik zwar als relativ erfolgreicher Ansatz gilt, mussteauch hier festgestellt werden, dass die Situation in den

am schlimmsten betroffenen Quartieren noch nichtdeutlich verbessert werden konnte.Gemeinsame Probleme der Länder resultieren vor allemaus der bereits erwähnten Tatsache, dass den Pro-blemen in den Quartieren nicht punktuell und nachbewährten Mustern begegnet werden konnte, sonderndass es sich meist um strukturelle und gesamtgesell-schaftliche Entwicklungen handelt, deren Auswirkungenlokal sichtbar werden und neue Handlungsansätzebenötigen. Frankreich, die Niederlande und Großbri-tannien sehen deshalb die Notwendigkeit, neue Wege inVerwaltungskoordination und -kooperation zu beschrei-ten. Eine stärkere vertikale und horizontale Vernetzungwird angestrebt. Größere Flexibilität und Problemorien-tierung verspricht man sich davon. Die Schwierigkeiten,Verwaltungsabläufe zu ändern, sind Länder übergrei-fend; Kompetenzstreitigkeiten und mangelnde Koopera-tionsbereitschaft stehen neuen Handlungskonzeptenhäufig im Wege. Auch eine Beteiligung der Bürger findetmeist nur sporadisch statt.Welche Entwicklung zeichnet sich in der sozialenStadtpolitik der beschrieben Länder ab? Zentral sinddiesbezüglich genau jene genannten Bemühungen zumehr Kooperation, Vernetzung und Flexibilität. Diesehaben politische Priorität und werden, auch wenn diesmit Schwierigkeiten verbunden ist, stetig vorange-trieben. Wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung gilt alsGrundvoraussetzung für Verbesserungen im Quartier, sodass Bemühungen um wirtschaftliche Anreize anhaltenbzw. zunehmen. Außerdem wächst in den Ländern dieBereitschaft, mehr Eigeninitiative und interkommunaleKooperation der betroffenen Städte oder Gebietezuzulassen bzw. zu fördern sowie die Sichtweisen derAkteure vor Ort stärker einzubeziehen.

Zusammenfassend sollen hier nun noch einmal dieBesonderheiten der verschiedenen Länderpolitikenbetrachtet werden.Frankreich ist kein Vorzeigeland bezüglich der sozialenStadtpolitik. Auf die schweren Segregationsproblemehat es erst sehr spät (als es in Lyon zu Ausschreitungenkam) angemessene Konzepte entwickelt, die über reinbauliche Maßnahmen hinausgehen. Die Ausgangslageist also anders als in Deutschland. Die Probleme inFrankreich sind gravierender und einer zentralstaat-lichen Politik fällt es offensichtlich schwerer, sich daraufeinzustellen. Von den Ansätzen sozialer Stadtpolitik, wiesie seit Anfang der 80er in Frankreich verfolgt werden,finden sich viele im Programm der „Sozialen Stadt“wieder. Allerdings hat es in Frankreich etwa zwanzigJahre gebraucht, in denen immer wieder Ziele wieressortübergreifende Politik, Bürgerbeteiligung, etc.formuliert werden mussten, bis daraus tatsächlicheInstrumente und Maßnahmen wurden. Auch das mussimmer vor dem Hintergrund des großen, behäbigenVerwaltungsapparates gesehen werden und sagt nichtunbedingt etwas über die Zweckmäßigkeit von Zielen

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und Instrumenten aus. In zwei Bereichen setzt sich diesoziale Stadtpolitik Frankreichs von der deutschen ab.Zum einen setzt sie noch viel entschiedener auf Wirt-schaftsförderung in dem steuerfreie Zonen für Unter-nehmen eingerichtet werden. Zum anderen ist ihr Blickseit dem Programm „Développement Social Urbain“nicht allein auf die Problemviertel konzentriert, sondernversucht, zwischen diesen und intakten Stadtteilen undGemeinden eine stärkere Vernetzung und Austauschherzustellen.Eine Besonderheit an den niederländischen Program-men ist, dass sie zum größten Teil gar keine oder wenigbauliche Elemente beinhalten. Sie konzentrierten sichalso von vornherein auf sozialintegrative Maßnahmen.Auch hier wurde jedoch im Laufe der Zeit eine immergrößere Gewichtung auf die Stärkung lokaler, ökono-mischer Strukturen gelegt. Sie galten schon recht frühals relativ erfolgreich, nicht zuletzt deswegen, weilNationalregierung und lokale Behörden immer an einemStrang zogen. Während die Aufwertung von Problem-quartieren in Städten als nationale Aufgabe verstandenwurde, wurde auf lokaler Ebene effizient und zielge-richtet gehandelt.Hervorzuheben an den Niederlanden ist hier noch, dassdas „Gesetz zur sozialen Erneuerung“ für alle Städteverbindlich ist, mit der „Großstadtpolitik“ ein Instrumentgeschaffen wurde, was den am schlimmsten betroffen-en Vierteln zusätzlich neue Impulse liefern soll. Einzig-artig an den Niederlanden ist wohl auch der stringenteVersuch durch eine gezielte Wohnpolitik eine sozialeDurchmischung zu erreichen, bzw. gefährdete Quartieredurch Gentrifikation gezielt aufzuwerten.In Großbritannien muss in Abgrenzung zu Deutschlanddie sehr technische Herangehensweise hervorgehobenwerden. So werden die Fördergelder vom neuesten Pro-gramm „New Deal for the Communities“ nach strengvorgegebenen Kriterien vergeben, die sich bewerben-den Quartiere stehen dabei untereinander in einemWettbewerb. Auch die Einordnung der Stadtteile in den„Index of Multiple Deprivation“ muss unter dem Aspektbetrachtet werden. Im Gegensatz zu den Niederlandenwurde in Großbritannien nie versucht, eine sozialeMischung zu schaffen. Im Gegensatz zu Frankreichbezieht sich auch das neueste Programm in Groß-britannien, „New Deal for the Communities“, nur darauf,die einzelnen benachteiligten Quartiere und nichtmehrere oder die ganze Stadt zu revitalisieren.

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Tabelle 4.1: Tabellarische Übersicht:

Organisation Instrumente

Frankreich Anfangs: Zentralstaatliche Auswahl derQuartiere und DurchführungSpäter : zunehmende Kooperation vonAkteuren sowohl auf vertikaler als auchauf horizontaler Ebene

baulich-architektonische Aufwertungpersonenbezogene UnterstützungsleistungenSozialarbeitWirtschaftsförderungKoordinationsgremien

Niederlande Anfangs: zentralstaatliche Initiative undAuswahl der ProblemgebieteSpäter: Kommunen entscheiden selbstüber Auswahl der QuartiereGroße Autonomie bei Umsetzung durchKommunenZunehmende Kooperation von Akteurensowohl auf vertikaler als auchhorizontaler Ebene

WirtschaftsförderungNeuorganisation des Systems sozialer Diensteund öffentlicher Organisationenbauliche InstandsetzungVernetzung von Akteuren / Koordination vonMaßnahmen

Großbritanien Vergabe staatlicher Subventionen nachWettbewerbsgedankeNationalregierung gibt Kriterien vor/StrategieteamsAuf lokaler Ebene: multisektoralePartnerschaften

bauliche InstandsetzungWirtschaftsförderungSozialarbeitPartnerschaften

Deutschland

Quartiere von Kommunenvorgeschlagen, dann durch das Land alsmittelvergebende Instanz anerkanntbzw. abgelehnt, gesamtstädtischerVergleich wird vorausgesetzt, fürNachweis eines dringlichenHandlungsbedarfs

Ressoucenbündelung: Bündelung der Mittel ausverschiedenen Ressorts u. der Privatwirtschaft;Integrietes Handlungskonzept: Planungs- u.Umsetzungskonzept sowie Kosten- u.Finanzierungsübersicht; Quartiersmanagement:als umfassende Organisation vonStadtteilentwicklung auf allen beteiligtenSteuerungs- u. Handlungsebenen; Maßnamhen:Bürgerbeteiligung und Bürgeraktivierung:Kommunikation, Ideenproduktion u.Organisation von Menschen und Ressourcen

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5. Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

Peter Aigner, Katja Kirnich, Daniel Kovács, Llanquiray Painemal, Anett Rohde, Lisa Ruhrort,Nathalie Schimpff, Sandy Schlösser, Christiane Scholz, Sophie Steybe, Sabine Tietz, Gunnar Zerowski

Einleitung......................................................................................................................... 61

5.1 Problem- und Gebietsdefinition und Problemwahrnehmunganhand von zwei ausgewählten Quartieren ........................................................................ 62

5.1.1 Ursachen für die Entstehung von Gebieten mit „besonderem Entwicklungsbedarf”................ 62

5.1.2 Die Gebiete mit „besonderem Entwicklungsbedarf” ............................................................. 64

5.1.3 Problemdefinition ............................................................................................................. 66

5.1.4 Problemwahrnehmung...................................................................................................... 67

5.1.5 Empirische Untersuchung: Problemwahrnehmung in Quartierenbenachteiligter Stadtteile im Rahmen des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt ................. 68

5.1.5.1 Innenwahrnehmung ......................................................................................................... 71

5.1.5.2 Außenwahrnehmung......................................................................................................... 73

5.1.5.3 Vergleich Innenwahrnehmung – Außenwahrnehmung ........................................................ 74

5.2 Das Ziel „soziale Mischung“ und seine Machbarkeit ............................................................. 76

5.2.1 Der Begriff „soziale Mischung“........................................................................................... 76

5.2.2 Versuch einer wissenschaftlichen Beschreibung sozialer Mischung ...................................... 76

5.2.2.1 Dimensionen Sozialer Mischung......................................................................................... 76

5.2.3 Soziale Mischung und Stadt am Beispiel von Berlin und seiner Wohnungsbaugeschichte ....... 78

5.2.3.1 Das sozialpolitische Konzept von James Hobrecht............................................................... 78

5.2.3.2 Wohnungspolitik und soziale Mischung in der DDR ............................................................. 79

5.2.4 Für oder gegen eine soziale Mischung? .............................................................................. 81

5.2.4.1 Kontakthypothese............................................................................................................. 81

5.2.4.2 Konflikthypothese............................................................................................................. 82

5.2.5 Das Konzept der „sozialen Mischung“vor dem Hintergrund des Entstehens von Problembezirken ................................................. 83

5.2.5.1 Anwendungsperspektiven der sozialen Mischung in der Stadtpolitik .................................... 83

5.2.6 Instrumente zur Sicherung und Herstellung oder Veränderung sozialer Mischung ................. 84

5.2.6.1 Objektbezogene Eingriffe .................................................................................................. 85

5.2.6.2 Subjektförderung.............................................................................................................. 85

5.2.7 Resümee ........................................................................................................................ 87

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5.3 Das Quartier als Sozialraum...............................................................................................89

Teil I: Theorie [ 5.3.1 – 5.3.5]

5.3.1. Lebenslagen haben ihre Orte – das Quartier als Sozialraum.................................................90

5.3.1.1 Das Raumkonzept nach Läpple ..........................................................................................90

5.3.1.2 Das Raumkonzept nach Bourdieu.......................................................................................91

5.3.1.3 Fazit.................................................................................................................................91

5.3.2 Welche Quartiers-Ressourcen werden in der wissenschaftlichen Literatur genannt?Die endogenen Potenziale eines Quartiers ..........................................................................91

5.3.2.1 Quartier als Chance der Existenzsicherung..........................................................................92

5.3.2.2 Quartier als Ort des Wohnens............................................................................................92

5.3.2.3 Quartier als Ort sozialen Austauschs ..................................................................................92

5.3.2.4 Quartier als Ort der Teilhabe an gesellschaftlichen Einrichtungen.........................................93

5.3.2.5 Fazit.................................................................................................................................93

5.3.3 Das Quartier als zusätzliche Benachteiligung– Was macht beide Gebietstypen zu Problemquartieren?....................................................93

5.3.3.1 Die Kapitalreduktion..........................................................................................................93

5.3.3.2 Die erwarteten negativen Quartierseffekte..........................................................................93

5.3.3.3 Fazit.................................................................................................................................95

5.3.4 Die Gebietstypen: Altbau- vs. Neubauquartiere ...................................................................96

5.3.4.1 Die Quartierstypen – Ausgangssituation und Entwicklung ....................................................96

5.3.4.2 Warum gelten Neubausiedlungen als zusätzlich benachteiligend?.........................................98

5.3.4.3 Die Lage der Quartiere ......................................................................................................98

5.3.4.4 Fazit.................................................................................................................................98

5.3.5 Verbindung von Opportunitätsstruktur und deren Nutzung durch die sozialen Milieus..........100

5.3.5.1 Die Opportunitätsstrukturen– eine Synthese von entweder Benachteiligung und/oder Ressource ..................................100

5.3.5.2 Das Konzept sozialer Milieus ............................................................................................100

Teil II: Empirie [5.3.6 – 5.3.11]

5.3.6 Definition zentraler Begriffe .............................................................................................104

5.3.7 Kurze Vorstellung der Urbex-Studie..................................................................................106

5.3.8 Ressourcen nach Polányi .................................................................................................106

5.3.9 Zugang zu Ressourcen in den Untersuchungsgebieten– Rahmenbedingungen in Altbau- und Neubauquartieren .................................................107

60

5.3.10 Nutzung vorhandener Ressourcen:Strategien der Risikogruppen in Altbau- und Neubauquartieren ......................................... 109

5.3.10.1 Nutzungsstrategien der Risikogruppen anhand Polányis Konzeption................................... 109

5.3.10.2 Das Milieu - Suche nach weiteren Faktoren ...................................................................... 114

5.3.10.3 Rückgriff auf die Sozialkapitaltheorie ............................................................................... 115

5.3.11 Fazit .............................................................................................................................. 116

5.4 Nachbarschaftseffekte .................................................................................................... 117

5.4.1 Warum wird Segregation als Problem betrachtet?............................................................. 117

5.4.1.1 Der „ökologische Fehlschluss“ ......................................................................................... 118

5.4.1.2 Verursacht Segregation zusätzliche Benachteiligung?........................................................ 121

5.4.2 Modelle zur Wirkung von Nachbarschaftseffekten ............................................................. 122

5.5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ..................................................................... 124

Literatur......................................................................................................................... 125

Anhang.......................................................................................................................... 130

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

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Einleitung

Im Kapitel 5 sollen die konzeptionellen Grundlagen –Problemwahrnehmung, Soziale Mischung, Quartier alsSozialraum und Nachbarschaftseffekte – des ProgrammsSoziale Stadt vorgestellt und diskutiert werden. Zieldieses Kapitels ist es, die Annahmen, auf denen sich dasProgramm begründet, erstens wissenschaftlich zu ver-orten und zweitens im Anschluss daran z.T. empirischzu überprüfen.Das Kapitel 5.1 beginnt mit einer zentralen Fragestel-lung für das Gesamtkapitel: Wie werden die Problem-gebiete überhaupt wahrgenommen? Um welche Quar-tiere handelt es sich und warum gelten sie als proble-matisch? Im ersten Teil des Kapitels wird die Problem-wahrnehmung der politischen Akteure anhand desProgrammtextes untersucht. Es wird die Frage nach denKriterien gestellt, aufgrund welcher Quartiere imProgramm Soziale Stadt als ,,Stadtteile mit besonderemEntwicklungsbedarf’’ identifiziert werden. Im ProgrammSoziale Stadt begründet sich die Problemdiagnose derpolitischen Akteure auf der Annahme, dass die unfrei-willige Segregation benachteiligter Bevölkerungsgrup-pen in bestimmten Quartieren einen Einfluss auf dieQuartiersausstattung erzeugt, die dann wiederum nega-tive Effekte auf die Integrationsbemühungen der Quar-tiersbevölkerung in die (Stadt-)Gesellschaft hat. Erwar-tet wird infolge der unfreiwilligen Konzentration vonmarginalisierten Bevölkerungsgruppen eine Qualitäts-reduktion der Quartiersausstattung in vier Teildimen-sionen. Diese Teildimensionen werden neben verschie-denen Aspekten besonders herausgearbeitet werden, dasie als Basis der Problemdiagnose für benachteiligteQuartiere im Programm Soziale Stadt, auf welcher sichdie Gebietsauswahl begründet, gelten können.Der zweite Teil des Kapitels widmet sich auf der Basiseiner empirischen Untersuchung der Innen- (Quartiers-bewohner, Gewerbetreibende im Quartier) und Außen-wahrnehmung (in öffentlichen Institutionen Tätige,Medien) von zwei ins Programm Soziale Stadt aufge-nommenen Berliner innenstadtnahen Altbauquartieren.Hier wird der Fragestellung nachgegangen, ob dieInnenwahrnehmung mit der Außenwahrnehmung undder politischen Problemdiagnose der Quartiere über-einstimmt.

Das Kapitel 5.2 ist dem politischen Leitbild der „SozialenMischung“ gewidmet.Ausgehend von der Problemdiagnose des Programms,dass eine zunehmende Konzentration von marginali-sierten Bevölkerungsgruppen in bestimmten Quartierennegative Effekte sowohl auf die Quartiersentwicklungals auch auf die Integrationschancen ihrer Bewohner-gruppen hat, wird nach dem Konzept der „SozialenMischung“ gefragt. Hinter den erwarteten negativenEffekten von Konzentrationsprozessen benachteiligterBevölkerungsgruppen steht die Annahme der politischen

Akteure, dass Quartiere mit einer heterogenen Bevöl-kerung sozial stabiler sind und ihren marginalisiertenBewohnern mehr Integrationsmöglichkeiten bietenkönnen als homogene Quartiere.Hier soll nun der Versuch unternommen werden, dasKonzept zu fassen, d.h. zu fragen: Was bedeutethomogen/heterogen in dieser Hinsicht? Welche Quali-täten können eigentlich gemischt sein? Wer soll sichdurchmischen? Gibt es eine „gute“ Soziale Mischung?Welche Instrumente müssten dafür etabliert werden?Gibt es historische Beispiele von „gelungener“ sozialerMischung? Lässt sich das Konzept wissenschaftlichverorten oder bleibt Soziale Mischung eher ein politi-sches Leitbild mit positiver Bedeutungszuschreibung,welches politisch immer dann aktivierbar ist, wenn Sozi-ale Mischung nicht mehr funktioniert? Auf alle Fragenversucht dieses Kapitel eine Antwort zu geben. Für diewissenschaftliche Verortung des Konzeptes werdenzwei gegensätzliche Hypothesen – die Kontakthypothe-se und die Konflikthypothese –, die sich auf das homo-gene bzw. heterogene Zusammenleben von Menschenbeziehen, vorgestellt. Stellt man beide Hypothesengegeneinander, bieten sie einen deutlichen Kontrast, davon sozial gemischten Quartieren jeweils entgegen-gesetzte Effekte auf die Bewohner erwartet werden.

Das Kapitel 5.3 ist in einen theoretischen und einenempirischen Teil gegliedert und befasst sich mit demQuartier als Sozialraum, da dieses im Programm alsHandlungsebene des lokalen Sozialstaates bezeichnetwird. Im ersten Schritt werden zwei soziologisch rele-vante Raumkonzepte vorgestellt, die das Quartier nichtals „Behälter“ oder „Umraum“ begreifen, sondern mitdenen das Quartier als gesellschaftlicher Raum erfasstwerden kann, in dem sich vielfältige gesellschaftlicheProzesse vollziehen und vermittelt werden. Da im Pro-gramm des Weiteren davon ausgegangen wird, dassdas Quartier über Quartierseffekte einen Einfluss aufIntegrations- oder Ausgrenzungsprozesse seiner Be-wohnergruppen nimmt, werden Autoren zu Wortkommen, die einmal benachteiligte Quartiere als poten-ziell zusätzlich räumliche Ausgrenzungsdimension be-greifen. Andererseits sollen hier auch die Argumentevon den Autoren herausgearbeitet werden, die an-nehmen, dass benachteiligte Quartiere ihren marginali-sierten Bevölkerungsgruppen auch potenzielle Ressour-cen zur Alltagsbewältigung bieten. Im Anschluss daranwerden die beiden Gebietstypen – vernachlässigteinnenstadtnahe Altbaugebiete und Neubausiedlungen(meist am Rande der Stadt gelegen), die als die„Prototypen“ benachteiligter Quartiere gelten, vorge-stellt und hinsichtlich ihres von der wissenschaftlichenLiteratur erwarteten Einflusses auf die Alltagsbewälti-gung ihrer Bewohner diskutiert. Da die Autoren zu demSchluss kommen, dass die Betrachtung des Quartiersentweder nur als Ressource oder nur als zusätzlicheBenachteiligung zu kurz greift, wird das Quartier erstens

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

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als Opportunitätsstruktur begriffen, die zweitens erstunter der Einbeziehung der milieuspezifischen Deutungseiner Bewohnergruppen Handlungsrelevanz erhält.Hierfür wird das Konzept der „Sozialen Milieus“ in dieArbeit einbezogen.Im zweiten Teil sollen die politischen Erwartungen undtheoretischen Konzepte auf der Basis der URBEX-Studieüberprüft werden.

Während im vorangegangenen Kapitel sowohl dieerwarteten negativen Effekte, die von der spezifischenSozialstruktur als auch von der materiellen Strukturbenachteiligter Quartiere ausgehen, vorgestellt unddiskutiert wurden, wendet sich das Kapitel 5.4 konkreterder Sozialstruktur und hier vor allem den von ihrausgehend erwarteten negativen Nachbarschaftseffek-ten in „Problemquartieren“ zu. Im ersten Schritt wirdgrundsätzlich auf ein methodisches Problem zurErfassung von Nachbarschaftseffekten hingewiesen.Während im Programm selbstverständlich von negativenNachbarschaftseffekten ausgegangen wird – durch dasenge Zusammenleben marginalisierter Bevölkerungs-gruppen wird eine Zunahme von abweichendemVerhalten erwartet –, stellen die Autoren die Frage nachder Möglichkeit eines „ökologischen Fehlschlusses“. D.h.sie ziehen die Möglichkeit in Betracht, dass sichaufgrund von Segregationsprozessen ein hoher Anteilvon Personen mit abweichendem Verhalten im Quartierkonzentriert. Dies entspräche aber einer reinen Additionvon eben solchen Individuen und wäre noch nicht aufProzesse sozialen Lernens zurückzuführen. Im weiterenVerlauf der Arbeit werden dann theoretische Modelle,die in der wissenschaftlichen Literatur zur Wirkung vonNachbarschaftseffekten angeboten werden, vorgestelltund diskutiert.

5.1 Problem- und Gebietsdefinitionund Problemwahrnehmung anhand vonzwei ausgewählten Quartieren

Zunächst konzentrieren wir uns auf die Gebiete mitbesonderem Entwicklungsbedarf und stellen kurz dieUrsachen für die Entstehung von Problemgebieten dar.Dabei beschäftigen wir uns mit der Frage, wie dieseGebiete in dem Programm Soziale Stadt definiert undnach welchen Kriterien sie ausgewählt worden sind.Anschließend zeigen wir die Problemdimensionen auf,die laut dem Programm Soziale Stadt für benachteiligteGebiete charakteristisch sind.

5.1.1 Ursachen für die Entstehung von Gebieten mit „besonderem Entwicklungsbedarf”

Die Entwicklung der großen Städte in Deutschland istdurch eine wachsende soziale Ungleichheit gekenn-zeichnet, d.h. durch ein Wachstum der Unterschiede ander Teilhabe von verschiedenen Personen und Familienan materiellen Gütern und immateriellen Ressourcen(vgl. Armigeon 2001).Soziale Ungleichheit trat schon immer in Quartieren mitunterschiedlichen Lebens- und Wohnqualitäten auf.Phänomene wie Arbeitslosigkeit, Armut und Perspektiv-losigkeit sind keine neuen Erscheinungen in denStädten, jedoch haben sich die Dimensionen, Intensi-täten und räumlichen Konzentrationen verändert (vgl.Holl 2002: 46).Hintergrund hierfür sind u.a. weltweite Prozesse, die mitBegriffen wie Globalisierung, Liberalisierung undDeregulierung bezeichnet werden. Die Konsequenzdaraus ist eine wachsende Konkurrenz sowohl inDeutschland als auch in Europa oder auf internationalerEbene, die eine Notwendigkeit zur Effektivierung derProduktion beinhaltet, ebenso wie einen Druck auf dieLohnkosten. Daraus ergeben sich immer weniger politi-sche Steuerungsmöglichkeiten, insbesondere einerstaatlichen Regulierung.Das Zusammenwirken von diesen Veränderungen undeine wachsende ethnische und soziale Heterogenität dergroßstädtischen Bevölkerung können zu einer sozial-räumlichen Ausgrenzung führen. Die ethnische Hetero-genität drückt sich einerseits in unterschiedlichen Her-kunftsländern und unterschiedlichem rechtlichen Statusder Migranten aus. Andererseits zeigen auch unter-schiedliches Einkommen, Bildung, Berufe und Lebens-stile die soziale Differenzierung der städtischen Bevölke-rung auf.

Die Stadtteile, an die sich das Programm Soziale Stadtrichtet, sind meist durch sozialräumliche Segregationgeprägt (vgl. Kapitel 3.1). Diese Quartiere sind gekenn-zeichnet durch selektive Abwanderung, durch selektiveZuwanderung oder auch durch soziale Abwärts-tendenzen wie eine steigende Arbeitslosigkeit.

Entwicklung des Arbeitsmarktes

Die Beschäftigungsstruktur in den Städten hat sichverändert. Aufgrund des Deindustrialisierungsprozessesgehen einerseits, insbesondere in der Industrie, Tätig-keiten für unqualifizierte Arbeitnehmer verloren, ander-erseits nehmen Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich zu(Tertiärisierungsprozess). Diese gleichen aber denVerlust an Arbeitsplätzen im Ersten und Zweiten Sektornicht aus. Das Besondere dabei ist, dass hoch- undniedrig qualifizierte Tätigkeiten im Dienstleistungsbe-reich gleichzeitig wachsen. Dies führt zu einer größeren

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

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Polarisierung der Einkommensstruktur: einerseits stehenimmer mehr Menschen in prekären Beschäftigungs-verhältnissen mit niedrigem Einkommen, deren Lohnallein ihnen nicht zum Überleben reicht, und anderer-seits beziehen einige wenige ein sehr hohes Ein-kommen. Diese Veränderungen haben eine Zunahmeder Armut und Armutsrisiken in den Städten zur Folge.Das Risiko, arbeitslos zu werden, ist von vornhereinungleich verteilt. In Westeuropa sind es jeweils die ganzJungen und die Älteren vor allem unter den ungelerntenArbeitskräften, die besonders von Arbeitslosigkeit be-troffen sind. Mittlerweile sind schulische und beruflicheQualifikationen eine wichtige Voraussetzung, um amArbeitsmarkt teilnehmen zu können. Daraus ergibt sich,dass das Bildungs- und Ausbildungssystem als eineInstanz der sozialen Selektion wirkt, in der über Arbeits-markt- und damit Lebenschancen entschieden wird.Migranten sind im Vergleich zu Deutschen stärker vondiesem Risiko betroffen, weil die Mehrzahl von ihneneine geringere Qualifikation als die deutschstämmigeBevölkerung aufweist. Im Jahr 1995 arbeiteten 50% derArbeitsmigranten im Bereich der Produktion im Gegen-satz zu 31% der Deutschen (vgl. Friedrichs 2000: 183).In der Erwerbsarbeit bedeutet Ausgrenzung, dass eineVerdrängung beispielsweise in eine schlechtere Arbeits-position sich soweit verschärfen kann, dass es zu einemAusschluss vom Arbeitsmarkt und Erwerbsleben kommt.Vor allem in Zeiten der Rezession oder Stagnation, indenen viele Unternehmen von Insolvenz betroffen sind,ist Arbeitslosigkeit zu einem fast alltäglichen Problemgeworden. Zu sozialer Ausgrenzung kommt es, wenndie Arbeitslosigkeit dauerhaft ist und nicht gesellschaft-lich anerkannt wird, wie Formen der Nicht-Erwerbs-arbeit wie Ruhestand oder Ausbildung (vgl. Kronauer2002: 47f.).

Entwicklung der Wohnungsmarktpolitik

Die Veränderung auf dem Wohnungsmarkt in West-deutschland, der seit den 70er Jahren immer mehr denMarktmechanismen überlassen worden ist, verringertdas Angebot an billigen Wohnungen, die gerade fürfinanziell schwache Gruppen wichtig sind. Gleichzeitigschrumpft der soziale Wohnungsbau: „Die Schere einesRückgangs preiswerter Wohnungen beim gleichzeitigenWachstum darauf Angewiesener öffnet sich am wietes-ten in den Großstädten” (Keller 1999: 63).In den wenigen Sozialbauten kommt es zu einer Kon-zentration von Haushalten, die nicht in der Lage sind,über den Markt eine Wohnung zu finden.

Mit der Wende veränderte sich auch die Wohnungs-marktpolitik in Ostdeutschland. Diese neue Politik istgekennzeichnet u.a. durch Privatisierung von Teilen desstaatlichen Wohnungsbaubestandes und der Förderungvon privaten Investitionen.

Tendenzen von sozialer Entmischung zeigen sich auchin einigen Großsiedlungen wie zum Beispiel Marzahn-Nord/West in Berlin.Einerseits hat der Teil der Bevölkerung, der über einausreichendes Einkommen verfügt, eine große Wahl-möglichkeit hinsichtlich des Wohnstandortes. DieseBevölkerungsschichten ziehen besonders häufig in dieStadt-Umland-Region. Die Akteure des Suburbanisie-rungsprozesses sind meist Familien mit Kindern, die sichein Haus „im Grünen” kaufen. Ein Aspekt, der für dasVerlassen der Stadt spricht, ist die Tatsache, dass denMenschen im Umland ein verbessertes, naturnahesWohnumfeld zur Verfügung steht. Gegensätzlich dazustehen die negativen Bedingungen der Stadt wie bei-spielsweise die Umwelt- und Luftverschmutzung durchAbgase, Lärmbelästigung und Kriminalität.In den Quartieren, aus denen die Mittelschicht weg-zieht, siedelt sich neben Arbeitslosen und einkommens-schwachen deutschen Haushalten ein hoher Anteil vonZuwanderern an, die ebenfalls auf günstigen Wohnraumangewiesen sind. In Ostdeutschland ist der Ausländer-anteil viel niedriger, aber in manchen Gebieten ziehenAussiedlerfamilien zu. Diese tauchen in der Statistikjedoch nicht als Ausländer auf. Von der einheimischenBevölkerung werden sie nicht als Deutsche wahrge-nommen, sondern als „Russen“.Die Großstädte waren und bleiben Zielort von Zuwan-derung. Die Segregation und räumliche Konzentrationvon Migranten wurde dabei von Anfang an über dieWohnungspolitik mit erzeugt (vgl. Dangschat 1997: 97;vgl. Kapitel 3.2.1).Der Zugang zu einer Wohnung hängt nicht nur vomPreis-Leistungsverhältnis ab, sondern auch davon, objemand als Mieter akzeptiert wird oder nicht. „Einewichtige weitere Restriktion sind Vorurteile, insbeson-dere dann, wenn sie in diskriminierendes Verhalteneingehen” (Friedrichs 2000: 178f.). Chancen auf demWohnungsmarkt sind deshalb für Migranten oft abhän-gig von mangelndem Interesse deutscher Haushalte aneben diesen Wohnungen: „Die Geschichte der Zuwan-derer zeigt, dass Zuwanderer in jene Quartiere ziehen,die von Deutschen nicht mehr nachgefragt werden“(Häußermann/Kapphan 2000: 210).Als Konsequenz aus der oben geschilderten Entwicklunglösen sich sozial gemischte Quartiere auf.

Entwicklung der Sozialpolitik

Die Reduktion sozialer Leistungen durch die Städteaufgrund einer Einschränkung der Rolle des Staates,bzw. konkreter aufgrund der Finanznot der Städte(weniger Einnahmen aus der Einkommens- und Gewer-besteuer für die Stadt) trifft mit einem steigendenBedarf an Sozialausgaben zusammen (vgl. Häußermann2000: 14).

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

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Die Arbeitsmarktpolitik, die soziale Wohnungspolitikebenso wie andere staatliche Interventionsmöglichkei-ten haben gleichzeitig an Integrationskraft verloren. DieStadtpolitik steht dementsprechend vor einer neuenHerausforderung: „Ungleichheiten und Differenzierung-en der postmodernen Stadt in einer Balance pluralisti-scher Optionen zu halten, Ausgrenzung und sozialräum-liche Spaltungen also zu vermeiden” (Häußermann/Kapphan 2000: 22).

5.1.2 Die Gebiete mit„besonderem Entwicklungsbedarf”

Das Bund-Länder-Programm Soziale Stadt (BLPSS) hatsich zum Ziel gesetzt, betroffene Gebiete zu „selbstän-digen lebensfähigen Stadtteilen mit positiver Zukunfts-perspektive” (Endbericht DIFU 2003: 300) zu entwickelnund „gilt (für) Stadt- und Ortsteile, die infolge sozial-räumlicher Segregation davon bedroht sind, ins sozialeAbseits abzurutschen” (ebd.: 298). Die genanntenGebiete sind aufgrund der räumlichen Konzentrationvon verschiedenen Problemen wie Arbeitslosigkeit,Sozialhilfebezug, selektiver Abwanderung und/oderZuzug und kollektivem sozialem Abstieg geprägt. Diesewirken für ihre Bevölkerung benachteiligend, so dassdiese besonders gefährdet sind, gesellschaftlich ausge-grenzt zu werden. „Die Quartiere sind sowohl benach-teiligt als auch benachteiligend” (Walther 2002: 29).D.h. soziale Ungleichheit wird in diesen Problem-gebieten nicht nur verfestigt, sondern verschärft sich inkumulativer Weise (vgl. Häussermann 2000: 19).Wie bereits im zweiten Kapitel erwähnt, gibt es zweiGebietstypen, die einen „besonderen Entwicklungsbe-darf” aufweisen.Im Jahr 2002 zeichnet sich laut einer Befragung desDIFU folgendes Bild ab: Reine Altbaugebiete sind zu20%, Quartiere mit gemischten Baualter zu 21% undNeubaugebiete zu 55 % in den Programmgebietenvertreten.Mehr als die Hälfte der teilnehmenden Gebiete inDeutschland sind durch Siedlungsstrukturen geprägt, indenen Neubauten wie z.B. Groß- und Plattenbausied-lungen vorherrschend sind. Wenn man nur die neuenBundesländer betrachtet, ist dieser Anteil um einigeshöher und liegt bei fast 70% der Gebiete.Die Gebiete in Ost und West haben historisch verschie-dene Ausgangspunkte, insofern sind sie auch in unter-schiedlicher Weise im Programm repräsentiert. In denneuen Bundesländern sind es vorwiegend Neubau-gebiete, die in industrieller Weise errichtet wurden, inden alten Bundesländern die Altbauquartiere und Sied-lungen des sozialen Wohnungsbaus. Im Osten ist dasKernproblem häufig der Leerstand von Wohnungenaufgrund von Suburbanisierungsprozessen und Abwan-derung der Bewohner (vgl. Franz 2000: 165ff.), im

Westen hingegen der hohe Migrantenanteil sowie derhohe Anteil an Sozialhilfe beziehenden Mietern.Dies liegt unter anderem an den Unterschieden in derZusammensetzung der Bewohnerschaft zwischen west-und ostdeutschen benachteiligten Wohngebieten. InGroßsiedlungen im Osten ist im Gegensatz zu Großsied-lungen im Westen eine sehr viel breitere Einkommens-und Berufsstreuung vorherrschend, Abwanderungs-tendenzen von besser Verdienenden, um Wohneigen-tum zu bilden, sind seit 1995 erkennbar (vgl. Hunger/Wallraff 1998: 186). Auch in Bezug auf die Arbeitslosengibt es einen Unterschied: Im Westen sind Personen mitQualifikationsproblemen oder individuellen Integrations-schwierigkeiten arbeitslos, in den neuen BundesländernPersonen, die aufgrund der Transformation der ostdeut-schen Wirtschaft ihre Arbeitsplätze verloren haben.

Beschreibung und Charakteristikder Problemgebiete

Als das Programm im Jahr 1999 begann, beteiligten sich124 Städte und Gemeinden mit 161 Gebieten. Bis Endedes Jahres 2001 waren es bereits 184 Städte undGemeinden mit 223 Gebieten, die in das Programmaufgenommen wurden. Im Jahr 2002 nahmen bereits215 Gemeinden mit 301 Gebieten am Programm teil.Die Größe der ausgewählten Gebiete schwankt zwischen0,5 ha und 950 ha; die durchschnittliche Einwohnerzahlbeträgt 9200 Personen pro Gebiet, wobei es sich in denalten Bundesländern um eine durchschnittliche Ein-wohnerzahl von 8.400 Personen pro Gebiet und in denneuen Bundesländern um 11.600 Personen pro Gebiethandelt. Dieser Unterschied lässt sich durch den in denneuen Bundesländern höheren Anteil an Großsiedlungenerklären.Aus den Programmgebieten hat jedes Bundesland einsogenanntes Modellgebiet ausgewählt, in dem das DIFUvor Ort die Entwicklung unterstützt und betreut. Dabeikommt es in den 16 Modellgebieten neben der Unter-stützung von lokalen Akteuren und Aktionen auch zueinem Informations- und Erfahrungsaustausch.Bei dem Programm Soziale Stadt handelt es sich um einKonzept, das sich nicht nur auf die Großstadt be-schränkt, sondern alle Stadtgrößen berücksichtigt undauch Stadtrandgebiete mit einbezieht. Der Anteil derProgrammgebiete in der Großstadt mit mehr als100.000 Einwohnern beträgt 54%, davon 23 % in Städ-ten, die mehr als 500.000 Einwohner haben. Städte, dieweniger als 50.000 Einwohner zählen, sind mit fasteinem Drittel der Gebiete vertreten.Bei der Auswahl der Programmgebiete der SozialenStadt handelt es sich hinsichtlich der Bevölkerungs-struktur, Lage und Größe um sehr unterschiedlicheGebiete, die eine hohe Problemdichte aufweisen.Es handelt sich um „Stadtteile (...) die von gesamt-gesellschaftlichen und gesamtstädtischen Entwicklungen

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

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weitgehend abgekoppelt sind” (DIFU Endbericht 2003:7). Diese werden charakterisiert als „hochverdichtete,einwohnerstarke Stadtteile in städtischen Räumen, dieim Hinblick auf ihre Sozialstruktur, den baulichenBestand, das Arbeitsplatzangebot, das Ausbildungsni-veau, die Ausstattung mit sozialer und stadtteilkul-tureller Infrastruktur sowie die Qualität der Wohnungen,des Wohnumfeldes und der Umwelt erhebliche Defiziteaufweisen” (ebd.: 298). Hinzu kommen aber auchGebiete in Gemeinden, die aufgrund ihrer peripherenLage ganz ähnliche Probleme zeigen.Diese Beschreibung der Gebiete erfasst viele Aspektesowohl der soziokulturellen Infrastruktur als auch imbaulich-städtebaulichen Bereich. Ferner kommt es zueiner Überlagerung von verschiedenen Problemen, diesich gegenseitig verstärken: Benachteiligungen und Be-lastungen häufen sich und wirken sich auf die Lebens-bedingungen und Lebenschancen, auf die Stimmungenund das soziale Klima im Quartier aus (vgl. ebd.: 7).

Die Gebiete werden durch vier Problemdimensionenbeschrieben:

• Gebietsbedingungen (Wohnbedingungen, fehlendeGrün- und Freiflächen, mangelnde Infrastruktur/Beratungsangebote)

• das Gebietsimage belastende Probleme(Desinvestition, Vandalismus, soziale Konflikte,negative Innen- und Außenwahrnehmung)

• Probleme der individuellen Lebenslage(Arbeitslosigkeit, mangelnde Berufsqualifikationen,Krankheit/Suchtprobleme)

• psychische Probleme als Folge von erschwertenLebensbedingungen und geringen Lebenschancen(Vereinsamung, Resignation, Unsicherheitsgefühl,Perspektivlosigkeit)

Auf diese Problemdimensionen wird im nächsten Kapitelnäher eingegangen.

Auswahlverfahren

Die wichtigsten Kriterien, um ein Gebiet als ”Stadtteilmit besonderem Entwicklungsbedarf” in das BLPSSaufzunehmen, sind einerseits eine genaue Beschreibungder existierenden Probleme des Gebiets und anderer-seits die Darstellung der Potenziale des Gebiets für ihreWeiterentwicklung.Um erste Fördermittel der Städtebauförderung verteilenzu können, müssen die Programmgebiete festgelegtwerden. Dabei liegt es im Ermessensspielraum derStädte und Gemeinden, die jeweiligen Programmgebietefestzulegen. Das Land als mittelvergebende Instanzkann die kommunalen Vorschläge anerkennen oder ab-lehnen.

Erforderlich ist dabei ein gesamtstädtischer Vergleich.Wenn ein überdurchschnittlich hoher Handlungsbedarfbesteht, kann dieses Gebiet in der Entwicklung vor-rangig behandelt werden.Um ein Programmgebiet auszuwählen, ist es wichtig,dass bestimmte Daten über den aktuellen Zustand desGebietes und den gesamtstädtischen Kontext vorliegen,damit ein Vergleich vereinfacht wird. Aus diesem Grundhaben einige Städte, wie beispielsweise Essen, Berlin,München und Gelsenkirchen mit dem Aufbau vonMonitoring-Systemen begonnen, ferner geben sie Sozi-alraumberichte heraus, die kontinuierlich zur Armuts-situation und zur sozialen Lage erstellt werden. Mit Hilfevon Monitoring-Systemen können indikatorenbezogeneRaumbeobachtungen vorgenommen werden. Das heißt,dass für Städte bzw. Stadtteile anhand bestimmterIndikatoren, wie z.B. des Leerstands, der Fluktuation,der sozialen Lage, der Wohnverhältnisse und derGesundheitssituation eine Datenbasis erstellt wird, aufdie zurückgegriffen werden kann, wenn man einenbestimmten Stadtteil im gesamtstädtischen Vergleichbetrachten will. Neben der besseren Vergleichbarkeitvon Stadtteilen und der gesamten Stadt haben dieMonitoring-Systeme auch noch den Vorteil, dass sie zurPrävention bzw. als Frühwarnsystem für Gebiete, indenen die ersten Anzeichen von Problemen auftauchen,eingesetzt werden können. Da diese Monitoring-Syste-me aber nur in wenigen Städten eingesetzt werden,wird auf Sozialdaten der amtlichen Statistik zurück-gegriffen.Die sozialen Daten der Bevölkerung, die in der amt-lichen Statistik zu finden sind, wie Arbeitslosigkeit,Sozialhilfebezug und Umzugsdaten liegen nicht immerauf kleinräumiger Ebene vor und vermitteln deshalb oftnur ein unscharfes Bild von der Problemlage in einzel-nen Quartieren. Hierfür braucht man zusätzlich quali-tative Befunde.Berlin zum Beispiel verfügt über Daten zur Mobilität undErwerbstätigkeit auf der Ebene der statistischenGebiete.Um Programmgebiet zu werden, müssen die Problemla-gen, der Erneuerungsbedarf sowie die Entwicklungszieleund -strategien offen gelegt werden.Damit die Auswahl eines Gebietes auch kommunal-politisch legitimiert werden kann, ist es besonders wich-tig, dass das Auswahlverfahren zur Bestimmung desjeweiligen Gebietes transparent gestaltet wird undzudem nachvollziehbar ist.Bei der Gebietsauswahl sind nicht nur quantitativeMerkmale wie die Überlagerung von Arbeitslosigkeit undInanspruchnahme von Sozialhilfe, sondern auch quali-tative Merkmale (Negativimage, soziale Konflikte, Hoff-nungs- und Perspektivlosigkeit, Vereinsamung undUnsicherheitsgefühle) zu berücksichtigen (vgl. Endbe-richt DIFU 2003: 59). Trotzdem bleiben die IndikatorenArbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug die zentralenAuswahlkriterien (vgl. ebd.: 7).

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Die Gewichtung zwischen den verschiedenen Indika-toren unterscheidet sich klar zwischen den alten undneuen Bundesländern.Für die Auswahl von Programm- und Modellgebietenspielte im Vorfeld eine in Auftrag gegebene Unter-suchung in Form von Gutachten und Rahmenplanungeneine wichtige Rolle. Bei 87% aller befragten Programm-gebiete haben solche Untersuchungsergebnisse eineRolle bei ihrer Auswahl gespielt. Immerhin ein Anteilvon 16% aller Programmgebiete wurde auf Grundlagekleinräumiger gesamtstädtischer Raumbeobachtungausgewählt (Diese und die folgenden statistischenAngaben, vgl. Endbericht DIFU 2003: 53).Die Ergebnisse eines Gutachtens gaben zum Beispiel inBerlin die Grundlage für die Auswahl der Modell- undProgrammgebiete ab (vgl. Häußermann/Kapphan 1997).Bei der Auswahl fast der Hälfte aller Programmgebiete(109) spielten Vorläuferprogramme eine Rolle. So habeneinige Bundesländer (wie Baden-Württemberg, Bayern,Brandenburg und Niedersachsen) als Voraussetzung fürdie Auswahl ihrer Gebiete diese als Sanierungsgebietfestgelegt. In anderen Bundesländern ergänzen sichFörderprogramme des BLPSS mit Mitteln aus verschie-denen EU-Fonds wie Urban und EFRE (europäischerFond für regionale Entwicklung). Es gibt auch eineVerknüpfung mit dem Programm „Stadtumbau Ost - fürlebenswerte Städte und attraktives Wohnen” so im Falldes Modellgebiets Cottbus-Sachsendorf–Madlow inBrandenburg (vgl. Die soziale Stadt 2002: 95).Es gab auch Modellgebiete, die schon seit 1994 mitähnlichen Ansätzen operierten, wie zum Beispiel„Bismarck/Schalke Nord” in Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen), Hamburg (Modellgebiet Lurup seit 1994),Hessen (Modellgebiet: Nordstadt in Kassel seit 1995),Bremen (Modellgebiet Gröpelingen seit 1998) und Berlin(Modellgebiet Kreuzberg- Kottbusser Tor seit 1999). Sohatten diese Bundesländer die Möglichkeit, eine schongetroffene Auswahl zu überprüfen, geförderte Problem-gebiete auszuweiten oder die Auswahl zu revidieren.

5.1.3 Problemdefinition

Der Begriff Problem wird von Nikolaus Sidler als einTatbestand definiert, der von den Betroffenen alsveränderbar und veränderungswürdig erlebt wird, weiler von ihnen negativ bewertet wird (vgl. Sidler 1999).

ProblemdimensionenDie Bewohner benachteiligter Gebiete werden mitProblemen konfrontiert, die sich durch vier Problemdi-mensionen beschreiben lassen.Die erste Problemdimension bezieht sich auf die Beding-ungen im Quartier.Die vorherrschenden Probleme, die sich laut einerUmfrage des DIFU für die benachteiligten Gebieteergeben, sind Probleme im baulich-städtebaulichen Be-

reich (vgl. empirica 2003: 152). Dominierend sind hiervor allem ein hoher Sanierungs- und Instandsetzungs-bedarf von Wohnungen und Wohngebäuden wiebeispielsweise eine Erneuerung der Wärmedämmung,von Heizungsanlagen und Sanitärbereichen. Aber auchWohnumfeldmängel spielen eine zentrale Rolle. WeitereProbleme in den Programmgebieten sind eine hoheBebauungsdichte, Verkehrsprobleme, fehlende Grün-und Freiflächen. Es gibt sowohl eine schlechteVersorgungsinfrastruktur im Dienstleistungssektor undim Einzelhandel als auch eine unzureichende soziale undkulturelle Infrastruktur, d.h. es fehlen Freizeiteinrich-tungen und Betreuungs- und Beratungsangebote. Hinzukommt ein hoher Gebäudeleerstand, hohe Fluktuationder Bewohner und Wanderungsverluste.Die zweite Problemdimension befasst sich mit Proble-men, die das Gebietsimage belasten. Im Vordergrundstehen hier soziale Konflikte, die die negative Innen-und Außenwahrnehmung des Quartiers bestimmen.Soziale Konflikte gibt es im Zusammenleben der Bewoh-ner untereinander. Großsiedlungen sind von solchenKonflikten aufgrund der hohen Siedlungsdichte und dergroßen Anzahl von Bevölkerungsgruppen mit Migrati-onshintergrund besonders betroffen. Probleme, die sichhier ergeben, sind bedingt durch mangelnde Kommuni-kation, durch unterschiedliche Lebensrhythmen vonArbeitslosen und Erwerbstätigen, durch unterschiedlicheLebensgewohnheiten, unterschiedliche Vorstellungenvon Sauberkeit im öffentlichen Raum oder durchunterschiedliches Verantwortungs- und Identifikations-gefühl (vgl. empirica 2003: 152).Soziale Konflikte sind außerdem im schulischen Bereichzu finden. Gerade in Schulen, in denen deutsche Kindermeistens eine Minderheit darstellen und in denen dieZahl der Kinder aus Haushalten mit Migrationshinter-grund besonders hoch ist, stehen Sprachprobleme unddadurch erzeugte schulische Probleme im Vordergrund.Die Schulen, die zu wenig finanzielle Mittel und zuwenig Lehrpersonal haben, sind mit der Situationüberlastet und können meist einer Verschlechterung desUnterrichtsniveaus nicht entgegen wirken.Eltern, die für ihre Kinder die bestmögliche Bildung undErziehung von einer Schule erwarten, ziehen deshalbaus dem Quartier weg, sobald ihre Kinder im Ein-schulalter sind. Diese Entwicklung betrifft jedoch nichtnur deutsche Familien, sondern auch integrierteZuwanderer-Haushalte verlassen mit ihren Familien dasgemischte Quartier. „Durch fortschreitende sozialeEntmischung und die dadurch entstehende Konzentra-tion benachteiligter Haushalte wachsen und verstärkensich in vielen Quartieren soziale Konfliktpotentiale“ (vgl.Becker u.a. 2002: 15f.).Für Kinder und Jugendliche, die dagegen noch in denGebieten der Sozialen Stadt leben, ist die Situationschwierig. Denn gerade ihr Anteil ist in diesenQuartieren überdurchschnittlich hoch. Für sie gibt esnur unzureichende Freizeitangebote und es fehlen Aus-

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und Weiterbildungsplätze, so dass eine hohe Jugend-arbeitslosigkeit das Bild in den Stadtteilen prägt.Soziale und ethnische Konflikte, Vandalismus und einesteigende Kriminalitätsrate verursachen ein negativesImage, sowohl in der Innenwahrnehmung im Quartier,als auch in der Außenwahrnehmung der gesamtenStadt.Die dritte Dimension geht auf Probleme der indivi-duellen Lebenslagen ein.Ein großes Problem, das schon teilweise angesprochenwurde, ist die Arbeitslosigkeit, die durch den Rückgangvon Gewerbe, Industrie und den Dienstleistungssektorinnerhalb des Quartiers bedingt und verstärkt wird. DieBevölkerung der Programmgebiete der Sozialen Stadtist im Vergleich zum gesamtstädtischen Umfeld stärkerdurch Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebedürftigkeit ge-prägt. In 53% der Quartiere liegt die Arbeitslosenquotebei 15% und mehr (vgl. DIFU Endbericht 2002: 57).Durch einen langfristigen Ausschluss vom Arbeitsmarktverstärken sich soziale Ausgrenzungsprozesse und dieArmut in den Städten. Die zunehmende Verarmung inden Städten ist erkennbar an der hohen Arbeitslosigkeit,vor allem am hohen Anteil von Langzeitarbeitslosen undan der wachsenden Anzahl von Empfängern von staat-lichen Transferzahlungen. Die Situation verschlechtertsich insofern, dass man heute von einer Einkommens-armut in Großstädten von 10 bis 20 Prozent sprechenkann (vgl. Häußermann 2000: 13).Zusätzlich zur Arbeitslosigkeit und Armut gibt es unterden Bewohnern Probleme mit Suchtkrankheiten wieDrogenkonsum und Alkoholismus. Durch die Entstehungvon „Trinkertreffs“ und durch Beschwerden über Lärm-belästigung seitens der Anwohner entsteht ein weiteresKonfliktpotential.Die vierte Dimension bezieht sich auf psychische Pro-bleme, die aus den erschwerten Lebensbedingungenund den geringen Lebenschancen resultieren.Wenn sich soziale Beziehungen im Quartier wie bei-spielsweise Familie, Freunde oder Arbeitskollegen auflö-sen oder fehlen, wird es für die betroffenen Personenschwierig, „soziales Kapital“ im Bourdieu‘schen Sinne(Vgl. Kapitel 6.2) zu aktivieren. Das bedeutet für diePerson, die in einem Gebiet zusammen mit vielenArbeitslosen lebt, dass sie kaum Beziehung zu Perso-nengruppen hat, die sie beispielsweise über freiwerden-de Arbeitsplätze informieren könnten. Zudem bestehtdie Gefahr der Vereinsamung, wenn sich gemeinschaft-liche Strukturen vollständig auflösen.Eine weitere Folge, die aus der Netzwerkarmut resultiertund schon in einigen Programmgebieten beobachtetwerden kann, ist die Entstehung einer „abweichendenKultur“ von Kindern und Jugendlichen. Die Jugendlichenbekommen „in einem Umfeld mit nur wenigen positivenVorbildern und Repräsentanten eines „normalen“Lebens den Sinn von Schule, Ausbildung und Berufnicht mehr vermittelt“. „Staatliche Transferleistungenund Kleinkriminalität ersetzen in einem durch Arbeits-

losigkeit geprägten Umfeld oftmals Arbeit als materielleBasis für Lebensunterhalt und Konsum“ (vgl. Beckeru.a. 2002: 14).Langzeitarbeitslosigkeit, die vergebliche Suche nachAusbildungsplätzen oder Unzufriedenheit mit der eige-nen Situation führen zu Resignation und Perspektiv-losigkeit unter den Bewohnern.

5.1.4 Problemwahrnehmung

Die bereits aufgeführten Probleme, die in benachtei-ligten Stadtteilen zu finden sind, werden unterschiedlichwahrgenommen.Zu berücksichtigen wäre zum einen die Wahrnehmungder Bürger und der Gewerbetreibenden die in demGebiet leben. Für den Anwohner, bedeutet der Kiez„eine vertraute soziale Innenwelt, von der aus Gewohn-heitswege zu Zielpunkten außerhalb führen“ (Hoffmann-Axthelm, 1984. In: Herlyn, 1990).Zum anderen wird das Gebiet von Außenstehendenbeobachtet und bewertet. Es wird angenommen, dasses zwischen der Außen- und Innenwahrnehmung großeDiskrepanzen gibt, die wir in einer Untersuchung zweierProblemgebiete darstellen werden.Bei der Imagebildung eines Gebiets wird den Medieneine große Rolle zugeteilt. Eine negative Berichterstat-tung vor allem zu den sozial benachteiligten Gebietenverstärkt das negative Image dieser. Medien beein-flussen nicht nur die Außenwahrnehmung, sondernauch die Innenwahrnehmung des Quartiers. Anwohner,die sich eigentlich wohl oder sicher fühlen, werdenverunsichert und fühlen sich stigmatisiert und marginali-siert. Sie denken, dass ihre Probleme teilweise dadurchgelöst werden können, indem sie wegziehen. Da siejedoch oftmals nicht wegziehen können, werden sie mitihrer Situation immer unzufriedener und resignierenaufgrund der ihnen vorschwebenden Perspektivlosigkeit.Der Idealtypus innenstadtnaher Altbauquartiere alslokaler Zusammenhang hat sich stark gewandelt.„Anwohner eines Kiezes schwören auf ihre Gegendnicht, weil sie das Milieu so umwerfend finden, sondernweil sie mit ihren unterdurchschnittlichen Einkommennur hier existieren können. Sie haben keine Alternativeund die enge Bindung ans Quartier ist letztlich auf dieniedrigen Mieten zurückzuführen“ ( Thürmer-Rohr1974).Die Diskussion über die Inhalte sozialer Stadtentwick-lung entsteht unter anderem dadurch, dass über siezwei unterschiedliche Perspektiven vereinbart werdensollen. Diese zwei Perspektiven lassen jedoch unter-schiedliche Schlussfolgerungen zu.Auf die systematische Perspektive (von Institutionenausgehend) können Bürger nur mittelbar Einfluss neh-men, wie zum Beispiel die Schaffung neuer Arbeits-plätze.

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Die lebensweltliche Perspektive, wie z.B. eine Betreuungvon Kindern und Jugendlichen am Nachmittag nach derSchule, kann der Bürger sehr wohl beeinflussen.Zu erkennen ist, dass auf der institutionellen und dersoziokulturellen Ebene unterschiedliche individuelle Vor-stellungen entstehen, die nicht die Vorstellungen allerBeteiligten zufrieden stellen können.Hinzu kommt, dass die unterschiedlichen Akteure aufunterschiedlichen Abstraktionsniveaus sprechen. DerPolitiker konzentriert sich in der Regel auf Problemeeiner übergeordneten Ebene, während sich die Bewoh-ner mehr auf die konkrete, quartiersbezogene Ebeneund ihren speziellen lebensweltlichen Zusammenhangbeziehen.

5.1.5 Empirische Untersuchung:Problemwahrnehmung in Quartierenbenachteiligter Stadtteile im Rahmendes Bund-Länder-Programms Soziale Stadt

In den vorangegangenen Kapiteln wurden die Problem-gebiete des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt be-schrieben. Zwei dieser Gebiete sind Gegenstand unsererUntersuchung. Beides sind innenstadtnahe Altbauquar-tiere. Das Quartier am Boxhagener Platz befindet sichim ehemaligen Ostteil Berlins und das Quartier Rei-nickendorferstr./Pankstr. befindet sich im ehemaligenWestteil Berlins. Des Weiteren wird auf Untersuchungs-techniken und Herangehensweise eingegangen. Imletzten Teil der Untersuchung möchten wir anhand deraufgestellten Hypothesen eine Auswertung erzielen, umherauszufinden, ob es tatsächlich eine Diskrepanz zwi-schen Außen- und Innenwahrnehmung gibt. Des Weite-ren wollen wir herausfinden, welche der im Bund-Länder-Programm Soziale Stadt definierten Problemefür unsere untersuchten Gebiete zutreffen und wiederen Bewohner sie wahrnehmen.

Vorgehensweise

In beiden Quartieren haben wir jeweils 120 Fragebögenzur Problemwahrnehmung der Anwohner verteilt. ProGebiet wurden jeweils drei Interviews mit Gewerbe-treibenden geführt, um auch deren Eindruck über dasQuartier zu erhalten.Zur Außenwahrnehmung sind jeweils Vertreter der zu-ständigen Polizeiwache und des Bezirksamtes desGebiets interviewt worden. Nach einer kurzen Umschrei-bung der Gebiete werden wir die Ergebnisse der Unter-suchungen darlegen.

Das Quartiersmanagementund die ausgewählten Gebiete

Seit 1999 ist in Berlin das stadtentwicklungspolitischeInstrument des Quartiersmanagements in 17 Gebieteneingesetzt worden, um der sich abzeichnenden Ab-wärtsspirale in benachteiligten Quartieren entgegenzu-wirken.Die Gebietsauswahl erfolgte nach bestimmten Kriterien.Eines der Gebiete sollte sich im Westen und eines imOsten befinden. Da es sich bei Berlin um eine ehemalsgeteilte Stadt handelt, war es möglich, beide Gebieteaus Berlin auszuwählen. Um die beiden Gebiete ver-gleichen zu können, sollten beide innerstädtische Alt-baugebiete sein. Unsere Wahl fiel deshalb auf denBoxhagener Platz-Kiez in Friedrichshain (Friedrichshain-Kreuzberg) und dem Pankkiez in Wedding (Mitte).

Gebiet 1: Boxhagener Kiez

Das Quartiersmanagementgebiet Boxhagener Platz be-findet sich im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mitten imOrtsteil Friedrichshain. Das 75 ha große Quartier gehörtmit seinen ca. 18.492 Bewohnern (Stand 2001) zu denam dichtesten besiedelten Gebieten der Stadt und weisttypische Mietskasernenbebauung aus der Gründerzeitauf. Gegenüber dem Stand vom Juni 2000 hat sichdamit die Einwohnerzahl um 321 Einwohner erhöht,nachdem seit 1990 eine stetige Abnahme der Bewoh-nerzahl zu verzeichnen gewesen war. Der Anteil der Mi-granten an der Bevölkerung im Quartier hat sich in denletzten Jahren nur unwesentlich von 8,3% auf 8,5%erhöht. Dieser Anteil ist immer noch sehr niedrig imVergleich zum Migrantenanteil in Gebiet 2. Die Haupt-herkunftsländer sind Vietnam und die Länder des ehe-maligen Jugoslawiens, der ehemaligen Sowjetunionsowie afrikanische Länder.Mit den relativ wenigen Neubauten, die nach dem Kriegund nach 1990 entstanden, blieb die Blockstruktur imWesentlichen erhalten. Die Berliner Mischung vonWohnen und Gewerbe ist hier traditionell vorhanden,wobei sich das Gewerbe in einer Umstrukturierungbefindet. Trotz der Neuansiedlung junger Unternehmenund einer Vielzahl kleiner Gewerbebetriebe gibt es nocheinen auffälligen Ladenleerstand in den Erdgeschosszo-nen der Altbauten. Der verstärkte Fortzug von Familienmit Kindern und Erwerbstätigen war der Auslöser für dieEinrichtung eines Quartiersmanagements.Da das Gebiet nur über sehr wenige Grünflächen ver-fügt, steht ihre Erhaltung und Pflege im Vordergrund.Erhebliche Defizite weist das Gebiet im Bereich derSpiel-, Sport- und Freiflächen auf. Zu den wenigenGrünflächen zählen die drei Stadtplätze: BoxhagenerPlatz, Wismarplatz und Wühlischplatz. Der Zustand derStraßen und Gehwege ist häufig noch mangelhaft. Der

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neu gestaltete Boxhagener Platz bildet die grüne Oasedes Quartiers.Das Quartier rund um den Boxhagener Platz zwischenFrankfurter Allee und Revalerstrasse ist ein Kiez vollerGegensätze. Neben attraktiv sanierten Altbauten gibt essichtlich baufällige Gebäude und Neubauten der 70igerund 80iger Jahre, Straßencafés mit ihrem urbanen Flairsind ebenso zu finden wie unbebaute Grundstücke undGewerbebrachen, die als illegale Müllablagerungen ge-nutzt werden.

Abb. 5.1: Quartiersgebiet Boxhagener Platz:

Viele der alteingesessenen Bewohner haben in denletzten 10 Jahren den Kiez verlassen und sich attrakti-vere Wohnungen und Wohngegenden gesucht. Neuhinzugezogen sind junge Erwachsene, darunter vieleAuszubildende und Studenten. Durch den Zuzug insbe-sondere von Studentenhaushalten und dem Verbleibjunger Familien liegt der Altersdurchschnitt der Bewoh-ner aktuell bei 32 Jahren. Während der Anteil der längerals 10 Jahre im Geltungsbereich des MilieuschutzesWohnenden abnimmt, hat sich der Anteil der Haushalte,die zwischen zwei und fünf Jahren im Gebiet wohnen,erhöht. 27% der neu Hinzugezogenen kommen ausanderen Berliner Bezirken und 18% von außerhalbBerlins.Was im Sommer auf den Spielplätzen zu beobachten ist,wird durch die Anmeldungen in den Kitas und durch dieStatistik bestätigt, der Kiez wird wieder Wohnort fürjunge Eltern mit kleinen Kindern.Die Einkommensverhältnisse sind im Berliner Vergleichunterdurchschnittlich. Die Ursache dafür ist die hoheArbeitslosigkeit und die Zahl der Sozialhilfeempfängersowie auch das niedrige Einkommen der jungen Bewoh-ner. Das Quartier wird aber auch zunehmend Wohnortfür berufstätige Singles, die die Innenstadtlage und diekulturelle Vielfalt schätzen.Im nördlichen Bereich des Quartiers entlang der Frank-furter Allee gibt es zahlreiche Neubauten aus der Nach-kriegszeit (Plattenbauten). Die Mehrzahl der Wohnge-

bäude befindet sich im Eigentum von Einzel- oder Mehr-facheigentümern, die überwiegend erst in den letztenJahren ihr Eigentum erworben haben.Durch Modernisierungsmaßnahmen, die seit 1998durchgeführt werden, hat sich der Anteil der zeitgemäßausgestatten Wohnungen verdoppelt.Am südlichen Rand des Gebiets befinden sich zum Teilleerstehende Gewerbe- und Infrastrukturgebäude und -flächen, für die es Entwicklungsplanungen gibt, ohnedass eine Realisierung derzeit absehbar ist. Für dieWohngebäude in diesem Teil des Quartiers gilt dieErhaltungsverordnung nach § 172 BauG (Milieuschutz).In diesem Gebiet werden regelmäßig Daten zur Ein-kommensentwicklung, Mietbelastung und Wanderungs-bewegungen erhoben. Aus diesen geht hervor, dassentsprechend des hohen Anteils (80%) von 1- und 2-Zimmerwohnungen der Anteil der Einpersonenhaushaltemit 72% weit über dem Berliner und dem Friedrichs-hain-Kreuzberger Durchschnitt liegt.Die Wirtschaftsstruktur des Quartiers Boxhagener Platzwird durch eine Vielzahl kleiner Gewerbeeinrichtungengeprägt. Dabei fehlen die für andere Innenstadtbezirkeund auch für Friedrichshain typischen gewerblich ge-nutzten Hinterhöfe.Charakteristisch für das Gebiet ist eine gewerblicheNutzung der Erdgeschossbereiche der Wohngebäude.Bedeutendster Einzelhandels- und Dienstleistungsstand-ort im Quartiersmanagementgebiet ist die FrankfurterAllee. Zur Stärkung dieser bedeutsamen Geschäfts-straße im Standortwettbewerb hat das BezirksamtFriedrichshain-Kreuzberg bis Juli 2003 ein europäischesPilotprojekt zur Unterstützung der Gewerbetreibendeneingerichtet.

Gebiet 2: Pankstr./Reinickendorferstr.

Das Quartiersmanagementgebiet Reinickendorfer Str./Pankstraße wurde erst ab Ende des Jahres 2001 einge-richtet. Seit Anfang 2002 ist die L.I.S.T. GmbH - eintreuhänderischer Sanierungsträger - mit dem Quartiers-management Pankstraße/Reinickendorfer Straße vonSenatsverwaltung für Stadtentwicklung in Kooperationmit dem Bezirksamt Mitte beauftragt.Das 73 ha große Gebiet befindet sich im Bezirk Mitte imOrtsteil Wedding. Das Gebiet ist kein einheitlicher Kiez,wie andere Quartiersmanagementgebiete, sondern setztsich aus Teilen mehrerer Kieze zusammen. PrägendeStrukturelemente des Areals sind die Panke (ein Fluss),der S-Bahn-Ring und der Leopoldplatz.Das erste Teilgebiet befindet sich im Nordwesten undist Teil eines homogenen gründerzeitlichen Viertels, dasin den 80ern teilweise als förmliches Sanierungsgebietausgewiesen wurde. In diesem Gebiet machen sich diegrößten Konflikte bemerkbar.Das zweite Teilgebiet umfasst das Dreieck zwischenReinickendorfer- und Pankstr. Abgesehen von einer grö-

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ßeren Konzentration von Neubauten im nördlichen Teildieses Gebiets, ist der Rest von gründerzeitlichenBauten geprägt. Es wurden keine verkehrsberuhigendenMaßnahmen umgesetzt und es ist ein Mangel anwohnortnahen Grün- und Freiflächen vorhanden.Das dritte Teilgebiet befindet sich im Süden und ist diehistorische Wiege. Im Norden dieses Teilgebietes findetman Neubauten aus den 50er und 60er Jahren. DerRest des Gebietes sind Gründerzeitstrukturen, die aller-dings durch relativ große und breite Straßen, ungeord-nete Gewerbestrukturen, öffentliche Einrichtungen unddie Ringbahn ein wenig homogenes Bild ergeben. ImGebiet besteht ein großer Mangel an Grün- und Frei-flächen, der nur teilweise durch die Nähe des Humbold-thains (Park) aufgehoben wird.Das vierte Teilgebiet liegt im Osten und überlappt teil-weise mit Teilgebiet drei. Es wechseln sich Blockweisegründerzeitliche, Nachkriegs- und Bebauungen der 90erJahre sowie Brachen ab. Dieses sehr unstrukturierteTeilgebiet wird von der Ringbahn geteilt und umfasstGewerbestandorte, das Polizeirevier sowie Schul- undVerwaltungsgebäude.

Abb. 5.2:Quartiergebiet Reinickendorfer Str./ Pankstraße

Vernachlässigte Grün- und Freiflächen, leerstehendeWohn- und Gewerbeflächen sowie ein großes Konflikt-potenzial zwischen den Bewohnern tragen zum nega-tiven Image des Gebietes rund um Pank- und Rein-ickendorfer Straße bei. Um ein Abrutschen des Gebieteszu verhindern, wurde dieses Anfang 2002 als eines derjüngsten Mitglieder in die Riege der Quartiersmana-gement-Gebiete mit aufgenommen. Der Bezirk Weddingist seit der Bezirksfusion ein Ortsteil im neuen Haupt-stadtbezirk Mitte. Ca. 160,000 Menschen verschiedens-ter Nationalität leben und arbeiten hier und haben dasBild eines multikulturellen Stadtteils mitgeprägt.Die Baustruktur im Quartier ist sehr heterogen. Wäh-rend man im östlichen Teil eine Mischung aus Altbauten

und Sozialem Wohnungsbau findet, ist der westlicheTeil ein kompakter gründerzeitlicher Altbaubereich.Die Arbeitslosigkeit ist hoch und viele der Einwohnersind auf Sozialhilfe angewiesen. Hinzu kommt eineausgeprägte soziale Entmischung, da viele Bewohnermit besserem Einkommen fortziehen, wodurch diesoziale Stabilität des Quartiers in Gefahr gerät. Von denca. 14,300 (2002) Menschen, die hier leben, sind ca.6,000 (42%) ausländischer Herkunft. Die bestehendenKommunikationsprobleme sollen durch die Förderungbesserer Nachbarschaftsbeziehungen gelöst werden.Die Erhaltung und Pflege der vorhandenen Grünflächenund Spielplätze soll zu einer Verbesserung der Aufent-haltsqualität beitragen. Für die Anwohner wurden neueKommunikationsräume geschaffen und durch Bildungs-einrichtungen und soziale Träger sollen Jugendliche undErwachsene langfristig eine Perspektive erhalten.

Die Befragung

Um einen möglichst umfassenden Überblick zu be-kommen, haben wir beschlossen, dass wir sowohl dieAußenwahrnehmung als auch die Innenwahrnehmungder Gebiete untersuchen.Zur Außenwahrnehmung sind Interviews mit dem fürdas jeweilige Quartier zuständigen Bezirksamt undPolizeiabschnitten durchgeführt worden.Die Wahrnehmung der Anwohner des jeweiligen Quar-tiers ist durch die Verteilung eines Fragebogens (sieheAnhang) ermittelt worden.Um die Wahrnehmung des Gebiets aus ökonomischerSicht darstellen zu können, wurden jeweils drei Gewer-betreibende pro Kiez interviewt. Die Auswahl erfolgtezufällig, indem die Interviewer in unterschiedlichenStraßen des jeweiligen Gebietes Ladenbesitzer ange-sprochen haben.Zunächst sind die Fragen der Interviews und derFragebögen zusammengestellt worden. Die Interview-partner sind angeschrieben worden, danach wurdenTermine für die Interviews vereinbart.Die Interviews mit den Gewerbetreibenden wurden inder zweiten Septemberwoche (2003) durchgeführt.In Friedrichshain sind ein Fahrradhändler, eine Inha-berin eines Kosmetikstudios und ein Kioskbesitzer inter-viewt worden.Im Wedding wurden Interviews mit zwei Kioskbesitzer-innen und einem Apothekeninhaber geführt.Die Fragebögen wurden von Mitte August bis MitteOktober (2003) in öffentlichen Einrichtungen ausgelegt.Geplant war die Auslage bei Ärzten, in Kitas, im Bürodes Quartiersmanagements und im Bürgeramt.In Friedrichshain zeigte das Quartiersmanagement eineablehnende Haltung unserer Untersuchung gegenüberund lehnte die Auslegung der Fragebögen ab. Aufgrunddes bevorstehenden Umzugs des Büros von derRevalerstraße in die Frankfurter Allee, ließ auch das

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Bürgeramt das Auslegen der Fragebögen nicht zu. DieLeiterin der Kita, selbst in einer der AGs engagiert,erklärte sich sofort bereit, das Projekt zu unterstützenund verteilte die Bögen an Elternabenden. Auch beieinem Arzt durften wir die Fragebögen auslegen, hierwar die Resonanz jedoch sehr schlecht. Die Arzthelferinberichtete, dass obwohl sich einige Patienten die Bögeninteressiert angeschaut hätten, niemand einen ausfüllenwollte.

Da nicht genügend ausgefüllte Fragebögen eingegan-gen waren, beschlossen wir, die Fragebögen direkt indie Briefkästen einiger Wohnhäuser zu verteilen. DieAnwohner sind auf Nachbarschaftshilfe angesprochenworden und haben recht großes Interesse gezeigt.Im Wedding hat sich das Quartiersmanagement als sehrkooperativ und unterstützungsbereit gezeigt. Sie habenuns angeboten, auf einem von ihnen organisiertenStraßenfest, am Stand des Quartiersmanagements Frau-gebögen auszuteilen. Auch hier erhielten wir vomBürgeramt keine Antwort auf unsere Anfrage. In derArztpraxis kamen von den 30 ausgelegten Fragebögenacht ausgefüllt zurück. Auch die Kita hat die Frage-bögen zum Elternabend verteilt, bezweifelte jedoch,dass viele beantwortet würden, da wir keine Bögen intürkischer Sprache hatten. Die Resonanz war dement-sprechend gering.Eine erste Sichtung der Fragebögen hat gezeigt, dasssich insgesamt 111 Personen an der Befragung beteiligthaben. 20% der Befragten leben nicht selbst in einemder Quartiere und haben dieses als Außenstehende be-urteilt.Mit der Auswertung der Fragebögen und der Interviewswurde Anfang November (2003) begonnen.

5.1.5.1 Innenwahrnehmung

Gewerbe

Unsere Grundgesamtheit besteht aus sechs Gewerbe-treibenden, drei pro Quartier.Die Gewerbetreibenden wurden von uns zu den The-men Sicherheit, Bekanntheit des Quartiermanagements,Problemen, Stärken und zu der wirtschaftlichenSituation in den jeweiligen Gebieten befragt.Die sechs interviewten Gewerbetreibenden beantworte-ten die Frage, ob sie sich in ihrem Quartier sicherfühlen, mit ja.In Bezug auf die Bekanntheit des QM konnten wirerstaunlicher Weise feststellen, dass das eingerichteteQM bei den Interviewpartnern im Pankkiez weitgehendunbekannt war. Lediglich im Quartier Boxhagener Platzfanden wir Ansprechpartner, denen das QM bekanntwar.

Die wirtschaftliche Entwicklung im Gebiet wurde vonden Befragten überwiegend negativ beurteilt. Als Nega-tiv empfunden wurden die hohe Gewerbefluktuation, diesinkende Kaufkraft sowie die Deindustrialisierung in denKiezen.Hingegen wurde die eigene wirtschaftliche Situation derGewerbetreibenden im Boxhagener Kiez als gut bis sehrgut empfunden, im Pankkiez jedoch als negativ bewer-tet.Auch in Bezug auf die Problemwahrnehmung im Quar-tier sind zwischen den Gebieten Differenzen festzu-stellen. Im Pankkiez liegt der Problemschwerpunkt inder wirtschaftlichen Entwicklung. Unsere Befragten kriti-sieren die Euroeinführung und die ihrer Ansicht nachdamit verbundene gesunkene Kaufkraft. Die Gewerbe-treibenden im Boxhagener Kiez nehmen quartiersspezi-fische Probleme wahr. Sie nennen Vandalismus, Dreck,Verkehr und Gewerbeleerstand.Die Annahme, dass sich seit der Einrichtung desQuartiersmanagements Stärken im Kiez entwickelthaben, hat sich nur im Boxhagener Kiez bestätigt.Im Pankkiez sehen die Interviewten dagegen keineStärken und Potentiale.Wir führen die unterschiedliche Wahrnehmung in denbeiden Kiezen auf die Laufzeiten des Programms undauf die unterschiedliche Ausgangssituation zurück.

Anwohner

Bei Betrachtung der Ergebnisse aus beiden Programm-gebieten müssen wichtige Einschränkungen vorge-nommen werden. Effekte, die von der sozialen Positiondes Individuums ausgehen, müssen bedacht werden.So sind Wahrnehmung und Bewertung durch einenMenschen stark von individuellen Faktoren wie Lebens-alter, ethnischer Zugehörigkeit, Herkunft, Geschlecht,sozioökonomischer Position u.a. beeinflusst, was bei derAuswertung der Fragebögen zu berücksichtigen ist.

Mit der Befragung der Anwohner wollten wir herausfin-den, wie die Bewohner ihr Quartier wahrnehmen. Dabeiinteressierte uns besonders, inwiefern die AnwohnerVeränderungen, Probleme sowie Potentiale in ihremeigenen Kiez beobachten. Zudem wollten wir heraus-finden, welche Bevölkerungsgruppen dort leben, ob siedort gerne leben oder unter bestimmten Umständenden Kiez verlassen würden.

Die Anwohnerbefragung konzentrierte sich neben derErhebung der sozial-demographischen Daten auf dieAspekte der Wohnzufriedenheit und der Wahrnehmungvon Problemen. Hinsichtlich der Wohnzufriedenheitwollten wir von den Anwohnern wissen, ob und warumsie gerne in ihrem Quartier leben und ob sie das Gebietals Wohnort ihren Freunden empfehlen würden. Zudeminteressierte uns, unter welchen Umständen die Bewoh-

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ner ihren Kiez verlassen bzw. wegziehen würden. InBezug auf die Wahrnehmung von Problemen sollten unsdie Befragten mit Hilfe von vorgegebenen Eigenschaftenihr Quartier beschreiben, Probleme des Kiezes be-nennen und beantworten, ob sie sich im Gebiet sicherfühlen.

Tablle 5.1: Wohnort (Berlin 09/2003)

Frequency Percent Valid Percent

Boxhagener Platz 48 43,2 43,2Pankstr. 40 36 36nein/frh 14 12,6 12,6nein/pank 9 8,1 8,1Total 111 100 100

Wir sind davon ausgegangen, dass Studenten aufgrundihrer eigenen wirtschaftlichen Situation in Gebiete zie-hen, in denen günstige Wohnungen sowie eine guteInfrastruktur vorhanden sind und die innenstadtnahgelegen sind.Die Befragten, die nicht berufstätig sind, wurden gebe-ten anzugeben, welcher Tätigkeit sie momentan nach-gehen. Im Boxhagener Kiez sind 24% der BefragtenStudenten. Im Pankkiez lediglich 10,2% der Befragten.

Tabelle 5.2:Kategorien Erwerbslosigkeit (Berlin 09/2003)

Boxhagener Kiez Pankkiez

Azubi/Schüler 6,5 2

Student/In 24,2 10,2

Hausfrau/ -mann 4,8 12,2

Pensioniert 0 6,1

Anzahl der Befragten 23 18alle Angaben in Prozent

Wir haben im Pankkiez mit einer höheren Prozentzahlvon Studenten gerechnet. Gründe dafür, dass sich un-sere Annahme für den Pankkiez nicht bestätigt hat,kann zum einen an der Stichprobe liegen oder zumanderen, dass der Kiez für Studenten tatsächlich keinattraktiver Wohnort ist.

Medien berichten häufig über Vandalismus und gewalt-tätige Auseinandersetzungen in den von uns ausge-wählten Quartieren. Daraufhin haben wir untersucht, obVandalismus und Kriminalität als besonders problema-tisch von den Anwohnern wahrgenommen werden.

In der Fragestellung zur Problemwahrnehmung batenwir die Anwohner, verschiedene Probleme auf einerSkala von unproblematisch bis sehr problematisch nachihrem eigenen Empfinden zu bewerten.Im Pankkiez wird Vandalismus von ca. 60% der Befrag-ten als sehr problematisch bis problematisch empfun-den.Im Boxhagener Kiez empfinden 46% der Befragten Van-dalismus als ein Problem. Demgegenüber bewerten30% dieses Thema als unproblematisch.Die Wahrnehmung von Kriminalität wurde nicht direktim Fragebogen abgefragt. Wir haben die Anwohnernach ihrem Sicherheitsgefühl und nach ihrem Empfin-den von Bedrohung befragt. Eine weitere Frage zielteauf die Charakteristik des Gebiets ab.Für das Quartier Boxhagener Platz ist eine signifikantereAussage zu treffen. Für zwei Drittel der Befragten ist„Bedrohung“ kein erwähnenswertes Problem. Fast 80%der Befragten fühlen sich in diesem Kiez zu jeder Tages-zeit sicher. Als gefährlich haben nur 11,3% der Befrag-ten den Kiez beschrieben. Das Quartier Pankstr./Reinickendorfer Straße wird von 38,8% der Befragtenals gefährlich beschrieben.

Benachteiligte Quartiere im Westen Deutschlands sindgekennzeichnet durch eine hohe Migrantenzahl imGegensatz zu den Gebieten Ostdeutschlands.Deshalb haben wir angenommen, dass im Pankkiez dieMigranten eine höhere Wohnzufriedenheit aufweisen alsdie deutschen Bewohner und im Gegensatz dazu imKiez Boxhagener Platz sich die deutschen Anwohnerwohler fühlen als die nicht-deutsche Bevölkerung.

Tabelle 5.3: Wohnzufriedenheit (Berlin 09/2003)

Boxhagener Platz Pankkiez

Ja 95,8 60

Nein 4,2 40

Anzahl der Befragten 48 40alle Angaben in Prozent

Unsere Ergebnisse zeigen, dass im Quartier BoxhagenerPlatz die Wohnzufriedenheit sehr hoch ist und dasQuartier Pankstraße im Vergleich eher schlechter ab-schneidet.Unsere Stichprobe hat eine hohe Migrantenzahl imPankkiez nicht bestätigt. Wir gehen davon aus, dass einGroßteil der Befragten, die angegeben haben, deutscherStaatsbürger zu sein und in Deutschland geborenwurden, Personen mit Migrationshintergrund sind.

Ein weiteres Charakteristikum von benachteiligten Ge-bieten ist ein Mangel an sozialer Infrastruktur. Es fehlenGrünflächen und Spielplätze, außerdem gibt es nur

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unzureichende Freizeitangebote sowie Aus- und Weiter-bildungsplätze. Die Situation der Kitas und Schulenverschlechtert sich durch den Abbau von Investitionen.Daraus herleitend nehmen wir an, dass Familien mitKindern eher den Wunsch haben, aus benachteiligtenGebieten wegzuziehen.Im Boxhagener Kiez haben 22,6% der Befragtenmindestens ein Kind, im Pankkiez haben 38,7% derBefragten ein oder mehrere Kinder.Bei der Frage nach Gründen für einen Wegzug wurdendrei Antwortkategorien vorgegeben. Von den Befragtendes Pankkiezes und des Boxhagener Kiezes gaben diemeisten, der im Quartier lebenden Befragten (34%)einen besseren Verdienst als Grund an und 22%würden bei der Geburt eines Kindes wegziehen.

Tabelle 5.4: Wegzugsgründe (Berlin 09/2003)

Wegzugsgründe Boxhagener Kiez Pankkiez

Grundgesamtheit /Missings 48/ 7 40/ 7

Besserer Verdienst 33,3 35

Geburt eines Kindes 22,9 22,5

Einschulung eines Kindes 4,2 20

Sonstiges 41,7 27,5alle Angaben in Prozent

Zusammenfassend können wir feststellen, dass die Be-fragten des Pankkiezes im Durchschnitt älter sind undschon länger im Quartier wohnen, mehr Kinder haben,seltener Student/-in sind und seltener die deutscheStaatsbürgerschaft besitzen im Vergleich zu den Befrag-ten im Gebiet Boxhagener Platz.

Dies ist von Bedeutung, da wir davon ausgehen, dasszum Beispiel das Adjektiv „lebendig“ bei jüngerenMenschen und bei Studenten mit größerer Wahrschein-lichkeit positiv konnotiert ist als bei älteren, berufstä-tigen Personen. So mögen die Eigenschaften „laut“ und„dreckig“ für einen jungen allein stehenden Menschenkeinen Grund zum Anstoß darstellen oder im Gegenteilsogar als positiv empfunden werden, wohingegen siefür Familien mit Kindern eine starke Belastung seinkönnen.Des Weiteren gehen wir davon aus, dass zum Beispieldas Bedürfnis nach Sicherheit mit steigendem Lebens-alter zunimmt und sich somit auch die Beurteilung vonUnsicherheit und das eigene Sicherheitsempfindenverändern.Diese verzerrenden Effekte sind bei einer allgemeinenEinschätzung eines Quartiers zu berücksichtigen, eben-

so bei einer Beurteilung des Verhältnisses von Innen-und Außenwahrnehmung.

Resümee:

Als Resultat läßt sich festhalten, dass die Probleme, dievon den Bewohnern wahrgenommen und die im Pro-gramm definiert werden, übereinstimmen. Die befrag-ten Akteure in den benachteiligten Quartieren empfin-den Schmutz und Dreck als besonders problematisch.Die Bevölkerungszusammensetzung in beiden Gebietenunterscheidet sich und die Probleme werden dement-sprechend von den Bewohnern unterschiedlich bewer-tet. Die kulturelle Vielfalt, Bedrohung und der Mangel anSpielplätzen werden als mehr oder weniger problema-tisch bezeichnet.

5.1.5.2 Außenwahrnehmung

Die Außenwahrnehmung ermittelten wir zum Einendurch eine Analyse der Berichterstattung über die be-treffenden Gebiete in den Tageszeitungen „BerlinerZeitung“ (19 Artikel) und „Berliner Kurier“ (neunArtikel), zum Anderen durch Interviews mit Beamtender jeweils zuständigen Polizeidirektionen und derBezirksämter.

PolizeiWir haben festgestellt, dass obwohl beide Beamte ineinem ähnlich brisanten Quartier arbeiten, eine unter-schiedliche Einstellung dem Quartier gegenüber haben.Der zuständige Beamte im Pankkiez sieht Stärken undPotenziale, die zu einem Aufwärtstrend führen könnten.Es haben sich Kiezgruppen gebildet, um im beider-seitigen Dialog (Bewohner – öffentlicher Akteur) dieProbleme, die sie wahrnehmen, konstruktiv anzugehen.Der interviewte Beamte im Boxhagener Kiez sieht dasgrößte Problem im Wegzug von Familien mit Kindern.Daraus ergibt sich für ihn, dass der Kiez keine Stärkenaufweist. Er sieht für die Zukunft des BoxhagenerKiezes keinen Aufwärtstrend.In beiden Quartieren ist als positiv zu beurteilen, dasseine Zusammenarbeit zwischen QM und Polizei stattfin-det. Im Pankkiez hält der Kiezbeamte einen engenKontakt zum Quartiersmanagement und nimmt regel-mäßig an den Besprechungen teil. Im Boxhagener Kiezleistet die Polizei organisatorische Hilfestellung undsteht beratend für im Kiez stattfindende Veranstaltung-en zur Seite.

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BezirksamtMit den Interviews von Beamten der Bezirksämter woll-ten wir herausfinden, wie diese die Gebiete wahrneh-men.Festgestellt wurde, dass die Probleme, die Stärken unddie Veränderungen in den jeweiligen Gebieten unter-schiedliche Schwerpunkte haben bzw. unterschiedlichvon den Beamten der jeweiligen Bezirke wahrgenom-men werden.Auf die Probleme der Arbeitslosigkeit und Abhängigkeitvon Transferzahlungen geht der Beamte aus Friedrichs-hain nicht ein, er konzentriert sich auf die städtebau-liche Problemdimension, die mit den Bedingungen desGebietes zu tun hat, d.h. auf Wohnbedingungen,fehlende Grün- und Freiflächen und mangelnde Infra-struktur.In Gegensatz dazu sind Probleme der individuellenLebenslage insbesondere von Bewohnern mit Migra-tionshintergrund für die Beamtin aus Wedding wichtig.Ein Interpretationsansatz ist, dass in Wedding dieseProbleme sichtbarer sind. Das heißt, Probleme wieArbeitslosigkeit oder fehlende Ausbildungsplätze werdenmehr auf der Straße ausgetragen. Beispiel dafür ist diestärkere Nutzung von öffentlichen Plätzen, einerseitsvon der sogenannten „Trinkerszene” und andererseitsvon arbeitslosen Jugendlichen.In beiden Gebieten gibt es unterschiedliche Hauptpro-bleme: im Quartier Boxhagener Platz überwiegenstädtebauliche und wirtschaftliche Probleme, wohinge-gen im Pankkiez die sozioökonomischen und sozialenProbleme vorherrschen. Unsere interviewten Beamtengingen auf genau diese Problemschwerpunkte ein.

MedienEin wichtiger Bestandteil der Außenwahrnehmung istdas Bild der Quartiere in den Medien. Zu diesem Zweckwerteten wir 28 Artikel zu dem Quartier BoxhagenerPlatz und Pankstraße/Reinickendorfer Straße aus derBerliner Zeitung und dem Berliner Kurier seit 1999 aus.Die Artikel zeigen über den Boxhagener Platz genau dieProbleme, die von allen Befragten angesprochen wur-den, also Vandalismus, Dreck, Verkehr und Gewerbe-leerstand. Die Berichterstattung über diese Problemewurde weniger intensiv hervorgehoben als in derBerichterstattung über das Quartier Pankstraße/Reinickendorfer Straße. Hier dominiert die Berichter-stattung über brutale und skurrile Straftaten.Das Bild vom Quartier Boxhagener Platz, das durch dieMedien vermittelt wird, ist positiver als wir uns das beieinem Problemquartier nach Definition des ProgrammsSoziale Stadt vorgestellt haben. Im Fall des Pankkiez´wird unsere Vorstellung bestätigt, nämlich dass einProblemquartier auch negativ in der Presse dargestelltwird.

5.1.5.3 Vergleich Innenwahrnehmung –Außenwahrnehmung

Unsere erste Hypothese zur Außen- und Innenwahrneh-mung geht davon aus, dass die Außen- und die Innen-wahrnehmung nicht übereinstimmen. Die Bewohnerund die Gewerbetreibenden haben die Möglichkeit, diepositiven und negativen Seiten wahrzunehmen aufgrundder guten Kenntnis des Gebiets. Im Gegensatz dazuhaben diejenigen, die nicht im Quartier leben, einenanderen Zugang zu Informationen über Probleme undPotenziale des Gebiets.Sowohl für den Boxhagener Platz als auch für dasGebiet Pankstraße haben wir jeweils eine Hypotheseerstellt.Für den Boxhagener Platz nehmen wir an, dass dieAußenwahrnehmung positiver ist als die Innenwahrneh-mung. Ein Grund dafür ist die von uns wahrgenommenelebendige Atmosphäre durch viele dort ansässige Stu-denten, Kneipen und Lokale.Für den Kiez Pankstraße vermuten wir, dass die Außen-wahrnehmung negativer ist als die Innenwahrnehmung.Hier spielte die negative Berichterstattung in den Me-dien für die Aufstellung unserer Hypothese eine Rolle.

Boxhagener PlatzFür das Quartier Boxhagener Platz ergibt sich einepositive Außenwahrnehmung seitens des Bezirksamtsund der verschiedenen Zeitungsartikel.Das Bezirksamt in Friedrichshain sieht neben den vor-handenen Problemen im Gebiet eher eine positiveVeränderung, die sich z.B. durch Maßnahmen derWohnumfeldverbesserung und durch Projekte zur kurz-fristigen Gewerberaumnutzung zeigen. Zudem verweistdas Bezirksamt auf die Stärken im Kiez wie die jungeBewohnerschaft, die soziale Mischung, aber auch dieLadenvielfalt.Unsere Medienanalyse ergab:Das Bild vom Quartier Boxhagener Platz, das durch dieMedien vermittelt wird, ist positiv.Die untersuchten Zeitungsberichte heben Aktionen ge-gen den Leerstand, Beratungen für Existenzgründer undden Boxhagener Platz als „Trendviertel“ positiv hervor.

Die Innenwahrnehmung durch die Bewohner im Kiez istim Bezug auf die Wohnzufriedenheit besonders positiv.95,8% der befragten Anwohner lebten gerne im Quar-tier Boxhagener Platz aufgrund der guten Verkehrs-anbindung und der netten Atmosphäre im Gebiet. EineEigenschaft, die das Quartier nach Meinung der Bewoh-ner auszeichnet, ist seine Lebendigkeit.Die Gewerbetreibenden, die ebenfalls zur Innenwahr-nehmung befragt wurden, fühlen sich im Gebiet sicherund sehen Stärken des Quartiers in der Anwohner-vielfalt, in der multikulturellen Atmosphäre, in dengünstigen Mieten, in der guten Verkehrsanbindung so-

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wie in der gegenseitigen Nachbarschaftshilfe. Nebenden existierenden Problemen wie beispielsweise Gewer-beleerstand, Dreck, Vandalismus und Arbeitslosigkeitgibt es viele positive Veränderungen, die von den Ge-werbetreibenden wahrgenommen werden. Die Neuge-staltung des Boxhagener Platzes sowie viele Sanie-rungsmaßnahmen führen zur Aufwertung des Gebietes.Zudem sind sie mit ihrer eigenen wirtschaftlichen Situa-tion zufrieden.Insgesamt gesehen ist die Innenwahrnehmung derBewohner und des Gewerbes als positiv zu beurteilen.Unsere Hypothese, dass die Außenwahrnehmung amBoxhagener Platz positiver als die Innenwahrnehmungist, konnte somit widerlegt werden.

PankstraßeDie Außenwahrnehmung durch die Polizei im Pankkiezstellt sich eher optimistisch dar. Als Stärken zeigt derBeamte das hohe Mobilisierungspotential der Bewohnerund die gute Zusammenarbeit zwischen Polizei und QMauf.Das Bezirksamt beobachtet ebenfalls einige positiveVeränderungen im Quartier wie zunehmende Baumaß-nahmen und verstärkte Bürgerbeteiligung. Die guteVerkehrsanbindung und die Heterogenität des Quar-tiers, das sich aus unterschiedlichen Kiezen mit unter-schiedlichen Entwicklungschancen zusammensetzt,werden vom Bezirksamt als Stärken angesehen.In unserer Auswertung berücksichtigen wir stärker dieBerichterstattung durch die Medien, weil sie einengroßen Personenkreis beeinflussen können. UnsereMedienanalyse ergab eine sehr negative Wahrnehmungdes Quartiers. In der Berichterstattung steht die Krimi-nalität im Vordergrund.

Die Innenwahrnehmung ist eher negativ, weil die Be-wohner ihren Freunden/Bekannten nicht empfehlenwürden, in den Kiez zu ziehen. Wir interpretieren dieZufriedenheit der im Quartier lebenden so: sie könnennicht weg ziehen oder haben sich mit den Problemenabgefunden und versuchen, die positive Seite desGebietes zu sehen.Die Gewerbetreibenden fühlen sich ähnlich wie inFriedrichshain in dem Gebiet sicher, sie nehmen aberkeine Stärken und Potenziale im Kiez wahr. Hinzukommt, dass die Kleinunternehmer negative Verände-rungen wahrnehmen, sowohl in Bezug auf ihre eigenewirtschaftliche Situation als auch in Bezug auf Verän-derungen hinsichtlich der hohen Gewerbefluktuationund einer Verschlechterung der Dienstleistungsinfra-struktur.Die Innenwahrnehmung wird von den Gewerbetreiben-den und den Bewohnern eher negativ bewertet.Unsere Hypothese, dass die Innenwahrnehmung in derPankstr./Reinickendorferstr. positiver als die Außen-wahrnehmung des Gebiets ist, konnten wir nicht bestä-

tigen, weil sowohl die Innen- als auch die Außenwah-rnehmung negativ ist.

Bei Betrachtung der Ergebnisse aus beiden Programm-gebieten müssen allerdings wichtige Einschränkungenvorgenommen werden. Effekte, die von der sozialenPosition des Individuums ausgehen, müssen bedachtwerden.So sind Wahrnehmung und Bewertung durch einenMenschen stark von individuellen Faktoren wie Lebens-alter, ethnischer Zugehörigkeit, Herkunft, Geschlecht,sozioökonomischer Position u.a. beeinflusst, was bei derAuswertung der Fragebögen zu berücksichtigen ist.

Fazit:

Die beiden Gebiete zeigen unterschiedliche Problemeauf, die von unseren Befragten verschieden wahrge-nommen werden. Wir haben festgestellt, dass es eineÜbereinstimmung zwischen den wahrgenommenenProblemen und den Auswahlkriterien für die Aufnahmein das Programm Soziale Stadt gibt. Eines derAuswahlkriterien für den Boxhagener Platz war dieheruntergekommene Altbausubstanz sowie der Mangelan Grün- und Freiflächen. Im Quartier Pankstraßedominieren soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit undMangel an Bildung.In Bezug auf die beobachteten Veränderungen in denKiezen ist festzuhalten, dass im Quartier BoxhagenerPlatz diese sichtbar sind und als positiv empfundenwerden. Im Gegensatz dazu zeigen sich im Pankkieznoch keine sichtbaren Veränderungen. Eine Erklärungdafür könnte sein, dass das Gebiet erst seit 2002 amProgramm teilnimmt. Zudem erweist es sich alsschwierig, Maßnahmen hinsichtlich sozialer Problemeerfolgreich messen zu können.

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5.2 Das Ziel „soziale Mischung“und seine Machbarkeit

Einleitung: Soziale Mischung und Segregation

Im Gegensatz zur Segregation, die sich auf einzelneGruppen im Prozess bezieht, wie z.B. die segregieren-den Reichen oder die segregiert werdenden Armen (vgl.Kapitel 3.1) sowie deren jeweilige Problemlagen undZiele, wird bei der sozialen Mischung die ganze Bewoh-nerschaft eines Quartiers in den Fokus gerückt, und dasFunktionieren bzw. Nichtfunktionieren des Zusammen-lebens steht im Vordergrund.Vor allem aber beinhaltet der Begriff „soziale Mischung“zwei Ebenen. Die erste Ebene ist eine statische, diemomentane Verteilung von unterschiedlichen Bevölke-rungsgruppen im Quartier oder der Stadt. Die zweiteEbene ist die zielgerichtete Veränderung der Zusam-mensetzung eines Quartiers und somit prozesshaft.Meist soll eine „schlechte soziale Mischung“ verbessertoder eine „gute soziale Mischung“ hergestellt werden,während Segregationsprozesse ohne Eingriffe statt-finden (vgl. Spiegel 2001). Hier wird vor allem derUnterschied in den Konzepten deutlich. Der Begriff derSegregation ist wissenschaftlich fundiert, er beschreibtstattfindende Prozesse und analysiert sie. Das Konzeptder sozialen Mischung ist eine zielgerichtete politisch-ideologische Willenserklärung, deren Fokus auf Verän-derung bzw. Erhalt derselben liegt und somit ein-greifendes Handeln voraussetzt. Die Herstellung einersozialen Mischung (meist im Zusammenhang mit bewer-tenden Einschätzungen wie „gute“ oder „schlechte“)kann also Segregation bzw. Aufhebung derselben zumZiel haben. Je nach politisch-ideologischer Begründungkann die Verstärkung der Mischung (z.B. das Konzept„Multikulti“) oder die Aufhebung derselben betriebenwerden. Das politische Leitbild „soziale Mischung“ istalso das Gegenkonzept zur stattfindenden sozialenSegregation in städtischen Quartieren. Diese Einschät-zung wollen wir im Folgenden beschreiben und damitdas Konzept der „sozialen Mischung“ erläutern undbewerten.

5.2.1 Der Begriff „soziale Mischung“

Sozial: lat., Gesellschaft, Gemeinschaft für dieMenschenWörter, die in Bezug zu diesem Adjektiv stehen,beziehen sich also auf mehr als eine Person, meist aufeine Gemeinschaft und deren Zusammenhänge, Ge-wohnheiten, etc. In der heutigen Diskussion wird sozialeMischung auch im Zusammenhang mit Gerechtigkeitdiskutiert, auch: das Einsetzen für andere oder Teilhabevieler (vgl. Bernsdorf 1972).

Mischung, die; Vermengung unterschiedlicher Inhalte(vgl. Universal Lexikon 1975)alltagsweltlicher Begriff, ohne wissenschaftliche oderpolitische Dimension, jedenfalls wenn alleinstehend.Mischung ist nicht genau definiert, eine Mischung kanngut oder schlecht sein bezogen auf den Inhalt, aus-gewogen oder unausgewogen. Es gibt des Weiterenverschiedene Mischungsverhältnisse.

Der Begriff „Soziale Mischung“ wird benutzt, um (vordem Hintergrund ökonomischer, ethnischer und sozialerKriterien) umgangssprachlich die Zusammensetzung derBewohnerschaft eines städtischen Quartiers zu be-schreiben.

5.2.2 Versuch einer wissenschaftlichenBeschreibung sozialer Mischung

Der Begriff „soziale Mischung“ ist kein originär wissen-schaftlicher, sondern vielmehr ein politisch gesetzterBegriff. Er findet seine Anwendung in der Beschreibungvon Quartieren, die nicht mehr den Anforderungen anein „funktionierendes Zusammenwohnen“ (womithauptsächlich der möglichst geringe staatliche Eingriff inForm polizeilicher Maßnahmen gemeint ist) entsprechen(vgl. Thomsen/Kopietz 2004). Dementsprechend unge-nau ist der Begriff auch inhaltlich definiert. Er beinhaltetverschiedene Dimensionen von Raum, Ökonomie, De-mographie und Ethnie sowie ihre Veränderbarkeit. Aufdie einzelnen Dimensionen und ihre Zusammenhängesoll im Folgenden genauer eingegangen werden. Daraussollen Anhaltspunkte für eine genaue Definition dersozialen Mischung gezogen werden, um diese mit derpolitischen Willenserklärung der Schaffung einer funk-tionierenden sozialen Mischung abzugleichen.

5.2.2.1 Dimensionen sozialer Mischung

Um das Konzept der sozialen Mischung handhabbar zumachen, gilt es die Bereiche zu beschreiben, die mitsozialer Mischung in einem städtischen Quartier zu-sammenhängen. Im Folgenden werden 5 konstituieren-de Faktoren dargestellt, aus denen sich unter anderemeine soziale Mischung im städtischen Raum ergebenkann.

Soziale Milieus und ökonomischer HintergrundDer wichtigste Inhalt der Sozialen Mischung ist der öko-nomische Hintergrund von Individuen, dessen Ausprä-gung unterschiedlich ist und aus dem dann im Quar-tierszusammenhang eine Mischung wird. Die Preise vonWohnraum werden größtenteils vom Markt reguliert(vgl. Grübler 1981; Jetter 1995), dementsprechend wirdhier profitorientiert Mietzins gefordert, wobei sich dieser

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an Angebot und Nachfrage orientiert und nicht amEinkommen des Einzelnen. Je höher das Einkommen ist,desto größer sind die Chancen auf dem Wohnungsmarkt(vgl. BmVBW 1999). Als Ideal wird seit dem 19.Jahrhundert ein Durcheinanderwohnen unterschiedlichs-ter Bevölkerungs- und Einkommensgruppen beschrie-ben, jedoch sind diese Ideale mit unterschiedlichenpolitischen Zielen verbunden (vgl. Kapitel vier). EineSegregation der Bewohner nach Einkommensgruppengibt es in Deutschland häufig in Form von Kiezen oderGenossenschafts - und Vorortsiedlungen, die aber auchnur eine hohe, jedoch keine völlige Aufteilung der Quar-tiere nach Einkommen aufweisen.In der neueren Entwicklung des Mietmarktes in großenStädten nach 1990 ist eine Renaissance des durch-mischten Wohnens zu beobachten. Soziale Gegensätzeund unterschiedliche Kulturen in Quartieren werdenwieder als interessant und anregend angesehen. Quar-tiere, die ökonomische Unterschiede aufweisen, geltendarüber hinaus als gut integriert und relativ problemfreiim Vergleich zu stark segregierten Quartieren.

Demographische MischungIn Folge der ökonomischen „Mischung“ lässt sich aucheine Mischung der Generationen im Quartier ableiten.Im allgemeinen steigt die ökonomische Leistungs-fähigkeit ab dem Eintritt in die Erwerbstätigkeit bis zueinem gewissen Alter und sinkt dann mit dem Ende desErwerbslebens. Ein demographisch homogenes Gebietwird sich langfristig auch zu einem ökonomisch homo-genen Gebiet entwickeln. Umgekehrt ist in einem demo-graphisch heterogenen Quartier auch eine sozioökono-misch heterogene Mischung wahrscheinlich. Die domi-nierende Generation eines Quartiers zieht einebestimmte Infrastruktur eines Gebietes nach sich (vgl.Bartscherer/Leue 2003).In einem von vorwiegend älteren Menschen bewohntenQuartier werden wenige Schulen und Kindergärten undSpielplätze benötigt, dafür möglicherweise jedoch einehöhere Dichte an Alten- und Krankenpflegeeinrich-tungen und Lebensalter bedingten Freizeitangeboten.Jugendlich dominierte Quartiere hingegen haben z.B.eine hohe Kneipendichte und ein großes Kulturangebot.Diese infrastrukturellen Gegebenheiten können dieMischung in einem Quartier verstärken oder verringernbzw. seine Leistungsfähigkeit und Integration in dieGesamtstadt beeinflussen. Allerdings sind dies nurThesen, da es hierzu bisher keine Langzeitunter-suchungen gibt. Diese angesprochenen infrastruktu-rellen Aspekte führen uns zu einer weiteren Dimensionder sozialen Mischung, der funktionalen Mischung, diein einem Quartier existiert.

Funktionale MischungIn Großstädten existiert häufig die „Berliner Mischung“,die eine vielfache unterschiedliche Nutzung von Gebäu-den auf engem Raum beschreibt, welche ein Ergebnis

der Stadterneuerung während der Industrialisierung ist.Durch die besonders in Berlin vorherrschende Strukturder Vorder- und Hinterhäuser entwickelte sich einecharakteristische Belegungsstruktur. Im Vorderhauswohnten die Herrschaften, während sich das Personalim Hinterhaus einrichtete. In Keller und Erdgeschosswurden Wirtschaftsräume geschaffen, in denen sichKleinbetriebe und Handwerker ansiedelten. Diese früheForm von sozialer und gleichzeitig auch funktionalerMischung geht zurück auf den Berliner StadtplanerJames Hobrecht, auf den im Folgenden noch eingegan-gen wird. Durch die noch immer vorhandenen Altbau-quartiere besteht die funktionale Mischung auch heutenoch. Im Zuge der Reurbanisierung der Innenstädtewird die funktionale Mischung als vorteilhaft angesehen,während monofunktionale Großraumsiedlungen alsFehlplanung der 70ger Jahre verstanden werden. DieVerbindung von Arbeiten und Wohnen wird heute wie-der als wünschenswert betrachtet, da Quartiere durchsie multifunktional und damit flexibel bleiben.

Ethnische MischungIm Zuge der Fremdarbeiteranwerbung in den Nach-kriegsjahren ist eine zunehmende Mischung der ethni-schen Zugehörigkeit in städtischen Quartieren festzu-stellen. Seit der Nachkriegszeit ist es ein Ziel derdeutschen Wohnungs- und Sozialpolitik, eine Getthoisie-rung zu verhindern (vgl. BmVBW 1990). Unterschied-liche Maßnahmen, wie z.B. der soziale Wohnungsbau,Wohngeld und Eigentumsförderung werden von staat-licher Seite genutzt, um bezahlbaren Wohnraum für alleSchichten zu schaffen und Wohneigentum für weiteKreise der Bevölkerung zu ermöglichen (vgl. Falk 1998 ).Arbeitsimmigranten, die anfänglich in Fremdarbeiter-unterkünften untergebracht waren, zogen aus diesennach und nach aus. Spätestens mit dem auf längereAufenthaltsdauer hin ausgerichteten Familiennachzugetablierte sich diese Gruppe auf dem Wohnungsmarkt.Durch die schlechte finanzielle Situation und starkeDiskriminierung auf dem Wohnungsmarkt (vgl. Karrer2002) siedelten sich die Gastarbeiter vorwiegend ineinigen wenigen Quartieren an, was in diesen Gebietenzu Homogenität und niedrigem Wohnstandard führte(vgl. Mietermagazin 12/2001).Immigranten verdienen zwar im Durchschnitt wenigerals die deutsche Bevölkerung, zahlen jedoch oftmals fürschlechteren Wohnraum mehr Miete als Deutsche (vgl.ebd.). Hinzu kommt, dass der Anteil des Einkommens,der für Miete gebraucht wird, bei Geringverdienerndurchschnittlich höher liegt als bei Großverdienern (vgl.BmVBW 1999). Dadurch kann in Quartieren mit niedri-gem Wohnstandard eine Konzentration von Bewohnernmit Migrationshintergrund entstehen, ohne dass dieseexplizit gewollt ist.Die ethnische Mischung beeinflusst auch die sozialeMischung eines Quartiers. Zu beobachten ist, dass mitsteigendem Migrantenanteil eines Quartiers die soziale

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und ökonomische Mischung durch Fortzüge der Mittel-und Oberschicht abnimmt.

Zeitliche Dimension sozialer MischungDas Wort Mischung impliziert, dass eine Veränderungder Gemengelage wahrscheinlich ist. Eine Mischungmuss entstehen oder geschaffen werden, sie bestehtnicht von Beginn, kurz: Mischen ist ein Prozess. DieserProzess ist ein kontinuierlicher, jedoch nicht zeitlichfestgelegter Prozess. So kann sich die ethnischeMischung verstärken, während sich die funktionaleMischung im gleichen Zeitraum nicht verändert. EinigeZusammenhänge der verschiedenen Dimensionenwirken allerdings direkt aufeinander ein. Wie obenbeschrieben geht eine demographische Veränderung ofteinher mit einer Veränderung der sozioökonomischenStruktur. Andererseits kann sich aber auch ein Gebiet,in dem sich die Wohnbevölkerung über Jahre nichtverändert hat, durch den kollektiven Alterungsprozess inseiner Infrastruktur wandeln.

Zusammenfassung DimensionenDie hier beschriebenen Dimensionen der sozialenMischung machen die Komplexität des städtischenRaumes und damit des Bedeutungszusammenhangesvon sozialer Mischung deutlich. Soziale Mischung ist einwenig wissenschaftlich gebrauchter Begriff, da in ihmunterschiedlichste Dimensionen quartiersbezogenenLebens zusammengefasst werden und so eine genaueDeutung erschwert wird.Wegen dieser Ungenauigkeit entsteht ein großerInterpretationsspielraum, welcher den Begriff fürPolitiker gut nutzbar macht. Dabei bleiben jedochgenaue Instrumente zur Herstellung sozialer Mischungmeist unerwähnt (vgl. SPD-Berlin 2003).Auch wenn die vorher beschriebenen unterschiedlichenDimensionen sozialer Mischung alle aufeinandereinwirken, bleibt das Kapital der entscheidende Faktor.Auf einem marktgesteuerten Wohnungsmarkt entschei-det das Kapital über den Wohnort.Die gewollte oder ungewollte Veränderung der sozialenMischung bedeutet aber immer eine Veränderung derhier beschriebenen Dimensionen in unterschiedlichemMaße. Der wesentlichste Punkt ist jedoch das Einkom-men der Bewohner. Auf einem profitorientiertenWohnungsmarkt ist die Kaufkraft das entscheidendeVerteilungsmerkmal, welches überhaupt erst die Mobili-tät der Bewohner in andere Wohnlagen oder Quartiereermöglicht (vgl. Kapitel 3.1). Im Weiteren werden wirauf die unterschiedliche Beeinflussung der hier darge-stellten Dimensionen durch die Stadtplanungs- undSozialpolitik in Deutschland eingehen.Wir beginnen mit der exemplarischen Beschreibung derwillentlichen Beeinflussung der sozialen Mischung instädtischen Quartieren.

5.2.3 Soziale Mischung und Stadt am Beispiel vonBerlin und seiner Wohnungsbaugeschichte

Großstädte sind charakterisiert durch das Zusammen-leben von Fremden. Kulturelle und soziale Heterogenitätist eines ihrer wichtigsten Definitionsmerkmale. Wieman ein möglichst konfliktfreies Zusammenleben derBevölkerung organisiert, ist eine der Grundfragen vonheutiger Stadtpolitik. Soll man Bevölkerungsgruppensepariert in verschiedenen Stadtquartieren unterbringenoder möglichst gleichmäßig über das gesamte Stadtge-biet verteilen? Sozial trennen oder mischen ist die Frageund ein grundlegendes Thema für städtebaulicheMaßnahmen. Es gibt viele Gründe für, aber auch gegensoziale Mischung. Fakt ist jedoch, dass soziale Mischungin diesem Sinne nicht existiert, sondern dass von außenversucht wird, sie herzustellen.Nicht erst heute wird über soziale Mischung diskutiert.Wir werden am Beispiel des Hobrechtplans aus demindustriellen Berlin des 19. Jahrhunderts sowie denwohnungsbaulichen Maßnahmen der ehemaligen DDRzeigen, aus welchen Gründen und mit welchen Mittelnversucht wurde, soziale Mischung herzustellen.

5.2.3.1 Das sozialpolitische Konzeptvon James Hobrecht

„Hobrechts Ideal war die „integrative Stadt“, Durch-dringung statt Abschließung. Das meint die durch-mischte Stadt mit den gleichen Leistungen für alle,das „Empfehlenswerte Durcheinanderwohnen“ ohnegeplante Segregation, mit einem hohen Erziehungs-und Integrationsanspruch auf der sozialen Seite, derdie Verpflichtung zu Gemeinsinn betont“ (Strohmeyer2000: 215).

Im Zuge der Industrialisierung des 19. Jahrhundertserlebte die Stadt Berlin ein großes Wachstum. Innerhalbweniger Jahrzehnte wurde Berlin der größte Industrie-standort Europas. Auf der Suche nach Arbeit kamenimmer mehr Menschen in die Stadt, für die zu wenigWohnraum vorhanden war.1820 lebten knapp 200.000 Einwohner in Berlin, schon1847 hatten sich diese verdoppelt auf 412.000 Einwoh-ner, 1871 waren es 826.000 Menschen. Mit derIndustrialisierung entstand in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts die Berliner „Wohnungsfrage“ als Teil der„sozialen Frage“. Aufgrund dieser Entwicklungen gabder Berliner Magistrat die Entwicklung eines Bebauungs-plans in Arbeit. James Hobrecht erstellte daraufhin 1862den „Hobrechtplan“.Der Hobrechtplan war ein Stadterweiterungsplan miteinem weitmaschigen, rechtwinkligen Straßenraster.Dieser Plan ließ eine dichte Blockbebauung zu, die fürJames Hobrecht mit gesellschaftspolitischen Zielen ver-bunden war. In Frankreich und England, wo die Indus-

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trialisierung und damit einhergehende Verstädterungfrüher als in Deutschland eingesetzt hatten, wurdenbereits Erfahrungen mit der neuen sozialräumlichenStruktur der Industriestadt gemacht. Durch das explosi-ve Bevölkerungswachstum bildeten sich abgeschlosseneArbeiterquartiere mit elenden Wohnungen heraus,während sich die Reichen aus der Stadtmitte zurück-zogen und sich in den Vororten ansiedelten. Solch einePolarisierung wollte James Hobrecht vermeiden, indemer die soziale Mischung in den Quartieren zum städte-baulichen Programm erhob (Häußermann 1999: 471f.).

Mit der Idee der Mietskaserne wollte Hobrecht das„Durcheinanderwohnen“ verschiedener gesellschaftli-cher Schichten ermöglichen. So sollte die Entstehungvon abgeschlossenen Elendsquartieren verhindert undgegenseitige Verständigung gefördert werden. Er hattedie Vorstellung von einer „vermittelnden“ Kraft desMietshauses, indem man der Konfrontation mit denunteren sozialen Schichten nicht ausweichen kann. FürHobrecht bestand die Lösung nicht in der Segregationder sozialen Schichten nach ökonomischen Standardsund politischem Bewusstsein, sondern in derenMischung. Bessergestellte Schichten sollten so einAufstiegs- und Erziehungsvorbild darstellen; also eineklassenübergreifende Vorbildfunktion zur Erziehung desProletariats: „...sind sie [der Beamte, der Künstler, derGelehrte, der Lehrer etc.] in Beispiel und Lehre nichtgenug zu schätzende Elemente, und wirken fördernd,anregend und somit für die Gesellschaft nützlich, undwäre es fast nur durch ihr Dasein und stummes Beispiel,auf diejenigen, die neben ihnen und mit ihnenuntermischt wohnen“ (Stohmeyer 2000: 62).Hobrecht entwickelte die Idee des Wohnens und Arbei-tens an einem Ort, woraus die sogenannte „BerlinerMischung“ entstand. Das Vorderhaus beherbergte imErdgeschoß Handel oder Gastronomie. Darüber solltenHausbesitzer oder Verwalter wohnen und darüberwiederum Beamte oder Angestellte. Das Hinterhaus warfür Arbeiter und Rentner gedacht. Er träumte denromantischen Traum, eine für die Bevölkerung lebens-werte Stadt aufzubauen. „Nicht Abschließung, sondernDurchdringung scheint mir aus sittlichen und darum ausstaatlichen Rücksichten das Gebotene zu sein... In derMiethskaserne gehen die Kinder aus den Kellerwoh-nungen in die Freischule über denselben Hausflur wiediejenigen des Raths oder Kaufmanns auf dem Wegenach dem Gymnasium. Schusters Wilhelm aus der Man-sarde und die alte bettlägrige Frau Schulz im Hinter-hause, deren Tochter durch Nähen oder Putzarbeitenden nothdürftigen Lebensunterhalt besorgt, werden indem I. Stockwerk bekannte Persönlichkeiten. Hier istein Teller Suppe zur Stärkung bei Krankheit, da einKleidungsstück, dort die wirksame Hülfe zur Erlangungfreien Unterrichts...“ (Strohmeyer 2000: 62).In der Mietskasernenstadt entstanden Wohnquartieremit sehr unterschiedlicher Sozialstruktur. Die Hinter-

häuser beherbergten kleine Wohnungen mit schlechterAusstattung, die für arme Familien gedacht waren. ImVorderhaus waren die Wohnungen größer und bessererAusstattung, für die „Bourgeoisie“ der Bevölkerung. Einesoziale Durchmischung sollte durch eine Differenzierungder Wohnungsqualität nach Vorder- und Hinterhausebenso wie nach Etage erreicht werden (vgl. Häußer-mann 1999: 473).

Hobrechts sozialpolitisches Konzept für das Berlin des19. Jahrhunderts ging jedoch nicht auf. Dies lag zumeinen daran, dass Eigentümer und Investoren in Formvon anonymen Kapitalgesellschaften auftraten, die aufmöglichst hohe Gewinne für ihr eingesetztes Kapital auswaren. Die hohen Mieten für zu kleine zu schlechtausgestattete Wohnungen waren den Unterschichtenaufgrund ihrer schlechten und instabilen Arbeitsverhält-nisse schwer zugänglich. Zudem waren die Mieter inkeiner Weise geschützt, was zu einer hohen Mobilitätführte. Diese extreme Wohnungsknappheit der besitzlo-sen Massen führte zu einer Überfüllung der Wohn-ungen, der Verbreitung von Untermieterwesen undSchlafgängern.In Gegensatz zu den „riesigen Slums“, die in denInnenstädten entstanden, vollzog sich am Stadtrandeine Ausweitung der Siedlungsfläche durch Eingemein-dung von Vororten. Dort siedelten sich die Ober-schichten in Einfamilienhäusern an (vgl. Gartenstadtbe-wegung). Die Villenkolonien waren das städtebaulicheInstrument zur sozialen Entmischung der alten Stadt(vgl. Häußermann 1999: 478).Hobrechts Plan, der zur Durchmischung verschiedenerSchichten, zur gegenseitigen Verständnisförderung undauch zur Verhinderung abgeschlossener Elendsquartiereführen sollte, wurde durch fehlende staatliche Maß-nahmen behindert. Die Selbstregulierung des Wohn-ungsmarktes durch das Privateigentum versagte in demMoment, als die besitzlosen Arbeiter massenweise in dieStädte strömten und die Vermietung von Wohnraum zueiner eigenständigen Quelle der Kapitalverwertung fürHausbesitzer wurde. Unter reinen Marktbedingungenentstanden Wohn- und Lebensverhältnisse für diebesitzlosen Massen, die gesellschaftlich zu einer politi-schen und gesundheitlichen Gefahr wurden (vgl. Häuß-ermann 1996: 6f.). Das Konzept der sozialen Mischungfür Berlin im 19. Jahrhundert scheiterte. Vielmehrerfolgte eine Polarisierung zwischen Reich (Ansiedlungam Stadtrand) und Arm (Bewohner von Elendsquar-tieren in der Innenstadt).

5.2.3.2 Wohnungspolitik und sozialeMischung in der DDR

Die Mietskasernen, die Hobrecht im 19. Jahrhundertentworfen hatte, galten in der DDR als Ausdruck kapita-listischer Wohnverhältnisse, die im Sozialismus über-

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wunden werden sollten. In der DDR sollte sozialeMischung hergestellt werden, um die Gleichheit allerBürger auch in gleichen Wohnbedingungen für alleSchichten der Gesellschaft zu repräsentieren.Eines der herausragendsten Ziele der sozialistischenWohnungs- und Sozialpolitik der DDR war es, die sozialeSegregation kapitalistischer Städte nach Berufen undEinkommen aufzuheben und neue, sozial gemischteNachbarschaften zu etablieren (vgl. Häußermann 1999).Die enormen Unterschiede in der Wohnungsversorgungim letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden immerals eines der schärfsten Übel des Kapitalismusbezeichnet. Wie schon im 19. Jahrhundert war auch inder DDR die politische und ideologische Begründungdes Wohnungsbaus Ausdruck klarer gesellschaftspoliti-scher Zielsetzung. Hier allerdings verstanden als derUmbau des kapitalistischen Erbes in eine entwickeltesozialistische Gesellschaft.Aufgrund der Wohnungsnot, die nach dem ZweitenWeltkrieg in der DDR herrschte, beschloss die SED(Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) 1973 eingroßes Wohnungsbauprogramm, mit dem die Woh-nungsnot bis spätestens in den neunziger Jahren gelöstwerden sollte.

Wohnraum wurde geschaffen durch Plattenbauten inGroßsiedlungen. „Diese Großsiedlungen sollten den‚modernen sozialistischen` Städtebau verkörpern, derkeine Lage- und Qualitätsdifferenzen nach der sozialenStellung oder dem Einkommen kannte – Ausdruck der‚sozialistischen Lebensweise` “ (Häußermann 1996: 15).Die Wohnversorgung wurde Teil der staatlichen Infra-struktur und jeder sollte entsprechend seines Bedarfsund nicht nach seiner Kaufkraft versorgt werden. Sowurde dann das Recht auf Wohnung in der Verfassungfestgelegt und die Mieten wurden gesetzlich geregelt.In den Neubaugebieten entstanden Wohnungen vonrelativ gleicher Qualität und Größe. Diese wurden nichtdurch einen Markt nach Zahlungsmöglichkeiten vonHaushalten verteilt, sondern durch die kommunaleWohnungsverwaltung zugeteilt. Die Mieten warenextrem niedrig und unterschieden sich nicht durch dieLage der Wohnungen. Somit spielte die Kaufkraft beider Wohnstandortwahl keine Rolle.Da die Altbauten als „Überbleibsel“ des kapitalistischenErbes angesehen und dem Verfall preisgegeben wur-den, waren die sehr gut ausgestatteten Neubauwohn-ungen äußerst beliebt. Bei der Vergabe von Wohnraumwurden vor allem kinderreiche Familien, junge Ehepaareohne eigene Wohnung und alleinstehende Mütter mitKindern bevorzugt. So konnte in diesen neuenWohngebieten die sozialistische Lebensweise verwirk-licht und die Leistungskraft des Sozialismus demons-triert werden. Die Wohngebiete waren nur abends undam Wochenende „belebt“, da ansonsten jeder seinergeregelten Arbeit nachging.

Damit konnte in der DDR eines der größten Ziele dersozialistischen Städtebaupolitik realisiert werden: dieAufhebung der sozialen Segregation und die Entstehungeiner sozialen Mischung, zumindest in den neu erbautenGroßsiedlungen.Die Zugangsprivilegien, besonders für die Neubau-gebiete, ergaben sich nicht nach Einkommen, sondernnach politischer Verlässlichkeit. Keinen Zugang hattensozial und politisch Diskriminierte und auch Personen,die in gesellschaftlich weniger relevanten Bereichen tä-tig waren. Diese blieben in den schlecht erhaltenen undausgestatteten Altbauten der Altstadt. Dort entstand einMilieu aus freiwilligen Aussteigern, kritischen Künstlern,Literaten und jenen Personen, die aufgrund ihrerpolitischen, sozialen oder religiösen Haltung vom sozi-alistischen System auf Distanz gehalten wurden. Eineteils freiwillige, teils aber auch unfreiwillige Segregationvon Menschen, die bei der Wohnungsvergabe nichtberücksichtigt wurden.Die politische Elite und international renommierteWissenschaftler und Künstler wohnten in Villengebietenim Grünen und in den großen, zentral gelegenen Stadt-wohnungen.Es gab also eine soziale Segregation der Unter- undÜberprivilegierten. Aber innerhalb des Bereiches, der diesozial und politisch Diskriminierten ausschloss und auchdie Privilegierten nicht beherbergte, wohnte die „breitesozialistische Mittelschicht“ ohne sozialräumliche Segre-gation miteinander, z.B. Ärzte und Handwerker Tür anTür (vgl. Häußermann 1999: 492).

Die Herstellung von sozialer Mischung in der DDR sollteeinem der hochrangigsten gesellschaftspolitischen Zieledes Sozialismus Ausdruck verleihen: die Annäherungder Klassen. Im Wohnungsbau fand sie ihren offen-sichtlichsten Ausdruck.James Hobrecht verfolgte mit seiner Idee der Her-stellung einer sozialen Mischung im 19. Jahrhundert dassozialpolitische Ziel, abgeschlossene Elendsquartiere zuverhindern und u.a. Sittlichkeit herzustellen. Dies wollteer erreichen, indem er sich – durch Mischung verschie-dener Schichten – eine erzieherische Vorbildfunktion derBourgeoisie auf das Proletariat versprach. Es sollte zwareine soziale Vermischung verschiedener Gesellschafts-schichten erfolgen, davon versprach er sich jedoch nichtdie Aufhebung von Klassenunterschieden.Demgegenüber war der Wohnungsbau der DDR geprägtvon der Vorstellung, „die historisch entstandenen Unter-schiede in der Entwicklung einzelner Klassen undSchichten zu beseitigen“ (Gesellschaft, Staat, Bürger1979: 142). Dies sollte gewährleistet werden durch dassozialpolitische Ziel, eine ausreichende Wohnungsver-sorgung für alle zu gewährleisten, ohne die für denKapitalismus typischen ausgeprägten Unterschiede derEinkommensklassen. In diesem Sinne war es auch einideologisches Ziel der „herrschenden Klasse“, das ver-herrlicht wurde.

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Beiden Modellen gemeinsam ist das Instrument, mitdem soziale Mischung hergestellt werden sollte: derWohnungsbau. Die Wohnungsfrage war sowohl im 19.Jahrhundert als auch in der DDR eine soziale Frage, diedurch Eingriffe in den Wohnungsbau das gesell-schaftliche Leben der Menschen verändern sollte.

Bis hierher haben wir ein misslungenes und mehr oderweniger geglücktes Beispiel für die Herstellung vonsozialer Mischung beschrieben. Anschließend stellt sichim Folgenden die Frage, welche Kriterien für bzw.gegen eine soziale Mischung sprechen.

5.2.4 Für oder gegen eine soziale Mischung?

Wie schon anhand der Beispiele deutlich geworden ist,stellt sich soziale Mischung in Quartieren nicht vonalleine her. Ihre Herstellung ist immer der Versuch vonPolitikern oder Stadtplanern, problembehafteten Quar-tieren zu neuem Aufschwung zu verhelfen.Soziale Mischung gilt heutzutage vor allem als wichtigeVoraussetzung sozialer Integration von Minderheiten ineine „Aufnahmegesellschaft“. Für die Mehrheit, umdurch häufige Kontakte und kennen lernen andererLebensgewohnheiten zum Abbau von Misstrauen undVorurteilen zu führen. Und, um auf Seite der Minderhei-ten zu Verständnis und Übernahme von Kulturmusternund Verhaltenskodizes einer Mehrheitsgesellschaft zuführen, ohne die eine Integration unmöglich wäre.Wenn es um die Frage sozialer Mischung geht, scheidensich die Geister.Gerade im Rahmen des Projektes Soziale Stadt gibt esviele Befürworter der sozialen Mischung. Die derzeitigeRegierung der SPD, unter der das Projekt Soziale Stadtins Leben gerufen wurde, bemerkt: „In Berlin sindTendenzen bemerkbar, nach denen sich die Stadt nachsozialen und materiellen Kriterien neu sortiert. Dieguten Wohnlagen werden besser, die ärmeren Kiezewerden ärmer. Soziale Stadtentwicklung heißt für uns,mit den Bewohnern zusammen durch gezieltesQuartiersmanagement in den sozialen Brennpunktender Stadt den negativen Entwicklungen entgegenzuwir-ken und sie umzukehren. Ziel ist, durch attraktiveWohnangebote dafür zu sorgen, dass die sozialeMischung in diesen Gebieten stabilisiert und die Abwan-derung einkommensstärkerer Gruppen aus dem Quar-tier gestoppt wird“ (http://berlin.spd.de).

Es gibt zwei gegensätzliche Theorien, die sich auf dashomogene bzw. heterogene Zusammenleben vonMenschen beziehen. Das ist zum Einen die Kontakt-hypothese, die sich für soziale Mischung und gegenSegregation ausspricht und zum Anderen die Konflikthy-pothese, die sich gegen soziale Mischung und somit zurSegregation wendet.

Bei der Erläuterung der beiden Hypothesen stützen wiruns hauptsächlich auf den Aufsatz von Hartmut Häußer-mann und Walter Siebel (2001) zu „Integration undSegregation – Überlegungen zu einer alten Debatte“.

5.2.4.1 Kontakthypothese

Die Kontakthypothese geht davon aus, dass vermehrtesoziale Kontakte zwischen verschiedenen Bevölkerungs-gruppen Nähe fördern und das Wissen übereinanderverbessern.Somit trägt soziale Mischung zum Abbau von Vorurteilenbei und verstärkt die Toleranz untereinander. Damitwird auch Integration, gerade ausländischer Bevölker-ungsgruppen, gefördert. In diesem Sinne fungiertsoziale Mischung als wichtige Voraussetzung für diesoziale Integration von Minderheiten in eine „Aufnahme-gesellschaft“.Fremde und/oder Arme dringen ins Bewusstsein derBevölkerung, wenn sie in ihrem Alltag präsent sind.Die Hypothese vermutet außerdem, dass sozial ge-mischte Quartiere sehr viel regenerationsfähiger sind.Wer zum Beispiel durch einen beruflichen Aufstieg mehrGeld zur Verfügung hat, muss nicht notwendigerweiseaus seinem bisherigen Wohnquartier wegziehen, da erauch dort bessere Wohnungen findet. Würde sichjedoch in einem solchen Quartier Armut konzentrieren,würde dies als Konsequenz zu einer Verschlechterungdes Güter- und Dienstleistungsangebotes führen. Dieshätte wiederum eine Abwanderung von Mittelschicht-haushalten zur Folge, woraus sich geringere Mietein-nahmen für Hauseigentümer ergäben. Diese würdenaufgrund genannter Bedingungen jegliche Investitionenin Problemgebiete unterlassen, das Quartier verkommt.Aufgrund der sinkenden Kaufkraft würde damit auchdas Angebot von Läden und Dienstleistungsbetrieben imPreis- und Qualitätsniveau sinken. Es passt sich demDurchschnittseinkommen an und aus der Sicht derbesser Verdienenden verschlechtert es sich.Ein weiteres Argument der Kontakthypothese ist, dasssozial gemischte Quartiere durch ihr Nebeneinanderwohlhabender und armer Haushalte vielfältige Möglich-keiten für berufliche Beschäftigung im Bereich haus-haltsbezogener Dienstleistungen bieten.Besonders in ethnisch homogenen Quartieren kann dieBeschäftigung in der eigenen Kolonie zur Mobilitätsfallewerden, wenn keine Normen und Kenntnisse vermitteltwerden, die zu beruflicher Selbständigkeit außerhalb dereigenen ethnischen Gemeinde verhelfen.Es wird die negative Etikettierung des Wohnviertelsunterbunden, was die gleichmäßige Berücksichtigungvon Wohnvierteln in der Kommunalpolitik bedeutenkönnte. Denn durch die gemischte Bewohnerschaftstehen soziale und politische Kompetenzen zur Ver-fügung, die zur besseren Vertretung der Interessen desQuartiers befähigen.

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Die räumliche Ballung sozial benachteiliger Gruppenerleichtert es betroffenen Menschen, sich ins eigeneMilieu zurückzuziehen. Ihre räumliche Konzentrationerhöht aber auch ihre Sichtbarkeit und könnte damitunter Umständen Gefühle der Bedrohung bei der Mehr-heit wecken. Dadurch können bereits vorhandeneKonflikte noch verschärft werden.

Trotz aller positiven Wirkungen, die sozialer Mischungzugeschrieben werden, ist es eine Tatsache, dass sichdie Großstadtbevölkerung in segregierte Gebiete sor-tiert, in denen diejenigen zusammenleben, die zusam-mengehören. Eine räumliche Trennung von Quartierenalso, die in sich ethnisch und/oder sozial homogen sind.In solchen Gebieten entstehen Kolonien, in denengemeinsame Normen und Bräuche gepflegt werdenkönnen.Allen Bevölkerungsgruppen gemein ist das Bedürfnisnach sozial vertrauter Umwelt, ähnlichen oder gleichenVerhaltensweisen und Wertmaßstäben. Das Bedürfnisnach Prestige und Ansehen und auch das Bedürfnisnach Abgrenzung gegenüber anderen sozialen Schich-ten ist ein universelles Phänomen, das bei allen Bevöl-kerungsschichten auftritt, auch in den untersten.

5.2.4.2 Konflikthypothese

An diesem Punkt setzt die Konflikthypothese an. Siebesagt, dass ein dichtes Nebeneinanderwohnen ver-schiedener Lebensweisen zu Unverträglichkeiten, Rei-bungen und Konflikten führt. Die Befürworter der Kon-flikthypothese folgern daraus, dass Konflikte überwun-den werden können, indem man Quartiere „sozialentmischt“, man ersetzt soziale Distanz durch räumlicheDistanz.Man zieht freiwillig in eine Nachbarschaft, in der manseinesgleichen findet. Soziale Gruppen segregieren sichalso auch zur Vermeidung von Konflikten. Die Gegnerder sozialen Mischung heben die Vorteile dieser Artsegregierter Quartiere vor allem für Zuwanderer hervor.Sie sind besonders auf informelle Netzwerke angewie-sen. Das Zusammenwohnen mit Ihresgleichen garan-tiert Einwanderern eine verlässliche soziale undpsychische Basis, ohne die ein Zurechtfinden in einerfremden Gesellschaft nicht möglich wäre.Einwandererquartiere bieten neuen Zuwanderern Infor-mationen und praktische Hilfen. Diese schützen vorIsolation und mildern den Schock der Fremde. Dennerst auf der Basis einer gesicherten Identität könnensich Zuwanderer mit der neuen und fremden, sieumgebenden Gesellschaft auseinandersetzen.Ein weiteres Argument gegen soziale Mischung ist, dassdie räumliche Nähe von Menschen in gleichen Lebens-situationen und damit auch gleicher Interessenlagen dieOrganisationsfähigkeit fördert. Damit bietet sich einewesentliche Voraussetzung, sich auch politisch Gehör zu

verschaffen, da Probleme und Interessen die gleichenoder ähnlich sind. Lokale Schlüsselpersonen können alsGesprächspartner für kommunale Eliten fungieren.Wohnen Menschen unterschiedlicher sozialer Schichtenzusammen, können Nachbarschaftskonflikte durchunterschiedliche Lebensweisen ausgelöst werden. DasZusammenwohnen von Menschen sehr unterschiedli-cher Einkommensklassen wird dann zu einem Problem,wenn sich Preise so sehr nach oben hin ausrichten, dassdie unteren Schichten der Gesellschaft sich das Wohnenin einem bestimmten Viertel nicht mehr leisten können.Ist zum Beispiel ein Viertel interessant, weil dortvielleicht Künstler und Studenten wohnen und diesesViertel ein anziehendes Flair ausstrahlt, so zieht es nachund nach Menschen gehobeneren Standes dorthin.Diese erwarten natürlich sanierte Wohnungen, ange-messene Lebensbedingungen und durch diesenKreislauf wird allmählich alles teurer.Vermieter sehen ihre Chance auf gute Verdienste,indem sie Häuser komplett neu sanieren und dann teuerweitervermieten bzw. als Eigentumswohnung ver-kaufen. Gibt es keine Mietobergrenzen bzw. sind dieseaußerhalb der Reichweite früherer, ärmerer Bewohner,werden diese verdrängt. Durch diese Umstrukturie-rungsmaßnahmen und den dadurch einsetzendenProzess der Gentrification bieten sich Bewohnern derunteren gesellschaftlichen Schichten oftmals keineweiteren Alternativen als der Wegzug in ein für ihreVerhältnisse „erschwingliches“ Quartier. Eine ausrei-chend große Konzentration einer ähnlich situiertenBewohnerschaft erleichtert außerdem den Aufbau einerauf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Infrastruktur undeines entsprechenden Angebotes an Gütern und Dienst-leistungen.Werden Quartiere saniert, kommt es danach häufig zuNutzungskonflikten, die sich gegen soziale Randgruppenrichten.Die Verdrängten müssen also in Quartiere ziehen, derenMieten sie sich nicht leisten können. Hierdurch kann eszu einer Verstärkung der Segregationsprozesse in ge-fährdeten Stadtteilen kommen, also Stadtteilen, derensoziale Mischung gerade noch funktioniert. Währendeine Aufwertung von benachteiligten Gebieten bis zueinem bestimmten Grad gewollt ist, ist ein Gentrifica-tionsprozess in Quartieren mit funktionierender sozialerMischung schlecht für gefährdete Gebiete, weil die obenbeschriebenen Sickerprozesse ausgelöst werden können(vgl. Falk 1999).Homogene soziale Netzwerke stiften ein positivesGefühl von Gemeinschaft. Gerade für von Armut undArbeitslosigkeit betroffene Bewohner bilden diese Netz-werke die Basis für einen Austausch, indem sie Defiziteim ökonomischen Bereich durch soziale und kulturelleNähe auffangen. Sozial homogene Nachbarschaftenagieren in dem Sinne also als „kulturelles Schutzschild“.

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ZusammenfassungEs bleibt festzustellen, dass soziale Mischung nur eineIdealvorstellung ist, die in der Realität wohl niemalserreicht werden kann. Denn es ist ein Fakt, dass sichdie obersten Schichten der Gesellschaft freiwillig segre-gieren. Auch die unteren Schichten der Gesellschaftleben in segregierten Gebieten, in den Quartieren, indenen Wohnen für sie bezahlbar ist.Man kann vielleicht von einer sozialen Durchmischungder Mittelschichten sprechen. Aber auch sie haben sichin den letzten Jahren so weit ausdifferenziert, dass auchbei ähnlichen Einkommen und Standards sehr unter-schiedliche Lebensziele und -stile auszumachen sind.Die Frage nach sozialer Mischung „ja oder nein“ ist alsofalsch gestellt.Zuerst sollte die Frage nach einer guten Mischung ge-stellt werden.Denn obgleich viele Politiker große Befürworter dersozialen Mischung sind, der Kern von Stadterneuerungs-prozessen ist fast überall die massive Verdrängungbisheriger Bewohner. Und das bedeutet vor allem fürärmere Bewohner die Verschlechterung ihrer Lebens-verhältnisse.

5.2.5 Das Konzept der sozialen Mischung vordem Hintergrund des Entstehens vonProblembezirken

Die soziale Mischung ist vor allem ein politischesSchlagwort, wenn es darum geht, Problemquartiere zubeschreiben. Trotz der von uns beschriebenen unter-schiedlichen Dimensionen der sozialen Mischung beziehtsich die politische Diskussion hauptsächlich auf denökonomischen Faktor und seine positiven Nachbar-schaftseffekte (z.B. Erwerbsarbeit, geregelter Tagesab-lauf etc.), unabhängig davon, ob diese Effekte nach-gewiesen werden können oder nicht (vgl. Kapitel 5.4).Politisch zugespitzt wird formuliert: ein Quartier mitEinwohnern heterogenen ökonomischen Hintergrundsist sozial stabiler und bedarf weniger staatlicherEingriffe. Als Folge dieser „Analyse“ soll also eine „gute“soziale Mischung, die auch als „ausgewogene Bewoh-nerstruktur“ oder „soziale Balance“ beschrieben wird, imQuartier hergestellt werden, um wieder eine Ausgewo-genheit zu erreichen, die ein reibungsfreies Zusammen-leben ermöglicht.Dabei ist unklar, was eigentlich eine „gute“ sozialeMischung ist, weil erstens für Segregation und starkeMischung positive Punkte zu finden sind und zweitenshäufig erst die „schlechte“ soziale Mischung auffälltbzw. erst in den Vordergrund gerückt wird, wenn sie füreinige Bevölkerungsteile nicht mehr stimmt. Die sozialeMischung z.B. in Berlin Zehlendorf ist kein wichtigesThema der Stadtpolitik. Es ist deswegen kein Thema,weil davon ausgegangen wird, dass die Menschen dortin der Lage sind, Probleme selbst zu lösen, bzw. weil

dort Probleme gar nicht erst zutage treten, die eineSchieflage der sozialen Mischung offensichtlich werdenlassen.Die heutige Stadtpolitik kann als eine der Konflikt-vermeidung beschrieben werden. Ist ein Stadtteil „ruhigund ordentlich“ (vgl. Stadtrat 2000; Sachse/Tennstedt1986), gibt es wenige Straftaten oder Drogenhandelund ist der Ausländeranteil gering, so ist kein Eingreifendes Staates nötig und die soziale Mischung keinpolitisches Thema. Treten diese Probleme gehäuft auf,steigt die Kriminalstatistik, ist also staatliches Eingreifenüber Polizei oder Sozialmaßnahmen verstärkt notwendigund damit teuer, so wird oftmals recht schnell eine nichtmehr funktionierende soziale Mischung unterstellt, weilsich anscheinend grundlegende Strukturen des Zusam-menlebens im entsprechenden Quartier auflösen(erhöhte Kriminalität, Verwahrlosung des öffentlichenRaumes etc.).Soziale Mischung hat also einen positiven Bezug, wirdallerdings negativ definiert, weil sie immer nur darge-stellt wird, wenn sie offensichtlich nicht funktioniert. Esgilt in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung: nurdas offensichtliche Zutagetreten von Problemen wirdwahrgenommen. Soziale Probleme und eine unausge-wogene Mischung gibt es auch in funktionierendenQuartieren, aber dort wird sie nicht quartiersdominie-rend wahrgenommen und folglich findet kein Rück-schluss auf die soziale Mischung statt.Der öffentlich kommunizierte Zusammenhang ist alsofolgender: Problemquartiere haben u.a. deshalb Pro-bleme, weil die soziale Mischung nicht gut ist undQuartiere, in denen die oben genannten Probleme nichtdominierend werden, haben kein Problem der sozialenMischung.

5.2.5.1 Anwendungsperspektiven der sozialenMischung in der Stadtpolitik

In den letzten Jahren ist die Diskussion um den Einflussder lokalen Ebene bei der Bekämpfung von sozialenProblemen als Folge der oben genannten Zusammen-hänge wieder verstärkt in den Vordergrund getreten. Eswird von der Aktivierung der endogenen Potentialegesprochen, die in den städtischen Quartieren exis-tieren, Hilfe zur Selbsthilfe könnte man sagen (vgl. Klein2002). Gleichzeitig wird eine zu starke Konzentrationauf die lokale Ebene der Quartiere kritisiert, die dieStadt im Ganzen nicht genügend betrachtet undgesamtgesellschaftliche Ursachen für Probleme außerAcht läßt. Gerade die Kritik am Programm Soziale Stadtmacht darauf aufmerksam, dass nicht das Quartier ansich der Ursprung von Quartiersproblemen ist, sonderndas gesamtstädtische und auch das gesamtgesell-schaftliche Umfeld betrachtet werden muss (vgl. Löhr2002) und der eigentliche Auslöser der Probleme ist.

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Vor diesem Hintergrund ist das Konzept der sozialenMischung aber auch der Versuch einer Beschreibungvon unterschiedlichen Ansprüchen und Möglichkeitenverschiedener Personen in einem Stadtgebiet und damitdie Akzeptanz der unterschiedlichen Ansprüche undBedürfnisse der Menschen.Diese Beschreibung macht eine Beeinflussung derZusammensetzung überhaupt erst möglich. Mit demWissen über die ökonomische und soziale Zusammen-setzung eines Quartiers lassen sich ja tatsächlichunterschiedliche Anreize zum Zu- oder Fortzug geben.Sowohl mit infrastrukturellen (wie Wohnumfeldver-besserungen, bewohnerspezifisches Bauen wie z.B. vonKindergärten, Spielplätzen, Altentagesstätten und zurVerfügungstellung von Wirtschaftsflächen) als auch mitzivilgesellschaftlichen Maßnahmen (wie kulturelle Veran-staltungen, Sozialräume, nachmittägliche Kinderbetreu-ung und Stadtteilfeste) können unterschiedlicheBewohner im Quartier gehalten und damit eine funktio-nierende Mischung – wobei funktionierend nicht unbe-dingt ausgewogen heißen muss – aufrechterhalten odergeschaffen werden.Wie der historische Rückblick auf Hobrecht und dieWohnungspolitik in der DDR gezeigt hat, gab es schonmehrere Versuche und unterschiedliche Konzepte,menschliches Zusammenwohnen zu perfektionieren. DieZiele der Maßnahmen waren und sind jedoch politischunterschiedlich motiviert und nicht selten auf„Alltagswissen“ beruhend.Jegliche Beschäftigungen mit sozialer Mischung, ob nunfür oder gegen eine verstärkte Mischung, warenpolitisch-ideologisch und stadtplanerisch motiviert,wissenschaftlich sind sie nie bestätigt oder als nichtfunktionierend (vgl. Kapitel 5.4) beschrieben worden.Die Durchsetzung, Befürwortung oder Gegnerschafteiner stärkeren oder geringeren sozialen Mischung inProblemquartieren bezieht sich immer auf einfacheAnnahmezusammenhänge, die bisher nicht nachgewie-sen werden konnten, sondern vielmehr ideologischenStereotypen entsprechen, die mit Vorstellungen derBetonung des Einzelnen oder der Gemeinschaft zusam-menhängen (vgl. PDS 2003; FDP 1997).Hierbei ist festzuhalten, dass sowohl das gezielteMischen der Wohnverhältnisse zu Erziehungszweckendes Proletariats, aus Angst vor dem Entstehensogenannter gefährlicher Klassen (vgl. Beste 2000) oderder Illusion einer klassenlosen, weil wohnungsgleichenGesellschaft, als auch das soziale und vor allemökonomische Mischen der Wohnbevölkerung einesQuartiers heutzutage Versuche des Abbaus von Rei-bungsverlusten beim Zusammenwohnen unterschied-licher Menschen auf engem Raum sind.Passend zur heutigen Stadtpolitik formulierte Knemeyer(1999): „Die Sicherung der guten Ordnung ist Aufgabedes Staates, der Kommunen, aller gesellschaftlicherKräfte, der Bürger selbst“. Nach dem liberalen Motto gilt„Jeder nach seiner Facon“, solange diese dem saube-

ren, aufgeräumten und geschäftsträchtigen Image einerordentlichen Stadt im Standortwettbewerb nicht imWege steht (vgl. Ronneberger u.a. 1999; Ronneberger2002).

5.2.6 Instrumente zur Sicherung und Herstellungoder Veränderung sozialer Mischung

Um die soziale Mischung in einem Quartier nachhaltig indem einen oder anderen Sinne zu beeinflussen, gibt eseinige Instrumente und Konzepte, die im Folgendenbetrachtet werden.Insgesamt bewegt sich die Wohnungspolitik im Span-nungsfeld zwischen Markt (Wohnraum als Ware) undsozialer Frage (Wohnraum als Existenzbedingung undsoziales Gut). Die vorzustellenden Instrumente beziehensich auf unterschiedliche Ebenen der Beeinflussung dersozialen Mischung in einem Quartier, nämlich auf dieFörderung von Individuen (Wohngeld, Eigentumsförder-ung) und Objekten (Sozialer Wohnungsbau, Wohnum-feldverbesserung, Belegungsbindungen, Mietobergren-zen und Milieuschutz). Nicht ganz einzuordnen ist dieAufhebung oder Einführung von Fehlbelegungsabgaben,da sie zwar objektgebunden sind, aber von Individuengezahlt werden müssen. In diese Einteilung fällt ebensodie Zuzugssperre für bestimmte Bevölkerungsteile, dasie sowohl personen- als auch quartiersbezogen ist. Dieklassischen Instrumente sind der soziale Wohnungsbauund das Wohngeld, die anderen genannten Instrumenteder Wohnungs- und Stadtpolitik sind erst späterentstanden und oftmals als Folge des Nichtfunktionie-rens der beiden klassischen Förderungsformen einge-führt worden (vgl. Jetter 1995; Grüber 1981; Falk1998).

AkteureDie Akteure im Feld der Wohnungspolitik sind privateEigentümer und staatliche und genossenschaftlicheWohnungsbaugesellschaften sowie der Staat mit seinenFörderungsmethoden und gesetzlich-regulierenden Ein-griffen in den Wohnungsmarkt.Hinzu kommen indirekt die Mieter- und Eigentümerver-bände sowie die Kommunal- und Landesbauverwaltung-en. Während sich Mieter- und Eigentümerinteressendiametral gegenüberstehen, nehmen Staat und Wohn-ungsbaugesellschaften (sofern gemeinnützig odergenossenschaftlich organisiert) intermediäre Positionenein und handeln vor dem Hintergrund gesamtgesell-schaftlicher bzw. sozialpolitischer Gemeinschaftsinter-essen. Der Staat zieht sich allerdings als Akteur seit den80er Jahren immer stärker aus dem Wohnungsmarktzurück, so dass eine Verschiebung in Richtung freiererWohnungsmarkt zu beobachten ist. Nichtsdestowenigergibt es eine Fülle an staatlichen und privaten Inter-ventionsmöglichkeiten in Bezug auf die soziale Mischungeines Quartiers.

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5.2.6.1 Objektbezogene Eingriffe

Unter objektbezogenen Eingriffen werden staatlicheEingriffe oder Förderungen im Wohnungsbau verstan-den, die direkt an die gebauten Gebäude gebundensind, konkret ist dies bei sozialem Wohnungsbau, derEigentumsförderung und Mietobergrenzen der Fall.

Sozialer WohnungsbauDer soziale Wohnungsbau beruht auf einem Systemöffentlicher Zuwendungen, mit denen die jeweiligenBauherren subventioniert werden und die an bestimmteAuflagen, wie Mietpreis- und Belegungsbindungen,geknüpft sind. Die Belegungsbindungen betragenzwischen 15 und 30 Jahre und sind an die unter-schiedlichen Förderarten geknüpft. Der soziale Wohn-ungsbau orientierte sich an der Wohnung für dasExistenzminimum und der staatlichen Pflichtaufgabe desWohnungsbaus im zerstörten Deutschland. Es ging alsovor allem um die Versorgung der Menschen mit genü-gend Wohnraum, um deren Existenz zu sichern. Insge-samt ist ein Viertel des deutschen Mietwohnungs-bestandes seit Beginn des 20. Jahrhunderts im sozialenWohnungsbau entstanden. Während in den 70er und80er Jahren hauptsächlich Neubausiedlungen im großenStil entstanden, die durch staatliche Wohnungsbauge-sellschaften gebaut wurden, veränderte sich die Förde-rung und orientierte sich eher an kommunalen Inter-essen, so dass eine flexible Förderung auch kleiner Ein-heiten, v.a. mit vertraglicher Bindung, nicht mehr aufgesetzlicher Grundlage beruhte (sog. 3. Förderweg).Damit wurde den Kommunen eine direktere Einfluss-möglichkeit gegeben, jedoch auch der Einsatz vonBundesmitteln zurückgefahren (bis zur Abschaffung1986 und der Wiedereinführung 1990). Die Kriterien derVergabe orientieren sich am Einkommen und sind imWohnungsbaugesetz festgesetzt (vgl. Jetter 1995; Falk1998). Mit dem sozialen Wohnungsbau ist es alsomöglich, eine soziale Mischung in bestimmten Quar-tieren zu beeinflussen, indem Belegungsrechte bei derSanierung oder dem Neubau von Häusern in der Stadtvertraglich mit den privaten Bauherren vereinbart wer-den oder staatliche Wohnungsbaugesellschaften direktbauen.

EigentumsförderungAuch die Eigentumsförderung kann zur Beeinflussungder sozialen Mischung genutzt werden, wenn sie fürEigentumswohnungen genutzt wird. Hauptsächlich je-doch bezieht sie sich auf die Förderung suburbanenEigenheimsiedlungsbaus, der wenig zur sozialen Mi-schung in Innenstädten beiträgt bzw. nur indirekt durchdas Freiwerden von Mietwohnungen. Hier soll jedochnicht näher auf diesen Bereich eingegangen werden.

MietobergrenzenMietobergrenzen sind Deckelungen der Mietzahlungenfür bestimmte städtische Quartiere (siehe auch Milieu-schutz), vor allem aber ein Mittel, um der Verdrängungvon Quartiersbewohnern vorzubeugen. Wenn Miets-häuser saniert werden, verursacht dies dem VermieterKosten, die er auf die Mieter umlegt. Dies kann zuerheblichen Mieterhöhungen nach der Sanierungführen und damit die alten Mieter dazu zwingenauszuziehen, wenn sie sich die neuen Mietpreise nichtleisten können. Um diesen Vorgang abzuschwächen,werden sogenannte Mietobergrenzen für Sanierungs-gebiete festgelegt, die für ein bis fünf Jahre nach derSanierung die Mietsteigerung festlegen und damitmeist verlangsamen.Im Zuge der Diskussion um die Aufwertung sozial be-nachteiligter Quartiere ist es in innerstädtischenAltbauquartieren mittlerweile politisch gewollt, Miet-obergrenzen aufzuheben (vgl. Wild 2001), um eineModernisierung von Häusern in benachteiligten Gebie-ten für die Vermieter attraktiver zu machen. DieserProzess wird auch auf rechtlicher Ebene unterstützt,wie ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlindeutlich macht, das Mietobergrenzen in Sanierungs-gebieten 2002 für unzulässig erklärt hat (vgl. Hartmann2002; Wild 2001). Bei der Aufhebung der Mietober-grenzen geht es vor allem darum, Anreize zur Erneu-erung der oft maroden Bausubstanz zu geben unddamit den negativen Kreislauf von schlechtem Wohn-umfeld und unterdurchschnittlicher Wohnungsaus-stattung, welche weniger Mieteinnahmen bedeuten,was wiederum zu unterlassener Sanierungstätigkeitführt, zu durchbrechen. So ist der Zusammenhang ein-fach gedacht: wenn klar ist, dass die Miete nach derSanierung keine Begrenzung nach oben hat, ist eswahrscheinlicher, dass der Eigentümer saniert, weilsein Profit nach der Sanierung höher ist. Eine zweiteFolgerung ist: wenn saniert wird, kommen auch Mieter,die höhere Preise zahlen können, besonders wenn diesdurch Wohnumfeldverbesserungen unterstützt wird(z.B. Spielplätze erneuern, Parkanlagen beleben etc.).

5.2.6.2 Subjektförderung

Während die vorherigen Instrumente sich auf die För-derung von bzw. Einflussnahme auf Objekte(n) (alsoWohnhäuser) bezog, werden auch staatliche Förderung-en an Subjekte, also die wohnenden Menschen, verge-ben. Hier gibt es zwei Varianten der Subjektförderung,das Wohngeld und die Eigentumsförderung.

WohngeldWohngeld wird seit 1965 vom Staat zur „Sicherungangemessenen und familiengerechten Wohnens“ ge-zahlt, auf die Zahlung besteht ein Rechtsanspruch,

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wenn die Bezugskriterien zutreffen (BmVBW 2001). „DieGewährung des Wohngeldes (bis zu einem bestimmtenHöchstbetrag) ist von der Höhe des Haushalts-einkommens, der Zahl der zum Haushalt gehörendenMitglieder, der Größe der Wohnung und der Höhe derMiete bzw. bei Eigentümerwohungen der Belastungsowie der Ortsgröße abhängig. Die Höhe des Wohngel-des hängt vom Einkommen, den zuschußfähigen Wohn-kosten und der Haushaltsgröße ab“ (Jetter 1995: 4).Das Wohngeld wird gezahlt, um die Probleme des freienWohnungsmarktes abzufedern und auch Menschen mitniedrigem Einkommen angemessenen Wohnraum zuermöglichen sowie die Mietbelastung in Bezug auf dasEinkommen nicht zu sehr steigen zu lassen.Die Wohngeldzahlung kann also auch der Segregationvorbeugen und Menschen mit niedrigem Einkommenerlauben, in qualitativ hochwertige Wohnungen bzw.Wohngebiete zu ziehen, weil sich die Zahlung vonWohngeld an der ortsüblichen Vergleichsmiete orien-tiert, also an der durchschnittlichen Miethöhe im Quar-tier. Die Anzahl der Bezugsberechtigten war zwischen1975 und 1989 relativ konstant, seit dem hat sie sichverdoppelt, so dass 1992 3,8 Millionen Haushalte Wohn-geld bezogen; die Höhe des gezahlten Wohngeldesbetrug insgesamt (Bund und Länder) 6,8 Milliarden DM(vgl. Jetter 1995; Falk 1998; Destatis 2003). Die zweiteVariante der Subjektförderung ist die Fehlbelegungs-abgabe.

FehlbelegungsabgabeDie Fehlbelegungsabgabe ist eine Folgeerscheinung dessozialen Wohnungsbaus und wurde eingeführt, um dieFehlallokation von Wohnungsbausubventionen zu ver-hindern bzw. zu mildern. Um berechtigt zu sein, eineSozialbauwohnung zu beziehen, darf ein gewissesEinkommen nicht überschritten werden. Mit der Zeitsteigen aber bei vielen zuvor Bezugsberechtigten dieEinkommen über die Berechtigungsgrenze. In diesemFall müssen die Wohnungen zwar nicht verlassenwerden, aber eine Abgabe gezahlt werden, die dieFehlsubvention aufheben soll (obwohl die Abgabe meistgeringer ist als der Unterschied zur ortsüblichen Ver-gleichsmiete). Mit der Verstärkung der sozialen Pro-bleme in den stadtrandnahen Sozialbausiedlungen undder Gefahr der Einseitigkeit der Wohnungsbelegungdurch sozial Schwache – die den Einkommensgrenzennoch entsprechen – wird die Fehlbelegungsabgabe suk-zessive bundesweit abgebaut. Ziel ist der Erhalt einersozialen Mischung in den Neubausiedlungen und dieVorbeugung gegen sich verstärkende Segregations-prozesse.(Exemplarisch sei hier der Wegzug junger undfinanzkräftiger Familien, eben wegen der Fehlbe-legungsabgabe und dem mittlerweile schlechten Imageder Großsiedlungen bzw. des sozialen Wohnungsbausan sich genannt. Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache,dass Wohnen und Bauen im Umland einer Großstadt

billiger ist und damit neben Wohnumfeldaspektenattraktiv für einkommensstarke Mieter.) Die Aufhebungder Fehlbelegungsabgabe ist also ein Instrument, mitdem die Entmischung in Sozialbausiedlungen aufgehal-ten werden soll.

MilieuschutzsatzungDer Milieuschutz ist eine Maßnahme, um die Aufwertungvon Stadtquartieren bei Gentrificationsprozessen undden damit einhergehenden Modernisierungen einzu-schränken. Die sogenannte Erhaltungssatzung ist imBaugesetzbuch geregelt und kann sich auf die Erhaltungder städtebaulichen Eigenart eines Gebietes, dieErhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerungeines Stadtgebietes oder auf städtebauliche Umstruktu-rierung beziehen. Im Rahmen der sozialen Mischunggeht es meist um den § 172 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, dersich auf die Erhaltung der Zusammensetzung derWohnbevölkerung bezieht (vgl. Goldschmidt 2004).Konkret muss dem Satzungserlass eine nachvollziehbareBegründung vorangehen, die sich an Erlasskriterien, dieebenfalls gesetzlich geregelt sind, orientieren. Ist derMilieuschutz erfolgreich, so wird Wohnraummoderni-sierung genehmigungspflichtig und darf nur unter derBedingung von anschließenden Mietobergrenzen statt-finden, um die Zusammensetzung der Wohnbevölke-rung zu erhalten. Sie ist als Instrument zur Erhaltungeiner vorhandenen sozialen Mischung geeignet.

Zuzugssperren und QuotenregelungenFreie und billige Wohnungen fanden und findenMigranten oftmals nur in bestimmten Stadtteilen, sodass es dort zu einer hohen Konzentration von Migran-ten kommt (vgl. Mietermagazin 12/2001). Durch diehohe Konzentration in Stadtgebieten, die mittlerweileals gefährdet oder benachteiligt gelten und die deshalbüber ein nicht unerhebliches Konfliktpotenzial verfügen,wurden Zuzugssperren als Mittel zur Verteilung vonMigranten im Stadtgebiet diskutiert und zum Beispiel inBerlin für die Bezirke Wedding, Tiergarten und Kreuz-berg eingeführt.Dies bedeutete, dass eine amtliche Meldung in diesenBezirken für nicht EU-Ausländer nicht möglich war. Inder Praxis hat sich dies allerdings nicht als wirkungsvollherausgestellt, und die Zuzugssperre wurde 1990wieder aufgehoben. Seit dem wird immer wiederöffentlich über die Wiedereinführung diskutiert.In diesem Zusammenhang wird vor allem auf denhohen Anteil Nichtdeutscher in den Grundschulen ein-zelner Stadtteile Bezug genommen. Da Grundschulenfestgelegte Einzugsgebiete haben, ist der Anteil Nicht-deutscher dort besonders hoch, wo die Migrantenzahlhoch ist. Deutsche Kinder stellen in diesen Schulen nichtmehr die Mehrheit, so dass Probleme mit Sprachver-mittlung und kulturellen Ansprüchen sich nach Meinungeiniger verstärken (vgl. Nitsche 2002). Um diesen Zu-stand zu verhindern, wird die Einführung einer Quote

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des Ausländeranteils in Grundschulklassen diskutiert.Neben der Zuzugssperre und Quotierungen in denGrundschulen wird auch oft über das sogenannte„Bussing“ gesprochen, das in den USA angewendetwird, um die Zusammensetzung der Schulen zu mischenund die Anteile einer bestimmten Bevölkerungsgruppenicht zu hoch werden zu lassen (vgl. BBA 2002).Auf der anderen Seite sind 1982 Quotenregelungen zurBelegung von Sozialbauwohnungen eingeführt worden,die den Ausländeranteil auf 18% erhöhen sollten. In derRealität wird dies von den Wohnungsbaugesellschaftenoftmals jedoch eher als Obergrenze verstanden. In be-stimmten Stadtteilen belegen die Wohnungsbaugesell-schaften keine Wohnungen mehr mit Migrantenfamilien,auch wenn es offiziell keine Anweisung dazu gibt.Mieterverbände machen jedoch darauf aufmerksam,dass interne Anweisungen oftmals trotzdem existieren(vgl. Leiß 2001; MieterMagazin 12/2001).

PrivatisierungDie in den 70ern verstärkte Förderung des sozialenWohnungsbaus beinhaltete Belegungsbindungen, diefür eine bestimmte Laufzeit (meist 30 Jahre) durchstaatliche Subventionen niedrige Mieten sicherstellte.Diese Belegungsbindungen laufen jedoch verstärkt inden nächsten Jahren aus und gleichzeitig verringert sichdie staatliche Förderung des sozialen Wohnungsbaus,so dass der Wohnungsanteil im sozialen Wohnungsbaukontinuierlich zurückgeht. Angesichts der Krise derStaatshaushalte werden zunehmend staatliche Wohn-ungsbaugesellschaften verkauft und damit langfristigdie Wohnungen dem privaten Wohnungsmarkt zuge-führt. Diese Maßnahmen haben zur Folge, dass dieMieten beständig steigen und ein immer geringererAnteil von günstigem, aber gut ausgestattetem Wohn-raum zur Verfügung steht. Bei der Privatisierung vonWohnungsbaugesellschaften kann jedoch der Erlös auchgenutzt werden, um Belegungsrechte in privatemWohnungsbestand zu erwerben und damit eineEntzerrung von sozialem Wohnungsbau geleistet wer-den, die die geförderten Wohnungen besser über diegesamte Stadt verteilt (vgl. MieterMagazin 10/2001).Darüber hinaus kann eine Privatisierung in RichtungGenossenschaften durchaus sinnvoll sein, wenn diesegemeinnützig organisiert sind und eine offene Bele-gungspolitik betreiben (vgl. Arndt/Rogall1987; Lütke2001).

ZusammenfassungDie vorgestellten Instrumente beeinflussen die sozialeMischung in einem Quartier. Schwierig ist aber eineausgewogene und erfolgreiche Anwendung der unter-schiedlichen Instrumente, wie die Zuzugssperre oderMietobergrenzen und Fehlbelegungsabgabe zeigen. Dermomentane Trend geht in Richtung weitere Privati-

sierung des Wohnungsmarktes und weiterem staat-lichen Rückzug aus seiner Regulierung.Wenn der Staat sein Eingreifen in den Wohnungsmarktweiter verringert, wie es seit Mitte der 80er Jahrestattfindet, also Regulierungen und den sozialen Wohn-ungsbau zurückfährt, so wird die selbstorganisierteForm der Gemeinschaftsinteressenvertretung in Formvon Genossenschaften immer wichtiger. Es ist alsodarauf zu achten, sollte der soziale Wohnungsbau vonstaatlicher Seite aufgegeben bzw. die Belegungsbin-dungen nicht verlängert werden, dass der Abbausozialer Wohnungsbestände in der Form von stattengeht, dass den Mietern die Möglichkeit zur Bildung vonMietergenossenschaften gegeben wird. Dies ist insofernnötig, als Genossenschaften eine stabile Bewohner-schaft in den Quartieren garantieren und darüberhinaus den Profitzwang von privaten Hauseigentümernaushebeln und somit erschwinglichen Wohnraumweiterhin zur Verfügung stellen und ein Einfluss auf diesoziale Mischung nicht nur dem Angebot-Nachfrage-Prinzip des privaten Wohnungsmarktes überlassenbleibt.

5.2.7 Resümee

Das Konzept soziale Mischung ist als Lösungsansatz fürdas Zusammenleben in großen Städten schwer bis garnicht handhabbar. Um erfolgreich zu sein, müssen vieleFaktoren bedacht und beeinflusst werden, die sich aufunterschiedlichen Ebenen des politischen Handelnsbewegen. Die oben genannten Instrumente betreffenBundes-, Landes-, und Kommunalebenen gleicher-maßen und sind dementsprechend schwer zu koordi-nieren, selbst wenn sie sich nicht im parteipolitischenWiderstreit befänden, was allerdings, wie nachge-wiesen, der Fall ist (vgl. MieterMagazin 10/2001).Weiterhin nicht zu klären ist die Frage, wann einesoziale Mischung „gut“ ist. Nicht das reine Funktionierenoder Unauffälligsein eines Quartiers allein macht einegute Mischung aus und auch eine gesamtstädtischeMischung mit segregierten Quartieren kann funktio-nieren und für gut befunden werden. Hinzu kommt,dass es bisher keine Nachweise darüber gibt, wie einebestimmte soziale Mischung über einen längerenZeitraum erfolgreich sicherzustellen ist. Erst recht nicht,wenn sie bestimmten politischen Vorgaben entsprechensoll, welches weder im 19. noch im 20. Jahrhundertnachweislich langfristig funktioniert hat. Wenn jedochversucht wird, eine „gute“ soziale Mischung zu schaffen,so wird es ohne staatlichen Eingriff in denWohnungsmarkt nicht gehen. Der private Wohnungs-markt fördert eher eine Segregation nach Einkommen,die im Zweifel wieder soziale Instabilität undbenachteiligte und benachteiligende Quartiere schafft.

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Soziale Mischung insgesamt besteht auch aus einemGeflecht unterschiedlichster Einflussfaktoren und sozi-alen Netzen, deren gemeinsame zielgerichtete Beein-flussung nahezu unmöglich ist und im Zweifelsfallesogar zerstört wird. Gerade deshalb ist die kritisierteund damit ambivalente Besinnung auf die endogenenPotentiale der Quartiere vermutlich aber die erfolgver-sprechendste Vorgehensweise. Durch die Nutzungdieser Potentiale und der noch vorhandenen sozialenNetze ist eine Stabilisierung von „Problemquartieren“ zuerreichen, ohne vorhandene soziale Netze zu zerstören.Wenn also für beide Formen des städtischen Lebens(sozial gemischt und segregiert) positive Argumente zufinden sind, so ist es gesellschaftliche Praxis und/oderpolitische Entscheidung, die eine oder andere Variantezu bevorzugen, wobei auch die konkrete Situation desQuartiers in der Gesamtstadt eine Rolle spielen wird.Eine pauschale Beschreibung eines der beiden Konzepteals „richtig“ oder „falsch“ ist nicht möglich, sondern vonQuartier zu Quartier und von Stadt zu Stadt oder garvon Gesellschaft zu Gesellschaft, unter Berücksichtigungder beschriebenen Faktoren, zu entscheiden.

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5.3 Das Quartier als Sozialraum

„Je weniger ökonomisches, soziales und kulturellesKapital einer Gruppe zur Verfügung steht, umsounausweichlicher wird sie in jene Bestände abgedrängt,in denen alle anderen nicht leben wollen. Je benach-teiligter eine Gruppe ist, desto stärker ist ihr Aktions-raum eingeengt und desto bedeutsamer ist für siedaher die nähere Wohnumgebung. Die benachteiligtenGruppen der Bevölkerung wohnen also in besondersschlechten Quartieren, sind aber mehr als andere aufihr Quartier angewiesen, weil sie geringere Chancenhaben, die Nachteile ihrer unmittelbaren Wohnumge-bung durch Mobilität zu kompensieren“

(Häußermann/Siebel 2002: 52).

EinleitungIm Programm Soziale Stadt wird das Quartier zur Hand-lungsebene des lokalen Sozialstaates erklärt. Damit wirdder Entwicklung Rechnung getragen, dass sich seiteinigen Jahren auch in der Bundesrepublik DeutschlandArmut und soziale Ausgrenzung in den Städten und hiervor allem in bestimmten Quartieren zu konzentrierenbeginnen.In der Bund-Länder-Gemeinschaftsinitiative wird derAnspruch erhoben, in Ortsteilen mit besonderen sozia-len, wirtschaftlichen und städtebaulichen Problemen,„Quartiersentwicklungsprozesse in Gang zu setzen,welche die sozialen Problemgebiete zu selbstständiglebensfähigen Stadtteilen mit positiver Zukunft-sperspektive machen sollen“ (www.sozialestadt.de).Zur Verwirklichung dieses Anspruchs setzt die Initiativevor allem auf Strategien, die auf die Aktivierung der imQuartier vorhandenen aber noch unzureichend ge-nutzten Ressourcen abzielen. Sowohl die Zieldefinitionals auch die eingesetzten Instrumente implizieren eineSichtweise auf das Quartier, welches als Sozialraum ver-standen wird, in dem sich vielfältige gesellschaftlicheProzesse vollziehen und wechselseitig beeinflussen. AlsInterventionsschwerpunkt gilt neben städtebaulichenAspekten vor allem der soziale und räumliche Kontext –der Sozialraum – der Quartiersbewohner.Sowohl in der Bund-Länder-GemeinschaftsinitiativeSoziale Stadt als auch in der wissenschaftlichen Diskus-sion gelten aufgrund eines empirisch nachweisbarenVerlustes an sozialem, ökonomischem, kulturellem undsymbolischem Kapital innenstadtnahe vernachlässigte(meist gründerzeitliche) Altbauquartiere und dieNeubausiedlungen der 60er und 70er Jahre (häufig amRande der Stadt gelegen) als die „Prototypen“ (vgl.Krumacher 2003: 37) von Sozialräumen mit beson-derem Entwicklungsbedarf.Befürchtet wird für beide Gebietstypen, dass sie auf-grund der nachgewiesenen Kapitalreduktion die Wahr-nehmungs- und Handlungsmöglichkeiten ihrer Bewoh-nergruppen, die wiederum aufgrund ihrer eingeschränk-ten Mobilität – die einen Wegzug aus dem Quartier

und/oder raumübergreifende Kommunikation undSozialbeziehungen erschwert – und daher besondersauf das Quartier als Ressource zur Alltags- und Lebens-bewältigung angewiesen sind, so weit einschränken,dass sie sich von benachteiligten Quartieren zu benach-teiligenden für die Integration ihrer Bewohner in die(Stadt-)Gesellschaft entwickeln könnten.Während im Programm Soziale Stadt die beidenGebietstypen differenziert beschrieben werden, lassensich vor allem in der wissenschaftlichen Literatur Hin-weise auf eine unterschiedliche Beurteilung der gebiets-spezifischen Bedingungen, die die beiden Gebietstypenihren Bewohnern zur Alltagsbewältigung bieten, finden.Aufgrund der randständigen Lage und der monofunk-tionalen Ausrichtung der Neubausiedlungen werden vorallem von diesem Gebietstyp negative Effekte auf dieWahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten unddamit auf die Integrationschancen ihrer Bewohnergru-pen erwartet (vgl. Häußermann/Siebel 2000; Häußer-mann 2002; Herlyn et al. 1991; Kapphan et al. 2002;Krumacher et al. 2003).Da über das Programm versucht wird, Ausgrenzungs-risiken von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen,die aufgrund ihrer Wohnsituation zusätzlich mit einersozial-räumlichen Ausgrenzungsdimension konfrontiertwerden, entgegenzutreten, soll nach der Bedeutung desQuartiers für Armuts- und Ausgrenzungsprozesse seinerBewohner gefragt werden.

Die zwei zentralen Fragen unserer Arbeit lauten:

1. Stellen (Problem-)Quartiere für ihre sozial margi-nalisierten Bewohnergruppen eine eigenständige unddaher zusätzlich sozial-räumliche Dimension sozialerUngleichheit dar, die Armuts- und Ausgrenzungspro-zesse noch bekräftigen und verstärken? Oder: BietenQuartiere auch Ressourcen an, die von den Bewohner-gruppen zur Alltagsbewältigung und Integration in die(Stadt-)Gesellschaft genutzt werden können?

2. Können den Neubauquartieren aufgrund ihrer Ge-bietsmerkmale, wie in der wissenschaftlichen Literaturvermutet, eindeutig negativere Effekte auf Integrationund Lebensbewältigung zugeschrieben werden als denAltbauquartieren?Unsere Arbeit haben wir in zwei Teile gegliedert. Imersten Teil werden theoretische Konzepte vorgestellt,die sich aus wissenschaftlicher Sicht mit dieser Proble-matik befassen. Sie sollen als theoretisch fundierteGrundlage der Problembearbeitung dienen.

Da im Programm (Problem-)Quartiere als Sozialräumebegriffen werden, beginnen wir unsere Arbeit mit derVorstellung zweier soziologisch relevanter Raumkon-zepte: das Konzept von Läpple und das von Bourdieu.Im zweiten Schritt werden allgemein die Quartiersbe-dingungen vorgestellt, die in der wissenschaftlichen

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Literatur als relevant für Integrations- und Ausgren-zungsprozesse der Bewohner in die (Stadt-)Gesellschaftgelten.Nachfolgend werden die Gebietstypen beschrieben. Hiersoll vor allem den divergierenden GebietsmerkmalenBeachtung geschenkt werden, die als ursächlich für dieunterschiedliche Integrationskraft der Gebietstypenwahrgenommen werden.Im Anschluss daran haben wir uns die Frage gestellt, obdiese Vorgehensweise der deskriptiven Beschreibungvon unterschiedlichen Quartiersbedingungen ausreicht,um die Wirkung von Gebietstypen auf ihre Bewohner zuerklären.Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die bisherigeBetrachtung des Quartiers als zusätzliche und damiteigenständige Dimension sozialer Ausgrenzung inzweierlei Hinsicht zu kurz greift.Erstens wollen wir unter Rückgriff auf die soziologischenRaumkonzepte das Quartier nicht entweder alsRessource oder als Hindernis, sondern als Opportuni-tätsstruktur begreifen. D.h. alle drei wohlfahrtspro-duzierenden Sphären – Markt, Staat, soziale Netzwerke– lassen sich im Quartier verorten. Quartiere stellendaher eine spezifische Opportunitätsstruktur für ihreBewohner im Hinblick auf die drei Integrationssphärendar (vgl. Kapitel 5.3.8).Zweitens berücksichtigt die Annahme, dass es lokalverschiedene Wirkungszusammenhänge gibt, dieAlltagshandeln und integrative Prozesse unterstützen alsauch behindern können, noch nicht die Zusammen-setzung der Quartiersbevölkerung und ihre je spezi-fischen Wahrnehmungs- und Deutungsmuster.

Es stellen sich daher zwei weitere Fragen:

3. Kann für die Problemquartiere von einer homogenenArmutsbevölkerung ausgegangen werden?

4. Wenn nein: Haben objektive Gegebenheiten diegleiche Handlungsrelevanz für alle Bevölkerungsgrup-pen? Oder gibt es Unterschiede hinsichtlich derDeutungs- und Verhaltensmuster der Bewohner unterden gleichen strukturellen Bedingungen des Quartiers?

Als theoretische Basis zur Erklärung der Wirkung derQuartiersstruktur auf die Bewohner soll das Konzept dersozial-räumlichen Milieus (vgl. Hradil 1987; Herlyn 1991)herangezogen werden. Da wir nicht wie Herlyn et al.(1991) davon ausgehen, dass das Quartier von einemMilieu geprägt wird, sondern sich im Quartier verschie-dene Milieugruppierungen wieder finden lassen, wird dieBeurteilung der Angebotsstruktur des Quartiers sehrvon den verschiedenen Bedürfnissen und den Wahrneh-mungs- und Interpretationsmustern der Milieugruppenbeeinflusst sein.

Im Teil II unserer Arbeit sollen die vorangegangenentheoretischen Annahmen anhand einer empirischen Stu-die überprüft werden. Dafür greifen wir auf die Urbex-Studie zurück. In ihr wurde im Zeitraum zwischen 1999bis 2001 in elf Städten sechs Europäischer Länder dieBedeutung der räumlichen Dimension städtischerInklusion und Exklusion untersucht.

Teil I – Theorie

5.3.1 Lebenslagen haben ihre Orte– das Quartier als Sozialraum

Da im Programm davon ausgegangen wird, dass dasQuartier keine neutrale Folie darstellt, auf der sichgesellschaftliche Prozesse entfalten und vollziehen, wer-den zur theoretischen Fundierung zwei soziologisch re-levante Raumkonzepte vorgestellt, die die Wechselwir-kung von sozialer Struktur und räumlicher Organisationvon Gesellschaft berücksichtigen.

5.3.1.1 Das Raumkonzept nach Läpple

Das Quartier als regionaler Arbeits- und Lebenszusam-menhang kann nach Läpple als „Meso-Raum“ zwischendem „körpernahen Mikro-Raum“ und dem „Makro-Raum“ des Staates und (Welt-)Marktes begriffen wer-den, auf den als Untersuchungsebene die vier zurCharakterisierung von Sozialräumen vorgeschlagenenAnalysedimensionen abzielen.Das materiell-physische Substrat gesellschaftlicherVerhältnisse ist neben der Landschaft gesellschaftlichproduziert und umfasst die vom Menschen umgeformteNatur und deren materielle Nutzungsstrukturen sowiedie Menschen in ihrer Eigenschaft als physische Wesen,in ihrer körperlich-räumlichen Leiblichkeit selbst.Die gesellschaftlichen Interaktions- und Hand-lungsstrukturen, in denen die Menschen als sozialeAkteure den materiell-physischen Raum produzieren,aneignen und nutzen. Sie werden von den ökonomi-schen, sozialen und politischen Handlungskonzeptengesellschaftlicher Akteure geprägt.Ein institutionalisiertes und normatives Regula-tionssystem (Eigentumsformen, Macht- und Kontroll-beziehungen, rechtliche Regelungen, Planungsrichtlinienund -Festlegungen, soziale und ästhetische Normen),welches die Praxis der Aneignung und Nutzung, dieInteraktion der sozialen Akteure im Umgang mit denmateriell-physischen Elementen des Raums (Nutzflä-chen, Baulichkeit, Verkehrswege, Arbeitsstätten),reguliert.Das mit den materiellen-physischen Elementen verbun-dene Zeichen-, Symbol- und Repräsentations-system: Durch ihre funktionale und ästhetische

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Gestaltung wird die „gebaute Umwelt“ Symbol- undZeichenträger. Aufgrund der kognitiven Erkennbarkeitihrer sozialen Funktion und einer affektiven Identi-fikationsmöglichkeit enthalten sie selektive, spezifische„Gebrauchsanweisungen“, die das räumliche Verhaltender Menschen strukturieren (vgl. Krätke 1995: 14;Bartelheimer 2001: 184f.; Dangschat 2000a: 214f.).

5.3.1.2 Das Raumkonzept nach Bourdieu

Nach Bourdieu wird der physische Raum durch dieEinschreibung des sozialen Raums in ihn strukturiert.Der soziale Raum bei Bourdieu ist ein Raum derKlassifikation und Distinktion. Die Menschen alsGesellschaftsmitglieder werden über ihre objektivesoziale Position klassifiziert. Dabei wird die Position überdie spezifische Kombination von drei Kapitalsortenbestimmt:Ökonomisches Kapital. Hiermit ist vor allem die Ver-fügung über Geld und Eigentum gemeint.Soziales Kapital. Hierunter können im weitesten Sinnesoziale Beziehungen verstanden werden. Während manüber gewisses soziales Kapital quasi per Geburt verfügt– Familie, Verwandtschaft –, kann „das Beziehungsnetzauch das Produkt individueller oder kollektiver Investi-tionsstrategien [sein], die bewusst oder unbewusst aufdie Schaffung und Erhaltung von Sozialbeziehungengerichtet sind, die früher oder später einen unmittel-baren Nutzen versprechen“ (Bourdieu 1983, nach Abels2001: 311). Hierbei geht es vor allem um Beziehungen,die einen symbolischen Wert (Prestige, Ehre) haben.Kulturelles Kapital. Hierunter wird eine bestimmtekulturelle Kompetenz verstanden, die sich sowohl ausWissen, Qualifikation und Bildungstiteln, aber auch ausEinstellungen und Handlungsformen generiert.Mit der Verfügung über kulturelles Kapital verbindet sichnach Bourdieu ein spezifischer Habitus (Auftreten,ästhetische Einstellungen, Geschmack, Kleidung), überden sich das Individuum erstens seiner selbst versichertund zweitens von anderen wahrgenommen wird. Mitdem Habitus ist daher auch das Moment der Distinktionverbunden, da sich das Individuum über ihn vonanderen Individuen distanziert.Die jeweils spezifische Verfügung über die drei Kapital-sorten bestimmen die Platzierung, die Position desIndividuums in der gesellschaftlichen Hierarchie (vgl.Abels 2001: 311f., Dangschat 2000a: 209, Bourdieu1983: 185ff.) und sie vermittelt Macht über den Raum,indem sie „sich im angeeigneten physischen Raum inGestalt einer spezifischen Beziehung zwischen derräumlichen Struktur der Verteilung der Akteure auf dereinen und der räumlichen Struktur der Verteilung vonGütern und Dienstleistungen privater oder öffentlicherHerkunft auf der anderen Seite“ äußert. Die Positioneines Akteurs im Sozialraum und die von ihmangeeigneten Dinge „spiegeln sich in dem von ihm

eingenommenen Ort im physischen Raum wieder […].Je nach Kapitalausstattung und ihrer jeweiligenphysischen Distanz zu diesen Gütern, die ja selbstkapitalabhängig ist, wachsen oder verringern sich dieChancen, in den Genuss dieser Güter und Dienste zugelangen. In der Beziehung der Verteilung von Akteurenund der Verteilung von Gütern im Raum manifestierensich der jeweilige Wert der unterschiedlichen Regionendes verdinglichten Sozialraums“ (Bourdieu 2002: 160f.).Bei Bourdieu erhalten Individuen und Dinge aufgrundihrer physischen Gegebenheiten einen absoluten Ort imphysischen Raum. Zum Anderen werden Akteure unddie von ihnen angeeigneten Dinge relational, d.h. ent-sprechend ihrer Position, ihrem Rang, den sie in einerOrdnung innehaben, relational lokalisiert. Der Sozial-raum – strukturiert durch den Kapitalbesitz in seinenverschiedenen Varianten und dem angelehnten Habitus– vermittelt je spezifische Macht über den Raum, die inGestalt räumlicher Oppositionen ihren Ausdruck findet.

5.3.1.3 Fazit

Soziales Handeln und soziale Strukturen sind orts-gebunden, aber der physische Raum spiegelt nicht nurdie Ungleichheiten der Sozialstruktur wider, sondern fürbeide Autoren besteht eine Wechselbeziehung zwischenden Strukturen des Sozialraums und des physischenRaums.Beiden Konzepten ist es gelungen, die Dualität vonMaterie/Raum und Sozialem aufzulösen. Das Quartierals gesellschaftlicher Raum, wie wir es begreifen wollen,ist also kein bloßer „Umraum“, kein „Behälter“, der dieMenschen und Dinge in ihrer Leiblichkeit einschließt,sondern wird von den Menschen als sozialen Akteuren,unter dem Aspekt ihrer klassenmäßigen Differenzierung,in gesellschaftlicher Praxis produziert, angeeignet,strukturiert und mit Symbolen besetzt. Die sozialwirk-same Raumstruktur und die raumwirksame Sozial-struktur des Quartiers erhält die Qualität eines aktivenWirkungsfeldes, aus sozialen Verhältnissen begründetund über sie vermittelt. Das Quartier kann als Ver-mittlungsebene zwischen den objektiven gesellschaftli-chen Handlungsbedingungen – der strukturellen Makro-ebene – und den subjektiven Handlungsmustern – derindividuellen/gruppenbezogenen Mikroebene – gesehenwerden.

5.3.2 Welche Quartiers-Ressourcen werden inder wissenschaftlichen Literatur genannt?Die endogenen Potenziale eines Quartiers

In diesem Kapitel sollen neben anderen Autoren vorallem Herlyn et al. (1991) zu Wort kommen. Gemein-sam ist ihnen, dass sie auch Problemquartiere alsSozialräume sehen, die ihren Bewohnern endogene

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Potenziale zur Alltagsbewältigung anbieten. Ihr Blickrichtet sich vor allem auf die Sozial- und materielleStruktur der Quartiere.So können nach Keim/Neef (2000) aufgrund dervorfindbaren homogenen Sozialstruktur relativ dichtesoziale Netze mit erheblichen Selbsthilfepotenzialen indiesen Quartieren existieren. Die homogene Nachbar-schaft fungiert hier als „Stützstruktur“ (vgl. Keim/Neef2000: 253), die über solidarische Netzwerke zurLebensbewältigung beitragen kann. Vor allem beiMigrantenfamilien mit vergleichsweise intakten Familienund nachbarschaftlichen Unterstützungsnetzen bietendiese Quartiere hohe Selbsthilfepotenziale an (vgl.Krumacher 2003: 44). Auch können sie denjenigeneinen Schutzraum bieten, die sich mit der Margina-lisierung und Diskriminierung abgefunden haben. Sokann das gesellschaftliche „Draußen“ um den Preis derEinschließung in ein diskriminiertes Viertel gemiedenwerden – sie „sind froh, den Verhaltenszumutungen undMisserfolgen ‚Draußen’ entkommen zu sein“, „nur imViertel haben sie die Chance einer Status-Bestätigungoberhalb von anderen Gruppen“, „...fühlen sich mit demViertel verbunden, weil ihre Armut oder ihr Minder-heitenstatus als Normalität erscheint“ (Keim/Neef 2000:265).Die materielle Struktur der Quartiere, geprägt durch denAbzug von ökonomischem Kapital und De-Investitionendeutscher Anbieter, kann z.T. durch den Aufbau einerMigrantenökonomie mit bedeutsamen Investitionen,Arbeitsplatzeffekten und Ausbildungspotenzialen undmit vergleichsweise hoher stark lokal gebundenerKaufkraft und preiswerten guten Angeboten aufge-wertet werden. Z.T. existiert eine spezielle Infrastrukturvon Angeboten (Dienstleistungen/Gütern) mit niedrigenPreisen, die sich der Nachfrage angepasst hat (vgl.Krumacher 2003: 44).

Herlyn et al. (1991) unterscheiden in ihrer Studie„Armut und Milieu“ analytisch vier Teilressourcen, diedas Quartier potenziell seinen Bewohnern zur Verfügungstellt:

Stadtteil als Chance der Existenzsicherung

Stadtteil als Ort des Wohnens

Stadtteil als Ort sozialen Austauschs

Stadtteil als Ort der Teilhabe an gesellschaftlichenEinrichtungen

5.3.2.1 Quartier als Chance derExistenzsicherung

Da die benachteiligten Bewohnergruppen meist vonhoher Arbeitslosigkeit betroffen sind, „wären lokaleMöglichkeiten für Gelegenheitsarbeiten eine wichtige

Voraussetzung einer Lebensbewältigung von ökono-misch schwachen Bevölkerungsgruppen“ (ebd.: 31f.).Dies gilt im Besonderen für Personengruppen, die aufdie räumliche Nähe von Arbeitsplatz und Wohnortangewiesen sind. Je mehr Möglichkeiten das Stadtquar-tier zu formeller oder informeller (Erwerbs-)Arbeit bie-tet, umso höher sind die Chancen, erstens Armut zumildern und zweitens „das ohnehin oft brüchigeSelbstwertgefühl der Ausgegrenzten zu stärken“ (ebd.:32).

5.3.2.2 Quartier als Ort des Wohnens

Sowohl die Wohnungen als auch das Wohnumfeldwerden hier als Ressource verstanden. Hinsichtlich derWohnungen spielen der Standard und die Miethöhe eineentscheidende Rolle. Das Wohnumfeld wird haupt-sächlich durch die Vielfalt der Funktionen bestimmt. Jeheterogener die Funktionen des Wohnumfeldesausgerichtet sind, umso mehr Anregungsgehalt (Lern-und Erfahrungsspielraum) bietet es. Gleichzeitig wirddie „Aufrechterhaltung eines einheitlichen Lebenszu-sammenhangs“ (ebd.: 33) durch die räumliche Nähevon Wohnen, (Erwerbs-)Arbeit und Freizeitaktivitätenerleichtert.

5.3.2.3 Quartier als Ort sozialen Austauschs

Der soziale Austausch im Quartier erfolgt über sozialeNetzwerke, die die Autoren in informelle (Freunde,Verwandte, Nachbarn) bzw. formelle Beziehungsnetze(professionell tätige Personen) unterscheiden. Fürökonomisch schwache Gruppen stellen für die Autorengerade die informellen Beziehungsnetze eine großeRessource dar, da ein „großer Teil der Unterstützung imAlltag über diese Kontakte“ (ebd.: 33) läuft. So könnensich unter der Bedingung einer längeren Wohndauersoziale Beziehungs- und Hilfsnetze herausbilden, die beiwechselseitiger Unterstützung einen Teil der benach-teiligenden Bedingungen abfedern können. Sie gehendes Weiteren davon aus, dass „je dichter sich dasKontaktnetz knüpft, desto größer ist die Chance, dassdas jeweilige soziale Milieu positiv erlebt wird und derEinzelne sich mehr als Akteur denn als Opfer derVerhältnisse erfährt“ (ebd.: 33).Die informellen Kontakte werden durch formelle Kon-takte zu Personen, die in Hilfsorganisationen tätig sind,ergänzt. Welche Bedeutung ihnen durch die Autorenbeigemessen wird, bleibt leider etwas unklar.

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5.3.2.4 Quartier als Ort der Teilhabean gesellschaftlichen Einrichtungen

Die qualitative und quantitative Ausstattung, Nutzungs-chancen und Erreichbarkeit von sozialen und freizeitbe-zogenen Infrastruktureinrichtungen im Quartier habenfür die Autoren entscheidenden Einfluss auf die Kom-munikations-, Integrations- und Identifikationsmög-lichkeiten für die Bewohner im Quartier. „Soziale Infra-struktureinrichtungen stellen wichtige Voraussetzungenfür eine milieukonstituierende Kommunikation unter denBewohnern dar. Vorausgesetzt die marginalisiertenGruppen nutzen die Einrichtungen bzw. werden nicht imZuge der Konkurrenz von einer Nutzung ausge-schlossen, dann können sie eine gerade für randstän-dige Gruppen notwendige Integration fördern“

(ebd.: 35).

5.3.2.5 Fazit

Die eingangs gestellte Frage, ob (Problem-)Quartiereauch Ressourcen anbieten, die von den Bewohner-gruppen zur Alltagsbewältigung und Integration in die(Stadt-)Gesellschaft genutzt werden können, wird vondiesen Autoren positiv beantwortet. Sowohl die Sozial-struktur als auch die materielle quartierliche Ausstat-tung werden als Ressourcen wahrgenommen, durch diedie strukturell vorgegebenen Lebensumstände ihrerBewohner gemildert werden können. Die Quartiersge-gebenheiten können ebenfalls zur Selbstvergewisserungund Identitätsbildung beitragen sowie Sicherheit, Orien-tierung und emotionalen Rückhalt bieten.Aber auch Herlyn et al. kommen in ihrer empirischenUntersuchung von vier Stadtteilen in Hannover zu demErgebnis, dass die Quantität und Qualität der Ausstat-tungen der einzelnen Quartiere in den vier Teildimen-sionen sehr unterschiedlich – vor allem im Vergleich derbeiden Gebietstypen – ausfallen können.

5.3.3 Das Quartier als zusätzlicheBenachteiligung – Was macht beideGebietstypen zu Problemquartieren?

Dieses Kapitel bietet einen Blick verschiedener Autorenauf die Quartiersbedingungen, der als konträr zumvorangegangenen Blickwinkel gelten kann. Für dieseAutoren können die Quartiersbedingungen aufgrundvon Kapitalreduktion und möglichen Kontexteffekteneine zusätzlich sozial-räumliche Dimension sozialerUngleichheit bieten.

5.3.3.1 Die Kapitalreduktion

In der Literatur geht man von der Annahme aus, dasssich die Konzentration von Benachteiligten – infolgeeiner zunehmenden Kapitalreduktion im Quartier – zu-sätzlich benachteiligend auf diese auswirkt. Benachtei-ligte Quartiere zeichnen sich „durch Eigenschaften aus,die entweder die Lebensführung beschwerlich machenund/oder die Handlungsmöglichkeiten ihrer Bewohnerobjektiv einschränken“ (Häußermann 2000: 19).Allgemein sind beide Quartierstypen auf drei Ebenenvon einem Verlust an Kapitalarten betroffen.Die materielle Quartiersstruktur ist erstens durch denAbzug von ökonomischem Kapital gekennzeichnet.Aufgrund von mangelnden Investitionen privater oderöffentlicher Akteure verändert sich die Quantität undQualität der materiellen Ausstattung der Quartiere. Siezeichnet sich durch unzureichende Infrastruktureinrich-tungen, Mangel an öffentlichen und privatenDienstleistungen, belastenden physischen Umweltquali-täten und durch wenig Gelegenheit zu formeller undinformeller (Erwerbs-)Arbeit aus.Zweitens sind beide Quartierstypen durch eine sozialhomogenere Bevölkerungsstruktur in Relation zu ande-ren Stadtquartieren gekennzeichnet. Weil sich haupt-sächlich in diesen beiden Gebietstypen noch die ab-nehmenden Bestände von preiswertem und/oder durchstaatliche Belegungsrechte gebundener Wohnraumkonzentriert, wurden hierhin vor allem Bevölkerungs-gruppen unfreiwillig segregiert, die aufgrund ihrerreduzierten Kapitalausstattung wenig Entscheidungs-möglichkeiten im Konkurrenzkampf um bestmöglicheWohn- und Wohnumfeldbedingungen haben. Gleich-zeitig trägt der Wegzug von sozial mobileren Bevölker-ungsschichten aus diesen Quartieren zu dieser Entwick-lung entscheidend bei. Die Homogenisierung derBevölkerungsstruktur geht mit einem Verlust ansozialem und kulturellem Kapital einher.Und drittens verlieren die Quartiere über Stigmatisie-rungsprozesse, die von außen an das Quartier heran-getragen werden, aber auch im Quartier ihre Wirkungentfalten, an symbolischem Kapital.Die Kapitalreduktion auf allen drei Ebenen kann sichüberlagern und gegenseitig verstärken.Infolge der angeführten Kapitalreduktion wird eineAngebotsstruktur der Quartiere erwartet, die einezusätzliche sozial-räumliche Benachteiligung für ihre Be-wohner darstellen kann, weil sie die Möglichkeiten „zurBildung von bzw. die Verfügung über diese Kapital-sorten einschränkt“ (Häußermann/Siebel 2002: 52).

5.3.3.2 Die erwarteten negativenQuartierseffekte

Über die Wechselwirkungen zwischen sozialem Verhal-ten und Gebietsmerkmalen werden in der Literatur zwei

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Gruppen von Hypothesen formal unterschieden: erstensdie Aggregationshypothese und zweitens die Kontext-hypothese.

Abbildung 5.3: Modell der Beziehungenzwischen Makro- und Mikroebene

Quelle: (in Anlehnung an) Friedrichs 1995: 23

Die AggregatshypotheseTypische Gebietsmerkmale erklären sich hier aus derSumme von Handlungen oder Interaktionen dominanterGruppen eines Sozialraums – sogenannte ,,Aggregat-effekte“. Sie stellen nach Bartelheimer nur eine „schwa-che Form des Zusammenhangs“ (2001: 193) zwischensozialem Verhalten und Gebietsmerkmalen dar. Einstärkerer Zusammenhang zwischen sozialem Verhaltenund Gebietsmerkmalen wird von den „Kontexteffekten“erwartet (vgl. Bartelheimer 2001: 193).

KontexthypotheseDie Kontexthypothese geht von der Annahme aus, dassStadträume das Verhalten von Individuen und Gruppenbeeinflussen.In Abwandlung der von Läpple vorgeschlagenen vier Di-mensionen des Sozialraums hat Häußermann ihnen dreiGruppen von Kontexteffekten zugeordnet: 1. soziale(Milieueffekte), 2. physisch-materielle und 3. Symbo-

lische Wirkungen eines Sozialraums (vgl. Bartelheimer2001: 195).

Soziale Effekte – Milieueffektezu a-b) Annahmen hierüber stützen sich auf Soziali-sationstheorien (Theorien des sozialen Lernens) undNetzwerktheorien (Bedeutung von Kontaktnetzen). „Ineiner Nachbarschaft, in der vor allem Modernisierungs-verlierer, sozial Auffällige und sozial Diskriminierte dasMilieu bestimmen, können abweichende Normen undVerhaltensweisen dominant werden, ‚normale’ gesell-schaftliche Rollen hingegen sind nicht oder immer weni-ger repräsentiert. Dadurch werden interne Rückwir-kungen erzeugt, die zu einer noch stärkeren Dominanzder abweichenden Normen führen, und von dieser gehtnun ein Konformitätsdruck aus. Sowohl durch sozialenDruck wie durch Imitationslernen werden diese Normenimmer stärker im Quartier verbreitet; die Kultur derAbweichung wird zur dominanten Kultur. Kinder undJugendliche [so wie Erwachsene] haben gar nicht mehrdie Möglichkeit andere Erfahrungen zu machen, undwerden so gegenüber der ‚Außenwelt’ sozial isoliert.“(Häußermann 2000: 19f.). Dies zerstört Handlungs-möglichkeiten, anerkannte Qualifikationen und Poten-ziale (vgl. Keim/Neef 2000: 253) und „macht einenVerlust von moralischen ‚Qualifikationen’ wahrscheinlich,die aber Voraussetzung für eine Reintegration in dieErwerbstätigkeit wären“ (Häußermann 2000: 21).Chancen auf dem Arbeitsmarkt können dann auch beiobjektiver Gegebenheit nicht mehr genutzt werden (vgl.ebd: 19).Die Sozialisation der Bewohner durch die Quartiers-gegebenheiten hängt aber entscheidend davon ab, wiestark sich deren „Erfahrungsräume und Kontaktnetzetatsächlich auf das Quartier beschränken“ (Häußermann1999: 5; Bartelheimer 2001: 197).

Tabelle 5.5: Annahmen über Kontexteffekte benachteiligter Quartiere

Dimensionen:1. soziale (Milieueffekte) 2. physisch-materielle 3. symbolischea) „abweichendes“ soziales Lernen von Jugendlichenb) Anpassung an eine „Kultur der Abweichung“c) wenig ertragreiche Netzwerked) schwächere politische Repräsentanze) abnehmendes Engagement für das Quartierf) Abhängigkeit von internen Eliten

a) abnehmende Qualität sozialer Infrastrukturb) Verwahrlosung öffentlicher Räumec) abnehmende Qualität privater Infrastrukturd) durch Architektur erzwungene Nähee) städtebauliche Barrieren isolieren das Quartier

a) Stigmatisierung, negative Etikettierungb) Übernahme der negativen Etikettierung durch die Bewohnerc) demütigende städtebauliche Entscheidungen

Quelle: Bartelheimer 2001: 196

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zu c) Von Quartieren, in denen sich benachteiligteBevölkerungsgruppen konzentrieren, wird erwartet,dass sie nur „kleine, lokal zentrierte und sozial homo-gene Netze […], die weniger ertragreich sind“(Bartelheimer 2001: 197) zulassen, da sich „dievergleichsweise kleineren Netze von Unterschichtang-ehörigen“ (Häußermann 2000: 20), durch Arbeits-losigkeit, Rückzug ins Private und Kontaktbeschränkungauf Personen mit ähnlicher Problemlage zusätzlichbeschränken (vgl. ebd.: 20). Nach Granovetter (1974,1984) sind es nicht die engen sozialen Beziehungen, dieam nützlichsten bei einer Jobsuche sind, sondern dielockeren vielen Beziehungen, die ein Mensch unterhält.Über diese Beziehungen wird eine Verbreiterung derInformationsquellen erreicht, da fernere Bekannte auchandere Kontakte haben und andere Dinge kennen,wohingegen die engsten Beziehungen im Netzwerkimmer die gleichen Leute mit den gleichen Informa-tionen einschließt (vgl. Weymann 2001: 108f.). „Dievergleichsweise engen Nachbarschaftsbeziehungen inproblembeladenen Quartieren, […] sind hinsichtlich derInformations- und Interaktionschancen, die sie bieten,als ausgesprochen defizitär einzustufen. Das sozialeHandeln ist auf ein benachteiligtes Milieu beschränkt“(Häußermann 2000: 20). Geringe Selbsthilfefähigkeitdurch geringes ökonomisches, soziales und kulturellesKapital birgt die Gefahr überforderter Nachbarschaften.zu d-f) Mit dem Verlust an qualifizierten und integriertenGruppen (Familien, Erwerbstätigen) im Quartier ver-ringert sich erstens die soziale Stabilität durch einenVerlust von Aktivisten in quartiersbezogenen Institutio-nen. Mit dem Verlust an konfliktmoderierenden Parteiennimmt zweitens die politische Repräsentanz und mit ihrdie Möglichkeiten, wirksame Forderungen an politischeInstitutionen zu richten, ab (vgl. Bartelheimer 2001:197; Häußermann 2000: 20; Krummacher et al. 2003:43). Durch reduzierte Außenkontakte kann eine „Ab-hängigkeit von internen Eliten“ entstehen, die „dieerzwungene Segregation z.B. für eine politische oderethnische Ausrichtung eines Quartiers nutzen können“(Häußermann 1999: 12).

Physisch-materielle Effektezu a) Sowohl quantitativ als auch qualitativ kann es zuAngebotseinschränkungen von privaten oder öffentli-chen Trägern sozialer Dienste kommen. Die Arbeit wirdzusätzlich konfliktreicher und schwieriger(vgl. ebd.: 198).zu b) „Vermüllung und Verwahrlosung der öffentlichenRäume sind äußere Anzeichen einer abnehmendenBindung an die eigene Lebenswelt“(Häußermann 1999: 5).zu c) Die sinkende Kaufkraft im Quartier hat Aus-wirkungen auf die Qualität der privaten Infrastruktur.Dies kann zu einer Verschlechterung des Warenan-gebotes und der Einkaufsmöglichkeiten führen (vgl.ebd.: 198). Eventuell müssen „weitere Wege für die

Versorgung mit solchen Gütern oder Dienstleistungenbewältigt werden, was rasch sehr teuer werden kann“(Häußermann 2000: 29).zu d) Da soziale, kulturelle und/oder ethnische Distanznicht in entsprechend räumliche Distanz transferiertwerden kann, kann dieses ungewollt dichte Neben-einander unverträglicher Lebensweisen zu Konflikten imQuartier beitragen. Die erzwungene Dichte kann nochzusätzlich durch architektonische oder städtebaulicheEntscheidungen, z.B. durch Einsparungen, an Gemein-schaftseinrichtungen oder öffentlichen Flächen vergrö-ßert werden. „In der Dichte gibt es keine Ausweich-möglichkeiten, kein Entkommen vor der intensivenBegegnung mit anderen (fremden) Verhaltensweisen,und das Fremde wird somit zum Aggressor – insbe-sondere dann, wenn die eigene Identität durch sozialeMarginalisierung bereits erschüttert ist“ (Häußermann1999: 5; Bartelheimer 2001: 198).zu e) Wird das Quartier zusätzlich durch städtebaulicheBarrieren von anderen Nachbarschaften abgegrenzt,kann es auf diese Weise zum isolierten Quartier werden,welches dann weder zufällig noch absichtlich vonanderen Stadtteilbewohnern aufgesucht wird. Dies kannwiederum Rückwirkungen auf den Handel im Quartierhaben, der seine Angebotsstruktur nur auf die Nach-frage innerhalb des Quartiers ausrichten muss (vgl.Bartelheimer 2001: 198).

Symbolische EffekteStigmatisierungsprozesse können sowohl das Selbstbildals auch die Außenwahrnehmung beeinflussen. Dieschlechte Adresse kann außerhalb des Quartiersgesellschaftliche Teilhabechancen schrumpfen lassen.Innerhalb des Quartiers können die verwahrlostenöffentlichen Räume oder „die Zuweisung einer belasten-den oder wenig angesehenen Funktion (Mülldeponie,Schlachthof)“ (Bartelheimer 2001: 199) ihren Bewoh-nern die eigene Wertlosigkeit signalisieren. Beides gehtin das Selbstbild der Bewohner ein und kann daherHoffnungslosigkeit und Apathie verstärken (vgl.Bartelheimer 2001: 198f.; Häußermann 2000: 20f.).

5.3.3.3 Fazit

Das (Problem-)Quartier erscheint hier als Ort, an demsich soziale Risiken und Benachteiligungen aufgrund dervorfindbaren Kapitalreduktion und unter Annahme vonKontexteffekten häufen. Erwartet wird, dass unterdiesen Quartiersbedingungen soziale Desintegration undArmut eine neue Qualität annehmen können, da sichProzesse der Ausgrenzung – „indem Individuen oderHaushalte sich von den durchschnittlichen gesellschaft-lichen Standards der Lebensführung entfernen bzw.entfernt werden: in ökonomischer Hinsicht, indem siekeinen Zutritt zum Arbeitsmarkt mehr finden; in institu-tioneller Hinsicht, indem sich zwischen ihnen und den

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politischen bzw. sozialstaatlichen Institutionen unüber-windliche Schranken aufbauen; in kultureller Hinsicht,wenn Stigmatisierung und Diskriminierung zum Verlustdes Selbstwertgefühls und zum Verlust der moralischenQualifikationen führen, die für ein integriertes LebenVoraussetzung sind; und schließlich in sozialer Hinsicht,wenn durch soziale Isolation und das Leben in einemgeschlossenen Milieu die Brücke zur ‚normalen‘ Gesell-schaft verloren gegangen sind“ (Häußermann 2000: 13)– durch die Quartiersstruktur verfestigen.

5.3.4 Die Gebietstypen:Altbau- vs. Neubauquartiere

Während die in den vorangegangenen Abschnitten vor-gestellten Bedingungen allgemein für beide Quartiers-typen gelten können, geht man vor allem in der„europäischen Diskussion über städtische Armut undAusgrenzung“ von einer „Bedeutung unterschiedlichersozialer Quartiersmerkmale für die Erfahrung undBewältigung von Armut und Ausgrenzung“ (Kronauer2004: 4) aus. Folgend sollen erst einmal die Aus-gangssituation und die Entwicklungen beider (Problem-)Gebietstypen in den letzten Jahren aufgezeigt werden.

5.3.4.1 Die Quartierstypen – Ausgangssituation und Entwicklung

Die Gesamtsituation in beiden Gebietstypen hat sichdurch ähnliche Prozesse herausgebildet und lässt sichüber ähnliche Indikatoren beschreiben: Konzentrationindividueller und kollektiver Notlagen, hervorgerufendurch Prozesse sozialer und räumlicher Mobilität, diedann infolge der Kapitalreduktion in den QuartierenAusgrenzungsprozesse verstärken und zu Konflikten undKonkurrenzen innerhalb der Quartiere um die knappenRessourcen beitragen können. Vor allem hinsichtlich derAusgangssituation, der Lage und der Wohn- undWohnumfeldbedingungen lassen sich Differenzen fest-stellen.Die heute als Problemquartiere geltenden Altbau-quartiere waren früher häufig Arbeiterwohnquartiere.Der wirtschaftliche Strukturwandel und die mit ihmeinhergehenden Rationalisierungen und Deinvestitionen,vor allem in der Industrieproduktion, aber auch imEinzelhandel und der Baubranche, brachten massivelokale Arbeitsplatzverluste im Produktions- undDienstleistungssektor mit sich. Diese Entwicklungkonnte teilweise durch Re-Investitionen von Migrantenin die lokale Ökonomie abgefedert werden. Die Wohn-und Wohnumfeldbedingungen sind durch schlechteBausubstanz, eine hohe Bewohnerdichte, wenig Frei-,Grün- und Spielflächen, aber durch eine urbane(Freizeit-)Infrastruktur (Kneipen, Kinos etc.) gekenn-

zeichnet. Letztere ist sowohl für die Quartiersbewohnerals auch für Quartiersbesucher oft gut erreichbar.Ein etwas anderes Bild zeigen die Sozialwohnsiedlungender 60er/70er – häufig am Rande der Kernstädtegelegen. Hier lassen sich aufgrund ihrer Konzeption alsWohn- und Schlafstädte von Beginn an kaum gewerb-liche Arbeitsplätze finden. Der private Dienstleistungs-sektor ist nur schwach ausgeprägt. Die Wohn- undWohnumfeldbedingungen zeichnen sich durch einemodernere Wohnungsausstattung, aber trotz ausrei-chender Frei-, Grün- und Spielflächen, vor allem durcheine z.T. schlechte soziale Infrastruktur und schlechteFreizeitqualitäten (Kneipen, Kinos, Jugendfreizeitange-bote etc.) aus.Da erwartet wird, das von den Bewohnern am ehestenin den gewachsenen, multifunktional ausgerichtetenund zentral gelegenen Altbauquartieren Ressourcen zurAlltagsbewältigung mobilisiert werden können, werdenNeubauquartiere aufgrund ihrer Wohnqualität zwar z.T.positiver bewertet, gelten aber hinsichtlich aller anderenRessourcen als zusätzlich benachteiligend.

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Tabelle 5.6: Ausgangssituation und Entwicklung in benachteiligten Quartieren

Typ1: Vernachlässigte innerstädtische Altbauquartiere

Typ 2: Trabantensiedlungen in städtischen Randlagen

Ausgangssituationehem. Arbeiterwohnquartiere (kernstadt- oderindustrienah), Deinvestitionen in Produktion,Wohnbereich, und Einzelhandel, massive lokaleArbeitsplatzverluste im Produktions- undDienstleistungssektor;hohe Anteile einkommensschwacher Familien (Arme,Alleinerziehende, Arbeitslose, Ausländer…);Kaufkraftverluste infolge Arbeitslosigkeit undSozialabbau;Teilweise Re-Investitionen von Migranten

AusgangssituationSozialwohnsiedlungen der 60er/70er am Rande derKernstädte, Wohn- und Schlafstädte ohne gewerblicheArbeitsplätze, schwach ausgeprägteDienstleistungsangebote, z.T. schlechte sozialeInfrastruktur;hohe Anteile einkommensschwacher Familien (Arme,Alleinerziehende, Arbeitslose, Ausländer…);Kaufkraftverluste infolge Arbeitslosigkeit undSozialabbau;Deinvestitionen im privaten Dienstleistungssektor

Wohnen und Wohnumfeldhohe Bewohnerdichte, wenig Frei-, Grün- undSpielflächen, aber urbane Freizeiteinrichtungen(Kneipen, Kinos etc.) oft gut erreichbar;

baulich-räumliche Verfallstendenzen, z.T. Vermüllung,Vandalismus;

z.T. schlechte Wohnsubstanzen,Instandsetzungsrückstände, vereinzeltAufwertungsspekulation;schrumpfender Sozialwohnungsanteil infolgeauslaufender Bindungen, hohe Mieterfluktuation,Miethöhe stark situationsabhängig;

ökologische Defizite (hohe Verkehrsbelastungen,Immissionen, Müll);starkes Negativ-Image

Wohnen und Wohnumfeldhohe Bewohnerdichte, trotz ausreichender Frei-, Grün-und Spielflächen schlechte Freizeitqualität (Kneipen,Kinos, Jugendfreizeitangebote etc.);baulich-räumliche Verfallstendenzen, z.T. Vermüllung,Vandalismus;

häufig Instandsetzungsrückstände in Wohn- undWohnumfeldbedingungen;

schrumpfender Sozialwohnungsanteil infolgeauslaufender Bindungen, hohe Mieterfluktuation,Grundmiete situationsabhängig, fast immer hoheMietnebenkosten;

ökologische Defizite (schlechte Wärmedämmung,Vermüllung);starkes Negativ-Image

Sozio-demographische und ökonomischeKettenreaktionenAbwanderung von jungen, qualifizierten, kaufkräftigenSchichten;Zuzug von Armutsverdrängten, verstärkteKonzentration von Armen...;fortgesetzte(r) Kaufkraft-, Arbeitsplatzverluste,sozialräumlicher Verfall

Sozio-demographische und ökonomischeKettenreaktionenAbwanderung von jungen, qualifizierten, kaufkräftigenSchichten;Zuzug von Armutsverdrängten, verstärkteKonzentration von Armen...;fortgesetzte(r) Kaufkraft-, Arbeitsplatzverluste,sozialräumlicher Verfall

Soziale Kontakte, interkulturelle Konfliktefamiliale Netze und Nachbarschaftsnetze erodieren;sozialräumliche Negativentwicklung und Konzentrationvon sozial- und durchsetzungsschwachen Gruppenführen zu sozialen Konkurrenzen,Raumnutzungskonflikten sowie zu sozialen undinterkulturellen Konflikten der Unterprivilegiertenuntereinander

Soziale Kontakte, interkulturelle Konfliktefamiliale Netze und Nachbarschaftsnetze erodieren;sozialräumliche Negativentwicklung und Konzentrationvon sozial- und durchsetzungsschwachen Gruppenführen zu sozialen Konkurrenzen,Raumnutzungskonflikten sowie zu sozialen undinterkulturellen Konflikten der Unterprivilegiertenuntereinander

Quelle: Krummacher et al. 2003: 38

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5.3.4.2 Warum gelten Neubausiedlungenals zusätzlich benachteiligend?

Für die Frage, ob dieser Gebietstyp seine Bewohner-gruppen zusätzlich benachteiligt, werden in der wissen-schaftlichen Literatur vor allem zwei Punkte genannt:ihre funktionale Ausrichtung und die Lage dieserQuartiere.

Die funktionale AusrichtungDie Neubauquartiere sind autoritär-normativ sozial-staatlich geplante und seit den 60er Jahren industriellgefertigte (häufig am Stadtrand) gelegene (Groß-) Sied-lungen. Sie sind aufs engste mit den Vorstellungen vonsozialem Fortschritt – Linderung der innerstädtischenWohnungsnot und der Schaffung gleicher Lebens-bedingungen (Versorgung von Familien mit niedrigemund mittlerem Einkommen mit komfortablem undpreisgünstigem Wohnraum) – und den Vorstellungenvon Modernität – die mit dem formalen Rationalismusund seinem architektonisch und städtebaulichen Aus-druck, dem Funktionalismus – verbunden (vgl. Voye1991: 176; Kronauer 2004: 7). Seit dem Wiederaufbauder kriegszerstörten Städte in Deutschland nach demZweiten Weltkrieg „stehen sich Konzepte der histori-schen Rekonstruktion und der radikalen funktionalisti-schen Neugestaltung nahezu unversöhnlich gegenüber.Überlagert werden sie vom beherrschenden Leitbild der‚gegliederten und aufgelockerten Stadt’ […], das alsGegenbild und Antithese zum Schreckbild der gründer-zeitlichen Stadt bereits in den vierziger Jahren vorbe-reitet worden ist“ (Becker 2000: 127f.). Bei dem Bauvon monofunktional ausgerichteten Siedlungen amStadtrand siegte die funktionalistische Moderne über dieeuropäische Stadtstruktur (vgl. ebd.: 128). Neubau-quartiere galten als „Symbol des Fortschritts“ (Kronauer2004: 7).

5.3.4.3 Die Lage der Quartiere„Optisch und räumlich wirken sie als abgehängte Quar-tiere am Rande der Stadt und am Rande der Gesell-schaft“ (Häußermann/Siebel 2002: 54). Ihre funktionaleAusrichtung schränkt das Angebot an Dienstleistungenund Gütern ein. Um sich mit erwünschten aber nichtvorhandenen Gütern und Dienstleistungen zu ver-sorgen, müssen zusätzlich materielle und zeitliche Res-sourcen mobilisiert werden.

5.3.4.4 FazitNeubausiedlungen wurden als Versorgungs- und Schlaf-stätten einer Lebensweise unter den Bedingungen derVollbeschäftigung und steigendem Einkommen konzi-piert. „Die Großsiedlungen waren geplant als ein Ortinnerhalb einer regional organisierten Lebensweise, inder zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten

innerhalb der Region unterschiedliche Funktionenwahrgenommen werden: Arbeit im Betrieb, Konsum imEinkaufszentrum, Freizeitaktivitäten an spezialisiertenFreizeitorten, die mit dem Automobil oder öffentlichenVerkehrsmitteln erreicht werden sollten“ (Häußermann/Siebel 2002: 54). Die hier vorfindbaren Wohnumfeld-bedingungen entsprechen den heute hier konzentriertenProblemgruppen – (langzeit-)arbeitslose Erwachseneund Jugendliche, allein erziehende Frauen, Angehörigeverschiedener Ethnien –, noch dazu unter den einge-schränkten finanziellen Mitteln, über die sie verfügen,daher nur sehr begrenzt (vgl. Häußermann/Siebel 2000:132). Im Hinblick auf die Funktion (Ziele) von Neubau-siedlungen, schnell preisgünstigen und gut ausge-statteten Wohnraum vor allem für Familien zu schaffen,können sie als funktional leistungsfähig verstanden wer-den. Dagegen stellen die sozial und funktional speziali-sierten Räume der Neubausiedlungen im Vergleich zuden funktional gemischten Altbauquartieren, die durcheine Vielfalt an sozialen Akteuren und Praktiken auchdifferenziertere Optionen und Handlungspraktiken be-reitstellen, weniger soziale Potenziale zur Verfügung.

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Tabelle 5.7:Die aufgrund der unterschiedlich funktionalen Ausrichtung erwarteten Phänomene in den beiden Gebietstypen

PhänomeneDimensionAltbauquartierAnnahme:Funktionsmischung bieten mehrGelegenheiten, den Alltag zu bewältigen,weil:

GroßsiedlungAnnahme:monofunktionale Ausrichtung bietenweniger Gelegenheiten, den Alltag zubewältigen, weil:

Chancen aufverschiedene FormengesellschaftlicherArbeit

Eine lokal verankerte Ökonomie erhöhtdie Chancen auf formelle/informelleArbeit.

Kaum wohnortnahe gewerblicheStrukturen reduzieren die Chancen aufformelle und informelle Arbeit.

Sozialer Austausch Informelle und heterogene Netzwerkebieten größere Informations- undInteraktionchancen als enge homogeneNetze.Durch die Kombination von Wohn-,Arbeits- und Begegnungsraum treffenMenschen aus verschiedenen Milieus mitunterschiedlichen Motivationenaufeinander. Dies erhöht die Chancenauf:informellen Austausch; erhöht Qualitätder informellen Ressourcen; informelle(r)Beziehungen und Austausch können dieOffenheit und Toleranz gegenüberanderen Gruppen stärken und schafftVertrauen

Enge homogene Netzwerke begrenzenInformations- und Interaktionschancen.Kaum Möglichkeiten, sich seine Umweltaußerhalb der eigenen vier Wändeanzueignen.Rückzug ins Private reduziert sozialenAustausch auf selektive und fastausschließlich private Beziehungen.Durch Wegfall loser und heterogenerKontakte ist keine produktive Reibungmöglich. Hier produziert UngleichheitAbgrenzung.Durch die kaum vorhandenen zufälligenGelegenheitsstrukturen fehlt derNährboden für Toleranz und Akzeptanz.

Teilhabe angesellschaftlichenEinrichtungen

Vielfältig vorhandene öffentliche Räume,Infrastruktureinrichtungen, öffentlichePlätze sind Orte der ungezwungenenKommunikation. Hier überlagern sichverschiedene Nutzungsweisen, Zweckeund Handlungsmuster.Dies erhöht Chancen auf: informellenAustausch über kulturelle und ethnischeGrenzen hinweg;bietet soziale Brückenfunktion nach„draußen“, da immer wieder neue sozialeAkteure das Viertel betreten

Zonierte Nutzung – Geschäfte,Dienstleitungen und öffentliche Räumebefinden sich im Zentrum der Siedlung.Wenig Gelegenheiten, an denen sichverschiedene Menschen mit jeweilsunterschiedlichen Absichten, Zwecken,Zielen „zufällig“ und zwangloszusammenfinden können.Atomisierte Nutzungsräume lassen nurfür den spezifischen Zweckentsprechende Handlungsmuster zu.Bieten wenig Gelegenheit zuungezwungenen Interaktionen,Informationsaustausch undHandlungschancen über kulturelle undethnische Grenzen hinweg;wenig soziale Brücken nach „draußen“ –hierher verirrt sich kaum jemand.Behindern daher zusätzlich Kontakte zuInstitutionen oder Individuen derdominanten Gesellschaft.

Quelle: eigene Zusammenstellung (vgl. Häußermann/Siebel 2002; Keim/Neef 2000; Kronauer 2004)

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5.3.5 Verbindung von Opportunitätsstruktur und deren Nutzung durch die sozialen Milieus

Die bisherige Vorgehensweise hat versucht, über objek-tive Kriterien die strukturellen Dimensionen sozialer undräumlicher Marginalisierung zu erfassen. Dabei bleibtder innere Zusammenhang von sozialer und räumlicherMarginalisierung bisher nur wenig systematisch erklärt,da auch die Betroffenen als Träger von objektivenMerkmalen gesehen werden und nicht als handelndeSubjekte. „Objektive“ Gegebenheiten werden aber erstüber gruppenspezifische Werthaltungen interpretiertund erhalten dadurch ihre Handlungsrelevanz. Auchmuss, wie Kronauer betont, „Ausgrenzung als ein be-sonderes soziales Ungleichheitsverhältnis […], wenn dieKategorie denn angemessen sein soll, ihre Spuren auchim Bewusstsein der Betroffenen zeigen, in derenSelbstwahrnehmung und Deutung ihrer Beziehung zurGesellschaft“ (2004: 3).

5.3.5.1 Die Opportunitätsstrukturen – eineSynthese von Benachteiligung undRessource

Unter Bezugnahme auf Polányi’s (1944) drei Formen derIntegration (vgl. Kapitel 5.3.8) – den Markttausch(market exchange), staatliche Verteilungssysteme(redistribution) und soziale Netzwerke (reciprocity) (vgl.Kapphan 2002: 32) – und den im Kapitel 5.3.1 vorge-stellten Sozialraumkonzepten gehen wir davon aus,dass sich alle drei Formen der Integration zwar in unter-schiedlicher Quantität und Qualität, aber in denStadtquartieren wieder finden lassen. Quartiersbeding-ungen sind die Ergebnisse individueller, institutionellerund politischer Handlungen in Raum und Zeit. DasQuartier – als Sozialraum – wird daher nicht als zusätz-liche Dimension neben den drei Sphären der Wohl-fahrtsproduktion gesehen, sondern die vorfindbarensozialen wie materiellen Strukturen des Quartiers sindErgebnis der Verortung und Wechselwirkung vonWohlfahrtsproduktion im Raum. Die Quartiere stellendaher eine spezifische Opportunitätsstruktur für ihre Be-wohnergruppen im Hinblick auf die drei Integrations-sphären Markt, Staat, soziale Netzwerke dar. WerdenSozialräume auf der einen Seite durch „Marktprozesseund staatlich-institutionelles Handeln hergestellt underhalten daher ihre objektive Struktur“, werden sie aufder anderen Seite erst in „sozialen Kontexten vonIndividuen und sozialen Gruppen wahrgenommen undbewertet, sie werden angeeignet und genutzt und beidieser Gelegenheit „In-Wert-Gesetzt“ oder entwertet.Entscheidende „Währung“ ist hier die Symbolik, dergemeinte Sinn, der von den Orten ausgeht resp. ihnenzugeschrieben wird“ (Dangschat 2000b: 145). WelcheRessourcen das Quartier bietet, hängt neben denobjektiven Gegebenheiten daher ganz entscheidend von

den subjektiven Wahrnehmungen der Bewohnergrup-pen ab, da die Bewohner den quasi objektiven Beding-ungen eine bestimmte Bedeutung und damit Hand-lungsrelevanz verleihen, die von Milieu zu Milieudifferieren.

5.3.5.2 Das Konzept sozialer Milieus

Durch die Einführung des Konzeptes der sozial-räum-lichen Milieus, die als Vermittlungsinstanz zwischen densozial-räumlichen Strukturen und den Deutungs- undVerhaltensdimensionen der Bewohner(-gruppen) gelten,soll der Zusammenhang von Raumstruktur und sozialenBeziehungen geklärt werden.In den 80er Jahren greift die Lebensstil- und Ungleich-heitsforschung den Milieu- Begriff in Anlehnung an T.Geiger, M. Weber und P. Bourdieu wieder auf (vgl.Gugenbiehl 1995).Im Zuge der Ausdifferenzierung moderner Gesell-schaften versucht der Milieuansatz, die klassischenSchicht- und Klassenkonzepte zu erweitern, um einedifferenziertere Betrachtung sozialer Ungleichheit zuermöglichen. Dabei sind soziale Milieus keineswegsunabhängig von der Schichtzugehörigkeit, sie lassensich vielmehr entlang einer senkrechten Achse intypische Unterschicht-, Mittelschicht- und Oberschicht-Milieus anordnen. Auf diese Weise werden Werthal-tungen und Lebenseinstellungen des Menschen auchvon seinem Bildungsgrad, seinem Einkommen und derBerufsstellung mitbestimmt. Diese schichtungsrelevan-ten Lebensbedingungen geben aber noch nicht zurei-chend Auskunft über die Milieuzugehörigkeit, da sichinnerhalb der einzelnen Schichten sowohl senkrecht alsauch nebeneinander verschiedene soziale Milieus wiederfinden lassen (vgl. Hradil 1999: 420f.). Hinter denSchicht- und Klassenkonzepten stehen Annahmen, nachdenen „das Sein das Bewusstsein“ bestimmt.Demgegenüber geht in die Konzeption von „sozialenMilieus“ die Annahme ein, „dass die ,subjektiven’Lebensweisen einer sozialen Gruppierung durch deren,objektive’ Lebensbedingungen zwar angeregt, beein-flusst oder begrenzt sein mögen, keinesfalls aber völliggeprägt sind“ (Hradil 1999: 420). Und Hradil weiter,„neuere soziologische Milieubegriffe beziehen nebendem Umfeld von Menschen auch dessen typische Wahr-nehmung und die damit im Zusammenhang stehendeWerthaltung der Menschen in die Betrachtung mit ein“.So fassen „Soziale Milieus“ „Gruppen Gleichgesinnterzusammen, die jeweils ähnliche Werthaltungen, Prinzi-pien der Lebensgestaltung, Beziehungen zu Mitmen-schen und Mentalitäten aufweisen. Diejenigen, die demgleichen sozialen Milieu angehören, interpretieren undgestalten ihre Umwelt in ähnlicher Weise und unter-scheiden sich dadurch von anderen sozialen Milieus“(ebd.: 420). Soziale Milieus werden noch einmal inMakro- und Mikromilieus unterschieden.

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Makromilieus bezeichnen dabei eine Kategoriegesamtgesellschaftlicher Differenzierung, die in „milieu-spezifischen Lebenswelten ‚Filter‘ bzw. ‚Verstärker‘strukturell ungleicher Lebensverhältnisse und individu-eller Verarbeitungsweise sieht“ (Keim/Neef 2000: 252).

Abbildung 5.4: Makromilieus

Makromilieus sind:Schnittstelle

zwischenVertikalen

(Bildung, Beruf,Einkommen)

undHorizontalen

(Werte, Haltungen,Verhaltensweisen)

Ungleichheiten.(vgl. Keim/Neef 2000: 252)

Mikromilieus, worunter auch Stadtviertel bzw. Wohn-milieus gezählt werden, beziehen sich auf den „un-mittelbaren lokalen Zusammenhang und persönlicheKontakte von ‚Milieugruppierungen‘ (Nachbarschaften,Familie)“ (Keim/Neef 2000: 252) und weisen „darüberhinaus häufig einen inneren Zusammenhang auf, dersich in einem gewissen Wir-Gefühl und in verstärktenBinnenkontakten äußert“ (Hradil 1999: 420).

Abbildung 5.5: Mikromilieus

Wohnmilieus können als:Vermittlungsinstanz

zwischenden sozial-räumlichen

Strukturenvon Quartieren

undden Deutungs- undVerhaltensmustern

der Bewohnergruppengesehen werden.

(vgl. Kapphan et al. 2002)

Gingen Herlyn et al. (1991) von nur einem Milieu im Quar-tier aus, verweisen Keim und Neef (2000) auf dasQuartier als Ort verschiedener Milieus. Auch Hradilbegreift das Quartier als Ort verschiedener Milieugrup-pierungen, die durch subjektive Handlungen innerhalbder räumlichen Strukturen des Quartiers die lokalenMilieus verändern können. So dass sich nach Hradil „beiunterschiedlicher Milieuzugehörigkeit gleiche Lagen u.U.recht ungleich gestalten oder bei gleicher Milieuzuge-hörigkeit die Wirkungen ungleicher Lagen im Rahmendes ‚objektiv‘ Möglichen angleichen“ (Keim/Neef 2000:252) können.Die sozialen Milieus und die Strukturen des Quartiersstehen in einem engen Wechselverhältnis. Die(Problem-)Quartiersstruktur ermöglicht ihren Milieu-gruppierungen nur begrenzte Interpretationen und Ver-haltensweisen, die aber durch Interpretationen undHandlungen der unterschiedlichen Milieus gleichzeitigauch auf die gebotenen strukturellen Bedingungen

zurückwirken und daher diese auch verändern können(vgl. Kapphan et al. 2002: 31).Ein für uns zentraler Gedanke Kronauers (2004) weistdarauf hin, dass „unterschiedliche Lebensphasen, Le-bensgeschichten und Haushaltskonstellationen […]unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen an einWohngebiet“ (Kronauer 2004: 12) bedeuten. Diesimpliziert, dass innerhalb der sozialen Milieus auch dieHaushaltsformen, die jeweilige Biographie und dasGeschlecht eine Bedeutung erhalten.Die von Kronauer (vgl. ebd.) in einer empirischen Studieüber zwei Viertel (beide Gebietstypen) in Hamburgherausgearbeiteten Unterschiede hinsichtlich der sozia-len Zusammensetzung und der Verteilung von Haus-haltsformen zwischen den Gebietstypen, resultierennicht allein aus Zufälligkeiten oder ökonomischenGesetzen des Wohnungsmarktes, sondern beruhen „zueinem erheblichen Teil auch auf Entscheidungen, die dieBewohner getroffen haben und noch immer treffen“(ebd.: 12), „obgleich die Wahlmöglichkeiten starkeingeschränkt sind“ (ebd.: 13). Nach Kronauer ziehenaufgrund ihrer funktionalen Ausrichtung die beidenQuartierstypen unterschiedliche Bevölkerungsgruppenan, da die Quartierstypen in unterschiedlicher Weiseden Bedürfnissen ihrer armen Bevölkerung entgegen-kommen. Neben der Miethöhe, die in beiden Gebiets-typen als wichtiger Grund für die Wohnstandortwahlgenannt wurde, unterscheiden sich die weiteren An-sprüche erheblich voneinander. In dem Altbauquartierwurden eher weiche Kriterien wie „gute nachbarschaft-liche Kontakte, ein Verständnis für Probleme armerLeute, das andernorts nicht anzutreffen wäre, einegeteilte lokale Identität […], soziale Vielfalt“ und„Freundeskreise“ (ebd.: 11) für die positive Bewertungdes Quartiers herangezogen. Im Neubauquartier spiel-ten diese sozialen Merkmale eher keine Rolle. Hierstand vor allem „die Qualität der Wohnungen, der Infra-struktur, die Nähe zum Grünen“ und zu „Familien-angehörigen“ (ebd.: 11) und „nicht die soziale Identitätdes Viertels und die Schaffung gemeinsamer, nachbar-schaftlicher Bezugspunkte“ (ebd.: 12) im Vordergrund.Das städtebauliche Konzept von Großsiedlungen zielteauf „komfortable ‚Massenprivatheit‘ in einer stan-dardisierten Umgebung“ (ebd.: 12) ab, und ein solches„physisches und soziales Arrangement ergibt nochimmer einen Sinn für Frauen mit Kindern, selbst wennsie alleine erziehen und arbeitslos sind“ (ebd.: 12). Füreine positive Bewertung des Lebens in einer Groß-siedlung gilt als entscheidende Voraussetzung der „guteZustand von Gebäuden und Wohnungen sowie dasVorhandensein von leistungsfähigen Institutionen“(ebd.: 12).Kronauer weist in seinen Überlegungen, gestützt durchempirische Untersuchungen, auf ein zentrales Momenthin. Es reicht nicht aus, die verschiedenen Quartiers-typen zu vergleichen, ohne die Standortwahl verschie-dener Populationen zu berücksichtigen.

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,,Quartiere, die sich im Hinblick auf ihre Geschichte, ihreNutzungsfunktion, ihre Infrastruktur und ihre Bau-substanz unterscheiden, ziehen auch unterschiedlicheArmutspopulationen an und kommen unterschiedlichenBedürfnissen armer Bewohner entgegen. Selbst Armetreffen häufig Entscheidungen hinsichtlich des Quar-tiers, in dem sie wohnen und wohnen wollen – auchwenn dies nur eine sehr eingeschränkte Entscheidungzwischen Wohngebieten mit erschwinglichem Wohn-raum sein kann“ (ebd.: 16).

FazitErst das Verständnis des Quartiers als Opportunitäts-raum in Verbindung mit dem Konzept der sozial-räum-lichen Milieus und unter Berücksichtigung der Wohn-standortwahl verschiedener Bevölkerungsgruppen kanneine differenzierte Betrachtung der Wirkung vonArmutsquartieren ermöglichen, weil es soziale Unglei-chheit erstens in ihrer räumlichen Dimension und zwei-tens unter Berücksichtigung der Quartiersbewohner alsinterpretierende und handelnde Milieumitglieder berück-sichtigt. Auch wenn die Quartiersstrukturen von Pro-blemquartieren durch das Nachlassen der Integrations-modi, hier vor allem durch den Arbeitsmarkt und denRückzug des Sozialstaates, als eingeschränkt gelten(müssen), eröffnen milieuspezifische Lebensweltendurch Interpretation und Wertung der strukturellen Ge-gebenheiten je spezifische Deutungs- und Handlungs-spielräume.Um also erstens zu verstehen, wie die spezifischenQuartiersstrukturen auf ihre jeweiligen Bewohner-gruppen in ihrem Bemühen um Integration in die(Stadt-) Gesellschaft wirken, und zweitens, um daraufaufbauend die sozialstaatliche Intervention erfolgreichzu gestalten, müssten für jedes Quartier a) diespezifisch vorfindbaren Quartiersbedingungen empirischermittelt werden und b) die verschiedenen Milieus mitihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Wünschen,die sie hinsichtlich ihres Sozialraums haben, Berück-sichtigung finden. Dabei sollte die politische Interven-tion anerkennen, dass es keinen speziellen Quartierstypgibt, der den Bedürfnissen aller marginalisierten Bevöl-kerungsgruppen am besten gerecht wird. Quartiers-merkmale können von einem Teil ihrer Bewohner-gruppen als positiv und unterstützend erlebt werden,wohingegen dieselben Merkmale das Leben vonanderen Gruppen erschweren können.

Solange Wohnmilieus noch Brücken zur „Normal-gesellschaft“ aufrechterhalten oder sogar neue bauen,können sie die von der Gesamtgesellschaft anerkanntenWerthaltungen und Handlungsmuster auch im Quar-tierskontext unter den einschränkenden Bedingungenaufrechterhalten. In einer Phase desintegrativer Stadt-entwicklung, wo Mindeststandards materieller Teilhabeund gleichwertiger Lebensbedingungen nicht mehr in

allen Teilräumen gewährleistet sind, scheint esdringend, gerade eine Politik zu verfolgen, die keine„aufgegebenen“ Viertel zurücklässt.

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Teil II – Empirie

Einleitung

Zur Untersuchung von sozialräumlichen Ausgrenzungs-prozessen im Kontext der zwei Nachbarschaftstypen inGroßstädten wurde die Studie Urbex (The SpatialDimensions of Urban Social Exclusion and Integration)ins Leben gerufen. Angestoßen durch viele vorange-gangene Studien zu sozialer Exklusion ist sie Teil desvierten Arbeitsprogramms der „Gezielten sozio-öko-nomischen Untersuchung (TSER)“ der EuropäischenUnion. 1999-2001 wurden 11 Städte sechs europäischerLänder komparativ auf ihre ökonomischen Faktoren, aufdie Beschaffenheit des Wohlfahrtsstaates und auf dieStruktur sozialer Netzwerke untersucht. Mit Hilfe dieserStudie sollen nun die theoretischen Befunde aufempirischer Basis überprüft werden.Auf der theoretischen Ebene wurde die Annahmewiderlegt, dass Altbaugebiete im Gegensatz zu Neubau-gebieten bessere Quartiersbedingungen zur Alltagsbe-wältigung von benachteiligten Bevölkerungsgruppenvorweisen. Anhand der Urbex-Studie soll dies in Teil IIempirisch überprüft werden. Im Kapitel 5.3.8 werdendie nach Polányi (1944) u.a. erfassten Rahmen-bedingungen der in der Urbex-Studie untersuchtenGebiete vorgestellt, um auf dieser Folie land- und stadt-spezifische Strukturen und Merkmale von Quartierenherauszuarbeiten.Zur weiteren Einschätzung der objektiven Lage ist eshilfreich, sowohl die Risikogruppen als auch dieIntegrationsfaktoren – nach den Modi der Integrationnach Polányi – zu kategorisieren. Da, wie sichherausstellen wird, dies zur Überprüfung der Annahmenoch nicht ausreicht, wird im Kapitel 5.3.10 nach an-deren Faktoren gesucht. Welche vorhandenen Ressour-cen sind den Bewohnern überhaupt wichtig? Nutzen sievorhandene Ressourcen? Wie nutzen sie diese? Hierwerden die Nutzungsstrategien der Risikogruppenvorgestellt. Wie wir auf der theoretischen Ebene schonfestgestellt haben, müssen schlechte Handlungsbe-dingungen des Quartiers nicht zwangsläufig indesolaten subjektiven Handlungsmustern münden. Sozeigt sich auch hier, dass nach näherer Analyse derHandlungsstrategien unter Einbezug von Milieutheoriendie Ressourcen von verschiedenen Gruppen je nachLebensstil und Bedürfnissen unterschiedlich genutztwerden und zwar unabhängig von der Kategorie Alt-bzw. Neubauquartier. Dieser monokausale Zusammen-hang zwischen Altbauquartieren und besseren Lebens-chancen sowie Neubauquartieren und schlechterenLebenschancen für marginalisierte Bevölkerungsgrup-pen wurde widerlegt.Wir können demnach unsere theoretischen Annahmenaus der ersten Hälfte dieses Beitrages empirischstützen: keine bestimmte Quartiersform ist generell

besser für alle marginalisierten Bevölkerungsgruppengeeignet.

Zusammenfassend lässt sich im Kapitel 5.3.11 sagen,dass die Rahmenbedingungen der Alt- und Neubau-gebiete EU-weit differieren und heterogen sind unddass anhand der Sozialraum- bzw. Milieutheorie eineUnterschiedlichkeit der Nutzungsstrategien und einestarke Heterogenität der Risikogruppen nachgewiesenwerden kann. Bezug nehmend auf die Ausgangsfrageerweist sich die Polányi’sche Theorie als nützlich, da sieerstens die komplexen sozialen und ökonomischenVorgänge im Quartier in einzelne Dimensionen zerlegt,welche dadurch sichtbar und bewertbar werden unddamit ein Ansatz für Verständnis und Analyse derkomplexen Prozesse im Quartier ermöglicht wird. Davonausgehend kann zweitens die Suche nach neuenFaktoren bzw. anderen Quartiersressourcen unterZuhilfenahme von Sozialraum- bzw. Milieutheorienerfolgen.

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5.3.6 Definition zentraler Begriffe der Urbex-Studie

Altbau: gründerzeitliche bzw. vor 1945 erbaute Mehrparteien-Häuser; meist im Zentrum der Stadtgelegen, multifunktional ausgerichtet (Wohn- und Arbeitsfunktion)hier beziehen sich die Autoren auf benachteiligte Altbaugebiete; die genaue Definition ist imAbschnitt 5.3.4 aufgeführt

Neubau: nach 1945 erbaute Vielparteien-Häuser, vereinzelt in der ganzen Stadt, als Groß-Siedlungmeist am Stadtrand gelegen, monofunktional ausgerichtet (Wohnfunktion)hier beziehen sich die Autoren auf benachteiligte Neubaugebiete; die genaue Definition ist imAbschnitt 5.3.4 aufgeführt

Ressourcen: Geld, soziale Netzwerke bzw. Bildung, Lohnarbeit, soziale Absicherung, Kultur, Bürgerrechte.

Modi ökonomischerIntegration: sind drei Dimensionen, in denen der Zugang zu Ressourcen ermöglicht wird (siehe auch

Kapitel 5.3.8):

wohlfahrtstaatliche Dimension (staatliche Unterstützung):Als vorübergehender Einkommensersatz und Puffer zwischen zwei Arbeitsperioden gedacht,sichert die staatliche Unterstützung ein Mindestmaß an(Bedürfnissen) Ressourcen ab.

ökonomische Dimension (Arbeitsmarkt):Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist abhängig vom Grad der Bildung, der Sprache und anderenQualifikationen. Wer ein Beschäftigungsverhältnis hat, ist meist gesellschaftlich undökonomisch integriert.

soziale Dimension (soziale Netzwerke):Soziale Netzwerke ermöglichen den Zugang zu Ressourcen über Tauschbeziehungen inHaushalten, Freundschaften oder Nachbarschaften. Getauscht werden können Arbeit,Informationen oder materielle Dinge.

Nachbarschaft: Alt- bzw. Neubauquartiere, ausführliche Erklärung in Kapitel 5.3.4. Die Autoren der Urbex-Studie definieren die beiden Gebiete wie dort beschrieben.

Risikogruppen: Sie werden auch marginalisierte oder benachteiligte Bevölkerungsgruppen genannt. Es sindbestimmte Gruppen von Menschen, die von sozialer Exklusion bedroht oder betroffen sind.Die Autoren ordnen sie in drei Kategorien ein, welche alle von Arbeitslosigkeit betroffen sind:

1. arbeitslose Immigranten:- finden keinen Zugang zum Arbeitsmarkt aufgrund von Diskriminierung oder fehlender

Qualifikationen- staatliche Umverteilung wird für einige nicht gewährleistet, da ihnen in einigen Ländern

bestimmte Rechte eines einheimischen Bürgers nicht zugesprochen werden oder staatlicheUnterstützung von der Arbeitsbiographie abhängt

- solange sie in ethnischen Kolonien zusammenleben, können sie auf die Ressourcen sozialerNetzwerke zurück greifen, jedoch ist eine Integration in die „normale“ Gesellschaftangesichts ihres geringen Kontaktes zu dieser schwierig (vgl. Kapitel 5.2.4.2)

2. arbeitslose, Sozialhilfe beziehende Mütter:- sie sind vor allem benachteiligt bei der Reintegration in den Arbeitsmarkt;

sie müssen neben dem Beruf Zeit für ihre Kinder haben, infolgedessen Arbeitgeber ihnenmeist andere Bewerber vorziehen

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

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- durch die Auszeit vom Arbeitsmarkt durch den Erziehungsurlaub ist es schwerer für sie,wieder in den Beruf einzusteigen

- allgemein tendieren sie dazu, schwächere soziale Netzwerke zu haben und laufen eherGefahr, sozial isoliert zu werden

- da sie keine Arbeit haben und ihre Möglichkeiten, auf soziale Netzwerke zurückzugreifen,reduziert sind, sind sie sehr von gesellschaftlicher Isolation bedroht/betroffen

- sie haben aber eine gewisse gesellschaftliche Integration durch ihr/e Kind/er: Erziehung isteine gesellschaftlich anerkannte Aufgabe

3. langzeitarbeitslose, einheimische Männer:- als langzeitarbeitslos gilt, wer länger als ein Jahr ohne Beschäftigung ist- dies ist die heterogenste Gruppe der drei- die Gefahr der Langzeitarbeitslosigkeit liegt vor allem in der starken Abnahme sozialer

Beziehungen, die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes einher geht- viele geraten in eine Abwärtsspirale, die geprägt ist durch Verminderung des

Selbstwertgefühls bis hin zur Selbstaufgabe, so dass sie gar nicht mehr versuchen, zurückauf den Arbeitsmarkt zu gelangen

- sie sind das klassische Beispiel für sozial isolierte Menschen, da sie sehr schwache sozialeNetzwerke haben

Soziale Exklusion: - ist ein Prozess, in dem die Teilhabe an gesellschaftlichen Ressourcen – Humankapitalsowie kulturelles, ökonomisches und symbolisches Kapital – immer geringer wird(vgl. Kapitel 3.1.1)

- die europäische Gemeinschaft definiert s. E. mit Begriffen der Armut, da sich Armut auf diegleichen Bereiche erstreckt bzw. auswirkt wie s. E.: Arbeit, Wohnungssituation, Gesundheit,Bildung, finanzielle Ressourcen, soziale Netzwerke usw.; sie beinhalten beide die Prozesseder Ausgrenzung und der daraus resultierenden Situation und können die Lebenschancenerheblich einschränken

Sozialer Raum/Sozialraum: - siehe Kapitel 5.3.1

Staatsform: nach Esping-Andersen (1990) werden vier Typen unterschieden:

1. korporatistisch (Belgien, Deutschland, Frankreich)

2. sozial-demokratisch (Niederlande)

3. liberal (England)

4. familienorientiert (sehr selten; hier: Italien)

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5.3.7 Kurze Vorstellung der Urbex-Studie

Das 30-köpfige Autorenteam der Studie untersuchte von1999-2001 die Prozesse sozialräumlicher Ausgrenzungin elf Städten sechs europäischer Länder. Die Städtesind: Amsterdam, Antwerpen, Berlin, Birmingham,Brüssel, Hamburg, London, Mailand, Neapel, Paris undRotterdam. Pro Stadt wurden jeweils zwei Quartiere zurUntersuchung ausgewählt, die einem der beidenbenachteiligten Quartierstypen zugeordnet werdenkönnen: periphere Neubaugebiete (im Folgendengekennzeichnet durch (p)) und zentrale Altbaugebiete(gekennzeichnet durch (c)).

Das Ziel war, folgende Fragen zu beantworten:

1. Wie gehen verschiedene Kategorien sozialausgegrenzter Menschen mit ihrer Situation um und wieversuchen sie, sich (wieder) in die (Stadt)Gesellschaftzu integrieren?

2. Welche der relevanten Modi ökonomischerIntegration sind ihnen zugänglich?

3. Wie nutzen sie die ihnen zugänglichen Möglichkeiten?

4. Welche Strategien haben die untersuchtenmarginalisierten Bevölkerungsgruppen entwickelt, ummit ihrer Situation umzugehen?

5. Und besonders: welchen Einfluss haben verschiedeneNachbarschaften auf die Möglichkeiten undPerspektiven der marginalisiertenBevölkerungsgruppen?

Zur Erhebung der Daten wurden ca 600 Interviews mitAngehörigen der Risikogruppen und vielen anderenSchlüsselakteuren im Feld geführt. Überdies wurden Da-ten vorheriger Studien zu ähnlichen Themen verarbei-tet.

Der Vergleich deckt Unterschiede zwischen europäi-schen Städten und zwischen den beiden Quartierstypenin Hinblick auf soziale Exklusion und die Rolle von öko-nomischen Umstrukturierungsprozessen, Wohlfahrts-staaten, Wohnungsmärkten sowie von sozialen Netz-werken auf.Er ermöglicht neue Einblicke in soziale Segregation bzw.Armutskonzentrationen in Quartieren, da Daten zudiesen Bereichen nach Meinung der Autoren bisher zustark auf US-amerikanischen Erfahrungen basierten. DieUSA unterscheiden sich aber in Hinblick auf dieuntersuchten Faktoren sehr stark von Europa (vgl.Kapitel 3.2.3).

Die Ergebnisse der Studie liefern einen Überblick überräumliche Muster gesellschaftlicher Ausgrenzung im

europäischen Vergleich und können eine Orientierungfür politische Akteure bieten, quartiersspezifische Initia-tiven entlang der wirklichen Bedürfnisse der benach-teiligten Bevölkerungsschichten zu starten.

In unserem Beitrag beziehen wir uns nur auf einzelneAspekte der Studie, da die ausführliche Darlegung denRahmen des Projektberichtes sprengen würde.

Der theoretische Hintergrund der Studie bezieht sich vorallem auf die drei Sphären ökonomischer Integration,die im nächsten Abschnitt behandelt werden.

5.3.8 Ressourcen nach Polányi

Polányi entwickelte 1944 die sogenannten Sphärenökonomischer Integration (vgl. Kapitel 5.3.6). Siewerden in drei Modi unterteilt: Ökonomisch integriertsein heißt, durch einen der drei Modi an Ressourcen zugelangen, um den Lebensunterhalt abzusichern. Diesgeschieht durch staatliche Umverteilungssysteme, den(Arbeits-)Markt und/oder den Austausch von materiellenund immateriellen Gütern und Diensten innerhalb vonsozialen Netzwerken bzw. reziproken Beziehungen.In den meisten Städten der westlichen Welt wird derZugang zu Ressourcen über den Markt bestimmt. DieMehrheit der Menschen tauscht ihre Arbeitskraft aufdem Arbeitsmarkt gegen finanzielle Vergütung, alsAngestellte oder Selbstständige. Der Markt erzeugt aberUngleichheiten in Hinblick auf starke oder schwachesoziale Positionen, Bildung, Sprache u.ä. Qualifikatio-nen. Der Zugang zu Ressourcen ist somit ungleichverteilt, so dass es für bestimmte Gruppen vonMenschen zu großen Schwierigkeiten kommen kann,den Lebensunterhalt zu bestreiten. Aus diesem Grundgibt es sozialstaatliche Umverteilungssysteme, die einenRessourcenverlust bzw. die entzogene Möglichkeit, anRessourcen zu gelangen – aus welchen Gründen auchimmer –, kompensieren können. Auch soziale Netz-werke können diesen Verlust etwas abmildern, dainnerhalb reziproker Beziehungen ebenfalls Ressourcenbeschafft werden können: über den Tausch von Infor-mationen, z.B. über ein Jobangebot, sowie von imma-teriellen und materiellen Gütern und Diensten.

Die in der Studie untersuchten Risikogruppen habenkeinen Zugang zum Arbeitsmarkt und müssen auf dieanderen beiden Modi zurückgreifen, um Ressourcen zuerwerben. Im nächsten Abschnitt untersuchen wir alledrei Modi der Integration in den Stadtquartieren, um diequartiersspezifische Opportunitätsstruktur für die Risiko-gruppen aufzuzeigen.

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5.3.9 Zugang zu Ressourcen in denUntersuchungsgebieten– Rahmenbedingungen inAltbau- und Neubauquartieren

Dass benachteiligte Quartiere auch als Ressource wahr-genommen werden können, haben wir auf theoretischerEbene nachgewiesen. Es existiert eine Wechselbe-ziehung zwischen den Strukturen des Sozialraums unddes physischen Raums (vgl. Kapitel 5.3.1.1 und5.3.1.2), d.h. die Bewohner eines Quartiers werden vonden physischen Raumbedingungen beeinflusst undumgekehrt verändert das Handeln der Bewohner dasQuartier. In der Urbex-Studie heißt es dazu: „…,integration is less being built through the neighbour-hood itself, and more communicated by its inhabitants“(Dorsch/Häußermann et al. 2001, urbex no. 11: 46).Unter welchen Umständen benachteiligte Quartiere alsRessource wahrgenommen werden, erforschen wir indiesem und dem folgenden Kapitel.Zuerst werden die Problemquartiere der Urbex-Studieauf ihre Ressourcen bzw. auf den Zugang zu ihnenuntersucht, womit die Rahmen- bzw. Handlungsbe-dingungen eruiert werden. Ob und in welcher WeiseBewohner dieser Quartiere diese Handlungsbedingung-en nutzen, wird ebenfalls geklärt.

Neben der Sozialstruktur sollen vor allem dieRahmenbedingungen der drei Modi ökonomischerIntegration betrachtet und eingeschätzt werden. Dasliefert uns einen Überblick über die materiellen Bedin-gungen, die die Bewohner in ihrem Quartier vorfinden,denn sie sind, wie in Abschnitt 5.3.5.1 schon festge-stellt, Ergebnis der Verortung und Wechselwirkung vonWohlfahrtsproduktion im Raum.Für die sozialstaatliche Dimension wird die Art desWohlfahrtsstaates bestimmt, die über die Einordnung ineine der vier Staatsformen nach Esping-Andersenermittelt wird. Im Anschluss daran werden der öko-nomische Wandel bzw. die wirtschaftliche Situationsowohl des Landes als auch der Stadt betrachtet, umschließlich die dritte Dimension zu beleuchten, diesozialen Netzwerke in Nachbarschaften.

Der Inhalt der Tabelle 5.8 (siehe Anhang) gibt dieseDimensionen wieder und wurde aus der Urbex-Studieübernommen sowie von uns für unsere Zwecke ange-passt bzw. rekodiert. Die nachfolgenden Daten undErkenntnisse sind dieser und den Tabellen 5.9 bis 5.12(siehe Anhang) entnommen.

Aus Platzgründen ist es uns nicht möglich, hier jedeseinzelne Land und die Besonderheiten der einzelnenGebiete genau zu beschreiben. Wir können nur eineallgemeine Beschreibung und Erklärung abgeben undeinige Sonderfälle hervorheben.

Wenn im Folgenden von Ländern gesprochen wird, sindalle untersuchten Quartiere eines Landes gemeint, dasie in dem Punkt die gleiche Ausprägung haben. Ebensoverhält es sich, wenn von einzelnen Städten gesprochenwird.

Sozialstaatliche DimensionDie Art des Wohlfahrtsstaates gibt Aufschluss über dieHöhe, Universalität und allgemeine Handhabung derwohlfahrtsstaatlichen Leistungen. Zu seiner Ermittlungwird die Staatsform nach Esping-Andersen (1990)herangezogen (vgl. Kapitel 5.3.6). Sie ist aber nichtabsolut. Oft findet man Elemente des einen im anderen,so dass die Einteilung nur relative Differenzen veran-schaulicht.Außer in England und Italien sind soziale Leistungen(Umverteilung) großzügig angelegt. Um es genauer zusagen: die beste staatliche Versorgung erhaltenArbeitslose in den Niederlanden, die als sozial-demokra-tisch eingeordnet werden; gefolgt von den korpora-tistischen Staaten Deutschland, Belgien und Frankreich.Eine schlechtere Versorgung bietet das liberale Englandund das niedrigste Niveau sozialstaatlicher Leistungenbringt das dem seltenen Typus des familienorientiertenStaates zugeordnete Italien auf. Bis auf England undItalien ist der Zugang zu sozialen Leistungen universellangelegt, d.h. eine Grundversorgung ist fast jedemgarantiert. Das bedeutet für die marginalisierten Bevöl-kerungsgruppen der Problemquartiere, dass sie in fastallen Städten Europas auf die Ressource der staatlichenAbsicherung zurück greifen können. Es wird alsoerwartet, dass sie mindestens einen Modi ökonomischerIntegration nutzen, den der wohlfahrtsstaatlichen Um-verteilung. Wie sich die Risikogruppen in den wenigersozial abgesicherten Staaten verhalten, d.h. auf welcheanderen Ressourcen sie durch welche Modi zurückgreifen, muss in Kapitel 5.3.10 geklärt werden.

In England und Italien gibt es eine sogenannte „workingpoor“-Klasse, wie sie seit langem in den USA anzu-treffen ist. Obwohl sich auch in Deutschland ein Niedrig-lohnsektor herausbildet, gibt es hier noch keineAnzeichen einer „working poor“-Klasse.Bildungspolitisch ist von allen Ländern nur England zukritisieren, da in dessen untersuchten Quartieren einesignifikant hohe Anzahl von Menschen leben, die dasBildungssystem ohne Abschluss verlassen (haben).

Positiv ist anzumerken, dass in keinem der untersuchtenLänder die Wohnungsmobilität vom Staat eingeschränktwird. Es gibt natürlich dennoch Einschränkungen,welche vom freien Wohnungsmarkt resultieren. Bestim-mte Gebiete haben ein so hohes Mietpreisniveau, dasses für gewisse Bevölkerungsgruppen nicht möglich ist,dort zu wohnen (auf Deutschland bezogen vgl. Kapitel5.2.4).

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Ökonomische DimensionDie wirtschaftliche Situation einer Stadt beeinflusst denZugang zum Arbeitsmarkt, den Modus ökonomischerund gesellschaftlicher Integration. Die Autoren messendie Arbeitsmarktsituation an der Arbeitslosenquote.London und Mailand haben die niedrigste; die Märktesind „gesund“. Das ist kennzeichnend, denn genaudiese Länder bringen das niedrigste Niveausozialstaatlicher Leistung auf. Es scheint auf den erstenBlick gerechtfertigt, da der Zugang zur Ressource„Lohnarbeit“ mehr oder weniger gesichert ist. Doch inBirmingham sieht die Situation schon schlechter aus, dieArbeitslosenquote liegt im Mittelfeld des Länderver-gleichs. In Neapel ist die Arbeitsmarktsituation sogar alsungünstig einzuschätzen; die Arbeitslosenquote istrelativ hoch. Da in diesen beiden Ländern die staatlicheVersorgung keinen (wirklichen) Einkommensersatz unddamit auch keine Grundversorgung an Ressourcengarantieren kann, ist die nachbarschaftliche Dimensionauf den dritten Modi ökonomischer Integration – dieReziprozität – zu untersuchen.

Holland und Belgien (und, wie oben erwähnt, Birming-ham) haben eine mittlere, eine „moderate“ Arbeits-losenquote und am schlimmsten betroffen sindDeutschland, Frankreich (und, wie oben erwähnt,Neapel) von hohen Arbeitslosenzahlen. Zwischen Alt-und Neubaugebieten ist hier kein Unterschied auszu-machen.

Zur wirtschaftlichen Situation speziell in den Städten istzu sagen, dass sich in Belgien beide untersuchtenStädte im Aufschwung befinden, in den anderen Län-dern sind es: Paris, Hamburg, Amsterdam, London undMailand. Die restlichen haben eher zu kämpfen. Warumdie Risikogruppen selbst in Ländern mit guter Arbeits-marktsituation nicht oder selten auf die RessourceLohnarbeit zurückgreifen, wird in Kapitel 5.3.10 unter-sucht.Das öffentliche Nahverkehrssystem wird außer inEngland und Neapel von der Stadtregierung so gehal-ten, dass keine räumlichen Benachteiligungen entste-hen. Die Autoren vermuteten, dass die peripherenGebiete infrastrukturell benachteiligt sind, was jedochwiderlegt werden konnte.

Nachbarschaftliche DimensionDer wichtigste Befund ist, dass in allen Ländern dasSozialkapital – d.h. nachbarschaftliche Beziehungen,über die der reziproke Austausch von Ressourcen statt-findet – sinkt. Ein zweiter wichtiger Befund ist, dass inallen Altbaugebieten die Reziprozität durchweg besserist als in Neubaugebieten.Birmingham und Neapel bilden hier keine Ausnahme.Die niedrige wohlfahrtstaatliche Versorgung kann nur in

den zentral gelegenen Gebieten durch ein höheres Maßan sozialen Netzwerken ausgeglichen werden.Zur weiteren Beurteilung der nachbarschaftlichenDimension wurde das Ansehen des Quartiers unter-sucht, um eine eventuelle Stigmatisierung aufzudecken.Gerade einmal drei Nachbarschaften – Hamburg St.Pauli (c), Brüssel Marollen (c) und Neapel QuartieriLambro (p) – sind in ihrem Ansehen gestiegen. Diemeisten sind jedoch gesunken.Fast alle Gebiete, die innerhalb der Stadt liegen, weisenvorwiegend nicht-öffentliche Wohnungen auf; Sozial-wohnungen sind größtenteils auf die Randgebiete einerStadt verteilt. Darf man den Untersuchungen glauben,ist so gut wie keine Wohnung „unbeliebt“. Warum dasso ist, wird im nächsten Kapitel erläutert.Die Dichte der Infrastruktur öffentlicher Einrichtungenhängt nicht von der Lage des Quartiers ab. In Hollandund Belgien ist sie durchweg gut ausgeprägt, in Italienist das Gegenteil der Fall. In den anderen Ländern sinddeutliche Unterschiede festzustellen.Die kulturelle Homogenität bzw. Heterogenität wurdeebenfalls abgefragt. Es stellte sich heraus, dass in sogut wie keinem Quartier eine kulturelle Homogenität zufinden ist.Eine weitere Forschungsfrage war die nach dem Anstiegder Arbeitslosenquote in den einzelnen Quartieren:Nicht gestiegen ist sie einzig in Holland und England.Die untersuchten Städte in Deutschland, Frankreich undBelgien sind hiervon am stärksten betroffen, in Italienist es Neapel. Trotzdem werden die meisten Gebietepolitisch wenig unterstützt: Nur beide Städte derNiederlande sowie Hamburg Mümmelmannsberg (p)und Birmingham Sparkbrooks (c) erfahren eine starkepolitische Unterstützung.

ZusammenfassungInsgesamt ist zu sagen, dass soziale Netzwerke sowohlin Altbau- als auch in Neubauquartieren zunehmendschwächer werden, wobei nachbarschaftliche Bezie-hungen in Altbauten besser sind. Hinsichtlich derDimensionen Wohlfahrt und Markt gibt es keine Unter-schiede in der quartierlichen Ausstattung der beidenGebietstypen.

Alles in Allem lassen sich keine großen Unterschiedehinsichtlich der Rahmenbedingungen von Alt- undNeubauquartieren feststellen. Aus diesem Grund wer-den im nächsten Abschnitt die Nutzungsstrategien derRisikogruppen bezüglich der vorhandenen Ressourcennäher beleuchtet. Bisher wurde mit dem Abstecken derRahmenbedingungen die Wirkung der physichen Um-welt auf die Bewohner konturiert und der folgende Teilstellt die Wirkung der Bewohner auf die physischeUmwelt dar, wobei das Quartier in seiner Opportunitäts-struktur mit Hilfe des Milieuansatzes präzisiert wird:„opportunities in using the neighbourhood depend on

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the milieu of the interviewed persons. Chances andressources in neighbourhoods are distributed withinsocial milieus“ (Dorsch u.a. 2001, no. 11: 40).

5.3.10 Nutzung vorhandener Ressourcen:Strategien der Risikogruppen inAltbau- und Neubauquartieren

In diesem Kapitel stellen wir uns die Frage, welche Aus-wirkungen die objektiven Rahmenbedingungen für dieRisikogruppen haben bzw. inwiefern diese von denobjektiven Ressourcen betroffen sind. Es könnte durch-aus sein, dass ein Quartier zwar wenig Ressourcenbietet, diese aber von den Risikogruppen auch nichtnachgefragt bzw. genutzt werden. Diese These wurdebereits im theoretischen Teil aufgestellt und wird nunhinterfragt. Wir erhalten bei der Analyse der Nutzungs-strategien vage Tendenzen. Es zeigt sich, dass dieHandlungsstrategien relativ indifferent sind. Deshalbstellen wir die These auf, dass außer den Polányi´schenDimensionen noch andere Faktoren eine Rolle in derErhaltung der Lebenschancen spielen müssen. Im Theo-rieteil wurde der Begriff des Milieus eingebracht, derhier wieder aufgegriffen wird.Die im ersten Abschnitt getroffene theoretische Fest-stellung, dass erst durch Milieus die Ressourcen nutzbarwerden, bestätigt auch die Urbex-Studie (vgl. Dorsch et.al 2001: 40). Dies legt nahe, dass die Risikogruppeneher in Milieus zu kategorisieren sind. So ist auch zuerklären, weshalb z.B. die Gruppe der Berliner Immi-granten einerseits in dem Altbauquartier Berlin-Neuköllnund andererseits im Neubauquartier Berlin-Marzahn ver-ortet werden, wobei beide Milieus jeweils entsprechendgute Lebensbedingungen vorfinden. Es zeigt sich also,dass die Risikogruppen nicht einheitlich, sondern milieu-spezifisch sind und spezifische Anforderungen undLebensweisen besitzen, welche unabhängig von derKategorie Alt- und Neubauquartier sind.

5.3.10.1 Nutzungsstrategien der Risikogruppenanhand Polányis Konzeption

Nachfolgend werden die Nutzungsstrategien der Risiko-gruppen anhand der Polányi’schen Dimensionen unter-sucht. Diese sind in den Tabellen 5.13 bis 5.15 (sieheunten) dargestellt.

Das Autorenteam der Urbex-Studie untersuchte die Nut-zung vorhandener Ressourcen, d.h. die Strategien derRisikogruppen, um zu zeigen, welche Ressourcen denjeweiligen Risikogruppen wichtig sind: Die Autorenunterscheiden zwischen allgemeinen Strategien allerbenachteiligten Gruppen und gruppenspezifischen Stra-tegien (vgl. Mustert/Murie 2002: 69f.).

Zuerst sollen generelle Verhaltensmuster aufgezeigtwerden (vgl. Musterd/Murie 2002: 72):

- Besteht ein schwaches Wohlfahrtssystem, wirddie Wahrscheinlichkeit höher, dass im Quartierdie Ungleichheit größer wird und die Bewohnergrößere Schwierigkeiten mit der Durchführungvon kompensierenden Strategien haben.

- Eine wirtschaftliche Umstrukturierung erhöhtdie Wahrscheinlichkeit des Verlustes von Ar-beitsplätzen bzw. Möglichkeiten und schärft dieWahrnehmung von Risiko und Verunsicherungbei Bewohnern im Quartier.

- Besteht ein beschränkter Zugang zu Arbeits-markt, Einzelhandel und anderen Möglichkeitenfür Niedrigverdienende, erhöht sich das Risiko,nur mit beschränkten Möglichkeiten/Strategienauf die Benachteiligung reagieren zu können.

- Wenn Qualität und Erreichbarkeit/Zugangöffentlicher Dienstleistungen, wie z.B. derWohnungsversorgung, begrenzt sind, erhöhtsich das Abstiegsrisiko im Quartier.

- Sind die Stärke der sozialen Netzwerke und dieUnterstützung zwischen den Individuen bzw.den Familien begrenzt, erhöht sich das Risikoeines weiteren Abstiegs.

Das Sozialkapital bzw. die sozialen Netzwerke redu-zierten sich wie in Kapitel 5.3.9 beschrieben in allenuntersuchten Quartieren. Bei niedriger staatlicher Unter-stützung werden von den Bewohnern andere Ressour-cen einbezogen. Wenn beide Umstände zusammentref-fen, bleibt nur der Arbeitsmarkt als einzige Chance aufeine ausreichende Versorgung mit Ressourcen. Die Lageverschärft sich zusätzlich bei Wirtschaftsproblemen, wiez.B. wirtschaftlicher Umstrukturierung oder Depres-sionsphasen im Verlauf von Wirtschaftszyklen. Diesekonnten von den Gruppen nicht kurzfristig z.B. durchArbeitsmarktzugang oder Fortbildungsmaßnahmen (d.h.Investitionen in das Humankapital) kompensiert wer-den.Ist stattdessen die wohlfahrtsstaatliche Unterstützunggut ausgeprägt, erfolgt von den Gruppen – selbst in denFällen, in denen sich gute Möglichkeiten bieten – einegeringere Konzentration auf den Arbeitsmarkt. Von denUrbex-Autoren wird diese Strategie mit den Auswir-kungen der „Langzeitarbeitslosigkeit“ in Verbindunggebracht, da sich ein positiver Zusammenhang zwischeneinerseits Dauer der Arbeitslosigkeit und staatlicherUnterstützung sowie andererseits der Inaktivität bei derIntegration der Betroffenen in den Arbeitsmarkt erken-nen lässt.

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

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Diese generellen Befunde geben noch keinen Aufschlussdarüber, welches Quartier sich für welche Risikogruppenbesser eignet. Deshalb wird im Folgenden näher auf diegruppenspezifischen Erkenntnisse eingegangen, da wirannehmen, dass sich die Risikogruppen nicht gleich-mäßig auf Alt- und Neubaugebiete verteilen, sondernquartiersspezifische Gegebenheiten nutzen.

Nutzung im europäischen VergleichGruppenspezifisch betrachtet können entweder ein oderauch mehrere Modi der Integration in Betracht gezogenwerden. Wie bereits angedeutet, übernehmen wir dieWerte der Nutzungsstrategien der einzelnen Risiko-gruppen aus der Urbex-Studie (vgl. Mustert/Murie 2002:38ff.) und verwenden diese für unsere Berechnungender Differenzen der Mittelwerte und Varianzen, umeinen Vergleich zwischen diesen in Alt- und Neubau-quartieren zu erhalten.

Für einen Vergleich auf europäischer Ebene werden dieMittelwerte und Varianzen einer Risikogruppe nach Alt-und Neubauquartier getrennt ermittelt. Diese Wertewerden danach miteinander verglichen. Wenn dieMittelwerte für das Nutzungsverhalten der jeweiligenRisikogruppe für Alt- und Neubauquartiere zu sehrauseinander klaffen, ist von verschiedenen Milieus aus-zugehen. Die Varianz weist auf die Abweichungeninnerhalb Europas hin. Ist dieser Wert zu groß, sind dieWerte des Nutzungsverhaltens einer Risikogruppe inner-halb Europas zu heterogen und daraus folgend dieRisikogruppe nicht nur innerhalb einer Stadt hinsichtlichAlt- und Neubau unterschiedlich, sondern in Europaheterogen.

Ist ein Differenzwert von null abweichend, kann voneiner unterschiedlichen Nutzungsstrategie in Alt- undNeubauquartieren für diese Risikogruppe ausgegangenwerden. Im Fall eines Differenzwerts, der gleich null ist,muss, da es sich um einen Durchschnittswert handelt,spezifisch anhand der Analyse der einzelnen Fällenachgeprüft werden, ob tatsächlich keine Unterschiedevorliegen oder dies aus den verwendeten Berechnungennicht hervorgeht.

Ein in den Tabellen berechneter Mittelwert von nullbedeutet normale Nutzung. Ein Mittelwert von minuseins bzw. minus zwei, was skalenabhängig ist, weist aufnicht vorhandene bzw. schwache Nutzung hin. Beieinem Mittelwert von plus eins bzw. plus zwei wird dieRessource stark genutzt. Mit Hilfe der Differenz derMittelwerte einer Ressource von Alt- und Neubau-quartieren kann gezeigt werden, ob die Nutzung in Alt-oder Neubauquartieren differiert, d.h. ungleich null ist,oder nicht. Wird, wie beispielsweise in Tabelle 5.14anhand der Dimension staatliche Wohlfahrtsverteilung,die Ressource in Altbauquartieren weniger genutzt(Wert von 0,64) als in Neubauquartieren (Wert von

1,00), dann ergibt dies einen Wert von 0,34. Mitanderen Worten nutzen europaweit arbeitslose Immi-granten in Neubauquartieren die staatliche Verteilungdurchschnittlich stärker als in Altbauquartieren.

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Tabelle 5.13: Nutzung der drei Dimensionen (Staat, Markt, Netzwerk):

Alleinerziehende, Sozialhilfe beziehende Mütter

Altbau

Code Land Stadt Stadtteil Lage staatlicheVerteilung Arbeitsmarkt soziales

Netzwerk111 NL Amsterdam Landlust c 1 1 0121 NL Rotterdam Tarwewijk c 1 0 0211 D Berlin Neukölln c 1 0 0221 D Hamburg St. Pauli c 1 0 1311 B Brussels Marollen c 1 -1 -1321 B Antwerp Dam c 1 -1 0411 F Paris La Corneuve c 1 0 -1511 GB London Ethelred Estate c 1 -1 0521 GB Birmingham Sparkbrook c 1 0 -1611 I Milan Baggio c 1 1 1621 I Naples Mercato-Pendino c -1 0 1

Mittelwert 0,82 -0,09 0,00Varianz 0,36 0,49 0,60

Neubau

Code Land Stadt Stadtteil Lage staatlicheVerteilung Arbeitsmarkt soziales

Netzwerk112 NL Amsterdam Osdorp p 1 1 0122 NL Rotterdam Hoogvliet p 1 -1 0212 D Berlin Marzahn p 1 1 0222 D Hamburg Mümmelmansberg p 1 -1 0312 B Brussels Beizegem p 1 1 1322 B Antwerp Silvertop p 1 -1 0412 F Paris Montreuil p 1 0 -1512 GB London Clapham Park p 1 0 -1522 GB Birmingham Pool Farm p 1 0 0612 I Milan Ponte Lambro p 1 1 1622 I Naples Scampia p -1 -2 -1

Mittelwert 0,82 -0,09 -0,09Varianz 0,36 1,09 0,49Differenz Mittelwert (AB) - Mittelwert (NB) 0,00 0,00 0,09Differenz Varianz (AB)- Varianz (NB) 0,00 -0,60 0,11

Quelle: Musterd/Murie 2002: 40 (modifiziert)

Die Mittelwerte für die staatliche Verteilung von 0.82jeweils in Alt- und Neubauquartieren zeigt, dass alleinerziehende, Sozialhilfe beziehende Mütter, für die zuerstdie Kindererziehung im Mittelpunkt steht, vor allemstaatliche Unterstützung nutzen. Diese ist in den beidenQuartierstypen exakt dieselbe. Des Weiteren zeigt dieseRisikogruppe neben einer reduzierten Marktorientierung(Mittelwert jeweils -0.09) auch eine reduzierte Nutzungdes sozialen Netzwerks (ebenfalls ein Mittelwert von-0.09).

Die Ressourcen staatlicher Wohlfahrtsversorgung undder sozialen Beziehungen erlauben dieser Gruppe denLebensunterhalt. In Neubauquartieren fragen sie sozialeNetzwerke weniger nach als in Altbauquartieren (vgl.Kapitel 5.3.9).

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Tabelle 5.14: Nutzung der drei Dimensionen (Staat, Markt, Netzwerk):

Arbeitslose Immigranten

Altbau

Code Land Stadt Stadtteil LagestaatlicheVerteilung

Arbeitsmarkt

sozialesNetzwerk

111a NL Amsterdam Landlust c 1 -1 0111b c 1 1 -1121 NL Rotterdam Tarwewijk c 1 -1 0211 D Berlin Neukölln c 1 -1 -1221 D Hamburg St. Pauli c 1 1 0311 B Brussels Marollen c -1 1 1321 B Antwerp Dam c411 F Paris La Corneuve c 1 1 -1511 GB London Ethelred Estate c 1 1 0521a GB Birmingham Sparkbrook c 1 -1 1521b c 1 -1 -1521c c 1 -1 0521d c 1 -1 1611 I Milan Baggio c 1 0 0621 I Naples Mercato-Pendino c -2 0 0

Mittelwert 0,64 -0,14 -0,07Varianz 0,86 0,90 0,53

Neubau

Code Land Stadt Stadtteil LagestaatlicheVerteilung

Arbeitsmarkt

sozialesNetzwerk

112a NL Amsterdam Osdorp p 1 -1 -1112b p 1 -1 1122 NL Rotterdam Hoogvliet p 1 0 0212 D Berlin Marzahn p 1 1 1222 D Hamburg Mümmelmansberg p 1 0 0312 B Brussels Beizegem p 1 0 -1322 B Antwerp Silvertop p 1 0 0412 F Paris Montreuil p 1 0 -1512 GB London Clapham Park p 1 1 0522 GB Birmingham Pool Farm p612 I Milan Ponte Lambro p 1 0 0622 I Naples Scampia p

Mittelwert 1,00 0,00 -0,10Varianz 0,00 0,44 0,54Differenz Mittelwert (AB) - Mittelwert (NB) -0,36 -0,14 0,03Differenz Varianz (AB)- Varianz (NB) 0,86 0,46 -0,01

Quelle: Musterd/Murie 2002: 38 (modifiziert)

Immigranten nutzen staatliche Unterstützung in denNeubauquartieren stärker, besitzen allgemein einereduzierte Marktorientierung (Mittelwert in Alt- undNeubauquartieren von -0,14 bzw. 0) und zeigen eineeinheitlich schwache Nutzung der sozialen Netzwerke.

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

113

Tabelle 5.15: Nutzung der drei Dimensionen (Staat, Markt, Netzwerk):

Langzeitarbeitslose einheimische Männer

Altbau

Code Land Stadt Stadtteil Lage staatlicheVerteilung Arbeitsmarkt soziales

Netzwerk111 NL Amsterdam Landlust c 1 0 -1121 NL Rotterdam Tarwewijk c 1 -1 -1211 D Berlin Neukölln c 1 0 0221 D Hamburg St. Pauli c 1 0 1311 B Brussels Marollen c 1 -1 0321 B Antwerp Dam c 1 -1 0411 F Paris La Corneuve c 0 -1 1511 GB London Ethelred Estate c 1 -1 -1521 GB Birmingham Sparkbrook c 1 -1 0611 I Milan Baggio c 1 0 0621 I Naples Mercato-Pendino c -2 1 1

Mittelwert 0,64 -0,45 0,00Varianz 0,85 0,47 0,60

Neubau

Code Land Stadt Stadtteil Lage staatlicheVerteilung Arbeitsmarkt soziales

Netzwerk112 NL Amsterdam Osdorp p 1 -1 -1122 NL Rotterdam Hoogvliet p 1 -1 0212 D Berlin Marzahn p 1 1 -1222 D Hamburg Mümmelmansberg p 1 0 0312 B Brussels Beizegem p 1 -1 0322 B Antwerp Silvertop p 1 -1 0412 F Paris Montreuil p 1 1 1512 GB London Clapham Park p 1 -1 0522 GB Birmingham Pool Farm p 1 0 0612 I Milan Ponte Lambro p 1 0 0622 I Naples Scampia p -2 -2 -1

Mittelwert 0,73 -0,45 -0,18Varianz 0,82 0,87 0,36Differenz Mittelwert (AB) - Mittelwert (NB) -0,09 0,00 0,18Differenz Varianz (AB)- Varianz (NB) 0,04 -0,40 0,24

Quelle: Musterd/Murie 2002: 42 (modifiziert)

Einen besonderen Fall stellen die langzeitarbeitslosenMänner dar, da sie zur Vernachlässigung des Sozialkapi-tals neigen (Mittelwerte von 0 bzw. 0,18). Demzufolgebesteht eine hohe Gefahr der sozialen Isolation, welchesie durch die einheitlich starke Nutzung wohlfahrts-taatlicher Unterstützung zu kompensieren versuchen,die in Neubauquartieren geringfügig höher ausfällt (0,64bzw. 0,73). Nicht überraschend ist die einheitlichschwache Nutzung des Arbeitsmarktes (-0,45).

Die Analyse der Handlungsstrategien der Risikogruppenin Alt- und Neubauquartieren ergibt kaum Unterschiede,da es keine Mittelwertdifferenz größer als 0,36 gibt.

Die Analyse der Handlungsstrategien der Risikogruppennach den Polányi´schen Dimensionen ist hinsichtlich desUnterschieds von Alt- und Neubauquartieren nichtergiebig genug. Wir führen das auf die Tatsache zurück,dass in beiden Quartieren alle drei Risikogruppen ver-treten sind.

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

114

Bildet man aus den drei Dimensionen der Rahmen-bedingungen Summen für jedes Quartier, dann ergebensich in 8 von 22 Fällen (also rund einem Drittel) nega-tive Ergebnisse, was auf fehlende Ressourcen im Quar-tier hinweist. In solchen Fällen bleibt die Polányi´scheTheorie die Erklärung schuldig, wovon die Bewohnerbzw. Risikogruppen leben. Es muss demnach nochandere Ressourcen außer den genannten geben, welchedie Defizite nivellieren können.

5.3.10.2 Das Milieu– Suche nach weiteren Faktoren

Die Unterteilung der Risikogruppen in Milieus sollhelfen, die Rolle des Quartiers für die Lebenschancender Bewohner zu erklären. In einem Quartier lebenmehrere Mikromilieus nebeneinander, welche entspre-chend ihrer Lebensweise spezielle Bedürfnisse haben(vgl. Kapitel 5.3.5.2). Die einzelnen Mikromilieugruppenlassen sich ihrer Handlungsstrategie nach in „fugitives“,d.h. Bewohnern, denen das Quartier keine ausreich-enden Ressourcen und Möglichkeiten bietet und die dasQuartier verlassen wollen, und die „user“, welche dieRessourcen nutzen, unterscheiden. Untergruppen der„user“ sind die „established users“ und „non establishedusers“ (Dorsch/Häußermann et al 2001: 40ff.).

Für den Fall Berlins wurden die Ergebnisse in Tabelle5.16 zusammengefasst.

Tabelle 5.16: „Fugitives“ und „Users“ in Berlin

"Fugitives''

Neukölln Alleinerziehende Mütter (3 von 5Befragten)

Marzahn wenige Langzeitarbeitslose undwenige Alleinerziehende

"Users"

NeuköllnMigranten (7 von 10 Befragten) undLangzeitarbeitslose (6 von 8 Befragten)und Alleinerziehende (2 von 5 Befragten)

Mahzahn die meisten Migranten, Alleinerziehendeund Langzeitarbeitslose

(vgl. Dorsch u.a. 2001)

In Berlin-Neukölln ist ein westdeutsches Arbeitermilieuzu finden, worin die langzeitarbeitlosen einheimischenMänner und ein Teil der allein erziehenden, Sozialhilfebeziehenden Mütter verortet sind. Als zweites Milieugibt es in diesem Quartier das der Migranten mit vor-wiegend ethnischen Türken und Arabern der ersten undzweiten Generation. Diese beiden Milieus sind größten-

teils „user“. „Fugitives“ sind neben den allein erziehen-den Müttern das sogenannte „alternative Milieu“.In Berlin-Marzahn sind dementsprechend ein „ostdeut-sches Arbeitermilieu“ und das Milieu der Spätaussiedlerzu finden (vgl. Dorsch/Häußermann et al. 2001).

Die Nutzungsstrategien sind zwar in Alt- und Neubau-quartieren bis auf die Gruppe der allein erziehenden,Sozialhilfe beziehenden Mütter weitestgehend gleich,aber die Risikogruppen gehören unterschiedlichen Mili-eus an.

Bekanntlich erfolgt der Zugang zu den Ressourcen überdie Zugehörigkeit zu Milieus. Da sich diese in jeweilseinem Quartier verorten lassen, ist davon auszugehen,dass diese nicht nur die klassischen Ressourcen derWohlfahrt nach Polányi nutzen, sondern auch weitere.Tatsächlich ist dies auch der Fall, wie aus der für dieUrbex-Studie durchgeführten Interviews hervorgeht. Alsvorwiegender Grund wurde im Fall der Spätaussiedler inMarzahn das vorhandene soziale Netzwerk genannt,welches als ethnische Kolonie integrierend wirken kann(vgl. Kapitel 5.2.4.2).

Arbeitslose Immigranten als eine Teilgruppe der „user“in Neukölln nannten in den Interviews folgende Gründe,dort wohnen zu bleiben (vgl. Dorsch/Siebert et al 2001:77ff.):

- Marktdimension:o billige Mieteno gute und ausreichende

Einkaufsmöglichkeiteno zentrale Lage, gute Verkehrsanbindung

- soziale Dimensiono ethnische Netzwerkeo Gleichgesinnteo formelle und informelle Treffpunkteo öffentlicher Raum für Treffs

- andere Ressourcen:o anonymes Leben möglich (Toleranz

gegenüber Lebensstil), aber auch Gegenteilo Schutzraumo ethnische Vielfalt und individueller

Lebensstil möglicho gute Schulsituation, Kindergärten

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

115

Arbeitslose Immigranten als eine Teilgruppe der „user“in Marzahn nannten ähnliche Beweggründe, außerdemnoch (vgl. Dorsch/Siebert et al 2001: 40ff.):

- Marktdimensiono gute Anbindung an die Stadt (im Vergleich zur

Heimat), obwohl peripher gelegen

- soziale Dimension:o Gemeinschaftszentrum, Schulen und

Kindergärten als Treffso ethnische Kolonie

- andere Ressourcen:o geringe Dichte der Häusero ruhige Umgebungo große Anzahl an Grünflächeno Sicherheitsgefühlo relative Zufriedenheit mit der Schulsituation

Die weiteren Faktoren, die nicht den klassischenPolányi´schen Dimensionen entsprechen, vermitteln einGefühl der Sicherheit sowie des Zusamenlebens unterGleichgesinnten. Diese weiteren Faktoren sollen imFolgenden unter der Sozialkapitaltheorie zusammenge-fasst werden.

Als Veranschaulichung soll die Teilgruppe der Spätaus-siedler in Berlin dargestellt werden. Für diese sindneben der Identifikation mit dem Quartier aufgrund derihren Heimatstädten ähnlichen Neubaustruktur u.a.folgende Dinge wichtig: die gut ausgebauten öffent-lichen Institutionen, welche auch zur Beantragung wohl-fahrtsstaatlicher Unterstützung benötigt werden sowieanderer Dienstleistungen, wie z.B. der guten Verkehrs-anbindung, welche bessere Lebensqualität und Lebens-chancen bietet, da u.a. die Innenstadt gut als Ort fürKonsum und Arbeitsmarkt erreichbar ist. Die sozialenNetzwerke sind von enormer Bedeutung für die Immi-granten, da sie u.a. eine perfekte Akkomodation, d.h.das Erlernen gesellschaftlicher Gepflogenheiten, Regelnund das Kennenlernen der Institutionen, ermöglichen.In diesem Fall wird die Integrationskraft des als homo-gene ethnische Kolonie verstandenen Mikromilieus derSpätaussiedler betont. Der Kontakt zu anderen Mikro-milieus ist stark begrenzt, stört die ethnische Kolonieaber nicht weiter.

Eine ähnliche Argumentation lässt sich auch für dieRisikogruppe der langzeitarbeitslosen Immigranten imgemischt-funktionalen Altbauquartier Berlin-Neuköllnanwenden. Es bietet ähnliche Vorteile wie Berlin-Mar-zahn, nur sind in Berlin-Neukölln vorwiegend türkischeund arabische Ethnien angesiedelt, welche späterenImmigranten gleicher Ethnie nur dort eine ethnischeKolonie mit ähnlicher Lebensweise bieten können. Fürandere Risikogruppen gilt dies analog.

Quartiere sind sehr individuelle soziale Räume. Altbau-und Neubauquartiere sind demnach nach den Bedürf-nissen der Risikogruppen zu beurteilen und dürfen nichtpauschal stigmatisiert werden: eine Aussage „Altbau-quartiere sind besser als Neubauquartiere“ ist nichtzutreffend.

Weitere Faktoren, die nicht den klassischen Polányi-schen Dimensionen entsprechen, sind: die vertrauteArchitektur des Neubaugebietes, welche den Spätaus-siedlern bereits aus dem Heimatland bekannt war unddamit identitätsstiftend wirkt, sowie die Existenz speziellfür die Spätaussiedler installierte soziale Institutionenund Projekte sowie relativ gute verkehrstechnischeAnbindung an die Stadt. Bei den anderen Gruppenwurden u.a. auch die geringe Häuserdichte, die vielenParks und Erholungsmöglichkeiten genannt. Gerade fürdie etablierten Nutzer ist die emotionale Bindung an dasQuartier wichtig.

Folgende Betrachtungen sollen die Schwierigkeiten,Milieus zu kategorisieren, aufzeigen.Um Milieus kennzeichnen zu können, wird auch nach„kultureller und ethnischer Gemeinsamkeit“ gesucht.Des Weiteren werden z.B. die Unterscheidung nachPerioden des Wohnens, der ethnischen/sozialen Verbin-dung zum bewohnten Land, den Sprachunterschiedenund dem Flüchtlingsstatus getroffen. Weitere Faktorenbietet die in der Wissenschaft umstrittene komplexeWechselwirkung historischer und gegenwärtiger Einflüs-se auf Entwicklungen verschiedener Nachbarschaften.So scheinen soziale Netzwerke, Alter, kulturelle Unter-schiede, Muster der Migration, die Bereitstellung vonMärkten (Arbeits-, Dienstleistungsmärkten) und dem-entsprechende Möglichkeiten sowie Zugang, Qualitätund Standards öffentlicher Leistungen mehr oderweniger starke Einflüsse auf die Nachbarschaften zuhaben, wobei jedes Quartier spezifische Eigenschaftenaufweist und zusätzlich unterschiedliche Dynamiken,Entwicklungsstufen und Prozesse in Quartieren vorhan-den sind.

5.3.10.3 Rückgriff auf die Sozialkapitaltheorie

Die bereits im Kapitel 5.3.1 beschriebene Sozialkapi-taltheorie als Teil des Raumkonzeptes von Bourdieu sollals wichtigste Komponente des Milieubegriffs Anhalts-punkte bieten.

Das Ausmaß des Sozialkapitals ist nicht nur abhängigvon der Zahl der Vereine, den sozialen Beziehungenbzw. Netzwerken, sondern wird auch in starkem Maßebeeinflusst von public policy, öffentlichen Dienst-leistungen wie beispielsweise dem Transportwesen,lokalen Bildungs- und Freizeitmöglichkeiten und der

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

116

Straßenreinigung sowie der Pflege der nachbarschaft-lichen Beziehungen oder dem Zugang zum (Arbeits-)Markt (vgl. Musterd/Murie 2002: 71). Letzteres ist mehrals nur eine simple ökonomische Integration, welchedurch den Zugang zum Stadtzentrum und den dortigenDienstleistungen und Möglichkeiten, der Existenz lokalerEinzelhandelsläden und Dienstleistungen und der Mög-lichkeit des Zugangs zu Waren, z.B. durch preiswerteAnbieter, besteht. Diese Konzeption „vermischt“ einer-seits analytisch Polányis Dimensionen, eröffnet abergleichzeitig den Blick auf zahlreiche neue Faktoren, diebisher noch nicht im Mittelpunkt standen.

Dadurch werden die in 5.3.10.2 gefundenen weiterenRessourcen der Quartiere der Sozialkapitaltheorie zu-rechenbar, die durch Milieus nutzbar werden.Als Beleg für die spezifische Nutzung der Ressourcendurch einzelne Milieus sei darauf hingewiesen, dass z.B.die in Berlin-Neukölln von den Nutzern („users“) positivbewertete Schulsituation von den Flüchtigen(„fugitives“) als konträr, d.h. schlecht eingestuftwerden.

Die Generalisierung, dass Altbauquartiere mit gemischtfunktionaler Nutzungsstruktur stets besser für alle Risi-kogruppen seien, ist widerlegt worden.

5.3.11 Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen: Als Faktoren füreine Einordnung von Altbau- und Neubauquartierenhinsichtlich der Risikogruppen und ihrer Lebenschancenin den Quartieren ergeben Orte, Wohnungsmärkte undökonomische Strukturen ein unzureichendes Bild. Es istdemnach kein einzelnes Charakteristikum, welches Vor-und Nachteile von Quartieren ausmacht, sondern einBündel von Faktoren. Vor einer Beurteilung der Lebens-chancen der Risikogruppen sind einerseits die Rahmen-bedingungen im weitesten Sinne (d.h. Freiheiten derWahl der Lebensweise u.ä.) und andererseits dieNutzung dieser Ressourcen durch die Gruppen zu analy-sieren. Jedes Quartier bietet für bestimmte Bevölke-rungsgruppen bzw. Individuen ganz spezielle Vor- undNachteile. Wir können damit diesen Befund dertheoretischen Betrachtung empirisch stützen.Für politische Initiativen wie Soziale Stadt bedeutet das,nicht nur auf eine eventuell deprivierte Ausstattungeines Quartiers zu reagieren, sondern erst nacheingehender Prüfung auch der in den Vierteln lebendenMilieus und Menschen entsprechende Verbesserungs-maßnahmen einzuleiten und vorzunehmen. Sonstbestünde die Gefahr, Handlungsbedingungen zu än-dern, die für viele nicht als nachteilig empfunden wer-den, sondern als Ressource genutzt werden (können).Da jedes Quartier spezifische Ressourcen aufweist,welche eingehend untersucht werden müssen, gebendie Autoren der Urbex-Studie keine „best-practise“policy-Empfehlungen ab, sondern verweisen stets aufdie Möglichkeit von „good-practise“-Maßnahmen, weilmögliche Fehlerquellen, wie z.B. die variierendenweiteren Ressourcen, letztendlich einen erfolgreichenEingriff in das Quartier verhindern.

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

117

5.4 Nachbarschaftseffekte als Ursachezusätzlicher Benachteiligung durchSegregation– Die Grenzen der Quartierspolitik

„Je mehr sich die problematische Situation in denGebieten verfestigt, desto stärker wirken die Quartierezugleich auch benachteiligend - zumindest aber diegesellschaftliche Randlage verfestigend“

(www.sozialestadt.de).

Einleitung

Das vorangegangene Kapitel hat gezeigt, dass die Be-ziehung eines Quartiers zu seinen Bewohnern in derneueren sozialwissenschaftlichen Diskussion als einKomplex von differenziert zu betrachtenden Wechsel-wirkungen konzipiert wird. Weder kann das Quartier alsbloßer neutraler „Umraum“ der Sozialstruktur betrachtetwerden, noch kann ein bestimmter Quartierstyp, z.B.Neubauviertel, als an sich schon benachteiligt undbenachteiligend gelten. Stattdessen muss jedes Quartierals Opportunitätsstruktur begriffen werden, die sowohlspezifische Ressourcen, gerade auch im Umgang mitprekären Lebenslagen, bietet, als auch durch bestimmteEigenschaften die schwierige sozioökonomische Situ-ation seiner Bewohner noch zusätzlich verschlechternkann. In welchem Sinne dabei eine bestimmte Eigen-schaft des Quartiers wirkt, hängt entscheidend von dermilieuspezifischen Wahrnehmung unterschiedlicher Be-wohnergruppen sowie von lebenslagenspezifischenBedürfnissen ab.In diesem Kapitel konnte die im Programm Soziale Stadtformulierte Hoffnung auf „endogene Potentiale“ desQuartiers mit sozialwissenschaftlichen Überlegungenuntermauert werden. Andererseits wurden hier schwer-wiegende Argumente für ein differenziertes und vor-sichtiges Vorgehen bei der Konzeption der Auswahlkrit-erien für „Stadtteile mit besonderem Entwicklungs-bedarf“ entwickelt. Um etwa einen milieuspezifischen„bias“ bei der Auswahl der Gebiete zu vermeiden,müsste sich diese auf Befragungen der Problemwahr-nehmungen unterschiedlichster Bewohnergruppen stüt-zen (Vgl. Kapitel 5.1). Die Annahme, dass bestimmteQuartierstypen grundsätzlich benachteiligend wirken,musste also relativiert werden.Im nun folgenden Teil der Arbeit soll diese Relativierungum einen weiteren Aspekt ergänzt werden. Im An-schluss an die Frage nach den möglichen Wechselwir-kungen zwischen Quartier und Bewohnern soll geprüftwerden, ob die Bedeutung des Quartiers als Einfluss-faktor nicht tendenziell überschätzt wird. Wir konzen-trieren uns hier auf die im Programm formulierteBesorgnis, dass von Segregation betroffene Quartieredie Lebenschancen ihrer Bewohner einschränkenkönnten.

Wir gehen dabei von der Frage aus, warum Segregationim politischen Diskurs überhaupt als Problem wahrge-nommen wird. Dabei wird zunächst die Vermutungdiskutiert, dass sich die Sorge um bestimmte Stadtteileauf die fehlerhafte Zurechnung gesellschaftlicher Pro-bleme, wie z.B. einer Häufung abweichenden Verhal-tens, auf Segregation als deren Ursache gründet. Sozial-wissenschaftlich wird dieses Problem mit dem Begriffdes „ökologischen Fehlschlusses“ bezeichnet. Eine kurzeAnalyse eines Zeitungsberichts wird das Problemzugleich illustrieren und seine Aktualität bestätigen. ImAnschluss daran werden z.T. bereits im vorherigenKapitel skizzierte sozialwissenschaftliche Theorieent-würfe vorgestellt, die erklären könnten, durch welcheMechanismen Segregation sich tatsächlich – jenseits des„ökologischen Fehlschlusses“ – negativ auf dieLebenschancen der Bewohner auswirken bzw. zu einerUrsache zusätzlicher gesellschaftlicher Probleme werdenkönnte. Belege dafür, dass die Segregationstendenzenin Deutschland bereits solche negativen Nachbar-schaftseffekte hervorbringen, muss dieses Kapitel aller-dings schuldig bleiben, da ein solcher Nachweis nochnicht erbracht werden konnte. Zur Begründung diesesDefizits werden einige methodische Probleme diskutiert,die dem empirischen Nachweis von Nachbarschafts-effekten im Wege stehen. Für einige empirische Illustra-tionen und einen versuchten Nachweis zur Wirkung vonNachbarschaftseffekten sei hier auf das Kapitel 6.3verwiesen.Zum Schluss dieses Kapitels soll angedeutet werden,was die hier dargestellten theoretischen Überlegungenfür die Evaluation des Programms Soziale Stadt bedeu-ten können. Dabei wird sich zeigen, dass bei der Beur-teilung des quartierspoltischen Ansatzes nicht nur dieRichtigkeit einzelner Annahmen, wie z.B. der grund-sätzlichen Nachteile von Neubauquartieren, in Zweifelgezogen werden müssen. Stattdessen muss generellnach der relativen Bedeutsamkeit von Quartierseffektenim Vergleich zu anderen Ursachen von Benachteiligunggefragt werden. Es wird sich als fragwürdig heraus-stellen, ob die politische Motivation zur Bekämpfungnegativer Segregationseffekte nicht in bedeutendemMaße auf „ökologischen Fehlschlüssen“ beruht.

5.4.1 Warum wird Segregationals Problem betrachtet?

In Anbetracht der Diagnose einer zunehmendenurbanen Segregation in Deutschland stellt sich für dieSozialwissenschaft wie auch für politische Entschei-dungsträger die Frage nach der Bewertung dieserEntwicklung. Dabei kann eine negative Bewertung nichtals selbstverständlich vorausgesetzt werden. Ein Gegen-beispiel findet sich in der Entstehung von Villenvierteln,also einem Segregationsprozess, der im Allgemeinen

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

118

nicht als soziales Problem wahrgenommen wird (vgl.Häußermann 2000: 18). Eine hohe lokale Konzentrationvon Bewohnern, die von Problemen wie Arbeitslosigkeitoder Armut, also von Exklusion im oben genanntenSinne (vgl. Kapitel 3.1) betroffen sind, oder aber einenMigrationshintergrund aufweisen, bringt dagegen einQuartier im politischen oder medialen Diskurs häufig inVerbindung mit negativ belegten Begriffen, wie „sozialerBrennpunkt“ oder „Ghetto“. Eine ausdrückliche Formu-lierung politischer Besorgnis über Segregationsten-denzen findet sich in der Rede des BundeskanzlersGerhard Schröder zur Präsentation des ProgrammsSoziale Stadt: „In vielen Städten müssen wir leiderbeobachten, dass sich soziale Problemlagen in bestim-mten Quartieren konzentrieren; die Gefahr besteht,dass Stadtviertel von der allgemeinen Entwicklung derStadt abgekoppelt werden. Erfahrungen aus anderenLändern lehren uns, dass man schon den ersten An-zeichen einer solchen sozialräumlichen Polarisierungentschieden entgegentreten muss. Das Wohnen etwa ineinem benachteiligten Viertel kann rasch zu weiterenBenachteiligungen für die dort lebenden Menschenführen. Genau dem wollen wir mit dem ProgrammSoziale Stadt entgegenwirken“ (www.sozialestadt.de).An dieser Stelle ist es wichtig zu beachten, dass die hierzitierten Befürchtungen nicht in einer Kritik sozialerUngleichheit als solcher münden. Dass in einem Landwie Deutschland Menschen mit unterschiedlichenLebenschancen und Möglichkeiten zur Teilhabe angesellschaftlichen Ressourcen nebeneinander lebenmüssen, bleibt hier implizit vorausgesetzt. Stattdessenwird die räumliche Konzentration von Angehörigen einesbestimmten sozioökonomischen Segments als poten-tielle Ursache von Problemen identifiziert.

5.4.1.1 Der „ökologische Fehlschluss“

Betrachtet man solche Formulierungen wie die obenzitierte Problembeschreibung vor dem Hintergrund dermedialen Berichterstattung zu „sozialen Brennpunkten“,etwa zu einer Häufung von Polizeieinsätzen in sobezeichneten Quartieren, erscheint die Notwendigkeitzum politischen Handeln unmittelbar einleuchtend. DieArgumentation könnte lauten: „In den von Segregationbetroffenen Quartieren häuft sich abweichendes Ver-halten. Daraus lässt sich ersehen, dass die Segregationbestimmter Bevölkerungsgruppen abweichendes Ver-halten fördert. Demnach bedürfen diese Quartierebesonderer Fördermaßnahmen.“ Aus sozialwissenschaft-licher Perspektive ließe sich in einer solchen Argumen-tation allerdings leicht ein so genannter „ökologischerFehlschluss“ identifizieren: Im Vergleich eines „sozialenBrennpunkts“ mit anderen Quartieren werden mehrFälle abweichenden Verhaltens festgestellt. DieseBeobachtung wird als Effekt des Zusammenlebens imQuartier selbst interpretiert, also als Effekt von Segrega-

tion begriffen. Wahrscheinlicher als mit dieser Annahmelässt sich die Differenz zwischen den Quartieren jedochdadurch erklären, dass im benachteiligten Quartierbesonders viele Personen leben, die zu den Risikogrup-pen für abweichendes Verhalten zählen. Jedes dieserIndividuen würde dasselbe Verhalten wahrscheinlichauch an den Tag legen, wenn er oder sie in einemanderen, stärker sozial gemischten Quartier wohnte. DieHäufung solcher Verhaltensweisen wäre demnach keinEffekt des Zusammenlebens, also kein „ökologischer“Effekt, sondern lediglich Ergebnis der statistischenAddition des Verhaltens bestimmter Individuen.Um alternative Erklärungen für dieses individuelle Ver-halten zu finden, müsste dann eher nach dem Zusam-menhang sozialer Exklusion, etwa durch Arbeitslosig-keit, und dem Risiko abweichenden Verhaltens gefragtwerden. Nimmt man einen solchen Zusammenhang an,so erklärt sich die Häufung abweichenden Verhaltens inQuartieren mit einem hohen Anteil von sozial Benachtei-ligten aus der hohen Konzentration von Risikogruppen.Ein klassisches Beispiel für einen solchen „ökologischenFehlschluss“ in der Tradition der Stadtsoziologie findetsich in einem Text zu dem Begriff der „Dichte“ von ErikaSpiegel (2000). Sie referiert dort u.a. über die soge-nannte Chicagoer Schule der Sozialökologie, in derenWerken dem Wohnort ein bedeutender Stellenwert etwafür die psychische Verfassung der Bewohner eingeräumtwird. Diese Annahme basiert auf Korrelationen zwischenWohnvierteln mit besonders hoher Einwohnerdichte undeiner Häufung von psychischen Störungen unter derenBewohnern. Spiegel verweist hier auf die nachträglicheEntdeckung eines „ökologischen Fehlschlusses“. Nachder Kontrolle von Drittvariablen wie dem Bildungs- undEinkommensstandard konnte der Wohnort als Einfluss-faktor bei der Erklärung psychischer Störungen prak-tisch vernachlässigt werden (vgl. Spiegel 2000: 39 f.).Nach einer anderen Formulierung bei Nick Buck (2001)wird bei einem „ökologischen Fehlschluss“ das Quartierfälschlicherweise statt als abhängige, als unabhängigeVariable eingestuft. Hier wird angenommen, die Be-wohner entwickelten bestimmte Verhaltensweisen, weilsie in einem segregierten Quartier wohnten. Stattdessenmuss aber wohl in den meisten Fällen davon ausgegan-gen werden, dass ein anderes gemeinsames Merkmalder Bewohner z.B. die Schichtzugehörigkeit, gleichzeitigdie Neigung z.B. zu abweichendem Verhalten, als auchdie Ausprägung des Wohnorts erklärt (vgl. Buck 2001:2256f.).Zwar mag sich die Vermeidung ökologischer Fehl-schlüsse in der stadtsoziologischen Forschung inzwi-schen als unabdingbare Voraussetzung aussagekräftigerForschungsdesigns etabliert haben; im Folgenden solljedoch die Analyse eines aktuellen Zeitungsartikelszeigen, dass im außerwissenschaftlichen Bereich, hier inden Medien, solche Fehlschlüsse immer wieder vorkom-men und problematische Wirkungen entfalten können.

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

119

Am 13.1.04 veröffentlichte die Berliner Zeitung einenBericht unter der Überschrift „Gefährliche Viertel“, inwelchem eine Kriminalitätsstudie der Berliner Polizeivorgestellt wurde. In dieser Studie waren die Berliner„Kieze“ in Bezug auf die Häufigkeit sogenannter „kiez-bezogener Straftaten“ hin verglichen worden, woraufhinneun „Problemkieze“ mit überdurchschnittlich häufigemVorkommen solcher Delikte pro Einwohner identifiziertwurden. Der Artikel erwähnt nicht, ob dabei die Grenzender „Kieze“, die sich in ihrer Fläche und Einwohnerzahlstark unterscheiden, bereits als Grundlage der Messungdienten, oder vielmehr Straßenzüge oder ähnliche Ein-heiten aufgrund ähnlicher Messwerte zu einem Gebietzusammengefasst wurden. Als „kiezbezogene Strafta-ten“ wurden laut den Autoren solche gezählt, „die vonKiezbewohnern im eigenen Umfeld begangen und derPolizei bekannt wurden. Die Statistiker zählen von Kör-perverletzung über Raub und Drogenhandel fast 40Delikte dazu“ (Berliner Zeitung, 13.1.04: 16). In derkurzen Einleitung bemerken die Autoren zudem die un-terschiedliche Verteilung der Deliktarten auf die Kieze,um dann zu folgender Aussage zu kommen, die wahr-scheinlich als Mutmaßung über die Ursachen einer ver-dichteten Kriminalität in bestimmten Stadtteilen zuverstehen ist: „Zwar spielt der hohe Ausländeranteil [...]mit seinen sozialen Aspekten, wie der hohen Jugend-arbeitslosigkeit eine große Rolle. Doch Kieze wie dieOranienstraße in Kreuzberg zählen durchaus überra-schend nicht zu den Problemgebieten“ (ebd.).Im Anschluss daran werden die neun „Problemgebiete“mit ihrer Einwohnerzahl sowie der Anzahl der Deliktepro Einwohner für den Zeitraum von November bisJanuar 2003 einzeln aufgeführt. Dabei wird für jedesGebiet eine Art individuelle Problembeschreibung unterHervorhebung der hervorstechenden Deliktarten ver-sucht, wobei immer wieder auf einzelne Aspekte derSozialstruktur, v.a. den hohen Anteil von Arbeitslosenoder den hohen Anteil von Migranten an der Kiezbe-völkerung hingewiesen wird.Zur Illustration sei hier eine charakteristische Passageaus einer dieser Gebietsbeschreibungen zitiert:„Soldiner Kiez: 5792 Einwohner. 87 Delikte pro 1000Einwohner. Körperverletzungen rangieren auch in dieserGegend an der Spitze, gefolgt von Sachbeschädigun-gen, Drogendelikten, Keller- und Dachbödeneinbrüchen,Nötigung, Freiheitsberaubung und Bedrohung. 34Prozent der Bewohner sind Ausländer, vor allem Türkenund Araber, die sich permanent bekriegen. Viele vonihnen verdienen ihr Geld im Türsteher-, Zuhälter- oderDrogenmilieu...“ (ebd.).Untersucht man diese und die meisten anderen Passa-gen des Artikels in Hinblick auf einen ökologischen Fehl-schluss, so muss vorangeschickt werden, dass eineZurechnung von einer Häufung abweichenden Verhal-tens auf das Quartier als Ursache an keiner Stelle expli-zit vorgenommen wird. Eine solche theoretischeSchlussfolgerung würde in der im Artikel zitierten Poli-

zeistudie selbst auch überraschen, da zwar die Relevanzder Feststellung räumlicher Konzentration bestimmterStraftaten für die Arbeit der Polizei plausibel erscheint,nicht jedoch die Spekulation über die Ursachen derKonzentration als Aufgabe dieser Institution einleuchtenwürde. Auch die Autoren des Zeitungsartikels äußernkeine ausdrücklichen Vermutungen über kausale Zu-sammenhänge zwischen Eigenschaften des Quartiersund der gemessenen Kriminalitätsrate. Die folgendeDiagnose ökologischer Fehlschlüsse bezieht sich alsoweder auf die Handhabung der Studie durch die Polizeiselbst noch auf den reinen Wortlaut des Zeitungs-artikels. Stattdessen basiert sie auf einer Interpretationsowohl der Absicht der Autoren als auch der möglichenWirkungen auf die Leser.Aus dieser Perspektive lassen sich zwei Varianten desökologischen Fehlschlusses unterscheiden, die durchden Bericht nahe gelegt werden. Die erste Varianteverbirgt sich bereits in dem irreführenden Terminus der„kiezbezogenen Straftat“. Der Begriff suggeriert eineForm von Straftaten, die sich auf das Stadtviertel alsOpfer richten, von denen demnach also auch alleBewohner oder Besucher des Gebietes potentiell betrof-fen seien. Tatsächlich können wir jedoch der Definitiondes Begriffs entnehmen, dass hier das Quartier oderauch nur eine bestimmte Straße oder ein bestimmtesHaus schlicht in seiner Funktion als Schauplatz derStraftat sowie als Wohnort des Täters miteinbezogenwird. Betrachtet man hingegen genauer die Schil-derungen der häufigsten Straftaten für die einzelnenGebiete, so scheint es in den meisten Fällen plausibel,diese eher als „milieubezogen“ denn als „kiezbezogen“zu bezeichnen. In unserem obigen Beispiel nennen dieAutoren selbst ein solches Milieu, nämlich das„Türsteher-, Zuhälter- oder Drogenmilieu...“. DerselbeEinwand gilt sowohl für die Drogendelikte, die demGebiet Schöneberg Nord einen Platz in der Liste der„Problemkieze“ eingebracht haben als auch für die„Gebietsstreitigkeiten zwischen sich zunehmend ansie-delnden Aus- und Übersiedlern aus Staaten der ehema-ligen Sowjetunion sowie Türken und Kurden“ im Falken-hagener Feld und für einen Fall von Kindesmiss-handlung, der beispielhaft für das Kriminalitätsniveau inder Wasserstadt Spandau herausgegriffen wird. In alldiesen Fällen handelt es sich um Straftaten, bei denenTäter und Opfer höchstwahrscheinlich demselben Milieuoder gar derselben Familie angehören, von denen alsoAußenstehende kaum betroffen sein dürften. Aber gera-de die räumliche Verortung dieser Straftaten unter derÜberschrift „Gefährliche Viertel“ suggeriert den Fehl-schluss, dass mit dem Überschreiten der räumlichenGrenze des Quartiers bereits eine Gefährdung verbun-den sei. Man darf vermuten, dass diese Form der Zu-rechnung auf räumliche Einheiten besonders von denMedien gerne aufgegriffen wird, da sie im Unterschiedzu abstrakteren Milieumodellen eine sehr anschauliche,

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wenn auch falsche, Darstellung sozialer Realität er-möglicht.Der Bezug auf das Quartier als Einheit kann aber nichtnur übertriebene Gefährdung suggerieren, sondernkann auch umgekehrt zu falschen Schlüssen betreffsder Ursachen von Kriminalität bzw. deren Trägergrup-pen verleiten. In unserem Beispiel wird ein solcher Fehl-schluss besonders für die ethnische Zugehörigkeit derTäter nahe gelegt. Zur Veranschaulichung kann der Vor-gang des Aufbaus einer Suggestion dabei in ein vier-stufiges Modell gegliedert werden. So wird in derBeschreibung des Charlottenburger Kiezes die Gruppeder nicht-deutschen Großfamilie erwähnt: „Auch dieOberhäupter krimineller türkisch-libanesischer Groß-familien und andere für die Polizei ‚relevante Personen’wohnen hier“ (ebd.). Hier wird demnach explizit einebestimmte Tätergruppe mit ihrer ethnischen Zugehörig-keit als Element der Sozialstruktur des Kiezes benannt.In der anschließenden Beschreibung des Beusselkiez´findet sich eine sehr ähnliche Formulierung: „39 Prozentder Bewohner sind Ausländer, vor allem Türken, Polenund libanesische Großfamilien. Viele von ihnen sprechenkein Deutsch. Viele sind ohne Ausbildung und Arbeit“(ebd.). Hier liegt bereits die Assoziation der „libane-sischen Großfamilien“ mit den „kriminellen türkisch-libanesischen Großfamilien“ des Charlottenburger Kiezesnahe, obwohl der Hinweis auf die sozioökonomischenMerkmale der Bewohner eigentlich auf eine Erklärungs-variable für abweichendes Verhalten jenseits derethnischen Zugehörigkeit verweist. In der Beschreibungdes Viertels Neukölln Nord folgt schließlich direkt auf dieAufzählung der dominierenden Straftaten der Hinweis:„Hier wohnen vor allem arabische Großfamilien“. Es fälltnun nicht mehr schwer, die nicht-deutschen Großfami-lien generell als das Element der Sozialstruktur zu ver-stehen, das einen Stadtteil zum „Gefährlichen Viertel“macht.Die Autoren geben sich denn auch bereits in derEinleitung selbst als Opfer eines solchen Fehlschlusseszu erkennen, indem sie überrascht zur Kenntnis neh-men, dass etwa der Oranienstraßen-Kiez in Kreuzbergtrotz des hohen Ausländeranteils unter der Bevölkerungnicht in der Liste der Problemgebiete erscheint. Stattdiese Beobachtung als Indiz dafür zu betrachten, dasswohl statt der ethnischen Zugehörigkeit als solcherandere sozioökonomische Merkmale der Bevölkerungentscheidend für die Dichte der „kiezbezogenen Straf-taten“ sein könnten, zeugt gerade die „überraschte“Reaktion der Autoren von deren falscher Schlussfol-gerung. Dabei ist diese Schlussfolgerung zwar keinegenuin „ökologische“, d.h. sie besteht nicht in einerZurechnung auf mögliche Effekte des Zusammenlebensbestimmter Gruppen von Menschen. Sie zeigt aberinsofern die Gefahr jeder Betrachtung des Quartiers alsEinheit, als diese die fälschliche Zurechnung bestimmtermessbarer Eigenschaften des Quartiers, wie z.B. derKriminalitätsrate, auf andere Eigenschaften des Quar-

tiers, wie z.B. den Ausländeranteil, angebracht erschei-nen lassen kann. Wird z.B. in allen „Problemkiezen“ einhoher Ausländeranteil gemessen, so kann das dieSuggestion erzeugen, dass auch in anderen Stadtteilenlebende Menschen nicht-deutscher Herkunft eine poten-tielle Gefahrenquelle darstellen, und zwar unabhängigvon anderen Variablen, wie etwa der Schichtzugehörig-keit.Gleichzeitig kann hier die von Buck (2001) geschilderteVerwechslung abhängiger und unabhängiger Variablengedeihen und dabei alle Bewohner eines Viertels alspotentielle Täter erscheinen lassen. Als Beispiel sei hiernoch einmal auf die oben bereits zitierte Passage zurCharakterisierung des Soldiner Kiezes verwiesen: „34Prozent der Bewohner sind Ausländer, vor allem Türkenund Araber, die sich permanent bekriegen. Viele vonihnen verdienen ihr Geld im Türsteher-, Zuhälter- oderDrogenmilieu...“. Anstatt als bedeutendstes Merkmalder Täter deren Zugehörigkeit zu einem bestimmten imQuartier vertretenen Milieu voranzustellen, wird hier alserstes ein Merkmal der Sozialstruktur des Quartiers,nämlich der hohe Anteil von „Ausländern“ mit dengenannten Straftaten in Verbindung gebracht. Dadurcherscheint dieser als zentrale unabhängige Variable zurErklärung der hohen Kriminalitätsrate. Dabei gerät ausdem Blick, dass in diesem Quartier die Angehörigen derweniger wohlhabenden Schichten, die sich zu einemgroßen Anteil aus Migranten rekrutieren, in den meistenFällen wohl unfreiwillig in direkter Nachbarschaft mitdem „Zuhälter- und Drogenmilieu“ zu wohnengezwungen sind. Bei dem Versuch, die Kriminalitätsratedurch Korrelationen mit Quartiersmerkmalen zu erklä-ren, finden jedoch die Unterschiede zwischen diesenbeiden Gruppen, namentlich die wahrscheinlich ent-scheidenden erklärenden Merkmale der Milieuzuge-hörigkeit oder der Schichtzugehörigkeit, die die Tätervon den „normalen“ Anwohnern unterscheiden, keineBerücksichtigung mehr. Dies festzustellen schließtselbstverständlich nicht aus, dass auch im Soldiner KiezMenschen mit Migrationshintergrund unter den Täternsind. Jedoch lenkt die Nennung ihrer ethnischenZugehörigkeit von anderen Merkmalen ab und impliziertgleichzeitig die unwahrscheinliche Schlussfolgerung,dass alle im Viertel lebenden „Türken und Araber [...]sich permanent bekriegen“ oder an dem Zustande-kommen der hohen Kriminalitätsrate beteiligt seien.Das vorangegangene Beispiel hat gezeigt, wie die Ein-führung räumlicher Einheiten in die Erklärung sozialerPhänomene zu problematischen Fehlschlüssen führenkann. So kann die Zuordnung von Kriminalitätsraten zubestimmten „Quartieren“ sowohl das gesamte Viertel alspotentielles Opfer der Kriminalität erscheinen lassen alsauch irreführende Korrelationen zwischen der Krimina-litätsrate und bestimmten Merkmalen des Quartiersnahe legen, welche tatsächlich durch eine Kontrolle vonDrittvariablen widerlegt werden könnten.

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5.4.1.2 Verursacht Segregationzusätzliche Benachteiligung?

Es hat sich gezeigt, dass bei näherem Hinsehen be-stimmte, scheinbar offensichtliche Bedenken gegen Se-gregationstendenzen auf einem ökologischen Fehl-schluss beruhen können. Diese Relativierung ist dannentscheidend, wenn es um die Beurteilung politischerHandlungskonzepte, wie z.B. der Quartierspolitik imFalle des Programms Soziale Stadt, geht. So könnenquartiersbezogene Maßnahmen als Instrument gegendas „Abgleiten“ bestimmter Quartiere oder zur Verbes-serung der Lebenschancen der Bewohner nur dann alssinnvolle Alternative zur „klassischen“ individuell ausge-richteten sozialstaatlichen Unterstützung und Sozial-arbeit gelten, wenn das Quartier selbst als Ursache vonBenachteiligung der Bewohner identifiziert wird.3

Die zu diesem Problem gehörige sozialwissenschaftlicheFragestellung findet sich in einer möglichen Formulie-rung in dem Text „Identifying Neighbourhood Effects onSocial Exclusion” von Nick Buck (2001): „Is an individualwith identical personal characteristics other than area ofresidence likely to have worse life-chances in a moredeprived area?“ (Buck 2001: 2252). Im Folgendenwerden einige Elemente soziologischer Ansätze zurUntersuchung von Nachbarschaftseffekten anhand desoben genannten Textes von Buck sowie anhand desAufsatzes „Die Krise der ‚sozialen Stadt‘ “ von HartmutHäußermann (2000) vorgestellt. Dabei sollen zunächsteinige theoretische Modelle zu potentiellen Mechanis-men der Benachteiligung der Bewohner durch ihrenWohnort skizziert werden. Im dritten Teil dieser Arbeit,in dem im Rahmen des Projektseminars durchgeführteempirische Untersuchungen zur Evaluation des Pro-gramms Soziale Stadt zur Vorstellung kommen, sollendie hier skizzierten Hypothesen in dem Kapitel 6.3 an-hand des Beispiels von Schulen in benachteiligten Stadt-teilen durch qualitatives Datenmaterial überprüft bzw.illustriert werden. Eine weitere Fragestellung wird sichdamit befassen, inwieweit Maßnahmen im Rahmen desProgramms Soziale Stadt zur Linderung etwaigerNachbarschaftseffekte in den untersuchten Schulenbeitragen konnten.Es sei vorangeschickt, dass beide Autoren die Schwie-rigkeiten eines empirischen Nachweises der Wirkungvon Nachbarschaftseffekten hervorheben. Für Deutsch-land stellt Häußermann dabei fest, dass solche Effektebisher noch nicht überzeugend nachgewiesen wordenseien (Häußermann 2000: 19). Buck versucht sich aneinem solchen Nachweis anhand von quantitativemDatenmaterial für den Bereich Großbritannien, demBritish Household Panel Survey (BHPS), und stellt einen

3 Wie eingangs bereits erwähnt konzentriert sich dieses Kapitel aufdie Annahme der Existenz negativer Nachbarschaftseffekte. Zur Fragenach dem Potential der Nachbarschaft als positive Ressource siehegenauer Kapitel 5.3.2.

schwachen, aber messbaren Einfluss der Nachbarschaftauf bestimmte Indikatoren von Deprivation fest (vgl.Buck 2001: 2258ff.). Wie allerdings das Kapitel 3.2gezeigt hat, sind die historischen und aktuellen Voraus-setzungen in Deutschland zu unterschiedlich im Ver-gleich zu anderen Ländern als dass eine unmittelbareÜbertragung von Ergebnissen für Großbritannien aufdeutsche Verhältnisse angezeigt erschiene. In diesemSinne rechtfertigt sich hier eine Fokussierung auf dietheoretischen Grundlagen von Bucks Text, unter Ver-nachlässigung der empirischen Ergebnisse.Einige der besonderen methodischen Probleme, die sichbeim Nachweis von Nachbarschaftseffekten stellen,seien hier aus den Ausführungen von Buck herausge-griffen (vgl. zum Folgenden Buck 2001: 2256). Daszentrale Problem besteht in der Vermeidung des ein-gangs beschriebenen ökologischen Fehlschlusses. Einequantitative Analyse des BHPS wird z.B. höchstwahr-scheinlich für stark segregierte Stadtgebiete bei vielenIndikatoren für Deprivation erhöhte Werte zutage för-dern. Diese konventionelle Methode der Korrelationmüsste aber einen ökologischen Fehlschluss erzeugen,wollte man aus ihr auf die benachteiligende Wirkungvon Segregation und segregierten Quartieren schließen.Stattdessen gilt es, so Buck, Individuen in segregiertenQuartieren mit solchen in „normalen“ Quartieren inBezug auf ihre Lebenschancen zu vergleichen, währendman alle anderen relevanten Merkmale dieser Individu-en konstant hält.Selbst wenn aber, wie hier im Falle des BHPS, ein, wennauch schwacher, negativer Einfluss der Nachbarschaftauf die Lebenschancen gemessen werden kann, bleibtdie Frage nach dem Wirkungsmechanismus, der diesezusätzliche Benachteiligung erzeugt, ungeklärt. DieseLücke kann durch plausible theoretische Modelle über-brückt werden, wie sie im folgenden Abschnitt vorge-stellt werden. In einer quantitativen Analyse wirdjedoch nicht festgestellt werden können, welche dieserMechanismen tatsächlich am Werke sind. Zum Beispielkönnte ein Zusammenhang des Wohnortes mit derDauer der Arbeitslosigkeit gleichermaßen plausibeldurch Stigmatisierung wie durch den Mangel des Quar-tiers an Anknüpfungspunkten für „gewinnbringende“Netzwerke erklärt werden.4 Zur Verifizierung der nach-folgenden theoretischen Modelle bedürften demnachquantitative Studien notwendigerweise der Ergänzungdurch qualitative Untersuchungen, wie sie beispielhaftim letzten Teil dieser Arbeit präsentiert werden.Wir halten also fest, dass sich die Wirkung von Nach-barschaftseffekten nur durch ein zweigleisiges Ver-fahren aufklären lässt: So kann z.B. die Wirkung derStigmatisierung eines Quartiers auf dessen Bewohnerzunächst aus Schilderungen konkreter Situationen inqualitativem Datenmaterial herausgearbeitet werden.Um aber feststellen zu können, ob solche Vorkomm- 4 Zur näheren Erläuterung dieser Modelle siehe nächsten Abschnitt.

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nisse tatsächlich messbar die Lebenschancen der Be-troffenen beeinträchtigen können, muss auf statistischeAuswertungen zurückgegriffenen werden.5

5.4.2 Modelle zur Wirkungvon Nachbarschaftseffekten

Bei der Konstruktion theoretischer Modelle zur Wirkungvon Nachbarschaften auf ihre Bewohner finden sichzwischen den beiden hier berücksichtigten Autorenzahlreiche Übereinstimmungen. In der folgendenDarstellung werden wir uns an der Systematik vonHäußermanns Text orientieren und dabei die von Buckzusätzlich genannten Modelle gemäß ihrem Platz indieser Systematik ergänzen.Als einen ersten Komplex potentieller negativer Effektevon Segregation nennt Häußermann Probleme, diedurch die Verarmung eines Quartiers an solchenPersonengruppen entstehen, die mindestens über eindurchschnittliches Maß an kulturellem, ökonomischembzw. sozialem Kapital, verfügen (vgl. Kapitel 5.3.1) undbzw. oder in den Arbeitsmarkt eingebunden sind.Gemeint sind hier also v.a. Angehörige der Mittelschicht.Nach Häußermann kann das Quartier als Lernraumbegriffen werden, in dem sich in der Interaktion derBewohner durch gegenseitige Anpassung oder, nachBuck, durch „collective socialisation“ (vgl. Buck 2001:2255), eine eigene Kultur mit eigenen Vorstellungenvon Normalität und eigenen, möglicherweise von derGesamtgesellschaft abweichenden Verhaltenstandardsausbilden kann. Durch die Abwanderung von Schichten,die gesellschaftlich akzeptierte Lebensmuster „vorle-ben“, könnten abweichende Lebenssituationen wie etwadie Abhängigkeit von Transferleistungen für die Bewoh-ner eines sozial homogenen Quartiers als gesellschaft-liche Normalität wahrgenommen werden (Häußermann2000: 19). Diese Befürchtung findet sich ausdrücklichauch in der Problembeschreibung des ProgrammsSoziale Stadt wieder: „Kinder und Jugendlicheentwickeln eine ‚abweichende Kultur‘, da sie in einemUmfeld mit nur wenigen positiven Vorbildern undRepräsentanten eines ‚normalen’ Lebens den Sinn vonSchule, Ausbildung und Beruf nicht mehr ausreichendvermittelt bekommen; im Gegenteil: es erfolgt ein‚negatives soziales Lernen‘ “ (www.sozialestadt.de).Gleichzeitig liegt in dieser Annahme auch die Grundlageder sozialwissenschaftlichen sowie der politischenDiskussion, die die Entstehung einer so genannten„Urban Underclass“ als Träger dieser abweichenden„Kultur der Armut“ diskutiert (vgl. Kronauer 2000:15ff.).

5 Dasselbe gilt umgekehrt: Wenn für Bewohner bestimmter Quartiereschlechtere Lebenschancen gemessen wurden (wie bei Buck), mussmit qualitativen Methoden den Mechanismen nachgegangen werden,durch die diese Benachteiligung erzeugt wird.

An dieser Stelle sei noch eine Weiterentwicklung diesesGedankens bei Buck erwähnt: Die Allgegenwart derExklusion und das Fehlen positiver Vorbilder in derLebenswelt eines Quartiers könnten nach Buck auch dieErwartungsstruktur der Bewohner in Bezug auf dieMöglichkeit der Wiedereingliederung etwa in den regu-lären Arbeitsmarkt negativ einfärben und damit auch dieMotivation zu Anstrengungen in dieser Richtungersticken (vgl. Buck 2001: 2255).Sowohl Häußermann als auch Buck verweisen im Zugeihrer Überlegungen auf den Ursprung dieser wie auchder meisten der im Folgenden genannten Modelle in derKinder- und Jugendforschung. Für diesen Bereich sei dieGefahr der Verbreitung abweichender Normen durcheine sozial homogene Umgebung belegt, im Zusammen-hang mit Nachbarschaftseffekten seien Nachweise fürmögliche Wirkungen solcher Mechanismen auf Erwach-sene aber noch zu erbringen (vgl. Häußermann 2000:20). Es gilt hier allerdings zu beachten, dass gerade vordem Hintergrund einer Beurteilung des ProgrammsSoziale Stadt negative Effekte von Segregation aufKinder und Jugendliche von ebenso großer Bedeutungsind wie Effekte auf erwachsene Bewohner.Außer als Lernraum kann das Quartier auch alspotentielles Netzwerk begriffen werden. Nimmt man an,dass lokalen Netzwerken eine Rolle etwa bei der Wie-dereingliederung in den Arbeitsmarkt zukommt, so bie-tet ein Quartier, in dem ein überwiegender Anteil derBewohner in gleichem Maße von Exklusion betroffen ist,in diesem Sinne weniger „gewinnbringende“ Anknüp-fungspunkte für Netzwerkstrukturen (vgl. ebd.).Um die Plausibilität sowohl der Lernraum- als auch derNetzwerkthese zu untermauern, lässt sich auf dieAnnahme zurückgreifen, dass von Armut und Exklusionbetroffene Personen oft überdurchschnittlich stark anihr Quartier gebunden sind. So fällt etwa mit demVerlust des Arbeitsplatzes ein bedeutender Lebensraumweg, der meist außerhalb der unmittelbaren Wohnum-gebung liegt. Es wird also wahrscheinlich dann eingrößerer Teil der Tageszeit im Quartier selbst verbracht.Außerdem fallen mit dem Abstieg in die Armutfinanzielle Ressourcen weg, die einerseits zum Trans-port außerhalb der Wohngegend vonnöten wären unddie andererseits etwa Freizeitgestaltung oder Konsuman anderen Orten überhaupt erst zu einer realistischenMotivation machen, das Quartier zu verlassen. Mankönnte also annehmen: Je stärker die Bewohner einesQuartiers von Exklusion betroffen sind, desto stärkerwird die Wohngegend auch zur primären Lebenswelt.Diese Überlegung verleiht auch den nun folgenden Mo-dellen zusätzliche Plausibilität. Neben Benachteiligun-gen, die unmittelbar durch die Interaktion der Bewoh-ner in einer sozioökonomisch relativ homogenen Nach-barschaft entstehen können, lassen sich Nachteile durcheine Verarmung des Quartiers an bestimmten Ressour-cen erwarten. Häußermann nennt hier zwei möglicheMechanismen. Zum Einen ist ein hoher Anteil von Armut

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und Exklusion betroffener Bewohner gleichbedeutendmit einer unterdurchschnittlichen Kaufkraft, sowohl fürmaterielle wie für kulturelle Güter. Die Reaktion kanneine Abwanderung lokaler Anbieter sein, was für dieBewohner eines Quartiers sowohl einen erschwertenZugang zu bestimmten Gütern als auch eine Einbuße anLebensqualität durch die „Verödung“ des Viertels mitsich bringen kann.Ein ähnlicher Effekt der „Verödung“ kann nachHäußermann durch den Wegzug einkommensstärkererFamilien zustande kommen, die oftmals als einzige überdas nötige kulturelle und ökonomische Kapital verfügen,um sich für den Erhalt von Einrichtungen des kulturellenund sozialen Lebens im Quartier, also etwa vonSportvereinen und Jugendclubs sowie für die Pflege desöffentlichen Raums, erfolgreich zu engagieren (vgl.Häußermann 2000: 20).6/7 Wann immer diese beidenMechanismen greifen, kann demnach von einerzusätzlichen Benachteiligung der Bewohner durchzunehmende Segregation gesprochen werden: So wäreeine Person mit einem gegebenen sozioökonomischenProfil, die in einem segregierten Stadtteil wohnt, miteinem schlechteren Zugang zu bestimmten Ressourcen,wie z.B. materiellen Gütern, sowie mit einemschlechteren Zustand des öffentlichen Raums als eineRessource für Lebensqualität konfrontiert, als ein Indivi-duum mit denselben Merkmalen, das in einem wenigerstark segregierten Quartier wohnt. Zur Illustration seihier das Beispiel einer in Armut lebenden Mutter ineinem benachteiligten Quartier konstruiert, die ihr Kindnicht auf dem öffentlichen Spielplatz spielen lassenmöchte, da es dort mit der örtlichen Alkoholikerszenekonfrontiert wäre. Eine ebenso sozial benachteiligteMutter in einem anderen Quartier hat dagegen trotzihrer geringen Ressourcen doch wenigstens Zugang zueinem gepflegten und nutzbaren öffentlichen Raum.Ähnliche Annahmen werden auch von Buck entwickeltund noch durch ein weiteres Modell ergänzt (Buck2001: 2255). Nach Buck kann das Quartier auch alsRaum begriffen werden, in dem die Bewohner umbestimmte knappe Güter, wie z.B. die Versorgung durchInstitutionen wie Ämter oder Sozialstationen,konkurrieren. Buck entlehnt diese These der

6 Diese Hypothese beruht also auf einem vermuteten Zusammenhangzwischen Schichtzugehörigkeit und der Bereitschaft sowie der Fähig-keit zum erfolgreichen öffentlichen Engagement. Auf diesen Zusam-menhang soll hier nicht näher eingegangen werden. Zur Illustrationsiehe aber Kapitel 6.3, Hypothese 2.

7 Die erneute Verwendung des Kapitalbegriffs deutet schon daraufhin, dass die hier angesprochene Verarmung des Quartiers an Res-sourcen letztlich auf den erstgenannten Ursachen-Komplex „Verar-mung des Quartiers an Bewohnern, die über mehr kulturelles, sozialesund ökonomisches Kapital verfügen“ zurückzuführen ist. Die hier vor-genommene Trennung dient der Unterscheidung von unmittelbarenFolgen der Abwanderung durch das Unterbleiben von Interaktionenvon mittelbaren Folgen durch die Veränderung der lokalen Infra-struktur, die aber durch die Abwanderung verursacht wird.

Bildungsforschung, wo sie im Zusammenhang derErforschung unterschiedlicher Chancen auf Schulerfolgentwickelt wurde. Aus der Konkurrenzthese lassen sichdabei für stark segregierte Quartiere zwei gegensätz-liche Schlussfolgerungen ziehen. So könnten sich dieChancen auf Schulerfolg für Kinder aus sozial benach-teiligten Elternhäusern gerade durch eine zunehmendeHomogenisierung der Schülerschaft verbessern, da sieimmer weniger mit Schülern aus bildungsnäherenElternhäusern konkurrieren müssen. Auf der anderenSeite kann aber durch den hohen Anteil förde-rungsbedürftiger Schüler die Aufmerksamkeit und Kraftdes Lehrpersonals zu einer knappen Ressource werden.Während ein Lehrer oder eine Lehrerin für einigeSchüler sozialpädagogische Betreuung oder die Vermitt-lung von elementaren Grundfähigkeiten leisten muss,kann den anderen Schülern weniger Betreuung beimErlernen der eigentlichen Inhalte zuteil werden. Indiesem Fall bestünde eine zusätzliche Benachteiligungdurch Segregation in einer Überstrapazierung bestimm-ter Ressourcen durch einen hohen Anteil an Personen,die diese Ressourcen besonders stark in Anspruchnehmen.Als eine dritte Ursache potentieller Nachbarschafts-effekte nennt Häußermann die Folgen der Stigmatisie-rung eines Quartiers, z.B. durch seine Charakterisierungals „sozialer Brennpunkt“ in Medienberichten. Denkbarist nach Häußermann z.B., dass potentielle Arbeitgeber,sei es durch einen ökologischen Fehlschluss, sei esdurch unterbewusste Assoziation, ihre negativenVorurteile gegen ein Quartier auf jeden Bewerberübertragen, der angibt, in diesem Quartier zu wohnen(vgl. Häußermann 2000: 19).Gleichzeitig könnte das Stigma eines Stadtteils auch zurQuelle von Benachteiligung werden, indem es sich aufdas Selbstwertgefühl der Bewohner negativ auswirkt(vgl. ebd.). Die Bezeichnung eines Viertels als „sozialerBrennpunkt“ lässt es als ein schweres Schicksalerscheinen, dort leben zu müssen, so dass zu einergesellschaftlich stigmatisierten sozialen Lage, wie z.B.der Arbeitslosigkeit, noch eine gesellschaftlich geringgeschätzte räumliche Lage hinzutritt.Als ein dritter Effekt von Stigmatisierung sei hier nochein Aspekt ergänzt, der von Häußermann und Bucknicht explizit erwähnt wird, sich aber aus derenÜberlegungen ergibt. Die Stigmatisierung eines Quar-tiers kann die Dynamik des Wegzugs von Mittelschich-ten und damit die soziale Entmischung noch beschleu-nigen. Geht man davon aus, dass die in diesem Kapitelvorgestellten Nachbarschaftseffekte tatsächlich existie-ren und dass ihre Wirkung mit dem Grad der Segre-gation zunimmt, so folgt daraus, dass Stigmatisierungauch indirekt zu zusätzlicher Benachteiligung durchNachbarschaftseffekte führt.

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5.5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

In diesem Kapitel sollte diskutiert werden, anhandwelcher Hypothesen Segregation und segregierte Quar-tiere als Problem betrachtet werden. Dabei wurdegezeigt, dass gesellschaftliche Probleme wie z.B. Krimi-nalität und deren räumliche Konzentration oftfälschlicherweise auf Segregation als Ursache zurück-geführt werden. Jenseits dieses ökologischen Fehl-schlusses wurden dann sozialwissenschaftliche Modellevorgestellt, die die Vorstellung des segregierten Quar-tiers als Quelle zusätzlicher Benachteiligung dennochplausibel machen können. Gleichzeitig wurde auf diemethodischen Schwierigkeiten hingewiesen, die bishereinen klaren Nachweis negativer Nachbarschaftseffektefür deutsche Städte behindert haben.In Bezug auf die grundlegende Fragestellung diesesBerichts lassen sich aus den vorangegangenen Aus-führungen einige wichtige Schlussfolgerungen ziehen.Insbesondere ist deutlich geworden, dass ein politischesHandlungsprogramm, das sich auf quartiersbezogeneMaßnahmen stützt, nicht selbstverständlich als sinnvollzur Behebung von Problemen in segregierten Stadt-teilen betrachtet werden muss. Bedenkt man das Pro-blem des ökologischen Fehlschlusses, wird ersichtlich,dass Quartiere, in denen sich Probleme häufen, nochlange nicht die Ursache dieser Probleme sein müssen.Stattdessen ergibt sich die Häufung von Problemen inbestimmten Stadtteilen wohl in erster Linie aus der dortvorhandenen Dichte an Risikogruppen für abweichendesVerhalten unter der Bewohnerschaft. Trotzdem werdenzusätzliche benachteiligende Effekte durch Segregationin den Problembeschreibungen des Programms SozialeStadt als selbstverständlich vorausgesetzt. Als eine vonvielen Formulierungen, mit denen das belegt werdenkann, sei hier noch einmal der Satz zitiert, mit demdieses Kapitel eröffnet wurde: „Je mehr sich dieproblematische Situation in den Gebieten verfestigt,desto stärker wirken die Quartiere zugleich auch be-nachteiligend – zumindest aber die gesellschaftlicheRandlage verfestigend“ (www.sozialestadt.de).Nach den in diesem Kapitel berücksichtigten Autorenmuss diese Annahme als zweifelhaft, wenn auch nichtals falsch, betrachtet werden. Zumindest kann fest-gehalten werden, dass das Programm Soziale Stadtseine Legitimation auf einer Annahme gründet, die fürDeutschland sozialwissenschaftlich noch nicht verifiziertwerden konnte.Allerdings gilt es zu beachten, dass die Annahmenegativer Effekte durch Segregation nicht die einzigeGrundlage des Programms ausmacht. Jenseits derLinderung bestehender Benachteiligungen sollen dieMaßnahmen der Quartierspolitik auch das Quartier alsein Forum für Bürgeraktivitäten erschließen sowiePotentiale der Bewohner zur Selbsthilfe aktivieren. Indiesem Zusammenhang wird der Fokus auf die Ebenedes Quartiers damit begründet, dass viele der Bewohner

aus den größeren Funktionszusammenhängen derGesellschaft, wie dem Wirtschaftssystem oder dempolitischen System, zunehmend exkludiert sind unddaher ihr Engagement eher auf der Ebene ihrer tatsäch-lichen lokalen Lebenswelt, also dem Quartier, zuaktivieren sei (Vgl. Kapitel 2). Hier werden also „positiveNachbarschaftseffekte“ sowie die Erschließung „endo-gener Potentiale“ erhofft (vgl. Kapitel 5.3.2). DieseHoffnung ist selbstverständlich unabhängig von derFrage, ob das Quartier zusätzliche benachteiligendeEffekte hat.In Anbetracht der Tatsache, dass den angenommenenbenachteiligenden Effekten von segregierten Quartierenaber doch ein großes Gewicht bei der Begründung derNotwendigkeit von Quartierspolitik eingeräumt wird,sollten zwei nahe liegende Unterstellungen hier nichtunerwähnt bleiben. Zum Einen ließe sich unterstellen,dass die Durchsetzungsfähigkeit der ProgrammideeSoziale Stadt in der politischen Diskussion zum Teil aufeinen nahe liegenden und unmittelbar plausibelerscheinenden ökologischen Fehlschluss zurückzuführenist. Vor allem vor dem Hintergrund von Medienberichtenüber „soziale Brennpunkte“ kann im politischen KontextHandlungsdruck entstehen: „In diesen Quartierenhäufen sich Probleme, deshalb sind diese Quartiere einProblem, deshalb brauchen wir Quartierspolitik“ könnteeine Argumentation gewesen sein. Unbeachtet bleibtdabei, dass der eigentliche Ursprung vieler Probleme ineiner zunehmenden sozialen Ungleichheit sowiezunehmender Armut liegen, die mit Quartierspolitiknicht bekämpft werden können.In Bezug auf dieselbe Argumentation ließe sich auchunterstellen, dass sie bewusst vorgeschoben wird, umvon den tiefer liegenden gesellschaftlichen Ursachenvon Problemen abzulenken. Das Programm SozialeStadt erhielte in diesem Lichte den Charakter eines„Trostpflasters“ für die Armen und Benachteiligten,denen es zumindest ein leicht verschönertes Wohn-umfeld einbringen kann. Arbeitsplätze entstehendadurch jedoch nicht.Diese Überlegungen sollen allerdings der eigentlichenEvaluation des Programms nicht vorgreifen. Diese wirderst auf der Grundlage der folgenden Detailanalysen zuProblembeschreibung, Maßnahmenkatalogen und kon-kreten empirisch messbaren Umsetzungserfolgen mög-lich sein.

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Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter 2001: Integrationund Segregation – Überlegungen zu einer altenDebatte. In: Deutsche Zeitschrift fürKommunalwissenschaften, 40. Jg., Heft 1, S.68-79

Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter 2002: Die Mühender Differenzierung. In: Löw, Martina (Hg.):Differenzierung des Städtischen. Opladen: Leske +Budrich, S. 29-67

Herlyn, Ulfert 1990: Leben in der Stadt: Lebens- undFamilienphasen in städtischen Räumen. Opladen: Leske+ Budrich

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Joas, Hans (Hg.) 2001: Lehrbuch der Soziologie.Frankfurt a.M.: Campus Verlag GmbH

Kapphan, Andreas 2002: Das arme Berlin.Sozialräumliche Polarisierung, Armutskonzentration undAusgrenzung in den 1990er Jahren. Opladen: Leske +Budrich

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Karrer, Dieter 2002: Der Kampf um Integration – ZurLogik ethnischer Beziehungen in einem sozialbenachteiligten Stadtteil. Köln: Westdeustcher Verlag

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Krätke, Stefan 1995: Stadt, Raum, Ökonomie.Einführung in aktuelle Problemfelder der Stadtökonomieund Wirtschaftsgeographie. Basel: Birkhäuser

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Kronauer, Martin 2002: Eine neue soziale Frage: Armutund Ausgrenzung in der Großstadt heute. In: Walther,Uwe-Jens (Hg.): Soziale Stadt – Zwischenbilanzen. EinProgramm auf dem Weg zur Sozialen Stadt? Opladen:Leske + Budrich, S. 45-55

Kronauer, Martin 2004: Quartiere der Armen: Hilfegegen soziale Ausgrenzung oder zusätzlicheBenachteiligung? Unveröffentlichtes Manuskript

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Leiß, Birgit 2001: Gleiche Chancen? In: MieterMagazin12/2001: Berliner Mieterverein (Hg.)

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http://www.pankstrasse-quartier.de (06/2003)

http://www.quartiersmanagement-berlin.de (06/2003)

http://www.sozialestadt.de (05/2003)

http://www.sozialestadt.de/veroeffentlichungen/arbeitspapiere/endbericht/1.1.phtml (11/2003)

Quelle Abbildungen:

Abbildung 5.1Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 06/2003;www.berlin.de(www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/quartiersmanagement/de/boxhagener/index.shtml)

Abbildung 5.2Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 06/2003;www.berlin.de(www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/quartiersmanagement/de/pankstrasse/index.shtml)

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

130

Anhang 5.1 A

Fragebogen Pankstraße/Reinickendorferstraße:

(Der folgende Fragebogen entspricht inhaltlich dem Fragebogen zum Boxhagener Platz, so dass dieser hier

nicht mehr separat aufgeführt wird.)

Humboldt-Universität zu Berlin – Fragebogen zur Problemwahrnehmung

der Bewohner im Kiez Pankstraße/ Reinickendorfer Straße

August/ September 2003

Fragebogen

Im Rahmen eines studentischen Projektes an der Humboldt-Universität Berlin wollen wir mit diesem Fragebogen herausfinden,

wie die im Kiez Pankstr./ Reinickendorferstr. lebenden und arbeitenden Bewohner ihr Quartier beurteilen. Ihre Antworten helfen

uns dabei eine erste Bewertung des Bund-Länder-Programms ‚Soziale Stadt’ machen zu können. Wir danken Ihnen für Ihre Hilfe.

Alle Angaben bleiben selbstverständlich anonym.

A. Einführung:

1) Wohnen Sie im Quartier Pankstraße/ Reinickendorferstraße? (siehe Skizze auf Seite 4)

ja nein (weiter mit Frage 8)

2) Seit wann wohnen Sie in diesem Quartier? (Jahr angeben, z.B. 1950): __________

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

131

B. Wohnzufriedenheit

3) Wohnen Sie gerne hier?

ja nein (weiter mit Frage 5)

4) Warum wohnen Sie gerne in diesem Quartier? (Mehrfachnennung möglich)

gute Einkaufsmöglichkeiten nette Atmosphäre

schöne Wohnungen Familie wohnt hier

günstige Miete Bekannte/ Freunde wohnen hier

gute Freizeitmöglichkeiten gute Verkehrsanbindung

Sonstiges: ____________________________

5) Würden Sie Freunden/ Bekannten empfehlen, hier zu leben?

ja nein

6) Möchten Sie hier länger wohnen bleiben?

ja nein

7) Unter welchen Umständen würden Sie das Quartier verlassen?

besserer Verdienst Geburt eines Kindes Einschulung meines Kindes

Sonstiges: ______________________

8) Gefällt Ihren Bekannten/Verwandten das Quartier?

ja nein teils/teils

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

132

C. Wahrnehmung

9) Wie würden Sie dieses Quartier beschreiben? (Mehrfachnennung möglich)

idyllisch grün lebendig dreckig

attraktiv unattraktiv laut gefährlich

Sonstiges: ______________________

10) Auf einer Skala von sehr problematisch bis unproblematisch, welche der unten aufgeführten Begriffe empfinden

Sie als ein Problem in diesem Kiez und wie stark ist dieses Problem in Ihren Augen?

sehr weiniger unproble-

problematisch Problematisch weiß nicht problematisch matisch

Schmutz/ Dreck

bauliche Mängel

Lärm

Unterschiedliche Kulturen

Vandalismus

Bedrohung

zu wenige Spielplätze

zu wenige Grünflächen

11) Fühlen Sie sich in diesem Kiez sicher?

ja nein nur zu bestimmten Tageszeiten nicht:

Morgens

Mittags

Abends

Nachts

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

133

D. Angaben zur Person

12) Geschlecht: männlich weiblich

13) Alter: unter 18 18-25 26-35

36-50 51-65 66 und älter

14) Haushaltsgröße (Anzahl der Personen): _____

15) Davon Kinder: ______

16) Familienstand:

ledig eheliche Gemeinschaft eheliche Gemeinschaft & Kind/er

verheiratet verheiratet & Kind/er allein erziehend

17) Sind Sie berufstätig?

ja (weiter mit Frage 19) nein

18) Wenn Sie nicht berufstätig sind, sind Sie?

Azubi/ Schüler/-in Student/-in

Hausfrau/ Hausmann Pensionär

19) Welche Staatsbürgerschaft haben Sie?

Deutsch nicht Deutsch Staatenlos

20) In welchem Land wurden Sie geboren?

in Deutschland in einem anderen Land _________

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

134

Anhang 5.1 B

Interviewleitfaden: Bezirksamt

Gesprächseinleitung:

Vielen Dank, dass Sie sich für dieses Interview Zeit genommen haben.

Wir führen dieses Interview im Rahmen einer Evaluation des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ durch. Unser Teil desProjekts bezieht sich auf die Problemwahrnehmung der Gewerbetreibenden, der Bevölkerung und seitens der damit befasstenöffentlichen Stellen (Polizei, Bezirksamt) im Quartier. Ihre Aussagen helfen uns, besser zu verstehen, wie die Probleme diesesQuartiers von außen wahrgenommen werden. Selbstverständlich werden wir Ihre Angaben vertraulich behandeln.

Fragen:

- Arbeiten Sie mit dem Quartiersmanagement des Gebiets zusammen?- Wie sieht konkret ihre Arbeit aus?

- Wo liegen ihrer Ansicht nach die Hauptprobleme im Kiez/Gebiet?- Unterscheiden sich die Probleme im Kiez von den Problemen im restlichen Bezirk?- Gibt es ein Problembereich der herausragt (größer ist)?

- Hat es seit dem es das Bund-Länder-Programm ‚Soziale Stadt’ und das Quartiermanagement gibt,

Veränderungen (pos. und neg.) gegeben? Wenn ja, in welcher Hinsicht?- Lassen sich Veränderungen anhand statistischer Daten belegen?

- Arbeitslosenrate gesunken- Verbesserung der Infrastruktur- Stabilisierung der Anwohnerstruktur- Anzahl der Insolvenzen

- Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Stärken des Gebiets?

- Arbeiten sie mit ansässigen Unternehmen und dem Gewerbe zusammen? Wenn ja, wie sieht diese

Zusammenarbeit aus?- Hat sich ihrer Meinung nach Veränderungen in der Gewerbestruktur und der Gewerbevielfalt gegeben? Wenn ja

welche?

- Denken Sie, dass der Ansatz des Programmes Soziale Stadt gut geeignet ist Veränderungen zu

bewirken?- Sehen Sie Probleme im Bezug auf die Umsetzung des Programms? (z.B. Umsetzung, Koordination)

Vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen. Würden Sie bitte noch kurz einige Angaben zu Ihrer Person machen(Standarddemographische Angaben).

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

135

Anhang 5.1 C

Interviewleitfaden: Polizei

Gesprächseinleitung:

Vielen Dank, dass Sie sich für dieses Interview Zeit genommen haben.

Dieses Interview findet im Rahmen einer Evaluation des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt statt. Unser Teil des Projektsbezieht sich auf die Problemwahrnehmung der Gewerbe-treibenden in dem Gebiet. Ihre Aussagen helfen uns bei derAußenwahrnehmung der Probleme dieses Quartiers. Selbstverständlich werden Ihre Angaben vertraulich behandelt.

Fragen:

- Schätzen Sie die Kriminalitätsrate im Quartier ein. Eventuell haben Sie Statistiken, die Sie uns zur Verfügung stellen könnten?

- Welche Art von Kriminalität taucht besonders häufig im Quartier auf?

- Finden in diesem Quartier des öfteren Demonstrationen als Ausdruck der Unzufriedenheit mit dem Zustand des Kiezes statt?

- Wenn ja, wie oft?

- Arbeiten Sie mit dem Quartiersmanagement des Gebiets zusammen?- Wenn ja, in welcher Hinsicht?

- Hat es seit dem es das Bund-Länder-Programm ‚Soziale Stadt’ und das Quartiermanagement gibt, Veränderungen (pos. und neg.) gegeben?

- Wenn ja, in welcher Hinsicht?- Weniger Einsätze.- Soziale Mischung stärker.

- Abgesehen von der Kriminalität, wo sehen Sie weitere Probleme im Kiez?

- Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Stärken des Gebiets?

Vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen. Würden Sie bitte noch kurz einige Angaben zu Ihrer Person machen(Standarddemographische Angaben).

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

136

Anhang 5.1 D

Interviewleitfaden: Gewerbe

Gesprächseinleitung

Vielen Dank, dass Sie sich für dieses Interview Zeit genommen haben.

Dieses Interview findet im Rahmen einer Evaluation des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt statt. Unser Teil des Projektsbezieht sich auf die Problemwahrnehmung der Gewerbetreibenden in diesem Quartier. Selbstverständlich werden Ihre Angabenvertraulich behandelt.

Fragen

- Wann ist Ihr Laden eröffnet worden?

- Wieso haben Sie hier im Kiez Ihren Laden eröffnet? (nur bei Eröffnung nach 1999)- Wohnen Sie auch hier im Quartier?

- Fühlen Sie sich sicher hier im Kiez? Ist bei Ihnen schon einmal eingebrochen worden?

- Es gibt ja in diesem Quartier ein Stadtteilbüro (Quartiermanagement). Arbeiten Sie mit diesem zusammen?

- Wenn ja, inwiefern?- Wenn ja, ist diese Zusammenarbeit positiv?

- Finden Sie, dass es in diesem Kiez in den letzten 3 Jahren Veränderungen gegeben hat? - Wenn ja welche?

- Wie schätzen Sie die Ladenvielfalt im Kiez ein?

- Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Probleme im Kiez?

- Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Stärken im Kiez?

- Wie sehen Sie die wirtschaftliche Entwicklung allgemein im Kiez?Eher positiv oder eher negativ?

- Wie sehen Sie die wirtschaftliche Entwicklung speziell für Ihr Geschäft?Eher positiv oder eher negativ?

Vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen. Würden Sie bitte noch kurz einige Angaben zu Ihrer Person machen(Standarddemographische Angaben).

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

137

Anhang 5.3

Tabelle 5.9

Amst

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m:

Land

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Amst

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m:

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National: Welfare StateType: Liberal, Corporate,Socialdemocratic (L, C, S) S S S S C C C C C C C C C C L L L L L L L L

Are benefits generous? Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y N N N N N N N NAre benefits inclusive? (are all3 groups treated the same) Y Y Y Y N N N N N N N N N N Y Y Y Y N N N N

Is there a Working Poor? N N N N N N N N N N N N N N Y Y Y Y Y Y Y YIs there regulation of thenational economy /nationalcollective wages agreement)

Y Y Y Y N N N N

Do significant numbers ofpeople leave the educationalsystem without qualifications

N N N N N N N N N N N N N N Y Y Y Y N N N N

Does your welfare staterestrict residential mobility N N N N N N N N N N N N N N N N N N N N N N

Does the national budget fundarea based policies? Y Y Y Y N N N N N N N N Y Y Y Y Y Y N N N N

Quelle: Musterd/Murie 2002: 83

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

138

Tabelle 5.10

Amst

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m:

Land

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Amst

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Metropolitan InfluencesEconomic base: Services orManufacturing (S, M) S S M M S S M M S S M M S S S S M M S S M M

Is the economy booming orstruggling (B, S) B B S S S S B B B B B B B B B B S S B B S S

Is the population of the citygrowing? Y Y N N Y Y Y Y Y Y N N

Are the services providied by thecity in decline? N N N N N N N N Y Y Y Y

Does the public transport systemprevent spatial mismatches? Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y N N N N Y Y N N

Does the metropolitan or citybudget fund area based policies? Y Y Y Y N N Y Y Y Y

Quelle: Musterd/Murie 2002: 84

Tabelle 5.11

Amst

erda

m:

Land

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Amst

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Osd

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Neighbourhood Dynamics (a)Has the standing of theneighbourhood fallen, notchanged or risen (F, N, R)

N F F F F N R F R F F F F F F F N F N N R F

Is the neighbourhood Inner orOuter City I O I O I O I O I O I O I O I I I O I I I O

Is there predominantly publichousing or not (P, N) N P N P N P N P N P N P N P P P N P N N N P

Are there a range of voluntaryand private sectorneighbourhood services?

Y N Y N Y N Y N Y N Y N Y N N N Y N Y Y Y Y

Is almost all of the housingunpopular? N N N N N N N N N N N N N N N N N Y N N N Y

Is the neighbourhood intransition (high turnover)? Y Y Y Y Y N Y N Y Y N Y N N Y Y N Y N N N Y

Is there a thick infrastructure ofcommunity facilities? Y Y Y Y Y Y Y Y Y Y N N N N N N Y N N N N N

Quelle: Musterd/Murie 2002: 85

Konzeptionelle Grundlagen der Quartierspolitik

139

Tabelle 5.12

Amst

erda

m:

Land

lust

Amst

erda

m:

Osd

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Mid

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Rott

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Neighbourhood Dynamics (b)Are local networks becomingstronger or weaker? (S, W) W W W W W W W W W W W W W W W W S W W W W W

Is the neighbourhood culturallyhomogeneous or diverse ((H, D) ? D D D D D D D D D D D D D D D D D H D D H D

Has unemployment risen in thelast ten years? N N N N Y Y N Y N Y Y Y Y Y N N N N N N Y Y

Is the political support for theneighbourhood strong or weak?(S, W)

S S S S W W W S W W W W W W W W S W W W W W

Are there other major influenceson neighbourhood change (seenext page)

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

2 Big restructuring plans4 Demolition plans5 Economic impact of German Unification Process6 Ibid16 Sucession of major policy initiatives17 Only tecent inclusion in New Deal policy22 Huge demolition

Quelle: Musterd/Murie 2002: 86

140

6. Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

Uli Bahr, Steffen Engelke, Janina Galvagni, Katrin Kleinhans, Daniel Kovács, Robert Kühr, Ralf Metal, Mario Münster,Lisa Ruhrort, Nina Runde, Florian Schalke, Michael Schaub, Antje Schmücker, Christiane Scholz, Eva Tietze,Verena Unbehaun

6.1 Integriertes Handlungskonzept - Grundlagen und Umsetzungspraxis ................................. 142

6.1.1 Bedarf neuer Instrumente und Neuorientierung................................................................ 142

6.1.1.1 Anforderungen und Elemente des IHK ............................................................................. 143

6.1.1.2 Vernetzungsstrukturen – Ebenen und Akteure.................................................................. 144

6.1.1.3 IHK in der Praxis oder Erstellung eines IHK ...................................................................... 145

6.1.1.4 Ressourcenbündelung..................................................................................................... 145

6.1.2 Das „Neue Steuerungsmodell“ ......................................................................................... 146

6.1.2.1 Der Zusammenhang zwischen „Neuem Steuerungsmodell“ und dem Programm ?............... 146

6.1.2.2 Die Wechselwirkung ....................................................................................................... 147

6.1.3 Empirie .......................................................................................................................... 147

6.1.4 Erfolge bei der Umsetzung .............................................................................................. 148

6.1.5 Probleme bei der Umsetzung........................................................................................... 148

6.1.6 Fazit .............................................................................................................................. 149

6.2 Partizipation und Empowerment ...................................................................................... 150

6.2.1 Einleitung....................................................................................................................... 150

6.2.2 Programmziele der Bürgerbeteiligung .............................................................................. 150

6.2.3 Sozialkapitalkonzept – wissenschaftlicher Hintergrund der politischen Zielvorstellungen ...... 151

6.2.4 Empowerment................................................................................................................ 153

6.2.4.1 Aktivierung und Beteiligung– Schlüsselinstrumente im Rahmen des „Empowerments“ der Sozialen Stadt ..................... 154

6.2.5 Das Quartiersmanagement– Schlüsselinstrument der Bewohneraktivierung und –partizipation.................................... 155

6.2.6 Forschungsdesign........................................................................................................... 155

6.2.7 Merkmale der Quartiere und Strategien der Quartiersmanager .......................................... 156

6.2.8 Fazit .............................................................................................................................. 162

6.3 Die Schule als Focus der Quartiersentwicklung ................................................................. 163

6.3.1 Stigmatisierung von Schulen ........................................................................................... 163

6.3.2 Wirkung der Elternhäuser auf die Schule.......................................................................... 165

141

6.3.3 Überstrapazierung der Ressourcen...................................................................................167

6.3.4 Kollektive Sozialisation ....................................................................................................168

6.3.5 Die Schule kann positiv auf die Schüler einwirken .............................................................169

6.3.6 Die Schule kann positiv auf den Kiez wirken .....................................................................170

6.3.7 Zusammenarbeit von Schulen und Quartiersmanagements ................................................172

6.3.8 Fazit...............................................................................................................................173

6.4 Zusammenarbeit mit nicht-öffentlichen Akteuren ..............................................................174

6.4.1 Transforming Governance – Alte Städte, neue Aufgaben ...................................................174

6.4.2 Partnerschaften im Bereich „collective action“...................................................................175

6.4.3 Lokale Ökonomie ............................................................................................................176

6.4.3.1 Lokale Ökonomie im Programm Soziale Stadt ...................................................................176

6.4.4 Öffentlichkeitsarbeit ........................................................................................................177

6.4.5 Private Investoren im Programm......................................................................................177

6.4.6 Empirie ..........................................................................................................................177

6.4.7 Resumée ........................................................................................................................181

6.5 Fazit...............................................................................................................................182

Literatur .........................................................................................................................184

Anhang ..........................................................................................................................187

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

142

6. Neue Instrumente und Maßnahmen imProgramm Soziale Stadt

In den folgenden Kapiteln wird eine genauere Betrach-tung einiger ausgewählter Instrumente des ProgrammsSoziale Stadt vorgenommen. Beginnend mit dem Kapitel6.1 „Das Integrierte Handlungskonzept“, welches als einwichtiges Steuerungs- und Koordinierungsinstrumentangesehen wird, gehen wir dann im Kapitel 6.2 „Partizi-pation und Empowerment“ dazu über, Maßnahmen undInstrumente zur Bewohnerbeteiligung zu untersuchen.Bei der sich daran anschließenden Ausarbeitung inKapitel 6.3 „Die Schule als Focus der Quartiersent-wicklung“, stehen die so genannten „Nachbarschafts-effekte“ im Fokus der Analyse. Am Beispiel von Schulenwerden mögliche Einflüsse des Quartiers auf die Wohn-bevölkerung erkannt und auf deren Folgen für dieProgrammumsetzung eingegangen. Kapitel 6.4 „Koope-ration mit nicht-öffentlichen Trägern“ bildet mit derAnalyse einer besonderen Form der Partizipation vonAkteuren den Abschluss. Durch die Verarbeitung selbstdurchgeführter empirischer Umfragen sowie dem Her-anziehen bereits bestehender Datensätze zu denjeweiligen Themen, soll ein Überblick zum Umsetzungs-stand wichtiger Programmbausteine erreicht werden.Angesprochen werden hierbei Entwicklungen im Pro-grammverlauf, auftretende Anwendungsprobleme derInstrumente sowie positive und negative Erfahrungenbei der Planung und Umsetzung von Einzelmaßnahmen.Zusätzlich wird versucht, Prognosen über die zukünftigeBedeutung und Entwicklung der untersuchten Instru-mente und Maßnahmen abzugeben.

6.1 Integriertes Handlungskonzept- Grundlagen und Umsetzungspraxis

6.1.1 Bedarf neuer Instrumenteund Neuorientierung

„Auch hierzulande haben die Erweiterung des Auf-gabenspektrums, gewandelte Handlungserfordernisse,vor allem aber die Erkenntnis, dass Sanierungszieleauch nach Aufhebung des besonderen Stadtbaurechtsgesichert werden müssen ('Nachsorge') und dass invielen Bereichen präventiv angesetzt werden muss('Vorsorge'), dazu beigetragen, dass Stadterneuerungnicht mehr als zeitlich begrenzte, sondern als einedauerhafte Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländernund Gemeinden verstanden wird“

(Becker u.a.:1998: 10).

Mit dem Bund-Länder-Programm Soziale Stadt reagiertedie Politik auf die veränderten Rahmenbedingungen inden Städten. Um die komplizierten, sich teilweiseüberlagernden Probleme in benachteiligten Wohnquar-

tieren lösen zu können, sind integrative Handlungsan-sätze notwendig, die Förderung rein baulicher Maßnah-men reicht nicht mehr aus. Die neuen Strategienmüssen über die klassische Städtebauförderung mitihrem primär baulichen Ansatz hinausgehen. Die Abkehrvon rein städtebaulichen Maßnahmen führte zur Ent-wicklung von umfassenderen Konzepten und geht miteinem grundlegenden Wandel im politischen Ver-ständnis von Stadtentwicklung einher (zur Entwicklungin anderen europäische Ländern siehe Kapitel 4).„Der wesentliche Unterschied liegt [...] darin, dass diebaulich/städtebaulichen Aufgaben gleichberechtigtneben anderen Fachbelangen wie Beschäftigungspolitik,Sozialpolitik und Ökologie stehen“ (Zeitschrift derBayerischen Staatsbauverwaltung für Hochbau, Städte-bau, Wohnungsbau, Straßen und Brückenbau, Sonder-druck 9/99: 4).

Erkennbar wird diese Umorientierung z.B. in den vonBund und Ländern geschlossenen Verwaltungsvereinba-rungen zur Städtebauförderung, welche jährlich erar-beitet und verabschiedet werden. Hier heißt es: „Die Probleme der Stadtteile mit besonderemEntwicklungsbedarf sind mit einem integrierten Konzeptim Sinne einer ganzheitlichen Aufwertungsstrategie ineinem umfassenderen Zusammenhang zielgerichtetersozialer und ökologischer Infrastrukturpolitik anzu-gehen. […] Maßnahmebegleitend ist ein auf Fortschrei-bung angelegtes gebietsbezogenes integriertes stadt-entwicklungspolitisches Handlungskonzept durch dieGemeinden aufzustellen. Das Handlungskonzept(Planungs- und Umsetzungskonzept sowie Kosten- undFinanzierungsübersicht) soll zur Lösung der komplexenProbleme zielorientierte integrierte Lösungsansätzeaufzeigen, alle Maßnahmen zur Erreichung der Ziele –auch die anderer Bau- und Finanzierungsträger – erfas-sen sowie die geschätzten Ausgaben und derenFinanzierung darstellen“ (Verwaltungsvereinbarung2002, Artikel 2, Abs. 6).

Ganzheitliche Aufwertungsstrategie bedeutet zunächst,dass neben bekannten investiven Praktiken der Stadt-entwicklung nun auch verstärkt nicht-investive Maß-nahmen in die Planung mit einbezogen werden.Nicht-investive Maßnahmen sind sozial-, beschäfti-gungs-, bildungs-, umwelt- oder kulturpolitische Initia-tiven. Um diese Maßnahmen "aus einer Hand" zu kom-binieren und zu integrieren, bedarf es der Verzahnungder unterschiedlichen Politikfelder.

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

143

Dazu zählen insbesondere:

• Wohnungswesen und Wohnungsbauförderung

• Verkehr

• Arbeits- und Ausbildungsförderung

• Sicherheit

• Frauen

• Familien- und Jugendhilfe

• Wirtschaft

• Umwelt

• Kultur und Freizeit (vgl. Döhne/Walter 1999)

Die Formulierung „ganzheitlich“ bedeutet ebenfalls, dasstrotz der gebietsbezogenen Problemlagen bei der Ausar-beitung des Konzepts der gesamtstädtische Bezug nichtverloren gehen darf. Das Gebiet muss weiterhin seinerFunktion als Wohnort, Geschäftsstadtteil, u.ä. gerechtwerden.Dabei soll nicht an einem vermeintlichen „Idealstadtteil“orientiert werden, vielmehr soll die Machbarkeit derMaßnahmen und die vorhandenen Nutzungsstrukturenim Vordergrund stehen (vgl. Kapphan u.a. 2002: 43).In diesem Zusammenhang wird im Folgenden nicht nurauf die geforderte Vernetzung von Politikfeldern einge-gangen, sondern insbesondere auch die Reformorien-tierung auf Verwaltungsseite dargestellt. Koordinierungund Vernetzung zwingen die Verwaltungen, neueFormen der Kooperation zu suchen. Zu diesem Zweckwird der Reformansatz des „Neuen Steuerungsmodells“kurz vorgestellt. Dieser soll die durch die Übernahmebetriebswirtschaftlicher Organisationskonzepte sowieWettbewerbsorientierung ebenfalls zur Modernisierungadministrativer Handlungsstrukturen beitragen (vgl.Alisch 2002: 64). Zur Verdeutlichung wird hierzu derZusammenhang von integrierten Handlungskonzeptenund dem „Neuen Steuerungsmodell“ aufgezeigt.

6.1.1.1 Anforderungen und Elemente des IHK

Ansätze zur Lösung des in den vorigen Kapitelngeschilderten Problemdrucks und die daraus folgendeNeuorientierung finden sich im Programm Soziale Stadtals Integriertes Handlungskonzept (IHK) wieder. Dasintegrierte Handlungskonzept kann als das grundle-gende Element des Programms betrachtet werden. ZurProgrammumsetzung ist es bundesweit als wichtigstesSteuerungs- und Koordinierungsinstrument anerkannt.Seine strategische Bedeutung erhält es durch den ge-bündelten und zielgenauen Einsatz aller verfügbaren

Ressourcen. Neue Formen des Zusammenwirkens vonstaatlichen, halbstaatlichen und privaten Akteuren zumErreichen gemeinsamer Ziele sollen entwickelt werden.Der gesamtheitliche Anspruch des Instruments drücktsich also auch durch die Akquirierung neuer Akteureaus. Das integrierte Handlungskonzept bietet allenAkteuren einen Handlungs- und Orientierungsrahmen.Da ein starres Gerüst von Handlungsvorschriften undMaßnahmen nur hinderlich wäre, ist das Konzeptidealtypischerweise prozesshaft entwickelt undproblemorientiert.In diesem konzeptionellen Rahmen bleibt den Ländernund Kommunen viel Spielraum für die Entwicklung ihrerProjekte zur Bekämpfung von sozialräumlichen Dispari-täten. Die einzelnen Städte sollen jeweils maßgeschnei-derte Konzepte entwickeln, da die Umsetzung desProgramms „eher informelle als verregelte, eherunkonventionelle als traditionelle, eher experimentelleals routinisierte Verfahrensweisen“ (Becker/Löhr 2000:22) erfordert.Trotz der offen formulierten Ansprüche und Aufgabenwerden vom DIFU folgende Elemente bei der Ausar-beitung des Konzepts als sinnvoll erachtet. Sie bildendie notwendige Basis und sichern den leistungsfähigenEinsatz dieses neuen Instrumentariums.

Zunächst einmal basiert ein Integriertes Handlungs-konzept auf einer vorbereitenden Untersuchung, in derdie Probleme und Defizite des Gebietes genau benanntsind. Dies wird auch in Relation zur gesamten Stadtgesetzt, um so zu belegen, weshalb hier besondererBedarf besteht. Hierbei soll der Blick nicht nur aufDefizite und Probleme gelenkt werden, sondern auchdie Eigenkräfte und Chancen des Gebietes für eineErneuerung aufgezeigt werden. Dies können z.B. bür-gerschaftliches Engagement, bestehende Vernetzungenvon Institutionen sein, aber auch die Nutzung vonBrachflächen.Darauf aufbauend soll eine Analyse der gesamt-städtischen Bedeutung und Funktion des Gebietes erf-olgen (Struktur-, Problem- und Potenzialanalyse). DieAuswahl eines bestimmten Quartiers muss begründetund das Gebiet abgegrenzt werden. Bereits vorliegendeHandlungsprogramme und Einzelmaßnahmen wie z.B.städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnah-men oder Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnah-men sollen mit einbezogen werden. Dabei sollen Wohn-umfeldmaßnahmen und Stadtteilinitiativen zur Verbes-serungen der sozialen Infrastruktur beitragen. DasHandlungsfeld der Leitlinien und Entwicklungsziele bein-haltet die Formulierung eines Leitbildes, womit sowohlzentrale Leit- und Oberziele gemeint sind, als auchspezifische Entwicklungsziele für die einzelnen Hand-lungsfelder. Diese Ziele sollen untereinander vernetztund in die gesamtstädtische Entwicklungspolitik miteinbezogen werden. Besonders wichtig ist hierbei dieEinbindung der Quartiersbevölkerung und der Stadt-

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

144

teilakteure. Dazu müssen allerdings Maßnahmen zurBewohneraktivierung und -beteiligung im Rahmen derErarbeitung, Umsetzung und Fortschreibung des Hand-lungskonzepts ergriffen werden. In dem Handlungs-konzept sind die diversen Handlungsfelder aufgeführt,für die in der vorbereitenden Untersuchung Mängel undProbleme benannt worden sind. Diese müssen bear-beitet werden. Neben den aufgestellten Zielen und denerforderlichen Maßnahmen und Projekten müssen dieTräger, die Beteiligten, die Zielgruppen und ein Zeit-rahmen angegeben werden. Für das gesamte Konzeptsoll eine Kosten- und Finanzierungsübersicht für alleMaßnahmen und Projekte mit geschätzten Gesamt-kosten, Anteil kommunaler Mittel, Anteil privater Mittel,Anteil vorgesehener Fördermittel des Landes, desBundes und der EU ausgearbeitet werden (vgl. Beckeru.a. 2001).Dieses Konzept liegt zu Beginn in Umrissen vor und wirdlaufend konkretisiert (Fortschreibung), ggf. aucherweitert und ergänzt. Hierbei spielen die örtlichenAkteure eine wichtige Rolle. An diesem Prozess sind so-wohl die Quartiersbevölkerung, nicht-öffentliche Akteu-re, als auch das Quartiersmanagement beteiligt. Inte-griert ist so ein Konzept insofern, als die Ziele undVorhaben sowie ihre Auswirkungen aufeinander abge-stimmt sind. Integration ist vor allem deshalb erfor-derlich, weil ein so weitgespanntes Konzept nur mitvielen verschiedenen Akteuren umzusetzen ist. Nahezualle Dezernate bzw. Ämter der städtischen Verwaltungmüssen dabei mitwirken. Im Bereich der Organisation,des Managements und der Projektsteuerung sindOrganisationsformen innerhalb der Verwaltung ressort-und ämterübergreifend abzustimmen. Die Organisa-tions- und Managementstrukturen der Verwaltungsebe-ne, in intermediären Bereichen und der Quartiersebene(Quartiermanagement) sollen vernetzt werden.Maßnahmen zum Controlling der Umsetzung des Inte-grierten Handlungskonzepts sollen erarbeitet werden.Durch die fortlaufende Aktualisierung und Konkretisie-rung der hier angesprochenen Grundelemente, kann dieEntwicklung einer Sozialen Stadt als ein „lernendesSystem mit lernenden Akteuren“ bezeichnet werden.Eine qualifizierte externe Begleitung ist erforderlich,wobei sich alle Akteure einer solchen auswertendenBeratung stellen müssen. Hierzu dienen Monitoring undEvaluierung als wichtige Begleit- und Frühwarn-instrumente.

Typische Maßnahmen und Haupteinsatzbereiche derFördermittel sind quartiersbezogene Initiativen zurwirtschaftlichen Entwicklung, Beschäftigungsförderungauf lokaler Ebene, Gebäudeinstandsetzung und Moder-nisierung, Verbesserung der sozialen Infrastruktur undlokaler Einrichtungen, die Imageförderung des Gebietessowie der Aufbau intermediärer Instanzen wie z.B. desStadtteilmanagements.

„Ein Handlungskonzept entspricht dann der Forderung,integriert zu sein, wenn alle zur Lösung der Problemenotwendigen Handlungsfelder einbezogen werden [....]“(www.soziale-stadt.de).Auch hierbei soll eine Verknüpfung zu Mehr-Ziel-Maß-nahmen und -projekten führen.

6.1.1.2 Vernetzungsstrukturen– Ebenen und Akteure

Die Tatsache, dass am Stadtentwicklungsprozess eineVielzahl neuer Akteure beteiligt sind:

- Akteure aus neuen Politikfeldern auf Kommunal-und Landesebene

- nicht-öffentliche Akteure auf Stadtteil- undGebietsebene (z.B. Firmen, Verbände, Kirchen)

- Quartiersbevölkerungmacht es notwendig, eine effektiveKommunikationsstruktur aufzubauen, um bei derErarbeitung und Durchführung die Akteursinteressenzu koordinieren.

Als Beispiel für eine solche Struktur ziehen wir dieVernetzungsstrukturen aus Nordrhein-Westfalen heran,da dieses Bundesland die längste Anwendungspraxis(seit 1993) integrierter Stadtentwicklung besitzt.

Die drei Handlungsebenen mit zentralen Akteuren inNordrhein-Westfalen

Abb. 6.1

Quelle: http://www.soziale-stadt.nrw.de

Es handelt sich hierbei zwar um ein Beispiel aus derPraxis, zeigt aber deutlich die verschiedenen beteiligtenEbenen und Akteure auf. Von besonderer Bedeutungsind hierbei die Einrichtungen einer interministeriellen

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

145

Arbeitsgruppe auf Landesebene, einer Lenkungsgruppeauf kommunaler Ebene, das Quartiersmanagement undandere Beteiligungsgremien auf Stadtteilebene, welchedie horizontalen und vertikalen Vernetzungsaufgabenübernehmen.Eine interministerielle Arbeitsgruppe setzt sich aus denbeteiligten Ressorts der Landesregierung zusammen.Sie übernimmt die Koordinierungsmaßnahmen aufLandesebene, z.B. die Entscheidung über die Aufnahmebestimmter Gebiete in das Programm.Die ämterübergreifende Lenkungsgruppe übernimmt dieSteuerung der Programmumsetzung auf kommunalerEbene. Sie setzt sich aus Vertretern der am Stadtteilent-wicklungsprozess beteiligten Politikfelder zusammen.Zudem ist die Bestimmung eines federführenden Amtesvorgesehen. Dies ist häufig das Planungs- oder das fürden Bereich Jugend und Soziales zuständige Amt, daseinen Koordinator einsetzt, der als Ansprechpartner fürdas kommunale Handlungskonzept dient. Als Optimal-lösung wird dabei eine sog. Tandemlösung angestrebt,bei der das Bau- und Planungsamt gemeinsam mit demAmt für Soziales die Koordination übernimmt. Dieswürde dem integrativen Ansatz zusätzlich entsprechen.Die Kommissionen und Arbeitsgruppen, in der stadtteil-externe Beteiligte zusammenkommen, leisten die„vertikale Vernetzung“. Dies sind vor allem Vertretervon fördernden Institutionen, von Investoren, Ge-schäftsbetreiber und Politiker. Das Stadtteilforum oderArbeitsgruppen leisten die „horizontale Vernetzung“ imQuartier. Auf Gebietsebene gilt das Stadtteil- oderQuartiersmanagement als die „treibende Kraft vor Ort“und wird oft als das Schlüsselinstrument für dieProgrammumsetzung genannt.Die weiteren Aufgaben des Quartiersmanagementswerden im Zusammenhang der Bürgerbeteiligung undAktivierung im Kapitel 6.2 genauer betrachtet.

6.1.1.3 IHK in der Praxisoder Erstellung eines IHK

Die tatsächliche Gestaltung der Konzepte in deneinzelnen Gebieten variiert in Form von der Aufnahmeder einzelnen Punkte und deren Gewichtung sehr stark.Die reale Umsetzung ist also unterschiedlich.Da es keine klare Strategie für den Aufbau, Form undInhalt bei der Erstellung problemlagenorientierter,gebietsbezogener Konzepte gibt, die einen offenen undflexiblen Handlungsrahmen bieten sollen, sorgte dergroße Handlungsspielraum zu Beginn des Programms inden einzelnen Kommunen für Unsicherheit. Eine Erhe-bung des DIFU, die den Implementationsstand vom Mai2001 zeigt, verdeutlicht die anfänglich zurückhaltendeAnwendungspraxis in den Kommunen der 16 bundes-weiten Modellgebiete.„In sieben Gebieten... gibt es kein IntegriertesHandlungskonzept; für drei Gebiete wird berichtet, dass

ein Konzept ausgearbeitet werde, und lediglich fürsechs Gebiete wird mitgeteilt, dass ein IntegriertesHandlungskonzept vorliege“ (www.soziale-stadt.de).Ergebnisse neuerer Erhebungen machen jedoch deut-lich, dass die anfängliche Skepsis und Unsicherheit derAkteure gegenüber diesem Instrument stark zurück-gegangen ist.„So wurden bis Mitte des Jahres 2002 [...] für elf der 16Modellgebiete Integrierte Handlungskonzepte erarbei-tet“ (Endbericht: 78).Im Programmverlauf verwirklichte sich die Idee, „einlernendes System mit lernenden Akteuren zu schaffen“immer mehr.Deutlich erkennbar ist, dass mit den offenen Handlungs-rahmen auf ganz unterschiedliche Weise „Bottom-up-„und „Top-down-Strategien“ zur Erstellung der Konzeptemiteinander verbunden werden (vgl. DIFU 2003: 85).Bei der Erstellung eines integrierten Handlungskonzeptsstellt sich zu Beginn zwangsläufig die Frage nach Artund Zeitpunkt der Bürgerbeteiligung. Ist es beispiels-weise ratsam, die Bürger nach dem „Bottom-up“-Prinzipbereits bei der Erstellung des IHK mit einzubeziehenoder sollte man mit einem von der Verwaltung vorge-fertigten Konzept auf „Werbetour“ gehen? Dies bedeu-tet für die Praxis, dass mit einer frühzeitigen Bürgerbe-teiligung eher Akzeptanz und Mithilfe erreicht werdenkann. Um die vielfältigen Akteursinteressen berück-sichtigen zu können, ist ein vermehrter Koordinations-aufwand notwendig. Diese Vorgehensweise hat denVorteil, dass durch die dabei erworbene Innenwahr-nehmung mögliche Fehlkonzeptionen und -investitionenvermindert werden können.Akute Problemlagen und Handlungsdruck erfordernjedoch ein schnelles Vorgehen. Aus diesem Grund wirdin der Anlaufphase des Programms, d.h. bei der Erstel-lung des IHKs, auf eine „Top-down“-Strategie zurückge-griffen. Die Bürgerbeteiligung und Programmakzeptanzwird bei dieser Vorgehensweise meist durch Leucht-turmprojekte, also kurzfristige, prestigeträchtige, zu-meist bauliche Maßnahmen, gesichert (vgl. Zühlke1998).Im Programmverlauf wurde zunehmend die Erfahrunggemacht, dass je frühzeitiger ein IHK vorliegt, destozielgerichteter und weniger „inkrementalistisch“ verläuftdie Stadtteilentwicklung (vgl. DIFU 2003: 86). Doch derZeitpunkt der Bürgerbeteiligung hängt auch immer vonden gebietstypischen strukturellen Bedingungen ab.Dies wären z.B. bereits bestehende Beteiligungsgremienim Quartier, Voraussetzungen in der Verwaltung oderfinanzielle Möglichkeiten.

6.1.1.4 Ressourcenbündelung

Für die Erstellung eines integrierten Handlungskonzeptsund die Programmumsetzung ist die Bündelung vonRessourcen unerlässlich. Die in den Verwaltungsverein-barungen geforderte Ressourcenbündelung meint aller-

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

146

dings keine rein additive Zusammenführung verschie-dener Förderprogramme in einem Gebiet. Eine einfacheÜberführung mehrererStadtentwicklungsprogramme in ein einheitliches Bud-get stellt somit auch kein koordiniertes Handeln dar. Esist wichtig, verschiedene Fördermittelgeber und denkoordinierten Einsatz von finanziellen und personellenRessourcen aus unterschiedlichen Politikfeldern aufein-ander abzustimmen (vgl. Soziale Stadt info 9).Herkömmliche sektorale Handlungs- und Finanzierungs-ansätze sollen damit überwunden werden, um so einen"synergetischen Mehrwert" zu erhalten und damit dieWirksamkeit der Gesamtmaßnahme entscheidend zuverbessern (vgl. Band 7 Arbeitspapiere Soziale Stadt2002).Mit diesen erhofften Synergieeffekten folgt man demLeitgedanken, dass das Ergebnis „mehr wird, als dieSumme einzelner Teile“ (Net-Lexikon).Zu den Innovationen des Programms sind aber nichtnur die vorgesehene ressortübergreifende Kombinationvon Fördermitteln oder die stärkere Berücksichtigungnicht-investiver Ansätze zu zählen, vielmehr sollen neueVerwaltungs- und Managementstrukturen erprobtwerden.Die Neuorientierung der Politik und der Verwaltung inder Bundesrepublik Deutschland trägt einem „neuenStaatsverständnis“ im „Sinne eines 'aktivierendenStaates' mit nachhaltigen Veränderungen für Staats-und Verwaltungsstrukturen“ Rechnung (vgl. Becker/Löhr 2000: 22).Die Bündelung öffentlicher und privater Ressourcen inschwierigen Stadtteilen folgt nicht zuletzt auch derAnforderung, die immer knapper werdenden Mittelöffentlicher Haushalte möglichst sparsam und effizienteinzusetzen.Die Forderung einer bürgernahen und effektivenVerwaltung, die kompetente Ansprechpartner bereit-stellt, findet sich ebenfalls in dem Konzept des „NeuenSteuerungsmodells“. Hierbei lässt sich deutlich er-kennen, dass die Anforderungen an die Verwaltungkeineswegs neu sind.

6.1.2 Das „Neue Steuerungsmodell“

Das "Neue Steuerungsmodell" (NSM) ist ein 1991 vonder Kommunalen Gemeinschaftsstelle (KGSt) ent-wickeltes umfassendes Modell zur Verwaltungsmo-dernisierung und -vereinfachung.Es beinhaltet folgende Ziele:

• die Weiterentwicklung und Anpassung derVerwaltung an die gestiegenenQualitätserwartungen und Serviceansprüche,

• die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und derEffektivität der Verwaltung,

• eine Verstärkung der Dienstleistungs- undKundenorientierung.

Um eine Steigerung von Effektivität, Bürgerorientierungund Effizienz in der Verwaltung zu bewirken, sieht dasModell verschiedene Instrumente wie Deregulierung,Dezentralisierung, Kosten- und Leistungsrechnung unddes Controlling vor.Durch eine Deregulierung werden Normen, Gesetze,Vorschriften und Verordnungen reduziert, dezentraleZuständigkeiten und Eigeninitiativen dagegen forciert.Das Ziel der Deregulierung ist es, den Verwaltungsauf-wand zu verringern und die internen Verwaltungsvor-gänge effizienter zu gestalten. Dazu sind Maßnahmender Dezentralisierung notwendig. Hierbei handelt es sichum die Abgabe von Verantwortung an untergeordneteEbenen mit dem Ziel eines effizienten Mitteleinsatzesvor Ort. Die Schaffung kompetenter problemnaherAnsprechpartner in der Verwaltung soll ebenfallssichergestellt werden. Mit dieser Delegation vonEntscheidungsmacht auf die ausführenden, marktnahenMitarbeiter in der Organisation wird die Abwendung vonzentralisierten Hierarchien forciert. Am Ende des Pro-zesses der Devolution sollte eine netzwerkartige,weitgehend hierarchiefreie Organisationsform stehen(vgl. KGSt 5/93).Der Absicht des „Neuen Steuerungsmodells“, dieBürokratie zu effektiverem und effizienterem Handels zumotivieren, dient u.a. die Budgetierung. An Stellejährlicher pauschaler Zuschläge tritt eine genau zukalkulierende Ressourcenmenge (vgl. Reinermann/Heinrich 2000).

6.1.2.1 Der Zusammenhang zwischen dem„Neuem Steuerungsmodell“ und demProgramm Soziale Stadt ?

Schlagworte wie „netzwerkartig“, „aktivierender Staat“,„Bürgerorientierung und deren Aktivierung“ lassenbereits erkennen, dass das Instrumentenset desProgramms und des „Neuen Steuerungsmodells“ durch-aus Parallelen zum Erreichen ihrer Ziele aufweisen. Siewirken in derselben Umgebung, denn alle Gebiete derSozialen Stadt sind auch Wirkungsgebiete von Hand-lungen der Verwaltung.Daraus ergibt sich unsere Schlussfolgerung, dass einezeitlich vorgelagerte Reform der Verwaltungsstrukturund die dabei getroffenen Maßnahmen wie Dezentra-lisierung, Bürgeraktivierung, Herstellung eines funkti-onsfähigen Kontraktmanagements etc. durchaus Wir-kung auf das sich zeitlich anschließende ProgrammSoziale Stadt haben kann.

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

147

Kompetente, problemnahe Ansprechpartner in der Ver-waltung sind vorhanden, was eine wichtige Grundlagefür die Schaffung einer kooperativen Kommunikations-struktur im Quartier ist. Die netzwerkartige Zusammen-arbeit und deren positive Folgen (Synergieeffekte) sindden Akteuren im Quartier nicht mehr fremd.

6.1.2.2 Die Wechselwirkung

Bereits durchgeführte Evaluationen zum Umsetzungs-stand der Verwaltungsreform NSM zeigen jedoch, dassbei weitem nicht alle Ziele erreicht wurden. DieBeständigkeit eingeschliffener Prozesse ist groß und oftzeigt sich nur eine Reformfassade bzw. eine Teilreforminnerhalb der Verwaltung.Die Anforderungen, die das Programm Soziale Stadt andie Verwaltungsakteure stellt sind immens, aberunabdingbar für dessen Umsetzung. Somit baut sicherneut Reformdruck auf, dem die Akteure begegnenmüssen. Die akuten Problemlagen in den Quartierenund die Einbindung der Bevölkerung und andererAkteure im Quartier können dazu führen, dass dieabgeebbte Reformwelle in der Verwaltung wieder insRollen kommt und sich so der Umsetzungsstand derVerwaltungsmodernisierung erhöht. Die Notwendigkeitvon effektiven und effizienten Verwaltungshandeln ist inden angesprochenen Quartieren sehr hoch. Damitwerden diese zu optimalen Prüfsteinen für die Funktioneiner „modernen Verwaltung“. Gute Zusammenarbeitbei Projekten bestätigt die erfolgreiche Umsetzung vonReformzielen und schafft Vertrauen. Um von einer„modernen Verwaltung“ sprechen zu können, müssenerkannte Mängel allerdings erst beseitigt werden.Je nach Größe des Erfolges in der Umsetzung des„Neuen Steuerungsmodells“, muss die Verwaltung zuden Problemen oder zu den Potenzialen innerhalb desQuartiers gezählt werden.

6.1.3 Empirie

Durch leitfragengestützte „Experteninterviews“ (Gesprä-che mit QuartiersmanagerInnen und einer Projekt-koordinatorin) haben wir versucht, der bei dem Impuls-kongress „Integratives Handeln für die soziale Stadtteil-entwicklung" (2001) aufgeworfenen Fragestellung nachder Wechselwirkung vom „Neuen Steuerungsmodell“und den Anforderungen des Programms Soziale Stadtnachzugehen.Im Einzelnen sollten Fragen nach Art, Umfang undIntensität der im Quartier aufgebauten Kommunikati-ons- und Vernetzungsstrukturen beantwortet werden.Von besonderem Interesse waren dabei konkreteAnsprechpartner in der Verwaltung und im Quartiersowie der Implementationsstand der jeweiligen inte-grierten Handlungskonzepte. Fragen nach der Erstellung

des IHKs, den daran beteiligten Akteuren, den für dieProgrammumsetzung verwendeten Handlungsfeldernsowie Fragen zur Finanzierung und zur wissenschaft-lichen Begleitung sollten Aufschluss darüber geben,inwieweit den Anforderungen des Programms in denunterschiedlichen Gebieten gefolgt wird. Zudem wurdendie im Umsetzungsverfahren auftretenden Problemeund Projekterfolge abgefragt.Aufgrund des geringen Umfangs der geführten Exper-teninterviews besitzen die Ergebnisse nur beschränkteAussagekraft. Gespräche wurden mit der Quartiers-managerin der Programmgebiete Rostock-Schmarl undRostock Groß-Klein in Mecklenburg–Vorpommern undmit dem Quartiersmanager des ModellgebietesHamburg- Altona-Lurup: Lüdersring/Lüttkamp und dasFlüsseviertel geführt. In Berlin stand uns die Projekt-koordinatorin der Senatsverwaltung für Stadtentwick-lung Berlin und die Quartiersmanagerin des Modellge-bietes Berlin Friedrichshain-Kreuzberg/Wrangelkiez zurVerfügung.Übereinstimmende Aussagen der unterschiedlichenGebiete haben ergeben, dass die Konzeption des inte-grierten Handlungskonzepts ganz unterschiedlicheUrheber hat. Ein Bürgerforum bzw. Runde Tische derVerwaltung waren genannte Möglichkeiten, die bei derErstellung des IHK grundlegende Vorarbeit geleistethaben. Auffällig war, dass die Handlungsfelder Ökologieund Gesundheit bei der Programmumsetzung nurgeringe oder keine Berücksichtigung fanden. Begründetwurde dieser Mangel mit der Priorität anderer Hand-lungsfelder zur Problembehebung in den Gebieten.Insgesamt wurde eine offene Zielsetzung des Inte-grierten Handlungskonzepts für wichtig erachtet, diesstellt aber ein Vermittlungsproblem gegenüber derBewohnerschaft dar („zu abstrakt“). Dieses Defizit kannunter Umständen durch das Einsetzen eines Moderatorsverringert werden.Im Bereich des Stadtteilmanagements hat insgesamteine gute Implementation stattgefunden, wobei dieQuartiersmanager die Koordinations- und Vermittlungs-zentrale bilden. Die erforderte Schnittstellenfunktionwird als erfüllt angesehen.Die Finanzierung der Maßnahmen ist in vielen Fällennoch recht unklar. Die Co-Finanzierung stellt einebesondere Schwierigkeit dar, da die Kooperation mitprivaten Investoren sehr zurückhaltend umgesetzt wird.Ein schrittweises Vorgehen, bei dem die Erneuerungs-maßnahmen in die gesamtstädtische Entwicklung miteinbezogen werden, hat zu ersten Erfolgen geführt.Eine Erfolgskontrolle und Berichterstattung wurdendurchgeführt, sind aber kostenabhängig. Gesichert sinddiese in erster Linie für die Modellgebiete, die durch diePvOs (Programmbegleitung vor Ort) umgesetzt wurden.In allen Fällen wurde die Notwendigkeit der politischenRückendeckung konstatiert, diese bleibt allerdingsebenfalls projekt- bzw. finanzmittelabhängig, wenn die

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

148

entsprechenden Maßnahmen einen Prestigegewinn fürdie Politik bedeuten.Sog. Stadtteilfonds bzw. ein Verfügungsfond, über dendie Bewohner vor Ort verfügen können, wurden einge-richtet und Stadtteilkonferenzen mit 50-100 Beteiligten(in Berlin und Hamburg) liefen recht erfolgreich.Insgesamt kommt etwas wie ein „lernendes System“zustande.Somit zeigt sich, dass die strukturellen Vorgaben durchdas Einsetzen eines Quartiersmanagements, demBetreiben eines Stadtteilbüros und der Schaffungweiterer Beteiligungsgremien der Bewohnerschaft weit-gehend umgesetzt worden sind. Die Kommuni-kationsstrukturen zwischen der Verwaltung und denGebietsbeauftragten befinden sich teilweise noch imEntwicklungsprozess, es gibt aber eine Verstetigungs-tendenz. Auf dieser kann aufgebaut werden, um dieDefizite in den Bereichen der Projektfinanzierung unddes Controllings abzubauen. Als Problem einer lang-fristigen Programmplanung wird die Unsicherheit überFinanzierung, Fortschreibung und weitere Laufzeit desProgramms gesehen, an deren Ende trotzdem selbst-tragende Strukturen stehen sollten.

6.1.4 Erfolge bei der Umsetzung

Ob Entscheidungsmacht an die örtlichen Akteureabgeben wird, zeigt sich, wenn die Arbeitsweise einerfederführenden Stelle funktioniert. Die Kooperation desStadtteilmanagements mit der Verwaltung solltedarüber gewährleistet sein. An der Form der Zusam-menarbeit mit den kommunalpolitischen Gremien,Stadt-rat und dessen Fraktionen, ggf. auch Bezirksrato.ä., lässt sich ablesen, ob dieses Programm „gewollt“ist. Wesentliche Entscheidungen müssen diesen Gre-mien vorbehalten bleiben, entscheidend ist aber inwie-weit sich diese Gremien auf das integrierte Handlungs-konzept einlassen und sich als ein Teil der kommuni-kativen Planung begreifen. Ob eine derartige Machtver-schiebung hin zu den örtlichen Akteuren wirklich statt-findet, kann man an der Einrichtung eines sog.„Stadtteilfonds“ ablesen. Diese Verlagerung von Ent-scheidungsbefugnissen stützt das Engagement in derBewohnerschaft (vgl. DIFU 2003). Mit dem Stadtteilfondsollten Projekte im Stadtteil finanziert werden können.Ein Gremium der lokalen Akteure, z.B. das Bürgerforum,kann dabei selbst über die Mittelverwendung ent-scheiden.An vielen Stellen ist ein neuer integrativer, aufKooperation ausgerichteter Politikansatz schon instal-liert. Positive Auswirkungen können sich weiterhin erge-ben, wenn sich diese Herangehensweise auf weiterePolitikbereiche ausdehnt. Eine große Bedeutungsymbolischer Politik entfallen auf die sog. Schlüssel-oder Leuchtturmprojekte, die zwar nur auf kurzfristigeVeränderungen abzielen, jedoch einen hohen Stellen-

wert als Motivationssteigerung aller beteiligten Akteurebesitzen. Durch diese Projekte entsteht eine Aufbruch-stimmung und das „Wir“-Gefühl wird gestärkt. Durchdie Verwendung sämtlichen Know-hows und Frei-willigenarbeit entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, dasweitere Ressourcen mobilisieren kann.

6.1.5 Probleme bei der Umsetzung

Ein grundlegendes Problem besteht in der vorgege-benen Kompetenzverteilung nach dem Ressortprinzipsowie in der Aufgabenverteilung zwischen Bund undLändern (vgl. GG Art.83ff.). Dies erschwert eine Bün-delung auf Bundesebene, d.h. verschiedene Bundesmi-nisterien, die auch gebietsbezogene Förderung durch-führen, haben keinen Einfluss auf die Gebietsauswahl,da die in die Zuständigkeit der Länder fällt.Das klassische Domäneverhalten der verschiedenenRessorts ist immer noch stark ausgeprägt. Somit ver-bleibt die Integrationslast bei den öffentlichen Projekt-trägern, wie Initiativen, Vereinen oder Bürgergruppie-rungen. Eine Folgerung daraus wäre, dass die Verwal-tung vor Ort gehen muss, damit Verwaltungsmitarbeitereinen Perspektivenwechsel erleben und somit die Logikdes Stadtteils begreifen können. Auf die Verwaltungkommt somit eine „als Spagat empfundene Doppelrolle“(vgl. DIFU 2003: 22) zu, da sie eine neue, aufKooperation und Konsensfindung basierende Steue-rungsform erfüllen soll, weiterhin aber eher „traditio-nelle“ Verwaltungsaufgaben für die Programmteilnahmeübernehmen muss (z.B. Gebietsauswahl, Federführungbei der Erarbeitung des Integrierten Handlungskon-zepts, Mittelverwaltung und -abrechnung, Kosten-controlling). Mit den eingeforderten experimentell-progressiven Ansätzen gebietsbezogener Kooperationenist ein hoher Zeitaufwand auch mit den außerhalb derVerwaltung stehenden Akteuren verbunden.Ein weiteres Problem zeigt sich bei der Realisierung derProjekte. Durch mangelnde personelle Ressourcen inder Verwaltung verstreicht viel Zeit zwischen Projekt-antrag und der Entscheidung darüber, so dass vielebeteiligte Akteure entmutigt aufgeben. LangwierigeAbstimmungsprozesse, bürokratische Hürden, unklareKompetenzverteilungen oder personelle Überforderungkönnen zum Erlahmen von Initiativen führen und selbstkurzfristige Maßnahmen erschweren. Hierbei ist deutlichzu erkennen, dass ein schnelles Handeln der Verwaltungnotwendig ist. Dies bedarf der notwendigen Verwal-tungsinnovation und einer Neuorientierung der Ver-waltung im Sinne des „Neuen Steuerungsmodells“.Der hohe Erwartungs- und Erfolgsdruck, der seitens derPolitik auf das Programm ausgeübt wird, stellt einProblem dar, falls langfristig angelegte Planungzugunsten von kurzfristigen punktuellen Leuchtturmpro-jekten vernachlässigt wird. Eine immer lauter werdendeKritik an solchen Prestige-Projekten lässt das Programm

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

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zur „Bühne eines Schmierentheaters für Kommunal-politiker“ verkommen. Um die Kontinuität derProgrammumsetzung zu unterstützen, sollte die Fort-schreibung frei von aktuellen politischen Machtkon-stellationen sein.Das Finanzvolumen entspricht dabei oftmals nicht demAusmaß der Probleme (vgl. Becker/Löhr 2000: 22). Eineweitere Schwierigkeit besteht in der Unterschiedlichkeitder Fördertöpfe. Durch unterschiedliche Laufzeiten wirddie zeitgleiche Bündelung der Fördermittel erschwert.Die Bündelung unterschiedlicher Förderprogramme istfür die zuständigen Akteure auf kommunaler Ebene miteinem hohen Koordinationsaufwand verbunden. Außer-dem besteht die Gefahr, dass Haushaltssperren undGesetzesänderungen Projektabschlüsse und Anschluss-finanzierungen gefährden. Die Umsetzung integrierterProgramme setzt jedoch eine Kontinuität der Förderungvoraus (vgl. Becker/Franke/Löhr 1998: 41). Zudembesteht keine Regelung, wann „Bottom-up-“ (d.h. Stra-tegien mit besonderen Beteiligungsangeboten wiebeispielsweise Zukunftswerkstätten, Runden Tischenoder Bürgergutachten) und wann „Top-down-Strate-gien“ (d.h. die Konzepterarbeitung wird ausschließlichvon der Verwaltung übernommen) von Vorteil sind (vgl.DIFU 2003).

6.1.6 Fazit

Es besteht die Gefahr, dass das Programm Soziale Stadtzu einer bloßen Aufstockung der traditionellen Städte-bauförderung verkommen könnte. Aus diesem Grundwird es zukünftig noch wichtiger sein, die innovativenAnsätze zu verallgemeinern. Gelingt eine breite Über-einstimmung zwischen allen Beteiligten, kann aus demintegrierten Programm Soziale Stadt mittel- oder länger-fristig ein Grundmodell für die gesamte Stadtentwick-lungspolitik werden. Ob das Programm Soziale Stadteine reale Chance hat hängt davon ab, ob lokaleAkteure zur Mitarbeit gewonnen werden können. Ent-scheidend ist aber auch das tatsächliche Koopera-tionsverhalten von Verwaltung und Politik, wofür dieFinanzen einen wichtigen Indikator abgeben. Sofern fürdie Planung und vor allem für deren Ausführung, z.B.für die Vergabe von Geldern, die Zustimmung vonÄmtern oder Abteilungen erforderlich sind, müssendiese Entscheidungen über die eine federführende Stellerasch herbeigeführt werden. Für die kommunale Ver-waltung ist ein derartiger Handlungsansatz fast immerungewohnt. Die Abteilungen und Ämtern sind nachspezifischen Zuständigkeiten geordnet, es herrschenhierarchische Entscheidungswege. So ein integriertesHandlungskonzept macht es unbedingt erforderlich,dass die Verwaltung beginnt, sozialräumlich zu denken.Die Aussagen aus dem DIFU-Endbericht (2003) undunsere Empirie-Ergebnisse sind unter Vorbehalt zubetrachten, da das Programm langfristig angelegt ist

und somit Sachverhalte, welche zum jetzigen Zeitpunktnoch als Probleme beschrieben werden, sich mitProgrammverlauf nivellieren könnten. Momentan sindPlanung und Umsetzung von Programmvorhaben immernoch stark von Schlüsselpersonen, vor allem in Berei-chen der Verwaltung, abhängig. Ein Perspektiven-wechsel in den Köpfen könnte auch zu einem Wandeldieser Akteure von „Bürokratiesperren“ hin zu engagier-ten Akteuren auf der Quartiersebene führen. Dieserpositive Ausblick erfordert natürlich, dass die Han-delnden vor allem durch den erfolgreichen Ausgang vonEinzelprojekten und Maßnahmen die Vorteile inte-grierten Vorgehens verinnerlichen und die Notwendig-keit eines damit einhergehenden strukturellen Wandelsakzeptieren und ihn herbeiführen.Hilfreich wird es dabei sein, auf eventuell bestehendeNetzwerke zurückzugreifen, um die zur Programmum-setzung unerlässliche Bewohnerpartizipation zuerreichen.Die anfängliche Unsicherheit bei der Umsetzung desProgramms ist insofern verständlich, da eine bürger-nahe Konzeption einen erheblichen Mehraufwand derbeteiligten Akteure bedeutet.Hier ergibt sich ein Widerspruch, da eine schnelle Pro-grammumsetzung, die auch aus Finanzierungsnoterforderlich ist, stets mit nachrangiger Bürgerbeteili-gung einhergeht.Auf die große Bedeutung der Bürgerbeteiligung und derAktivierung für die Umsetzung des Programms wirddeshalb differenzierter im folgenden Kapitel einge-gangen.

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

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6.2 Partizipation und Empowerment

6.2.1 Einleitung

Lokale Bürgerbeteiligung – wesentliche Forderung desIHK und damit einer der Grundpfeiler des Programms –bzw. das Leitbild einer lokalen Bürgergesellschaft sindkeine neuen politischen bzw. wissenschaftlichen Ent-deckungen. Anknüpfungspunkte stellen die Diskussi-onen um Selbsthilfe, Betroffenenaktivierung, Selbst-organisation oder Partizipation sowie die Praxis neuersozialer Bewegungen und Bürgerinitiativen auf lokalerEbene der 70er und 80er Jahre dar. Jedoch hat dieDebatte auf Grund verschiedener Entwicklungen („neueArmut“ und deren politische und gesellschaftlicheHintergründe, Polarisierung städtischer Bevölkerung,Segregation, etc.; vgl. Kap. 3.1) eine neue Qualitäterreicht: Politiker (aller Lager), (Sozial-)Wissenschaftlerund Akteure der Stadtentwicklung betonen einmütig dieBedeutung von Bürgerengagement und Bürgerbe-teiligung für eine Lösung städtischer Problemlagen.Die politischen Konsequenzen dieser Einhelligkeit sindsichtbarstes Zeichen der neuen Diskursqualität: Politikund Verwaltung initiieren und forcieren Bürgerbe-teiligung „top-down“ über spezifische Initiativen undProgramme, welche noch in den 1970er und 80erJahren mehr oder weniger erfolgreich gegenüber dempolitisch-administrativen Bereich „bottom-up“ eingeklagtwerden mussten. Das Bund-Länder-Programm SozialeStadt ist Beispiel für einen solchen politischen Versuch,Bürgerengagement zu unterstützen. Daher sollen ineinem ersten Schritt die politischen Zielvorstellungenhinsichtlich der Bürgeraktivierung und -beteiligung imRahmen des Programms aufgezeigt werden.Der politische Handlungswille, der hinter diesen Zielvor-stellungen steht, gründet sich dabei v.a. auf Ergebnisseempirischer Forschung und praktischer Erfahrung dersozialen Arbeit hinsichtlich lokaler Bürgerbeteiligung,Bürgerengagement und sozialen Netzen. DieseErfahrungen lassen sowohl eine „Rationalisierung und(dadurch) Legitimitätssteigerung politischer Entschei-dungen durch zivilgesellschaftlich getragene Öffent-lichkeiten“, als auch eine „höhere Effektivität bei derLösung sozialer Probleme durch die Einbindung aktiverBürgergruppen“ (Haus 2001: 12) erwarten. Die dem zuGrunde liegende Verknüpfung zwischen lokalem Bürger-engagement und den „positiven Resultaten wie demo-kratischer Intensität und wirtschaftlichem Erfolg“(Mayer 2001: 34) leistet dabei das wissenschaftlicheSozialkapitalkonzept, welches im Kapitel 5.3 bereitsangesprochen wurde und Thema des zweiten Teils seinsoll. Die Sozialkapitalforschung stellt dabei die„handlungstheoretische Bedeutung von gegenseitigemVertrauen und [...] wechselseitiger Verpflichtetheit“(Haus 2001: 16) für ein (politisch und ökonomisch)erfolgreiches gemeinsames Handeln im Quartier sowie

dessen Voraussetzungen heraus. Damit liefert eseinerseits eine Begründung für die im ersten Abschnittzu erläuternden politischen Zielsetzungen zur Bürger-aktivierung des Programms und bietet andererseits einAnalyseinstrument, „sozialer Erosionsprozesse“ undMöglichkeiten dem entgegen zu wirken. Daher soll dasSozialkapitalkonzept vorgestellt und hinsichtlich seinerBedeutung für lokale Entwicklungsprozesse und politi-sche Programme der ganzheitlichen Quartiersentwick-lung analysiert werden. Im dritten Teil soll auf den ent-sprechenden Ansatz zur „Bewohnerbefähigung“ -Empowerment - eingegangen werden, der die ange-strebte Sozialkapitalbildung und -akkumulation imQuartier gewährleisten soll. Als entscheidende Kompo-nenten sollen die Aktivierung und die Beteiligung unter-schieden werden. Im letzten Abschnitt werden dann diekonkreten Ziele des Programms Soziale Stadt und dieentsprechenden Instrumente herausgestellt, um dieBasis für die empirische Untersuchung der Programm-umsetzung hinsichtlich der Bürgerbeteiligung zu legen.

6.2.2 Programmziele der Bürgerbeteiligung

Der Zielkatalog zum Thema „Bürgermitwirkung, Stadt-teilleben“ des ARGEBAU-Leitfadens umfasst drei Kern-ziele, die jeweils aufeinander aufbauend als eine Art„Dreisprung“ bezeichnet werden können.Die Ziele lauten wie folgt: (1) „Aktivierung örtlicherPotenziale, Hilfe zur Selbsthilfe“, (2) „Entwicklung vonBürgerbewusstsein für den Stadtteil“ und (3) „Schaffungselbsttragender Bewohnerorganisationen und stabilernachbarschaftlicher sozialer Netze“. Perspektivisch „solldamit erreicht werden, dass die Stadtteile schrittweisewieder als selbständige Gemeinwesen funktionieren“.Dazu sollen die Bewohner motiviert werden, „inInitiativen und Vereinen mitzuwirken und sich sodauerhaft selbst zu organisieren“. Den formuliertenZielen legt man dementsprechend folgende Diagnose zuGrunde: „Die Bürger identifizieren sich nicht mehr mitdem Stadtteil, sie engagieren sich nicht mehr für dieGemeinschaft. Nachbarschaftsbezogene soziale Netzesind zerrissen“ (ARGEBAU 2000).

Im Folgenden wird erläutert, auf welcher wissen-schaftlichen Grundlage sich hier angenommene positiveZusammenhänge zwischen engen nachbarschaftlichensozialen Netzen bzw. dem Bürgerbewusstsein und dem„selbstständig funktionierenden Gemeinwesen“ bzw. der„positiven Zukunftsperspektive“ herstellen lassen.

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

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6.2.3 Sozialkapitalkonzept– wissenschaftlicher Hintergrund derpolitischen Zielvorstellungen

In einem ersten Schritt wird das Sozialkapitalkonzept inseinen Grundzügen, zurückgehend auf das Konzept vonColeman (1991) und darauf aufbauend Putnam (1993),vorgestellt (zum Sozialkapital bei Bourdieu vgl. Kapitel5.3.1.2 und 5.3.10.3). Die bis dahin noch sehrallgemeine Konzeption wird dann in einem zweitenSchritt spezifiziert und direkt auf die lokale Ebenebezogen, indem die möglichen Formen, Nutzen, Merk-male und v.a. Wirkungsmöglichkeiten des Sozialkapitalsauf kleinräumiger Ebene betrachtet werden.

Konzeption bei Coleman (1991) und Putnam(1993)Der Versuch, eine einheitliche Konzeption des „Sozial-kapitals“ aufzustellen, ist auf Grund der interdiszipli-nären Verwendung des Begriffs (Sozial-, Wirtschafts-,Planungswissenschaftler, etc.), die zwangsläufig zu sehrunterschiedlichen Perspektiven und Inhalten führte,zum Scheitern verurteilt (zur Übersicht von Definitionenund Konzepten siehe Schnur 2003: 57). Da JamesColeman und darauf aufbauend Robert Putnam diepopulärsten und am stärksten diskutierten Konzeptegeliefert haben, sollen sie im Zentrum der hier ange-strebten Begriffsklärung stehen.Coleman bezeichnet Sozialkapital „als eine ‚sozialstruk-turelle Ressource’, welche die Individuen (als Konsti-tuenten der zugrundeliegenden Sozialstruktur) wie ein‚Kapitalvermögen’ [zur Verwirklichung bestimmter Ziele]nutzen können“ (Coleman 1991; zitiert bei Schnur 2003:59). Es ist dadurch gekennzeichnet, dass es aus-schließlich in Beziehungen von mindestens zwei Indivi-duen existiert und damit – anders als andere Kapital-formen, wie ökonomisches oder kulturelles Kapital – aneine solche Beziehungsstruktur gebunden ist. Einewesentliche Voraussetzung der Bildung und Nutzungsozialen Kapitals liegt dabei in „generalisiertem Ver-trauen“, welches Coleman als Reziprozität von Erwar-tungen und Verpflichtungen bezeichnet. Erst in dieserAtmosphäre des Vertrauens ist die Bildung „fruchtbarer“sozialer Netzwerke und bestimmter Normen möglich,die es dem Einzelnen – und damit auch dem Kollektiv –erlauben, ganz bestimmte Vorteile aus ihnen zu ziehen.Für Coleman stellt das Sozialkapital besonders eineindividuelle Ressource dar. Putnam verweist wesentlichstärker auf die gesamtgesellschaftliche Ebene, d.h. aufden kollektiven Nutzen von Sozialkapital – in wirt-schaftlicher genauso wie in bürgerschaftlicher unddemokratischer Hinsicht (vgl. Mayer 2001: 4). Für ihnstellt Sozialkapital ein sinnvolles Mittel zur Bewältigungvon Kollektivgutproblemen (bezüglich öffentlicherGüter) dar. “By ´social capital` I mean features ofsocial life – networks, norms and trust – that enable

participants to act together more effectively to pursueshared objectives [...] social capital, in short, refers tosocial connections and attendant norms and trust.”(Putnam 1995, zit. bei Schnur 2000b: 45)

Bedingung für den Erfolg einer Handlung ist auch beiPutnam das kooperative Verhalten von Individueninnerhalb von sozialen Beziehungen, welches sichlediglich auf der Grundlage von Vertrauen und geteiltenNormen bzw. Handlungserwartungen einstellen kann. Jehöher die Qualität eines Netzwerks (z.B. hohes Maß anVertrauen), desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dassdessen Mitglieder zum kollektiven Nutzen miteinanderkooperieren (vgl. Schnur 2003: 46). Putnam erklärt dasmit den sich wechselseitig bedingenden Eigenschaftender wesentlichen Form sozialen Kapitals – den Netz-werken bürgerlichen Engagements: Sie „[...] fördern dieNormen der Reziprozität, [...] erleichtern die Kommuni-kation und erhöhen den Informationsfluss über dieVertrauenswürdigkeit von Individuen, [...] verkörperndie Erfolge früherer Kooperationsakte, welche als kultu-relle Muster für späteres Handeln dienen können“(Putnam 1993:173f, zit. bei Schnur 2000b: 45).Insofern sind bürgerschaftliches Engagement und dieFähigkeit zur Selbstorganisation die entscheidendenMerkmale sozialen Kapitals. Sie werden über Vertrauen,Normen und Kooperation generiert.

Die sehr allgemeine Definition des Sozialkapitals alssozialstrukturelle „Ressource“ verweist auf die relativeUneindeutigkeit dessen Erscheinung. Eine genauereDarstellung lässt sich durch Explizierung in den Dimen-sionen Formen, Nutzen und Merkmale (trotz Über-schneidungen der Dimensionen) erreichen. Dabei machtes Sinn, das Sozialkapitalkonzept – auf Grund seinerkonzeptionellen Breite und weitreichenden Anwen-dungsmöglichkeit – von vornherein auf bestimmteProbleme und den mit ihnen konfrontierten sozialenGruppen zu beziehen. Dabei muss gefragt werden, obbestimmte Formen sozialen Kapitals zur Lösung dieserProbleme beitragen oder eher Hindernisse in den Weglegen (Sozialkapital kann durchaus negative Effekte –im Sinne sozialen Ausschlusses – mit sich bringen) (vgl.Haus 2001: 18). Für unsere Projektarbeit soll die„benachteiligte Bevölkerung“ kleinräumiger städtischerQuartiere und die für sie herausgestellten Probleme„zerrissener sozialer Netze“ und mangelnder lokalerIdentifikation (vgl. ARGEBAU) den Fokus bilden.Dementsprechend ist das Sozialkapitalkonzept auf dielokale Ebene anzuwenden.

Lokales SozialkapitalAllgemein formuliert versteht sich Sozialkapital als „diespezifisch nutzbare Qualität einer sozialen Struktur“(Schnur 2000a: 3). Überträgt man diese Idee auf einekleinräumige Ebene (z.B. einen Stadtteil), kann dasSozialkapital-Konzept einen Beitrag zur lokalen Ent-

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

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wicklung leisten. Dazu soll im Folgenden das lokaleSozialkapital hinsichtlich der Dimensionen Formen,Nutzen und Merkmale expliziert und Wirkungszusam-menhänge auf lokaler Ebene aufgezeigt werden.

Hinsichtlich der Erscheinungsformen von Sozialkapitalverweist Coleman auf drei interdependente Erschei-nungsformen: Sozialkapital als soziale Vernetzung(Informationsressourcen, Ressourcen sozialer Organisa-tion und positionsbedingte Machtressourcen), als Sys-tem sozialer Normen und wirksamer Sanktionen sowieals generalisiertes Vertrauen (vgl. Schnur 2003: 60).Das „generalisierte Vertrauen“ konstituiert sich durchgegenseitige Verpflichtungen und Erwartungen zwi-schen Individuen, in unserem Fall in einer städtischenGemeinschaft. Für Coleman spielt dies eine über-geordnete Rolle im Sozialkonzeptmodell, da es für dieBildung der beiden anderen Formen sozialen Kapitals,also sozialer Netzwerke bzw. kollektiver Normsysteme,Grundvoraussetzung ist. Gleichzeitig wirken jedochLetztere über positive Rückkopplungsmechanismen ver-stärkend auf das generalisierte Vertrauen. Damit erge-ben sich für Quartiere mit einem Grundstock angeneralisiertem Vertrauen, gebildet über ein gewissesMaß an lokaler Identifikation (soziale Ortsbindung) undnachbarschaftlichen Zusammenhalts (Unterstützung,Rückhalt), positive Selbstverstärkungseffekte. Für diebenachteiligten Quartiere – für die die Diagnosezerrissener sozialer Netze gilt – ergeben sich selbstver-stärkende Negativeffekte: mangelndes Vertrauenverhindert z.B. Netzwerk- bzw. Normenbildung. Fürbenachteiligte Quartiere muss demnach erst einmal einGrundstock generalisierten Vertrauens gebildet werden.Auf welche Art und Weise das geschehen kann, wird imAbschnitt „Empowerment“ (vgl. Kapitel 6.2.4) beant-wortet.Ist generalisiertes Vertrauen aufgebaut, lassen sich dieBildung von Normen erwarten, die (nicht intendierten)kollektiven Nutzen ermöglichen (z.B. die Sauberkeiteines öffentlichen Platzes) und damit gleichzeitig wiederdie Vertrauensbasis stärken. Das gewonnene Vertrauenkann ebenso dazu ermutigen, spezifische Quartiers-probleme in sozialen Netzwerken gemeinsam anzu-gehen und sich schrittweise wieder mit dem Quartier zuidentifizieren. Erfolgreiche Handlungen generieren dannwiederum Vertrauen, welches eine zunehmend selbst-bestimmte Nutzung von Ressourcen aus dem Wohn-gebiet, aber auch die „Bereitstellung von Ressourcen imRahmen freiwilligen Engagements und politischerPartizipation“ (Schnur 2003: 74) begünstigen kann.Dadurch könnte „Bürgerbewusstsein“ entstehen und derpolitisch-administrativen Seite eine zunehmende Koope-ration erleichtern.Zusammenfassend ist in Hinblick auf die Programm-maßnahmen zu fragen, wie sich die notwendige inten-sive „Vertrauensarbeit“ im Quartier gestalten lässt undan welchen Punkten die sich selbstverstärkende Schleife

steigenden Bürgerbewusstseins gefördert und gestütztwerden kann.Gleichzeitig kann das Sozialkapital auch nach seinemNutzen differieren: Nutzen entsteht für denjenigen, dereine intensive Beziehungsarbeit leistet. Es kann jedochauch für denjenigen entstehen, der einen sehr lockerenund minimalen Aufwand betreibt (sog. „weak ties“unterhält) bzw. für das gesamte Netzwerkkollektiv oderNetzwerklose (Sozialkapital als „Kollektivgut“ – von überSozialkapital erreichte Erfolge können auch Nicht-Involvierte profitieren). Dieses Verhältnis verweist aufdie Problematik der Offenheit von sozialräumlichenEinheiten, wie der Nachbarschaft. Für diese lassen sichnur schwer Sanktionen zur Einhaltung bestimmterNormen (z.B. das Sauberhalten öffentlicher Plätze)durchsetzen – doch genau das ist die Voraussetzung fürdie Bildung von Sozialkapital. Während sich dement-sprechend nur sehr wenige für das öffentliche Gutzuständig fühlen, profitieren im Falle der Verbesser-ungen dessen alle. Damit ist die Passivität auf kurzeSicht sogar für das Individuum rational, führt jedoch beiden aktiv Verbleibenden wiederum zu Resignation und„Ohnmachtgefühlen“ – in letzter Instanz vielleicht sogarzum Wegzug aus dem Quartier und damit zur Segre-gation (vgl. Schnur 2003: 71). Derartige Kollektivgut-probleme sind wie schon oben angedeutet über Sozial-kapital in Form von generalisiertem Vertrauen zu lösen.Aus der gelieferten Beschreibung lassen sich jedochauch andere Hinweise ableiten. So scheint es einewichtige Maßnahme zu sein, das zunächst schon vor-handene Sozialkapital in Form von sozialen Netzwerken(z.B. Vereinigungen, soziale Organisationen) aufzuspü-ren. Die verfügbaren Strukturen müssen ernst genom-men und in weitere Maßnahmen eingebunden werden,so dass es nicht zu einer Zerstörung von Sozialkapital inFolge von Unmut und Ohnmacht kommt. Anderseitsmuss bei den bisher Passiven die Erkenntnis gefördertwerden, dass die soziale Einbindung jedem IndividuumVorteile bringt, d.h. dass jeder auf sein „Soziakapital-Konto“ zugreifen kann. Die Schwierigkeit besteht hierjedoch darin, dass es – im Gegensatz zu den anderenKapitalarten – keinen Ort des Tausches bzw. keinenobjektiven Tauschpreis gibt. Hier müssen laut Schnurinnovative Wege gefunden werden, um dieses Problemanzugehen (vgl. Schnur 2003: 72). Gelungen ist diesbspw. schon bei der Simulation von Märkten und Preis-en für Sozialkapital über Tauschringe.

Auch die Merkmale des Sozialkapitals können sichunterscheiden: bindend (sozialstrukturell ähnliche Men-schen zusammenbringend) versus brückenbildend,formell versus informell oder dicht („strong ties“) versuslocker („weak ties“). Für die benachteiligten Quartierelassen sich hier keine eindeutigen Entwicklungstenden-zen aus der einen oder anderen Form des Sozialkapitalsableiten. Die jeweiligen Schwierigkeiten der Bewertungsind logische Konsequenz der schon bei der Bewertung

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

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von „sozialer Mischung“ (vgl. Kap. 5.2) aufgetauchtenProblemen– es lassen sich sowohl Vorteile, als auchNachteile nachweisen.Zwar wird in einer Vielzahl sozialwissenschaftlicherVeröffentlichungen auf die „Unproduktivität“ des aufMisstrauen, Ausschluss und Beschränkung basierenden„bindenden Sozialkapitals“ verwiesen, doch kann diesebenso auch eine integrierende Funktion (Bsp.Migranten-Gemeinschaften) erfüllen. Ähnliches gilt fürdie Frage des Nutzens von strong-ties bzw. weak-ties.

Zusammenfassung: Folgerungen zur Bildung undAkkumulation lokalen Sozialkapitals

Aus den bisherigen Erläuterungen sowie den Ausfüh-rungen Schnurs (2003) lassen sich spezifische Hypo-thesen zur Wirkungsweise lokalen Sozialkapitals bilden,die für einen politischen Ansatz zur Herstellung von„selbständig lebensfähigen Stadtteilen mit positiverZukunftsperspektive“ (ARGEBAU) entscheidende Hin-weise liefern (Schnur 2003: 74). (1) Sozialkapital kannin unterschiedlicher Intensität, Qualität (Art bzw. Form)und mit unterschiedlichem Nutzen für das Quartierexistieren – abhängig von Bewohnerstruktur, Kiezge-schichte und Umfeldbedingungen; (2) es existiert einpositiver Zusammenhang zwischen lokaler Identifikationund lokalem Sozialkapital, auf Grund des gesteigertenInteresses und Verantwortungsgefühls für Wohnumfeldund Nachbarschaft; (3) es existiert ein positiverZusammenhang zwischen der Intensität einzelnerFormen von Sozialkapital und dem „Bürgerbewusstsein“der Bewohner (Wissen über Artikulationsmöglichkeiten,Gewohnheiten der Nutzung kollektiver Quartiersressour-cen zur Problemlösung bzw. der Einbringung überEngagement); (4) es existiert ein positiver Zusammen-hang zwischen der Intensivierung einzelner Formensozialen Kapitals und damit des „Bürgerbewusstseins“sowie der Erweiterung des lokalpolitischen Handlungs-spielraums zur Öffnung gegenüber einer aktiven Zivil-gesellschaft.

Zusammenfassend zeigt sich einerseits, dass sich derden politischen Zielformulierungen zu Grunde liegendepositive Zusammenhang zwischen „Bürgerbewusstsein“und dem „selbstständig funktionierendem Gemeiwesen“konzeptionell untermauern lässt. Andererseits konntegezeigt werden, dass das Konzept „einen zusätzlichenBeitrag dazu leisten [kann], Potenziale der Vernetzung,der Partizipation und des freiwilligen Engagements zuidentifizieren und Ansatzpunkte dazu [zu] liefern, wiemarginalisierte Gruppen dazu befähigt werden können,sich selbst zu organisieren, zu artikulieren und selbst zukonkurrenzfähigen Akteuren zu werden“ (Schnur 2003:52).Die entsprechende Strategie, sowohl politisch als auchaus der Sicht der sozialen Arbeit, zur Verwirklichung der

unter „Bürgermitwirkung“ firmierenden Ziele lässt sichunter dem Ansatz des „Empowerment“ fassen. Aufdieser Basis zielt das Empowerment-Konzept durchausauf die Bildung der vielversprechenden Ressource„Sozialkapital“ ab, wobei sich beide gegenseitigbedingen, d.h. Sozialkapital und „power to“ sind zweiSeiten einer Medaille.

6.2.4 Empowerment

Im Folgenden soll der Ansatz des Empowerments nurkurz skizziert werden. Der Schwerpunkt soll dann aufder Bedeutung des Ansatzes für die Arbeit inbenachteiligten Quartieren der Sozialen Stadt liegen.Die wörtliche Übersetzung des Begriffs Empowermentbedeutet ,,Bemächtigung“: „[...] dieser Begriff be-zeichnet Entwicklungsprozesse in der Dimension derZeit, in deren Verlauf Menschen die Kraft gewinnen, dersie bedürfen, um ein nach eigenen Maßstäbenbuchstabiertes `besseres Leben` zu leben“ (Herriger1997: 11). Die inhaltliche Bedeutung dieses Begriffeslässt sich jedoch unterschiedlich interpretieren: ,,Einallgemein akzeptierter Begriff von Empowerment, dersowohl den wissenschaftlichen Diskurs als auch diepsychosoziale Praxis verbindlich anleiten könnte, exis-tiert nicht" (ebd.: 11). Es gibt daher auch keine allge-mein akzeptierte Übersetzung von Empowerment. Inder Diskussion wird der Begriff als Synonym für einenEmanzipationsprozess gebraucht („power to“ statt„power over“): ,,Empowerment wird hier verstanden alsein Prozess der Selbstbemächtigung, in dem Menschen,die von Ressourcen der Macht abgeschnitten sind, sichin kollektiver politischer Selbstorganisation in die Spieleder Macht einmischen“ (ebd.: 16 f.). Darüber hinausbezeichnet der Begriff ein professionelles Arbeitsprinzip:,,Das Empowerment-Konzept [...] wird verstanden alsein tragfähiges Handlungskonzept auch für eineverberuflichte Soziale Arbeit, die die [...] Prozesse der(Wieder-) Aneignung von Selbstgestaltungskräftenanregend, unterstützend und fördernd begleitet undRessourcen für Empowerment-Prozesse bereitstellt“(ebd.: 17).

Letzteres verweist auf die Bedeutung des „Empower-ments“ im Rahmen der sozialen Arbeit in den Quar-tieren der Sozialen Stadt: einerseits sind materielle undpersonelle Ressourcen bereit zu stellen, die der sozialenUngleichheit entgegenwirken sollen und Chancengleich-heit herstellen soll. Die bereitzustellenden Ressourcensind u.a. eine funktionierende Infrastruktur mit sozialenDiensten, Rechts- und organisatorische Hilfen, Abbauvon Sanktionsdruck sowie Benachteiligung und Diskrimi-nierung bis hin zur Ermöglichung erweiterter Partizi-pationsmöglichkeiten (vgl. Klöck 2004). Andererseitssollen Eigeninitiative und Selbsthilfe gefördert werden:„die Bewohner sollen ihre Lebensbedingungen selbst

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verändern, ihre eigenen Möglichkeiten und Kompe-tenzen nutzen, um unabhängiger und selbständiger zuwerden“ (Klöck 2004).

Die beiden sich daraus ableitenden Strategien werden inder Fachliteratur als „Aktivierung“ (Hilfe zur Selbsthilfe)und „Beteiligung“ (Erweiterung der Gelegenheiten undFormen zur Mitwirkung der Bewohner an Planungs-prozessen im Quartier) bezeichnet und sind zentraleForderungen des ARGEBAU-Leitfadens (vgl. ARGEBAU).Zwar werden dort gleichzeitig „typische Maßnahmen“zur Umsetzung vorgestellt, so z.B. die Installation einesStadtteilmanagements, doch sind diese Maßnahmensehr allgemein gehalten. Zur spezifischen Durchführungder Aktivierung und Beteiligung, d.h. der Schaffung undAnwendung geeigneter Instrumente, sind diegenannten Quartiersmanagements im Dialog mit Politikund Verwaltung zuständig. Diese Quartiersmanage-mentarbeit soll im Zentrum unseres empirischen Teilsstehen. Geprüft werden soll, welche Instrumente mitwelcher Begründung zur Anwendung kommen. Dieswird in Relation gesetzt zu den vorangegangenentheoretischen Ausführungen zu Sozialkapital undEmpowerment.

6.2.4.1 Aktivierung und Beteiligung –Schlüsselinstrumente im Rahmen des„Empowerments“ der „Sozialen Stadt“

Um die Arbeit des Quartiersmanagements betrachtenzu können, wird im Folgenden auf die Begriffe„Aktivierung“ und „Beteiligung“ eingegangen. In einemletzten Schritt soll gezeigt werden, wie sich die zentraleRolle des Quartiersmanagements bei der Anwendungentsprechender Instrumente gestaltet.

Aktivierung der Bevölkerung beschreibt alle Techniken,mit denen einzelne Personen oder Personengruppen ineinem Quartier angesprochen und in Kommunikationmiteinander gebracht werden können (vgl. Difu 2003:191). Ziel der Aktivierung ist es, Kontakt mit denBewohnern aufzunehmen, ihre Probleme zu identi-fizieren und Mitwirkungsbereitschaft bei der Quartiers-entwicklung und Problembewältigung zu wecken.Beteiligung beschreibt eher eine formale Ebene derPartizipationsmöglichkeiten: hiermit sind alle geplantenVerfahren, wie die Entwicklung von Projekten, Dis-kussionen zu bestimmten Themen etc. (z.B. Stadtteil-konferenzen, Bürgerforen, Planungszellen) gemeint, diedie Bürger in den Planungs- und Beteiligungsprozessintegrieren sollen und ihnen die Möglichkeit geben,innerhalb dieser geplanten Aktivitäten mitbestimmen zukönnen. Ein „Runder Tisch“ (als ein mögliches Instru-ment der Beteiligung) bringt diese Verteilung bildhaftzum Ausdruck. Niemand sitzt hierbei am Kopfende -

über alle zu treffenden Entscheidungen muss eingemeinsames Verständnis herbeigeführt werden.In der sozialwissenschaftlichen Fachliteratur, insbeson-dere im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung derProgrammgestaltung durch das DIFU, sind verschiedeneInstrumente zur Aktivierung und der weiterführendenBeteiligung aufgeführt:

Direkte AktivierungstechnikenAktivierende BefragungArbeit mit einzelnen PersonenInformelle GesprächeAufsuchende ArbeitMund-zu-Mund-PropagandaMediationBlockversammlungenFesteGebiets- und GebäudebegehungenInformationsangebote

Visuelle Hilfsmittel zur AktivierungStadtteilzeitungPoster, Plakate etc.InternetangeboteDokumentationen von Veranstaltungen und AktionenVerwendung eines SlogansKunst- und Kulturprojekte

BeteiligungStadtteilkonferenzenStadtteil- oder BürgerforenRunder Tisch, DiskussionsrundenBürgergutachtenPlanungszellenArbeitskreise, WorkshopsBeteiligungsorientierte ProjekteZielgruppenspezifische Projekte

Mit Franke lässt sich sagen, dass sich Erfolge mit ganzunterschiedlichen Beteiligungs- und Aktivierungsmetho-den erzielen lassen (vgl. Franke 2002) – entscheidendist der Zuschnitt des Instrumentenkoffers (Strategie)auf das jeweilige Gebiet. Entscheidende Hinweise kannhier das Sozialkapitalkonzept liefern. Es hilft aufzuzei-gen, in welchem „Zustand“ sich der soziale Zusammen-halt des Quartiers befindet, d.h. ob die Empowerment-Strategie eher grundsätzlich am Aufbau des wertvollenGuts „Sozialkapital“ orientiert sein muss, oder ob es sichin Rückgriff auf bereits vorhandenes Sozialkapital aufdessen Ausweitung und Stärkung konzentrieren muss.Die von Schnur als „Akkumulationsstratgie“ bezeichneteWiederherstellung fehlenden Sozialkapitals muss dabeiv.a. eine Vielzahl kleinerer nachbarschaftsorientierterProjekte erfassen (vgl. Schnur 2003: 101). „Engage-mentbarrieren“, wie Sprachbarrieren oder eine hoheZurückhaltung alter Menschen, müssen gezielt beseitigtwerden (Sprachkurse, Cafés). Des Weiteren sollte über

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kommunikative Projekte (Feste, Selbsthilfeprojekte) unddie gezielte Bildung sinnvoller sozialer Organisationendas für die Bildung von Sozialkapital so grundlegendeVertrauen im Quartier aufgebaut und gestärkt werden(ebd.: 101 f.). Entscheidend scheint hier zu sein, dasskurzfristig sichtbare Effekte der Maßnahmen zu ver-zeichnen sind, damit der Einsatz für sich und für dasQuartier überhaupt als lohnenswert erkannt wird.Die als Konsolidierungs- und Diffusionsstrategie be-zeichnete Stabilisierung und Verbreiterung bereitsvorhandenen Sozialkapitals hat einen anderen Fokus.Hier geht es v.a. um die Vernetzung bereits vorhan-dener Vereine und Initiativen im Quartier. FlankierendeMaßnahmen könnten sein, sich vermeintlich „schlechtesSozialkapital“ (Jugendgangs oder isolierte ethnischeGemeinschaften) zu nutze zu machen „und so zukanalisieren, dass das resultierende Verhalten sozialanerkannten und lokal angemessenen Normen weit-gehend entspricht“ (Schnur 2003: 102).Dementsprechend sollten mit den Aktionen und Maß-nahmen im Quartier – und das stellt einen grundle-genden Indikator der neuen Quartierspolitik dar – nichtmehr pädagogische Ziele oder reine Deeskalationsarbeitim Vordergrund stehen, sondern die gezielte Förderungvon Netzwerken. Dies ist die neue Qualität einer durchdas Sozialkapitalkonzept befruchteten Empowerment-Strategie.

Im Folgenden soll nun kurz auf das Quartiersmana-gement als umsetzende Instanz der Programmvorstel-lungen und als Objekt unserer empirischen Untersu-chung eingegangen werden.

6.2.5 Das Quartiersmanagement –Schlüsselinstrument derBewohneraktivierung und -partizipation

Angesichts der „komplexen Aufgaben und Zieleintegrierter Stadtteilentwicklung“ wird das Quartiersma-nagement grundsätzlich als „Schlüsselinstrument für dieProgrammumsetzung“ gesehen (Difu 2003: 183). Esmuss als intermediäre Instanz zwischen denQuartiersbewohner und der lokalen Politik/ Verwaltungwirken. Das heißt, es muss auf der einen Seite„Kommunikation, Ideenproduktion sowie Organisationvon Menschen und Ressourcen“ leisten und sich auf deranderen Seite Sachkompetenzen im Bereich der Politik/Verwaltung aneignen bzw. diese Instanzen mit denLebens- und Wohnbedingungen bzw. Interessen derBewohner konfrontieren (vgl. Hinte 2001: 157).Zusammenfassend soll es die vielschichtigen Problemesowie die vorhandenen Potentiale des jeweiligen Stadt-teils von innen heraus identifizieren und durch gezielteÖffentlichkeitsarbeit, Projektinitiierung und Mittelakqui-sition die Aktivierung und Einbeziehung der Bewohner-schaft herbeiführen. Damit ist es wichtige Koordina-

tions- und Anlaufstelle innerhalb des Stadtteils, welchedie unterschiedlichen Strategien und Akteure, privateund öffentliche, miteinander vernetzen und dieHandlungsfähigkeit der Bewohner stärken soll.Verschiedene Akteure, öffentliche und private, sollenkooperativ gestalten und entscheiden. Es sollen eingemeinsames Verständnis und gemeinsame Lösungsan-sätze für die innerstädtischen Probleme gefunden wer-den, wobei die Entscheidungsprozesse möglichst demo-kratisch nach dem Prinzip der Fairness und Gleich-berechtigung aller Teilnehmenden ablaufen sollten.

Damit ist es die Aufgabe des Quartiersmanagements beider Strategieformulierung und –umsetzung stets diespezifischen Probleme und Ressourcen des Quartiers zuanalysieren und im Auge zu behalten.Mit Blick auf die zentrale Aufgabe der Bewohner-aktivierung stellt sich diese analytische Rückkopplungals sehr entscheidend dar, da in den einzelnen Quar-tieren unterschiedliche Probleme und Voraussetzungenfür eine Problembewältigung bestehen und gleichzeitigauf ein unterschiedliches Methodeninstrumentariumzurückgegriffen werden kann.Das Quartiersmanagement sollte jedoch eine Interims-Funktion einnehmen, d.h. das langfristige Ziel ist,selbsttragende (Bewohner-)Strukturen zu schaffen.Im Folgenden sollen nun im Rahmen einer empirischenUntersuchung die Arbeitsweisen verschiedener Quar-tiersmanagements hinsichtlich den theoretischen Ausar-beitungen zum Sozialkapitalkonzept sowie den Zielenselbsttragender Bewohnerstrukturen (bzw. einer „nach-haltigen Quartiersentwicklung“) untersucht werden.

6.2.6 Forschungsdesign

Im Anschluss an die Erläuterungen zu Zielen derBürgerpartizipation und Aktivierung, deren theore-tischem Hintergrund sowie deren Umsetzung durch dieQuartiersmanagementarbeit, sollen in diesem Abschnitteinige Beispiele aus der Praxis betrachtet werden.Kernpunkt der Untersuchung ist der grundsätzlicheUmgang des als Schlüsselinstrument der Bürgerparti-zipation und Aktivierung herausgestellten Quartiersma-nagements mit dem Empowerment-Anspruch des Pro-gramms (erweitert durch das Sozialkapitalkonzept).Inwieweit und wie erfolgreich werden die im Programmformulierten Ziele, wie „Nachhaltigkeit“ oder „selbsttra-gende Bewohnerstrukturen“, durch die vom Quartiers-management angewandten Maßnahmen verfolgt?Untersucht wurden dazu sieben Programmgebiete derSozialen Stadt. Die drei Berliner Gebiete Kreuzberg -Wrangelkiez, Marzahn - Nordwest und Neukölln -Reuterkiez wurden willkürlich gewählt, während sich dierestlichen vier Gebiete Dresden-Prohlis, Potsdam - AmStern, Schwedt - Obere Talsandterrassen und Stendal -

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Stadtsee aus den Möglichkeiten der Interviewerergaben. Die Untersuchung der Quartiere erfolgte je-weils über Interviews mit Hilfe eines halbstandardisier-ten Fragebogens.

Unser primäres Interesse lag in den aktivierenden bzw.partizipierenden Maßnahmen, die die Quartiersmanage-ments überhaupt angewandt haben (Frage der Maß-nahmenwahl) und in der Frage, welche schließlicherfolgreich waren (Frage des Maßnahmenerfolgs).Damit wollen wir uns auf die Gesamtheit der Maß-nahmen als „Strategie“ konzentrieren und ausdrücklichdie Frage nach den Voraussetzungen, der Durchführungund den Erfolgen von einzelnen Maßnahmen vernach-lässigen. Eine fundierte Untersuchung würde denRahmen des Projekts sprengen (für eine detaillierte undaufschlussreiche Untersuchung der Maßnahme „Bürger-forum“ vgl. Herrmann 2002).Aufgrund der Vermutung, dass der Einsatz und Erfolgvon Maßnahmen in hohem Maße von den „Umwelt-variablen“ Quartiersstruktur und Quartiersmanagement/-strategie abhängt, haben wir den Fragebogen (sieheAnhang) entlang dieser drei Kerndimensionen aufge-baut: (1) Quartier, (2) Quartiersmanagement und (3)Maßnahmenkatalog.In der „Quartiersdimension“ lag der Fokus auf denEigenschaften bzw. Strukturmerkmalen, also den Pro-blemen und Ressourcen, dass das Gebiet grundsätzlichaufweist. Die zweite Dimension „Quartiersmanagement“soll einerseits die materiellen und personellen Ressour-cen des Quartiersmanagements, andererseits dessen„ideelle Ressourcen“, die wir als „Philosophie“ bzw.Strategie/Einstellung bezeichnen, erfassen. Die eigent-liche Erhebung der „Philosophie“ erfolgt über Fragen zurEinstellung der Quartiersmanagements zu den im Pro-gramm formulierten Zielen und Ansprüchen. Wir fragengezielt zu Kriterien, wie Art der Ausbildung („Denk-schule“) bzw. Erfahrungshintergrund der Quartiers-manager, da wir dies als Grundlage der Quartiersmana-gementphilosophie annehmen. Die dritte Dimension„Maßnahmenkatalog“ betrifft die vom Quartiersmana-gement durchgeführten Maßnahmen zur Aktivierungund Beteiligung, d.h. die Frage, welche Maßnahmen auswelchem Grund und mit welchem Erfolg angewandt(bzw. nicht angewandt) werden. Bei der Operationa-lisierung von „Erfolg“ müssen – immer die Programm-umsetzung und Programmbewertung im Blick – dieEffekte der Maßnahmen direkt an den Programmzielen,wie „Dauerhaftigkeit der Bewohnerstrukturen“, ge-messen werden, da sich das Erfolgsverständnis derQuartiersmanagements durchaus davon unterscheidenkann.Insgesamt soll uns die Erhebung der drei Kerndimensio-nen erlauben, den Zusammenhang zwischen Maß-nahmen(-erfolg), Quartiersstruktur und Quartiersmana-gement herzustellen, um im Quartiersvergleich zuverallgemeinerbaren Aussagen über den Einsatz aktivie-

render und partizipativer Maßnahmen durch das Quar-tiersmanagement zu kommen.

6.2.7 Merkmale der Quartiere und Strategiender Quartiersmanager

Im Folgenden werden die untersuchten Gebiete inHinblick auf folgende Aspekte vorstellt: Ressourcen undProbleme des Quartiers, Ressourcen und Probleme desQuartiersmanagements sowie die ergriffenen Maßnah-men und unsere Einschätzung zum Erfolg ihrerUmsetzung.

Berlin-Kreuzberg: WrangelkiezDer Wrangelkiez im Stadtteil Berlin-Kreuzberg weisteinen hohen Bewohneranteil von Menschen nichtdeut-scher Herkunft von 39,8% auf, im Vergleich dazu Berlin13% und Kreuzberg 33%. Dies trägt zu einer kulturellenVielfalt und Lebendigkeit des Stadtteils bei, aus denensich Ansätze von Engagement für die Entwicklung desGebietes und für die Bürgerbeteiligung entwickeln. Diesführt aber auch zu Abschottungstendenzen und Polari-sierung der verschiedenen sozialen und ethnischenMilieus. Die Erinnerung an die Auseinandersetzungenund Erfolge der Bürgerbewegungen der 70er und 80erJahre in Kreuzberg (SO 36) sind in der alteingesessenenBewohnerschaft stark verankert und Ausgangspunktsowohl für Veränderungs- als auch Abgrenzungsbe-strebungen unter den heutigen Bedingungen. DieAbwanderung insbesondere der Bildungsschicht (allerEthnien) führt dazu, dass in den kommunalen Kitas undSchulen mehrheitlich Kinder aus sozial und ökonomischverarmten Familienverhältnissen vorzufinden sind unddamit neue Anforderungen in Bezug auf Pädagogik,Elternarbeit, schulische und außerschulische Angebotegestellt werden. Hinsichtlich der altersmäßigen Zusam-mensetzung ist das Gebiet als „jung“ zu bezeichnen.Der Anteil der unter 18-jährigen lag 2001 bei 19,1%,davon sind 9,1% nichtdeutscher Herkunft. Auffallendfür den Wrangelkiez ist der relativ hohe Anteil der unter6-jährigen im Vergleich zu Gesamtberlin (7,4% vs. 5%),während die über 65-jährigen einen geringen Anteilausmachen (5,6% vs. 15%).

Die Ziele des Quartiersmanagements sind die Stärkungdes bürgerschaftlichen Engagements und der Über-nahme von Verantwortung im Stadtteil, der Abbau vongesellschaftlichen Integrationsdefiziten (v.a. in den Be-reichen Erziehung, Bildung, Arbeitsmarkt, Freizeit undKultur), der Abbau der Stigmatisierung des Quartiers als“sozialer Brennpunkt“, die Förderung der Kommu-nikation und Zusammenarbeit zwischen Deutschen undanderen Nationen sowie zwischen den Ethnien, die För-derung von binationalem Identitätsbewusstsein sowiedie Verbesserung der Kenntnisse der deutschen Spracheund Kultur bei Bevölkerungsgruppen nichtdeutscher

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Herkunft und Förderung des Zusammenlebens der ver-schiedenen Ethnien durch Förderung von Kenntnissenüber die kulturellen Hintergründe und Lebensformender Gebietsbewohner.

Um diese Ziele zu erreichen setzt das Quartiers-management Maßnahmen wie bedarfsgerechte Ange-bote für Beratung und Selbsthilfe, die Erweiterung vonSprachkursangeboten (Muttersprache und Deutsch) unddie Schaffung von außerschulischen Angeboten imBildungs- und Freizeitbereich sowie berufsförderndeMaßnahmen für Jugendliche ein. Ebenfalls wichtig sinddie Förderung von Stadtteil- und Hoffesten, ge-schlechtsspezifische Angebote zur Förderung der gesell-schaftlichen Integration und die Förderung der Ange-bote für Migranten im Rentenalter. Die Herausgabe derQuartierszeitung „Wrangelkiezblatt“ dient als Verbrei-tungsmedium für Informationen über die Arbeit desQuartiersmanagements. Diese Zeitung wird von denBewohnern gut angenommen und ist immer vergriffen.Dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass in derBewohnerschaft ein gewisses Maß an Interesse am undIdentifikation mit dem Kiez sowie ein Potential für Enga-gement vorhanden ist.Im Wrangelkiez wurden verschiedene Methoden ange-wandt, um die Probleme der Bewohner zu ermitteln.1999 wurde eine Planungszelle eingerichtet, im Jahr2000 ging aus dem Planing-for-real-Verfahren einBürgergutachten hervor.

Das Quartiersmanagement ist zufrieden mit dem Verlaufseiner Arbeit. Das bereits vorhandene Sozialkapital wirdgut genutzt. Ein Vorteil liegt vielleicht in der Bewoh-nerbewegung der 70er und 80er Jahre. Es gibt einegute Zusammenarbeit der Erziehungs- und Bildungsein-richtungen im Kiez sowie eine Vielzahl von engagiertenEltern, Erziehern und Lehrern. Außerdem weist dasQuartier eine große Anzahl von lokalen gemeinnützigenEinrichtungen auf, zwischen denen eine funktionierendeKooperation zu existieren scheint. Einige davon sindKinder- und Jugendeinrichtungen, lokale Arbeitskreise,Beschäftigungs-, Qualifizierungs- und Servicegesell-schaften, Religionsgemeinschaften, Migrantenvereine,Kunst- und Kulturvereine und Schulämter. EineZusammenarbeit mit Wohnungsunternehmen ist nichtgegeben, da im Quartier fast ausschließlich privateEigentümer vertreten sind, die über ihr eigenes Haushinaus wenig Bereitschaft zum Engagement zu zeigenscheinen. Die bereits vorhandenen Netzwerke wurdenund werden weiter ausgebaut, so dass das Quartiers-management sich bis 2006 langsam aus den Projektenzurückziehen wird.

Berlin-Marzahn: Nord-WestDas Quartiersmanagement für das Quartier MarzahnNord-West, welches sich mit seinen Problemen kaumvon den anderen ostdeutschen Großsiedlungen unter-

scheidet, handelt nach Angaben der Leiterin FrauCremer sehr erfolgreich. Dabei konnte in Abweichung zuanderen Quartiersmanagements auf folgende Ressou-rcen zurückgegriffen werden: Quartiersfond (einmalig 1Mio. DM), langjährig bestehendes Sozialkapital undBeteiligungsstrukturen sowie das Wissen über die Pro-bleme im Gebiet. Die Bevölkerung ist sehr jung (29%der Bewohner sind unter 18), rund jeder Fünfte istarbeitslos. Vor allem durch den Zuzug vieler Spätaus-siedler sollte im Quartier eine kulturelle Mischung beste-hen. Seit Jahren ist jedoch eine Tendenz zur „Ent-mischung“ zu beobachten. Arbeitslosigkeit und dasRentnerdasein ermöglichen den Betroffenen zeitlicheFreiräume, was für das Quartiersmanagement gleich-zeitig Aktivierungspotential darstellt.

Generell setzt das Quartiersmanagement trotz dieserVoraussetzungen nicht auf zeitintensive explorativeMaßnahmen, wie z.B. das open-space-Verfahren oderdie Planungszelle, da diese Verfahren laut Quartiers-management nur allgemeine Fragestellungen an dieBewohner herantragen können und teilweise durchbereits vorhandenes Wissen obsolet sind.Das Quartiersmanagement in diesem Quartier hat alsEröffnungsveranstaltungen zur Einrichtung des Büroszwei Bürgerkonferenzen abgehalten. Die erste Kon-ferenz wurde von der Bevölkerung kaum berücksichtigt,der zweiten Anlauf verlief jedoch erfolgreicher (auchdurch Inanspruchnahme der Kontakte zur bereits eta-blierten „Plattform Marzahn-Hellersdorf“). In Anschlussdaran fanden sich zahlreiche Gruppen zusammen, vondenen heute der Bewohnerbeirat hinsichtlich derNachhaltigkeit und der Übernahme konkreter Verant-wortung am einflussreichsten ist.

Praktikabler sind laut Quartiersmanagerin Initiativen, diedurch konkrete Fragestellungen Interessierte anlocken.Hier besteht die Gefahr der Fluktuation, bzw. kannNachhaltigkeit nicht immer erreicht werden, da vieleBeteiligte nach Beendigung eines Projekts die Gruppewieder verlassen. Ein Beispiel für die Problematik derNachhaltigkeit stellt das Pilotprojekt Quartiersfond dar.Durch die Übergabe von Verantwortung an dieBewohner kam zwar große Aktivierungskraft bei derBevölkerung zum Tragen, langfristige Auswirkungen,z.B. Stabilität der entstandenen Netzwerke über diebegrenzte Dauer des Projekts hinaus, konnten jedochnicht verzeichnet werden. Auffällig war zudem, dass derAktionsfond und dessen Notwendigkeit hinsichtlichunbürokratischer und schneller Hilfe für das Quartier, inden Aussagen der Quartiersmanagerin kaum eine Rollezu spielen schien.Beachtlich ist die Tendenz zum Outsourcing: Dasbedeutet, dass diverse arbeits- und zeitintensiveAufgaben aus dem eigenen Arbeitsbereich an andereUnternehmen weitervermittelt werden. Dies ist in den

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unterschiedlichen Quartiersmanagements verschiedenausgeprägt.Diverse Methoden erscheinen den Ausführenden alsnicht interessant – entweder aus eigener Erfahrung(„open-space“-Verfahren) bzw. der Bewohnereinschät-zung (kein Bewohnerinteresse). Andere scheinen nichtpraktikabel, da sie zeitlich und finanziell zu aufwendigsind bzw. zu hohe Anforderungen an das Bildungs-niveau der Bewohner stellen. Teilweise leidet dieDiskussionskultur unter hochkochenden Emotionen undgeringem Bildungsgrad, was die Ausführung vonBürgerkonferenzen auf einen kleineren „elitären“ Kreisper Einladung notwendig macht.Insgesamt stützte sich das Quartiersmanagement v.a.auf die Verfahren „Planning for real“, Zukunftswerkstatt,Bürgerausstellung und Mediationsprojekt, welche inmehreren Veranstaltungen Anwendungen fanden.

Die Integration der Spätaussiedler scheint gut zu gelin-gen. Andere marginalisierte Gruppen bleiben außerhalbdes Fokus des Quartiersmanagements. Die Quartiers-managementstrategie beruht laut Aussage von FrauCremers auf dem Koordinieren von Initiativen und derBeschaffung von Programm- und anderen Geldern.Bevölkerungsschichten, die gut erreicht werdenkonnten, waren Jugendliche, Senioren, Arbeitlose undSpätaussiedler. Schlecht erreicht werden konntenallgemein Berufstätige mittleren Alters, was meist auffehlende zeitliche Freiräume zurückzuführen ist.Selbsttragende Strukturen wurden ebenso entwickeltwie der Dialog zwischen den Individuen bzw. Gruppen,dies wirkte sich positiv auf das im Quartier vorhandeneSozialkapital aus.Insgesamt ist das Ergebnis des Quartiersmanagementshinsichtlich Partizipation und Aktivierung als gut zubezeichnen.

Berlin-Neukölln: Reuter-KiezDer Reuter-Kiez ist ein typisches Altbaugebiet im Innen-stadtbereich. Die Quote der Bewohner nichtdeutscherHerkunft liegt bei 31,4%, die Sozialhilfeempfängermachen einen Anteil von 13-14% aus. Die Quartiers-managerin beschreibt es als „durchmischtes Gebiet“ mitüberwiegend jungen Menschen.

Im Gebiet leben 19 600 Menschen, das Quartiers-management ist mit fünf Mitarbeitern ausgestattet. Dieinterviewte Quartiersmanagerin arbeitet erst seitFebruar 2003 dort, das vorherige Quartiersmanagementwurde abgesetzt, weil es nicht effizient genug arbeitete.Das weist auf eine starke Kontrolle hin, welche vorallem durch den Rechnungshof und die Verwaltungstattfindet, aber auch durch die Rückmeldung derBürger bei den Behörden.

Die Quartiersmanagerin fand zu Beginn ihrer Arbeit einerege Vereinskultur vor, die mit einem hohen Maß anSozialkapital gleichgesetzt werden kann. Die Arbeit desQuartiersmanagements besteht deshalb hauptsächlichin der Vernetzung der verschiedenen Akteure und Ver-eine.Startveranstaltungen zur Eröffnung des Quartiersmana-gements sind auch hier nicht besonders erfolgreichverlaufen. Die Quartiersmanagerin erklärt dies damit,dass die Bewohner ihre Probleme, Wünsche und Vor-stellungen selbstständig artikulieren – aktivierende undgrundlegend problemanalysierende Methoden scheinenunnötig.

Zurzeit laufen nach Angaben des Quartiersmanage-ments über 130 Projekte, die sich alle einer regenBeteiligung erfreuen. Bestimmte „Risikogruppen“können nur schwer erreicht werden, wie z.B. die Be-wohner nichtdeutscher Herkunft. Wegen ihrer extremenökonomischen Probleme nehmen sie nicht oder sehrvereinzelt an Maßnahmen und Projekten teil. Hierscheint das Quartiersmanagement in gewisser Hinsichtresigniert zu haben, da abgesehen von direktenBeratungs- und Informationsangeboten (z.B. Schuldner-beratung) keine weitergehenden Versuche gemachtwerden, diese Bewohner zu integrieren. Insgesamt wirddieses Gebiet nach der Absetzung des Quartiersmana-gements gute Chancen haben, die durch das QMetablierten Bewohnerstrukturen selbst zu tragen. DieHilfe zur Selbsthilfe und die Erhöhung des Sozialkapitalsist hier in befriedigendem Maße gelungen.

Dresden: ProhlisDas Quartier Dresden-Prohlis weist ähnliche Eigenschaf-ten auf wie die meisten Plattensiedlungen. Zu nennensind hier Leerstand der Plattenbauten, zunehmendeSegregation, hohe Arbeitslosigkeit, im Vergleich zumstädtischen Durchschnitt ein erhöhter Sozialhilfeempfän-geranteil, periphere Lage, ältere Bewohnerstruktursowie ein relativ hoher Ausländeranteil und eine mono-funktionale Gebietsstruktur.Ein konzeptioneller Unterschied ist jedoch beach-tenswert: der Freistaat Sachsen nennt die Förderungneuer Arbeitsplätze als explizites Ziel des Programms.

Das Quartiersmanagement ist personell unterbesetzt,erzielt aber gemessen an den bereitstehenden Mittelnziemlich gute Ergebnisse bei der Aktivierung undPartizipation der Bewohnerschaft. Dies ist auf die mittel-und langfristige Strategie der Quartiersmanagerinzurückzuführen. Diese Strategie beinhaltet die Durch-führung mehrerer kleinteiliger Projekte, die eher derVielzahl der unterschiedlichen Interessen- bzw. Pro-blemlagen der relativ heterogenen Bevölkerung gerechtwerden, als wenige Großprojekte. Ein Indikator für denErfolg ist der hohe Bekanntheitsgrad des Quartiers-

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managements. Dieser konnte durch eine Vielzahl vonAuftritten in den lokalen Medien, unzählige Einzelge-spräche und bürgerfreundliche, ausgedehnte Sprech-zeiten des Quartiersmanagements sowie die Kontakt-freudigkeit der Quartiersmanagerin erreicht werden. DerErfolg des Quartiersmanagements hängt im hohenMaße von den individuellen Fähigkeiten der Leiterin vorOrt, den Wegen zur Bekanntmachung des Quartiers-managements und zur Bildung von Sozialkapital ab.

Das QM öffnete im Oktober 2000 ohne eine Startveran-staltung. Die Quartiersmanagerin versuchte jedoch,durch eine Vielzahl kleinerer Auftritte in den lokalenMedien und auf öffentlichen Plätzen mit Veranstal-tungen auf das QM aufmerksam zu machen undsondierte dabei die Probleme der Bewohner. Gleichzeitigversuchte sie, durch eine aktivierende BefragungAkteure zusammenzuführen. Daraus entstand nacheiniger Zeit die Bürgerinitiative Prohlis. In der Bürger-initiative selbst wurde häufig das Verfahren Planungs-zelle angewandt. Die Bürgerinitiative half auch beiBürgerausstellungen und wirkte so als Multiplikator.Außerdem wurden durch Briefkasten-Projekte, mittelsderer jeder seine Probleme mit dem Quartier kundtunkonnte, Aktionsgruppen initiiert, die später erfolgreichbei spezifischen Problemen Abhilfe schafften. DasMediationsprojekt des Quartiers konnte sogar einenPreis beim Wettbewerb Soziale Stadt 2002 erringen,was auf dessen Erfolg schließen lässt. Andere Methodenkamen wegen mangelnder personeller, zeitlicher undfinanzieller Ressourcenausstattung des Quartiersmana-gements nicht zum Einsatz – die erfolgreich ange-wandten Aktivierungs- und Partizipationsmaßnahmenwurden jedoch weiterentwickelt und in vielen kleinerenund mittleren Projekten umgesetzt.

Die Ziele des Programms bzw. der Verwaltungsverein-barung wurden von der Quartiermanagerin stets ver-sucht einzuhalten. Trotzdem erreichte sie aufgrundunzureichender Erfahrung sowie fehlender personellerund finanzieller Mittel nur eine geringe Partizipation. Ineinem Quartier mit 16 500 Bewohnern ist eineBürgerinitiative mit 30 Aktiven und mehreren kleinerenprojektbezogenen Gruppen enttäuschend, in Anbetrachtder begrenzten zur Verfügung stehenden Mittel jedochein gutes Ergebnis. Der Aufbau von institutionellenStrukturen, die Verstärkung des Sozialkapitals und nichtzuletzt die praktischen Erkenntnisse aus der Anwendungder Methoden mit stark experimentellem Charakter, sindnicht zu unterschätzende Ergebnisse, aus denen auchandere Quartiersmanager beim Aufbau von Quartiers-managements profitieren können. Dies relativiert dieAnfangsschwierigkeiten.

Die Bewohnerschaft kann sich häufig auf langjährigeErfahrungen im Vereinsleben sowie und auf das nochaus DDR-Zeiten gebildete soziale Kapital in Form von

Hausgemeinschaften stützen. Dies bietet eine guteVoraussetzung für das Quartiersmanagement.

Die mangelnde Erfahrung der Bewohner im Umgang mitformalen Diskussionsrunden war auch in diesem Quar-tier für den öffentlichen Diskussionsprozess hinderlich(beispielsweise beim jährlichen Stadtteilfest mitprominenten Gästen wie dem Oberbürgermeister unddem Ministerpräsidenten sowie anderen lokalen Akteu-ren), so dass diese zum Schluss nur noch alspsychologisches Ventil fungieren konnten.Alte und Arbeitslose konnten aufgrund der vorhandenenZeitressourcen und der gebotenen Abwechslung undMöglichkeit zur Partizipation gut erreicht werden.Schwer bzw. gar nicht zu erreichen sind aufgrund dereingeschränkten Zeitressourcen und des punktuellenbzw. mangelnden Interesses Berufstätige und Jugend-liche sowie die Gruppe der Spätaussiedler. Die Quar-tiersmanagerin bemüht sich aber immer noch um dieseGruppen.Nach der Überwindung einiger Probleme konnten stabileselbsttragende Strukturen aufgebaut und die Bildungvon Sozialkapital gefördert werden.

Stendal: StadtseeStendal befindet sich, wie fast alle ostdeutschen Städte,in einem Schrumpfprozess. Die Arbeitslosenquote isthöher als im ostdeutschen Durchschnitt, das Durch-schnittsalter der Bewohnerstruktur steigt, da jungeMenschen nach dem Schulabschluss abwandern. Durcheinen hohen Anteil an Spätaussiedlern im GebietStendal Stadtsee steigt der Anteil Jugendlicher (unter27 Jahren: 33%) jedoch wieder an.Das Gebiet liegt am Innenstadtrand und hat typischeEigenschaften einer Neubausiedlung: eine monofunktio-nale Struktur, einen hohen Wohnungsleerstand (2003:30%), hohe Arbeitslosigkeit (2003: 22,6%) und einehohe Abwanderung (seit 1990 sind 50% der Bevöl-kerung abgewandert).

Das Quartiersmanagement besteht aus vier Mitarbeiternund ist somit gut „ausgestattet“ für die 18 000 Bewoh-ner des Quartiers. Die Quartiersmanagerin ist größten-teils für die Vernetzung des Stadtteils zuständig. Dieserweist sich aber als schwierig, da die Vereinslandschaftnicht gut ausgeprägt ist und lediglich einige Senioren-vereine vor Ort ansässig sind.Das Quartiersmanagement versucht in der Verwaltungein Umdenken in Richtung des Programmanspruchs derSozialen Stadt anzuregen: die Strategie der Stadtgre-mien beschränkt sich auf investive Maßnahmen, vorallem auf Rückbaumaßnahmen. Um eine optimale Kom-bination aus investiven und nicht-investiven Maß-nahmen im Sinne des integrierten Handlungskonzepteszu erzielen, soll ein vernetztes Denken initiiert werden.Die größte Aufgabe hinsichtlich der direkten Arbeit mit

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den Bewohnern in Stendal Stadtsee ist der Aufbau vonSozialkapital.

Starterkonferenzen gehören nicht zu den Erfolgen desQuartiersmanagements. Die Quartiersmanagerin erklär-te dazu, dass die Bürger nicht gern reden und disku-tieren, sondern lieber aktiv sind. Das bedeutet: Wo esnichts zu gestalten gibt, ist die Beteiligung schlecht.Es wurden andere Möglichkeiten gefunden, um dieBelange der Bewohner zu untersuchen. Auf einemjährlich stattfindenden Stadtfest werden z.B. Bewohner-befragungen durchgeführt und regelmäßige Stadtteil-spaziergänge ermöglichen den Bewohnern ebenfalls dieArtikulation ihrer Probleme und Wünsche.Die Projekte und Maßnahmen selbst sind auf dieBedürfnisse der Bürger abgestimmt; sie erfreuen sicheiner guten Beteiligung. Die „Risikogruppen“, Migrantenund Arbeitslose, werden gut erreicht und beteiligen sichintensiv.

Das Quartiersmanagement zeigte sich sehr unzufriedenmit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellenMitteln. Trotz einer „Finanzspritze“ durch das zusätzlicheFörderprogramm LOS für die Jugendvernetzung beton-te die Quartiersmanagerin, dass alle Ressourcen starkgebündelt werden müssen, um überhaupt einengewissen Spielraum zu haben.Die Quartiersmanagerin scheint sehr engagiert. EinigeVorgaben des Programms Soziale Stadt kann sie jedochnicht unterschreiben, da sie sich nicht für ihr Gebieteignen würden. Sie will weniger unter den Bewohnernneue Strukturen schaffen als vielmehr die Verwaltungvernetzen. Des Weiteren sieht sie die Bewohner-partizipation nicht als Arbeitsersparnis, sondern alsArbeit. Mit Arbeitsersparnis sind hier die selbsttragen-den Bewohnerstrukturen gemeint, die jedes QM gemäßProgrammvorgaben als nachhaltiges Ziel haben soll. DasQM Stendal Stadtsee leistet zwar Hilfe zur Selbsthilfe,baut Sozialkapital auf und kann einige Erfolge vor-weisen, jedoch reicht das ihrer Meinung nach nicht aus,um nach Absetzen des QMs eine bunte Landschafteigener Projekte, Vereine und Initiativen der Bewohnerzu hinterlassen. Da das Land Sachsen-Anhalt aber dieMittel zur Förderung des Programms nicht mehr auf-bringt und so die 3/3-Finanzierung durch Kommune,Land und Bund nicht mehr gewährleistet ist, wird dergesamte Etat für Stendal Stadtsee ab 2004 gestrichen.Dies könnte ein Zusammenbrechen der aufgebautenStrukturen zur Folge haben.

Schwedt: Obere TalsandterrassenSchwedt unterliegt einem gesamtstädtischen Schrumpf-ungsprozess und ist somit von einer Abwärtsspiralebedroht. Die Stadt leidet unter wirtschaftlicher Struktur-schwäche, fehlenden Arbeits- und Ausbildungsplätzen,Wegzügen von Jüngeren und Qualifizierten (Fernwan-derung), Wegzügen von Einkommensstärkeren (Nah-

wanderung), dauerhaftem Leerstand von Wohnungenund Infrastruktureinrichtungen, zunehmender Armut,Überalterung, sinkender Kaufkraft, sinkenden Steuerein-nahmen, steigenden Ausgaben für Sozialhilfe, schlech-tem Image und fehlender Investitionsbereitschaft. Esgibt eine Konzentration von benachteiligten Gruppen indem ausgewählten Quartier der Sozialen Stadt „ObereTalsandterrassen“. Bei dem Quartier handelt es sich umein Neubaugebiet in peripherer Lage, welches dieStadtteile „Am Waldrand“, „Kastanienallee“ und„Talsand“ umfasst. Der Stadtteil „Am Waldrand“ ver-zeichnet einen Einwohnerrückgang von ca. 75%. Folgenfür das Stadtteilleben sind die Auflösung von sozialenBeziehungen und die Abgrenzung sozialer Gruppen(Spätaussiedler). Die Ressourcen des Quartiers liegen inder bestehenden Vereinskultur und der Hoffnung aufNutzung dieses Sozialkapitals.

Das integrierte Handlungskonzept soll die Sozialstrukturdurch Integration der Stadtteile und sozialen Ausgleichstabilisieren und so das Zusammenleben fördern. Umdas Problem der Arbeitslosigkeit anzugehen, gibt esBeschäftigungsprojekte, Taschengeldprojekte und fürJugendliche die Möglichkeit eines „sozialen Trainings-jahres“. Das Wohnumfeld soll durch Übergangsmaß-nahmen (z.B. Fassendengalerie) verbessert werden.Das Image soll durch Öffentlichkeitsarbeit und Doku-mentation aufgewertet werden. Für die Beteiligung undOrganisation gibt es eine Steuerungsgruppe. Dem„Arbeitskreis Soziale Stadt“, in dem Vertreter derEinrichtungen vor Ort, der Wohnungsunternehmen, derStadtverwaltung, politischer Parteien, Gewerbetreiben-der und Bewohner vertreten sind, kommt eine beson-dere Bedeutung zu. Er hat unter anderem das Stadtteil-management initiiert. Er war des Weiteren ein wichtigesInstrument für die Erarbeitung eines integrierten Hand-lungskonzepts. Im Arbeitskreis werden zentrale Pro-bleme und Gebietsperspektiven diskutiert, Projektideenvorgestellt und Maßnahmen kurzfristig umgesetzt.Innerhalb der Stadtverwaltung gibt es Kooperationzwischen unterschiedlichen Ressorts.Das Stadtteilmanagement hat Einflussmöglichkeiten aufdie weitere Gebietsentwicklung und Steuerung. Es solldie Bewohner laufend informieren, in Prozesse einbin-den und über einen eigenen Fond verfügen. Das Stadt-teilbüro wurde vorerst über eine Trägerschaft durch denUBV (Uckermärkischer Berufsbildungs-Verein) besetzt(ABM-Stelle), soll langfristig aber durch professionelleund erfahrene Stadtteilmanager geleitet werden.

Das Stadtteilmanagement informiert die Bewohner überden Abriss- und Entmietungsprozess und gibt Vor-Ort-Informationen über die Wohnungsunternehmen undWohnungsangebote. Die Bewohner sollen angeregtwerden, sich zu beteiligen und qualifizieren, um soStrukturen zur Selbsthilfe schaffen. Mitwirkungsmöglich-keiten entstehen für die Bewohner bei der Konzept-

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entwicklung von Schlüsselprojekten, bei zielgruppenspe-zifischen Workshops (Jugendliche, Ältere, Spätaus-siedler), bei speziellen Festen/ Stadtteilfesten, bei derDokumentation über Stadtentwicklung und –umbau inSchwedt und bei der Ideenbörse im Stadtteilbüro.Zudem gibt es spezielle Partizipationsmodelle für Spät-aussiedler und darüber hinaus eine Zusammenarbeit mitdem Netzwerk „Spätaussiedler“.Zur Eröffnung des Stadtteilbüros gab es keine Start-veranstaltung, lediglich eine Pressemitteilung. EineErhebung über die Interessen und die Problemwahrneh-mung der Bewohner wurden nicht durchgeführt. Ver-schiedene Aktionen wie z.B. die Zukunftswerkstatt oderdie Bürgerausstellung fanden allerdings statt. Die Stadt-teilmanagerin bewertet alle Maßnahmen als gleich-wertig, auch im Ergebnis.

Das Stadtteilmanagement ist bemüht, die Ziele desProgramms umzusetzen und scheint mit dem Ergebniszufrieden zu sein. Das Stadtteilmanagement setzt aufengagierte Bewohner, die als Multiplikatoren wirkensollen. Die Beteiligung der Bewohner erfolgt vor allemim Arbeitskreis Soziale Stadt, beim Aktionsfond und beiDokumentationen („Stadtrückbau“). Schüler und derenEltern sind gut über die Schule zu erreichen. EineVielzahl der Bürger beteiligt sich aber aufgrund vonSchwellenängsten eher wenig. Diese können jedochdurch persönliche Gespräche abgebaut werden. DasStadtteilmanagement bemängelt fehlende personelleund finanzielle Mittel und wünscht sich mehr Kontinuitätauf personeller Ebene. Bemängelt wird hier vor allem,dass die ABM-Kraft halbjährlich wechselt. Eine guteVernetzung besteht mit den zwei Wohnungsunter-nehmen (Wohnbauten GmbH 54%, Wohnungsbau-genossenschaft e.G. 36%) und der Stadtverwaltung so-wie dem Uckermärkischen Berufsbildungs-Verein (UBV)und der Arbeiterwohlfahrt (AWO).

Potsdam: Am SternDas Quartier Potsdam – Am Stern ist ein periphergelegenes Neubaugebiet mit monofunktionaler Nutz-ungsstruktur. Es ist ein reines Wohngebiet, mit demzum Leben notwendig angegliederten Gewerbe. DasStadtgebiet ist gekennzeichnet durch einen kontinu-ierlichen Bevölkerungsrückgang seit 1991. Vor allemFamilien mit Kindern verlassen dieses Gebiet. DieArbeitslosenquote liegt bei 8,4 %. Da besonders Ju-gendliche von der Arbeitslosigkeit betroffen sind, ist dieJugendarbeitslosigkeit zu einer der Kernaufgaben desQuartiersmanagements geworden.

Das Quartiersmanagement begann seine Arbeit Anfang2002. Verantwortlich für das Gebiet Potsdam – AmStern sind drei Mitarbeiter für knapp 14.000 Bewohner.Gleich zu Beginn wurde eine Zukunftswerkstatt insLeben gerufen, bei der sich ungefähr 50 Bürger undBürgerinnen gemeinsam mit den Quartiersmanagern

Gedanken um die Zukunft des Wohngebietes machten.Bevor das Quartiersmanagement eröffnete, gab esbereits diverse Städtebaumaßnahmen, Städtebauförde-rung und Wohnumfeldmaßnahmen. Das Projekt SozialeStadt wurde als weiterführendes Programm initialisiert.Weiterhin gab es in Potsdam schon vor dem Quartiers-management ein reges Vereinsleben sowie eine sehraktive Bürgerinitiative. Diese Faktoren verbunden miteinem relativ hohen Sozialkapital erleichtern denQuartiersmanagern die Arbeit erheblich, da vor allemdie Bürgerinitiative als Sprachrohr und Multiplikatorfungiert.

Gegen die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit wur-den vom Quartiersmanagement verschiedene Projekteins Leben gerufen. So zum Beispiel Partnerprogrammeim Rahmen der Sozialen Stadt (z.B. K&Q; E&C).Gemeinsam werden Jugendkonferenzen zur Aktivierungvon Jugendlichen organisiert. Daraus entstanden wie-terführende Projekte wie z.B. Stadtteilfeste oder auchdie Renovierung und der Wiederaufbau eines Jugend-klubs.Außerdem versucht das Quartiersmanagement durchArbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder mit finanziellenHilfen, Bildungsstätten zur Beschäftigung von Jugendli-chen zu unterstützen.Im Rahmen der Bürgerinitiative hat sich in Anlehnungan die Zukunftswerkstatt ein regelmäßiges, zweimo-natiges Bürgertreffen etabliert. Hier hat sich also auseiner Veranstaltung des Quartiersmanagements eindauerhaftes Projekt entwickelt.An diesen Konferenzen beteiligen sich auch Politiker undVerwaltungsmitarbeiter der Bereiche Stadterneuerung/Ordnungsamt. Sie werden eingeladen, sich an derDiskussion der Bewohner zu beteiligen und auf even-tuelle Fragen zu antworten.Dort soll unter anderem die Kommunikation der Bürgermiteinander gefördert sowie Probleme aus Sicht derBürger beleuchtet werden. Das Problem ist, dass sichnicht alle Bevölkerungsgruppen aktiv beteiligen.Hauptsächlich nehmen bereits aktive Bewohner der Bür-gerinitiative teil sowie ältere Bewohner und Mitarbeiteraus Kinder- und Jugendeinrichtungen. Dies führt dazu,dass vor allem sog. „Beteiligungsprofis“ das Wortergreifen und Minderheiten sich nicht durchsetzenkönnen.Die Ausländer, die im Quartier Potsdam - Am Stern pro-zentual mit 3,7 % vertreten sind, werden gar nicht er-reicht. Die Quartiersmanagerin zeigte dahingehendjedoch auch kein Engagement, mit der Begründung,niemand könne gezwungen werden sich zu beteiligen.Das Quartiersmanagement hat seinen Sitz in Babelsbergund nicht direkt im Quartier. Dies wird mit der aktivenBürgerinitiative begründet, deren Arbeit so gut ist, dassim Schnitt zwei „Begehungen“ pro Woche genügen.Über zukünftige Projekte und Bewohnerinformationensollen die Bürger durch eine dreimal im Monat erschei-

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nende Stadtteilzeitung informiert werden, die jedochnicht aktiv von Bewohnern gestaltet wird.

Insgesamt werden die laufenden Projekte gut besuchtund auch zwischen den verschiedenen Projektenherrscht eine hohe Fluktuation. Laut der Quartiersmana-gerin ist Potsdam – Am Stern ein gutes Beispiel fürgelungenes Quartiersmanagement, wobei den schonvorgefundenen Bewohnerstrukturen, wie z.B. den sehraktiven Bürgerinitiativen, eine große Bedeutung fürdiesen Erfolg zugeschrieben werden muss.

6.2.8 Fazit

Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass es bedeu-tende Unterschiede in der Herangehensweise der ver-schiedenen Quartiersmanagements bei der Umsetzungder im Programm formulierten Schaffung langfristigerZiele „selbsttragender Bewohnerstrukturen“ zu schaffengibt.Auf den ersten Blick gibt es zwei unterschiedliche Lager.Die einen erkennen und betonen die Notwendigkeit derNachhaltigkeit der Maßnahmen (Bildung von Sozial-kapital sowie selbsttragende Bewohnerstrukturen). Dasandere Lager versucht auf eher „pädagogische“ Art undWeise, die Menschen über kurze und kleine Aktionenohne unmittelbar nachweisbare „Nachhaltigkeit“ zuerreichen. Dementsprechend können die Quartiersma-nagements, die den grundsätzlichen Programman-sprüchen gerecht werden, von denen unterscheidenwerden, die gerade das nicht zu leisten im Stande sind.Eine naheliegende Erklärung für das Fehlen von aufLangfristigkeit ausgerichteten Maßnahmen könnte sein,dass sich die entsprechenden Quartiersmanager ausunterschiedlichsten Gründen dem neuartigen („inno-vativen“) Anspruch des Programms nicht bewusst sind.Dies könnte an einer gewissen `Schwerfälligkeit’ liegen,nicht bereit zu sein den Weg der Strukturveränderungenin Verwaltung und Politik mitzugehen. Möglicherweisevariiert auch mit dem Ausbildungshintergrund der Quar-tiersmanager ihre Form der Problemwahrnehmung unddes Problemverständnisses und kann insofern Unter-schiede in der Arbeitsweise erklären.Zwar kann diese Argumentation für einige der von unsuntersuchten Gebiete nicht völlig ausgeschlossen wer-den, doch trat für uns ein anderes Erklärungsmuster inden Vordergrund, welches sich aus der theoretischenAusarbeitung des Sozialkapitalkonzepts ableiten lässt.So scheint die Haupttrennlinie nicht zwischen Quartiers-managements zu verlaufen, die den Ansatz des Pro-gramms verstanden bzw. verinnerlicht haben unddenen, bei denen dies nicht der Fall ist. Stattdessenverläuft sie vor allem zwischen solchen Quartiersmana-gements, für die die hochgesteckten Ziele des Pro-gramms durchaus erreichbar scheinen und solchen, fürdie diese Ziele eher im Bereich „entfernter Zukunfts-

musik“, als im Rahmen des in absehbarer Zeit tatsäch-lich im Quartier Erreichbaren liegen. Verständlich wirddiese Auffassung, wenn man sich den Verlauf derTrennlinie zwischen den Quartieren anschaut: Quartieremit einer bereits vor der Installation des Quartiers-managements ausgestatteten Art von „Vereins- bzw.Initiativenkultur“ stehen Quartieren gegenüber, deneneine solche fehlt. Doch gerade diese grundsätzlichenErfahrungen mit Selbstorganisation und Handlungs-fähigkeit bilden den Humus für den Ausbau desSozialkapitals durch das Quartiersmanagement. Dahergibt es Quartiersmanagements, die mit Verweis auf dieProgrammziele die anvisierten aktivierenden undoffenen Maßnahmen („was wollt ihr?“) erfolgreichdurchführen können, während andere Quartiersmana-gements derart offene Maßnahmen aus praktischerErfahrung ausschließen müssen. Für diese gilt esgrundsätzlich, in kleinen Schritten die Aktivierung derBevölkerung zu betreiben. Diese Differenz haben wirschon im theoretischen Teil als Differenz zwischen derNotwendigkeit von „Akkumulationsstrategien“ (Sozialka-pital muss grundlegend gebildet werden) gegenüberden „Konsolidierungs- und Diffusionsstrategien“ (Sozial-kapital muss gestützt und erhöht werden) bezeichnet(vgl. Schnur 2003: 100 ff.).Den Bewohnern sind im Falle von fehlendemSozialkapital die abstrakten und langfristigen Ziele desProgramms nicht direkt zu vermitteln. Kurzfristige Maß-nahmen wirken durch ein schnell sichtbares Ergebnisvertrauensbildend und motivierend für die Bewohner –es entsteht ein „greifbarer“ Zusammenhang zwischenUrsache und Wirkung. Kleinteilige Projekte ohneunmittelbaren nachhaltigen Charakter scheinen damitdie einzige Lösung zu sein, dem Generalanspruch desProgramms näher zu kommen. Sie tragen dabeinatürlich zur langfristigen Mobilisierung von Menschenund zur Bildung von Sozialkapital bei, doch kann dasQuartiersmanagement innerhalb dieses Zeitraums denlangfristigen Anspruch nicht nachweislich für sichreklamieren.Bei der Auswertung der Interviews kristallisierten sichnoch weitere Vorzüge kleinteiliger und kurzfristigerMaßnahmen heraus. Zu nennen ist dabei vor allem diemit ihnen verbundene bessere Erreichbarkeit derBewohner mit beschränkten Zeitressourcen, z.B. derarbeitenden Bevölkerung sowie die Möglichkeit derdirekten Ansprache von Bevölkerungsgruppen: denQuartiersmanagern fällt auf, dass bestimmte Gruppensich nur einbringen, wenn sie sich persönlichangesprochen fühlen bzw. persönlich angesprochenwerden.Insgesamt zeigt sich damit, dass in der Mehrzahl dervon uns untersuchten Quartiere noch nicht absehbar ist,ob sich durch die Arbeit des Quartiersmanagementsnachhaltige, selbsttragende Strukturen herausbildenbzw. die neu gebildeten von Bestand bleiben werden.Die von uns in der Mehrzahl der Quartiere festgestellte

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Arbeit mit kurzfristigen Maßnahmen macht in be-stimmten Quartieren Sinn und lässt sich nicht alsVernachlässigung der langfristigen Programmziele ver-stehen. Hier liegt der neue Anspruch des Programms:es geht nicht um die lebensweltfremde und sozial-planerische Umsetzung von staatlich ausgearbeiteten(allgemeinen) Vorstellungen („Bürgergesellschaft“, etc.),sondern um die grundsätzliche Anknüpfung an direkteBewohnerinteressen. Diese ist in den ersten Schritten,in denen das Programm noch immer steckt, häufig überkleinteilige und eher kurzfristige Quartiersprojekte mitdurchaus langfristigem Potenzial zu erreichen.

Daher spielt auch die Besetzung des Quartiersmanage-ments eine bedeutende Rolle. Wichtig sind ausrei-chende personelle Ressourcen, Kontinuität sowie eineentsprechende Qualifikation der Quartiersmanager.Ideal wäre eine Mischung aus Stadtplanern und Sozial-pädagogen / Sozialwissenschaftlern (mit sozialer Kom-petenz). Die Analyse gruppendynamischer sozialer Pro-zesse ist ebenso wichtig wie das städtebauliche Know-how.

6.3 Die Schule als Fokusder Quartiersentwicklung

In diesem Kapitel möchten wir der Frage nachgehen,wie sich negative Nachbarschaftseffekte in benach-teiligten Gebieten auswirken und wie Schulen diesenEntwicklungen entgegenwirken können. Hierzu habenwir Interviews an Berliner Grundschulen geführt, die inden betroffenen Gebieten liegen.Die Grundschulen bieten zwei wesentliche Voraus-setzungen für die Untersuchung von Nachbarschafts-effekten. Zum einen wirkt das Quartier als Lernraum ineinem stärkeren Maße auf Kinder, als auf erwachseneBewohner, sie nehmen das Wohnumfeld, in dem sieheranwachsen, als “Normalität” war. Zum anderenkönnen die Probleme, mit denen die Grundschulen kon-frontiert sind, als ein Abbild der Probleme des Gebietesverstanden werden. Eltern können nicht frei entschei-den auf welcher Grundschule sie ihr Kind anmelden. Inder Regel müssen die Kinder die zum Einzugsgebietgehörende Schule besuchen. Begründet wird dies mitdem kurzen Schulweg; wenn die nächstliegende Schuleallerdings zu einem anderen Einzugsgebiet gehört,können die Schulen die hiervon betroffenen Kinder aufWunsch der Eltern auch untereinander tauschen. Eineweitere Ausnahme besteht, wenn das Kind eine Schulemit einer besonderen pädagogischen Ausrichtung be-suchen soll. Aufgrund dieser Regelungen lässt sichdavon ausgehen, dass die Schüler der Grundschulen inden untersuchten Gebieten überwiegend auch in diesenGebieten wohnen.Wir haben leitfragengestützte “Experteninterviews” mitSchulleitern an Berliner Grundschulen durchgeführt.

Anhand der Gespräche haben wir herausgefunden, wiesich die Schulen in den jeweiligen Sozialräumen selbstverorten, welche Probleme der Gebiete sich an denSchulen widerspiegeln und wie die Schulen auf diegebietsspezifischen Anforderungen reagieren.Im ersten Teil der Untersuchung gehen wir der Fragenach, ob die Schule negative Nachbarschaftseffekteverstärkt. Wenn besorgte Eltern aus dem Einzugs-bereich einer stigmatisierten Schule wegziehen, umihrem Kind den Besuch einer anderen Schule zuermöglichen, trägt die Schule zur sozialen Entmischungdes Gebiets bei. Wenn Schüler aus Haushalten mithöherem kulturellen, sozialen und ökonomischen Kapitalausbleiben, beeinträchtigt das den Schulalltag für alleSchüler. Abweichende Verhaltensweisen können sich soin einem Prozess kollektiver Sozialisation auch aufweitere Schüler übertragen.Der zweite Teil beschreibt anhand von Beispielen, wiedie Schulen positiv auf die betroffenen Gebieteeinwirken können. Die Schulen können helfen, Defizitebei den Kindern auszugleichen und das Selbstvertrauender Kinder zu stärken. Sie können Netzwerke zwischenden Eltern unterstützen und bildungsnahe Schichten andas Gebiet binden. Gemeinsam mit anderen Akteurenkönnen sie den Kindern helfen, ihre Freizeit zuorganisieren und somit die Tristesse des Gebietesüberwinden helfen.Der dritte Teil beschreibt die neuen Möglichkeiten, diesich aus der Zusammenarbeit der Schulen mit denQuartiersmanagements ergeben.

Es wurden sieben Experteninterviews geführt, dieErgebnisse besitzen somit nur relativ schwache Aus-sagekraft. Fünf Schulen liegen in ehemaligen Westbe-zirken, jeweils eine Schule liegt in den Ostberliner Stadt-teilen Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Sechs derbefragten Schulen liegen in einem Programmgebiet,wobei ein guter Kontakt zum jeweiligen Quartiersmana-gement besteht. Eine Schule liegt am Rande eines Pro-grammgebietes und unterhält losen Kontakt zumdortigen Quartiersmanagement.

6.3.1 Stigmatisierung von Schulen

Zunächst möchten wir der Frage nachgehen, ob dieStigmatisierung von Schulen, die in Problemquartierenliegen, durch den Wegzug von bildungsnahen Eltern zurweiteren sozialen Homogenisierung des Quartiers bei-trägt.

“Schule spielt eine Rolle für den Kiez, in dem sieinteressierte bildungsnahe Eltern an den Kiez bindet.Ich kann die Eltern aus dem Kiez nicht so pauschaleinordnen. Es gibt auch hier Eltern die in der Mittel-schicht anzusiedeln wären, die auch gebildet sind oderdie Aufsteiger sind, die einfach hier wohnen bleiben,

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auch weil sie nicht den Standpunkt haben: ,Spiel nichtmit den Schmuddelkindern’. Die sagen, hier hab ichgewohnt, und es muss auch jemand hier wohnenbleiben, damit es nicht kippt.”

Wie in der Einleitung beschrieben, ist es vorgesehen,Kinder zu Schulbeginn in der Schule ihres Einzugsge-bietes einzuschulen. Falls Eltern dies nicht wünschenbestehen zwei Optionen:Eltern können einen Antrag stellen, um den Schulbe-such ihrer Kinder in einer Schule ihrer Wahl zu ermögli-chen. Dies ist mit einem nicht unerheblichen bürokra-tischen Aufwand verbunden und bedarf einer Begrün-dung.Die Familie zieht spätestens zum Schulbeginn aus demEinzugsgebiet weg.Die zweite Option ist Ausgangspunkt unserer These. Dawir davon ausgehen, dass bildungsnahe Elternhäuseram Schulerfolg ihrer Kinder nicht unerheblich inter-essiert sind, werden sie diese Option nutzen, falls sievermuten, dass aufgrund des vermeintlichen oder destatsächlich fehlenden ökonomischen, sozialen oderkulturellen Kapitals der dort eingeschulten Schüler, dieInstitution Schule ihres Einzugsgebietes keine guteAusgangsbasis für den Schulerfolg ihrer Kinder bietet.Eingangs sei noch erwähnt, dass unsere Fragestellung –ob sich Eltern aufgrund der Stigmatisierung bewusstgegen ihre Schule entschieden – an die Schulleitungherangetragen nicht ganz unproblematisch erschien, daes vermutlich auch das Selbstverständnis der dortTätigen berührte.Grundsätzlich kann man sagen, dass das Antworten-spektrum von a) völliger Verneinung bis b) völligerZustimmung reichte.

Zu a)

“Umzug wegen der Einschulung, nee.”“Da sind sie hier falsch. Andere Schulen im Kiez sindschlechter dran als wir. Wir ziehen 1/3 Schüler an, diegar nicht hier wohnen, [für das Gebiet] untypischeSchüler.”“Die Schule hat einen guten Ruf. [Sie] ist daherinteressant für Eltern aus anderen Schuleinzugs-gebieten.”

Zu b)

“Vor drei bis vier Jahren gab es zwei Jahre lang keineNeuanmeldungen deutschsprachiger Schüler mehr.”“Bildungsnahe Schichten ziehen weg, um ihre Kindernicht im Kiez auf die Schule gehen zu lassen.”

Auffällig war, dass alle Schulen versuchten, über beson-dere Anstrengungen oder Schulkonzepte Anreize zubieten, um Schüler aus bildungsnahen Elternhäusern ansich zu binden. Drei Schulen formulierten für sich den

Anspruch, eine “Magnetschule” zu werden. Anderenehmen in der Umsetzung des Konzeptes der “verlässli-chen Halbtagsschule”, in der Kinder bis zur 6. Klasse imFrüh- und Späthort betreut werden, eine Vorreiterrolleein oder bieten die Übernahme der Betreuung alsGanztagsschule an. Eine der untersuchten Schulenarbeitet nach dem Peter-Petersen-Konzept, wobei dasgemeinsame Feiern, Spielen, Reden und Arbeiten denZusammenhalt fördert. In einigen Schulen hat dasLernen in gemischten Arbeitsgruppen den klassischenFrontalunterricht abgelöst.

Die Schulleiter drückten es so aus:

“Schule im ,sozialen Brennpunkt’ muss schöner seinals andere Schulen.”

“Wir wollten immer eine Magnetschule werden, die sogut ist, dass die Eltern zu uns wollen und nach siebenJahren fängt die Rechnung nun an aufzugehen. […]Das Ergebnis ist, dass wir solche Eltern, also mitsozialer Überzeugung, schon mal hier halten können.Es ist ja nicht so, dass nur eine gute Schule dazubeiträgt, dass die Leute bleiben. Da muss vieleszusammenkommen, aber auch eine gute Schule. Dashaben wir jetzt geschafft; und darüber freuen wir unssehr. […] Es ist deutlich zu spüren, dass es bergangeht.”

“Die Schule kann eine wichtige Rolle für den Kiezspielen, dadurch dass sie attraktiv ist. Deshalb musssie auch attraktiv sein. Das kann dazu führen, dassinteressierte Eltern den Kiez nicht verlassen. Es gibtwelche, die sagen, solange die Grundschule währt,ziehen wir nicht um.”

FazitSowohl Stigmatisierungsprobleme, als auch die tatsäch-lichen Probleme aufgrund der fehlenden Kapitalausstat-tung der Schüler, werden von den Schulleitern wahr-genommen.Es bedarf besonderer Anstrengungen von Schulen in,sozialen Brennpunkten’, um einen guten “Guten Ruf”zu erlangen oder zu erhalten, um diesen Stigmati-sierungsprozessen entgegenzuwirken und dadurchsowohl für (Mittelschicht-)Schüler aus dem Kiez, alsauch für Schüler anderer Einzugsgebiete interessant zuwerden oder zu bleiben.

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6.3.2 Wirkung der Elternhäuser auf die Schule

Dieses Kapitel soll klären, ob der Schule Nachteile durchden hohen Anteil an Eltern mit relativ geringer Aus-stattung an kulturellem, ökonomischem bzw. sozialemKapital entstehen.In Kapitel 5.4 dieser Arbeit wurde bereits ein Modell zurnegativen Wirkung des Quartiers durch eine zunehmen-de Verarmung desselben an bestimmten gesellschaft-lichen Schichten beschrieben. In einem Prozess derSegregation gehen dem Quartier mit den Angehörigender Mittelschicht auch deren Ressourcen an kulturellem,sozialem und ökonomischem Kapital verloren, derenBesitz diese Schichten kennzeichnet (vgl. Kapitel 5.3).In Bezug auf die Schulen im Quartier sind verschiedeneFormen dadurch verursachter negativer Nachbarschafts-effekte denkbar. Schon in Kapitel 5.4 wurde derWegzug von Mittelschichten als zentrales Charakteristi-kum eines “benachteiligenden” Quartiers identifiziert. Sobeschäftigt sich auch dieses Kapitel mit dieser Verar-mung von Quartieren als Ursache von Deprivation. Auchdie beiden nachfolgenden Kapitel 6.3.3 (Überstra-pazierung der Ressourcen) und 6.3.4 (KollektiveSozialisation) beschäftigen sich mit Folgen dieser“Kapitalflucht”. Zur Abgrenzung sei hier betont, dasssich dieses Kapitel auf negative Effekte konzentriert,die nicht in der direkten Interaktion der Betroffenen, indiesem Fall der Schüler, entstehen. Vielmehr konzen-triert sich der vorliegende Abschnitt auf Nachteile, dieden Schülern und der Schule durch den hohen Anteil anEltern mit geringeren Kapitalressourcen entstehen.Unsere Erwartungen in Bezug auf diese Hypothesegründeten sich demnach auf Bereiche, in denen dieEltern für die Schule als Ganzes eine Rolle spielenkönnten, also insbesondere bei Finanzierung und Orga-nisation von zusätzlichen Aufwendungen und Projekten,z.B. durch das Instrument eines Fördervereins. Ein zuerwartender negativer Effekt zunehmender Segregationkönnte demnach wie folgt formuliert werden: EineSchule in einem segregierten Quartier wird wenigerSpielraum für zusätzliche Ausgaben und Projekte haben,da es an Eltern mit den zum erfolgreichen Engagementnötigen ökonomischen, sozialen oder kulturellen Res-sourcen mangelt.Diese Differenz zu anderen Quartieren müsste als Nach-barschaftseffekt betrachtet werden, da die gesamteSchülerschaft dadurch benachteiligt würde. Ein Zusam-menhang zwischen der Schichtzugehörigkeit der Elternund deren Bereitschaft zum Engagement für die Schule,bzw. den Formen und Erfolgsaussichten dieses Engage-ments, wird anhand des vorliegenden Datenmaterialsnoch nachzuweisen sein müssen.In einer Mehrheit der Interviews lassen sich zahlreicheNachweise für unsere Hypothese finden. Bei den beidenSchulen, für welche die Hypothese nicht bestätigt wer-den konnte, handelt es sich um die Thomas-Grund-schule im Quartiersmanagement-Gebiet Helmholtzplatz

(Prenzlauer Berg) und die Zille-Grundschule in Frie-drichshain. Allerdings bescheinigen die jeweiligen Ges-prächspartner in beiden Fällen ihrem Kiez eine durchausintakte soziale Mischung mit einem hohen Anteil anBewohnern mit hohem Bildungs- und durchschnittl-ichem ökonomischen Kapital.Für die anderen fünf Interviews kann festgestelltwerden, dass der Schichtzugehörigkeit von Seiten derInterviewten ein bedeutender Einfluss auf den Grad desEngagements von Seiten der Eltern zugemessen wird.Dabei wird vor allem die Unterscheidung zwischenbildungsnahen und bildungsfernen Schichten jenseitsethnischer Zugehörigkeit zentral gesetzt, wobei dieBegriffe “bildungsnahe Schichten” und “Mittelschicht”synonym verwendet werden. Ein höherer Anteil anMittelschichtseltern wird mit mehr Engagement für dieSchule gleichgesetzt. Die Gesprächspartner selbst er-warten also durchaus eine Benachteiligung ihrer Schuledurch zunehmende Segregation.Indirekt spiegelt sich diese Annahme in der immerwieder hervorgehobenen Bedeutung von sozialerMischung für die Qualität der Schule wider. Äußerungenin diesem Sinne finden sich in allen Interviews mitAusnahme zweier Interviews, in denen die Gesprächs-partner aber auch kein Vorhandensein irgendeinersozialen Mischung mehr für ihre Schule in Anspruchnehmen. Eine Passage aus dem Interview mit einerdieser Schulen kann hier als charakteristisch zitiertwerden, obwohl, wie schon oben bemerkt, in diesemFalle die befürchtete soziale Entmischung ja gar nichteingetreten ist: “So vor vier Jahren, da war so einKnackpunkt, wo wir echt Sorgen hatten, es sind gutsituierte Familien weggezogen [...] oder die Kinder sinduns verloren gegangen, weil sie direkt nach der viertenKlasse aufs Gymnasium gegangen sind, weil sie einfachaus dem Bereich hier raus wollten, da fehlt danneinfach gutes Kapital in der Klasse, nur Elite bringtnatürlich auch nichts, schon besser eine sozialeMischung...”.In einem anderen Interview findet sich eine ähnlicheÄußerung, die stärker auf den Aspekt des Elternenga-gements zugespitzt ist: “Unsere Fördervereinsvor-sitzenden, die wohnen auch hier. Es gibt schon einegewisse Mischung, aber es ist problematisch.” DieFördervereinsvorsitzenden werden hier als Angehörigeder im Quartier “zurückgebliebenen” Mittelschicht iden-tifiziert. Sie repräsentieren zugleich die noch vorhan-dene soziale Mischung als auch die Gruppe derengagierten Eltern. In der Äußerung verbirgt sich derUmkehrschluss, dass mit der Aufhebung der verblei-benden sozialen Mischung durch den Wegzug derMittelschichtseltern zugleich die wenigen Stützen desEngagements für die Schule wegfallen würden.In jedem Fall wird der potentielle oder tatsächlicheWegzug von Mittelschichten in Bezug auf Elternengage-ment als problematisch angesehen. Allerdings wirddabei der Zusammenhang zwischen Schichtzugehörig-

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keit und Engagement sehr unterschiedlich erklärt.Zunächst werden ganz allgemein in allen fünfInterviews “Kommunikationsschwierigkeiten” mit Elternerwähnt. Während jedoch in dem einem Interview ohneweitere Erklärung die Schichtzugehörigkeit als Ursachefür mangelndes Engagement genannt wird, findet sichin einem anderen Interview die Zurechnung auf dengeringen “Bildungsanspruch” der Eltern. Im Gegensatzdazu wird in drei weiteren Interviews die Zurückhaltung“bildungsferner” Eltern weniger auf mangelndes Inter-esse, denn auf mangelndes ökonomisches sowie mittel-schichtspezifisches kulturelles Kapital zurückgeführt.Der Mangel an ökonomischen Ressourcen wird vorallem in zwei Interviews hervorgehoben:

“Wir haben 26 Eltern im Förderverein [bei 300Schülern]. [...] Es ist nicht über Mitgliedsbeiträgeirgendetwas zu bewerkstelligen bei uns.”

Eine Direktorin schildert, wie auch bei einem groß ange-legten Jubiläumsfest der Schule nur eine zu vernach-lässigende Summe an Spendengeldern zusammen-kommt:

"Ich hatte an beiden Garderoben zwei Behältnisse fürSpenden aufgestellt. Es wurden 25 Euro den ganzenTag über gespendet, und das, obwohl 150 Leuteumsonst - das waren nicht alles Eltern - einkostenloses Konzert der Philharmoniker erleben konn-ten. Das ist die eine Geschichte; die andere Geschich-te ist: etliche der Philharmoniker haben ihre Kinder inFrohnau an einem bestimmten Gymnasium. DasGymnasium brauchte eine neue Turnhalle, die hattenzu wenig Platz. Da haben die Philharmoniker-Elternein Benefizkonzert organisiert, das war natürlich inFrohnau und es gehörte zum guten Ton, dorthinzugehen. Die hatten an einem Konzertnachmittag10.000 Euro zusammen. Soviel zur Frage: Wie wirktdas Umfeld auf ihre alltägliche Arbeit."

Diese Äußerungen fallen noch stärker ins Gewicht,wenn man sie vor dem Hintergrund der folgendenÄußerung sieht:

“Meiner Ansicht nach müsste eine Schule im sozialenBrennpunkt besser ausgestattet sein als andereSchulen, weil sie auch Defizite des Elternhauses, z.B.Bewegungsmangel, kompensieren muss. Manbräuchte auch eine Bibliothek und Sportmöglichkeiten,Bewegungsraum, als Ausgleich für die beengtenWohnverhältnisse zu Hause...”

Um solche im sozialen Brennpunkt notwendige zusätz-liche Ausstattung zu finanzieren, fehlt aber gerade indiesen Quartieren das Geld, da immer weniger Besser-verdienende die ökonomischen Defizite der von Armut

betroffenen Mehrheit der Eltern ausgleichen können.Hier entsteht also Benachteiligung durch Segregation.Ein ähnlicher Mechanismus wird in Bezug auf kulturellesKapital in den drei weiteren Interviews konstatiert. Inallen drei Fällen wird generell den Eltern mit mehrkulturellem Kapital, also den Mittelschichten, ein höhe-res Maß an selbständigem Engagement bescheinigt.Eine Ursache für diese Differenz sieht die Direktorin derHerman-Herzog-Grundschule in den Schwierigkeitenvieler Eltern mit Organisationsstrukturen, die mittel-schichtspezifisches Bildungskapital, wie etwa Übung imUmgang mit der Schriftform bei Einladungen, Anträgenund ähnlichem, voraussetzen:

“Wir haben nicht so viele Eltern, die die offizielleRepräsentation [des Fördervereins] machen können[...] Viele sind auch mit der Schriftform nicht sovertraut, dass sie Einladungen, Protokolle etc. guthandhaben können.”

Stattdessen schlägt sich das Interesse dieser Eltern ander Schule eher in Form von gestiftetem Kuchen etc. beiSchulfesten nieder. Das Interesse ist demnach vorhan-den, aber es fehlt an bestimmten Fähigkeiten. DieselbeScheu vor dem Engagement wird auch in einemweiteren Interview folgendermaßen beschrieben:

“Die schriftliche Ansprache reicht oft nicht aus, dieEltern sind nur durch persönliche Aufforderung zuerreichen.”“Die wollen schon, aber das ‚wie’ ist so schwierig. Dasist auch immer schwierig für uns Mittelschichtler, sieda zu gewinnen.”

Später weist die Interviewte auf Aufgaben hin, dieselbst bei bestem Willen und Bereitschaft zum Enga-gement durch Eltern aus benachteiligten Schichten nichtgeleistet werden könnten. Die Passagen lassen sichzugleich als ein Plädoyer für soziale Mischung undgegen Segregation interpretieren:

“Ich konnte für dieses Projekt [internationales Vor-lesen] keine Eltern nehmen, weil ich sichergehenmuss, dass der Vorleser einen elaborierten Code in derMuttersprache hat. Folglich musste ich Ehrenamtlicheakquirieren, deutlich aus einem anderen Umfeld alshier in dem schulischen Umfeld.”Und an anderer Stelle: “Wenn in nichts integriertwerden kann, wie soll das dann funktionieren? Wennsie z.B. kein deutschsprachiges Umfeld haben, daswirklich auch ein gepflegtes Deutsch spricht, dannkönnen Sie nichts sprachlich integrieren...”

Neben einem Mangel an bestimmten schichtspezifischenFähigkeiten wird noch eine Reihe von “psychologischen”Faktoren zur Erklärung des fehlenden Engagements insFeld geführt. Dazu zählt folgende Formulierung:

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“Der Kiez ist gekennzeichnet von Leuten ohne Ideenund ohne Kraft, Ideen umzusetzen.”

Hier wird offenbar auf die “mentalen” Folgen vonArbeitslosigkeit und Armut angespielt, die sich in derSchule als mangelndes Engagement niederschlagenkann. Dasselbe Argument wird in einem anderen Inter-view mit folgenden Worten umschrieben:

“Die aktiven Eltern, das sind meist die, die noch Arbeithaben oder die, die sich bewusst für diese Schuleentschieden haben [ca. 1/3 der Eltern]. Bei anderenEltern, vor allem den arbeitslosen [...], ist einegewisse Lähmung zu spüren.”

Eine Gesprächspartnerin stellt eine Vermutung an,warum die Eltern aus benachteiligten Schichten sichscheuen, sich bei ihrem “Schulfee-Projekt”, bei demEltern bei der Reinigung der Schule helfen und damitden Kindern als Vorbild dienen sollen, zu beteiligen:

“Es wird wohl in die Richtung gehen: Es ist einGesichtsverlust. In dem Moment, wo ich [...] zeige, ichhab morgens zwischen neun und zehn Zeit, weil ichz.B. arbeitslos bin, das ist irgendwie ein Stigma, nachwie vor.”

All diese “mentalen Hürden” können also nach Ansichtder Interviewpartner das Engagement von einembedeutenden Anteil der Elternschaft verhindern8. Jehöher der Anteil der Betroffenen in einem Quartier wird,desto weniger Chancen hat demnach auch die Schuleauf zusätzliche Qualitätssteigerungen durch Elternenga-gement.Es lässt sich also für einige Interviews aus starkentmischten Gebieten konstatieren, dass hier tatsächlichNachbarschaftseffekte beschrieben werden. NachAnsicht und Erfahrung dieser Gesprächspartner gilt: Jemehr Segregation zunimmt, desto schlechter wirdtendenziell die Ausstattung der Schulen, da einekulturell und ökonomisch benachteiligte Elternschaftwenig zusätzliche Verbesserungen der Schulqualitäterwirken kann. Soziale Mischung ist unabdingbare Vor-aussetzung, um diese Defizite auszugleichen. DieserNachbarschaftseffekt wirkt um so stärker, wenn man fürSchulen mit einem hohen Anteil an Kindern mit Lern-oder Verhaltensschwierigkeiten einen erhöhten Bedarfan Ausstattung annimmt (siehe hierzu die oben bereitszitierte Passage: “Meiner Ansicht nach müsste eineSchule im sozialen Brennpunkt besser ausgestattet sein 8 Zwar können diese “mentalen Hürden” nicht direkt innerhalb derBourdieu’schen Unterscheidung der drei Kapitalsorten, wie sie inKapitel 5.3 dargestellt ist, beschrieben werden, allerdings lassen sichdie Angst vor Stigmatisierung ebenso wie ein Mangel an Initiative undein Rückzug ins Private auf einen Verlust des Zugangs zu bestimmtenKapitalien sowie auf die Angst, dieser Verlust möge öffentlich sichtbarwerden, zurückführen.

als andere Schulen, weil sie auch Defizite des Eltern-hauses, z.B. Bewegungsmangel, kompensieren muss...”sowie die folgenden Ausführungen zu Hypothese 3“Überstrapazierung der Kapazitäten”). Es sei nochangemerkt, dass Benachteiligungen nur aufgrund vonmangelndem ökonomischen sowie kulturellen, nichtaber sozialen Kapitals der Eltern nachgewiesen werdenkonnten.

6.3.3 Überstrapazierung der Ressourcen

Nachbarschaftseffekte an Schulen mit einer hohenAnzahl von Schülern aus bildungsfernen Schichtenkönnen auch durch die Überstrapazierung der Lehr-kräfte, z.B. durch eine hohe Anzahl von “schwierigen”Kindern in einer Klasse sowie durch die Überstrapazie-rung der Schulausstattung mit Materialien an Schulen inbenachteiligten Gebieten, entstehen.

Die erste Überstrapazierungshypothese basiert auf derAnnahme, dass Lehrer in “Problemschulen” mehr leis-ten müssen, als an Schulen, in denen das Gewicht vonKindern aus bildungsnahen und bildungsfernen Schich-ten ausgeglichener ist.Dies lässt sich anhand der durchgeführten Interviewsbelegen.Fast alle Gesprächspartner konstatieren einen höherenZeit- und Organisationsaufwand seitens der Lehrer, derdazu führt, dass weniger Zeit für den eigentlichenUnterricht bleibt. Das macht sich z. B. in Bezug auf dieOrganisation von Klassenfahrten und Ausflügen bemerk-bar, da hier mehr Zeit für das Einsammeln des Geldesdurch beispielsweise Fundraising benötigt wird.Des Weiteren überlassen die Eltern den Lehrern oft dieErziehungsarbeit, dadurch müssen die Lehrer nebenihren eigentlichen Aufgaben viel soziale Arbeit leisten.Die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe anSchulen mit einem hohen Anteil von Kindern mit Migra-tionshintergrund führen zu einem erhöhten Gesprächs-bedarf zwischen Eltern, Kindern und Lehrern.Dass aufgrund dieser zeitaufwendigen Organisations-und Betreuungsarbeit weniger Zeit für den Unterrichtbleibt, ist doppelt problematisch, da die Kinder zumeistmit geringen basalen Fähigkeiten in die Schule kommenund eigentlich die volle Unterrichtszeit genutzt werdenmüsste, um dieses Defizit auszugleichen: “Es muss ersteinmal versucht werden, die Kinder dort abzuholen, wosie stehen.” Diese geringen basalen Fähigkeiten ent-springen dem Lebensstil der bildungsfernen Schichten.Den Kindern fehlen bestimmte Grundlagen, wie z.B.Zahlenverständnis und Umwelterfahrung, die in bil-dungsnahen Elternhäusern gefördert werden. In derRegel haben die Kinder einen Fernseher im Kinder-zimmer stehen und leiden unter Schlafmangel. Daswirkt sich negativ auf die Konzentrationsfähigkeit aus.Eine Lehrerin sprach zudem von einem “Analpha-

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betismus in körperlicher Hinsicht”, da viele bildungs-ferne Eltern z.B. nicht mit ihren Kindern schwimmengehen.Parallel zu dieser Inanspruchnahme des Lehrpersonalssinkt das Unterrichtsniveau. Lehrer können nicht mehrso lehren wie sie es gelernt haben und bekommen keineAnerkennung seitens der Eltern für die geleistete sozialeArbeit.Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verursachung vonStress. Die geringe Frustrationstoleranz der Kinder ausbildungsfernen Schichten, die “sozial schnell auf derBirke sind”, strapaziert die Lehrer zusätzlich. Stressentsteht auch durch ein ausgeprägtes Rollenverhaltengerade der Kinder mit Migrationshintergrund. Diesehaben oft keinen Respekt vor weiblichen Lehrkräften.Des öfteren muss gegen “Macho-Verhalten” gekämpftwerden.

Die zweite Überstrapazierungshypothese basiert auf derAnnahme, dass die Materialausstattung in Schulen inbenachteiligten Gebieten nicht ausreicht. Als Beispielwird von den Gesprächspartnern der Schwimm-unterricht angeführt. Die öffentliche Bereitstellung vonSchwimmbadkapazitäten wurde eingeschränkt. Eswerden jetzt nur noch die mittleren Bahnen zur Verfü-gung gestellt. Das ist dann problematisch, wenn einegroße Anzahl von Schülern noch Nichtschwimmer sind.Dies ist der Fall, wenn Eltern nicht mit den Kindern zumSchwimmen gehen. Dies trifft bei Eltern aus bildungs-fernen Schichten häufiger zu, als bei Eltern ausbildungsnahen Schichten.Ein weiteres Beispiel ist, dass Eltern aus bildungsfernenSchichten kein Geld für Bücher ausgeben, die Bibliothe-ken an den Schulen aber zumeist schlecht ausgestattetoder gar nicht existent sind.

Selbst wenn die Schule in einem Problembezirk mitdenselben Ressourcen, also Lehrpersonal und Material,ausgestattet ist, wie eine Schule in Zehlendorf, entste-hen Benachteiligungen und Beeinträchtigungen desUnterrichts.

Ein positives Beispiel, um Nachbarschaftseffekte aufzu-fangen geben Integrationsschulen. Hier werdenProblemkinder von Psychologen in Einzelgesprächenbetreut. Neben den Lehrern arbeiten des Weiterenmehrere Erzieher als Betreuer an den Schulen, die denLehrkräften einen großen Teil der sozialen Arbeitabnehmen. Es bleibt somit mehr Zeit für den eigent-lichen Unterricht.Einige Gesprächspartner wünschen sich Kollegen mitMigrationshintergrund, die zwischen den Kulturen ver-mitteln können.

Anhand unserer Untersuchung lassen sich obengenannte Hypothesen verifizieren. An “Problemschulen”besteht eine Überstrapazierung des Lehrpersonals und

des Schulmaterials. Aus den Ergebnissen der Befragungfolgt ebenfalls, dass eine Schule in einem benach-teiligten Bezirk besser ausgestattet sein muss als an-dere, um genauso gut zu funktionieren. Dies gilt zumeinen für das Lehrpersonal, es sollten z.B. mehr Erzie-her eingestellt werden, und zum anderen für die Aus-stattung der Schule mit Material (Bibliotheken,Sportmöglichkeiten, Bewegungsraum).

6.3.4 Kollektive Sozialisation

Unsere Ausgangshypothese lautete wie folgt: Bei einemgeringen Anteil an Schülern aus sozial inkludiertenElternhäusern können sich abweichende Verhaltenswie-sen unter den Schülern in einem Prozess “kollektiverSozialisation” verbreiten und zu Normen werden.Obwohl dieser Hypothese bereits in den Ausführungenin Kapitel 5.4 ein wichtiger Stellenwert unter denNachbarschaftseffekten zugesprochen wurde und ihrgerade auch bei Häußermann (vgl. Häußermann 2000)eine besonders hohe Plausibilität in Bezug auf Kinderund Jugendliche in benachteiligten Quartieren beschei-nigt wird, konnten in unserer Erhebung keine Nachwie-se für ihre Richtigkeit gefunden werden. Zwei Gründekommen hier als Erklärung in Frage: Zum einen wird inder Mehrzahl der Interviews der Schulalltag entgegengängigen Klischees nicht als von abweichendem Ver-halten geprägt geschildert. Zwei Interviews nehmenhierbei eine Sonderrolle ein, da hier die Direktoren fürihre Schule das Vorhandensein einer intakten sozialenMischung behaupten und daher negative Folgen vonSegregation für diese Fälle ohnehin nicht zu erwartenwaren. In den meisten anderen Interviews wird alseinzig hervorstechende Form von abweichendemVerhalten das “Macho-Gehabe” insbesondere türkischerJungen genannt. Dazu kommt noch in einem Interviewdie Diagnose einer unter den Schülern weit verbreitetenniedrigen Frustrationstoleranz: “Die Kinder haben einesehr geringe Frustrationstoleranz, also keksen unheim-lich schnell aus, sind sozial ganz schnell ‚auf der Birke’.”Und an anderer Stelle: “Es ist dieses ‚Klein-Macho-Gehabe’, das sich sehr exponiert darstellt, sehr mitdiesen ganzen Schimpfwörtern beginnt, da legt somancher Mittelschichtler die Ohren an.” Einzig in einemInterview schildert der Gesprächspartner Probleme mitGewalt, insbesondere in Form von Zerstörung. Diesbezieht sich allerdings auf eine Zeit von vor etwa dreiJahren. Für diese Phase sagt er sogar aus, Zerstörunghabe zu mehr Zerstörung geführt, da die Kinderentsprechende Verhaltensweisen untereinander erlernthätten.Allerdings wird diese Aussage, die als ein Beleg für dieHypothese kollektiver Sozialisation angesehen werdenkönnte, gleich darauf in ähnlicher Weise relativiert, wiedie oben erwähnten Aussagen zu problematischemMacho-Verhalten: Mit Verweis auf das funktionierende

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pädagogische Konzept der Schule und das Engagementder Lehrkräfte wird ausgesagt, dass von den Kindern indie Schule “mitgebrachte” abweichende Verhaltenswie-sen eingedämmt und damit auch deren Verbreitungverhindert werden könne. Dazu seien zwar, aufgrundder schwierigen Ausgangsbedingungen vieler Kinder,besondere Maßnahmen, wie Theaterarbeit oder sozial-pädagogische Betreuung notwendig, die viel Zeit undKraft in Anspruch nähmen (vgl. Kapitel 6.3.3 ), jedochsei so das Problem abweichenden Verhaltens jederzeitunter Kontrolle (vgl. Kapitel 6.3.5).Die Hypothese kann also für die Mehrzahl der von unsuntersuchten Fälle nicht bestätigt werden. Allerdings istzu beachten, dass der Vorgang kollektiver Sozialisationals solcher gar nicht verifiziert oder falsifiziert werdenkonnte. Die Voraussetzungen für eine Übertragung vonabweichendem Verhalten, nämlich die alltägliche Prä-senz und Dominanz solcher Verhaltenweisen, waren ausden beiden oben erläuterten Gründen gar nicht gege-ben. Abgesehen davon sei noch einmal angemerkt, dassin jedem Fall die Identifikation von Prozessen kollektiverSozialisation auf Nachweisschwierigkeiten stoßen muss.Selbst für die beteiligten Beobachter, wie in unseremFall die Direktoren, muss es schwierig sein zuunterscheiden, ob bestimmte Verhaltensweisen bei denSchülern auf deren außerschulisches Umfeld oder aufSchichtzugehörigkeit zurückzuführen sind oder ob dieKinder diese Verhaltensweisen von anderen Schülernerlernt haben. Wie bereits im Kapitel 5.4 erläutert, sindin diesem Fall zusätzliche Effekte von Segregation nurschwer von individuellen Merkmalen als Faktorenbestimmter Verhaltenweisen zu trennen.

6.3.5 Die Schule kann positiv auf die Schülereinwirken

Ausgehend von der Annahme, dass gerade Kinder imGrundschulalter noch zu beeinflussen sind, auch wennsie aus ihrem Elternhaus nicht die benötigten Voraus-setzungen mitbringen, wollen wir überprüfen, wie dieSchule positiv auf die Schüler einwirken kann. Hierbeisoll jedoch auch auf die Problematik eingegangenwerden, inwieweit dieses Einwirken überhaupt einengrößeren Einfluss hat.Es sollen nun zuerst einzelne an den Schulenverwendete Instrumente vorgestellt werden, mitwelchen versucht wird, die Entwicklung der Schülerpositiv zu beeinflussen. Generell wurde in fast allenInterviews erwähnt, dass eine ausreichende Anzahl vonBetreuungskräften nicht nur den Unterricht erleichtert,sondern sich auch positiv auf das Verhalten der Schülerauswirkt. Schüler können in Einzelgesprächen sehr vielbesser erreicht werden als in der Gruppe. Betreuungs-kräfte sind hier nicht nur Lehrer, sondern gerade auchgelernte Erzieher, Psychologen, “die gezielt Einzelge-spräche mit verhaltensauffälligen Kindern führen”. Eshandelt sich dabei aber auch um Eltern – fast immer

nur um Mütter – die im Hort, in der Schulküche, bei derHausaufgabenbetreuung oder anderen Aktivitäten hel-fen. Weiterhin zu nennen sind auch die vom Quartiers-management gestellten ABM-Kräfte, die in verschie-denen Bereichen wie z.B. der Schulküche mithelfen.Als äußerst hilfreich hat sich jedoch nicht nur diequalitative Intensivierung der Betreuung, sondern auchdie quantitative Intensivierung herausgestellt. So wareneinige Schulen bereits in den vergangenen Jahrenverlässliche Ganztagsschulen aus Eigeninitiative, bzw.werden jetzt zu staatlich geförderten Ganztagsschulen.Es ist gerade die Betreuung am Nachmittag, welche dieSchüler z.B. davon abhalten soll, in “Zweier- oderDreier-Gruppen durch die Gegend zu ziehen undBlödsinn zu machen”. Besonders wichtig ist dies fürSchüler, die von ihren Eltern nicht sinnvoll beschäftigtwerden können, weil diese nicht über die Zeit oder dasKapital im oben genannten Sinne verfügen. Neben derTatsache, dass die Kinder in dieser Zeit keinen„Schabernack“ treiben können, werden auch anderepositive Dinge erreicht. Die Hausaufgabenbetreuunghilft auch lernschwachen Kinder dem Unterrichtsstoff zufolgen; Sportaktivitäten gleichen Bewegungsdefizite ausund schulen die häufig unterentwickelte Motorik. AuchProjekte aus dem Unterricht können - teils spielerisch –fortgesetzt werden, was nicht zuletzt “der Förderungdes sozialen Zusammenhalts dient”.Neben der Ausdehnung der Betreuung haben sich eineReihe weiterer Maßnahmen als Erfolg versprechendeAnsätze herauskristallisiert. Zu nennen ist hier z.B. derAnsatz, eine Reihe von Schüler als “Konfliktlotsen”auszubilden, die Streitigkeiten unter Schülern ohneGewalt beenden. Diese Schüler werden ihrerseits wie-derum durch speziell ausgebildete Lehrkräfte geschult.Ein solches Konflikttraining kann über die gesamteSchulzeit hin zu einem tiefgehenden “Kompromiss-bereitschaftstraining” ausgeweitet werden, so dass dieSchüler immer wieder neu hinzu lernen. In diesemKontext muss auch erwähnt werden, dass eine Reihevon Gesprächspartnern großen Wert darauf legten zubetonen, dass den Schülern bei Regelverstößen klareGrenzen gezeigt werden müssen. Wichtig ist hierbeijedoch auch zu erklären, warum diese Grenzen gezogenwerden. So musste “ein Schüler, der auf die Treppe ge-spuckt hatte, sich zunächst von den Reinigungskräftenerklären lassen, warum dies nicht akzeptabel sei, umdirekt im Anschluss hieran mit ihnen die Treppegemeinsam zu putzen”. Diese “pädagogischen Konzeptesind auch hilfreich, wenn es darum geht, z.B. Macho-Gehabe von türkischen Jungs auszugleichen”.Ein weiteres Training kann das Medientraining sein. Hierwird Schülern beispielsweise der Umgang mit demInternet erklärt. Von Nöten ist dies besonders beiSchülern aus bildungsfernen Schichten, deren “Elternoft nur Talkshows gucken”, jedoch nicht dieNachrichten. Gleichzeitig wird durch die Schulung allerauch erreicht, dass eine spätere Chancenungleichheit

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durch Mediennutzungskompetenz (bspw. der sog.Digital Divide) vermindert wird.An verschiedenen Schulen, die einen besonders hohenAnteil von Kindern aus Familien mit Migrationshinter-grund aufweisen, wird inzwischen großer Wert daraufgelegt, dass die Möglichkeit zu einem zweisprachigenUnterricht besteht. Dies folgt der Logik, dass nur dieSchüler in der Lage sind ein besseres Deutsch zulernen, die auch über eine stabile Muttersprache ver-fügen. Kursangebote in türkisch, arabisch oder russischführen somit sogar zu einer schnelleren Integration.Wichtig hierbei ist es jedoch, Muttersprachler zugewinnen, die ihre eigene Sprache perfekt beherrschen,da bei Müttern mit Migrationshintergrund nicht immerdavon ausgegangen werden kann, dass “diese selbstüber einen elaborierten Code in der Mutterspracheverfügen”.Schlussendlich soll an dieser Stelle noch das Konzeptder “Theaterbetonten Grundschule” erwähnt werden.“Theater ist gespielte Realität, fördert somit soziale undSprachkompetenzen”. Dies ist ein weiterer Anreiz fürbildungsorientierte Eltern, ihre Kinder auf eben solcheSchulen zu schicken.Anhand der dargestellten Möglichkeiten über die Schu-len verfügen, kann die Hypothese, dass “die Schulepositiv auf die Schüler einwirken kann”, eindeutigbestätigt werden. Die positiven Aspekte reichen voneiner sinnvollen Beschäftigung über “Gesunderhaltungvon Körper und Geist” bis hin zu einer höheren Kompe-tenz in vielen Situationen des Alltags. Eine gut funktio-nierende und gepflegte Schule, welche die Identifikationder Schüler mit dieser steigert und nebenher auch nochKompetenzen vermittelt, hat sicherlich auch einenpositiven Einfluss auf die Schüler über die Schulzeithinaus. Sie kann allerdings nicht alle Missständebeseitigen, die durch Elternhaus und Quartier vermitteltwerden. Sie wird oftmals nur eine Insellösung bleiben,wenn das außerschulische Umfeld nicht stimmt.Betont werden muss hier auch noch, dass diese großePalette an Instrumenten bisher nur von einer kleinenAnzahl von Schulen tatsächlich implementiert wurde.Gelegentlich wird dies wohl aus dem Mangel anKenntnis hierüber der Fall sein, häufig genug fehlt esjedoch einfach nur an Ressourcen. Sowohl finanzielleMittel für die Schulausstattung als auch das Engage-ment der Eltern müssen hier genannt werden. Dies triffthäufig auch “auf Schulen in sozialen Brennpunkten zu,die eigentlich besser ausgestattet werden müssten alsandere Schulen, um Defizite des Elternhauses auszu-gleichen”.Trotzdem lässt die positive Beeinflussung der Schülerauf einen positiven Gesamteffekt für das Quartierhoffen. Diese Hypothese soll als nächstes überprüftwerden.

6.3.6 Die Schule kann positiv auf den Kiezwirken

Die Grundschule ist einer der wenigen Orte, an demMenschen mit den unterschiedlichsten sozialen,ökonomischen und kulturellen Hintergründen miteinan-der in Kontakt treten. Aufgrund der Einschulungsrege-lungen kann davon ausgegangen werden, dass dieSchüler der Grundschulen in den untersuchten Gebietenüberwiegend auch in diesen Gebieten wohnen.

"Die Schule ist ein zentraler Ort, der viel mehr genutztwerden könnte, der alle angeht, man hat da irgendwieeine Anbindung, man kommt in Kontakt und dieSchule ist nicht weltanschaulich vorbelastet, nicht wiedie Kirche."

Wichtig für die Wirkung der Schule auf das Gebiet istzunächst, wie sich die Schule selbst im Gebiet verortet.Bei unseren Interviews begegneten uns hier zweiunterschiedliche Sichtweisen.

Einige Schulen sehen sich als Teil der betroffenenBewohnerschaft, die Situation der eigenen Schule stelltefür sie ein Abbild der Situation im Gebiet dar. IhrEngagement an der Schule ist für sie somit untrennbarvom Engagement im Gebiet:

“Es war eine tolle Erfahrung für die Leute aus demKiez, die sich zusammengefunden hatten, um ihrenFrust abzulassen - das war ja der Ursprung dieserGruppe – und dann merkten, wir waren ein dreiviertelJahr aktiv als Kiezgruppe und weil wir aktiv waren,sind wir mit in das Quartiersmanagementgebiethereingekommen. Das war ein tolles Erfolgserlebnis.”

“Es ist ja nicht so, dass nur eine gute Schule dazubeiträgt, dass die Leute bleiben. Da muss vieleszusammenkommen, aber auch eine gute Schule. Dashaben wir jetzt geschafft und darüber freuen wir unssehr und es ist deutlich zu spüren, dass es bergangeht.”

“Wir sind direkt vernetzt. Über diese Süd-Ost AG,Sozial Raum AG haben wir uns zum Teil kennen-gelernt, aber wir hatten auch schon vorher die ‚KinderAgenda’ ins Leben gerufen, da waren schon Kontakteda, aber wir hatten auch schon vorher aktiv mitge-wirkt, also Nachhaltigkeit, Vernetzungen, ‚was kannman mit Kindern bewirken‘.”

Andere Schulen sehen sich als Institution in einemdesolaten Gebiet; ihr Engagement verfolgt das primäreZiel, den Schülern einen sicheren Ort in einem sichständig verschlechternden Gebiet zu bieten:

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"Die Schule ist eine Oase im Gegensatz zu demganzen Schmutz, Elend und der Gewalt draußen [...];der Kiez ist dem Untergang geweiht"

Auch wenn sich durch diese zunächst verschiedeneSichtweisen unterschiedliche Handlungsoptionen bezüg-lich einer Vernetzung mit anderen lokalen Akteuren fürdie einzelnen Schulen ergeben, waren sich die Schulendarin einig, dass sie mit ihrer konkreten Arbeit vor Ortpositive Effekte auf die Wohnbevölkerung übertragenkönnen. Wichtigstes Ziel ist es hierbei, bildungsnaheElternhäuser zum Bleiben im Gebiet zu motivieren. Dieskann, je nach Selbstverortung, auf zwei Arten gesche-hen; bei einem funktionierenden Netzwerk aus Schuleund anderen Akteuren im Gebiet versuchen die Schulen,eine Vernetzung zwischen den Eltern herzustellen:

“Die Schule muss attraktiv sein, damit Eltern den Kieznicht verlassen, [...] sie sollte zentraler Ort im Kiezsein - es gehen alle hin, man hat da eine Anbindung.”

“Ich kann die Eltern aus dem Kiez nicht so pauschaleinordnen, es gibt auch hier Eltern die in derMittelschicht anzusiedeln wären, die auch gebildet sindoder die Aufsteiger sind, die einfach hier wohnenbleiben, auch weil sie nicht den Standpunkt haben‚Spiel nicht mit den Schmuddelkindern‘. Die sagen,hier hab ich gewohnt, und es muss auch jemand hierwohnen bleiben, damit es nicht kippt.”

“Wir veranstalten alle sechs bis acht Wochen einElternfrühstück, in erster Linie für die bildungsnahenElternhäuser, damit die untereinander Kontakt haben,damit die sich nicht in der Klasse einsam und isoliertfühlen, damit die auch hier das Gefühl haben, ‚wir sindhier nicht die Fremden im eigenen Land‘. Das beziehtsich einmal auf die Deutschen, aber auch auf diebildungsnahen Elternhäuser.”

Eine Schule, die zwar in einem benachteiligten Gebietliegt, allerdings nicht in das benachbarte Quartiers-managementgebiet fällt, sichert die soziale Mischungihrer Schülerschaft vor allem durch die Einschulung vonSchülern aus benachbarten Gebieten. Von diesenMaßnahmen erhofft sie sich positive Effekte für dasbetroffene Gebiet:

“Wir ziehen Schüler an, die gar nicht hier wohnen, [fürdas Gebiet] untypische Schüler.” “Die Schule kanneine wichtige Rolle für den Kiez spielen, dadurch dasssie attraktiv ist, deshalb muss sie auch attraktiv sein!Das kann mit dazu führen, dass interessierte Elternden Kiez nicht verlassen. Es gibt welche, die sagen,solange die Grundschule währt, ziehen wir nicht um.”

Den ersten Schritt zur Vernetzung bieten in den meistenFällen die Eltern- und Fördervereine der Schulen. Diese

klassische Form des Elternengagements wird auf institu-tioneller Ebene oft durch die Sozialraum-AGs in denGebieten und seit Beginn des Programms “SozialeStadt” auch durch die jeweiligen Quartiersmanagementserweitert.Die Schule bietet den Kindern zunächst einen sicherenOrt, von dem aus sie sich mit dem Wohngebiet vertrautmachen können. Je besser die Kooperation der Schulemit anderen Akteuren im Gebiet funktioniert, destomehr Erfahrungen können die Kinder in einer sichständig erweiternden Umgebung sammeln:

“Es liegt viel an der Vernetzung, es findet viel in derVernetzung statt, z.B. am Nachmittag. Die Kindersollen lernen, sich später in solchen Einrichtungenzurecht zu finden.”

Das anfängliche Engagement der Schulen beginnt oftmit praktischen Verbesserungen der Freizeitbedingung-en der Kinder, wie z.B. der Gestaltung von Schulhöfenund Grünanlagen. Das Kooperationsprojekt einer Frie-drichshainer Grundschule mit dem dortigen Quartiers-management zur Schulhofverschönerung förderte auchdas Selbstvertrauen der beteiligten Schüler.

“Hier engagieren sich vor allem Kinder mit Lern-defiziten, die werden dann von allen Seiten gelobt,darauf sind die stolz, von daher müsste man solcheProjekt viel öfter machen.”

Die Grundschulen können wesentlich dazu beitragen,den Kindern die Angst vor dem Gebiet zu nehmen undals Ansprechpartner bei auftretenden Unsicherheitenfungieren. Ein gutes Beispiel hierfür ist die symbolischeRückeroberung von Spielstätten und öffentlichenPlätzen, welche durch die Trinkerszene lange Zeit fürKinder wenig attraktiv waren.

“Da saßen die schon mit 40 oder 50 Leuten und wenndann Schüler aus der Schule da lang kamen, mochtendie nicht daran vorbeigehen, wenn dann auch nochdie Hunde da waren, mal abgesehen von derLärmbelästigung und dem Urinieren und was dannalles die Folgen davon sind. Das war schon ein ganzdeutliches Zeichen über das Quartiersmanagement.Dann haben wir von der Sozialraum-AG, das ist eineUnterabteilung aus dem Bereich Jugendplanung, einesehr schöne Aktion gemacht. Wir haben fünf Plätzeausgewählt, die alle mit irgendeinem Sucht-Themaverknüpft waren. Auf jedem Platz haben wir einen‚Kinder-Kiez-Nachmittag‘ gemacht. 10 Institutionenaus der Sozialraum-AG, also Bücherei, Polizei, türki-scher Nachbarschaftsladen und so, haben das soorganisiert, dass das Setting dann fünfmal mitunterschiedlichem Programm ablaufen konnte. Daswar der Versuch, die Plätze zurückzuerobern für dieKinder ‚Macht Platz für Kinder‘ hieß das Motto. Das

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war der Versuch, aus der Basis heraus erstens auf dieProblematik dieser Plätze aufmerksam zu machen undsie zweitens durch eine Aktion wieder zurückzuero-bern für die, für die sie mal gedacht waren: alsKommunikationsforum im Kiez, als Spielort für dieKinder. Das war sehr erfolgreich.”

"Die Kinder sollen lernen, den Kiez mit anderen Augenzu sehen, nicht nur die negativen Aspekte, sondernauch das Schöne."

Resümierend lässt sich sagen, dass neben der in Kapitel6.3.5 beschriebenen positiven Beeinflussung derSchüler, die Schule Eltern mit verschiedensten sozialen,ökonomischen und kulturellen Hintergründen zusam-menbringt. Sie kann dazu beitragen, dass sich dieseEltern nicht nur als “Eltern der Mitschüler” verstehen,sondern darüber hinaus Netzwerke der Bewohnerschaftentstehen. Eine attraktive Schule kann dazu beitragen,bildungsnahe Elternhäuser langfristig im Gebiet zuhalten und dadurch einen wichtigen Beitrag zurStabilisierung des Gebietes leisten.Grundschulen leisten einen wichtigen Beitrag, denKindern ihre Alltagsumgebung erschließen zu helfen.Gerade in benachteiligten Gebieten, wo einem Großteilder Kinder keine organisierte Freizeitgestaltung bereit-gestellt wird, sie also nicht in Sport– und Freizeitver-einen eingebunden sind, kann die Schule ausgleichendwirken, indem sie Freizeitangebote schafft oder ihnendie Angebote anderer vernetzter Akteure vorstellt. DieSchule ist ebenfalls ein wichtiger Partner zur Über-windung von Unsicherheiten, die ein benachteiligtesGebiet bei den Kindern auslöst.

6.3.7 Zusammenarbeit von Schulen undQuartiersmanagements

Schulen in benachteiligten Vierteln können aufgrundihrer Lage zu benachteiligenden Orten werden. In“einem Bezirk mit besonderem Entwicklungsbedarf”jedoch stehen den Kiez-Akteuren Fördermittel zurVerfügung, durch die sie direkten Einfluss auf dieVerbesserung des Images und den tatsächlichenZustand haben sollen. Ob der Bestand von Quartiers-managements eine positive Wirkung auf das Schullebenhat war eine der Fragen, die wir uns und den Direktorenstellten. Des Weiteren versuchten wir heraus zu finden,auf welche Weise die Kooperationen verwirklichtwerden. Die Annahme war, dass vieles von dempersönlichen Engagement der Direktoren und Lehrern,als auch von den Leitern der Quartiersmanagementsabhängt.Darin sind sich alle Schuldirektoren, Konrektoren undHortleiter einig: Die Existenz des Programms und dieBetreuung vor Ort von Seiten des Quartiersmanage-ments bringt der Schule in jedem Fall Vorteile. Der

Konrektor der Zille-Grundschule im Boxhagener Kiezsagte: “Also, es ist natürlich ein großes Glück für dieSchule, dass wir in so einem Bereich liegen, ist garkeine Frage, sind wir tot glücklich drüber.” Projekte wiebeispielsweise die Schulhofverschönerung wären ohnedie Gelder nicht zustande gekommen. Seit Bestehen desQuartiersmanagements hat sich die Situation der Schuleverändert. Die nun zu Verfügung stehenden Mittelwirken sich direkt auf die Arbeit mit den Kindern aus. Indem Hort der Zille-Grundschule konnte z.B. durch dieseMittel der Schulteich angelegt werden. Der Leiter desQuartiersmanagements kam damals auf die Schule zu.“Im Quartiersmanagement sitzen tolle Leute, die habenAhnung vom Kiez, hier hat die Chemie gepasst, diehaben auch um die Schule gekämpft” so der Konrektorder Zille-Grundschule. Über die Quartiersmanagementskamen dann wiederum andere Kontakte zu Stande, z.B.mit einem Architekturbüro, das die Vorstellungen derSchulhofgestaltung in seinem Entwurf berücksichtigthat.Ähnliches gibt es auch aus der Peter PetersonGrundschule zu berichten:

“Ich finde es gut, dass es jemanden gibt den mandirekt ansprechen kann. Es ist sehr nah (…) Immer,wenn wir eine Aktivität planen, die Elterninitiativeerfordert, haben wir im Quartiersmanagement einenPartner, der uns unterstützt.”

Auch hier stellte das Quartiersmanagement Gelder fürdie Ausstattung der Schule zur Verfügung. Das Quar-tiersmanagement leistete finanzielle Unterstützungdurch Zuschüsse beim Schulfest, Finanzierung vonneuen Spiel- und Sportgeräten für die ‚Aktive Pause’(um Bewegungsdefizite der Kinder auszugleichenwurden bewegungsfördernde Spielsachen für die Pauseangeschafft) und bei der Finanzierung von Hausaufga-benhilfe. Diese Unterstützung war besonders notwen-dig, weil eine Schule im sozialen Brennpunkt besserausgestattet sein muss, als andere Schulen, um z.B.Platz- und Bewegungsmangel der Kinder kompensierenzu können. Ohne das Quartiersmanagement wäre fürsolche zusätzlichen Anschaffungen kein Geld dagewesen. Der Förderverein der Schule verfügt durchdas geringe ökonomische Kapital vieler Eltern überwenig Geld.Die Thomas-Mann-Grundschule und die Spreewald-Grundschule haben seit Bestehen guten Kontakt zu denQuartiersmanagements; mehrere 10.000€ flossen inverschiedenste Schulprojekte.Aktionen wie die Gestaltung des Schulhofs haben nichtnur verschönernde Wirkung, sondern hinterlassen auchbei den Kindern ein positives Gefühl. Die Kinder helfenbei der Gestaltung aktiv mit (ein von den Quartiersma-nagements gefordertes Prinzip). Dies steigert besondersbei Kindern mit Lerndefiziten das Selbstwertgefühl, da

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sie über die gemeinsame Arbeit Bestätigung durch dieLeiter des Projekts und die Lehrer erfahren. So wie das Quartiersmanagement positiven Einfluss aufdie Schule hat, profitiert auch der Kiez von der Zusam-menarbeit. Durch verschiedenste Projekte verschönerndie Kinder mit ihren Arbeiten (Fotos und Zeichnungen)in ansässigen Läden das Ambiente oder nehmen direktan Wettbewerben zur Kiezverschönerung teil.Andererseits können weitere Organisationen im Kiez dieRäume der Schule für ihre Zwecke nutzen, wie z.B. dieVolkshochschule für Deutschsprachkurse. In derHermann-Herzog-Grundschule soll die renovierte Aulazum zentralen Ort im Kiez werden. Auf diese Weise sinddie Schulhausverschönerungen mehreren Akteurengleichzeitig von Nutzen.

Die Zusammenarbeit kann nur dann funktionieren,wenn alle Beteiligten (Direktoren, Lehrer, Eltern,Schüler, Quartiersmanagement-Leitungen, etc.) aneinem Strang ziehen: “Die Lehrer sind bereit, Zeit vonden Unterrichtsstunden für diese Projekte zu geben unddie Eltern eben auch.” Initiative und Ideen zur Verbes-serung der Schule waren in allen Schulen schon vorherda, “aber das Quartiersmanagement macht die Reali-sierung möglich durch finanzielle Unterstützung”.Besonders die Lehrer sind sich der positiven Wirkungauf die Kinder und das Schulleben bewusst und zeigenaus diesem Grund Engagement.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Bestehenvon Quartiersmanagements vor Ort die Arbeit an denSchulen und das Schulleben an sich verbessert hat.Offensichtlich bleibt jedoch die nur partielle Wirkung aufden Kiez:

“Wir versuchen, den Kindern den Schulalltag so ange-nehm wie möglich zu gestalten und sie (schulisch) soweit zu bekommen, dass sie den Kiez irgendwannverlassen können.”

Zu mehr ist auch eine engagierte Schulleitung nicht inder Lage. Den Kiez können sie nicht verändern.

“Es muss ein anderes gesellschaftliches Bewusstseinentwickelt werden, dass eben diese überfordertenNachbarschaften nicht vom Himmel gefallen sind oderirgendeinem Individuum oder einer Gruppe vonMenschen zuzuschreiben ist, dass das ein gesamt-gesellschaftliches politisches Ergebnis ist und dassdeswegen natürlich auch eine Verantwortung über-nommen werden muss. Und die Idee mit demQuartiersmanagement, mit der Sozialen Stadt, eineSumme Geld zu geben, die eigenverantwortlich zurQualitätsentwicklung zu nutzen, den Ansatz fand ichgenau richtig. Und wenn es dann heißt ‚ihr habtgenügend Netzwerke und nun macht mal selber’, dannmüssen die Netzwerke gestützt werden und nicht jede

lokale Initiative gekürzt werden, wie es ja auch jetztbei den freien Trägern und in den Schülerläden derFall ist und auch bei diesen ganzen auch basis-demokratisch verankerten Elementen – das kann nichtder richtige Weg sein.”

Langfristig werden sich die erzielten Erfolge nur dannerhalten können, wenn alle stadtpolitischen Maßnahmenin dieselbe Richtung laufen. Momentan werden abereinerseits Fördertöpfe bereitgestellt und dafür ananderen wichtigen Stellen Gelder gekürzt.

6.3.8 Fazit

Festgehalten wird, dass Grundschulen in sozial benach-teiligten Gebieten eine besondere Rolle bei der Über-windung der damit verbundenen Probleme zukommt.Die Schulen müssen viel Kraft investieren, um ein gutesAnsehen zu erlangen oder zu behalten. Zunächstmüssen sie hierbei einer Stigmatisierung entgegenwir-ken, um weiterhin für Schüler aus bildungsnahen Eltern-häusern attraktiv zu bleiben. Die Interviews mit Schulenaus stark segregierten Gebieten belegen, dass dortNachbarschaftseffekte feststellbar sind.Da mit dem Ausmaß von Segregation der Anteil anKindern mit Lern- oder Verhaltensschwierigkeiten an-steigt, sind die dortigen Schulen in besonderem Maßeauf eine gute Ausstattung angewiesen. Dies bezieht sichsowohl auf das überstrapazierte Lehrpersonal, welchesbeispielsweise durch zusätzliche Erzieher entlastetwerden könnte, als auch auf die materielle Ausstattungder Schulen. Gleichzeitig können diese Schulen jedochnicht auf eine Unterstützung der kulturell und ökono-misch benachteiligten Elternschaft zurückgreifen.Die Schule kann positiv auf die Schüler einwirken. Siekann zumindest teilweise durch das soziale Umfeldbedingte Defizite der Schüler ausgleichen. Eine gutfunktionierende und gepflegte Schule hilft den Schülern,sich besser mit ihr zu identifizieren. VermittelteKompetenzen werden von den Schülern eher angenom-men. Dies erleichtert ihnen, sich ihre Alltagsumgebungbesser zu erschließen und erlerntes soziales Kapitalwirkt bestenfalls noch über die Schulzeit hinaus. Gelingtes einer Schule, bildungsnahe Elternhäuser langfristigzum Bleiben im Gebiet zu bewegen, kommt ihr eineSchlüsselposition bei den Bemühungen, sozialeMischung herzustellen, zu. In Bezug auf das Gebietbietet sie eine gute Möglichkeit, einen Teil der Bewoh-ner zu vernetzen. Eine weitere Vernetzung der Schulemit anderen lokalen Akteuren kann ebenfalls hilfreichsein, um den Schülern ein organisiertes Freizeitangebotzu vermitteln.Das Quartiersmanagement ist hierbei in zweierleiHinsicht wichtig. Es kann die Schulen vor allem durchdie Übernahme von Finanzierungen von dringend

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benötigter Ausstattung unterstützen. Hierbei finanziertdas Quartiersmanagement jedoch nicht die Schule,sondern den dazugehörigen Förderverein. Es kompen-siert somit die mangelnde ökonomische Unterstützungder Schulen durch die Elternhäuser. Durch die Vernet-zungsarbeit des Quartiersmanagements kann es auchhelfen, das fehlende kulturelle Kapital der Elternhäuserzu ersetzen. Somit kann das Quartiersmanagement denBeitrag leisten, den eine Elternschaft in einem sozialgemischten Gebiet auch übernehmen würde – dieFolgen der Segregation können somit teilweise gemil-dert werden.Allerdings kann das Quartiersmanagement in derZusammenarbeit mit der Schule nichts an der Grund-problematik der betroffenen Schule, dem hohen Anteilan Kindern mit Lern- oder Verhaltensschwierigkeiten,ändern. Gerade hier ist es wichtig, herauszuarbeiten,welche Probleme auf lokaler Ebene gelöst werdenkönnen und welche Probleme auf einer “größeren”politischen Ebene angegangen werden müssen. EineZunahme von Segregation als gesamtgesellschaftlichesProblem, welches nicht allein auf lokaler Ebene gelöstwerden kann.

6.4 Zusammenarbeit von öffentlichen undnicht-öffentlichen Akteuren im BereichSoziale Stadt

Das Kapitel zu den Instrumenten im Programm be-schließend, ist die Zusammenarbeit mit nicht-öffent-lichen Akteuren als spezielle Form der Partizipation undTeil der Bündelung der Ressourcen staatlicher undnicht-staatlicher Akteure Gegenstand. Wir möchten ein-führend einen kurzen Abriss zur Ausgangslage geben,hierbei auf die Theorie der „Transforming Governance“eingehen und systematisch an die Notwendigkeit derZusammenarbeit von öffentlichen und nicht-öffentlichenAkteuren im Bereich Soziale Stadt heranführen. Im Kernwird es um das Prinzip Public-Private-Partnership (PPP)gehen und um die Frage, ob es ein geeignetesInstrument ist und ob es als solches auch Anwendungin den Programmgebieten findet. Im Programm SozialeStadt wird eine verstärkte Kooperation zwischen staat-lichen und nicht-staatlichen Akteuren als Handlungsop-tion gefordert. Im Wortlaut heißt es dort: „Der Aufbaubzw. die Wiederherstellung einer lokalen Wirtschaft hatausschlaggebende Bedeutung für die dauerhafte Stabili-sierung der Quartiere. Dabei kommt es sehr darauf an,private Unternehmen zur Beteiligung an der Stadtent-wicklung zu gewinnen. Dies gilt für unterschiedlicheFormen des „Public-Private-Partnerships“ bis hin zu Pro-jekten des „Social Sponsorings“ (ARGEBAU 2000: Kap.3.2).

Bei unseren Untersuchungen zum Engagement nicht-öffentlicher Akteure haben wir unseren Focus auf die

Privatwirtschaft gelegt. Dieser Bereich ist von besonder-er Bedeutung, weil hier die größten Kapitalressourcenvorhanden sind und aufgrund der Neuartigkeit desAnsatzes im Bereich des staatlichen Wohnbaus und derStadtentwicklung enorme Entwicklungschancen be-stehen. Zudem ist die Kooperationen zwischen gesell-schaftlichen Organisationen und der öffentlichen Handschon längere Zeit als Handlungsmodell im sozialenBereich bekannt. Uns war es im Weiteren wichtig, eineklare Trennlinie zwischen gewinnorientierten und nicht-gewinnorientierten Akteuren (soziale Ökonomie) zuziehen.

6.4.1 Transforming Governance – Alte Städte,neue Aufgaben

Der in diesem Zusammenhang verwendete Governance-Begriff kam nach dem Zusammenfall der sozialistischenSysteme zu Beginn der 1990er Jahre und mit demdadurch entstandenen Ende der bipolaren Welt auf. DieTheorie geht davon aus, dass sich die Gesellschaft indie drei Sphären Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaftunterteilen lässt.Es kommt in gesellschaftlichen Prozessen zu einem Zu-sammenspiel zwischen öffentlichen Einrichtungen undder Zivilgesellschaft. Governance gilt in diesem Zusam-menhang als Modell zum Management öffentlicherAngelegenheiten.

Kritisieren lässt sich hier, dass die öffentliche Agenda zueinseitig von den nicht-öffentlichen Geldgebern ge-steuert wird. Der soziale Aspekt könnte dadurch anBedeutung verlieren. Deshalb ist es unabdingbar, diesogenannten „democratic concerns“ als festenBestandteil des Governance Prinzips zu integrieren.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Governan-ce nicht Government ersetzt. Sie sind zwei unterschied-liche Bestandteile der repräsentativen Demokratie.

Die Stadt- und Regionalpolitik ist aufgeteilt in verschied-ene Politikfelder: Innere Sicherheit, Stadtentwicklung,Arbeit und Soziales, Wirtschaft etc. Ein Abbild dieserUnterteilung liefern in aller Regel die Struktur dereinzelnen Dezernate einer Stadt. An die Stelle diesesKonzeptes tritt bei der Governance-Idee die place-focused-governance. Das heißt: Stadtpolitik wird zueinem integrativen Konzept ohne Zerstückelung ineinzelne Ressorts. Der Gegenstand des Problems rücktals Ganzes in den Vordergrund. Die Zusammenhängevon Problemen können so besser erkannt werden.Zusätzlich sorgt die Idee des sustainable developementfür eine stärkere Einbindung lokaler Akteure in denUmsetzungsprozess.

Beide genannten Ansätze – place-focused-governanceund sustainable development -sind im Programm

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Soziale Stadt als Handlungsempfehlungen vorhanden.Kurz gefasst: Das bedeutet, es soll ressortübergreifend,problemorientiert und nachhaltig gearbeitet werden.

Die Theorie der Transforming Governance findetihren Ausgangspunkt im ausgehenden 20. Jahrhundertmit dem Aufkommen sogenannter place wars. Placewars beschreiben den Wettkampf zwischen Regionenund Städten um die beste Position. Der zunächst natio-nale Wettstreit entwickelte sich in der digitalisierten undglobalisierten Kommunikationsgesellschaft rasch zueinem globalen Rennen um die urbane Pole-Position.Städte und Regionen wollten gleichzeitig wirtschaftlichpotent und attraktiv sein, kulturell und gesellschaftlichhöchsten Ansprüchen genügen, innere Sicherheit ge-währleisten und soziale Probleme so klein wie möglichhalten.

Public Private PartnershipUm diesem Anspruch gerecht zu werden, bedurfte esneuer Strategien. Die Städte der Gegenwart sind nichtin der Lage, ihren Ansprüchen lediglich mit Hilfefinanzieller Mittel aus öffentlichen Haushalten gerechtzu werden. Die logische Konsequenz aus dieser Tat-sache ist die Einbeziehung nicht-öffentlicher Akteure indie Stadt- und Regionalpolitik.

Beispiele in Großbritannien und in Schweden zeigen,dass Stadtpolitik nicht mehr eine „von oben“ gesteuertePolitik sein muss, sondern sich in eine „von unten“aktivierende Politik umstrukturieren lässt. Die Koope-ration von NGO’s, privaten und öffentlichen Akteurenführt zu informellen Absprachen über neue Strategien inder Stadtpolitik. Ausgehend von dieser Tatsache ergibtsich eine neue Schnittstelle: Public-Private-Partnership.

Public-Private-Partnership beschreibt im Kern dieZusammenarbeit von öffentlichen und nicht-öffentlichenAkteuren, mit dem Ziel, dass alle Beteiligten einenNutzen aus der Partnerschaft ziehen. In der Stadt- undRegionalpolitik wird Public-Private-Partnership genutzt,um städtische Entwicklungsprozesse voranzutreiben. Inerster Linie geht es hierbei um Kapital. Im Bericht derBeratergruppe „PPP im öffentlichen Hochbau“, die imAuftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- undWohnwesen Chancen für PPP untersucht hat, heißt es:„Der partnerschaftliche Ansatz von PPP liegt in derVerfolgung eines gemeinsamen Zwecks, bei dem sichöffentliche Hand und Private über den kurzfristigenAustausch von Leistungen hinaus zu einer dauerhaftenZweckerreichung zusammenfinden und entsprechendeRessourcen in einem Organisationsmodell zusammen-führen, um gemeinsam bessere Ergebnisse bei derRealisierung von Projekten erreichen zu können“(Beratergruppe BMVBW 2003).

Bei allem aktivierenden Potential, dass sich bei dieserneuen Form der Kooperation ergibt, muss die öffent-liche Seite die Kontrolle über den Entwicklungsprozessbewahren. Es darf nicht soweit kommen, dass die priva-te Kapitalquelle über die Stadtentwicklung entscheidetund die lokale Agenda fernab der demokratisch legiti-mierten Entscheidungsträger formuliert wird. Public-Private-Partnership bietet Chancen und Risiken.

6.4.2 Partnerschaften im Bereich„collective action“

Collective Action folgt bestimmten Rahmenbedingung-en. Zunächst wird davon ausgegangen, dass öffentlicheund nicht-öffentliche Akteure kooperieren und dieentstandene Partnerschaft eine andauernde Verbindungdarstellt. Jeder Partner „bringt etwas mit“ in die entste-hende Verbindung, so dass alle Beteiligten voneinanderprofitieren. Letztendlich gibt es eine geteilte Verantwor-tung für das Resultat der Kooperation.

Es stellt sich die Frage, welche Bedeutung Governanceim Bereich der Stadt- und Regionalpolitik haben kann.Im eigentlichen Sinn ist Governance auf dem urbanenSektor kaum zu realisieren, weil die Ansprüche und Auf-gaben der Stadtpolitik zu unterschiedlich sind. Gover-nance ist kein allgemeingültiges Rezept für alle Städteund Regionen. Es ist aber eine sinnvolle Handlungs-empfehlung.

Kooperative Problembearbeitung durch lokalePartnerschaftenTeil des integrierten Handlungskonzeptes im ProgrammSoziale Stadt ist - neben der Zusammenarbeit vonBehörden und der Partizipation der Bevölkerung - dieKooperation mit nicht-öffentlichen Akteuren. Die lokalenAkteure wurden aufgrund zunehmender Ressourcen-knappheit vermehrt von der öffentlichen Seite alsPartner wahrgenommen. Als Beispiel wären hier diefreien Träger in der Beschäftigungspolitik zu nennen.

Problembestimmung und Lösungsfindung verlagern sichbeim Governance-Konzept aus dem Binnenbereich despolitisch-administrativen Systems in den intermediärenBereich. Es entsteht dabei ein gleichberechtigter Dialog.So sollen nicht-öffentliche Akteure im Programm SozialeStadt nicht erst bei der Problemlösung aktiv werden,sondern bereits bei der Definition der dringlichstenProbleme eines Quartiers (dies trifft auch auf dieBewohnerschaft zu).

Die Relationen zwischen den Akteuren aus Staat, Marktund Zivilgesellschaft sind also wichtig für die Entwick-lung eines Quartiers. Eine besondere Bedeutung kommthier den intermediären Akteuren zu, die zwischen deneinzelnen Bereichen vermitteln. Hier wären zum Beispiel

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

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die kirchlichen Gemeinden, die sozialen Bewegungen,die Legislative sowie Parteien und Gewerkschaften zunennen.

Kooperation hat hierbei einen instrumentellen Charak-ter. Diese Handlungsform wurde entwickelt, weil dietraditionelle Planung nicht mehr greift. Kooperation sagtnichts über Inhalt oder Interaktionsstil aus, dieser kanndurchaus konfliktreich sein. Nachteile von Kooperationsind die Abhängigkeit von der Konsensbereitschaft derBeteiligten sowie die selektive Ausgrenzung von Bewoh-nern, die z.B. in den Möglichkeiten der Teilnahme anVerhandlungen und Gesprächen beschränkt sind. Aufdie Möglichkeit der Manipulation der Stadtpolitik durchmächtige Akteure wurde bereits weiter oben hinge-wiesen. Auch ist hier die drohende Instrumentalisierungdieser, als Ersatz für sozialstaatliche Leistungen und ihrCharakter als kurzfristige Problemlösung von struktu-rellen Problemen wie Massenarbeitslosigkeit, zu nennen.

Lokale Partnerschaften entwickeln sich nur unter denVoraussetzungen der Information und Transparenz, derausgewogenen Lasten- und Nutzen-Bilanzen der einzel-nen Akteure, der Glaubwürdigkeit und des Vertrauensinnerhalb der Kooperation und der Sicherung der Teil-habe- und Einflussmöglichkeiten aller relevantenGruppen. Kennzeichen von Kooperation sind dabei diepluralistische Struktur in Netzwerken und Partner-schaften sowie die Offenheit von Prozessen und dieinhaltliche Ausrichtung der Visionen, Strategien undProjekte mit einem räumlichen und zeitlichen Bezug.

6.4.3 Lokale Ökonomie

Die lokale Ökonomie kann einen wesentlichen Beitragzur Stabilisierung eines Stadtteiles leisten. Die Stadtteil-und Quartiersbetriebe wurden trotz ihrer Bedeutung fürden Arbeitsmarkt bisher von der Wirtschaftsförderungkaum wahrgenommen. Diese sollte neben der Förde-rung der technologieorientierten und globalisiertenTeilen der städtischen Ökonomie auch lokale Strategienverfolgen (vgl. Läpple/ Walter 2003: 14).Eine lokale Entwicklung der Ökonomie sollte nachLäpple und Walter (vgl. ebd.: 16f.) an vier Schwer-punkten ansetzen.Die benachteiligten Stadtteile müssen so gestaltet wer-den, dass sie sich als Standorte für Betriebe bessereignen. Bestehende Gewerbestandorte müssen ge-sichert werden.Existenzgründungen und bestehende Betriebe müssenin aktiver Form aufgesucht, unterstützt und beratenwerden, um Brücken zu Ressourcen die im Stadtteilselbst und anderswo in der Stadt vorhanden sind zubauen. Des Weiteren muss nach Läpple und Walter(2003) die Arbeitsmarkt- und BeschäftigungspolitikÜbergänge z.B. aus dem 2. Arbeitsmarkt in den 1.

Arbeitsmarkt sowie aus Quartieren mit einem geringenAnteil an Betrieben in umliegende Stadtteile ermög-lichen und erleichtern. Schließlich müssen Behörden undFördermittelgeber Kompetenzen abtreten, um mehrSpielraum für neue Wege bereitzustellen. Diese Kompe-tenzen sowie finanzielle Ressourcen sollen problembe-zogen gebündelt und die damit verbundenen Entschei-dungen lokalen Akteuren überlassen werden.

6.4.3.1 Lokale Ökonomieim Programm Soziale Stadt

Das Konzept der „Lokalen Ökonomie“ ist im Rahmendes Programms Soziale Stadt ein wichtiger Bestandteilder integrierten Handlungskonzepte.Das Fehlen von Arbeitsplätzen und Beschäftigungsmög-lichkeiten sowie ein Mangel an Qualifikation und Aus-bildung der Bewohner stellen zentrale Probleme in denbenachteiligten Quartieren dar.Das Konzept beschäftigt sich mit dem Aufgreifen undder Entwicklung von Potentialen vor Ort. Die Strategie"Lokale Ökonomie" ist auf arbeitsmarkt-, beschäfti-gungs-, struktur- und sozialpolitische Ziele gerichtet.Die im Folgenden beschriebenen Handlungsfelder wer-den durch dieses Konzept verbunden (vgl. Cramer/Behrens 2001).

Lokale Wirtschaftsentwicklung undExistenzgründungsförderungDie Stärkung und Förderung lokaler Unternehmen unddie Unterstützung von Existenzgründungen durch eineaktive, aufsuchende Beratung erhöht die Zahl derArbeitsplätze, stellt die Versorgung mit verschiedenenGütern und Dienstleistungen sicher und schafft bzw.erhält eine wettbewerbsfähige Unternehmensstruktur.

Beschäftigung und QualifizierungMit Beschäftigungsförderung und Qualifizierungsmaß-nahmen soll eine Verbesserung der Arbeitsmarktchan-cen der Bewohner in den benachteiligten Stadtteilenerreicht werden. Die Maßnahmen können eine gezielteVermittlung in Ausbildung und Beschäftigung beinhal-ten. Durch das höhere Einkommen der vermitteltenAnwohner kann eine Steigerung von Kaufkraft undNachfrage im Stadtteil wiederum auch die lokale Wirt-schaft stabilisieren. Die Förderung kann z.B. durch Ko-operation von öffentlicher Hand und Unternehmenerfolgen.

Soziale ÖkonomieZiel der Sozialen Ökonomie ist die Entwicklung sozialerUnternehmen, die in erster Linie lokal nachgefragteDienstleistungen anbieten sollen, die über den Marktnicht bereitgestellt werden (z.B. Stadtteilcafés, haus-wirtschaftliche Dienstleistungsagenturen).

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

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Das Quartiermanagement spielt bei der Verbindung zuEntscheidungsträgern, bei der Einbeziehung aller lokalwirksamen Akteure sowie bei der Abstimmung der Ak-teure aufeinander eine wichtige Rolle (vgl. Cramer/Behrens 2001).

Der herausragende Stellenwert der lokalen Ökonomiewird durch zwei Umfragen des Deutschen Institutes fürUrbanistik bei den kommunalen Ansprechpartnern inden Programmgebieten im Zeitraum 2000/2001 und2002 verdeutlicht (vgl. DIFU 2003: 95). Hierbei belegtdas Ziel "Stärkung der lokalen Ökonomie" den drittenPlatz hinter "Verbesserung des Wohnumfeldes" und"Verbesserung der Wohnqualität". Allerdings entstehteine Diskrepanz im Bezug auf konkrete Maßnahmen undProjekte. Hier rangierten die Maßnahmen zur Beschäfti-gung, Qualifizierung, Ausbildung und Wertschöpfungunter den Nennungen auf den Rängen 9, 10 und 18/19.

6.4.4 Öffentlichkeitsarbeit

Besonders wichtig für das Quartier und die adäquateBerichterstattung der Entwicklungen im Quartier, ist dieZusammenarbeit mit den lokalen, regionalen undüberregionalen Medien, damit innerhalb und aber auchüber die Quartiersgrenzen hinaus, die Situation imQuartier bekannt ist. Die Berichterstattung sollte durchenge Zusammenarbeit mit Journalisten aktiv gestaltetund bewusst gelenkt werden. Mit Hilfe einer positivenDarstellung der Entwicklungen im Gebiet kann das Bildin der Öffentlichkeit verbessert und Vorurteile sowieStigmata abgebaut werden. Durch diesen Abbau vonVorurteilen sind z.B. Existenzgründungen oder Neuan-siedlungen von Unternehmen und die Stärkung undEntwicklung der lokalen Ökonomie möglich. Die Medienkönnen somit als weiterer nicht-öffentlicher und ver-öffentlichender Akteur verstanden, genutzt und in dieArbeit im Quartier miteinbezogen werden.

6.4.5 Private Investoren im Rahmendes Programms

Die größten privaten Investoren im Rahmen des Pro-gramms Soziale Stadt sind in der Regel die Wohnungs-unternehmen. Sie engagieren sich besonders stark beiinvestiven Maßnahmen die den Wohnungsbestand be-treffen, schaffen aber auch Arbeitsplätze für z.B.Concierges oder stellen dem Quartiersmanagement kos-tenlos oder kostengünstig Büroflächen zur Verfügung.Eine weitere Möglichkeit ist die Unterstützung durchBereitstellung von Räumlichkeiten bei der Schaffungneuer Infrastrukturen wie z.B. Freizeiteinrichtungen fürJugendliche.

Die wirtschaftlichen Interessen der Wohnungsunterneh-men sind Motiv für dieses Engagement. Wobei es zu

einem Konflikt zwischen kurzfristigen Profiterwartungenund langfristigem Nutzen der Instandhaltung der Ge-bäude und, im Zusammenhang mit anderen Maßnah-men im Quartier, der Aufwertung des Wohngebieteskommt. Die Investitionsbereitschaft steigt mit zuneh-mender Erkennbarkeit eines Aufwärtstrends und er-folgsversprechender Entwicklungen im Gebiet.

6.4.6 Empirie

Der Fokus der exemplarischen Untersuchungen der Pro-grammgebiete richtet sich auf die Kooperation mit denAkteuren des Marktes im Sinne von Public-Private-Partnership. Es soll der Frage nachgegangen werden,ob es diese im sozialen Bereich gibt und welche Akteuredaran beteiligt sind. Im Folgenden werden charak-teristische Probleme und Merkmale der Zusammenarbeitmit nicht-öffentlichen Akteuren anhand einiger ausge-wählter Modellgebiete dargestellt. Wir beziehen unsdabei zunächst auf die Auswertung der Endberichte derProgrammbegleitungen vor Ort (PvO). Die beidenGebiete Hamburg Altona-Lurup und Wiesbaden-Westend werden anschließend genauer analysiert, wo-bei wir in Wiesbaden ein Experteninterview geführthaben, um offen gebliebene Fragen zu beantworten.

In Baden-Württemberg (Modellgebiet Singen-Langen-rain) ist die Umsetzung des Programms Soziale Stadt imVergleich zu anderen Bundesländern durch die vomLand gesetzten Rahmenbedingungen stark einge-schränkt. Das Programm wird so ausgelegt, dass dieMittel laut Bekanntmachung des Wirtschaftsministeri-ums über die im Jahr 2002 vorgesehenen Programmefür die städtebauliche Erneuerung und Entwicklung,Absatz 4: Bund-Länder-Programm »Stadt- und Ortsteilemit besonderem Entwicklungsbedarf – die SozialeStadt« (21.5.2001, Az.: 6-2521.2-02/1), „grundsätzlichnur für investive städtebauliche Maßnahmen in räumlichabgegrenzten Gebieten eingesetzt werden“ können (vgl.Geiss/Heckenroth; Krings-Heckemeier 2003).

Eine Realisierung der notwendigen Managementleistun-gen zur Mittelbündelung und Koordinierung der ver-schiedenen Akteure wird durch diese Einschränkungerschwert.

Im Gebiet Berlin, Kottbusser Tor ist das Problem gerin-ger Beschäftigung verbunden mit geringer Bildung undQualifikation der Anwohner. Arbeitskraftnachfrage vonUnternehmen kann teilweise nicht bedient werden, dakeine geeigneten und ausreichend qualifizierten Arbeits-kräfte im Quartier vorhanden sind. Das Quartiersmana-gement versucht dieses Defizit auszugleichen. Aufgabeist also, vorhandene wirtschaftliche Bestände undPotenziale miteinander zu verknüpfen. Im Mittelpunktsteht eine selbstständige Erwerbstätigkeit. Aufgrund der

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

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fehlenden Qualifizierung wurden Gespräche mit Ver-tretern von Banken und Finanzdienstleistern geführt.

Erschwert wird die Bündelung von Ressourcen durchden Hauptträger von Gewerbeflächen, die KreuzbergerZentrum GmbH. Diese setzt lediglich auf die Gestal-tungskraft des privaten Unternehmertums, das überdie Ressourcen verfügt (Immobilien), die erforderlicheQualifikation einbringt (Geschäftserfahrung und Kennt-nis der ordnungsrechtlichen Regelwerke) und die politi-schen Rahmenbedingungen beeinflussen kann (Partei-en). Eine Zusammenarbeit ist von daher nicht notwen-dig (vgl. PvO Berlin 2002: 37f.). Auch die „Banken undEinzelhandelsmärkte als Filialisten... [sind] ...konzeptio-nell nicht an der Gebietsentwicklung interessiert“ (vgl.ebd.: 39).

In Nürnberg fließen finanzielle Mittel durch Hauseigen-tümer bei der Sanierung der Wohnungsbestände einsowie in Form von privatem Sponsoring von Projektendurch kleine und größere Nürnberger Unternehmen. DieBündelung von Ressourcen geschieht am häufigstendurch die Beschaffung „von Mitteln der Städtebauför-derung mit anderen, meist investiv orientierten Pro-grammen“ (vgl. PvO Nürnberg 2003: 37).

In Halle-Silberhöhe findet eine Zusammenarbeit mitprivaten Akteuren nur in Form vereinzelter Geldspendenfür Projekte durch lokale Gewerbetreibende und dieWohnungsbauunternehmen statt. Im Rahmen desProgramms werden in Sachsen-Anhalt nur investiveMaßnahmen gefördert. Ein Landesprogramm mitschwerpunktmäßiger Förderung investiver Maßnamenwäre auch nur schwer umsetzbar, da dem Land diefinanziellen Mittel fehlen. Bei der Beschaffung vonMitteln auf lokaler Ebene besteht das Problem derfehlenden Qualifikation und personellen Ressourcen, diezur Akquisition nötig wären.

Im Programmgebiet Leipziger Osten werden in Zu-sammenarbeit mit dem lokalen Einzelhandel Maßnah-men zur Aufwertung von Einkaufsstraßen durchgeführt.Neben der Kooperation bei baulichen Maßnahmen wieder Schaffung einer Stellplatzanlage oder der Eigen-tümer-Nutzer-Kooperation bei der Wohnungssanierungwerden auch Imagekampagnen, Netzwerkbildung zwi-schen Unternehmen und Existenzgründungen gemein-sam gefördert (vgl. PvO Leipziger Osten 2002: 34ff.).Nicht-öffentliche Mittel kommen hauptsächlich beibaulichen Maßnahmen zum Einsatz, darüber hinauswerden einzelne Projekte durch privatwirtschaftlicheUnternehmen gefördert (vgl. ebd.: 45). Dennoch sinddie Bemühungen des Stadtteilmanagements umSpendengelder (Fundraising) nicht sehr erfolgreich.Auch die Ausführung, dass die öffentliche Förderung inden Sanierungsgebieten Leipzigs den Einsatz nicht-öffentlicher Mittel im Verhältnis von ca. 1:7 anstoßen,

lässt sich vor allem auf die baulichen Maßnahmen derWohnungsbaugesellschaften und privater Eigentümerzurückführen.

Im Modellgebiet Schwerin-Neuzippendorf in Mecklen-burg-Vorpommern werden privatwirtschaftliche Mittelneben Spenden der Gewerbetreibenden hauptsächlichvon den lokalen Wohnungsunternehmen bereitgestellt(vgl. PvO Schwerin-Neu Zippendorf 2002: 45f.). Diesebeteiligte sich beispielsweise am Umbau einer Wohnungzum Nachbarschaftstreff Talliner Straße (vgl. ebd.:32f.). Beim Stadteilmanagement kommt es zwar zurKooperation in Form von Imagearbeit für die lokaleÖkonomie, sie wird jedoch für die ersten drei Jahreausschließlich aus dem Programm Soziale Stadt finan-ziert (vgl. ebd.: 46).

Ein gutes Fundraising lässt sich im hessischen Kassel-Nordstadt feststellen. Hier wurden private Mittel für dieKinder und Jugendbetreuung, die Mieterberatung sowieden Aufbau eines Bewerbungscenters eingesetzt (vgl.PvO Kassel-Nordstadt 2002: 48f.). Auch verfolgte diePvO das Ziel der Förderung der lokalen Ökonomie durchThemenkonferenzen und Expertengesprächen mit denGewerbetreibenden. Der Aufbau einer "Servicestelle fürBeschäftigung und Wirtschaftsentwicklung Nordstadt"wird auch durch die örtliche Sparkasse unterstützt,scheiterte jedoch bisher an der ablehnenden Haltungdes Kasseler Magistrats (vgl. ebd.: 41ff.). Dennochgelang es trotz intensiven Kontaktes mit der lokalenÖkonomie nicht, privatwirtschaftliche Akteure amNordstadtprojekt stärker zu beteiligen (vgl. ebd.: 71).

Mangelnde Kooperation mit der lokalen Wirtschaft istauch ein Problem im saarländischen Neunkirchen, wodie PvO in Neunkirchen-Innenstadt selbst für baulicheMaßnahmen bisher keine sonderliche Resonanz von denprivaten Hauseigentümern erhält (vgl. PvONeunkirchen-Innenstadt 2002: XXVIII). Für dieRealisierung eines Spiel- und Sportfeldes wurdenhingegen 100.000 DM an privaten Mitteln bereitgestellt(vgl. ebd.: 60).

Beim Programmgebiet Bremen-Gröpelingen kommennicht-öffentliche Mittel hauptsächlich bei der Gebäude-modernisierung zum Einsatz. Des Weitern werdenprivate Sponsorengelder für die Jugendarbeit eingesetzt(vgl. PvO Bremen 2002).

Die Programmgebiete Wiesbaden-Westend undHamburg-Altona-Lurup sollen im Folgenden intensiverbetrachtet werden.

Programmgebiet Wiesbaden-WestendDas Wiesbadener Westend ist ein Programmgebiet,dass mit finanziellen Mitteln aus dem Bund-Länder-Programm Soziale Stadt gefördert wird. Es ist eins von

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

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zwei Programmgebieten in der hessischen Landes-hauptstadt. Das Wiesbadener Westend ist ein citynahesinnerstädtisches Altbaugebiet mit hoher städtebaulicherStruktur. Es besteht jedoch im gesamten Gebiet einhoher Modernisierungsbedarf. Die Aufenthaltsqualität istgering und das öffentliche Erscheinungsbild istmangelhaft. Das Wiesbadener Westend ist ein Wohn-und Gewerbeviertel. Die jahrzehntelange Einwanderunghat das Quartier sozial, kulturell und wirtschaftlich starkgeprägt.

Die Stadtteilökonomie ist geprägt durch Migrantenöko-nomie, die teilweise „Basarcharakter“ hat. Es bestehteine hohe Risikobereitschaft und eine große Flexibilitätund Anpassungsfähigkeit in Bezug auf Nachfrageverän-derungen. Alteingesessenes deutsches Gewerbe undHandwerk ist kaum vorhanden. Die Schwerpunkteliegen im Kleinhandel und bei privaten Dienstleistungen.Ein Hauptproblem der Gewerbetreibenden sind diekleinen Ladenflächen, die kaum Expansionsmöglichkeitbieten. Zudem besteht fast überall eine hoherInvestitionsbedarf.

Strukturanalysen aus dem Jahr 1999 und dem Jahr2003 zeigen, dass es zu einer deutlichen Aufwertungdes Stadtteils gekommen ist. Gründe dafür sind diedurch das Programm Soziale Stadt vorhandenen finan-ziellen Mittel und die Tatsache, dass es immer wieder zuKooperationen zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Akteuren kommt.

Durch die Mobilisierung privaten Kapitals kam es zu-nächst zu einer städtebaulichen Aufwertung desGebiets. Da nahezu alle Gebäude im Programmgebiet inPrivatbesitz sind, bestand auf öffentlicher Seite eingroßes Handlungs- und Verhandlungsvolumen, ummöglichst viele Hausbesitzer von der Notwendigkeit vonVeränderungen zu überzeugen. Große Wohnbaugesell-schaften, die in anderen deutschen Städten einwichtiger Partner sind, gibt es im Wiesbadener Westendnicht.

Ein weiterer entscheidender Schritt war die Sensibilisie-rung und Mobilisierung der örtlichen Gewerbetrei-benden. Im Jahr 2000 gründete sich die IG Wellritz2000 (benannt nach der größten Straße im Quartier, derWellritzstraße). Die IG Wellritz 2000 ist ein Zusammen-schluss von deutschen und türkischen Gewerbetrei-benden. Gemeinsam mit dem Quartiersmanagement hatman nun einen Zugang ins Milieu der Migranten-Öko-nomie.

Parallel dazu wurde durch ordnungsrechtliches Vorge-hen gegen Teestuben und inoffizielle Vereinstreffs dafürgesorgt, dass das Wiesbadener Westend nicht mehr alseine Art rechtsfreier Raum geduldet wird. Das Haupt-problem bestand darin, dass die Teestuben und Ver-

einstreffs eigene informelle Regeln hatten, die dem gel-tenden Recht oftmals entgegenstanden. Sie firmiertenals Vereine und fungierten jedoch als inoffizielle Gast-stätten, die sich rechtlichen Regulativen entziehen undin unlautere Konkurrenz zur „ordentlichen“ Gastronomietreten konnten. Das Westend galt als ein zu meidendesGebiet. Ursache dafür war eine Mischung aus einemtatsächlichen Bedrohungspotential durch gewaltbereiteJugendliche und einer gefühlten Unsicherheit, die sichauf negativen Erlebnisberichten, Presseberichten undVorurteilen gründete.

Ein konkretes Kooperationsbeispiel liefert auch dasSperrmüll-Sichtungsprogramm, das eine Gemeinschafts-aktion vom Lokalen Qualifizierungsbüro und denstädtischen Entsorgungsbetrieben ist. Das LokaleQualifizierungsbüro wurde am 1.5.2000 eröffnet undbegleitet 25 Teilnehmer, die an einem FreiwilligenSozialen Trainingsjahr teilnehmen. Es steht darüberhinaus allen Jugendlichen im Stadtteil als Anlauf- undBeratungsstelle zur Verfügung. Das Projekt ist einstadtteilorientiertes Angebot. Es ist gebunden an dieFörderung im Programm Soziale Stadt und soll sowohleinen Beitrag zur Integration benachteiligter Personenin den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt leisten als aucheinen Beitrag zur Entwicklung des Stadtteils.Die 25 am Freiwilligen Sozialen Trainingsjahr teilneh-menden Jugendlichen arbeiten im Rahmen einerVollzeitmaßnahme betrieblicher Praxis in Betrieben undsozialen Einrichtungen des Quartiers oder in derProjektgruppe Westend. Zusätzlich nehmen sie anergänzenden Qualifizierungsmaßnahmen teil. Hier wirdu.a. die Möglichkeit gegeben, sich auf den Erwerb desHauptschulabschlusses vorzubereiten.

Flankiert wurden die genannten Aktionen durch einesystematische Imageverbesserung des Stadtteils an-hand von aktiver Öffentlichkeits- und Pressearbeit.Hierzu zählt auch eine eigene Stadtteilzeitung.

Es soll an dieser Stelle klar geworden sein, dasszunächst eine Vielzahl von Maßnahmen auf allenEbenen der Stadtpolitik notwendig waren, um eineGrundlage für eine funktionierende Kooperation vonprivaten und öffentlichen Akteuren zu ermöglichen.

Ausgehend von diesem Punkt hat sich im WiesbadenerWestend ein bestimmter Handlungsablauf etabliert. Dieörtlichen Gewerbetreibenden, angeführt von der IGWellritz 2000, haben Kenntnis vom Programm SozialeStadt. Sie entwickeln gemeinsam Ideen für eineAufbesserung der Verhältnisse im Quartier, treten mitdiesen Ideen an das zuständige Dezernat heran undbitten um finanzielle Unterstützung. In diesem Fallkommen die Ideen eindeutig von unten und nicht vonoben.

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

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Ein Vorzeigeprojekt privater und öffentlicher Zusam-menarbeit ist ein Fassadenerneuerungsprogramm miteinem Investitionsvolumen von knapp 170.000 Euro.Die Hälfte des Investitionsvolumens kommt aus privatenQuellen. In diesem Zusammenhang haben zahlreicheArchitekten vergünstigte planerische Beratung geleistet.Auch das ist eine Form privaten Engagements.

Durch die vielfältige Kooperation stellt das zuständigeDezernat ein deutlich verbessertes Investitionsklima undeine höhere Investitionsbereitschaft in Gemeinschafts-projekte fest.In den vergangenen Jahren ist es gelungen, den Stadt-teil lebenswert zu gestalten und ihn für neue Investorenund Gewerbetreibende zu öffnen. Die Kooperation vonöffentlichen und nicht-öffentlichen Akteuren ist jedochin erster Linie eine praktische und ideelle Kooperationund nur in wenigen Fällen eine finanzielle. Wederkonnten größere Unternehmen für Investition gewon-nen werden noch hat man über alternative Geldquellenzur Personalfinanzierung nachgedacht. Das Quartiers-management im Wiesbadener Westend beschäftigteinen Jugendlichen, der ein Freiwilliges Soziales Jahrleistet. Die Gelder für diese Stelle laufen im kommendenJahr aus. Neue Gelder aus öffentlichen Haushalten wirdes für diese Stelle nicht geben. Auf Nachfrage wurdedeutlich, dass die Stadt noch nicht darüber nachgedachthat, so eine Stelle auch mit privaten Mitteln zufinanzieren.

Das Programmgebiet Wiesbaden-Westend zeigt dieVielfältigkeit lokaler Aktionen, die auf der Basis vonZusammenarbeit zwischen städtischen Einrichtungenund privaten Initiativen stattfinden. Hauptsächlich be-schränkt sich der nicht-öffentliche Beitrag auf dasIdeelle. Kapital spielt hier eine untergeordnete Rolle,wenngleich einige Aktionen nicht ohne die finanzielleUnterstützung einzelner Personen oder kleinererBetriebe möglich wären.

Das Programmgebiet Hamburg-Altona-LurupDer Stadtteil Lurup liegt an der westlichen StadtgrenzeHamburgs und gehört zum Bezirk Altona. Seit densechziger Jahren wurden die Ein- und Mehrfamilien-häuser durch Sozialwohnungen in hochgeschossigerBauform ergänzt, es kam zu einer zunehmendenVerdichtung des Stadtteils. Die beiden Programmge-biete Flüsseviertel und Lüdersring sind Siedlungen dessozialen Wohnungsbaues der sechziger und siebzigerJahre. Im Gebiet Lüdersring entstand auch ein Laden-zentrum, die Elbgaupassage (vgl. PvO 1992: 10 ff.).

Die Bevölkerungsstruktur ist von einem im Stadtver-gleich höheren Anteil an Kindern und Jugendlichen,Alleinerziehenden und einer erhöhten Anzahl vonMigranten geprägt. Der Anteil der Bezieher von Trans-ferleistungen sowie der Anteil der Arbeitslosen ist über-

durchschnittlich hoch. Besonders besorgniserregend isthierbei der dauerhafte Ausschluss junger Arbeitnehmervom Arbeitsmarkt (vgl. ebd.: 12ff.).

Von der lokalen Ökonomie gehen kaum Beschäftigungs-effekte auf den Bezirk aus. Sie ist geprägt von einemNiedergang des Einzelhandels und einer Konzentrationder noch verbliebenen Geschäfte in den drei vorhan-denen Ladenpassagen. Freiflächen für die Entwicklungneuen Gewerbes stehen aufgrund der hohen Verdich-tung durch den Wohnungsbau nicht zur Verfügung (vgl.ebd.: 21ff.).

Von größerer Bedeutung sind daher die umliegendenGewerbegebiete, die zwar nicht zum Programmgebietgehören, aber fußläufig zu erreichen sind. Hier befindensich hauptsächlich klein- und mittelständige Betriebe,abgesehen von den beiden Großunternehmen Hermesund Montblanc. Hier bieten sich, wenn auch rückläufige,Beschäftigungsmöglichkeiten für Personen mit geringerQualifizierung. Dies trifft auch auf den Einzel- undGroßhandel und bedingt auf die angesiedelten Hand-werksbetriebe zu. Hier ergeben sich Ausbildungs-chancen für die jugendlichen Quartiersbewohner (vgl.ebd.: 18ff.). Da es im Stadtteil Hamburg-Altona-Lurupnur wenige Entwicklungspotentiale gibt, scheint es alsosinnvoll, über die Quartiersgrenzen hinaus zu schauenund mit Akteuren anderer Quartiere zu kooperieren, umBewohner in Praktika, Ausbildungsgänge und Kurse zuvermitteln (vgl. Gonzales 2002: 141 ff.). Die quartiers-bezogene Sichtweise des Programmes Soziale Stadtgreift hierbei zu kurz.

Der größte Teil des Wohnungsbestandes ist im Besitzder Wohnungsbaugesellschaft SAGA (GemeinnützigeSiedlungs- und Aktiengesellschaft Hamburg). Ihrgehören im Gebiet Lüdersring 2248 Wohneinheitensowie weitere 1697 Wohneinheiten im Flüsseviertel.4000 Wohnungen befinden sich im Besitz vonGenossenschaften und in privater Hand. Die SAGAinvestierte in den letzten Jahren in die Modernisierungund den Neubau von Wohnungen, wobei auch Grund-rissveränderungen vorgenommen wurden. Hier wirdden veränderten Ansprüchen der Bewohner (vieleFamilien) Rechnung getragen und größerer Wohnraumzur Verfügung gestellt. Dadurch konnte die Fluktuationverringert und die Zerstörung nachbarschaftlicher Netz-werke durch den Wegzug junger Familien verhindertwerden. Zwei Hausbetreuerlogen und ein Nachbar-schaftszentrum wurden ebenfalls eingerichtet. Seitensder Stadt wurde der Forderung nach Abschaffung derFehlbelegungsabgabe durch sozial besser gestellteMieter nachgegangen, was einen Wegzug dieserBewohner verhinderte und eine gezielte Belegung durchdie Wohnungsbaugesellschaft ermöglichte (vgl. PvO1992: 38 ff.). Hier lässt sich eine Kooperation zwischenöffentlichen und nicht-öffentlichen Akteuren mit dem

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Ziel der Stabilisierung von Nachbarschaften konsta-tieren. Auf Seiten der Wohnungsbaugesellschaft kommtvor allem das Argument der Kostenreduzierung zumTragen, weil Fluktuation und Leerstand mehr Geld alsdie angeführten Maßnahmen kosten würden.

Eine weitere Form von Kooperation bildet das LuruperForum, an dem u.a. Vertreter der Wirtschaft beteiligtsind. So konnte mit ihnen ein Informationstag überAusbildungsgänge an Luruper Schulen durchgeführt undKampagnen zur Verbesserung des Außenimages desViertels durchgeführt werden (vgl. ebd.: 91 f.).

Im Bereich der Verbesserung der Nahversorgung derBevölkerung wurde in Kooperation mit einem privatenInvestor ein zusätzlicher Wochenmarkt installiert. Derzweimal pro Woche stattfindende Markt trägt zurAufwertung des Einkaufszentrums Elbgaupassagen beiund es wurde mit ihm ein Ort der Kommunikation fürdie Bewohner geschaffen (vgl. ebd.: 137).

Das fehlende Engagement der beiden Großunterneh-men an einer Zusammenarbeit lässt sich dadurcherklären, dass das Image eines Global Players nicht mitdem Negativimage des Stadtviertels in Verbindung ge-bracht werden soll (vgl. ebd.: 28).

6.4.7 Resumée

Die Auswertungen der Berichte der Programmbeglei-tung vor Ort in den Modellgebieten sowie die Analyseder Gebiete Wiesbaden-Westend und Hamburg-Altona-Lurup haben ergeben, dass eine Zusammenarbeit mitnicht-öffentlichen Akteuren, wie Wohnungsbauunter-nehmen, verschiedenen lokalen und regionalen Unter-nehmen und auch nationalen Großunternehmen, inunterschiedlich stark ausgeprägter Form stattfindet.

Im Bereich dieser Zusammenarbeit ist das Engagementder Wohnungsbauunternehmen am stärksten. Sieengagieren sich vor allem im Bereich der baulichenMaßnahmen, wie Sanierung und Modernisierung derWohnanlagen, und bei der Aufwertung öffentlicherRäume (vgl. Löhr 2000).Im Gebiet Kottbusser Tor in Berlin hat sich gezeigt, dassseitens der Privatwirtschaft teilweise kein Interesse aneiner Zusammenarbeit besteht: „Der Geschäftsführerder Immobilien GmbH Kreuzberger Zentrum sieht dasQuartiersmanagement weder sachlich noch vom Mandather als gleichwertigen Verhandlungspartner an“ (vgl.PvO Berlin 2002: 38).Hierzu wurde jedoch festgestellt, dass sich kooperativeund partizipative Strukturen leichter auf der Quartiers-ebene als auf der Verwaltungsebene umsetzen ließen(vgl. PvO Berlin 2002: 153).

Die Auswertung der Berichte hat weiterhin ergeben,dass lediglich im Modellgebiet Cottbus Sachsendorf-Madlow Projekte durch die Zusammenarbeit mitfinanzstarken Akteuren der Privatwirtschaft, die nichtnur lokal und regional vertreten sind, im Sinne desSocial Sponsoring finanziert wurden. Hier wurden zweiProjekte durch Mittel der Deutschen Telekom undDaimler Chrysler privat unterstützt (vgl. PvO Cottbus2002: 51). Dennoch spielt Social Sponsoring in allenGebieten eine Rolle, es wurden aber noch keineStrategien des Fundraisings auf Seiten des Quartiers-managements entwickelt.

Eine stärkere Zusammenarbeit findet im Bereich derlokalen Ökonomie statt. Ortsansässige Unternehmerhaben sich in Interessengemeinschaften zusammenge-schlossen und sind in die Quartiersplanung nicht nurdurch die Teilnahme an „Runden Tischen“ beteiligt. DasKonzept der aktiven, aufsuchenden Beratung wurde oftin Form von Existenzgründerbüros umgesetzt. Sokonnte in Hamburg-Altona-Lurup durch eine PPP-Maßnahme ein Wochenmarkt eingerichtet werden.

In vielen Gebieten sind die lokalen ökonomischenStrukturen jedoch soweit ausgedünnt, dass kaum nochAnsatzpunkte für die Förderung existieren (vgl.Läpple/Walter 2003: 9). Entscheidend ist hier, „Brückenund Übergänge aus dem Quartier in die umliegendenStadtteile und in die Gesamtstadt zu bauen, um zuverhindern, dass die benachteiligten Stadtteile nochmehr isoliert werden und sich bestehende ökonomischeSegmentierungen und soziale Ausgrenzungen lokalverfestigen“ (vgl. ebd.).

Erreicht werden muss eine Wiedereingliederung bzw.eine „Eingliederung der Unternehmen, der Beschäf-tigten und Arbeitssuchenden in überlokale Kreisläufeund Entwicklungszusammenhänge...“ (vgl. ebd.: 16).

Hindernisse bei der Zusammenarbeit bestehen jedochnicht nur auf der Seite der Privatwirtschaft, sondernauch durch die noch starre Verwaltung und fehlendeRessourcen beim Quartiersmanagement. In den Bun-desländern Baden-Württemberg und Sachsen-Anhaltwerden durch das Programm Soziale Stadt nur investiveMaßnahmen gefördert. Die Berichte der PvOs derModellgebiete dieser Länder zeigen, dass die Manage-mentleistungen zur Ressourcenbündelung und Beschaf-fung von privaten Mitteln auf Quartiersebene mangelspersonellen Ressourcen und Qualifikation erschwertwerden. Die PvO in Cottbus stellte in ihrem Abschluss-bericht fest, dass ein Stadtteilmanagement nötig ist,„das sich über die soziale Integration hinaus insbe-sondere der Programmverknüpfung und der Verbindungzu öffentlichen und privaten Investitionen verpflichtetfühlt und das entsprechend mit Kompetenz ausgestattet

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ist“ (vgl. PvO Cottbus 2002: 55). Nötig scheint einelängerfristig abgesicherte Finanzierung der Arbeitskräfteim Quartiersmanagement.

Welche Antwort gibt es abschließend auf die Eingangs-frage, in welchem Umfang die Zusammenarbeit vonöffentlichen und nicht-öffentlichen Akteuren sinnvoll istund ob sie auch umgesetzt wird? Alle von uns unter-suchten Programmgebiete zeigen deutliche Ansätze füreine staatlich/nicht-staatliche Kooperation. Diese Hand-lungsoption scheint als erfolgreiches Modell erkanntworden zu sein.

Die Umsetzung gestaltet sich aus den genannten Grün-den als schwierig. Insbesondere der Bereich Public-Private-Partnership hat sich gemäß seiner Definition alsandauernde Zusammenarbeit, als kaum realisierbarherausgestellt. Kurzfristige Gewinnbestrebungen seitensder Privatwirtschaft stehen Seite an Seite mit demFehlen einer langfristigen Planung und Konzeption aufder Seite des Stadteilmanagements und der Verwaltung.

Darüber hinaus ist die Handhabe von Public-Private-Partnership in öffentlichen Haushalten noch nicht klardefiniert. Die Beratergruppe „PPP im öffentlichenHochbau“ stellte fest, dass es „rechtliche Hindernissebei der Durchführung von PPP-Projekten“ gibt. Etwa dieFrage in welcher Form Ausgaben für PPP-Projekte inöffentlichen Haushalten verbucht werden (vgl. Berater-gruppe des BMVBW 2003).Hierzu gibt es keine bundeseinheitliche Regelung.

Abschließend lässt sich konstatieren, dass Kooperationmit nicht-öffentlichen Akteuren durchaus zur Stabilisie-rung eines Gebietes beitragen kann. Sogenannte weicheStandortfaktoren werden auch auf Seiten der Privatwirt-schaft wahrgenommen. Außer den Wohnungsbaugesell-schaften engagierten sich die Akteure der lokaleÖkonomie insbesondere bei der Image- und Öffent-lichkeitsarbeit (vgl. DifU 2003: 137), während globalausgerichtete Unternehmen eher weniger mit einemProblemgebiet in Verbindung gebracht werden wollten.Die Wirtschaftsförderung im Rahmen des ProgrammsSoziale Stadt kann auch Erfolge in den BereichenVernetzung der lokalen Gewerbetreibenden undExistenzgründungen verbuchen.Defizite gibt es noch beim Social Sponsoring. Hier fehltes noch an Strategien des Fundraisings auf Seiten desQuartiersmanagements. Generell gilt es, den Bekannt-heitsgrad des Programms bei den privatwirtschaftlichenAkteuren zu erhöhen. Dies ist neben dem Bürokratie-abbau eine Vorrausetzung für erfolgreiche Kooperation.

6.5 Fazit

In diesem Kapitel wurden neue Instrumente und Maß-nahmen untersucht. Das Integrierte Handlungskonzept(IHK), die Bewohnerpartizipation, der Einfluss vonSchule auf die Nachbarschaft sowie die Kooperation mitnicht-öffentlichen Akteuren im Hinblick auf derenUmsetzung wurden dabei evaluiert.Zusammenfassend werden diese neuen Instrumenteund Maßnahmen als gutes Modell angesehen, obwohlsich die Umsetzung teilweise als schwierig erweist. Somangelt es bei dem Integrierten Handlungskonzept undder Kooperation mit nicht-öffentlichen Akteuren noch anklaren Handlungsmustern auf Seite der Verwaltung. ImFalle des IHKs muss sozialräumliches Denken auf Ver-waltungsebene erst noch die hierarchischen Entschei-dungswege ersetzen. Bei der Kooperation mit nicht-öffentlichen Akteuren bzw. Public-Private-Partnershipmuss deren Handhabe in öffentlichen Haushalten zu-nächst noch klar definiert werden. Außerdem wurdefestgestellt, dass sich kooperative und partizipativeStrukturen leichter auf Quartiersebene als auf Verwal-tungsebene umsetzen lassen. Hindernisse bestehenbesonders durch die noch starre Verwaltung undfehlende Ressourcen beim Quartiersmanagement. DerBereich Public-Private-Partnership ist gemäß seinerDefinition von dauerhafter Zusammenarbeit kaum reali-sierbar.Weiterhin hängt der Erfolg der Instrumente undMaßnahmen von den handelnden Akteuren ab. Momen-tan sind Planung und Umsetzung von Programmvor-haben stark abhängig von Schlüsselpersonen, vor allemin Bereichen der Verwaltung. Bei der Bewohnerpartizi-pation ist der Erfolg der Quartiersmanagementarbeitabhängig von den Bewohnern bzw. deren Engagementund Vernetzung vor dem Einsatz eines Quartiers-managements. So erscheinen die hoch gesteckten Zieledes Programms, wie Nachhaltigkeit und selbsttragendeStrukturen, in bereits gut vernetzten Gebieten durchauserreichbar, während sie in gegenteiligen Gebieten wie„entfernte Zukunftsmusik“ klingen und das Quartiers-management in kleinen Schritten die Aktivierung derBewohner betreiben muss.Die Schlüsselfunktion von Schulen, sprich deren positiveEffekte auf Nachbarschaften oder auch Minderung vonSegregation, kommt nur zum Tragen, wenn die Schulegut mit Lehrmitteln und -kräften ausgestattet ist. D.h.hier ist der Erfolg weniger personen- als finanzab-hängig. Da die Elternschaft in bereits segregiertenGebieten eher finanzschwach ist, sollte hier dasQuartiersmanagement einspringen und den Schul-förderverein finanziell unterstützen.Die Zusammenarbeit mit nicht-öffentlichen Akteuren wieWohnungsbauunternehmen, verschiedenen lokalen undregionalen Unternehmen und nationalen Großunterneh-men ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Am stärkstenbringen sich die Wohnungsbauunternehmen ein, z.B.

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

183

bei baulichen Maßnahmen oder der Aufwertung öffentli-cher Räume. Grund dafür könnte sein, dass die Wohn-ungsbauunternehmen in der Mehrzahl der Programm-gebiete die Mehrheit an Wohnungen verwalten undsomit großen Einfluss haben.Eine gute Zusammenarbeit findet auch im Bereich derlokalen Ökonomie statt, da sich die ortsansässigenUnternehmer in Interessensgemeinschaften zusammen-schließen und auch an der Quartiersplanung beteiligtsind.Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die unter-suchten Instrumente und Maßnahmen, wenn auch nicht1:1 umgesetzt, durchaus zur Stabilisierung einesGebietes beitragen.

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

184

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Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

185

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PvO Bremen 2002: Franke, Thomas/Meyer, Ulrike:Programmbegleitung vor Ort im Modellgebiet Bremen-Göpelingen, Endbericht

PvO Cottbus 2002: Programmbegleitung vor Ort CottbusSachsendorf-Madlow, Abschlussbericht

PvO Flensburg 2002: Modellgebiet Flensburg NeustadtStadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - dieSoziale Stadt. Programmbegleitung vor Ort, Endbericht

PvO Halle 2002: Programmbegleitung des Bund-Länder-ProgrammsSoziale Stadt - Modellgebiet „Halle-Silberhöhe“,Sachsen-Anhalt, Endbericht

PvO Hamburg Altona Lurup 2002: Programmbegleitungdes Bund-Länder-ProgrammsSoziale Stadt - Modellgebiet Hamburg, Endbericht

PvO Kassel 2002: Bund-Länder-Programm. SozialeStadt. Modellgebiet Kassel-Nordstadt. Endbericht derProgrammbegleitung vor Ort

PvO Leipziger Osten 2002: Böhme, Christa/Franke,Thomas: Programmbegleitung des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt - Modellgebiet LeipzigerOsten, Endbericht

PvO Neunkirchen-Innenstadt 2002:Programmbegleitung vor Ort im Modellgebiet"Innenstadt Neunkirchen",Saarland, Endbericht

PvO Nürnberg 2003: PROGRAMMBEGLEITUNG VORORT im Modellgebiet Nürnberg – Galgenhof/SteinbühlENDBERICHT 2002, KURZFASSUNG

PvO Schwerin- Neu Zippendorf 2002: Cramer, Cathy;Schuleri-Hartje, Ulla-Kristina: Programmbegleitung vorOrt im Modellgebiet Schwerin-Neu Zippendorf,Endbericht

Schnur, Olaf 2000a: Positionspapier: Soziale Stadt- undQuartiersentwicklung in Berlin

Schnur, Olaf (Hg.) 2000b: Nachbarschaft, Sozialkapital& Bürgerengagement: Potenziale sozialer Stadtteil-entwicklung? Abschlussbericht zum Projektseminar

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Walther, Uwe-Jens (Hg.) 2002: Soziale Stadt-Zwischenbilanzen. Ein Programm auf dem Weg zurSozialen Stadt? Opladen: Leske+Budrich

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Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

186

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Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

187

Anhang

6.2 Fragebogen zum Vergleich von Maßnahmen zur Bewohnerpartizipation/-aktivierungim Rahmen des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt

Stadt:

Stadtgröße:

Quartier:

Interviewpartner: Position: Ausbildung:

I. Erhebung

A: Quartier

1. Name des Quartiers:

2. Größe ha

3. Ländervorgaben:

4. AltB / NeuB:

5. Nutzungsstruktur:

6. Lage:

7. Bewohnerzahl (Anzahl der Haushalte):

8. Einwohnerstruktur (Milieus total und in %)

Arbeitslose:

Sozialhilfeempfänger:

Ausländer:

8.1 „Problembevölkerung“:

9. Altersstruktur

10. Vereinsstruktur vorher/nachher:

B: QuartiersmanagementSeit wann gibt es das QM?

Aus wie vielen Personen setzt sich das QM zusammen?

Zusammensetzung des Teams:

Gab es vor dem Beginn des QMs quartiersbezogene Initiativen?

Geldmittel (wieviel, Kürzungen)

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

188

C: Philosophie/Strategie des QM1. Wie schätzen Sie die im Programm Soziale Stadt formulierten Ziele ein und wie ist Ihr Verhältnis dazu?

2. Wie ist Ihre dementsprechende Grundsatzstrategie/ Ihr Anspruch?

D: MaßnahmenMit welchen Methoden und Angeboten werden die Bürger beteiligt?

1. Gab oder gibt es ein Pilotprojekt bzw. eine Auftaktveranstaltung, mit der das QM

begonnen hat? [Liste 1 (Modelle-/ Methodenliste vorlegen)

wenn nein, weiter mit Frage 2

wenn ja: 1.1 Datum der Durchführung bzw. des Projektstarts:

1.2 Ist es ein dauerhaftes Projekt?

1.3 Wenn ja: Wie oft finden Treffen statt?

1.4 Warum haben Sie sich gerade für dieses Projekt/ Veranstaltung entschieden?

1.5 Wie haben Sie die Bürger über das Projekt informiert (z.B. Anschreiben von

Haushalten, Infoveranstaltungen usw.)?

1.6 Anzahl der Veranstaltungsteilnehmer?

1.7 Hat sich die Veranstaltung als dauerhafte Institution etabliert?

Wenn ja: 1.7.1 Wie viele engagieren sich zum jetzigen Zeitpunkt an dem Projekt?

1.7.2 Welche Bevölkerungsgruppen?

2. Was für (weitere) Projekte gibt es und warum?

3. Wie werden diese Projekte durchgeführt?

4. Wer beteiligt sich an diesen Projekten?

5. Wurde bei der Vorbereitung auf eine möglichst breite Teilnahme aller Bevölkerungsgruppen geachtet (z.B.

repräsentatives Anschreiben von Haushalten, Dolmetscher)?

5.1 Wurde diese erreicht?

5.2 Welche Bevölkerungsgruppen wurden nicht / kaum erreicht?

Mögliche Gründe?

6. Anzahl der Veranstaltungsteilnehmer?

7. Aus welchen Bevölkerungsgruppen setzen sich die Veranstaltungsteilnehmer zusammen?

8. Erfolge und Probleme bei Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen:

Neue Instrumente und Maßnahmen im Programm

189

Wie wurde der Diskussionsprozess organisiert?

9. Sorgt eine Moderation für einen offenen und kommunikativen Prozess, gerade auch im Hinblick auf

artikulationsschwache Stimmen?

10. Haben alle Quartiersbewohner Rederecht bzw. Zutrittsrecht zu möglichen Arbeitsgruppen oder gibt es gewählte

Vertreter?

11. Nehmen gewählte Politiker an Veranstaltungen teil?

12. Dominieren Sie die Diskussion?

13. Sind sie zufrieden mit dem Ergebnis (Erfolge und Probleme)?

14. Gibt es eine Abstimmung über geplante Vorhaben / Projekte? Wie wird ein Konsens angestrebt?

15. Wer ist der Adressat der Beschlüsse / Empfehlungen?

16. Welche Rechtsqualität oder Beschlusskraft haben die in den Beteiligungsgremien getroffenen Entscheidungen

(welche Beschlüsse werden tatsächlich umgesetzt)?

17. Wie schnell werden Beschlüsse umgesetzt?

18. Welche Erfolge und Probleme sind bei der Ergebnisformulierung und -durchsetzung zu verzeichnen?

19. Beteiligen sich die Wohnungsbaugenossenschaften an Maßnahmen / Projekten oder behindern Sie den Prozess

eher?

Zusammenfassende Evaluation

190

7. Zusammenfassende Evaluation

Intention dieser Arbeit war es, die im Programm be-schriebenen Probleme theoretisch zu beleuchten unddie Ziele und Instrumente des Programms Soziale Stadtsowie deren Umsetzung zu untersuchen. Die Evaluationdes Programms erfolgte auf drei Ebenen.

Da das Programm nicht nur städtebauliche, sondernauch die sozialen Probleme benachteiligter Stadtteilebekämpfen soll, ist eine umfassende Zielsetzung not-wendig.Auf der ersten Evaluationsebene prüften wir, ob dieZielsetzung adäquat ist. Auf der zweiten Evaluierungs-ebene wurde untersucht, ob die Instrumente (IHK, QM,Bürgerpartizipation, Beteiligung nicht-öffentlicher Akteu-re), die das Programm beinhaltet, geeignet sind, um dieaufgestellten Ziele erreichen zu können.Eine Beurteilung der Umsetzung der Instrumente undihrer Wirkung fand auf der dritten Ebene statt.

Zu konstatieren ist, dass jede Stadt Quartiere aufweist,in denen sich benachteiligte Personen konzentrieren. Dadas Programm nicht nur mit städtebaulichen, sondernauch mit sozialen Instrumenten sozialräumlichen undsozioökonomischen Polarisierungstendenzen in benach-teiligten Quartieren entgegenwirken soll, ist die quar-tiersbezogene Herangehensweise in der Programm-zielsetzung richtig. Einschränkend muss jedoch gesagtwerden, dass Arbeits- und Wohnungsmarktproblemesowie sozialpolitische Probleme nur ansatzweise auf derQuartiersebene gelöst werden können. Diese stellennicht ausschließlich ein quartiersbezogenes, sondern eingesamtstädtisches bzw. gesamtgesellschaftliches Pro-blem in Deutschland dar.

Dass das Programm Soziale Stadt als eine Präventions-maßnahme anzuerkennen ist, zeigt sich, wenn man deninternationalen Vergleich heranzieht. Segregation ist inDeutschland noch lange nicht als so gravierend einzu-stufen wie z.B. in Frankreich, wo bereits starke Ghetto-isierungsprozesse zu beobachten sind. Diese Programm-zielsetzung, sozialräumliche Segregationstendenzen zuentschärfen, wird als zutreffend eingestuft.

Sowohl ein Ziel als auch ein Instrument des ProgrammsSoziale Stadt ist die Ressourcenbündelung, die miteinem Umdenken auf Länder- und Kommunenebeneeinhergehen sollte. Bei vielen Projekten sind für dieFinanzierung mehrere Ressorts zuständig. Durch dasProgramm wird die Zusammenarbeit mehrerer Ressortsgefördert und somit die Durchführung von Projekteneffizienter und effektiver. An vielen Stellen ist dieserneue integrative und auf Kooperation ausgerichtetePolitikansatz schon eingeführt. Die Ressourcenbünde-lung und ihr Integriertes Handlungskonzept werden vonuns als ein positives Programmziel bewertet.

Insgesamt ist zu den Zielen des Programms zu sagen,dass wir diese für sinnvoll halten, um die sich verschär-fenden Probleme in deutschen Städten zu bekämpfen.

Auf der zweiten Evaluationsebene beschäftigten wir unsmit der Frage, ob die Instrumente, die das ProgrammSoziale Stadt erstellt hat, die richtigen sind, um die Zieledes Programms verwirklichen zu können.Die empirischen Untersuchungen hierzu ergaben, dassdie Instrumente nicht eindeutig positiv oder negativ zubewerten sind. Man muss sie vielmehr differenziertbetrachten. Bezogen auf das IHK ergab unsere Studie,dass dies durchaus ein geeignetes Instrument ist, umdie Ziele des Programms zu verwirklichen, da zum Einenübergeordnet gearbeitet und zum Anderen die Ressour-cen gebündelt werden sollen. Des Weiteren sind dieBewohner durch die neue dezentrale Form von politi-scher Steuerung nicht mehr Objekte. Sie werden viel-mehr zu Partnern gemacht. Das Instrument derBewohnerpartizipation passt zur Zielsetzung des Pro-gramms. Die Bewohner haben die Möglichkeit, Einflussauf quartiersbezogene Fragen zu nehmen, wobei dasQM ein sinnvolles Instrument der Lenkung und Kontrolledarstellt.Der Einbezug von nicht-öffentlichen Akteuren ist unterdem Aspekt der Ressourcenbündelung ebenfalls positivzu bewerten. Hier ist ein Paradigmenwechsel zu erken-nen. Das Programm ist kein staatlich gelenktes Modell,sondern versucht, seine Ziele durch eine Zusammenar-beit von privaten und öffentlichen Akteuren zu errei-chen. Das Einsetzen der Instrumente zur Herstellungeiner „sozialen Mischung" in Quartieren kann auf diesestabilisierend wirken. Allerdings ist das Konzept der„sozialen Mischung" selbst fragwürdig, da eine positiveWirkung wissenschaftlich bisher nie nachgewiesenwerden konnte.Das Programm Soziale Stadt ist ein Stadtentwicklungs-programm, welches aber auch soziale Probleme in denQuartieren mildern soll. Der eigentliche Schwachpunktdes Programms liegt jedoch in der Diskrepanz zwischenden vorgegebenen Zielen und der praktischen Umset-zung. Die rechtliche Direktive sieht lediglich investiveund keine nicht-investiven Maßnahmen vor. SozialeProbleme sind aber nicht allein auf der Basis voninvestiven, also städtebaulichen Maßnahmen lösbar.Investive Maßnahmen können zwar Lebensbedingung-en, jedoch nicht Lebenschancen verbessern. Das Pro-gramm lässt zwar Ausnahmen zu, etwa bei Straßen-festen und Kulturinitiativen, diese greifen aber zu kurz,da lediglich dann nicht-investive Mittel eingesetztwerden dürfen, wenn sie investitionsvorbereitendwirken.

Ein weiterer kritischer Punkt ist die Reichweite desProgramms. Der Aktionsradius bezieht sich eindeutigauf die Quartiersebene. Dieser Quartiersbezug greift

Zusammenfassende Evaluation

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allerdings zu kurz, da zur Lösung sozialer Probleme undsomit zur Verbesserung von Lebenschancen auf einerhöheren Ebene angesetzt werden muss. Armut, sozialeUngleichheit und Arbeitslosigkeit können nur mit Hilfeeiner landes- und bundesweiten Politik bekämpft wer-den.

Auf der dritten Evaluationsebene untersuchten wir dieUmsetzung der Instrumente. Wir wollten herausfinden,ob die im Programm vorgeschlagenen Instrumente zurBekämpfung bestehender Probleme effektiv und richtigimplementiert wurden. Hier sind die Ergebnisseebenfalls nicht eindeutig.Bezogen auf die Bürgerpartizipation kann mankonstatieren, dass diese am besten funktioniert, wennbereits an vorhandene Partizipationsstrukturen ange-knüpft werden konnte. Die Aktivierung der Bewohnerkann durch kurzfristige Maßnahmen erreicht werden.Diese inkrementalistische Vorgehensweise kann durch-aus zu Nachhaltigkeit und sich selbst tragendenBewohnerstrukturen führen. Dies konnte in dem vorlie-genden Bericht jedoch noch nicht verifiziert werden, dadas Programm hierfür noch nicht lange genug läuft. FürQuartiere, in denen die Bürgeraktivierung fehl schlägt,ist nicht eindeutig festzustellen, ob die Bewohner zuwenig Interesse zeigen oder ob der Fehler eher auf derSeite des QMs zu suchen ist, welches sich eventuellnicht genügend engagiert. Im Bereich der Zusammen-arbeit mit nicht-öffentlichen Akteuren muss dieImplementation von PPP-Maßnahmen definitiv ver-bessert werden. Hier zeigten die Quartiersmanagerwenige Kenntnisse über Möglichkeiten, die diesesInstrument bietet. Ein Feld, auf dem durchaus Erfolgezu verzeichnen sind, ist die Zusammenarbeit von QMsmit Schulen. Neben einer inhaltlichen Arbeit ist das QMdurchaus in der Lage, mit finanzieller Unterstützung z.Bbauliche Maßnahmen zu realisieren oder personelleRessourcen bereitzustellen. Bei der Implementierungdes IHKs fällt die Bewertung weniger eindeutig aus. Sosind beispielsweise die Bereiche des Controllings sowieder übergeordnete Handlungsrahmen gut umgesetzt.Viele andere Aspekte hingegen funktionieren nicht indem Maße, dass es zu sichtbaren Veränderungenkommt. Hier darf man jedoch keinesfalls vergessen,dass sich das IHK am Anfang eines Entwicklungsprozessbefindet. Der Anspruch der Nachhaltigkeit ließ sich biszum Ende der Untersuchungen nicht bewerten, da dasProgramm noch nicht lange genug läuft, um diesbe-züglich Aussagen treffen zu können.

Abschließend lässt sich sagen, dass einige Instrumenteund ihre Implementierung durchaus positiv und alssinnvoll zu bewerten sind. Ob das Programm SozialeStadt jedoch angesichts immer wieder wechselnderpolitischer Mehrheiten und der angespannten Lage deröffentlichen Haushalte dauerhaft Bestand haben wird,bleibt abzuwarten. Dies wird sich nicht zuletzt daran

messen lassen, ob das Programm nachhaltige Erfolgeerzielen kann. Der internationale Vergleich mit andereneuropäischen Ländern zeigt, dass Programme dieser Artdurchaus von erfolgreicher und dauerhafter Natur seinkönnen.