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8 9 S eit Monaten sind Kultur- einrichtungen geschlossen, Veranstaltungen abgesagt oder verschoben – auf später oder ins Internet. Für Katharina Scherke ist das ein eindeutiges Zeichen, dass die Politik Wert und Wirksamkeit der Kunst geringschätzt. „Sie ist in den Augen vieler ein Luxus, den es gerade während einer Pandemie, die den Staat sehr teuer kommt, nicht braucht. Genau das ist aber der große Trugschluss. Besonders in schwierigen Zeiten ist es wichtig, dass wir über zentrale Fragen des Zusammenlebens nachdenken. Wie möchten wir miteinander umgehen, wie soll unser Staat beschaffen sein, woher holen wir unseren sozialen Kitt? Lite- ratur, Musik, Theater, Film oder Tanz thematisieren diese Fragen und geben uns Impulse, um eigene Antworten zu finden.“ Fehlt die Interaktion zwischen Kunst- schaffenden und ihrem Publikum, dann fehlt jedem/jeder Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzes etwas, meint Scherke: „Wir verzichten momentan auf kollektive Erlebnisse. Das Resultat sind individuelle Blasen, in denen jede/r für sich liest, streamt oder zuhört, wenn es die Zeit erlaubt. Ohne die Chance auf Interaktion sind wir aber mit unserer Interpretation des Inputs allein. Dann bleibt der Kreislauf zwischen Kunst- schaffenden und Publikum unvollstän- dig. Gerade in Zeiten des Lockdowns, die wir bislang alle noch nicht erlebt hatten, wäre es aber für viele Menschen wichtig gewesen, eines zu sehen: dass sie mit ihren Gedanken, Sorgen und womöglich auch Ängsten keineswegs allein sind.“ Der soziale Zusammenhalt zehrt also wesentlich davon, dass wir in einem aufbereiteten Rahmen davon erzählen können, was uns beschäftigt. Einen wei- teren Benefit betont Scherke abschlie- ßend: „Dass die großen heimischen Kunst- und Kulturinstitutionen seit jeher nicht wenig Geld in die Staatskasse spülen, sollte ebenfalls beachtet werden, wenn über deren ‚Wert‘ debattiert wird.“ Katharina Scherke hat schon in ihrer Diplomarbeit die Lebens- und Arbeitssituation von bildenden Künstlerinnen in der Steiermark unter die Lupe genommen. Die Kultur- und Kunstsoziologie ist einer ihrer Schwerpunkte geblieben. Sie ist Co-Herausgeberin des „Handbuch Kultursoziologie“ und bringt ihre wissenschaftliche Sicht auch in öffentliche Diskussionen ein, zuletzt im Rahmen des steirischen Straßenfestivals LaStrada. J e unterschiedlicher das kulturelle Angebot ist, umso schärfer werden unsere Sinne für verschiedene Zu- gänge geschult. Kulturwissenschaf- terin Alexandra Strohmaier betont, dass literarische Texte uns nicht nur unterhalten, sondern auch sehr viel in unseren Köpfen bewirken können. „Wer mit Literatur sozialisiert wird, eignet sich wichtige kognitive und emotiona- le Kompetenzen an. Sie sensibilisiert für die Komplexität von Wirklichkeit und setzt vielfältige gesellschaftliche Diskurse in Dialog. Wenn wir lesen, versetzen wir uns in die Lage anderer und lernen, unterschiedliche Perspek- tiven einzunehmen. Wer verinnerlicht, dass die Realität vielfältig, relativ und ungewiss ist, ist eher resistent gegen Po- pulismus und Verschwörungsnarrative, die einfache Antworten auf schwierige Fragen präsentieren.“ Die gesellschaftliche Bedeutung der Literatur zeigte sich in den vergangenen Monaten auch am Leseverhalten, so die Forscherin: „Insbesondere Albert Camus‘ Roman ‚Die Pest‘ hat reißen- den Absatz gefunden, weil sehr viele Menschen darin Antworten auf ganz aktuelle Fragen gesucht haben. Damit dieses Bewusstsein vom Wert der Lite- ratur und des Buches auch in Zukunft eine Rolle spielt, bedarf es eines frühen Zugangs zu ästhetischer Erfahrung und kultureller Bildung, sodass Literatur und Kunst nicht zu elitären Phänome- nen werden.“ Alexandra Strohmaier forscht am Institut für Germanistik und ist Fachbeirätin für Literatur der Stadt Graz. Als stellvertreten- de Sprecherin des Doktoratsprogramms „Kultur – Text – Handlung“ war sie für die Ausbildung Promovierender aus sechs europäischen Städten mitverantwortlich. In ihrem jüngsten Buch zeigt sie am Bei- spiel von Goethe und William James, wie Wissen aus der Literatur die Philosophie beeinflusst. Besonders in schwierigen Zeiten ist es wichtig, dass wir über zentrale Fragen des Zusammenlebens nachdenken. Soziologin Katharina Scherke Literatur sensibilisiert für die Komplexität von Wirklichkeit. Kulturwissenschafterin Alexandra Strohmaier

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Seit Monaten sind Kultur-einrichtungen geschlossen, Veranstaltungen abgesagt oder verschoben – auf später oder

ins Internet. Für Katharina Scherke ist das ein eindeutiges Zeichen, dass die Politik Wert und Wirksamkeit der Kunst geringschätzt. „Sie ist in den Augen vieler ein Luxus, den es gerade während einer Pandemie, die den Staat sehr teuer kommt, nicht braucht. Genau das ist aber der große Trugschluss. Besonders in schwierigen Zeiten ist es wichtig, dass wir über zentrale Fragen des Zusammenlebens nachdenken. Wie möchten wir miteinander umgehen, wie soll unser Staat beschaffen sein, woher holen wir unseren sozialen Kitt? Lite-ratur, Musik, Theater, Film oder Tanz thematisieren diese Fragen und geben uns Impulse, um eigene Antworten zu finden.“

Fehlt die Interaktion zwischen Kunst-schaffenden und ihrem Publikum, dann fehlt jedem/jeder Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzes etwas, meint Scherke: „Wir verzichten momentan auf kollektive Erlebnisse. Das Resultat sind

individuelle Blasen, in denen jede/r für sich liest, streamt oder zuhört, wenn es die Zeit erlaubt. Ohne die Chance auf Interaktion sind wir aber mit unserer Interpretation des Inputs allein. Dann bleibt der Kreislauf zwischen Kunst-schaffenden und Publikum unvollstän-dig. Gerade in Zeiten des Lockdowns, die wir bislang alle noch nicht erlebt hatten, wäre es aber für viele Menschen wichtig gewesen, eines zu sehen: dass sie mit ihren Gedanken, Sorgen und

womöglich auch Ängsten keineswegs allein sind.“Der soziale Zusammenhalt zehrt also wesentlich davon, dass wir in einem aufbereiteten Rahmen davon erzählen können, was uns beschäftigt. Einen wei-teren Benefit betont Scherke abschlie-ßend: „Dass die großen heimischen Kunst- und Kulturinstitutionen seit jeher nicht wenig Geld in die Staatskasse spülen, sollte ebenfalls beachtet werden, wenn über deren ‚Wert‘ debattiert wird.“

Katharina Scherke hat schon in ihrer Diplomarbeit die Lebens- und Arbeitssituation von bildenden Künstlerinnen in der Steiermark unter die Lupe genommen. Die Kultur- und Kunstsoziologieist einer ihrer Schwerpunkte geblieben. Sie ist Co-Herausgeberin des „Handbuch Kultursoziologie“ und bringt ihre wissenschaftliche Sicht auch in öffentliche Diskussionen ein, zuletzt im Rahmendes steirischen Straßenfestivals LaStrada.

Je unterschiedlicher das kulturelle Angebot ist, umso schärfer werden unsere Sinne für verschiedene Zu-gänge geschult. Kulturwissenschaf-

terin Alexandra Strohmaier betont, dass literarische Texte uns nicht nur unterhalten, sondern auch sehr viel in unseren Köpfen bewirken können. „Wer mit Literatur sozialisiert wird, eignet sich wichtige kognitive und emotiona-le Kompetenzen an. Sie sensibilisiert für die Komplexität von Wirklichkeit und setzt vielfältige gesellschaftliche Diskurse in Dialog. Wenn wir lesen, versetzen wir uns in die Lage anderer und lernen, unterschiedliche Perspek-tiven einzunehmen. Wer verinnerlicht, dass die Realität vielfältig, relativ und ungewiss ist, ist eher resistent gegen Po-pulismus und Verschwörungsnarrative, die einfache Antworten auf schwierige Fragen präsentieren.“ Die gesellschaftliche Bedeutung der Literatur zeigte sich in den vergangenen Monaten auch am Leseverhalten, so die Forscherin: „Insbesondere Albert Camus‘ Roman ‚Die Pest‘ hat reißen-den Absatz gefunden, weil sehr viele Menschen darin Antworten auf ganz aktuelle Fragen gesucht haben. Damit dieses Bewusstsein vom Wert der Lite-ratur und des Buches auch in Zukunft eine Rolle spielt, bedarf es eines frühen Zugangs zu ästhetischer Erfahrung und kultureller Bildung, sodass Literatur und Kunst nicht zu elitären Phänome-nen werden.“

Alexandra Strohmaier forscht am Institut für Germanistik und ist Fachbeirätin für Literatur der Stadt Graz. Als stellvertreten-de Sprecherin des Doktoratsprogramms „Kultur – Text – Handlung“ war sie für die Ausbildung Promovierender aus sechs europäischen Städten mitverantwortlich. In ihrem jüngsten Buch zeigt sie am Bei-spiel von Goethe und William James, wie Wissen aus der Literatur die Philosophie beeinflusst.

Besonders in schwierigen Zeiten ist es wichtig, dass wir über zentrale Fragen

des Zusammenlebens nachdenken.

Soziologin Katharina Scherke

Literatur sensibilisiert für die Komplexität von

Wirklichkeit.Kulturwissenschafterin Alexandra Strohmaier

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Lockdown. Leiden. Last. Das Klagen von Handel, Gastronomie und anderer Wirtschaftszweige hallt laut. Leiser wird es, wenn es sich um die Pande-mie-Sorgen von Kunst und Sport handelt. Sozio-logie-StudentInnen an der Universität Graz hören daher ganz genau hin, wie es jungen Freizeit-Ath-letInnen und Kulturschaffenden geht.

Auf dem Hallenbelag sammelt sich der Staub. Das Schwimmbecken präsentiert sich still wie ein Wintersee. Und auf der Sprossenwand klettern maximal die Fliegen. Die Vereine der Hob-

by-SportlerInnen haben Zwangspause. Seit Monaten! Wie geht es dabei den Kindern und Jugendlichen ohne den regelmä-ßigen körperlichen Ausgleich und den sozialen Austausch? Und leiden nicht auch Eltern und TrainerInnen unter die-ser Situation? „In erster Linie denkt man an die Profis im Fußball, Tennis und auf der Skipiste, übersieht dabei jene, die in unzähligen Vereinen aktiv sind“, räumt Soziologin Karin Scaria-Braunstein ein. Sie leitet gemeinsam mit Sandra Pfister von der Johannes-Kepler-Universität Linz ein zweisemestriges Forschungspraktikum, in dem Studierende des Bachelorstu-diums Soziologie die Lage von zehn- bis 14-jährigen Frei-zeit-SportlerInnen unter die Lupe nehmen. Eingebettet ist das

Projekt in eine Kooperation, dem Sportamt und dem Integrationsrefe-rat der Stadt Graz. „Die Studierenden schauen sich an, wie die Jugendlichen mit den Schlie-ßungen ihrer Vereine umgehen. Wie sie das emotional verarbeiten und wie sich ihr Freizeitverhalten dadurch verändert“, erklärt die Wissenschafterin. Denn gerade für Jugendliche in der Pubertät ist die Aktivität für deren Entwicklung ex-trem wichtig, bestätigt Bewegungs- und Sportpädagoge Sebastian Ruin. In den nächsten Wochen werden die Betroffenen befragt, die Antworten bis zum Sommer ausgewertet. Sca-ria-Braunstein wirft auch einen Blick in die Zukunft: „Entscheidend ist es, die Phasen der Krise zu beurteilen.

Denn wir wissen noch gar nicht, wie viele SchülerInnen auf-grund des Lockdowns die Sportausübung, wie viele TrainerIn-nen ihre ehrenamtliche Tätigkeit aufgeben werden.“

Kultur in der KriseAns Aufgeben denken derzeit wohl zahlreiche Kulturschaf-fende. Liegt doch über ihnen, die sonst eher Öffentlichkeit und Rampenlicht suchen, viel Schatten. Insbesondere über KünstlerInnen der freien Szene. Auch darauf richten die Soziologie-Studierenden einen wissenschaftlichen Spot. Noch dazu, wo das Kulturjahr 2020 in Graz von Corona massiv ein-geschränkt wurde. Und konkret darauf nimmt ein Teilprojekt Bezug. In Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Graz werden die knapp 100 Projekte auf Änderungen in Form und Inhalt durchleuchtet. Also ist zum Beispiel die Corona-Krise Thema geworden? Hat eine Verschiebung in den virtuellen Raum stattgefunden? Daraus soll sich in Folge ableiten lassen, wie diese Erfahrungen in die künftige Kulturarbeit eingebun-den werden können. „Denn“, ist Scaria-Braunstein überzeugt, „wir wachsen mit den Herausforderungen und finden neue Wege der Kreativität.“ Kunst habe in gesellschaftlich schwieri-gen Zeiten immer eine wichtige Rolle gespielt. Die Kulturschaffenden selbst stehen im Forschungspraktikum ebenso im Mittelpunkt. „Wie sehen die oft prekären Arbeits-verhältnisse aus, die vermutlich die Pandemie noch einmal verschlimmert hat?“, fragt ein weiteres Projekt der Studen-tInnen. Die Interviews sollen Aufschluss darüber geben, wie KünstlerInnen dieses finanzielle und womöglich soziale Pre-kariat selbst empfinden. Die genauen Ergebnisse werden auch hier bis zum Sommer vorliegen, wenn hoffentlich ZuseherIn-nen wieder live den Aufführungen beiwohnen können. Denn diese vermisst nicht nur die freie Szene, wie Iris Laufenberg, Intendantin des Schauspielhaus Graz bestätigt: „Gerade in ei-ner Pandemie sind neben der sehr wichtigen Expertise aus der Virologie, auch die Soziologie, die Pädagogik, die Psychologie, ja auch die Seuchenhistorik – und die Kunst für die langfris-tige Gesundheit einer Gesellschaft von großer Bedeutung. Da das Virus nicht verschwinden wird, werden wir lernen müssen damit zu leben. Dazu ist der Mensch mit heutigem Stand an Testmöglichkeiten, Impfungen und Antikörpern in der Lage. In diesem Sinne wäre ich als Theatermensch froh, bald wieder in leibhaftigen, sinnlichen und intellektuellen Austausch mit unserem Publikum zu kommen.“

von Andreas Schweiger

Kahle Kulissen

Kreative Werke mitten in die Gesellschaft bringen möchte Klemens Fellner – und knüpft dabei eine

Verbindung zwischen musikalischem Schaffen und mathematischer For-schung. „Uns geht es darum, voneinander zu lernen und gemeinsam neue Ideen zu ent-werfen“, erklärt Fellner, der sich am Institut für Mathematik und wissen-schaftlichem Rechnen mit partiellen Differentialgleichungen auseinandersetzt. Zeitgenössische Musik und Grundlagenforschung haben in seinen Augen eines gemein-sam – noch Ungehörtes beziehungs-weise Unverstandenes erlebbar und nachvollziehbar zu machen. Tamara Friebel, Künstlerin, Komponistin

und PostDoc an der Universität Graz, ergänzt: „In der Kunst, wie auch in der Mathematik, geht es darum, ein Universum von Möglichkeiten auf das Wesentliche zu verdichten.“ Die Er-gebnisse dieser Entdeckungsgemein-

schaft, in dessen Rahmen neue Ma-thematik publiziert und neue Musik komponiert wird, wollen Fellner und Friebel im Rahmen des Grazer Kultur-jahrs 2020/21 durch das Projekt „Listen to Intuition“ so bald wie möglich in einem öffentlichen

Begegnungsraum präsentieren. Damit nicht nur Mathematik und Musik einander inspirieren, sondern auch Wissenschaft und Gesellschaft.

von Christina Koppelhuber

und Gerhild Leljak

Karin Scaria-Braunstein beschäftigt sich mit soziologischen Frage-stellungen, die sich von Politik über Jugend bis hin zur Kunst erstrecken. Gemeinsam mit ihrer Kol-legin Sabine Haring-Mos-bacher untersucht sie, wie Menschen mit der corona-bedingten Ausnahme-situation umgegangen sind.

Klemens Fellner ist Mathema-tiker und „nebenbei“ Fagottist, seine Partnerin Tamara Friebel Performance-Künstlerin und Komponistin. Mit KollegInnen haben die beiden bereits eini-ge unkonventionelle fachüber-greifende Projekte realisiert.

Uns geht es darum, von-einander zu lernen und

gemeinsam neue Ideen zu entwerfen.

Mathematiker Klemens Fellner

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Ich denke mir, dass Kunst eine Räuberleiter ins Glück sein kann. Man kann sich dadurch auf jeden Fall von einem vielleicht nicht

ganz so ansprechenden Ist-Zustand in ein schöneres Gefilde der Freu-de hinaufhieven. Wer einen offenen Oberschenkelbruch hat, ist natürlich sehr, sehr froh, dass es ÄrztInnen gibt und nicht eine Person, die ein Gedicht vorliest. Aber wenn du eine unheilbare Krankheit hast, ist es schön, dass dich ein Musikstück oder ein Gemälde dies kurz vergessen lassen. Kunst ist auf jeden Fall auch Emo-tion. Man kann sich daran stoßen oder reiben, und man kann sich glücklich bereichern lassen. Sie ist dazu da, dass sie uns Trauer, Freude, Schmerz, Leid, Liebe und Glück empfinden lässt.Nur Blödeln ist mir zu profan, nur ernste Lieder zu schreiben, zu seriös. Das Schöne ist, ich kann beides machen:

ein ergreifendes Lied oder eine Ballade, wenn ich in Stimmung bin, und dann wieder eine „Larifari-lustig-Dialekt-ver-steht-mich-keiner“-Nummer. Das ist der Spagat, den man auch im Leben schaffen muss. Der große Vorteil am Kabarett: Es ist abwechslungsreich. Du kannst theore-tisch tagespolitische Sachen einfließen lassen. Bei Tosca ist es schwierig, dass du da kurz auf Ibiza Bezug nimmst. ÖsterreicherInnen lachen gerne, wenn jemand fällt. Da muss man auch dar-über lachen, wenn man selber einmal stolpert, finde ich halt. Eine Wechsel-wirkung aus Zynismus und Selbstironie macht das Leben schon viel schöner.

Derzeit fehlt natürlich das Live-Er-lebnis. Die Leute wollen etwas

Gemeinschaftliches spüren. Du verlernst das Menschsein. Mir gehen die eigenen Auftritte wahnsinnig ab. Ich will wieder

Räuber­leiter ins GlückWarum es auch in der Krise die Kunst braucht, wo für ihn der Reiz des Kabaretts liegt und was ihm beim Studium an der Universität Graz ge-fehlt hat, erzählt der gefei-erte steirische Musiker und seriöse Profi-Blödler Paul Pizzera der Unizeit.

Fotos: Uni Graz/Tzivanopoulos

waagrecht in die Menge schwitzen, die die Sachen lauthals schreit, die ich in der Unterhose auf der Couch geschrieben habe. Aber meine Bühnengeilheit darf nicht wichtiger sein als die Gesundheit. Nach der Spanischen Grippe soll drei Wochen einfach durchgesoffen worden sein. Das schaffe ich, glaube ich, mit 32 Jahren nicht mehr, aber es ist ein lu-kullischer Strohhalm, an dem man sich zumindest ein bisschen anhalten kann.Ich habe das Glück, dass ich die letzten zehn Jahre sehr fleißig war, also tangiert mich die Krise finanziell nicht. Aber wenn du jetzt erst angefangen hast oder in den Startlöchern bist, vergiss es! In weiterer Folge ist es ja das Problem, dass die VeranstalterInnen auch schau-en müssen, dass die Hütte voll wird. Lassen die dann NewcomerInnen auf die Bühne, die vielleicht nur ein Viertel einspielen? Nein, das geht dann nicht, danke, servus. Dadurch stirbt gute,

junge Kultur, das ist unfassbar traurig. Man merkt, wer Geld und eine Lobby hat, und das hat die Kultur halt nicht.

Forschung ist großartig, natürlich! Wie kann man sich gegen Fort-

schritt wehren? Man sieht ja, dass für Coronaleugner oder fundamentale Impfgegnerinnen eine Quellenangabe maximal der Lagerplatz für Mineral-wasser ist. Das ist sehr traurig, und da-rum gibt es ja Experten und Expertin-nen, auf die wir auch vertrauen sollen, die nicht auf YouTube studiert haben, sondern an einer Universität. Weiterent-wicklung und Sachen besser machen, ist natürlich geil und großartig.Es würde mich allerdings schon fast traurig machen, wenn jemand glaubt, das Germanistik-Studium ist schuld, dass ich jetzt texten kann. Nein, diese Passion hat man oder nicht. Ich hätte mir zwar erwartet, dass meine Klinge

und mein Feingefühl verbessert werden, aber es war wirklich nur wissenschaft-liches Arbeiten. Ein Thema behan-deln, über das schon vierzig Millionen geschrieben haben? Und dann das Zitieren? Ja alter Schwede! Das Kreative hat mir gefehlt.Ich würde aber schon wieder studieren, weil es cool ist. Wie kann man etwas gegen Bildung haben, wenn man seine sieben Zwetschken beisammen hat? Trotzdem glaube ich, dass sich manche Leute, die an der Uni arbeiten, zu wich-tig nehmen. Es ist ja nichts Schlechtes, wenn man auf das Geschaffene stolz ist, aber diese halbintellektuellen feuchten Träume, die dann oft bei Presseaus-sendungen herauskommen, sind schon ein bisschen nervig. Wie man bei Frau Aschbacher gesehen hat, sollten sich die Hochschulen momentan nicht allzu ernst nehmen.

Protokoll: Dagmar EklaudeDas Unizeit-Interview mit Paul Pizzera als Video

Manche Leute an der Uni nehmen sich zu wichtig. Diese halbintellektuellen

feuchten Träume sind schon ein bisschen nervig.

Kabarettist Paul Pizzera