Spiegel: Bürgerliche Revolte

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  • 8/9/2019 Spiegel: Brgerliche Revolte

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    Wolfgang Drexler steht an derFensterfront seines Bros. Esliegt im sechsten Stock eines her-untergekommenen Siebzigerjahrebaus inder Nhe des Stuttgarter Hauptbahnhofs.Von hier aus kann er auf den Nordflgelund den grauen Vorplatz schauen, und erkann zusehen, wie der Widerstand wchst.Jede Woche sind es mehr Menschen, diedort auf die Strae gehen. Sie demonstrie-ren gegen das Groprojekt der baden-wrt-tembergischen Politik, gegen Stuttgart 21.

    Drexler sieht die Transparente am Bau-zaun, die flackernden Grablichter, dort,wo das neue Herz Europas entstehensoll, und schttelt den Kopf. Ich verstehedas nicht mehr, sagt der 64-Jhrige mitden kurzen, graumelierten Haaren.

    Dabei ist er der Mann, der alles rettensoll.Seit einem Jahr ist der SPD-Politiker

    Sprecher von Stuttgart 21. Bis 2019 soll

    aus dem oberirdischen Kopfbahnhof einunterirdischer Durchgangsbahnhof wer-den. Mehr als ein Jahrzehnt lang hat mandas gewaltige Projekt geplant, hat gestrit-ten und debattiert, inzwischen sind alleparlamentarischen und juristischen Hr-den genommen. Doch nun, wo die Bag-ger endlich rollen, versammeln sich zuDrexlers Fen regelmig Tausende,skandieren O-ben blei-ben! O-ben blei-ben! und pfeifen, brllen, buhen jedenAbend ihre Wut in den Himmel. Sie nen-nen es Schwabenstreich.

    Mit Widerstand htten sie ja gerechnet,sagt Drexler. Mit den Menschen eben, dieimmer protestieren, wenn es etwas zuprotestieren gibt. Mnnern mit Liegefahr-rdern und Wollsocken, mit Jugendlichen

    in schwarzen Kapuzenpullis.Und jetzt? Drexler sieht nach unten aufden Bahnhofsvorplatz. Zuerst kamen dieblichen Verdchtigen, doch langsam n-

    derte sich die Zusammensetzung der Pro-testler. Auf einmal standen auch rzte da,Rechtsanwlte, Ingenieure. Mnner indunklen Anzgen mit randlosen Brillen,wie auch Drexler sie trgt, Frauen mit teu-ren Handtaschen und Perlenketten.

    Da unten waren nun Menschen, denenStuttgart sein Ansehen, seinen Wohlstandund vor allem seinen Erfolg verdankt.Drexler hat allen Grund zur Unruhe,denn die da unten jubeln nicht ber dastechnische und architektonische Wunder-werk Stuttgart 21. Nein, sie dreschen vorlauter Frust und rger mit Kochlffelnauf Topfdeckel ein. Und whlen grn stattschwarz.

    Was ist nur los mit dieser Stadt? InStuttgart entstand der erste Fernsehturm

    der Welt. In Stuttgart gab es den erstenStraenbahntunnel der Welt. In Stuttgarterzeugte man den grten knstlichenTornado der Welt. Auf 172 Einwohner

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    Deutschland

    V E R K E H R

    Brgerliche RevolteDer Widerstand gegen das milliardenschwere Bahn-Projekt Stuttgart 21 wchst. Inzwischen

    demonstrieren auch rzte, Anwlte, Ingenieure und Unternehmer Woche fr Wochevor dem Hauptbahnhof. Viele Brger fhlen sich von der Politik missachtet und bergangen.

    Proteste in Stuttgart

    UWEANSPACH/DPA

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    KostenexpressErwartete Baukosten fr Stuttgart 21, in Mrd.

    Anteil der NeubaustreckeWendlingenUlm

    Rahmen-vereinbarung, 1995

    Memorandum ofUnderstanding, 2007

    Bundesrechnungs-hof, 2008

    Finanzierungsver-einbarung, Apr. 2009

    Berechnung derBahn, Dez. 2009

    Berechnung derBahn, Juli 2010

    Umweltbundesamt,August 2010

    4,5

    4,8

    9 bis 11

    5,0

    6,1

    7,0

    8,5

    1,5

    2,0

    4,0

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    2,9

    3,2

    2,0

    kommt in Stuttgart ein Architekt, die In-genieursdichte ist die hchste in Deutsch-land. In Stuttgart wurde der Leitz-Ordnererfunden, die Zndkerze, die Ahoj-Brau-se. Und jetzt wollen ausgerechnet dieStuttgarter einen der modernsten Bahn-hfe Europas verhindern?

    Besser, man denkt nicht so genaudarber nach. Mde streicht sich Drexlermit der Hand ber die Augen. Michschockiert das alles, sagt er. Seine feinenLachfalten stammen aus besseren Tagen.

    Ein lauer Freitagabend im August.Auch Eberhard Schttle und seine FrauGabriele sind in den Stuttgarter Schloss-garten gekommen. Der Diplomingenieurund die Physiotherapeutin haben sicheiner Lichterkette gegen Stuttgart 21 an-geschlossen. Mit rund 18000 Stuttgarternstehen sie nun untergehakt um den Bahn-hof und einen Teil des Parks. An man-chen Stellen bilden sie einen Schutzwallin Dreierreihen.

    Er sei eher ein gemigter Typ, der sei-ne Unterschrift nicht so schnell hergebe,sagt Schttle. Als sich die Dmmerungber die Bume und Wiesen legt, zndeter die Kerzen in den violetten Windlich-tern an, die sie mitgebracht haben. Dann

    schweigen die Menschen fr eine Minute,und man hrt Wasserfontnen und Vgel.Schttle ist ein sportlicher Mittfnfzi-

    ger. Er trgt schwarze Jeans und rotbrau-

    ne Lederschuhe. Am Ausschnitt seineshellen Polo-T-Shirts hat er einen Buttonbefestigt. Oben bleiben steht darauf.Es ist die Protestparole der Stuttgart-21-Gegner, die hoch bis in Drexlers Brodrhnt.

    Schttle ist einer der Demonstranten,die Drexler fassungslos machen. Diplom-ingenieur, ein Mann des Fortschritts.

    Bei Fragen berlegt er einen Momentund antwortet erst dann. Schttle ist kein

    Heikopf. Doch Stuttgart 21 regt ihn auf.Ich bin sehr verrgert, fr wie unkritischwir gehalten werden und mit welcher Ar-roganz man uns ignoriert, sagt der Ver-triebsleiter einer Bblinger Firma. SeineFrau nickt.

    Gut mglich, dass Schttle das Projektverteidigen wrde, wenn die Dinge an-ders gelaufen wren. Wenn die Politikden Brgern nicht als Obrigkeitsstaatgegenbergetreten wre, wenn sie dieMenschen ernst genommen und das Br-gerbegehren, das viele Stuttgarter woll-ten, zugelassen htte.

    Ingenieur Schttle hlt Stuttgart 21 frundurchdacht. 8 statt 16 Gleise, im Grun-de muss man kein Experte sein, um zuverstehen, dass da ein Nadelhr entsteht.Er kann viele Gutachten zitieren, dieStuttgart 21 ein schlechtes Zeugnis aus-stellen. Auch die rund drei MilliardenEuro teure Neubaustrecke nach Ulm siehter kritisch, fr den Gterverkehr sei sieviel zu steil.

    Wenn die Schttles ihren Bekannten-kreis beschreiben, zhlen sie im WechselTherapeuten auf, Ingenieure, rzte, Un-ternehmer. Die Mehrheit sei gegen Stutt-gart 21, sagen sie. Bei jedem Abendessen

    ist es Thema, sagt Eberhard Schttle undschwenkt das Windlicht in seiner Handwie einen Weinkelch. Mittlerweile seiensie alle gut vernetzt, per SMS- und E-Mail-

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    Seitenflgel(werden abgerissen)

    geplantesEuropaviertel

    StuttgarterHauptbahnhof

    Fugngerzonemit Lichtkuppeln berdem unterirdischen Bahnhof

    unterirdischeGleise

    Schlossgarten

    MANFREDS

    TORCK

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    Verteiler schicke man sich Artikel, Sen-dehinweise und neue Expertisen.

    Die Schttles, die ihre Urlaube am liebs-ten auf einem Segelboot an der CtedAzur verbringen, sind inzwischen Mit-glied bei den Parkschtzern. Mehr als20000 Stuttgarter gehren der Widerstands-

    gruppe an, die verhindern will, dass durchdas gigantische Bahn-Projekt 282 Bumegefllt werden. Als ich neulich die Alarm-SMS bekam, dass am Nordflgel die Bau-zune und Abrissbagger aufgestellt werden,bin ich sofort raus aus dem Bro, sagtSchttle, inzwischen wrde ich auch eineDienstreise unterbrechen.

    Den Stuttgartern, diesen so serisen,rechtschaffenen, fleiigen Musterbrgernder Republik, ist das The-ma bitterernst. Auch derSchauspieler Walter Sitt-ler setzt jetzt Prioritten,die er frher kaum frmglich gehalten htte.Eine Woche im Burgundhatte er sich, seiner Frauund seinen Kindern ge-gnnt, die Koffer stehennoch unausgepackt imFlur, denn Sittler hat sichgleich aufgemacht zu derBhne am Nordflgeldes Bahnhofs, um die De-monstranten auf den tg-lichen Schwabenstreicheinzustimmen.

    Um seinen Hals hngt

    eine schwarze Trillerpfei-fe. Er schaut auf die Uhr:Noch 45 Sekunden!Sittler zhlt den Count-down ins Mikro, danntrillert er los, und mehrals 10000 Brger stim-men mit ein. Eine Minutelang hauen sie auf Tam-burine, blasen in Vuvu-zelas, pfeifen, brllen,buhen. Ihr Protest schrilltin den Ohren, so ist es ge-wollt. Schlielich sollendie da oben ihn hren.Wolfgang Drexler, CDU-Oberbrgermeister Wolfgang Schuster,Ministerprsident Stefan Mappus, Bahn-Chef Rdiger Grube.

    Ich will, dass sich unser Schwaben-streich auf das ganze Land ausdehnt,ruft Sittler, und die Menge jubelt demgrauhaarigen Mann im knigsblauen Jogi-Lw-Pulli zu. Im Kampf gegen Stuttgart21 ist der ehemalige Salem-Schler undGrimme-Preistrger zur Galionsfigur desWiderstands geworden.

    Nach dem Schwabenstreich hat sichSittler auf eine Mauer gesetzt. Ein

    Mann mit Steppjacke reicht ihm dieHand, dankt fr sein Engagement. DieFrau an seiner Seite trgt feine Wild-leder-Pumps.

    Dass inzwischen auch die Leute ausden feinen Stuttgarter Halbhhenlagenauf die Strae gehen, wundert Sittlernicht. Aufgrund der geologischen Exper-tisen frchten viele um ihre Huser durchdie Tunnelarbeiten, sagt der Schauspie-ler, der mit seiner Frau in einem gemiete-

    ten Einfamilienhaus in Stuttgart-Mhrin-gen lebt. Vor der Tr stehen ein Smartund ein Golf.

    Sittler hat eine angenehme Hrbuch-Stimme, spricht unaufgeregt. Dabei wer-de er tglich wtender, sagt er, aber essei kalte Wut, die ihn erflle. Heie Wutsorgt nur dafr, dass man den Verstandverliert. Fr einen Moment fixiert ereinen Punkt in der Ferne, dort, wo nach

    dem Willen der S-21-Leute auf dem ehe-maligen Gleisbett ein neuer Stadtteil ent-stehen soll.

    Auch er sei nicht von Beginn an gegenStuttgart 21 gewesen, sagt Sittler. Die Ideeeines unterirdischen Bahnhofs habe An-fang der Neunziger zunchst interessantgeklungen. Aber das Projekt dmpelte ja nur vor sich hin, sagt er, als derTransrapid abgesagt wurde, war ich si-cher, dass das auch das Aus fr Stuttgart21 ist. Doch dann war pltzlich alles un-terschrieben! Und die 67000 Unterschrif-

    ten fr einen Brgerentscheid Sittlermacht eine Handbewegung, als wrde ereinen Stapel Papiere beseitigen wur-den einfach vom Tisch gefegt.

    In diesem Moment seien bei ihm dieLichter auf Rot gesprungen. Sittlers Br-gersinn erwachte und der vieler andererStuttgarter auch. Es war der Beginn einerbrgerlichen Revolte. Und die Verant-wortlichen in der Regierung? Sie hieltenstur an ihrem Kurs fest. Die Weichen

    fr Stuttgart 21 sind gestellt, beteuerteOB Schuster. Und FDP-Regierungspr-sident Johannes Schmalzl sekundierte:Die Frage ist um Jahre zu spt gestelltworden.

    Und man hielt auch dann noch an die-sen Wahnsinnsprojekt fest, als man vonden unglaublichen Kostensteigerungenwusste, rgert sich Sittler. Der Bundes-rechnungshof glaubt, dass Stuttgart 21 in-

    klusive der Neubaustre-cke nach Ulm rund 8,5Milliarden Euro kostenwird, das ist fast doppeltso viel, wie anfangs ver-anschlagt wurde. LautUmweltbundesamt sindes sogar bis zu 11 Milliar-den. Die haben sich andem Projekt besoffen,sagt Sittler.

    Seit Anfang des Jahreskmpft er nun aktivgegen Stuttgart 21. Fr jeden politisch aufge-schlossenen Brger kamirgendwann der Moment,an dem man sich ent-scheiden musste, wo man

    steht und ob man auf-steht. Ob Freund oderFeind, entscheidet inStuttgart mittlerweile die-se Frage: Bischt du etwadafr? Wie viele der bis-lang schweigenden Stutt-garter Brger darauf mitJa oder Nein antwortenwrden, darber gibt eskeine aktuellen, verlss-lichen Zahlen.

    Sittler berrascht esnicht, dass sich der Pro-testbewegung auch Bes-serverdiener angeschlos-

    sen haben. Das sind doch intelligenteMenschen! Leute, die sich informiert ha-ben und den Nutzen dieses Projekts nichterkennen knnen. Hinzu kommt, dass sieSchwaben sind, sehr bodenstndige, mitrechnerischen Fhigkeiten ausgestatteteMenschen, die sehr genau hinschauen,wofr sie ihr Geld ausgeben. Selbst die,die sehr viel davon haben.

    Sittler senkt den Kopf. Knnen Siesich vorstellen, was fr eine Demtigungdas ist, wenn man als mndiger Brgerpermanenter Machtdemonstration ausge-

    setzt ist, ohne angehrt zu werden?Dieses Gefhl der Ohnmacht hat dieMenschen auf die Strae getrieben. Unddass es in den kommenden Wochen eher

    Deutschland

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    S-21-Gegner Sittler (M.), Schttle: Bei jedem Abendessen ist es Thema

    UWEANSPACH/DPA(L

    .);MARTINSTORZ(R

    .)

    S-21-Befrworter Drexler, Bessis: Da wurde eine Riesenchance verschenkt

    SASCHABAUMANN/ALL4FOTO(L

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    GRAFFITI(R

    .)

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    mehr werden, garantiert das Krisenma-nagement der Stadt. Ein Moratorium, ei-nen vorlufigen Baustopp und eine Br-gerbefragung lehnt sie mit dem Hinweisab, dafr gbe es keine politische Legiti-mation.

    Wolfgang Drexler, der Projektsprecher,

    sagt, es sei ein grundstzliches gesell-schaftliches Phnomen, das sich hier zei-ge. Die Bereitschaft der Leute, Vern-derungen grundstzlich erst einmal alsetwas Positives zu betrachten, scheintverlorengegangen zu sein. Die Brgerwrden nicht mehr die Chancen, sondernnur noch die Risiken sehen.

    Drexler hat sich an den kleinen Kon-ferenztisch in seinem Bro gesetzt. Ernimmt seine Brille ab, legt sie vor sich aufden Tisch und sieht sich in seinem Ar-beitszimmer um. Wir htten dieses Broschon vor acht oder neun Jahren einrich-ten sollen, sagt er und bekennt, dass esein Riesenfehler gewesen sei, dass dieVerantwortlichen, als sie S21 mit politi-scher Mehrheit beschlossen, die Infor-mationspolitik nahezu eingestellt und denGegnern das Feld berlassen htten.

    Erst neulich habe er im Norden derStadt im Bezirksbeirat gesprochen, dieGegend wird von den Baumanahmenbesonders betroffen sein. Das letzte Malwar da jemand im Jahr 2003 und hat berS21 geredet, sagt Drexler und schwrmtpltzlich von Wien.

    Auch dort wird gerade ein Kopfbahn-hof in einen Durchgangsbahnhof umge-

    wandelt, mitten in der Stadt. Die Bauzeitist einige Jahre krzer, die Kosten sindeinige Milliarden geringer, aber vor al-lem sind die Wiener hei auf ihren neuenBahnhof, meint Drexler. Weil man sievon Beginn an systematisch in das Projekteingebunden hat. Die meisten sind heutestolz darauf.

    Dass ihm das noch in Stuttgart gelingenwird, hlt er fr nahezu unmglich. Dafrsind die Motive der Gegner zu unterschied-lich. Stuttgart 21 ist ja nicht nur ein Fu-ballfeld mit einem Zaun drum herum, son-dern extrem komplex, sagt er. Deshalbsei das Marketing ja auch so schwierig.

    Vielleicht htte den Projekttrgern einauthentischer Charismatiker als Botschaf-ter geholfen. Einer, der berzeugen kann.Einer wie Sittler. Stadtvater Schuster zu-mindest ist erkennbar nicht der Richtigefr diese Aufgabe. Seit Wochen ver-schanzt er sich hinter den Rathausmauernund wiederholt bei jeder sich bietendenGelegenheit, dass das Projekt politischlegitimiert sei und dass doch bitte schnendlich Ruhe einkehren sollte. Drexlerbekommt Morddrohungen.

    Rund zwei Kilometer von seinem Broentfernt sitzt ein Mann, der eigentlich zu

    Drexlers Verbndeten gehren msste.Ein Anhnger von Stuttgart 21. Lukas-Pierre Bessis, 33, gehrt eine Werbeagen-tur. Er sitzt in einem Retro-Ledersessel

    im ersten Stock einer alten Fabrik, aufseiner Nase thront eine Nana-Mouskou-ri-Brille. Im Hintergrund luft leiseLounge-Musik.

    Stuttgart 21, das sei ein Projekt mit ei-ner einmaligen Zukunftsperspektivefr die Stadt, schwrmt der Kommuni-kationspdagoge. Die unsachliche undemotionale Diskussion der Gegner seibefremdlich. Und die Risiken und Neben-wirkungen des Projekts? Ein Ausdruckdes Erstaunens legt sich ber Bessis Ge-sicht. Ich vertraue in die Fhigkeiten un-serer Ingenieure hier in Baden-Wrttem-berg. Und ich sehe, was fr ein gewaltigerJob-Motor das ist. Zehntausend Arbeits-pltze sollen angeblich dauerhaft durchden neuen Bahnhof entstehen.

    So weit zum Positiven. Bedauerlicher-weise habe der schne neue Tiefbahnhofin der ffentlichen Wahrnehmung aller-dings ein entscheidendes Manko: dasunterirdische Image. Deshalb treibe esdie brgerliche Elite der Stadt auf dieStrae.

    Das liegt an der falschen Kommuni-kationspolitik der Verantwortlichen. Dawurde eine Riesenchance verschenkt,sagt Bessis. Man htte die Menschen vielmehr bei ihrem Heimatstolz packen, mitpositiven Bildern arbeiten mssen. Manhtte eine groe Werbekampagne startenmssen und eben nicht nur eine paar ma-

    gere Ausstellungen und Podiumsdiskus-sionen veranstalten sollen.Drexler und seine Leute haben das in-

    zwischen verstanden. Seit Juni, also vierMonate nach Baubeginn, hngen in Stutt-gart Plakate. Es stimmt, dass fr Stutt-gart 21 im Schlossgarten und um denBahnhof 282 Bume gefllt werden,heit es da auf einem groen, weien Pla-kat. Darunter steht: Es stimmt aber auch,dass 293 bis zu 12 Meter hohe Bume ge-pflanzt werden und der Park erstmals seitJahren um 20 Hektar wchst.

    Fr Werbefachmann Bessis ist die Kam-pagne eine Katastrophe. Wer im Auto mitTempo 50 daran vorbeifhrt, liest gerademal, dass 282 Bume im Schlossgarten ge-fllt werden sollen. Da machen die Ver-antwortlichen noch Werbung fr den Wi-derstand!, regt sich der Kommunika-tionsexperte auf.

    Bessis ist mit seiner Kritik nicht allein.Dass die Kommunikation zwischen Br-gern und Politik nachhaltig gestrt ist, ha-ben inzwischen auch die letzten Stuttgart-21-Befrworter begriffen. Neuerdingsknnen sie sich dabei auf ihren neuenMinisterprsidenten Mappus berufen. Derbekannte unlngst: Wenn es mal einen

    Preis fr die schlechteste Marketing-Kam-pagne gibt, haben wir mit Stuttgart 21gute Chancen. S K,

    A W

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    PROJEKTSTUTTGART21/DDP

    Stuttgarter Bahnhofsmodell

    Unterirdisches Image

    Chronik S21April 1994

    Das Konzept Stuttgart 21 wird zum ersten Malder ffentlichkeit vorgestellt.

    November 1997

    Der Architekt Christoph Ingenhoven gewinnt mitseinem Bullaugen-Entwurf den Wettbewerbfr den neuen Hauptbahnhof.

    Juli 1999

    Der Bahn-Chef Johannes Ludewig verfgt wegenhoher Kosten einen Planungsstopp.

    Februar 2000

    Der neue Bahn-Chef Hartmut Mehdorn belebtdas Projekt wieder.

    Januar 2005

    Das Eisenbahnbundesamt erteilt den Planfest-stellungsbeschluss fr den Tiefbahnhof.Die Gegner klagen.

    April 2006

    Der Verwaltungsgerichtshof segnet den neuenDurchgangsbahnhof ab; die Alternativplnebrchten weniger Vorteile.

    Oktober 2006

    Grundsatzbeschluss des Landtags frStuttgart 21.

    April 2007Bei einem Krisengipfel in Berlin bekennt sichder Bund zu Stuttgart 21 die Finanzierungbleibt weiterhin unklar.

    Dezember 2007

    Ein Brgerbegehren sammelt 67000 Unter-schriften gegen Stuttgart 21.Die Stadt lehnt dieses ab.

    November 2008

    Der Bundestag bewilligt Geld fr Stuttgart 21und die Neubaustrecke nach Ulm.

    April 2009

    Die Vertrge zur Finanzierung von

    Stuttgart 21 werden unterzeichnet.

    Februar 2010

    Baubeginn.